Die Rede des Häuptlings Seattle
auf das Angebot des amerikanischen Präsidenten,
das Land seines Stammes zu kaufen
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Jener Himmel hat ungezählte Jahrhunderte gnädige Tränen des Mitgefühls über unsere Väter regnen lassen; doch was uns ewig dünkt, mag sich wenden. Heute ist der Himmel klar, morgen mag er mit Wolken bedeckt sein.
Meine Worte sind wie die Sterne, die nie untergehen. Was Seattle sagt, darauf kann sich der Große Häuptling in Washington ebenso sicher verlassen, wie sich unsere bleichgesichtigen Brüder auf die Wiederkehr der Jahreszeiten verlassen können.
Der Sohn des Weißen Häuptlings sagt, daß uns sein Vater Grüße der Freundschaft und des guten Willens sendet. Dies ist freundlich von ihm, denn wir wissen, daß er umgekehrt unsere Freundschaft kaum nötig hat, weil seines Volkes viele sind. Sie sind wie das Gras, das die weiten Prärien bedeckt, während meines Volkes wenige sind; sie gleichen den verstreuten Bäumen auf einer vom Sturm leer gefegten Ebene.
Der Große — und wie ich annehme — gute Weiße Häuptling sendet uns Botschaft, daß er unser Land zu kaufen wünscht, aber willens ist, uns zu erlauben genug Land zu behalten, um gut davon leben zu können. Dies erscheint in der Tat großzügig, denn der Rote Mann hat keine Rechte mehr, die da zu respektieren wären. Und das Angebot mag auch weise sein, denn wir benötigen nicht mehr viel Land.
Es gab eine Zeit, zu der unser Volk das ganze Land bedeckte wie die Wellen einer vom Wind bewegten See deren muschelbelegten Boden bedecken, aber diese Zeit ist mit der Größe der Stämme, die jetzt fast vergessen sind, lange dahingegangen. Ich will nicht bei unserem vorzeitigen Niedergang verweilen, weder darüber trauern noch meinen bleichgesichtigen Brüdern vorwerfen, daß sie ihn beschleunigten, denn auch wir mögen einige Schuld gehabt haben.
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[Die Jugend ist impulsiv.]
Wenn unsere jungen Männer über einige wirkliche oder eingebildete Ungerechtigkeiten zornig werden und ihre Gesichter mit schwarzer Farbe verunstalten, dann sind ihre Herzen ebenfalls verunstaltet und werden schwarz, und dann sind sie oft grausam und ohne Gnade und kennen keine Grenzen, und unsere alten Männer vermögen sie nicht zurückzuhalten.
[Das hat es immer gegeben. So war es, als der weiße Mann begann, unsere Vorväter westwärts zu drängen. ]
Aber laßt uns hoffen, daß die Feindseligkeiten zwischen dem Roten Mann und seinem bleichgesichtigen Bruder niemals wiederkehren mögen. Wir würden alles zu verlieren und nichts zu gewinnen haben.
Es ist wahr, daß die Vergeltung von unseren jungen Kriegern als Gewinn betrachtet wird, sogar auf Kosten ihrer eigenen Leben, aber alte Männer, die in Kriegszeiten zu Hause bleiben, und Mütter, die ihre Söhne zu verlieren haben, wissen das besser.
Unser guter Vater in Washington — denn ich nehme an, er ist nun unser Vater ebenso wie eurer, seitdem König Georg seine Grenzen weiter nach Norden verschoben hat — unser großer und guter Vater, sage ich, sendet uns Botschaft, daß er uns beschützen will, wenn wir tun, was er begehrt.
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Seine tapferen Krieger werden für uns eine wehrhafte Mauer der Stärke sein, und seine großen Kriegsschiffe werden unsere Häfen füllen, so daß unsere alten Feinde fern im Norden — die Sinsiams, Hydas [und Tsimpsians] — nicht länger unsere Frauen und alten Männer in Schrecken versetzen werden. Dann wird er unser Vater und wir seine Kinder sein.
Doch kann das je eintreten? [Euer Gott ist nicht unser Gott!] Euer Gott liebt euer Volk und haßt meins! Er schließt seine starken Arme liebend um den weißen Mann und leitet ihn wie ein Vater seinen kindlichen Sohn leitet — aber er hat seine roten Kinder vergessen, [wenn sie wirklich seine sind. Unser Gott, der Große Geist, scheint uns auch vergessen zu haben.] Euer Gott läßt eure Stämme Tag für Tag stärker werden — bald werden sie das ganze Land füllen.
Mein Volk schwindet dahin wie eine schnell zurückweichende Flut, die nie wieder zurückkommen wird. Des weißen Mannes Gott kann seine roten Kinder nicht lieben, sonst würde er sie beschützen. Wir scheinen Waisen zu sein, die nirgendwo Hilfe finden. Wie können wir dann Brüder werden?
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Wie kann euer Gott unser Gott werden und unsere Blütezeit erneuern und in uns die Träume wiederkehrender Größe erwecken? Euer Gott scheint uns parteiisch zu sein. Er kam zu dem weißen Mann. Wir sahen ihn nie, hörten nie seine Stimme. Er gab dem weißen Mann Gesetze, aber er hatte keine Botschaft für seine roten Kinder, deren schwärmende Millionen einst diesen weiten Kontinent füllten gleich wie die Sterne das Firmament füllen.
Nein. Wir sind zwei verschiedene Rassen und müssen es immer bleiben, [mit getrennten Ursprüngen und getrennten
Schicksalen.] Da gibt es wenig Gemeinsames zwischen uns.
Uns ist die Asche unserer Vorfahren heilig und ihre letzte Ruhestätte ist geweihter Grund. Während ihr weit fort von den Gräbern eurer Vorfahren wandert und dies, so scheint es, ohne jedes Bedauern tut.
Eure Religion wurde von einem zornigen Gott mit dem eisernen Finger auf Steintafeln geschrieben, damit ihr sie nicht vergeßt. Der rote Mann konnte das nie begreifen, noch im Gedächtnis bewahren.
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Unsere Religion besteht aus den Traditionen unserer Vorfahren — den Träumen unserer alten Männer, ihnen eingegeben vom Großen Geist [in den feierlichen Stunden der Nacht,] und aus den Visionen unserer Häuptlinge, und sie ist in die Herzen unseres Volkes geschrieben.
Eure Toten hören auf, euch und das Land ihrer Herkunft zu lieben, sobald sie die Pforten der Grabstätte passieren — sie wandern weit hinweg jenseits der Sterne, sind bald vergessen und kehren nie zurück. Unsere Toten vergessen diese schöne Welt, die ihnen das Leben schenkte, nie. Sie lieben immer noch ihre gewundenen Flüsse, ihre großen Berge und ihre einsamen Täler, und sie sehnen sich in zärtlichster Zuneigung hinüber zu den vereinsamten Lebenden und kehren oft zurück, um sie zu besuchen, zu geleiten und zu trösten.
Tag und Nacht können nicht gleichzeitig sein. Der Rote Mann ist immer beim Nahen des weißen Mannes geflohen, wie der wallende Morgennebel am Bergeshang vor der strahlenden Sonne flieht.
Jedoch, euer Vorschlag scheint berechtigt zu sein, und ich denke, daß mein Volk ihn annehmen und sich in das Reservat zurückziehen wird, das ihr ihm anbietet.
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Dann werden wir getrennt in Frieden wohnen, denn die Worte des Großen Weißen Häuptlings scheinen die Stimme der Natur zu sein, die zu meinem Volk aus einer tiefen Dunkelheit heraus spricht, die sich schnell um dieses zusammenballt wie ein dichter Nebel, der von der mitternächtlichen See landeinwärts flutet.
Es bedeutet wenig, wo wir den Rest unserer Tage verbringen. Es sind nicht viele. Der Indianer Nacht verheißt dunkel zu werden. Kein heller Stern schwebt über dem Horizont. Traurig gestimmte Winde klagen in der Ferne. Irgendein grimmiges Schicksal unserer Rasse ist auf des Roten Mannes Fährte. Und wo immer er Zuflucht sucht, wird er noch die unausweichlich näherkommenden Tritte des Fallenstellers hören, so wie das wunde Tier die herannahenden Schritte des Jägers hört, und wird sich darauf vorbereiten, seinem tödlichen Schicksal gefaßt entgegen zu sehen.
Einige wenige Monde mehr, einige wenige Winter mehr — und kein einziger all der mächtigen Stämme, die einst das weite Land füllten oder in glücklichen Heimstätten, beschützt durch den Großen Geist, lebten, und die nun in versprengten Gruppen durch diese weiten Einsamkeiten umherstreifen, wird übrigbleiben, um über den Gräbern unseres Volkes zu weinen, das einst so mächtig und hoffnungsvoll war wie euer eigenes!
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Aber warum sollte ich klagen? Warum sollte ich mit dem Schicksal meines Volkes hadern? Stämme bestehen aus Einzelpersonen und sind nicht besser als sie. Menschen kommen und gehen wie die Wellen der See. Eine Träne, eine Totenklage, und sie sind aus unseren liebenden Augen für immer verschwunden.
[Das ist die Ordnung der Natur.]
Sogar der weiße Mann, dessen Gott mit ihm wanderte und sprach wie ein Freund zu seinem Freund, ist von dem gemeinsamen
Schicksal nicht ausgenommen. Wir könnten Brüder sein, nach alledem. Wir werden sehen.
Wir werden über euern Vorschlag nachdenken, und wenn wir entschieden haben, werden wir euch Nachricht geben. Aber wenn wir annehmen sollten, stelle ich hier und jetzt die erste Bedingung — daß uns nicht das Vorrecht verwehrt werden sollte, ohne Behinderung jederzeit die Gräber unserer Vorfahren, Freunde [und Kinder] zu besuchen.
Jeder Teil dieses Landes ist für mein Volk geheiligt. Jeder Hügel, jedes Tal, jede Ebene und der Hain ist weihevoll erfüllt von einigen lieblichen Erinnerungen oder einigen traurigen Erfahrungen meines Stammes. Sogar die Felsen, welche entlang der stillen Küste in feierlicher Größe dumpf in der Sonne zu brüten scheinen, erschauern voller Erinnerung vergangener Ereignisse, die mit dem Leben meines Volkes verbunden sind.
Derselbe Staub unter euren Füßen gibt unsere Fußstapfen zärtlicher wieder als die euren, denn es ist die Asche unserer Vorfahren, und unsere nackten Füße fühlen die freundliche Berührung, denn die Erde ist angereichert mit dem Leben unserer Geschlechter.
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Die tapferen Krieger, zärtlichen Mütter, fröhliche, von Herzen glückliche Mädchen und sogar die kleinen Kinder, die hier kurze Zeit lebten und sich freuten, und deren Namen nun vergessen sind, lieben immer noch diese dämmrigen Einsamkeiten und ihre tiefe Abgeschiedenheit, welche zur Abendzeit mit dem Erscheinen der Schattengeister immer dunkler werden.
Und wenn der letzte Rote Mann von der Erde verschwunden sein und die Erinnerung an ihn unter weißen Menschen ein Mythos geworden sein wird, werden diese Küsten von den unsichtbaren Toten meines Stammes bevölkert sein; und wenn eure Kindeskinder denken werden, sie seien allein auf den Feldern, im Lagerhaus, im Laden, auf der Fernstraße oder in der Stille des pfadlosen Waldes, werden sie nicht allein sein. Auf der ganzen Erde ist keine Stelle, die der Einsamkeit vorbehalten wäre.
Zur Nacht, wenn die Straßen eurer Städte und Dörfer still sein werden und ihr glaubt, sie seien verlassen, werden sie gedrängt voll mit den zurückkehrenden Gästen sein, die einst dieses schöne Land füllten und immer noch lieben.
Der weiße Mann wird nie allein sein. Veranlaßt ihn, gerecht zu sein und mein Volk freundlich zu behandeln, denn die Toten sind nicht machtlos.
[Tot — sagte ich? Es gibt keinen Tod. Nur einen Wechsel der Welten!]
Dies ist lediglich ein Bruchstück der Rede des Häuptlings Seattle, dem die ganze Faszination fehlt, die von der Güte und dem Ernst des würdigen alten Redners und dem Ereignis ausging.
[Dr. Smith, der beteiligte Dolmetscher, der die Rede in englischer Sprache notierte.]
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Herbert Gruhl Häuptling Seattle hat gesprochen Der authentische Text seiner Rede mit Klarstellung: Nachdichtung und Wahrheit