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5.3  Naturreservate?

Der Mensch ist Räuber an der Natur.
Der chinesische Philosoph Liä Dsi

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Wenn der Mensch der Räuber der Natur ist, wer soll dann die Natur vor dem Menschen schützen? Da es keine Macht mehr gibt, die über dem Menschen steht, die ihn stoppen könnte, müßte der Mensch zugunsten der Natur gegen sich selbst Partei ergreifen. Ist das überhaupt möglich?

Der Natur wenigstens geschützte Zonen zu belassen, ist eine alte Idee. Dabei richtete sich das Interesse vorwiegend auf schöne Landschaften, das Motiv war also weitgehend ästhetisch. Als erster Nationalpark der USA wurde 1872 der Yellowstonepark beschlossen, inzwischen sind es 40. Zum ersten deutschen Naturschutzpark wurde 1910 die Lüneburger Heide erklärt. Auf Grund der landschaftlichen Besonderheiten, der Eigentümlichkeiten des Pflanzen­wuchses und der Tierbestände wirkten diese Parks wie Magneten auf die Touristen. Da die allgemeine Motorisierung es leicht machte, wurden die Reservate jährlich von Millionen aufgesucht. Sie brachten diese Gebiete in zunehmende Schwierigkeiten. Das Worldwatch Institute berichtete schon 1976:

"Zeltplätze sind zu Zeltstädten geworden, und Supermärkte schießen in den Wäldern aus dem Boden. Das von den Gründern des National­park­dienstes geplante <Vergnügungsgebiet> droht unter der Last von 200 Millionen Besuchern im Jahr zusammen­zubrechen. Alle Jahre kamen mehr Besucher fast ausnahmslos mit dem eigenen Auto, inzwischen sind es 260 Millionen. So werden die einzigartigen Schätze Amerikas von der Menschenmenge zerstört."11

Auch einige Reservate, die man den letzten Eingeborenen in Nord- und Südamerika sowie in Australien noch zugestand, werden nach und nach weiter dezimiert. In Afrika konnte man den Regierungen Naturschutzgebiete nur damit schmackhaft machen, daß sie einen einträglichen Tourismus mit sich brächten.

Erst mit der neuen Umweltdiskussion gewann der Gedanke an Boden, daß man der Natur einige Zonen zur ungestörten Eigen­entwicklung überlassen müsse, wo sich auch "unnütze" Pflanzen und Tiere erhalten könnten.

Doch da war es für die Industrieländer bereits zu spät, um noch viel retten zu können. In Deutschland waren schon alle Winkel durch Verkehrswege "erschlossen", sogar mit Gewerbebetrieben versehen, so daß man nur noch kleine Stückchen herausschneiden konnte. Das sind 1300 Einzelstücke, zusammen 0,9 Prozent des ehemaligen Bundesgebietes. Kaum mehr als 100 sind größer als Quadrate mit zehn Kilometer Seitenlängen, die nicht von Verkehrswegen zerschnitten werden. In solch isolierten Fleckchen kann sich keine Flora und erst recht keine Fauna ungestört entwickeln. Denn wenn ringsherum das Land intensiv genutzt und mit allen chemischen Mitteln reichlich besprüht wird und der Verkehr rollt, wie soll sich dazwischen das Wildleben erhalten? Darum wurde von Ökologen wiederholt gefordert, diese Flächen untereinander notdürftig zu verbinden und die Gesamtfläche so zu vergrößern, damit wenigstens 10 Prozent unseres Landes zu möglichst natürlichen Biotopen werden. Hubert Markl bemerkte dazu, "daß dies alles tiefgreifenden Zerstörungen und Verwerfungen der Natur keineswegs Einhalt gebieten wird."12

Obwohl die Landwirtschaft zur Zeit eine — wenn auch ökologisch ungesunde — Überproduktion hervorbringt und ihr Prämien für Flächenstillegungen gezahlt werden, haben solche Vorschläge keine Chance, politisch aufgegriffen zu werden. Statt dessen läuft eine Kampagne, die Landwirtschaft solle einen neuen Produktionszweig aufnehmen: Anbau von Pflanzen zur Treibstofferzeugung, sogenannte nachwachsende Rohstoffe, die aus Zuckerrüben, Kartoffeln oder Raps gewonnen werden könnten. Die Folge wäre, daß die chemieintensive Landwirtschaft in jetziger oder noch höherer Intensität in der Nahrungserzeugung weiter betrieben, sich aber noch auf jetzt stilliegende Flächen ausdehnen würde, um dort die Treibstoffe für Autos anzubauen. Jetzt scheitern die Pläne erfreulicherweise noch an den Kosten; doch der Schrei nach staatlichen Subventionen dafür ertönt schon lange. Wenn aber erst einmal im nächsten Jahrhundert das Erdöl knapp und teuer werden wird, kommt der Druck in dieser Richtung mit größerer Wucht wieder.

Es wird wohl bei den kleinen, nicht lebensfähigen Naturschutzgebieten bleiben — und selbst die werden mit Gewaltanwendung geschützt werden müssen, wie Arnold Toynbee schrieb: "Bis vor kurzem waren die Städte durch Mauern geschützt. Morgen werden die übriggebliebenen ›Grüngürtel‹ eingezäunt sein, um sie davor zu schützen, von der Großstadt verschluckt zu werden."13

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Die Reste der Natur werden im nächsten Jahrhundert bestenfalls den Charakter von Museen bekommen, die gegen Eintrittsgeld besichtigt werden dürfen. Der Anfang ist mit Wildparks, Vogelparks und ähnlichen Einrichtungen schon längst gemacht. Der Deutsche Heimatbund forderte auf seinem Jahrestreffen 1990 bereits die Einführung einer "Naturtaxe" für Touristen, sozusagen als Eintrittsgeld in die Natur.14

Da die Liste der vom Aussterben bedrohten Arten immer länger wird, sucht man auch einzelne Tier- und Pflanzenarten zu schützen, indem ihr Abpflücken, Einfangen und in den Handel bringen bestraft wird. Das Washingtoner Artenschutzabkommen von 1973, welches zunächst 750 Arten aufführte, wozu später noch weitere hinzukamen, ist von vielen Ländern gar nicht erst unterschrieben worden. Aber nicht einmal die Bundesrepublik Deutschland und nicht einmal das Bundesumweltministerium unternimmt wirksame Maßnahmen, um dieses Abkommen einzuhalten. 

Der Deutsche Naturschutzring teilte am 22. Mai 1991 mit, daß zwischen 1984 und 1988 eingeführt worden sind: 168.000 Papageien, 88.000 Riesenschlangen, 112.100 Warane, 65.500 Bengalkatzen und 16.200 Taggeckos. Und das mit Genehmigung des obersten deutschen Artenschutzbeamten, der laut Aussage der "Aktionsgemeinschaft Artenschutz" "schon seit 20 Jahren mit den Naturplünderern gemeinsame Sache macht".15) 

Daraufhin kann man sich vorstellen, wie "wirksam" dieses Abkommen in anderen Ländern angewendet wird, zumal über die Lücken der Staaten, die nicht unterzeichnet haben, der Handel ohnehin floriert. Aber auch ein ausgedehnter illegaler Handel ist bei den horrenden Preisen, die von den Wohlstandsbürgern gezählt werden, lukrativ. Die Bemühungen, mit Gesetzen und Polizei die aussterbenden Arten zu retten, sind hoffnungslos, weil sich nicht einmal die Unterzeichnerstaaten an die Vereinbarungen halten.

Um Samen aussterbender Pflanzen für künftige Generationen zu retten, haben einige Länder Gen-Banken eingerichtet. Darin läßt sich zwar Saatgut über Tausende von Jahren aufbewahren; doch dürfen die mit Strom betriebenen technischen Einrichtungen nicht ausfallen, was schon bei einem normalen Geschichts­verlauf fraglich erscheint.

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Der kanadische Biologe Pat Roy Moony hält sie für äußerst verletzliche Einrichtungen, denn einige gingen schon verloren. Die US-Akademie der Wissenschaften sah sich "nach Abwägung aller verfügbaren Daten über die Erhaltung bedrohter Arten ... zu der Schlußfolgerung gezwungen, daß die einzige verläßliche Methode im Belassen in der natürlichen Umwelt besteht."16)

Wenn man es schon nötig hat, einen "Vogel des Jahres", eine "Blume des Jahres" und dergleichen zu proklamieren, dann ist das Ende solcher Geschöpfe nicht mehr weit. Die Nester letzter Exemplare müssen schon rund um die Uhr bewacht werden, damit Eiersammler sie nicht plündern. Die Bewacher rekrutieren sich aus der schwachen Minderheit, die überhaupt ein Interesse an der Pflanzen- und Tierwelt hat.

Paul Ehrlich erkannte schon 1971, daß die Bevölkerung geteilt sei in eine kleine Gruppe, die für die Erhaltung der Umwelt kämpft, und in die große Mehrheit, die an der Zerstörung beteiligt ist oder ihr teilnahmslos gegenübersteht. Angesichts der Bevölkerungsexplosion könne "Unerschlossenes" nicht lange bestehen bleiben. "Trotz aller Bemühungen der Naturschützer, trotz all der Aufklärungsfeldzüge, beredten Schriften und schönen Bilder wird die Schlacht um den Naturschutz in Kürze verloren sein." 17)

Wir müssen heute feststellen, daß es zu einer "Schlacht" mangels Truppen auf seiten der Umwelt gar nicht gekommen ist; man könnte höchstens von einigen Rückzugs­scharmützeln sprechen. Unzählige Aufrufe wie die von Rene Dubos: "Wir müssen einen energischen Versuch unternehmen, soviel wie möglich von der ursprünglichen Natur zu retten, sonst verlieren wir die Möglichkeit, hin und wieder aufs neue Kontakt zu unseren Ursprüngen zu finden", sind ungehört verhallt.18) 

Die Verluste der Natur waren in den letzten 20 Jahren größer denn je. Die Flutwelle der motorisierten Menschen­massen begräbt alles Natürliche unter ihren Spuren. Philip Whylie hatte recht, in jedem Fortschritt die Ausbreitung eines endlosen Friedhofs zu erblicken. 

"Jeder Wolkenkratzer, jede Autobahn, jede Vorstadt, jedes Auto, jeder Lastwagen und jeder sonstige von Menschen gemachte Gegenstand ist für mich ein Leichnam und ein Leichenmacher. Was die Szene an Fortschritt zu zeigen scheint, wurde durch einen Rückschritt in der Natur bewerkstelligt und einen unwieder­bringlichen Verlust am Reichtum des Menschen."19 

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Auch Meeresschutzgebiete wurden schon von der Weltnaturschutz­organisation gefordert, die im Dezember 1990 in Perth tagte. Das "Great Barrier Reef" an der Küste Australiens mit 350.000 Quadrat­kilometer steht bereits unter Naturschutz.20 Nachdem in den letzten 50 Jahren zwei Millionen Wale abgeschlachtet worden waren, findet seit Jahren ein Tauziehen um die Restbestände statt. Trotz vereinbarter Fangverbote sind in den letzten fünf Jahren 14.000 Wale erlegt worden. Wie Greenpeace jetzt mitteilte, ignorieren einige Länder das Verbot schlechthin oder sprechen wie die Japaner vom Walfang zu "wissen­schaftlichen Zwecken".21 So werden trotz aller Abkommen die diversen Walarten, die über 100 Millionen Jahre die Meere bevölkerten, bald ausgerottet sein, und die Delphine werden das gleiche Schicksal erleiden.

 

Die Antarktis ist der letzte Kontinent, den der Mensch betreten hat. Bei 80 wissenschaftlichen Stationen und einigen Tausend Forschern erreicht der angesammelte Müll auch schon Zehntausende von Tonnen.22) Und bei der Versorgung der Stationen ging 1989 das erste Schiff unter und verschmutzte mit einer Million Liter Dieselöl und Flüssiggas die Küstengewässer. Auch touristische Kreuzfahrten in das Eis kommen immer mehr in Mode.

So ganz uneigennützig sind die Forschungen der Industrieländer keinesfalls; denn unter den Eisgebirgen vermuten sie Mineralien und fossile Brennstoffe in den noch tieferen Erdschichten. Wahrscheinlich zu Recht, da es dort vor vier Millionen Jahren unter anderem sogar noch Laubbäume gegeben hat.23 Deren anvisierte Ausbeutung ist der Grund, warum sich die 39 Unterzeichner­staaten des Antarktisvertrages von 1961 bis vor kurzem nicht darauf verständigen konnten, auf die Ausbeutung der Bodenschätze zu verzichten. Vor allem die USA, Großbritannien und Japan blockierten einen entsprechenden Vertrag. 

Am 3. Oktober 1991 einigten sich jedoch die 26 stimmberechtigten Nationen nach hinhaltendem Widerstand der USA darauf, zunächst für 50 Jahre auf den Bergbau zu verzichten und ihn danach nur zu beginnen, wenn darüber unter den 26 stimmberechtigten Staaten Einstimmigkeit erzielt werden könnte. Die Ratifizierung steht noch aus. Dies scheint ein erfreulicher Sieg für die Umwelt zu sein, doch 50 Jahre sind schnell vorüber. Das Übereinkommen ist wohl auch nur darum errungen worden, weil gegenwärtig die Ausbeutung von den Kosten her höchst unökonomisch wäre. 

Letzten Endes wird man auch diesen Kontinent plündern, es sei denn, die technische Zivilisation bräche eher zusammen. So oder so stehen wir vor Martin Heideggers schon 1953 gestellter Frage: "Wenn die hinterste Ecke des Erdballs technisch erobert und wirtschaftlich ausbeutbar geworden ist ... dann, ja dann greift immer noch wie ein Gespenst über all diesen Spuk hinweg die Frage: wozu? - wohin? - und was dann?"24

Die Frage "was dann?" wird sich natürlich lange vor Ausbeutung der Antarktis auf vielen Gebieten stellen. Die Antarktis kann zum ökologischen Überleben ohnehin nichts beitragen. Eher ist zu befürchten, daß sie zur allerletzten Mülldeponie des Planeten werden wird, was ohnehin schon vorgeschlagen worden ist. Welche Naturreservate auch immer noch in der Welt eingerichtet werden, es wird nicht lange dauern, und die Menschenflut wird sich auch darüber ergießen.

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detopia.Heidegger    wikipedia  Philip_Wylie  1902-1971

 

 

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