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5.5   Das schreckliche Ende des wohlgemeinten Guten

Immer noch haben diejenigen die Welt 
zur Hölle gemacht, die vorgaben, 
sie zum Paradies zu machen.

Der deutsche Dichter Friedrich Hölderlin

316-325

Der Mensch ist außerstande zu erkennen, was für sein eigenes Leben letzten Endes gut und richtig ist oder was ihn glücklich machen wird.35 Da er es nicht einmal für die eigene Person weiß, wie kann er dann wissen, was für sein Volk oder gar für die "Menschheit" das Richtige ist? Roger Sperry kommt zu dem Schluß: "Was heute überaus human, mitfühlend und staatsbürgerlich wie moralisch untadelig sein mag, erweist sich vielleicht später ... als höchst inhuman, grausam und sündhaft."36

Wir hatten im Kapitel "Was ist Leben?" festgestellt, daß wir den Sinn des Lebens nicht kennen, ja nicht einmal wissen, was "Leben" eigentlich ist. Die einzige Schlußfolgerung, die übrig blieb, war: Da Leben ist — und da dieses seit über drei Milliarden Jahren das Bestreben hat, sich zu erhalten und zu entfalten — wird es wohl richtiger sein, es weiter zu erhalten, statt es auszurotten. Wem das nicht genügt, der möge der Natur oder seinem Gott unterstellen, daß die oder der schon wissen werde, warum Leben sein soll. Doch das ZU WISSEN, sind wir nicht geboren.

Was wir wissen ist: WIE die Natur arbeitet — und schon das ist für uns Menschen furchtbar genug. Zur Erklärung der Schrecknisse haben fast alle Religionen zu den guten auch fürchterliche und grausame Götter eingeführt, weil sie sonst für die Rücksichtslosigkeit der Natur keine Erklärung gehabt hätten. Und auch die christliche Religion, eine Religion der Liebe, kam nicht umhin, den Teufel einzuführen, weil ja all die negativen (in den Augen der Menschen negativen) Kräfte irgendwo herkommen mußten. Doch die negativen Kräfte wirken auch positiv. Bei Goethe sind sie "Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft".37

Und der Philosoph, welcher die negativen Kräfte für absolut unentbehrlich hielt, war Friedrich Nietzsche. In seiner <Genealogie der Moral> stellt er das sogenannte Gute in Frage:

"Wie? wenn im <Guten> auch ein Rückgangssymptom läge, insgleichen eine Gefahr, eine Verführung, ein Gift, ein Narkoticum, durch das etwa die Gegenwart auf Kosten der Zukunft lebte? Vielleicht behaglicher, ungefährlicher ..."38

Das ist ein Kernpunkt der heutigen Umweltproblematik: Der Taumel bisheriger Erfolge berauscht die Menschen; die schlimmen Folgen kommen später, und das in ungeahntem Ausmaß. 

Direkte schlimme Folgen würden mißtrauisch machen, den Verstand schärfen, die Vernunft reinigen; der glückliche Wahn dagegen schläfert ein, darum ist »der Schaden der Guten der schädlichste Schaden«.39

 

Die hehre Idee der totalen Menschheitsliebe hat in der Weltgeschichte immer nur seltene Siege von kurzer Dauer feiern können. Solche gab es schon in vorchristlicher Zeit.

Der älteste bekannte Total-Humanist dürfte der chinesische Philosoph Mo-tsu (479-388) gewesen sein. Er lehrte eine unter­schiedslose, allumfassende Menschenliebe, die zum weltweiten Frieden führen sollte. Sein Antagonist Mencius erwiderte bereits, daß sie undurchführbar sei und im übrigen eine Herabwürdigung der Liebe in der Familie und der zum Vaterland darstelle. Mo-tsu wollte auch die Tradition durch Vernunft und den Zwang durch Verantwortungs­gefühl ersetzen. Auch damit geriet er in Gegensatz zu den Konfuzianern und den Taoisten. Man sieht, eine solche "reine Lehre", wie sie in diesen Jahren in Europa wieder auftritt, gab es schon vor 2400 Jahren.

Wir finden sie dann wieder in Indien. Im dortigen Maurjareich herrschte von 272 bis 231 der König Aschoka. Nach dem Gemetzel bei der Eroberung Kalingas (260-) wurde er Anhänger des Buddhismus, tolerierte aber auch Andersgläubige und trieb eine friedliche Politik nach außen und im Innern. Er ermahnte seine Beamten, die Menschen "so sanft zu behandeln, wie die Ammen die ihnen anvertrauten Kinder".40

Er schuf Hospitäler für Menschen und Tiere, deren Tötung er einschränkte, wie er überhaupt die "Achtung für die nichtmenschlichen Formen des Lebens" zu steigern versuchte. Darauf führte es Toynbee zurück, daß die Tiere in Indien, ob wild oder zahm, zutraulich gegenüber den Menschen sind. Doch bei den Versuchen, seinen Untertanen das Leben erträglicher zu machen, scheint der König wenig Erfolg erzielt zu haben, denn schon vor seinem Tod zeigte das Reich Zeichen der Auflösung und zerbrach 183-.

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Dem Lebensgefühl der Hellenen war eine solche Totalhumanität fremd, wenn sie auch in den Utopien Platos auftaucht. In der Christenheit hat der Humanismus nie die Rolle gespielt, die man eigentlich erwartet hätte.

Im Mittelalter sah der Abt Joachim von Floris (1130-1202) mit dem dritten Zeitalter, dem des Heiligen Geistes, die Überwindung aller Trennungen zwischen Völkern, Klassen, Religionen und Nationen kommen, verbunden bereits mit dem Fortschritt von Wissenschaft und Technik. Der europäische Humanismus setzte sich dann über Erasmus von Rotterdam zu dem ganz anders gearteten des Jean Jacques Rousseau fort und erlebte in der französischen Revolution seinen Höhepunkt und zugleich den Umschlag ins Abscheuliche.

Eine Art von christlichem Humanismus hat in der europäischen Neuzeit die Bahn der Technik begleitet, aber unter anderem zwei Weltkriege unter den christlichen Völkern nicht verhindern können. Die größten historischen Folgen hatte die Marxsche Utopie einer klassenlosen Gesellschaft, zu erstreiten durch das Proletariat aller Länder. Das war der größte Versuch des wohlgemeinten Guten. Seine Beschreibung erübrigt sich, denn wir alle haben ihn miterlebt, und mehrere Völker sind zur Zeit damit beschäftigt, die Trümmer aufzuräumen. Nur eine Großmacht, China, hält noch modifiziert daran fest und hat vielleicht Aussicht, ihn noch ein gutes Wegstück fortzuführen.

Entsprechend unserem Zeitalter ist das wohlgemeinte Gute vorwiegend technischer Art. Darunter ist das bisher größte Projekt - die Atomenergie. Auch das Menetekel von Tschernobyl hat nicht ausgereicht, um den Menschen die Augen zu öffnen. Der ganze Umfang des Geschehens ist auch nach fünf Jahren noch nicht ins Bewußtsein gedrungen, das sich offensichtlich viel langsamer wandelt als das Cäsium 137 abgebaut wird, dessen Halbwertzeit 30 Jahre beträgt.

In Zweifel gerät inzwischen immer stärker ein altes genuin humanes Projekt mit stolzer Erfolgsbilanz, die Medizin. Diese bekam fast jede Krankheit in den Griff und verlängert damit die Lebenszeiten — auch dann noch, wenn es schon "kein Leben mehr" ist. 

"Mit dem Sieg über Krankheit und Tod, mit der Aufhebung einer jahrtausendealten Ordnung hat der Fortschritt bewirkt, daß die Menschen für etwas verantwortlich geworden sind, das früher fatalistisch hingenommen werden mußte." 41

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Francois de Closets fährt dann fort: 

"Diese Verantwortung ist nicht leicht zu tragen, weil sie die schiere Existenz der Individuen zum Gegenstand hat. Diese Verantwortung ist der Zwang, zwischen dem Tod des einen oder des anderen zu wählen. Sobald man die Entscheidung nicht mehr der natürlichen Ordnung überläßt, muß man sie selber treffen." 41

Doch wo sind die Kriterien für die richtige Entscheidung? Also folgt man der einfachsten Maxime: Das Leben muß verlängert werden, auch wenn die Agonie des Sterbens noch so qualvoll ist, und der Aufwand unermeßlich wird. 

Solche Probleme ahnte bereits Goethe, denn er schrieb 1787 an Charlotte von Stein: "Auch muß ich selbst sagen, halt' ich es für wahr, daß die Humanität endlich siegen wird, nur fürcht ich, daß zu gleicher Zeit die Welt ein großes Hospital und einer des andern humaner Krankenwärter werden wird."

Dieser Zustand ist jetzt in den Wohlstands­ländern erreicht. Doch Goethe sah eines nicht voraus, daß nun zwar jeder nach dem Krankenwärter ruft, daß aber kaum einer des anderen Krankenwärter sein will. Was auf den Kranken wartet, sind demzufolge ziemlich inhumane Apparate. 

Und die ganze Humanität ist kommerzialisiert, wer Geld hat, kann sie kaufen. Selbst ein Herz, eine Niere oder eine Befruchtung läßt sich kaufen, womit eine neue Wachstumsbranche etabliert ist. Und der Normalbürger muß nun viel Arbeitszeit aufwenden, um die Mittel zu verdienen, mit denen er seine und anderer Leiden bezahlen kann.

Selbst der Arzt Albert Schweitzer erkannte: 

"Die Fortschritte des Wissens und Könnens wirken sich fast wie Naturereignisse an uns aus. Es liegt nicht in unserer Macht, sie so zu leiten, daß sie die Verhältnisse, in denen wir leben, in jeder Hinsicht günstig beeinflussen, sondern sie schaffen für die Einzelnen, die Gesell­schaft und die Völker schwere und schwerste Probleme und führen Gefahren mit sich, die sich zum voraus gar nicht ermessen ließen."42

Das Gutgemeinte führte in der Regel zu ganz unerwarteten Folgen, die kaum irgend jemand ahnte. Die unterlegenen Kräfte in der Geschichte, urteilt Jacob Burckhardt, "waren oft vielleicht edler und besser, allein die Sieger, obwohl nur von Herrschsucht vorwärts getrieben, führen eine Zukunft herbei, von welcher sie selber noch keine Ahnung haben." (43) 

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Und das gilt ganz besonders für unsere gesamte derzeitige Zivilisation, welche "die rationelle Organisation der Produktion auf den höchst­möglichen Stand gebracht hat, die Wissenschaft, welche die Materie methodisch weiter erforscht; sie sind indessen immer noch außer Stande, die Auswirkungen ihrer Entdeckungen vorauszusehen. Der industrielle Mensch ist das Opfer seines Unternehmensgeistes", folgert Maurice Blin.44 Und dieses Unternehmen ist in historisch kürzester Zeit zu einem Globalunternehmen geworden, in das alle Völker hineingerissen wurden, ob sie wollten oder nicht. Und dort ereignen sich zunächst die schrecklichsten Folgen.

Die Bevölkerungsexplosion als die verheerendste Entwicklung in der neuesten Geschichte des Menschen ist oben geschildert worden. Viele Länder sind schon seit Jahrzehnten nicht mehr in der Lage, ihre Kinder zu ernähren. Ein Teil verhungert immer. Und die Fernsehteams kommen, um die elend dahin­siechenden Kinder zu filmen und kabeln erschütternde Berichte in ihre Heimatländer. Kirchen und viele Organisationen rufen zu Spenden auf und haben Erfolg. Ein großer Teil der Kinder wird gerettet. Es ist zwar kein voller Erfolg, aber ein Fest der Humanität und der christlichen Nächstenliebe. Das Gute hat gesiegt! Und die guten Menschen hören das in der Kirche und lesen darüber in ihren Zeitungen.

Doch in 15 bis 20 Jahren bekommen diese Kinder bereits wieder Kinder — nicht nur zwei pro Ehe, sondern im statistischen Mittel der Entwicklungs­völker vier und mehr, das heißt, daß sich die Zahl der Münder in 20 bis 30 Jahren verdoppelt. Wieder verhungert ein Teil. Selbst wenn dann die Hungerhilfe verdoppelt werden könnte, wird sich der Anteil der verhungernden ebenfalls erhöhen. Und selbst wenn das drei Generationen durchgehalten werden könnte, dann verhungern in 60 Jahren dreimal soviel, wenn nicht die Hilfe dann schon längst zusammengebrochen sein wird. Jetzt aber erweckt man bei der dortigen Bevölkerung die Illusion, sie könnte sich grenzenlos vermehren, denn schließlich sei noch immer Hilfe gekommen. In ihren eigenen Augen liegt der Anteil der gestorbenen Kinder nicht sonderlich höher als früher auch.

Bei uns werden Schlagzeilen publiziert, daß man mit Pfennigen ein Kind retten könne: "Drei Mark können ein Kind retten." Dieser Betrag reicht für die Impfung, verlautbart die Weltgesundheitsorganisation, und damit könnten 7,5 Millionen Kinder vor einer gewissen Krankheit geschützt werden.

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Als ob es damit getan wäre. Ohne Nahrung werden sie trotzdem nicht überleben, doch dafür ist dann die Welternährungs­organisation zuständig. Und für die Schulen ist die UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur zuständig, und für die späteren Arbeitsplätze die Weltbank. All diese Organisationen schaffen es aber nicht, haben es noch nie geschafft und werden es in Zukunft immer weniger schaffen — auch nicht mit noch so viel Milliarden. Daß dies mit Milliarden Dollars bewerkstelligt werden könne, ist schon ein grausiger Irrtum, denn es handelt sich nicht um ein ökonomisches, sondern um ein ökologisches Problem, inzwischen schon um ein eschatologisches.*

Es ist dem Menschen in den letzten Jahrhunderten gelungen, viele Krankheiten zu besiegen, vor allem die Säuglingssterblichkeit auf nahe Null zu senken. Das war noch keinem Lebewesen in der Natur gelungen. Die Überbevölkerung ist nun die automatische Folge. Goethe wußte schon: "Die Natur füllt mit ihrer grenzenlosen Produktivität alle Räume."43 In der sich selbst überlassenen Natur führt die explosive Zunahme bei jeder Art zu einer kurzfristigen Katastrophe. Denn fast alle Arten haben weit kürzere Reproduktionszeiten. Der Mensch mit einer Generationszeit von durchschnittlich 30 Jahren kommt aber — da er sich jetzt in dieser Zeit verdoppelt — auch schon mittelfristig in die Katastrophenphase, wenn nicht gar kurzfristig. Doch es kann keine Rede davon sein, daß die Menschen aus bereits eintretenden Katastrophen Schlußfolgerungen zögen.

"Was also ist christlicher" hatte Heinz Haber schon 1973 gefragt: "In diesem Jahr eine Million vor dem Hungertod zu bewahren, um dann in den nächsten drei bis vier Jahren vielleicht drei oder vier Millionen nicht mehr retten zu können ... Diese erschütternden Überlegungen zeigen aber, vor welchen Alternativen wir stehen."46

Ich schrieb damals dazu: 

"Das ist die Tragik des Menschen, daß er nur das tun kann, was heute richtig zu sein scheint, nicht das, was auf die Dauer richtig ist. Was heute als gute Tat erscheint, erweist der Lauf der Geschichte als Verbrechen. Und was für das eine Land gut ist, ist nicht gut für das andere."47

Weil niemand empfehlen kann, jene Kinder kaltblütig verhungern zu lassen, wird die Tragödie zu ihrem äußersten Ausmaß auflaufen, bis niemand mehr helfen kann. Das wohlgemeinte Gute wird dann unvorstellbar schrecklich enden.

*detopia: Eschatologie: Lehre von den "letzten Dingen", d.h. für den einzelnen: Tod, Auferstehung von den Toten und Gericht, für die Gesamtheit: Weltende und Kommen des Reiches Gottes. (aus Orbis-Lexikon)

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Das einzige Mittel — nicht um die Katastrophe zu verhindern, nur um sie zu mildern — wäre die Einschränkung der Geburten. Die Menschenwelt scheint aber von dem Wahn beherrscht zu sein, sie könne für ihre Wirtschaft und Politik die schicksalhaft anwachsende Menschenzahl zum Leitmaßstab ihres Handelns nehmen. Daran muß sie scheitern. Wie sollte denn auch die dauernde Steigerung der Menschenzahl auf diesem Planeten ein vernünftiges Ziel sein? Wer könnte ein solches Ziel begründen, selbst wenn es nicht im Tod von Milliarden enden würde? Da wir nicht einmal den Sinn des Lebens kennen, wie sollte dann eine solche Explosion menschlichen Lebens einen Sinn haben? Und sind nicht schon die jetzigen Folgen auf einer von Menschen überfüllten Erde furchtbar genug?

Es gab einige kluge Leute, die das Dilemma kommen sahen, so der englische Philosoph John Stuart Mill 1848

"Es ist nicht sehr befriedigend, wenn man sich eine Welt vorstellt, in der nichts mehr der Spontanität der Natur überlassen ist, in der jedes Fleckchen Land bewirtschaftet ist, um Nahrungsmittel für die Menschen zu erzeugen, in der jede Blumenwiese oder unberührte Weide umgepflügt ist, alle Vierbeiner und Vögel, soweit sie nicht Haustiere sind, als Konkurrenten des Menschen um die Nahrungs­versorgung ausgerottet sind, jede Hecke oder jeder überflüssige Baum beseitigt und kaum ein Platz übrig ist, wo ein Busch oder eine Blume wild wachsen könnte, ohne im Namen des landwirtschaftlichen Fortschritts als Unkraut ausgerissen zu werden.

Wenn die Erde den großen Teil ihrer Anmut verlieren muß, den sie solchen Dingen verdankt, die bei unbegrenztem Wirtschafts- und Bevölkerungs­wachstum von ihr verschwinden würden, und dies nur zu dem Zweck, eine größere, nicht aber bessere und glücklichere Bevölkerung zu erhalten, dann kann ich um der Nachwelt willen nur hoffen, daß sie mit einem stationären Zustand zufrieden sein wird, lange ehe er ihr von den Notwendigkeiten aufgezwungen wird."48

Welcher Sinn darin liegen soll, den Planeten mit mehr Menschen zu füllen und zu überfüllen, hat noch niemand dargelegt. Auch der Papst sagt es nicht.

Der derzeitige stellt sogar noch im Jahre 1991 die ungeheuer­liche Behauptung auf: Vielen Menschen werde heute keine Menschen­würde zuerkannt, und manchmal versuche man "sie durch eine zwangsweise vorge­nommene menschenunwürdige Bevölkerungs­kontrolle aus der Geschichte zu eliminieren".  Das ist das Gegenteil der historischen Wahrheit.

  wikipedia  Johannes_Paul_II.  (1920-2005, Papst ab 1978) mit einem Abschnitt zur Familienplanung     wikipedia  Humanae_vitae  "Pillen-Enzyklika"

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Durch ihre rasant wachsende Zahl sind doch gerade die meisten Völker der Erde dabei, die Weißen aus der Geschichte zu eliminieren. (Das ist eine völlig wertneutrale Feststellung.) Aber dieser sicher ungeplante Vorgang ist es, der mit aller Wucht des Todes zuerst auf jene zurückschlägt. Man kann den Weißen vielerlei vorwerfen, aber eine derart bedenkenlose Vermehrung wie derzeit in den unterentwickelten Ländern hat es in ihrer Geschichte nie gegeben. Ausgerechnet die Christen handeln nicht so, wie es der Papst möchte, weit stärker vermehren sich die Moslems und Hindus.

Die ungleiche Vermehrung der Völker ist ein wesentlicher Grund der Kriege in der Weltgeschichte. Sie gleicht dem Wetter­geschehen zwischen Hochdruck und Tiefdruck und drängt wie dort auf Druckausgleich — zum Teil friedlich, öfter mit Gewalt. Das ist auch die Ursache zahlreicher Völkerwanderungen, die es in der ganzen Menschengeschichte immer wieder gegeben hat. 

Früher gab es auch noch leere Räume, die ohne Gewalt besetzt werden konnten. Sibirien war ein solcher Raum, Amerika wurde erst im 16. Jahr­hundert zugänglich. Heute ist der Erdball voll und aufgeteilt. Das führt dazu, daß die Völker immer eiserner auf ihren Grenzen bestehen. Somit können explodierende Völker nicht mehr einfach ihre Pferde satteln und aufbrechen. Ihr Elend wird immer größer und größer, und die Folgen erfahren wir alle Tage. Und die Ursachensucher sind weltweit unterwegs, obwohl jeder die Ursache kennt: in den meisten Ländern werden zuviel Menschen geboren!

Zur Zeit ist es schick, daß sich Europäer einer Schuld gegenüber der Dritten Welt bezichtigen. Mir scheint, die Europäer haben tatsächlich eine große Schuld: jene Länder jemals betreten zu haben. Alles Weitere war die automatische Folge dieses ersten Schrittes. Die damals mit der Natur noch überein­stimmend lebenden Völker wurden damit aus ihrer Lebensweise herausgerissen. Weniger mit Gewalt, sondern weil sie die Zivilisation als die ihnen überlegene und damit nachahmenswerte Lebensform erfuhren. Aber sie konnten sich zumeist die Denk- und Handlungsweise der Euroamerikaner nicht aneignen. Ihre darauf gerichteten Bemühungen waren genauso fragwürdig wie die der Kolonisatoren, ihnen ihren "way of life" schmackhaft zu machen.

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Das ist eine der schicksalhaften Entwicklungen, deren die Weltgeschichte voll ist. Das Ende der Tragödie ist nun da. Letzten Endes bringen die Europäer jenen Völkern das Verderben, aber unbeabsichtigt, schließlich bereiten sie es ja auch sich selbst; denn ihr Versuch mit der technischen Zivilisation kann nur eine kurze Spanne der Weltgeschichte dauern. Die Überlegenen gehen genau aus den Gründen zugrunde, die ihre Überlegenheit ausmachten. Doch vor dem Verhängnis schließen sie tapfer ihre Augen. Werden aber die Europäer, besser die Euroamerikaner für die Vermehrung der anderen Völker die Folgen büßen wollen?

Einige Moralapostel gerade unter den Deutschen werden diese Frage mit Ja beantworten. Darunter bezeichnenderweise solche, die sich nicht einmal zum geringsten Verzicht für ihre eigenen Landsleute aufraffen wollten. Aber verbal schwadronieren sie so, als wollten sie mit den Armen in der ganzen Welt teilen! Wenn sie realisierten, was das heißt, dann würden sie nicht hierzulande alle Tage laut schreiend "soziale Notstände aufzeigen" und Geld für deren Abstellung fordern.

Der britische Sozialreformer Robert Owen ahnte bereits den Lauf der Dinge, als er schrieb: 

"Sollte es sich erweisen, daß manche Ursachen des Übels durch die neuen Kräfte, die der Mensch zu erwerben in Begriff ist, nicht zu beseitigen sind, dann wird er erkennen, daß es sich um zwangsläufige und unvermeidbare Übelstände handelt, und dann werden kindische und nutzlose Klagen eingestellt werden."49

Mit den letzten Worten irrte Owen; denn je perfekter die Sozialgesetzgebung geworden ist, umso lauter wurden die Klagen bis hinauf zu den Gutverdienenden. Das gehört zu den traurigen Erfahrungen der Gutmeinenden. Der ehemalige Hamburger Bürgermeister Herbert Weichmann schrieb rückblickend: 

"In den Jahren der mittleren Reife glaubte ich, daß die Beseitigung der Slums oder großstädtischer Elendsquartiere und menschen­unwürdiger Wohnungen die Kriminalität beseitigen oder zumindest erheblich mindern würde. Sie tat es nicht. Neue Arten der Kriminalität entstanden, von denen die Gegenwart erschütternd Zeugnis ablegt. In noch späterer Zeit glaubte ich daran, daß allgemeiner, breitgestreuter Wohlstand die Menschen zufrieden machen würde. Auch diese Erwartung wurde enttäuscht. Wachsender Wohlstand schuf wachsende Ansprüche und vielerseits wachsendes Mißvergnügen, wenn sie nicht befriedigt werden konnten."50

Was in Hamburg nicht gelang, wie sollte das in den Elendsansammlungen der Dritten Welt gelingen? Die neue und schwere Schuld, die sich ihr gegenüber die Euroamerikaner aufgeladen haben, besteht darin, daß sie leichtfertig den Eindruck verbreitet haben und noch verbreiten, jene Völker könnten den "Wohlstand" der Industrie­länder erreichen und sich dabei noch so bedenkenlos vermehren, wie sie das tun. Aber wäre die Botschaft des Verzichts angekommen? Kann sie jemals ankommen? Alle Erfahrungen der Weltgeschichte sprechen dagegen. Die Akteure beider Seiten sind hilflos! Also helfen wir! Da wir nicht nur zu den Reichen, sondern zu den Guten gehören! Vor dem, was kommen wird, schließen alle die Augen — hier wie dort.

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 wikipedia  Herbert_Weichmann  (1896 bis 1983)

 

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Himmelfahrt ins Nichts von Herbert Gruhl 1992