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6.  Das kostbare Luftmeer    Haber-1973

  Klimabuch

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Zu meinem 16. Geburtstag, zu der Zeit, als ich mich für Astronomie zu interessieren begann, wünschte ich mir ein Hochglanzfoto des damals mit Abstand größten Spiegelteleskops der Welt. Es war dies der berühmte Hundertzöller — ein Teleskop mit einem Hohlspiegel von 2½ Meter Durchmesser, mit dem kurz nach seiner Indienststellung im Jahr 1917 auf der Mount-Wilson-Sternwarte in Kalifornien eine der entscheidendsten Entdeckungen in der Astronomie gemacht worden war.

Mit der Lichtstärke dieses gewaltigen Teleskops, unter dem kristallklaren Himmel Kaliforniens, gelang zum erstenmal der Nachweis, daß die berühmten Spiralnebel in Wahrheit Milchstraßen sind, unseren eigenen an Größe und im Range gleich. Einer der größten dieser Spiralnebel nämlich, der berühmte «Andromeda-Nebel», wurde von dem Hundertzöller auf gestochen scharfen Himmelsfotos in einzelne Sterne aufgelöst. 

Im Laufe der frühen zwanziger Jahre schließlich gelang es den amerikanischen Astronomen Edwin Hubble und Milton Humason, mit dem gleichen Fernrohr die Expansion des Weltalls zu entdecken. Aus diesem Grunde war die Mount-Wilson-Sternwarte für alle Astronomen der damaligen Zeit ein Mekka, vor allem auch deshalb, weil die Carnegie-Institution, welche das Teleskop finanziert hatte, mit der Stiftung eine großzügige Bedingung verknüpft hatte. Jeder Astronom der Welt, der ein aussichtsreiches Forschungsprojekt vorschlagen konnte, wurde zur Benutzung des Instruments eingeladen. Er mußte nur nachweisen, daß die sehr viel kleineren Teleskope der übrigen Welt für die Lösung des Problems ungeeignet waren. Das Terminkomitee des Mount-Wilson-Observatoriums konnte seinen Kalender auf Jahre in die Zukunft hinaus getrost vollpacken. Das hinreißende Klima Südkaliforniens sorgte dafür, daß der nächtliche Himmel an mehr als 350 Tagen im Jahr kristallklar war. 

So hatte ich als Teenager bereits davon geträumt, auch einmal am Hundertzöller beobachten zu dürfen, und das Wort «Südkalifornien» hatte für mich deshalb seit je einen zauberhaften Klang. Es sollte allerdings noch ziemlich genau 20 Jahre dauern, bis ich das Riesenteleskop, dessen Bild bis zum Kriegsende in meinem Schlafzimmer hing, in natura besuchen und besichtigen konnte. Mein Interesse an der Astronomie hatte sich freilich nach meiner Habilitation in eine andere Richtung gewandt — nämlich zur Weltraumfahrt. Auf diesem Gebiet gibt es für den Hundertzöller keine Aufgaben. 

So habe ich dieses berühmte Teleskop nicht wie in meinen Teenagerträumen als beobachtender Astronom, sondern nur als Gast unter der Führung des großen deutschen Astronomen Walter Baade besichtigt. Walter Baade war schon Ende der zwanziger Jahre nach Kalifornien ausgewandert und hat auch den ganzen Krieg dort verbracht. 

Er beklagte sich bitter, daß es die großartige Sicht während der kriegsbedingten Verdunkelung von Los Angeles nun, im Jahr 1948, nicht mehr gab. Deshalb sei man ja mit dem neuesten und nunmehr größten Teleskop, dem Fünfmeterspiegel, auf den Mount Palomar, 200 Kilometer südöstlich von Los Angeles, ausgewichen. Es war also nur das Licht, das die Astronomen damals vom Mount Wilson in der Nähe der Los Angeles-Vorstadt Pasadena vertrieben hatte. Von dem berühmten Los Angeles-Smog hatte man damals noch wenig gehört, mit Ausnahme der Tatsache, daß die Angelinos diesen Ausdruck kürzlich gerade geprägt hatten. Es ist eine Verbindung der beiden englischen Worte smoke (Rauch) und fog (Nebel). 

In jenen Jahren nämlich begann in der damals schon autoreichsten Stadt der Welt die erste Dunstglocke ihr graues, übelriechendes Tuch auszubreiten. Als ich dann 1951 nach Südkalifornien übersiedelte, erlebte ich gerade noch die letzten Jahre des gesegneten Klimas dieser Gegend. Auch hätte ich nicht geglaubt, daß der Mensch mit den Wirkungen seiner Technik unserer Atmosphäre mit ihren machtvollen Kräften ihres Bestandes jemals etwas anhaben könne.

Knicke im vertikalen Temperaturverlauf (Inversionen)
führen zu ausgeprägten Grenzschichten,
an denen vertikale Luftbewegungen zum Stillstand kommen. 

Solche Inversionen bilden sich über Großstädten
in Höhen zwischen 1500 und 2000 Meter,
so daß die industrieverschmutzte Luft nicht entweichen kann.

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In den fünfziger Jahren habe ich dann selbst erlebt, wie ihr — zumindest über dem relativ großen Bereich von Südkalifornien, etwa so groß wie die Bundesrepublik Deutschland — ein ernsthafter Schaden zugefügt worden ist. Unser kostbares Luftmeer, das ich für sehr mächtig hielt, erwies sich dann doch als recht empfindlich und verwundbar.

Gewiß, von den drei hauptsächlichsten Schalen der Erde, nämlich der Gesteinsphäre, der Wassersphäre und der Luftsphäre, ist die letzte mit Abstand die leichteste. Dennoch aber ist sie, in menschlichen Maßstäben gemessen, von einer gewaltigen Mächtigkeit. Unsere Erde selbst ist nämlich ein recht dicker Klotz. Aus sechs Trilliarden Tonnen Gestein und Metall ist sie zu einer riesigen Kugel zusammengeballt, wobei das Material der Erde dichter ist als die anderen Materialien, aus denen sich die übrigen Planeten aufbauen. Im Schnitt wiegt ein Kubikmeter des Erdmaterials mehr als 5 ½ Tonnen; das Material, aus dem der Mond sich zusammensetzt, ist im Schnitt um 40 Prozent leichter. 

In der Hauptsache besteht die Erdmasse aus den chemischen Elementen Sauerstoff, Silizium, Magnesium, Eisen und Schwefel. Aus diesen Stoffen bilden sich Gesteine und plastische Massen, aus denen sich die Erdkruste und der Erdmantel zusammensetzen. Der Mantel selbst erstreckt sich halb bis zum Erdmittelpunkt hinab. Im Erdkern vermutet man einen dichten Ball aus Eisen und Nickel. Die Erde ist nicht nur der dichteste, sondern auch der massen­reichste unter den inneren Planeten, während die Riesenplaneten in den äußeren Bezirken unseres Sonnensystems — Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun — sehr viel größer sind.

Die Erde besitzt zwei dünne Schalen aus Flüssigkeiten und Gasen, die sehr viel leichter sind als die Erdkugel selbst. Viertausendmal weniger, etwa 1,4 Trillionen Tonnen, wiegen die Massen des Weltmeeres. Wiederum mehr als 250mal weniger, nämlich etwa 5,3 Billiarden Tonnen, wiegt der Luftmantel der Erde. Das ist weniger als ein Millionstel der gesamten Erdmasse. Für das Leben jedoch und vor allem für uns Menschen ist dieses Millionstel der Erdmasse von ganz entscheidender Bedeutung. Aus ihm nämlich setzt sich das zusammen, was wir mit Recht unser kostbares Luftmeer nennen können.

Eben weil die Atmosphäre fast dreihundertmal leichter ist als das Weltmeer und mehr als eine Million mal leichter als der Erdkörper, hat sie in ihrer Geschichte die meisten Veränderungen erlebt. Seitdem sich der Erdkörper selbst aus dem kosmischen Material gebildet hatte, sind ihm praktisch keine Änderungen in seiner chemischen Zusammensetzung widerfahren. Das Weltmeer bestand immer schon aus Wasser, wenn auch sein Salzgehalt in den letzten ein bis zwei Milliarden Jahren zugenommen haben muß. Die flüchtige Atmosphäre jedoch hat sich im Laufe ihrer Geschichte schon mehrfach umgewandelt, und nur so können wir verstehen, daß sie die verwundbarste Sphäre unseres blauen Planeten ist.

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Hätten wir unsere Atmosphäre vor etwa drei Milliarden Jahren geatmet, so wären wir innerhalb weniger Minuten hustend erstickt. Sie bestand damals noch neben dem Stickstoff zu einem großen Teil aus Kohlendioxyd und Methan, das heißt Sumpfgas. Kaum eine Spur von Sauerstoff war in der Atmosphäre vorhanden. Im ersten Kapitel haben wir von dem goldenen Gleichgewicht gesprochen, welches unsere heutige Atmosphäre schließlich geschaffen hat und auch noch erhält. Methan ist fast völlig von Kohlendioxyd bis auf einen Bruchteil seines ursprünglichen Gehalts durch die Pflanzen beseitigt worden. Eine typische Probe unserer Atmosphäre — etwa vor 100 Jahren vor der technischen Verseuchung entnommen — zeigt als die wichtigsten Bestandteile Stickstoff, Sauerstoff, Wasserdampf, Argon und Kohlendioxyd. Wenn man die obere Atmosphäre in Höhen über 25 Kilometer noch dazunimmt, so gibt es auch noch einen winzigen Bruchteil von Ozon, das heißt Moleküle, zusammengesetzt aus drei, statt aus zwei Sauerstoffatomen. Hinzu kommen noch winzige Zusätze von Wasserstoff sowie Helium und andere Edelgase. 

Abgesehen vom Ozon, das in unserem Lebensbereich in natürlicher Form praktisch nicht vorkommt, sind die Gase der irdischen Atmosphäre nicht nur völlig ungiftig, sondern in ihrer relativen Häufigkeit für das Leben sogar entscheidend wichtig. Aus diesem Grunde hat es ja mit dem Leben auf unserer Erde innerhalb der Atmosphäre und in den von der Atmosphäre beeinflußten Bereichen des Weltmeeres einige Milliarden Jahre lang so gut geklappt. Gase haben freilich die teuflische Eigenschaft, daß sie sich innerhalb kurzer Zeit ausbreiten. Wenn in der Küche die Milch anbrennt, so riecht man das sehr schnell in der ganzen Wohnung. Hinzu kommt, daß fast alle anderen chemischen Stoffe entweder in der Form von Gas oder als Aerosol giftig oder zumindest gesundheits­schädlich sind. Unter Aerosol versteht man Fremdstoffe, die der Luft entweder in Form von winzigen Tröpfchen oder festen Staubteilchen beigemischt sind.

Stickstoff ist das einzige biologisch wohl völlig unschädliche Gas. Sauerstoff benötigen Menschen und Tiere in einem engen Bereich des Angebots. Schon die doppelte der Atmosphäre entsprechende Menge ist gesundheitsschädlich. Kohlendioxyd ist für Pflanzen auch in größeren Mengen unschädlich — für uns Menschen darf die Konzentration von Kohlendioxyd in der Atemluft wenige Prozent nicht überschreiten, wenn quälende Erstickungserscheinungen vermieden werden sollen. Auch alle anderen chemischen Stoffe in unserer Atemluft sind schädlich — von den Edelgasen, Helium, Neon, Argon, Krypton und Xenon abgesehen, da sie chemisch völlig unwirksam sind. Diese können wir selbst in hohen Prozentsätzen lediglich als Ballast durch unsere Lungen pumpen, ohne Schaden zu nehmen.

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Die Verwundbarkeit unserer Atmosphäre, gemessen an den Maßstäben der Gesundheit und des Wohlbefindens des Menschen, besteht eben darin, daß selbst winzige Prozentsätze, ja sogar millionstel Anteile von Fremdgasen und Aerosolen unmittelbar oder auf die Dauer gesundheitsschädlich sind. Nur so ist es zu verstehen, daß einige tausend Tonnen von verschmutzenden Chemikalien, selbst wenn man sie mit Billionen von Tonnen Luft vermischt, die Atmosphäre als eine der wichtigsten Faktoren der Umwelt anschlagen, ja sogar entscheidend gefährden können.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal von Los Angeles sprechen, nicht nur, weil ich dort viele Jahre gewohnt habe, sondern weil die Geschichte des Los Angeles-Smogs das Problem der Luftverschmutzung am besten zeigt. Auch wird an diesem Beispiel klar, wie schwer dieser ganze Komplex zu erkennen, geschweige denn zu beherrschen ist.

 

Als ich 1951 ein Einwohner dieser Stadt wurde, stand auch in der Ecke meines Gartens noch ein gräßliches Ungetüm von einem Verbrennungsofen. Diese Incinerators, wie sie genannt wurden, waren etwa 1 ½ Meter hoch und aus Zementplatten roh zusammengefügt. Unten war ein Verbrennungsraum und oben ein ziemlich breiter Schornstein. Dort verbrannten die damals bereits auf fast vier Millionen angewachsenen Angelinos ihren Müll, da die Müllabfuhr nur Flaschen und leere Dosen abholte. Man kann sich vorstellen, was durch die Verbrennung von Papier, Pappe, Textilien, Schuhen und Plastikmaterial alltäglich für ein Gestank entstand. Die erste Maßnahme der Großstadtbehörden damals war, die Verbrennungen dieses Materials auf die Abendstunden zu beschränken. Der Erfolg war, daß es abends um so schlimmer stank. Endlich war es so weit, daß Zug um Zug jeder Stadtteil mit einer Müllabfuhr bedient werden konnte, wobei jegliche Verbrennung in den Hinterhöfen streng verboten wurde. 

Seit jener Zeit ist jede Hausfrau in Los Angeles darauf gedrillt, ihren Müll fein säuberlich zu sortieren. Brennbarer Müll kommt in eine, und nicht verbrennbarer Müll, wie Glas und Dosen, kommt in die andere Tonne. In den Jahren bis 1953 hat diese heroische Maßnahme den Himmel in der Tat für knapp ein Jahr wieder blau gemacht. Der widerliche Rauch und der Smokeanteil des Wortes Smog war damit in der Tat zur Freude der Angelinos stark reduziert. In den nächsten vier bis fünf Jahren jedoch hat sich der Smog wieder sehr stark vermehrt, obwohl dieses immer stärker werdende Ärgernis weder mit smoke noch mit fog etwas zu tun hat. 

In den Morgenstunden war es immer noch relativ klar. Jedoch bereits ab zehn Uhr, nachdem die drei Millionen Automobile der Stadt ihre im Schnitt 20 Kilometer Weg zum Büro zurückgelegt hatten, wurde es trübe. Ein weißlicher Dunst bildete sich über der Stadt, der die Sicht auf knapp einen Kilometer herabsetzte und im Stadtinnern die Augen der Angelinos zum Tränen und ihre Kehlen zum Husten brachte. Auch stellte man fest, daß die berühmten Apfelsinenbäume Südkaliforniens ihr Laub verloren und nicht mehr blühen wollten. Die Lebensdauer der Automobilreifen in Los Angeles war auf knapp die Hälfte reduziert. Die Anfälligkeit der Bevölkerung für Erkrankungen der Atemwege und sogar für Krebs stieg steil in die Höhe — kurz, die ehedem so zauberhafte Landschaft Südkaliforniens mit ihrem weltberühmten Klima verlor ihren Charme.

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Ingenieure, Chemiker und Meteorologen hatten inzwischen die verwickelten Details der Smogbildung in Los Angeles erforscht. Daß es an den Auspuffgasen der immer steigenden Zahl von Autos liegen mußte, war jedem Bürger klar, obwohl er dabei in typisch menschlicher Weise mehr an die Autos seiner vielen Nachbarn dachte, als an sein eigenes. Auspuffgase enthalten neben Kohlendioxyd und Ruß einen erheblichen Anteil an komplizierteren bösen Chemikalien, die durch den Verbrennungsprozeß im Zylinder nicht völlig vernichtet werden, ja sogar erst entstehen. Der berühmte Sonnenschein Kaliforniens tat dann sein übriges. Die vielen Autos mit ihren Tausenden von Tonnen unverbrannter Chemie in ihrem Auspuff haben die Luft zu immerhin einem Millionstel ihrer Gesamtmasse angereichert. 

Die Oxyde des Stickstoffs, welche auch mittel- und kurzwelliges Licht absorbieren, führen dann zur Erzeugung von freien Sauerstoffatomen. Diese chemisch extrem aktiven Atome schließlich erzeugen Giftstoffe, wie das augenreizende Formaldehyd und vor allem Ozon, das das Gummi der Autoreifen und die Atemwege des Menschen angreift. Durch einen verständlichen Irrtum eines Bioklimatologen in den zwanziger Jahren ist in der Öffent­lichkeit die völlig falsche Vorstellung entstanden, daß ozonreiche Luft besonders gesund sei. In Wahrheit ist Ozon, selbst in geringer Konzentration, wegen seiner enormen Oxydationsfähigkeit für Mensch, Tier und Material ein gefährliches Giftgas.

Was die Lage in Südkalifornien noch besonders kritisch machte, war seine einzigartige Geographie. Dort haben wir Küsten von subtropischer Schönheit, in nicht weiter Ferne umringt von Hochgebirgen. Die Angelinos haben sich ja oft damit gebrüstet, daß nur sie am gleichen Tage im Hochgebirge Skilaufen und an einem sonnendurchwärmten Strand im Meer baden könnten. Ich erinnere mich, daß ich das Anfang der fünfziger Jahre selbst einmal getan habe, nur um diese Behauptung, die ein bißchen nach Aufschneiderei klingt, zu beweisen. In den Morgenstunden liefen wir bei einer Temperatur von knapp unter Null auf dem Mount Baldy im frisch gefallenen Pulverschnee Ski; eine dreistündige Fahrt brachte uns dann zu dem knapp 200 Kilometer entfernten Strand von Santa Monica, wo an einem subtropischen Januartag die Lufttemperatur fast 30 und die Wassertemperatur fast 20 Grad betrugen. Das sind Winter- beziehungs­weise Sommersaisonwerte für Europa.

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Die Geographie des Südlandes - Southland, wie wir dort sagen - hat allerdings den Nachteil, daß Luftmassen sich bei den meist anlandigen Winden in den Mulden und Tälern vor den hohen Bergen stauen. Zudem herrschen dort fast immer Bedingungen von Hochdruckgebieten, so daß die Luftbewegungen in horizontaler Richtung ohnehin nicht besonders groß sind.

Auch in vertikaler Richtung werden die Luftbewegungen unterdrückt, da in einer Höhe von etwa 1200 bis 2000 Meter durch die Landschaft und das allgemeine Klima ein Temperatursprung begünstigt wird: Es entsteht eine sogenannte Temperatur-Inversion. Knapp über dieser Grenzschicht ist die Luft wärmer als sie eigentlich sein sollte, so daß nach den Gesetzen der Physik vertikale Luftbewegungen an dieser Grenzschicht unterdrückt werden. Die Luft über ganz Südkalifornien sitzt dann wie unter einem Deckel, und derselbe Dreck und die ganze Chemie der dort konzentrierten Menschheit haben dann Gelegenheit, sich tage-, ja sogar wochenlang anzusammeln. 

Durch diese teuflische Einrichtung in der Dynamik unserer Atmosphäre wird unser Luftmeer daran gehindert, die natürlichen Kräfte, die ihm zur Selbstreinigung zur Verfügung stehen, auszunutzen. Es gibt dann fast keinerlei Luftbewegungen, um die faule Luft über wenigstens größere Gebiete zu zerstreuen, noch gibt es Niederschläge, welche die giftigen Gase und das lästige Aerosol einfangen und herabregnen könnten. Jetzt können wir begreifen — und das hatten wir vorhin schon angedeutet —, wieso ein paar tausend Tonnen Chemie ein paar Milliarden Tonnen reine Luft so verderben können, daß sie sich für uns kaum mehr zum Atmen eignet.

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Vergleich zwischen natürlicher und künstlicher Luftverschmutzung: 

vulkanische Dämpfe und Industrieabgase.

 

 

Eine Zeitlang hielt man die Luftpest von Südkalifornien für eine spezifische Infamie der Zivilisation, des Klimas und der Geographie von Los Angeles. Inzwischen hat sich gezeigt, daß das Zusammenwirken zwischen den Kräften der Klimatologie und der Zivilisation des Menschen, zusammen mit seiner Chemie, schlechte Folgen hat. Die Besonderheiten Südkaliforniens haben die Symptome dort nur früher offenbar werden lassen als an allen anderen Stellen. 

Wenn man vor 15 Jahren noch von Europa nach Amerika flog, so wurde man von einer klaren Küste willkommen geheißen, an der die saubere weiße Brandung des Atlantiks sich brach. Heute kündigt einem schon 500, ja sogar fast 1000 Kilometer vor der Küste liegender Dunst die Annäherung an den amerikanischen Kontinent an. Die Dunstglocken von Boston, New York, Philadelphia und Washington, von Detroit, Chicago, Montreal und Cleveland sind schon fast zusammengeschmolzen. Ein grauweißlicher, im Sonnenlicht blendender und optisch undurchdringlicher Dunst verbirgt die Wunder eines einst so klaren Kontinents.

Weil sich über dem Becken von Los Angeles immer schon aus natürlichen Gründen leicht eine Temperatur-Inversion ausbildete, glaubte man, daß diese besonders ungünstigen Smogbedingungen nur in solchen Gegenden auftreten könnten. Leider ist das nicht der Fall. Die Aerosole nämlich haben die Eigenschaft, auch in solchen Gegenden der Welt, wo Inversionen seltener sind, diese zu erzeugen. Die in der Luft gelösten Chemikalien und Schmutzteilchen haben die Eigenschaft, Wärme nach oben abzustrahlen und dadurch die Luftschichten in der Höhe abzukühlen. 

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Dadurch kommt es eben zu jener Stagnation der Luftbewegungen, welche es der Atmosphäre so schwer macht, die einmal abgeladene Verschmutzung wieder loszuwerden. Deshalb auch hat beispielsweise die industriereiche Großstadt Hamburg wegen der dort meist vorherrschenden relativ starken Winde kein ausgeprägtes Problem der Luftverschmutzung. Andere Gegenden der Erde jedoch werden mehr und mehr von hartnäckigen Smogbedingungen heimgesucht. Das haben unsere Astronauten berichtet, welche von der Klarheit des Weltraums aus Gelegenheit hatten, unseren blauen Planeten rundum zu beobachten. Dabei stellten sie fest, daß er an vielen Stellen grau geworden ist. Weite Strecken Mitteleuropas, wie etwa das Ruhrgebiet, Oberitalien, die Großstädte Südamerikas und sogar das doch von frischen Meeresbrisen umwehte Japan verbergen sich oft hinter den undurchdringlichen Schleiern der Luftpest.

In seiner Karriere als Forscher und Ingenieur hat sich der Mensch oft von dem leiten lassen, was ihm die Natur von sich aus seit je vorgeführt hatte — wie etwa die Kraft des Dampfes in einem Geysir, die Kräfte der Elektrizität in einem Blitz oder die Energiequelle der Kernverschmelzung im Innern der Sonne und der Sterne. Auch in der Luftverschmutzung hat ihm die Natur schon immer etwas vorgemacht. Die Atmosphäre in der Nähe von vulkanischen Gebieten ist durch Schwefeldämpfe, andere übelriechende Abgase aus dem Erdinnern und durch feine Asche oft so verschmutzt und vergiftet, daß Menschen diese Gebiete verlassen mußten oder erst gar nicht besiedelten. Der größte katastrophale Luftverschmutzungsakt, den sich die Natur in der jüngsten Geschichte geleistet hat, ereignete sich in der Nacht vom 27. zum 28. August des Jahres 1883. 

Eine der riesigsten Vulkanexplosionen überhaupt hat dabei die kleine Insel Krakatau in der Sundastraße zwischen Sumatra und Java fast völlig weggesprengt. Insgesamt sind etwa vier Kubikkilometer Gestein in die Luft geschossen worden, davon mindestens einige Prozent in der Form von feinstem Staub, der bis in die höchsten Atmosphärenschichten hinaufgeblasen worden ist. Dieser Staub hat fast die gesamte Atmosphäre der Erde für Monate hindurch im echten Sinne verschmutzt. Dadurch wurde der klare Himmel getrübt, und monatelang ging die Sonne oft in einem unheimlichen glutroten Schein unter. Wenn es damals schon genauere Klimabeobachtungen gegeben hätte, so wären sicher auch für einige Jahre weltweite Klimaänderungen nachweisbar gewesen.

Vier Kubikkilometer verpulvertes Gestein entsprechen einer Masse von etwa 16 Milliarden Tonnen; der größte Teil dieses abgeschossenen Materials freilich wird in Form von größeren Brocken oder kleinen Steinen wieder ins Meer zurückgefallen sein. Der Rest jedoch, der in Form von Staub eine längere Zeit in der Atmosphäre verblieb, entspricht etwa wieder einem Millionstel der Atmosphärenmasse. Dieses zwar katastrophale Experiment, das uns die Natur vor knapp 100 Jahren vorgeführt hat, zeigt wiederum, welche geringen Bruchteile an Fremdkörpern in der Luft ausreichen, um unsere Atmosphäre sichtbar und fühlbar zu beeinträchtigen.

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Zunahme des Kohlendioxidgehalts
der irdischen Atmosphäre in Millionstel während des Zeitraums von 1860 bis 1960.

Wahrscheinliche Ursache: 
die industrielle Verbrennung von Kohle und Öl. 

 

Unten: 
Zunahme der mittleren Jahrestemperatur
an sechs europäischen Beobachtungsstationen.

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In den meisten Fällen, in denen wir die Natur nachahmten, haben wir ihre Leistungen bei weitem nicht erreicht. In der Luftverseuchung jedoch sind wir ihr über.

Wir sprachen bereits über die drohende Vergiftung unserer Umwelt durch Metalle wie etwa Quecksilber. Im Jahr 1923 wurde eine für die Autoindustrie besonders wichtige Erfindung gemacht. Man hat festgestellt, daß eine metallorganische Verbindung, nämlich Bleitetraäthyl, die Eigenschaft hat, Frühzündungen in dem Gemisch innerhalb eines Zylinders zu verhindern. Im Automotor konnte man daher durch winzige Zugaben dieses bleihaltigen Mittels im Benzin das sogenannte Klopfen vermeiden. Seit jener Zeit wird laufend mehr klopffreies Benzin von höheren Oktanzahlen angeboten. Das etwas teurere, aber klopffreie Superbenzin enthält entsprechend größere Mengen von Bleitetraäthyl. Jedes Auto, das mit modernem Benzin gefahren wird, ist deshalb ein kleiner, von Menschenhand geschaffener und gesteuerter Vulkan, der außer der anderen häßlichen Chemie auch noch Blei in die Luft abbläst. Fein verteiltes Blei jedoch ist ein sehr ernsthaftes organisches Gift. Es gibt Theorien, daß der Zusammenbruch der römischen Zivilisation durch chronische Bleivergiftungen der Römer verursacht worden sei, da sie aus bleiernem Geschirr aßen und tranken und auch ihre Wasserleitungsrohre mit Blei ausgekleidet hatten.

 

Typische Bleivergiftungen kennen wir in der modernen Medizin als eine Berufskrankheit, deren Symptome durch Mattigkeit, Übelkeit und vor allem durch geistige Störungen gekennzeichnet sind. Dem modernen Industriemenschen wird Blei nicht nur in Metallform als Industrieabfall in winzigen Spuren angeboten, er atmet es auch als Auspuffanteil seines Automobils ein — ja, er nimmt diese bleihaltigen Auspuffgase sogar durch seine Haut auf. Das Teuflische an diesem atmosphärischen Blei ist die Tatsache, daß es auch die Nahrung verseucht und sich nicht nur im Blut und im Fettgewebe, sondern vor allem auch in der Nervensubstanz niederschlägt. Besonders bei Kindern, deren Gehirn noch wächst, ist eine hohe Ansammlung von Blei zu beobachten.

Aus chemischen Analysen des Grönlandeises, das hundert oder zweihundert Jahre alt ist, sowie aus Bodenproben hat man geschlossen, daß jeder heute lebende Mensch etwa hundertmal soviel Blei in seinem Körper mit sich herumträgt wie seine Vorfahren vor Beginn der industriellen Revolution. Messungen der Luftverschmutzungen bei einer Expedition haben gezeigt, daß die Luft von Südkalifornien mit seiner besonders hohen Konzentration von Automobilen etwa fünftausendmal soviel Blei enthält wie die Luft über Samoa in der Mitte des Pazifik. Solche speziellen Vergiftungen der Atmosphäre hat sich die Natur bisher allerdings noch nicht geleistet. Wenn wir Menschen, nur was die Bleiverseuchung der Luft anbetrifft, in den nächsten 30 Jahren keine Änderung herbeiführen, so droht der Menschheit und auch der Tierwelt eine ernsthafte Gefahr durch dieses giftige Metall.

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Schon mehrmals hatten wir die Schornsteine der Erde, die Vulkane, mit den Essen unserer Industrie verglichen. Beide machen einen ziemlichen Gestank. Auch können selbst winzige Änderungen in der Zusammensetzung unserer Atmosphäre, was das Kohlendioxyd anbetrifft, das Klima der Erde erstaunlich stark beeinflussen. Ja, es gibt sogar eine sehr ernst zu nehmende, vielleicht sogar die wahrscheinlichste Theorie der Eiszeiten in der Geschichte unseres Planeten, die darauf fußt, daß der Gehalt an Kohlendioxyd durch Änderungen des Vulkanismus im Laufe der Jahrmillionen schwankte. Wieso ist dieses Gas, das weniger als ein dreißigstel Prozent der Atmosphäre ausmacht, imstande, das Klima der Erde zu steuern?

Kohlendioxyd in der Atmosphäre hat die gleiche Wirkung wie die Glasscheibe eines Gewächshauses. Für das sichtbare Sonnenlicht, nämlich für den größten Anteil der Sonnenenergie, ist es völlig durchsichtig. Das Gas absorbiert jedoch Wärmestrahlung, die wieder nach draußen entweichen will. Glas wirkt genauso, und das ist der Grund, weshalb es in einem Gewächshaus oder auch in unseren modernen, sehr stark verglasten Hochhäusern oft so heiß ist. Man kann ausrechnen, daß selbst geringe Schwankungen im Kohlendioxydgehalt der Atmosphäre die gesamte Temperatur des Planeten sehr stark beeinflussen können. 

     

 

Bei einer völligen Abschmelzung der Polarkappen würde der Meeresspiegel um mehrere hundert Meter ansteigen und dabei alle heutigen Küstengebiete überfluten,
wie etwa die Norddeutsche Tiefebene. Abhängend von der Anhebung des Meeresspiegels würden nur noch die entsprechend schraffierten Gebiete über Wasser bleiben.

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Nun haben wir in den letzten 150 Jahren, seit Beginn der technischen Revolution, schon eine große Menge von Kohle und Erdöl verbrannt, deren wichtigstes gasförmiges Verbrennungs­produkt eben Kohlendioxyd ist. So hat man seit 1860, dem Beginn der ersten exakten Messungen, innerhalb eines Jahrhunderts eine Zunahme des Kohlendioxyds in unserer Atmosphäre um etwa ein Siebtel festgestellt. Der Masse nach entspricht das ziemlich genau den fossilen Brennstoffen, die wir in diesem Jahrhundert verbrannt haben. Entsprechend ist dann auch die mittlere Temperatur der Erde angestiegen. Seit den zwanziger Jahren sind die Gletscher der ganzen Welt alarmierend schnell und schneller heruntergeschmolzen. 

Es sieht so aus, als ob wir Menschen in der Tat ungewollt das Klima geändert hätten. Die allerletzten Konsequenzen einer extremen Zwischeneiszeit, die wir dadurch in den nächsten Jahrhunderten verursachen könnten, machen sich wenige Menschen klar. Wenn größere Anteile der vereisten Polarkappen wegschmelzen, so könnte der Meeresspiegel um über hundert Meter ansteigen und damit alle großen Ansiedlungen des Menschen in Küstennähe — wie Hamburg, New York, Los Angeles, Tokio, London und viele andere — überschwemmen.

Andererseits hat sich diese Erwärmungstendenz in unserem Klima seit sogar etwa 10 bis 15 Jahren verlangsamt, ja sogar wieder umgekehrt. Jetzt scheint die Erde wieder etwas kälter zu werden, und die Gletscher beginnen wieder zu wachsen. Was könnte das für Gründe haben?

Das können wir ganz gut verstehen. Diese Abkühlungserscheinungen fallen zeitlich zusammen mit einer immer weiter um sich greifenden Luftver­schmutzung, welche die Atmosphäre immer dunstiger und undurchsichtiger macht. Auch hat die rücksichtslose Ausnutzung vieler Ackerböden in der ganzen Welt weite Strecken versteppen und verkarsten lassen. Feiner Staub wird dadurch in viel größeren Mengen in die Atmosphäre hineingewirbelt und trägt zur weiteren Dunstbildung in unserer Luft bei. Unser Planet verliert dadurch — von außen her gesehen — etwas von seiner blauen Farbe und wird immer grauer. Physikalisch gesehen heißt das, daß die Atmosphäre immer mehr Sonnenenergie unmittelbar in das Weltall zurückstrahlt und daß die Kontinente und Ozeane, und damit die untere Atmosphäre, nicht mehr so stark aufgeheizt werden wir früher. Der Erfolg all dieser Ereignisse könnte dann aber auch sein, daß wir einer neuen Eiszeit entgegengehen.

Es ist also in der Tat so, daß der Mensch mit seiner heutigen Bevölkerung von rund vier Milliarden Menschen in jedem Jahr auch viele Milliarden von Tonnen Material aller Art umsetzt. Die gasförmigen Bestandteile dieser gewaltigen Aktivität überläßt er vertrauensvoll der Atmosphäre in der Hoffnung, daß diese mit ihren natürlichen Reinigungsprozessen damit fertig wird. Alles jedoch, was etwa ein Millionstel ihrer Masse lokal oder global erreicht, kann sie nicht mehr verkraften.

Was die Physik, die Chemie und die Klimatologie der Erdatmosphäre anbetrifft, so sind wir dabei, sie heute schon oder spätestens in den nächsten Jahr­zehnten ernsthaft zu gefährden.

Gerade in diesem Kapitel hatte ich, weil ich Astronom bin, häufiger Gelegenheit, Veränderungen unseres irdischen Himmels — selbst während meiner kurzen Lebenszeit — anzusprechen. Da ich beruflich vielleicht öfters als andere Menschen den Himmel anschaue, ist mir während der letzten 40 Jahre meines Lebens eine immer stärker zunehmende Trübung schmerzlich aufgefallen. So ist es mir in den letzen zwei Jahren nicht ein einziges Mal gelungen, meinem vierjährigen Sohn die Milchstraße zu zeigen. 

Ich erinnere mich gut, daß ich sie als Teenager bei Skiurlauben im Hochgebirge oder dann später noch auf dem Mount Palomar in Südkalifornien in ihrer ganzen eindrucksvollen Pracht gesehen habe. Einen klaren Himmel, der für einen solchen Anblick erforderlich ist, habe ich in den letzten fünf, ja vielleicht sogar zehn Jahren nie mehr so recht erlebt. Es kann kein Zweifel bestehen, daß wir unserem kostbaren Luftmeer durch unsere Eingriffe in die Natur schon einen empfindlichen Schaden zugefügt haben.

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Heinz Haber  1973