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Spielregeln für Intellektuelle im Sozialismus
Wenn du etwas denkst, sage es nicht. 
Wenn du etwas sagst, schreibe es nicht.
Wenn du etwas schreibst, veröffentliche es nicht.
Wenn du etwas veröffentlichst, wundere dich nicht.
(aufgeschrieben von György Dalos)

Die Geschichte des Buches

 

"Mein Tagebuch war in diesen Jahren immer wieder meine
Balancierstange, ohne die ich hundertmal abgestürzt wäre. " (Victor Klemperer: "LTI")

 

Die vorliegenden Geschichten wurden in der DDR mit Schreibmaschine aufgeschrieben. Sie entsprechen Tagebuchaufzeichnungen und liegen etwa 15 Jahre zurück.

Die Mühen, über die Victor Klemperer bei seinen Tagebuchaufzeichnungen berichtet, erinnerten mich auch ein wenig an meine Ängste. Auch in der DDR war es nicht ungefährlich, ein Tagebuch zu führen. Die Wahrheit, einfach aufgezeichnet, konnte leicht als Verleumdung des Staates verurteilt werden. Mit DDR-Gefängnissen wollte ich keine Bekanntschaft machen. Immer mußte ich aufpassen, daß die Geschichten verschlossen aufbewahrt wurden, daß sie keine Unbefugter zufällig entdecken konnte. Sie wurden versteckt vor Besuchern, auch vor Freunden. Wie sich später herausstellte, war das auch gut so. Sogenannte Freunde entpuppten sich als Stasi-informanden. Ich denke dabei unter anderen an eine Schriftstellerin der DDR, die - aus einfachen bäuerlichen Verhältnissen (LPG) stammend - sehr vom Staat gefördert worden war. Entsprechend erwartete man Gegenleistungen von ihr. Obwohl sie ein IM war, wie sie später eingestand, hat sie uns doch nicht verraten, auch nicht unsere Pläne, die sie hätte erraten können. Mit ihr hatten wir Glück.

Auch meine Balancierstange war das Schreiben. Durch Aufschreiben wurden die Schwierigkeiten, die Ungerechtigkeiten verarbeitet und teilweise auch überwunden. Überleben durch Schreiben. Schreiben als einzige Möglichkeit der straffreien Äußerung, solange die Geschichten unter Verschluß blieben. Sich erheben über die Misere durch Aufschreiben. Dokumentation der Ereignisse.

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"Was ist uns widerfahren in der DDR-Zeit?" Das Buch soll mit der Beschreibung und Aufzählung der alltäglichen Einzelheiten des DDR-Lebens die Situation der Menschen in der DDR schildern, vor allem das der Nicht-Genossen. Die meisten DDR-Bürger waren Nicht-Genossen (das heißt, sie waren nicht Mitglied der SED) und somit das leidtragende VOLK, das schließlich auch die "Wende" herbeiführte. Indem wir uns erinnern, erlangen wir Verständnis, auf daß Ost- und Westdeutsche sich besser tolerieren und mehr aufeinander zugehen. Das Buch ist kein Buch des Hasses, sondern ein Buch des Verstehens, ein Buch, das um Verständnis für das Leben in der DDR ringt.

Schon als Kind bekam ich von meinem Vater gelehrt: "Man muß zu seiner Überzeugung stehen." Das war aber keine brauchbare Hilfe zum Überleben in der DDR, in der Doppeldenken eine grundlegende Verhaltensweise war. Zu seiner Überzeugung stehen, führte dazu, daß man daran dachte, die DDR zu verlassen. Diesen Weg gingen vor dem Mauerbau viele Millionen Deutsche, man sprach von der "Abstimmung mit den Füßen". Später kam die Periode der Ausreiseanträge und der Besuchsreisen in die Bundesrepublik. Auf diese Periode werde ich ausführlich eingehen.

Als die Zwangslage, in die wir geraten waren, zu einem unlösbaren Problem geworden war, suchten auch wir einen Weg, die DDR zu verlassen, suchten auch wir lebenslangem Eingesperrtsein hinter Mauern, dem Ausgesperrtsein aus der "Welt" zu entkommen. Mein Alptraum in dieser Zeit, das Urteil: "Sie haben lebenslänglich DDR".

Die DDR zu verlassen, war nicht so einfach. Die Partei wachte, und die Stasi war immer einen Schritt voraus. Schließlich fanden wir eine Möglichkeit, nach Ungarn überzusiedeln. Wir wollten später in die Bundesrepublik "Weiterreisen". Wir wußten, das würde nicht leicht sein. Wie schwierig es wirklich war, stellte sich für mich und meine Kinder, 11 und 13 Jahre alt, erst in Ungarn heraus.

Als wir die DDR 1984 in Richtung Ungarn verlassen wollten, als unser Hab und Gut genauen Grenzkontrollen unterzogen werden sollte, ergab sich die Frage: Wie könnte man die DDR-Geschichten in den Westen transportieren?

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Da kam uns unser Neffe aus München zu Hilfe, das heißt zu Besuch. Er brachte uns auf die Idee, die Seiten einfach zu fotografieren. Bei seinem nächsten Besuch in der DDR erschien er mit Fotolampe und empfindlichen DIA-Filmen, und dann fotografierten wir die Seiten. Die Filmrollen beanstandete niemand an der Grenze. Später bekamen wir Nachricht von ihm: "Die Familienfotos sind ausgezeichnet gelungen".

Als wir endlich nach Ungarn übersiedelten, ließen wir die Originale der Geschichten bei einem Freund in Berlin zurück. Er war nicht zu feige, sie entgegenzunehmen, und wir danken ihm dafür.

Als wir schließlich 4 Jahre später in die Bundesrepublik kamen, schrieben wir die Geschichten mit Hilfe eines alten Computers und eines geborgten Diaprojektors noch einmal ab.

Oftmals wird ein System erst an Details erkannt. Ich erinnere mich dabei wieder an die Tagebuchaufzeichnungen von Viktor Klemperer. Daß Juden im 3. Reich verfolgt wurden, das war mir bekannt. Was sie aber wirklich gelitten haben, das habe ich erst beim Lesen der Einzelheiten, der täglichen Aufzeichnungen, durch Klemperers Tagebuch verstanden.

Als die DDR ihrem Ende entgegenging, kamen die Genossen auf die Idee, unliebsame Bürger in Internierungslagern verschwinden zu lassen. Das beweisen die nun öffentlich vorliegenden Listen aus der DDR-Zeit. Tausende von Bürgern waren DDR-weit für Lager vorgesehen. Auch Pfarrer Steiger (Name nicht geändert) aus Leipzig-Krippehna stand auf der Liste. Als "extrem staatsfeindliches Element" (zu entnehmen aus seiner Stasi-Akte) war er für ein Internie-rungslager bestimmt. Daß er nicht interniert wurde, lag an dem unvorhergesehenen Ende der DDR, an der "Wende".

Die vorliegenden Geschichten haben wieder selbst eine Geschichte, eine ist eine Biermann-Geschichte, und soll noch erzählt werden: Nicht jeder hatte das Glück - dank Solidaritätsschreiben für Wolf Biermann anläßlich seiner Ausbürgerung aus der DDR - selbst ausgebürgert zu werden. (Wie zum Beispiel Manfred Krug, Armin Mueller-Stahl,... , eine lange Liste). Solidarität mit Biermann zeigten auch unbekannte Leute in der DDR. Sie wurden deshalb nicht ausgebürgert, sondern hart bestraft. Vor ihnen hatte man keine Angst.

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Als Beispiel möchte ich an zwei Studenten der Technische Hochschule Karl-Marx-Stadt erinnern. Die kriminelle Tat eines Studenten bestand darin, Biermann-Tonbänder für die Studentengemeinde in seinem Studentenwohnheimzimmer zu überspielen. Bei einer Durchsuchung seines Zimmers fand man auch das Buch "1984" von Orwell. Da wußte man gleich wes Geistes Kind er war, und es wurde ein Disziplinarverfahren gegen ihn eröffnet. 

Der andere Student hatte nichts verbrochen, er wohnte nur mit ihm im gleichen Zimmer. Er wurde auch zum Disziplinarverfahren gebeten. In diesem Disziplinarverfahren, veranstaltet vom Fachbereich Mathematik der Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt mit großer Besetzung, wurde der Biermanntonbandüberspieler mit völliger Zustimmung seiner Seminargruppe (die gezwungenermaßen mitspielte) exmatrikuliert. Der andere auch, weil er zu wenig getan hatte, er hatte seinen Zimmergenossen nicht angezeigt (verpfiffen), als dieser die Tonbänder überspielte. Das ereignete sich zwei Monate vor ihrem Diplom. Sie wurden in die Praxis (Industrie) geschickt, um sich zu bewähren.

Kommunisten setzen in vollkommen religiöser Weise voraus, daß einem Menschen, der sich der Partei gegenüber etwas hat zuschulden kommen lassen, die Sünden vergeben werden, wenn er eine gewisse Zeit unter Landarbeitern oder Fabrikarbeitern verbringt. (Milan Kundera: "Der Scherz").

Während der erste Student, der "Schuldige", einige Jahre später das Diplom nachholte, konnte sich der andere Student, der "Unschuldige" nicht mehr dazu entschließen, zur Hochschule zurückzukehren. So war er, der gar nichts getan hatte, der sich "nur" wie ein anständiger Mensch verhalten hatte, der am meisten Bestrafte.

Über dieses Verfahren und noch weitere solcher Verfahren wird in der Geschichte "Das Disziplinarverfahren" berichtet.

Die Geschichten sind ein Zeugnis dafür, daß nicht alle DDR-Bürger dem Staate hörig waren. Sie sind ein Zeugnis für Anständigkeit und Witz der Leute hinter der Mauer - und auch ein Zeugnis für ihr alltägliches Leiden unter dem DDR-Regime.

Barbara Heinecke

 

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LEIPZIGER LOSUNGEN

auf einer der ersten demos 

aufgeschrieben von Pfarrer Steiger, Montagsdemonstrant von Leipzig 

wir wollen freie wählen 

der Staat braucht neue männer 

wir sind das volk

kirche wir danken dir 

wir fordern freiheit 

vierzehn tage nach der wende geht die diktatur zu ende 

reisefreiheit 

bildungsreform 

wir sind bereit zum Volksentscheid 

kein vertrauen zu wahlbetrügern 

mindestrente fürs zk 

egon schlag die mauer ein - wir brauchen jeden mauerstein...

stasi raus

stasi in die Volkswirtschaft... faultierfarm 

wir verdienen euer geld 

neues forum zugelassen 

ziviler ersatzdienst 

keine vormilitärische ausbildung in unseren schulen und auf unseren Universitäten 

 

 

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 (Ordner)   www.detopia.de

Barbara Heinecke   Gestutzte Flügel   Geschichten aus der DDR  - Frau Prof. Dr. für Mathematik und Informatik