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4.7  Die Lüfte verbreiten Gifte und Strahlen

 

Es wäre doch möglich, daß einmal unsere Chemiker auf ein Mittel gerieten, unsere Luft plötzlich zu zersetzen, durch eine Art Ferment. So könnte die Welt untergehen.
Der deutsche Philosoph Georg Christoph Lichtenberg 

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Die Genialität des Menschen hat es fertiggebracht, vier weitere riesige Komplexe der Umweltbelastung aufzubauen: die Verbrennungs­prozesse, die chemischen Prozesse, die Freisetzung von Metallen und die Verstrahlung. Alle vier sind miteinander verflochten. 

Das gesamte Leben hängt von Grund auf an den Elementen Kohlenstoff und Sauerstoff. Die Gesamtmenge des in Pflanzen, Böden, Mooren und in der Atmosphäre vorhandenen Kohlenstoffs hat sich in den letzten 18.000 Jahren verdoppelt und beträgt um die 2000 Milliarden Tonnen.68  

Der Kohlenstoff in der Atmosphäre stieg laut dieser Untersuchung um 37,5 Prozent auf 586 Milliarden Tonnen. Der Sauerstoff der Atmosphäre hat ein Gewicht von 1650 Billionen Tonnen. Die weltweite Sauer­stoff­produktion durch die Photosynthese der Pflanzen liegt bei 107 Milliarden Tonnen jährlich. Der Bedarf für Atmung und Verbrennung erreichte schon vor 20 Jahren 15 Milliarden Tonnen, bei Steigerungs­raten von drei bis vier Prozent im Jahr.69

Die Verbrennung fossiler Kohlenstoffe stieg von 1970 bis 1990 von 6500 Millionen Tonnen Steinkohle­einheiten auf über 10.000. Dement­sprechend erreichte der Kohlendioxydausstoß in die Atmosphäre über 20.000 Millionen Tonnen. Der jährliche Kohlen­monoxyd­ausstoß lag in den achtziger Jahren bei 700 Millionen Tonnen. Das Kohlenmonoxyd hat in der Atmosphäre eine mittlere Lebensdauer von drei Monaten, tritt aber in vielerlei Reaktionen ein.

Durch Beteiligung des Schwefeldioxyds entsteht der saure Regen, in dem auch Metalle wie Aluminium, Cadmium, Blei und Quecksilber löslich werden. Er fällt über Wäldern, Äckern, Wiesen und Seen hernieder. Zwei Drittel der 1800 Millionen Großstadtbewohner werden damit stark belastet, besonders in den Entwicklungs­ländern.70

Die Schwefeldioxydemissionen überstiegen in den achtziger Jahren 200 Millionen Tonnen jährlich. Sie entstehen hauptsächlich bei der Verbrennung von Kohle, je nach deren Schwefelgehalt. Die Vereinigten Staaten minderten zwischen 1970 und 1987 ihre Schwefeldioxydemissionen um 28 Prozent, Japan noch viel mehr, und die Bundesrepublik Deutschland, die 1982 noch 1,5 Millionen Tonnen ausstieß, wird bis jetzt durch Einbau von Entschwefelungs­anlagen die Menge auf unter eine Million reduziert haben.

Der bisherige Ostblock blies vor seiner Auflösung allein weit über 30 Millionen Tonnen Schwefeldioxyd in die Luft, woran sich bis auf Ostdeutschland auch kaum viel ändern wird. Schwefeldioxydverbindungen gelangen bis in die Stratosphäre, wo sich ihr Gehalt in weniger als 15 Jahren verdoppelte.71 Schwefel­dioxyd ist es in erster Linie, was die alten Bauten zerfrißt, so daß an den alten Domen permanent repariert werden muß. Aber auch die modernen Betonbauten und Brücken werden zerfressen.

Die weltweite Belastung durch Kohlenwasserstoffe erreicht mit nahezu 70 Millionen Tonnen keine so hohen Mengen. Dafür sind gerade diese besonders schädlich und krebserregend. Sie stammen zu 40 Prozent aus dem Kraftfahrzeugverkehr.

Die Bleibelastung der Luft konnte in den letzten Jahren in Europa bedeutend vermindert werden, indem der Autoverkehr sich weitgehend auf bleifreies Benzin umstellte. Sie beträgt aber immer noch weltweit über eine Million Tonnen pro Jahr.

Die Stickoxydbelastung ist weltweit auf rund 60 Millionen Tonnen pro Jahr angestiegen, worunter besonders die Großstädte leiden; denn die Hauptquelle ist der Autoverkehr. 1988 verpflichteten sich elf europäische Nationen, ab 1994 nicht mehr Stickoxyde zu emittieren als 1987 und ab 1998 mindestens 30 Prozent weniger. Also zunächst nur Versprechungen! Die USA haben 1991 ein Gesetz angenommen, wonach ab 1994 die Stickoxyde der Kraftfahrzeuge um 60 Prozent und die Kohlen­wasserstoffe um 40 Prozent gesenkt werden sollen. Die Schwefeldioxyde der Kraftwerke sollen bis zum Jahr 2000 halbiert werden. Da der Autoverkehr in der ganzen Welt weiter zunimmt und in Europa durch den Binnenmarkt einen starken Auftrieb bekommen soll, ist mit einer Besserung nicht zu rechnen.

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Der Luftverkehr trägt nach einer Schweizer Untersuchung in diesem Land ein bis zwei Prozent zu den Luftverunreinigungen bei; doch die Flugzeuge befördern diese in großen Höhen und sind darum am Abbau der Ozonschicht beteiligt.72 Was da so nebenbei alles passiert, zeigt eine Verlautbarung der hessischen Landesregierung, wonach zwischen 1987 und 1990 vor Notlandungen in Frankfurt 18 Maschinen mindestens 380.000 Liter Kerosin in der Luft abließen.

Die Chemie ist die erfolgreichste Großindustrie unserer Zeit, obwohl sie bisher auch erst rund 100 Jahre wirkt. Sie ist so tüchtig, daß sie Jahr für Jahr einige tausend neuer Verbindungen auf den Markt wirft und damit in die Umwelt entläßt; denn nichts geht verloren. Die "Beilstein-Datenbank" in Frankfurt bemüht sich, alle organisch-chemischen Verbindungen zu erfassen, und hat bisher mehr als drei Millionen davon gespeichert. Zwei Millionen Tonnen chemischer Substanzen gehen jährlich in die Luft.73

Mit Hilfe der Chemie kämpfte der Mensch zunächst gegen seine eigenen Krankheiten, dann gegen die seiner Haustiere und schließlich gegen die Krankheiten der Pflanzen. Damit erreichte der Mengeneinsatz eine ganz neue Dimension und kam in den Millionen-Tonnen Bereich. Schon bei der Verstreuung oder Versprühung gehen beträchtliche Anteile in die Luft und in die Gewässer; andere Teile nehmen den langen Weg durch Pflanzen, Tiere und menschliche Körper. Das ist der Kreislauf der Nahrungsketten. Die erhoffte Verdünnung erfolgt längst nicht immer; es kommt oft zu Konzentrationen. Schon in den Nebel­tröpfchen wurden Anreicherungen auf mehrere Hundert Prozent, ja auf das mehr als Tausendfache gemessen.74

In den Luftströmungen können die Pflanzengifte praktisch rund um die Erde getragen werden. Mit dem Regen werden sie irgendwo aus der Luft "ausgewaschen", gelangen aber damit in die Erde. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß der Wasser­stoffgehalt in der Atmosphäre pro Jahr um 0,6 Prozent zunimmt, was auf die zunehmende Verbrennung des Erdgases zurückgeführt wird. In Irland nieder­gegangene Insektenmittel stammten von den Baumwollfeldern der südlichen USA. Selbst im antarktischen Dorsch aus 600 Meter Meerestiefe wurden Organ­chlor­verbindungen nachgewiesen, nicht viel anders als in Nord- und Ostsee.75

Die <Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft> teilte mit, daß bei besonderen Witterungs­beding­ungen bis zu mehr als 90 Prozent der "Wirkstoffe" sich verflüchtigen können. Die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen werden in den Entwicklungsländern so wenig beachtet, daß es dort laut "Weltgesund­heits­organisation" zu jährlich 500.000 Vergiftungs- und 5000 Todesfällen kommt.

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Nach dem 2. Weltkrieg hatte bereits Anton Metternich gewarnt: 

"Der Gedanke ist grotesk, mit Gift das höher entwickelte Leben auf der Erde erhalten zu wollen. Gift ist da, um zu morden, nicht zur Erhaltung des Lebens. Und wenn der Mensch versucht, mit Giften seinen Lebensanspruch zu stützen, so stellt er auch hier die Dinge einfach auf den Kopf."76 

Die Umweltgifte wurden auch wiederholt als Waffen in Kriegen eingesetzt, worüber Roland Röhl sein Buch <Natur als Waffe> schrieb. Die USA berieselten in Vietnam mit dem Entlaubungsmittel "Agent Orange" die Wälder, um den Vietkong die Deckungs­möglichkeit zu nehmen. Der Krieg wurde auch damit nicht gewonnen, aber 15.000 eigene Soldaten gesundheitlich schwer geschädigt. Sie litten unter Chlorakne, Krebs und Leberkrankheiten sowie Nervenleiden. Es gibt noch Auswirkungen auf Kinder und Enkel der einheimischen Bevölkerung und der US-Soldaten.

Die größten Chemie-Katastrophen der Geschichte, Seveso in Italien, Bophal in Indien, Schweizerhalle bei Basel, ereigneten sich bei der Produktion von Giften für die Landwirtschaft, also für Anwendungen, die mit Nahrung zu tun haben. Von 1949 bis 1982 hatten sich schon 25 Unfälle in chemischen Fabriken ereignet, bei denen Arbeiter Dioxin abbekamen. Seitdem hat ihr jeweiliges Ausmaß ständig zugenommen. Einige Gebiete waren zumindest vorübergehend unbewohnbar. An diese Grenze geraten aber auch schon Ballungsgebiete aufgrund der sich ansammelnden Belastungen aus vielen Quellen. So teilte der Vorsitzende des Umwelt­schutzkomitees der Sowjetunion im Dezember 1989 mit, daß die Probleme zum Teil tschernobyl­ähnliche Ausmaße angenommen haben, daß zum Beispiel die Stadt Ufa am Ural mit einer Million Einwohnern eigentlich unbewohnbar sei.77

Die Giftigkeit der Metallstäube ist bisher zu wenig beachtet worden. Sie entstehen bei den diversen Aktivitäten des heutigen Menschen im Umgang mit den Metallen. Ein Teil davon verbreitet sich über die Atmosphäre und geht über Böden und Gewässern nieder. 

* (d-2015:)   A.Metternich bei detopia     A.Metternich im Register  

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Wissenschaftler in einem norwegischen und einem kanadischen Institut haben folgende jährlichen Emissionen ermittelt (in Tonnen): Arsen 120.000, Antimon 72.000, Blei 1.160.000, Cadmium 30.000, Kupfer 2.150.000, Molybdän 110.000, Nickel 470.000, Quecksilber 11.000, Selen 79.000, Vanadium 21.000, Zink 2.340.000. Die Forscher kamen zu dem Ergebnis, daß die jährlich in die Biosphäre entlassenen Metalle giftiger sind als alle radioaktiven und organischen Abfälle zusammen.78

 

Der atomare Komplex ist in der Publizistik der letzten Jahrzehnte so intensiv behandelt worden, daß hier einige Ergänzungen genügen. Ich verweise unter anderem auf mein Buch <Der atomare Selbstmord>. 

Die Spaltung der Urankerne ist mit rasender Geschwindigkeit sowohl waffentechnisch als auch energie­technisch zur Anwendung gekommen. Über die Folgen hat sich unter den Verantwortlichen niemand Gedanken gemacht: weder über die Strahlenbelastung durch die vielfältig neu entstehenden Isotope, noch über die Risiken des Betriebs oder die der Zerstörung von Werken im Falle von Kriegen oder Bürgerkriegen. Mit diesen neuen Anlagen hat der Mensch die Erde mit zusätzlich drohenden Vulkanen bestückt, die bei Ausbruch weit gefährlichere und langfristigere Verheerungen anrichten, weil sie unsichtbare und schleichende Gifte über große Gebiete verbreiten.

Schon bei der militärischen Bombenproduktion herrschte eine unglaubliche Leichtfertigkeit. 

Die USA setzten ihre eigenen Truppen bei den Tests der Strahlung aus, wie später die Sowjets auch. Jahrzehnte später wurde über die Verseuchung der Umgebung der Atomwaffenfabrik Hanford im Staate Washington berichtet, die schon in den vierziger Jahren begann, aber erst jetzt zur Schließung der Anlage führte. Im Oktober 1988 wurde die Plutoniumfabrik in der Nähe von Denver stillgelegt, weil sie gegen zahlreiche Sicherheits­vorschriften verstieß. Nur Wochen später wurde die amerikanische Öffentlichkeit schockiert, als bekannt wurde, daß der Reaktor Fernald in Ohio viele Jahre Luft und Grundwasser in der Umgebung von Cincinnati verseucht hatte. Im Kongreß wurde dies als Kriegsführung gegen die Bevölkerung und als schlicht verbrecherisch gegeißelt.

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Um die gleiche Zeit wurden zwei militärische Reaktoren in Südcarolina und Colorado wegen der Risiken eingestellt. Das Energieministerium schätzte Anfang 1989 die durch Produktion von Atomwaffen verursachten Umweltschäden auf 200 Milliarden Dollar.79 An Harrisburg sei erinnert.

Die Sowjetunion schließt jetzt ihr Testgelände Semipalatinsk in Kasachstan, wo in 40 Jahren über 700 Atom­bombentests stattfanden, die ein Territorium von 200.000 Quadratkilometern verseuchten. Der Leiter des sowjetischen Instituts für Strahlen­kunde, Boris Gusew, hatte im März 1991 in Hiroshima mitgeteilt, daß dort eine halbe Million Menschen verstrahlt worden seien, wovon 100.000 an Krebs litten. Die Zeitung <Moskowskie Nowosti> hat im Frühjahr 1991 berichtet, daß in der ersten sowjetischen Plutoniumfabrik im Ural Atombomben ohne alle Vorsichtsmaßnahmen hergestellt wurden. Ein See wurde als Deponie benutzt, dessen Strahlung nun zweieinhalbmal höher sei als die bei der Katastrophe in Tschernobyl; 500 Millionen Kubikmeter Wasser seien verseucht, und noch immer lagerten 25 Tonnen Plutonium dort, 450.000 Menschen seien seit den fünfziger Jahren verstrahlt worden. Die Bewohner von Oserny im Gebiet Swerdlowsk, die 40 Jahre auf dem strahlenden Sand der Urangruben gelebt haben, sollen jetzt umgesiedelt werden.

Die Katastrophe von Tschernobyl belastet noch heute vier Millionen Menschen mit hohen Strahlendosen. Etwa 200.000 Quadratkilometer Land dürften auf unbestimmte Zeit nicht bestellt werden. Der Zwist um die Zahl der Todesopfer ist müßig, da noch viele Jahrzehnte Menschen an den diversen Strahlenbelastungen sterben werden. 576.000 Strahlengeschädigte sind amtlich registriert, andererseits 270.000 Einwohner der Region überhaupt noch nicht untersucht. Die Regierung gibt an, daß 188.000 Personen bis zum Frühjahr 1991 umgesiedelt worden sind und daß weiter umgesiedelt wird. Der Staat gab bisher rund 20 Milliarden Rubel allein für die Spätfolgen aus. Ohne die gesundheitlichen Schäden wurden die volkswirt­schaftlichen Belastungen der Katastrophe mit 250 Milliarden Rubel, also gleich 500 Milliarden DM beziffert.80 — Aus dem einbetonierten Reaktor entweicht immer noch Radioaktivität, denn die Ummantelung ist undicht und droht außerdem eines Tages zusammenzustürzen.

Mit der Ausbreitung der Kernkraftwerke in Entwicklungsländern werden weitere Gefahrenpunkte über die Erde verteilt, abgesehen davon, daß manche davon auch in die Atomwaffenproduktion einsteigen.

Drohungen mit Atombomben oder mit Zerstörung von Kernanlagen wurden schon mehrfach ausgestoßen. Und die Welt steht erst am Anfang einer Entwicklung, deren Folgen noch gar nicht zu übersehen sind. Aber selbst in Europa werden große Mängel an den Reaktoren laufend gemeldet. In Bulgarien müßten alle vier Blöcke nach Urteil der Fachleute stillgelegt werden, aber das Land kann das "finanziell nicht verkraften"!81

In Frankreich, das die meisten Werke in Europa betreibt, stellt die eigene Sicherheitsbehörde jetzt fest, daß es Mängel bei der Betriebssicherheit "anzuprangern" gibt.82 Zudem gibt es bei Limoges illegale Freiluftdeponien.83

Abgesehen von der Erhöhung der globalen Radioaktivität ist eines sicher: Wenn der Mensch im heutigen Ausmaß die Kernkraft weiter benutzt, dann wird es infolge von Unfällen im nächsten Jahrhundert zunehmend größere Flecken auf der Landkarte geben, wo das Leben unmöglich ist.

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Himmelfahrt ins Nichts von Herbert Gruhl 1992