7 Leben und Werk der Verfasser
Thomas More
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Am 7. Februar 1478 als Sohn eines Londoner Richters geboren, eine Zeitlang am Hofe des Erzbischofs John Morton von Canterbury erzogen, besuchte More nach dem Studium in Oxford die Rechtsschulen New Inn und Lincolns Inn in London, wo er, bereits als Fünfundzwanzigjähriger Mitglied des Parlaments, im Jahre 1509 zum Under Sheriff ernannt wurde. Seine ersten Vorlesungen, bezeichnenderweise über den <Gottesstaat> des heiligen Augustinus, hielt er schon mit dreiundzwanzig Jahren. Zehn Jahre später, nach dem Tode seiner ersten Frau, wurde er Reader in Lincolns Inn.
Das ist die erfolgreiche Laufbahn eines begabten Juristen mit akademischen Ambitionen, die ihre besondere Note noch durch seine enge Beziehung zu dem Humanisten Erasmus von Rotterdam erhielt, der ihm schon im Jahre 1499 unter Anspielung auf seinen Namen das <Encomion Moriae> (Lob der Torheit) widmete und dem er 1516 das Manuskript seiner weltberühmten <Utopia> übersandte.
Es ist nicht ganz unwesentlich, schon hier zu bemerken, daß der zweite Teil dieser <Rede über die beste Staatsverfassung> im Jahre 1515 während Mores Aufenthalt in Flandern in enger geistiger Fühlungnahme mit Erasmus, der gerade seine <Institutio principis Christiani> vollendete, konzipiert, das erste Buch dagegen mit der literarischen Motivierung, der Staats- und Gesellschaftskritik und der bereits von Cicero leidenschaftlich erörterten Frage, ob ein Philosoph Staatsgeschäfte übernehmen solle, erst nachträglich im Jahre 1516 verfaßt wurde, vor allem aber, daß das Gesamtwerk vor Mores Ernennung zum Mitglied des Privy Council (1518), vor seiner Ernennung zum Under Treasurer (1521), ja, ganze dreizehn Jahre vor seiner Erhebung zum Lord High Chanceller am 25. Oktober 1529 vorlag.
Diese letzte und höchste Würde sollte ihn ja in die schwersten Konflikte mit seinem Herrn und König, Heinrich VIII. von England, zuvor aber erst mit sich selbst bringen.
Denn wenn jede Zeile seiner <Utopia> den optimistischen Glauben an den möglichen Sieg der Vernunft aussprach, wenn seine Reformideen den staatlichen und kirchlichen Einrichtungen gegenüber im Sinne des Humanismus von durchaus liberalem Geiste getragen waren, so sah er sich an verantwortungsvoller Stelle gezwungen, einer radikalen Lösung zuzustimmen, die mit der Kirche den Staat selbst in Frage stellte.
Von maßlosem Ehrgeiz und sinnlicher Leidenschaft ebenso wie von der Angst um den Bestand seiner Dynastie und den damit verbundenen Thronwirren getrieben, erließ König Heinrich VIII. ja im Jahre 1534 die <Suprematsakte>, durch die der Krone Englands sämtliche Vollmachten über die englische Kirche, also auch und besonders die letzte Entscheidung in Glaubenssachen, übertragen wurden, die bisher der Papst besessen hatte, und mit der sich der König selbst den Titel eines <Obersten Hauptes auf Erden der Kirche von England unmittelbar unter Gott> gab.
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Man wird nun zwar nicht behaupten können, daß dem am 15. Mai 1532 gestürzten Lordkanzler Thomas More wegen seines in der <Utopia> niedergelegten politischen Programms der Hochverratsprozeß gemacht wurde, aber man wird doch sagen müssen, daß es ihm, ebenso wie dereinst dem weisen Berater Kaiser Neros, Seneca, wesensmäßig unmöglich war, eine Politik gutzuheißen, die vielleicht nicht einer machthungrigen Klugheit, aber ganz und gar einer maßvollen und vernunftgeleiteten Einsicht entbehrte.
Diese Einsicht aber gerade hinderte Thomas More, die Suprematsakte anzuerkennen, für diese Einsicht ist er gestorben.
Am 6. Juli 1535 wurde er hingerichtet; sein abgeschlagenes Haupt wurde, zur Abschreckung, wie es damals üblich war, auf London Bridge aufgepflanzt.
Mehr noch als sein Name unter den Märtyrern des Geistes ist sein Werk zum Urbild des Unerreichbaren geworden, obwohl es doch der Absicht seines Verfassers nach ein Vorbild des Wirklichen sein sollte. Aber hierin liegt die Paradoxie alles menschlichen Daseins in nuce, offenbar jedoch tragischer als bei Mores athenischem Vorbild Platon.
Tommaso Campanella
Giovanni Domenico Campanella - wie er ursprünglich hieß - wurde am 15. September 1568 in Stilo im südlichen Calabrien geboren.
Schon in seinem fünfzehnten Lebensjahre nahm er unter dem Eindruck einer mitreißenden Predigt die Kutte der Dominikaner und durchlief die Schulen des Ordens in San Giorgio und Nicastro, zuletzt aber in Cosenza, wo er unter den erfahrungswissenschaftlichen Einfluß des greisen Bernardino Telesio geriet, dem er sich freilich zu dessen Lebzeiten nicht zu nähern wagen durfte, weshalb er ihn wenigstens auf dem Totenbette besuchte, um sich die Züge seines verehrten Lehrmeisters einzuprägen.
Jedenfalls war der Eindruck der Lehre Telesios auf Campanella so stark, daß er sich bei seinen Oberen mißliebig machte und in das Kloster Altomonte verwiesen wurde, von wo er jedoch nach Neapel entfliehen konnte. Im Jahre 1591 wegen Ketzerei verhaftet und in Rom ins Gefängnis geworfen, 1592 in Florenz von Großherzog Ferdinand I. de' Medici, dem früheren Kardinal, mit seinem Ersuchen um einen Lehrstuhl in Pisa abgewiesen, daraufhin wiederum vor das Inquisitionsgericht in Rom gerufen und wieder freigelassen, kehrte er 1598 nach Calabrien zurück.
Dort machten ihn seine aufsehenerregenden Schriften <De investigatione rerum> (1586, nicht erhalten), <Philosophiq sensibus de-monstrata> (1589), <De monarchia Chrisüanorum> und <De regimine ecclesiae> (1594, beide nicht erhalten), derentwegen er ja bereits mehrfach angeklagt worden war, sowie seine prophetisch-chiliastische Reformsucht überhaupt bald zum Mittelpunkt der aufrührerischen Elemente, die sich gegen die nach dem Tode Philipps II. ins Wanken geratene spanische Herrschaft in Süditalien auflehnten. wikipedia Millenarismus Chiliasmus
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Bereits im August 1599 aber wurde die Gesellschaft der Verschwörer durch Verrat aus den eigenen Reihen und das daraufhin erfolgende energische Durchgreifen Carlo Spinellis, des Beauftragten des Vizekönigs, des Grafen von Lemos Fernando de Castro, gesprengt und landesverräterischer Verbindungen mit den Türken und ihrem allmächtigen Admiral, dem Renegaten Sinan Bassa Cicala, überführt.
Ihr weltliches Haupt, Maurizio di Rinaldo, wurde nach peinlichem Verhör, in dem er alles gestand und viele bisher nicht Ergriffene nanhaft machte, nebst einer Reihe seiner Anhänger auf dem Platze vor dem Castel nuovo von Neapel öffentlich gehängt, Campanella aber samt seinem fanatischen Gefolgsmann Frater Dionisio Ponzio aus dem Kloster Nicastro in das Castel nuovo selbst gebracht, wo ihm der Prozeß gemacht, seine Verurteilung jedoch wegen «seiner juridischen Hingehörigkeit an die Kurie» (Kvacala) Clemens' VIII. hinausgezögert wurde.
In den grauenhaften Kerkerhöhlen des Castel dell'Ovo und in der milderen Haft von St. Elmo entstand, gewissermaßen als Widerruf und doch auch wieder als Gegenstück zu den vorausgegangenen <Discorsi politid ai prineipi d'ltalia> (1595) und der berühmten, bereits 1623 ins Deutsche übertragenen Schrift <Della Monarchia di Spagna> (1598-1600), die aus politischer Berechnung und innerer Überzeugung zugleich die Vereinigung ganz Europas unter der Herrschaft Spaniens und der geistlichen Führung des Papstes befürwortet, im Jahre 1602 zunächst in italienischer Fassung die Schilderung des Sonnenstaates: <La Cittä del Sole>, die 1612 und 1620 umgearbeitet und ins Lateinische übertragen, zum ersten Male im dritten Teile der <Realis Philosophiae epilogisticae> Campanellas von Tobias Adami, Frankfurt 1623, herausgegeben und 1636 noch einmal überarbeitet wurde.
Ihr Inhalt geht also, trotz des antiken Vorbildes in Platons <Staat> und vielleicht auch in dem <Sonnenstaat> des Jambulos (Pöhlmann), auf ebenso zeitgemäße wie ernstgemeinte Gedankengänge zurück; sie enthält nicht mehr und nicht weniger als das politische Programm, das Campanella sein ganzes Leben hindurch leidenschaftlich verfolgte und zu dessen Verwirklichung er sich selbst berufen glaubte.
Freilich wurde ihm zunächst zu weiterer politischer Betätigung wenig Gelegenheit gegeben. Er mußte zufrieden sein, daß man ihm während seiner insgesamt siebenundzwanzig Jahre währenden Haft und nach wiederholter — vielleicht sieben-, mindestens aber dreimaliger — fürchterlicher Folterung, die er jedoch heldenhaft, wenn auch in wirklichem oder simuliertem Delirium, durchstand, überhaupt gestattete, die Überfülle seiner Gedanken niederzuschreiben.
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Diese Vergünstigung verdankte er der Aufmerksamkeit, die der vierte Nachfolger des Grafen von Lemos, der Vizekönig Pedro Tellez-Giron, Herzog von Osuna, seiner publizistischen Tätigkeit schenkte.
Erst am 15. Mai 1626 aber wurde Campanella durch den Barberini-Papst Urban VIII. zum Zwecke seiner endlichen Befreiung angeblich für die Inquisition angefordert, auf Veranlassung König Philipps IV. von dem neuen spanischen Statthalter, dem Herzog von Alba, vom Hochverrat freigesprochen und nach Rom ausgeliefert.
Obwohl mißtrauisch bewacht, entkam er doch mit Hilfe des französischen Gesandten bei der Kurie, des Grafen Francois de Noailles, glücklich nach Frankreich, wo er, anfangs in Aix als Gast des Numismatikers Nicolas Peiresc und im vertrauten Umgang mit dem Naturforscher Petrus Gassendi, später in Paris, bis zu seinem Tode am 21. Mai 1639 im Kloster St. Jacob an der Rue St. Honore unter dem Schutze des Kardinals Richelieu lebte. In seinem Schwanengesang, der <Edoga in portentosam Delphini nativitatem> (1638) gab er, der an jener Stätte hauste, die den späteren Jakobinern den Namen verleihen sollte, einen schwachen Nachklang der unvergänglichen vierten Ekloge Vergils zur Geburt des nachmaligen <Sonnen-königs> Ludwig XIV., dessen Regierung freilich in einem höchst merkwürdigen Verhältnis zu den Ideen des <Sonnenstaats> stehen sollte.
Francis Bacon
Bacon stammte aus einer alten englischen Adelsfamilie und wurde als jüngster Sohn des Großsiegelbewahrers der Königin Elisabeth L, Sir Nicolas Bacon, am 22. Januar 1561 im York-Haus, dem alten Palatium Eboracense, am Strand bei London geboren.
Die glänzende, wenn auch nicht immer reibungslose und durch dauernde Geldknappheit gehemmte Staatslaufbahn des ebenso begabten wie ehrgeizigen und rücksichtslosen jungen Juristen wurde trotz der Unterstützung durch die Verwandten seiner Mutter aus der Familie Cecil, insbesondere durch seinen Onkel, den Lord-Schatzmeister Burghley, erst unter König Jakob I., dem Sohne der Maria Stuart, durch das Amt des Lordsiegelbewahrers 1617 und durch die Lordkanzlerwürde 1618 gekrönt; im gleichen Jahre wurde er vom König zum Baron von Verulam, 1620 zum Viscount von St. Albans erhoben.
Indessen trug ihm weder seine selbstbewußte und aufklärerische Art noch seine Amtsführung viel Freundschaft und Anerkennung ein. Aus böswillig erfundenen, teilweise jedoch auch berechtigten Anklagen entwickelte sich schon im Jahre 1620 ein Korruptionsskandal, der zur Absetzung Bacons und zu seinem endgültigen Ausscheiden aus dem Staatsdienst führte.
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Die unzweideutige Ironie, mit der Bacon wiederholt die <Doppelverdiener> (homines bini salarii) bedenkt, läßt Rückschlüsse auf seine persönliche Einstellung zu der vielfach erörterten Rechtsfrage seiner Amtsführung, Absetzung, Bestrafung und Begnadigung durch König Jakob I. zu.
Der verhinderte Politiker warf sich fortan ganz in die Arme der Wissenschaft, der gleichen im Grunde wie der revolutionäre italienische Mönch Campanella. In der Ruhe und Abgeschiedenheit seines feudalen Landsitzes bei Gorhambury entstand nicht nur die grundlegende dnstauratio magna> (1621), deren zweiter Teil, das <Novum Organum scientiarum>, nach der ausdrücklichen Absicht seines Verfassers die aristotelische Logik ersetzen sollte und die geradezu zur Bibel der neuzeitlichen Erfahrungswissenschaft erhoben wurde, sondern auch 1624 der leider unvollendet gebliebene Versuch der Darstellung eines vollkommenen Staatswesens auf der platonischen Trauminsel Neu-Atlantis, eines Staatswesens, dessen Bestand und Zukunft durch die Unerschütterlichkeit und Unfehlbarkeit der induktiven und experimentellen Methode der Wissenschaft und die wachsende Fülle ihrer Ergebnisse gesichert sein sollte.
Der unbedingte Glaube an die Macht des Wissens, das den Menschen die Natur beherrschen läßt, mit dessen Hilfe der Mensch «die Dinge zwingen und sie seinem Herrscherwillen gefügig machen» (Cassirer), somit zum wahren Herrn der Welt werden kann, malt hier ein Zukunftsbild des Regnum hominis, dessen Einzelheiten von der modernen Technik zwar zum größten Teil verwirklicht, jedoch nicht zu dem harmonischen Ganzen der optimistischen Vorausschau Bacons zusammengefügt werden konnten.
Um so mehr ist es zu bedauern, daß der ehemalige Lordkanzler Seiner Majestät des Königs von England zu einer Ausbreitung seiner politischen und vor allem auch seiner sozialen Reformideen nicht mehr gekommen ist, da aus ihnen nicht nur zu ersehen gewesen wäre, wie er es, wäre er im Amt geblieben, gemacht hätte, sondern gerade auch, welche Folgerungen der praktische Sinn des Engländers nach den so entscheidenden hundert Jahren, die seit dem Erscheinen der <Utopia> seines großen Vorgängers in Politik und Literatur vergangen waren, aus der «öffentlichen Unterweisung in den Wissenschaften» durch das Haus Salomons von Neu-Atlantis gezogen hätte.
«Aber unglücklicherweise zog er es vor, an seiner Naturgeschichte zu arbeiten, so daß man nichts über die sozialen Einrichtungen des Volkes erfährt, obwohl er viel von dessen würdigen Sitten und großartigen Gebräuchen erzählt.» (Sorley)
Vielleicht aber hinderte Bacon auch sein Tod am 9. April 1626 in Highgate an der Vollendung des Werkes, oder - so läßt sich freilich nur vermuten - er konnte und wollte es, da er die Ansichten und Absichten des jungen Königs Karl I. noch nicht kannte, nicht wagen, die angedeuteten Umrisse seines, der Anlage nach offenbar doch platonischen, Staatswesens auszufüllen.
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8 Form und Aufbau der drei Utopien
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Aus der Entstehungsgeschichte der <Utopia>, des <Sonnenstaats> und der <Neu-Atlantis> geht bereits hinlänglich klar hervor, daß alle drei Werke, wie wohl jedes ernstgemeinte und ernstzunehmende politische Reformprogramm, aus natürlicher Opposition gegen herrschende Zustände und bewußtem Besserungswillen erwachsen und daher keineswegs etwa zur Unterhaltung oder gar zur Belustigung eines sensationsgierigen Leserkreises bestimmt waren, wie es kurze Zeit später ihre enge bibliographische Verbindung mit dem «haarsträubenden Blödsinn» (Kleinwächter) der wohlweislich anonymen satirischen Beschreibung des zeitgenössischen London durch den englischen Seneca <Mercurius Britannicus>, den Bischof Joseph Hall von Exeter, vermuten lassen könnte.
Vielmehr scheint ihre, übrigens dürftige, dialogische oder erzählerische Einkleidung sowie ihre literarische Form überhaupt nur dem doppelten Zwecke der politischen Verharmlosung und der Verbreitung sozialrevolutionärer Reformgedanken in einer möglichst breiten Öffentlichkeit dienen zu sollen. Das entspricht der Publikationspraxis des Humanismus, das entspräche auch der vornehmen, wenngleich mehr oder weniger erzwungenen Zurückhaltung des weisen Kanzlers Heinrichs VIII., ebenso aber dem notdürftig gezügelten ungestümen Tatendrang des ekstatischen Mönchs und endlich sogar der hochmütigen Verbitterung des abgedankten Lordkanzlers Jakobs I.
Neu-Atlantis
Indessen wird es sich nicht leugnen lassen, daß gerade in der <Neu-Atlantis> Form und Aufbau der Darstellung einen vergleichsweise sehr hohen Rang einnehmen. Das jedoch dürfte wohl nicht nur auf die geruhsamere Lebensweise, sondern auch auf die schriftstellerische Gewandtheit ihres Verfassers zurückzuführen sein. Jedenfalls zeigt sich noch im Torso die Größe und Harmonie, der ausgewogene Plan des Gesamtwerkes.
Rein äußerlich stellt die <Neu-Atlantis> einen romanhaften Reisebericht dar, wie sie im 17. Jahrhundert besonders beliebt und verbreitet waren und in Swifts <Gulliver> ihre Krönung fanden.
Aus dem Vorwort des Herausgebers William Rawley erfährt man, daß Bacon beabsichtigte, «ein Buch über die Gesetze oder über die beste Staatsverfassung» zu schreiben, also unmittelbar in die Fußtapfen Mores zu treten, diesen womöglich zu übertreffen oder wenigstens zu verbessern.
Das Fragment freilich beschränkt sich auf die Schilderung der Begründung und der Aufgaben jenes <Hauses Salomons> auf der Insel Bensalem, dessen Mitglieder, wie die Philosophen in Platons Idealstaat, wie die Langohrigen bei den Inka, die Jesuiten in Paraguay, die <Besten> der Megapatagonen bei Restif de la Bretonne, wie schließlich auch die Syphogranten und Traniboren Utopiens oder die Behörden des Sonnenstaates, ja, noch in ganz besonderer Weise die Mauretanier in der <Heliopolis> Ernst Jüngers, die absolute Verantwortung für den «objektiven Geist», für das Wohlergehen und für den Fortschritt aller Staatsangehörigen tragen, also tatsächlich jene unentbehrliche Elite bilden, die die Möglichkeit hat, «auf die Bedingungen des materiellen Lebens der Gesellschaft einzuwirken und die Entwicklung dieser Bedingungen zu beschleunigen» (Gesch. d. Komm. Partei).
Dieses Haus Salomons wird in eindrucksvoller Weise durch die doppelte Beziehung auf den legendären Begründer des Staatswesens Solamona und den biblischen König Salomon mit einem gleichzeitig religiösen und historischen Nimbus umgeben und seine Würde und Wirkung an einem gegenwärtigen und einem früheren Vertreter erwiesen. Während dieser der Auffindung und Öffnung des Bartholomäus-Schreins gewürdigt wurde, umgibt sich jener mit dem ganzen Zauber und der geheimnisvollen Hoheit, die der ungehobene Schatz des Wissens auszustrahlen vermag. Tatsächlich umreißt Bacon hier, ohne im geringsten in phantastische Utopismen zu verfallen, den weiten Kreis der wissenschaftlichen Möglichkeiten, deren Verwirklichung ihm als erprobtem Experimentator erfahrungsgemäß bei entsprechender staatlicher Unterstützung keineswegs außer Reichweite zu liegen schien.
Die Berichte von dem Auftreten der beiden Väter des Hauses Salomons werden eingeleitet und getrennt durch Schilderungen von Erlebnissen und unmittelbaren Erfahrungen der segensreichen Einrichtungen, die diesem Hause zu verdanken sind. Da ist zunächst einmal schon die weise Wahrung der Abgeschlossenheit der Insel und ferner die Aufnahme der fremden Gäste in dem ebenso behaglich wie fortschrittlich eingerichteten Fremdenheim, dann genauso die Pflege des Sippengefühls bei dem ausführlich geschilderten Familienfeste. Vielleicht ist dabei die chiastische Aufeinanderfolge von unmittelbarem Erlebnis und mittelbarer Schilderung nicht zufällig, sondern lag im Plane des Verfassers.
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Das erscheint um so glaubhafter, als auch der einleitende Bericht von der Landung durch die aufeinanderfolgenden Besuche der beiden Gesandten an und auf dem Schiff der Fremden und die Schilderung ihrer jeweiligen Wirkung auf diese höchst eindrucksvoll gegliedert ist, wie ebenso die Erzählung des Vorstehers des Fremdenhauses, der ein christlicher Priester ist, durch die Fragen nach der Herkunft des Christentums auf der Insel und nach der Ursache der weltweiten Kenntnisse der Insulaner trotz der Abgeschlossenheit ihres Landes.
So gewinnt die Darstellung durch den Wechsel von Erlebnis und Bericht Leben und Bewegung und gelangt offensichtlich gerade bis an die Schwelle ihres Höhepunktes, wo sie jäh abbricht.
Es ist als ziemlich sicher anzusehen, daß auf den Bericht über die <Gesetze> des Landes als zweiten Teil, in ähnlicher Gliederung wie im ersten Teil des Werkes, ein dritter folgen sollte, bis zum Abschied der Ankömmlinge, oder auch nur eines von ihnen, der in ähnlicher Weise wie Raphael Hythlodeus bei Thomas More oder der Genuese bei Campanella seinen Bericht in der Heimat erstatten konnte. Derartige Seefahrerberichte lagen ja seit den Zeiten Vasco da Gamas, um nicht zu sagen, seit denen des Odysseus, sozusagen in der Luft.
Der Sonnenstaat
Im Vergleich zu der kunstvollen Form der <Neu-Atlantis> erweist sich Campanellas <Sonnenstaat> als die formal wenig überzeugende Nachahmung eines platonischen Dialogs. Die Fragen und Ermunterungen des als <Unterredner> eingeführten Großmeisters der Hospitaliter machen fast durchweg einen gekünstelten Eindruck, und weit entfernt, das Ganze sinnvoll zu gliedern, stellen sie lediglich den nicht immer gelungenen Versuch dar, Einzelheiten oder auch ganze Sachgebiete, die dem Verfasser offenbar besonders am Herzen lagen, der gesteigerten Aufmerksamkeit des Lesers zu empfehlen.
Ohne weitere Einleitung erfährt dieser aus der ersten Frage des Großmeisters, daß der genuesische Admiral, mit dem er sich offenbar schon längere Zeit unterhalten hat, von einer größeren Seereise zurückgekehrt ist, über die er nunmehr Näheres berichten soll. Der Admiral kommt ohne große Umschweife zu dem eigentlichen Thema: dem Sonnenstaat.
Dessen geographische Lokalisation ist weit genauer als die der Insel Bensalem, die irgendwo im Stillen Ozean zu suchen ist. Denn es wird ausdrücklich Tapobrane, also die Insel Ceylon, genannt, auf der die Sonnenstadt liegen soll.
Es ist doch wohl kein Zufall, daß es ausgerechnet die Insel Tapobrane ist, auf die ja nach der Auskunft des Petrus Ägidius im ersten Buch der <Utopia> Raphael Hythlodeus verschlagen worden ist, so daß man nicht nur auf eine genaue Kenntnis der <Utopia>, sondern sogar auf eine unmittelbare Bezugnahme schließen kann.
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Auf den Aufbau seines Dialogs hat Campanella anscheinend weder Wert gelegt noch besondere Mühe gewandt. Der Stoff, der Inhalt steht im Vordergrund, er beherrscht den Verfasser, er überwältigt, ja, vergewaltigt ihn. Und offensichtlich sind es immer wieder ganz bestimmte Sachgebiete, die ihn so beschäftigen, daß er sie wieder aufnimmt, wiederholt, oft mit denselben oder ähnlichen Worten, und so in einem anderen Zusammenhang erneut betrachtet. Diese Sachgebiete sind eindeutig: die Fortpflanzung, die Erziehung und die Astrologie. Man hat manchmal die Empfindung, daß alle anderen Gebiete nur deshalb erwähnt werden, um diese drei von allen Seiten gebührend zu beleuchten; dabei werden sie aber auch untereinander in immer neue Beziehungen gesetzt.
Dem Eindruck, daß die überhitzte <Mönchsphantasie> (Oncken) Campanellas das Problem der menschlichen Fortpflanzung mit besonderem Interesse behandelt, hat sich noch keiner seiner Leser entziehen können. Es taucht zum ersten Male da auf, wo er den Aufgabenkreis des Ministers <Mor>, das heißt also der Liebe (amor), beschreibt, beansprucht mit der eingehenden Schilderung der Nationalisierung des Geschlechtsverkehrs) (Oncken) und der Gattenwahl, die durch die Beschreibung der Kleinkindererziehung kurz unterbrochen wird, einen breiten Raum und wird in der Weibergemeinschaft, für die Platon als Kronzeuge angerufen wird, wieder aufgenommen.
Das besondere Anliegen der wissenschaftlichen Ausbildung der Kinder und Erwachsenen, das zum Aufgabenkreis des Ministers <Sin>, der Weisheit also, gehört, klingt zum erstenmal in der ausführlichen Beschreibung der Wandbilder an den sieben Mauerringen der Stadt an, wird unter Hinweis auf diese noch einmal aufgegriffen und erreicht mit der Aufzählung der Forderungen, die an den geradezu allwissenden <Sol> gestellt werden, seinen Höhepunkt.
Die Astrologie schließlich macht sich vor allem im zweiten Teil der Abhandlung oft allzu breit. Es geht ja nicht nur um die Übermittlung astrologischer Zusammenhänge, sondern stellenweise um eine regelrechte Apologie dieser suspekten, verfemten und ja auch von Morus, den Campanella, wie gesagt, gekannt haben muß, ausdrücklich abgelehnten Afterwissenschaft. Der Hauptwert ist dabei anscheinend darauf gelegt, die Astrologie von dem Vorwurf des Determinismus zu befreien. Freilich muß dahingestellt bleiben, ob die Abweichungen und Zusätze der verschiedenen Ausgaben des Werkes dem besonderen Eifer des Verfassers oder aber Herausgebern und Kommentatoren zuzuschreiben sind.
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Trotz aller Wiederholungen und Unregelmäßigkeiten läßt sich bei näherem Zusehen ein Grundplan erkennen, der, sicher nicht zufällig, mit dem der <Utopia> weitgehende Ähnlichkeit aufweist. Es zeichnet sich nämlich, gewissermaßen hinter den scheinbar wahllos aneinandergereihten Einzelheiten, eine Einteilung des gewaltigen Stoffes in sechs Abschnitte ab: das äußere Bild der Stadt, die Behörden und ihre Aufgaben, die gesellschaftliche Ordnung der Bewohner der Stadt, die Innenpolitik, zu der die Rechtsprechung, und die Außenpolitik, zu der das Kriegswesen gehört, und schließlich die Religion.
Utopia
Dieselbe stoffliche Aufgliederung ist im zweiten Buch der <Utopia> viel deutlicher zu erkennen.
Auch der Gewährsmann Mores, Raphael Hythlodeus, der, wie sein Name sagt, jeder Aufschneiderei abhold ist, berichtet zuerst von der Lage der Insel Utopia, ihren vierundfünfzig Städten und deren ländlicher Umgebung und dann ausführlich von der Hauptstadt Amaurotum, deren Ähnlichkeit mit London ebenso in die Augen springt wie die des Anydrus mit der Themse. Darauf wendet er sich den Obrigkeiten der Stadt und der Insel zu, sodann der Sozialordnung, den Einrichtungen im Innern, dem Verkehr mit dem Ausland und dem Kriegswesen und schließlich der Religion. In verschiedenen älteren Drucken des Werkes sind sogar noch die Überschriften der einzelnen Abschnitte angegeben, bei denen allerdings infolge der Ergänzungen und Überarbeitungen des Verfassers Ungenauigkeiten auftreten, wie etwa der ungefüge Exkurs über die Tugend- und Lustlehre unter den Titel <Vom Reiseverkehr der Utopier> (De peregrinatione Utopiensium) fällt.
Gerade bei dieser umfangreichen Abschweifung aber handelt es sich wohl eindeutig um eine spätere Einfügung, die sich bei genauerer Überprüfung mit den religiösen Anschauungen der Utopier nicht immer vereinbaren läßt. Es macht beinahe den Eindruck, als ob hier eine philosophische Schularbeit oder wenigstens Spezialabhandlung untergebracht werden sollte; Anklänge an Platon, die Stoa und Cicero sind zahlreich. Dabei kommt es zu Weitschweifigkeiten, Wiederholungen und gesuchten Bezugnahmen auf den voraufgegangenen Text; bezeichnend dafür sind die eigentlichen Nahtstellen, an denen der Exkurs in das auseinandergesprengte Kapitel über den Reiseverkehr durch künstliche Überbrückungen, wie: «Diese und ähnliche Ansichten haben die Utopier aus ihrer Erziehung gewonnen», oder am Ende ganz unvermittelt: «Wer zur Besichtigung des Landes dorthin kommt, wird mit offenen Armen aufgenommen», fast gewaltsam eingefügt wird.
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So läßt sich selbst der geschulte und feinsinnige Humanist von seiner Begeisterung für den Inhalt zur Vernachlässigung der Form verleiten; freilich schlägt ihm deutlich das Gewissen, denn in dem Briefe an seinen Freund Petrus Ägidius, der dem Gesamtwerk vorangestellt ist, entschuldigt er sich ja ausdrücklich bei seinem Leser mit Zeitmangel und Überbeanspruchung.
Im übrigen ist dieser Einleitungsbrief wie auch die nachträgliche Motivierung der ganzen Erzählung <von der besten Staatsverfassung> in einem vorangeschickten ersten Buche für den Plan des ganzen Werkes ebenso aufschlußreich wie für die tieferen Absichten des Verfassers. Daß das erste Buch später abgefaßt ist als das zweite, bedarf kaum eines Beweises, ebenso daß es eine Begründung der Abfassung des zweiten, gewissermaßen die <Legende>, die Unterschrift unter das Bild vom Idealstaate, darstellt. Im Gegensatz zu diesem aber ist es keine indirekte, sondern eine sehr direkte Kritik herrschender, wenn auch aus naheliegenden Gründen in die Zeiten Heinrichs VII. zurückverlegter Zustände, deutlich greifbar in dem Angriff auf die grausame englische Strafrechtspflege gegenüber Dieben und Räubern, der im zweiten Buch seine Entsprechung hat.
Genauso wie hier die Probleme als im Grunde soziale von allen nur möglichen Gesichtspunkten aus, vor allem jedoch vom wirtschaftlichen her betrachtet werden, so wird die sie umschließende, stark persönlich gefärbte Frage, ob ein Philosoph Staatsmann werden solle, durch zeitgeschichtliche Anspielungen aktualisiert und mit diplomatischer Gewandtheit, indem als Beispiel Frankreich, das feindliche Ausland, angeführt wird, zu einem <Fürstenspiegel> für den jungen König Heinrich VIII. erweitert.
So ist das Bild des ersten Buches der <Utopia> formal leicht zu überschauen: dem erzählenden Rahmen von der Gesandtschaft nach Flandern und der Begegnung mit dem Kronzeugen Utopiens, Raphael Hythlodeus, folgt die Aufforderung des Petrus Ägidius an diesen, sein Wissen in den Dienst der Könige zu stellen, deren Beantwortung die Sozialkritik einschließt, um zu dem äußeren Rahmen, den drei Freunden auf der Rasenbank, zurückzuführen.
Inhaltlich aber findet es seine Entsprechung im zweiten Buch in den beiden Hauptmerkmalen der Verfassung von Utopia: der philosophischen) Leitung des Staates und der sozialen, ja kommunistischen Gesellschaftsordnung und Lebenshaltung seiner Bürger.
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9 Der Mythos vom goldenen Zeitalter
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Den entscheidenden Gehalt gibt der Darstellung aller drei Utopien die visionäre Kraft ihrer Verfasser. Die Staatsphilosophie ist ihrem Wesen nach auf die schöpferische Entwicklung von Werten angewiesen. Und als Ersatz für die fehlende Erfahrung lieferte die spekulative Geschichtsphilosophie der rationellen Theorie seit Platon und Augustinus die teils mythologische, teils rein begriffliche Konstruktion eines Ur- oder Naturzustandes der Menschheit. Dabei setzte jedoch jede derartige Theorie <menschlich> und <vernünftig> gleich, ein Irrtum, der sogar noch bei Fichte begegnet und erst von Hegel überwunden wurde.
Keine Zeit aber mußte dem schönen Wahn von der angeblichen Konstanz der Vernunft leichter verfallen als die Renaissance. Ihre Vorstellungen vom Naturzustand der Menschheit und von dem in ihm und für ihn geltenden Gesetze, der lex naturalis, mögen noch so verschiedenartig sein: in der Feststellung der vernunftbedingten Sonderstellung des Menschen sind sie sich alle einig.
Dichter und Philosophen aller Zeiten haben die erfahrungsgesetzliche Berechtigung ihrer Theorien und Vorstellungen, ihrer Bilder und Träume von einer schöneren Zukunft des menschlichen Geschlechtes seit dem frühesten Altertum aus der allgemeinen Überlieferung und der darauf gegründeten Wahrscheinlichkeit eines längst vergangenen <goldenen> Zeitalters, wie es etwa Ovid preist, gezogen, dem das waffenklirrende, also zwieträchtige <eiserne> folgte; ob nun die Kunde davon auf irgendwelchen unklaren Erinnerungen an klimatische Optima und verhältnismäßig friedliche Zeitläufe, in denen jedes Land die noch geringe Anzahl seiner Leute ernähren konnte, oder auf mythischen Verherrlichungen der Vergangenheit beruht, ob sie der Geschwätzigkeit des Alters, das nur seine Verdienste preist und seine Niederlagen verschweigt, oder dem allgemein menschlichen Mißtrauen gegenüber dem, was nachkommt, der Traditionsgebundenheit als der «Trägheitskraft der Geschichte» (Engels) entspricht — eines ist klar: sie ist der Ausdruck der dumpfen Ahnung, daß auch der Mensch einmal in einer tierischen oder göttlichen Übereinstimmung mit seiner Umgebung gelebt haben und daß dies die <gute alte Zeit> gewesen sein muß.
Diese Übereinstimmung kann nun aber einerseits in der paradiesischen Unschuld, dem wahren Frieden, der ursprünglichen glückhaften Einheit aller späteren Gegensätze gesehen werden — und das ist die optimistische Ansicht —, andererseits in dem naturgesetzlichen Zustande des Krieges aller gegen alle, in dem, eben wie in dem Reiche der gesamten außermenschlichen Natur, die Macht des Stärkeren triumphiert — und das ist der pessimistische Standpunkt. Und dabei ist es noch nicht einmal klar, welcher von beiden Ursprünglichkeiten das Attribut des Göttlichen, das doch zweifellos auch Macht und Kraft, Kampf und Herrschaft bedeutet, welcher das des Tierischen, das doch auch unschuldig friedliche Entwicklung ausdrückt, zuzuschreiben ist.
Der Optimismus nun, da ja gerade er ohne einen Gegenstand der Erfahrung übermenschlich genannt zu werden verdiente, betrachtet den gedachten Urzustand als das goldene Zeitalter, das durch die Schuld des Menschen: die Unvernunft oder die Erbsünde, die Schuld des Daseins oder die Erkenntnis, von dem eisernen abgelöst wurde. Jenes goldene wieder auf Erden herzustellen, ist die große, heilige und unabdingbare Pflicht, die Daseinsaufgabe des vernünftigen Menschen, der die Kräfte seines Geistes dafür einzusetzen hat, das — wie es Fichte später nannte — Zeitalter «der vollendeten Rechtfertigung und Heiligung» heraufzuführen.
Diese Ideen beseelten, wenn auch nicht immer in letzter Klarheit, verbunden mit astrologischen Phantasien und chiliastischen Wahnvorstellungen, bereits Campanella, ja, sie lagen recht eigentlich seinem ganzen auf Weltverbesserung gerichteten Sinnen und Trachten zugrunde.
Und man darf dabei, wie gesagt, eines nicht übersehen: daß nämlich für eine aufbauende, in die Zukunft weisende Theorie der Optimismus seiner Anschauung mindestens genausoviel, eher aber noch weit mehr an visionärer Kraft bedurfte als der Pessimismus der Aufklärungsphilosophie etwa bei Thomas Hobbes; es ist jedoch von höchstem Reiz, zu beobachten, wie beide, im Grunde genommen, streng demokratischen Staatslehren zuletzt zu der Forderung nach einem mit diktatorischer Gewalt ausgestatteten Staatsoberhaupt gelangen, nachdem sie von jedem Staatsbürger verlangt haben, daß er seinen Einzelwillen dem Gesamtwillen der staatlichen Gemeinschaft bedingungslos unterstellen, ja womöglich ganz aufopfern müsse. Das ist der Zwang der Freiheit, die von ihren erbittertsten Gegnern ein Höchstmaß von Freiheitswillen verlangt. Denn die Annahme einer allgemein waltenden Vernunft setzt eben nun einmal den erkennenden und handelnden Geist des Einzelmenschen und damit aber auch die Notwendigkeit der persönlichen Freiheit und den leidenschaftlichen Drang nach ihr voraus. Es muß also mindestens einer übrigbleiben, der frei erkennt und frei handelt.
10 Der platonische Staat
Platon hat in seinem <Staat> die Folgerung aus der richtigen Erkenntnis der Tatsache, daß die Menschen weder insgesamt Götter noch insgesamt Tiere sind und daß auch die Vernunft, wenn sie überhaupt schon vorhanden ist, höchst ungleich unter ihnen verteilt ist, gezogen, indem er in einer ebenso merkwürdigen wie naheliegenden und einleuchtenden Analogie mit der «Dreigliederung der Seelenfunktionen» (Stein) des Einzelmenschen sein Staatswesen in die drei Stände der Herrscher (Geist), der Wächter (Mut) und der
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Arbeiter (Begierde) teilte; so sind Haupt, Brust und Unterleib der <Staatsperson> unterschieden. Insofern er hier de iure undemokratisch ist, beruht seine Anschauung wie jede echte Theorie de facto auf einer wirklichen Erfahrung. Und wenn sein <Staat> trotzdem eine kommunistische Utopie genannt werden muß, mindestens soweit er das Gemeinwesen der Wächter betrifft, «weil ihm die historisch-psychologische Denkart damals noch fern lag» und weil «er nicht nur ein Wissender war, sondern ein Fordernder» (Spranger), so ist das Buch doch immerhin eine «Staatspädagogik» (Stein) und die weniger radikale Fassung der <Gesetze> sicher eine soziale Theorie, also eine philosophia civilior im Sinne Mores.
Diese «weltläufigere», dem wirklichen Leben und den Eigenschaften der Menschen angepaßte, also «praktische» Philosophie muß zunächst einmal von der Schein-Erfahrung des goldenen Zeitalters absehen, das schon deshalb nicht zur Grundlage einer Staatstheorie gemacht werden kann, weil keine Entwicklungsstufe des Menschen alle Möglichkeiten der früheren umfaßt, sondern mit dem Gewinn einer neuen jeweils ein Teil der alten aufgegeben wird, und dies noch nicht einmal von allen Menschen gleichzeitig.
Der Perfektionismus, der mit der «Spiraltendenz der Dialektik» bewiesen werden soll, erweist sich hier einmal mehr als «arithmetischer Irrtum».
Ferner wird eine «praktische» Philosophie, um dem Menschen als Subjekt und Objekt des Staates gerecht werden zu können, auf die Ergebnisse der Psychologie nicht verzichten dürfen, deren Grenzsituation haargenau der des Menschen selbst entspricht und die, zumal in den modernen Disziplinen der Struktur- und Typenpsychologie, den Beweis erbracht hat, daß Wissen und Handeln zweierlei Geschäft ist und daß die tieferen Beweggründe des Weltgeschehens letztlich doch (noch) im Irrationalen liegen.
Nur der psychologisch erforschte Naturzustand der jeweiligen geschichtlichen Gegenwart kann eine empirische Grundlage für eine brauchbare Staatstheorie liefern. Das hat, wie oben angedeutet, bereits Piaton erkannt, indem er in seinen <Gesetzen> eben jenen zum Rechtszustand zu erheben trachtete und nur den Wissenden zur Herrschaft bestimmte; denn die von einem Idealzustand, wie ihn der <Staat> schilderte, verlangten Eigenschaften waren ja bei den Menschen seiner Zeit auch nicht zu finden, sondern höchstens bei den Bewohnern der sagenhaften Atlantis des <Kritias>.
Vielleicht erweist sich schon damit der Glaube, daß der Staat überhaupt jemals etwas anderes war oder ist als «ein Herrschaftsverhältnis» und die Freiheit jemals in etwas anderem bestand oder bestehen kann als «in dem Anteil an dieser Herrschaft» (Dilthey), als ein bloßer, wenn auch schöner Wahn. Jedenfalls ist damit zugleich auch gesagt, daß, wie jeder einzelne schließlich nur das werden kann, was als naturgegebenes Formprinzip (Entelechie) in ihm steckt, auch aus einem Volke jeweils nur der Staat gebildet werden kann, zu dem es sich eignet. Sowenig aber der einzelne das «Gesetz, wonach er angetreten» (Goethe) kennt und wie er nur durch die Selbsterkenntnis eine Ahnung davon gewinnen kann, so wenig, ja noch weniger weiß der Staat (oder der Staatsmann) ursprünglich von den Formgesetzen der Gemeinschaft.
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11 Die Anpassung der Utopie an die Zeitverhältnisse
Nicht nur die Geschichte aller Völker und Zeiten, sondern in ganz besonders aufschlußreicher Weise die lebendige Gegenwart bietet Beweise genug für die alte Behauptung, daß man aus keinem Ding etwas machen könne, was nicht schon in ihm steckt, und darüber hinaus dafür, daß selbst die radikalste Theorie, ohne deshalb zur leeren Ideologie herabsinken zu müssen, sich jeweils den gegebenen Verhältnissen anpaßt.
Hermann Oncken hat das in seiner Analyse von Mores <Utopia> so formuliert, daß er die Umbildung des ursprünglichen Entwurfs «als das unbewußte Reagieren englischer Mentalität gegen allgemein gerichtetes Denken» bezeichnet. «Dieser Denker», so sagt er, «der sich für eine Philosophie entschied, quae novit suam scaenam, und die Wirklichkeit zugrunde zu legen suchte, dieser Denker, der auszog, um ein Idealbild der Gesellschaft nach dem Muster Piatos zu zeichnen, schrieb dann doch ein Buch, das gerade nach englischem Urteil <wundervoll englisch> ist — ebensosehr wie der <Principe> echt italienisch.»
Und so könnte man auch gerade im Hinblick auf den dialektischen Materialismus Karl Marx's, für den «das Ideelle nichts anderes als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle» ist, darauf hinweisen, daß es, genaugenommen, gar keinen Kommunismus an sich, sondern lediglich einen russischen oder noch genauer einen bolschewistischen Kommunismus gibt, andererseits aber auch keine Demokratie als solche, sondern nur eine englische, eine amerikanische, eine französische und — eine deutsche.
Das hängt selbstverständlich mit dem Auseinandergehen von Theorie und Praxis überhaupt eng zusammen, und da der Staat selbst ja immer eine Erscheinungsform der sozialen Wirklichkeit ist, müßte sich jede Staatstheorie mit dem zwar begrenzten, aber immerhin doch außerordentlich fruchtbaren Felde einer platten <Verhältnismäßigkeit>, also des Relativismus begnügen, wenn sich nicht auch und gerade für das Gemeinschaftsleben allgemeine Werte auffinden ließen, die die jeweilige Richtung der Forderung an die Menschheit bestimmten. Von ihnen wird noch die Rede sein müssen.
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Zunächst sei nur darauf hingewiesen, daß die angeborene Möglichkeit genauso wie für den Einzelnen, so auch für die Gemeinschaft eine Aufgabe und Verpflichtung ist. Sie ist das wahre Naturgesetz, das zum geltenden Recht, das eben «kein einfaches, sondern ein sehr zusammengesetztes geistiges Phänomen» (Spranger) ist, gemacht werden muß. Und der so gewonnene oder noch zu gewinnende Rechtszustand erst kann Gegenstand einer Theorie werden, die also nicht wie eine Utopie einfach in die Luft gebaut werden darf.
Insoweit sie, wie das mehr oder weniger immer der Fall ist und sein wird, reformatorischen Charakter trägt, muß sie also die zugrundeliegenden Ursachen der Nicht-Übereinstimmung mit ihrem Ideal oder aber auch nur mit den berechtigten Forderungen des Einzelnen und der Gemeinschaft aufzudecken suchen. Und zweifellos sind auch diese sehr häufig, da es sich ja um Menschen handelt, auf psychologischem Gebiet zu suchen, weil es tatsächlich auf der Hand liegt, daß oft «ein großer Teil des Volkes neurotischen Störungen unterworfen ist» (Alexander), die Abweichungen von der normalen Linie der Entwicklung und des Zusammenlebens überhaupt hervorrufen.
Dieser Tatsache trägt schon der Entwurf für die <Ordnung> des Landes <Wolfaria> Rechnung, den der reformationsbegeisterte Franziskaner Johann Eberlin von Günzburg in seinem elften <Bundsgenoß>, einer reformatorischen Flugschrift des Jahres 1521, vorlegt, wo es, übrigens echt demokratisch, heißt: «Jetliche vogty soll ir selbs aigne recht, die in nutz sind, ordnen vnd sölich recht sollen ir bestätigung nemen von allem volck der vogty, so man sy vorhin darum personlich erfragt hat.»
Weit bewußter und systematischer aber sind die Voraussetzungen, von denen Thomas More die Wirklichkeit seines Staatsideals abhängig macht. Die Insel Utopia wird ausdrücklich aus den geschichtlichen und politischen Zusammenhängen «herausgelöst» (Oncken). An der Spitze ihrer grundsätzlich ackerbautreibenden Bewohner aber, deren ganzes Leben rationalisiert und auf das «Glück» in Form «vernünftigen Genusses und geistiger Entfaltung, unter möglichster Befreiung von körperlicher Fron» ausgerichtet ist, steht der wahre Philosoph, «der folgerichtig in diesem Staate alle traditionellen und unproduktiven Herrschaftsgruppen abgelöst hat».
Man wird immer wieder mit einem gewissen Staunen feststellen müssen, daß die Utopie selbst in der Negierung keineswegs etwa eine Vogel-Strauß-Politik betreibt, ebensowenig aber umgekehrt das Bild eines Wolkenkuckucksheims entwirft, sondern mit Realitäten, die als solche natürlich historisch begründet sind, arbeitet und Forderungen aufstellt, die <vernünftigerweise> müßten erfüllt werden können.
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12 Der intellektualistische Radikalismus
So finden sich in dem Bilde des Sonnenstaates bezeichnenderweise gänzlich unplatonische, also <demokratische> Ansätze zu einer in Wahrheit organischen Staatsauffassung, die bei Campanella eben auf den Grundgedanken der totalen Einheit von Macht, Liebe und Weisheit zurückgehen. Dieser Gedanke steht in diametralem Gegensatz zu dem «mittelalterlich-modernen Januskopf» (Meinecke) Campanellas, der die «Idee eines wirklichen Gemeinschaftsstaates der Idee des Machtstaates entgegenstellt», der die absolute Gewalt über Leib und Seele der Untergebenen mit der Vernunft, dem senno senza forza verbindet.
Und dennoch ist gerade er es, der allen Schriften, also dem gesamten Denken und Philosophieren Campanellas zugrundeliegt und der sich, wenigstens andeutungsweise, ja auch in der Institution des Hauses Salomons von Neu-Atlantis erkennen läßt. Daß er ausgesprochen intellektualistisch ist, wurde bereits erwähnt; daß «der Intellektualist... politisch immer zum Radikalismus» neigt, «weil er bloße Denkbestimmungen allgemeiner Art sogleich der Wirklichkeit und ihrem vielverschlungenen Leben unterschiebt», kann man mit Spranger ergänzend hinzufügen. Aber man darf nicht übersehen, daß der Radikalismus bei Campanella eben auf Grund des Einheitsgedankens tatsächlich eine theoretische Berechtigung gewinnt.
Es kann nach allem bisher Gesagten nicht mehr überraschen, daß die Einheit, die sich im Sonnenstaat in der Person des Metaphysikus verkörpert, eine religiös-theokratische Färbung zeigt. Es ist also die Form der Theokratie, auf die, wie in den anderen politischen Schriften Campanellas, besonders aber in der über die <Spanische Monarchie), die Verfassung des Sonnenstaates hinausläuft, eine Art des Reiches Gottes auf Erden also, wie schon der an die <Civitas Dei> des heiligen Augustinus anklingende Titel vermuten läßt, freilich unter auffallender Veränderung der jüdisch-christlichen und erst recht der augustinischen Grundgedanken.
Denn, abgesehen von dem heidnisch-astrologischen Aufbau der kultischen und allgemein religiösen Einrichtungen der Sonnenstadt, ist es wahrhaftig kein Ausdruck von echter, geschweige denn von christlicher Liebe, wenn sogar die heiligen Bande der Familie gesprengt werden, kein Zeichen von wahrer oder gar christlicher Weisheit, wenn der Gang der Gestirne letztlich für entscheidender gehalten wird als die Gnade Gottes oder die vernünftige Entscheidung des Menschen, und erst recht kein Zeugnis von wahrer oder auch nur christlicher Freiheit, wenn die Behörden nicht nur Ort und Stunde, sondern sogar die Partner der Zeugung bestimmen.
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Gerade hier geht die (theoretische) Unterdrückung der individuellen Selbstbestimmung, wahrscheinlich infolge einer haftbedingten Sexualpsychose des leidenschaftlichen Mönches, über die Grenzen des Erträglichen hinaus, insbesondere mit der Bestimmung, daß in dem seltenen Falle einer selbständigen Wahl oder aber individueller Liebe der weibliche Teil entweder bereits schwanger oder unfruchtbar sein müsse.
In diesen Dingen zeigt sich der welterfahrene Thomas Morus doch weit humaner, sowohl wenn er den Ehebruch verurteilt und das freie Zusammenleben von Mann und Frau verpönt, als auch ganz besonders wenn er die eheliche Liebe und Treue preist und zu ihrer Stärkung und Sicherung jenen der Entdeckung des nackten Körpers in der Kunst der Renaissance so verwandten Brauch der Utopier bei der Gattenwahl ernsthaft empfiehlt, demzufolge das Mädchen dem Freier, dieser der Braut vor der endgültigen Bindung nackend vorgestellt wird, eine Sitte, die Francis Bacon in der <Neu-Atlantis> ausdrücklich ablehnen zu müssen glaubt. Aber immerhin bleiben solche Vorschläge noch «auf dem Boden der christlichen Ethik» (Oncken), dienen der Festigung der Monogamie und der Familie als «der eigentlichen Trägerin der privatwirtschaftlichen Instinkte der Menschen», wenn sie auch, gerade durch ihre Ernsthaftigkeit, lächerlich wirken mögen.
Mit der theokratischen Einrichtung der obersten Behörden jedoch, wie mit dem «besonderen Monismus» (Voigt) der Gleichsetzung von Wirtschaft und Wissenschaft, von Kunst und Religion, von Sexus und Ratio hatte Campanella in der Tat «den Saint-Simonismus vorbereitet» (Reybaud) und lehrte wahrhaftig, besonders auch in seiner <Monarchia Messiae> (1605) das «Princip der Hierarchie der Capacitäten» (Sudre).
Indessen würde eine genaue Zerlegung der Herrschaftselemente des Sonnenstaates ergeben, daß sich die Obliegenheiten der drei Minister <Macht>, <Weisheit> und <Liebe> ebensogut auf die platonische Dreiteilung des Staates in Kopf, Brust und Bauch wie auf die freilich unausgesprochene Gliederung der einzel- und gesamtmenschlichen <Natur> in sozial-religiöse, politisch-ökonomische und theoretisch-ästhetische Sinnrichtungen zurückführen lassen.
13 Sozialtrieb, Freiheitsdrang und Diktatur
Der soziale Trieb ist genauso tief wie der politische im Menschen verwurzelt; wie jener dem Optimismus, so bietet dieser dem Pessimismus bei der Betrachtung des ursprünglichen Naturzustandes den Ansatz- und Ausgangspunkt. Mutterliebe und Herdentrieb, Herrschgier und Machtwille sind ihr äußerer Ausdruck.
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Ihre jeweilige Bevorzugung hängt vielleicht auch mit dem ursprünglichen Vorherrschen des Matriarchats, dessen Auswirkungen in den südlichen Ländern des jungsteinzeitlichen <westischen> Kulturkreises und besonders in Italien heute noch deutlich spürbar sind, oder des Patriarchats in den nördlichen Ländern zusammen. Spuren davon sind jedenfalls deutlich bei More und ebenso, trotz des Fehlens der politisch-sozialen Teile der <Neu-Atlantis>, bei Bacon zu erkennen, während Campanella offensichtlich zunächst und zuerst von sozial-kommunistischem Empfinden geleitet wird. «Die rein soziale Geistesart» aber «treibt immer zum Kommunismus» (Spranger) als politischer Lebensform.
Da es aber auch «einen Kommunismus der Begehrlichkeit oder des Machtwillens oder des theoretischen Radikalismus» (Spranger) gibt, wird der <Sonnenstaat> in etwa vor der Einseitigkeit der Utopie bewahrt; er übernimmt, wie sich bereits zeigte, aus dem Denkbezirk seines geistigen Widerspiels Machiavelli die Idee der Macht. Damit aber nähert er sich theoretisch dem organischen Rechtszustand, insofern dieser einem «Regelwillen» entspringt, zu dem «1. die überindividuelle Anerkennung dieses Willens als eines die Machtansprüche des Einzelnen bindenden, und 2. der Inhalt dieses bisher rein formal gefaßten Rechts, nämlich eine aus einem bestimmten Grade sozialer Gesinnung hervorgehende Verteilung der Rechtsansprüche und Rechtspflichten» (Spranger) treten. Und daraus ist der allgemeine Schluß zu ziehen, daß sich auch der lauterste Kommunismus sozialer oder theoretischer Prägung bei der Entwicklung eines staatlichen Gemeinwesens nicht der Erkenntnis entziehen kann, daß die Machtseite «des Lebens in der organisierten Kollektivmacht des Staates» (Spranger) von ausschlaggebender Bedeutung ist.
Diese Tatsache drückt sich in der Gestalt des Metaphysikus, dieses «geistigen Ungeheuers» (Mohl), in dem man noch deutlich die Züge des Stauferkaisers Friedrich II., des «Verwandlers der Welt», des «Wunders» an Wissen und Macht in seiner Zeit, zu erkennen glaubt, genauso deutlich aus wie in den Syphogranten und Traniboren Mores oder in der doch nur scheinbar anonymen Gewalt der Väter des Hauses Salomons, wobei lediglich der Ausgangspunkt — für Bacon die (patriarchalische) Freiheit des Wollens und Handelns, für More die (humanistische) Unabhängigkeit des Intellekts, für Campanella die (matriarchalische) Liebe zur Gemeinschaft — verschieden ist. In jedem Falle nämlich muß jemand da sein, der die Macht trägt und anwendet.
Daß dieser <Sol> oder <Princeps> für seine Person aus Selbstzucht, Einsicht oder väterlicher Liebe — wie der <gute Herrscher> Ciceros — oder aber aus der Fülle der Macht, von der er gesättigt ist, selbst auf ihre zweckwidrige oder gar selbstsüchtige Anwendung verzichten wird oder kann, mag immerhin zugestanden werden; daß er jedoch das gleiche Recht allen anderen versagt oder, wie Campanella es wünscht, erst überhaupt nicht zum Bewußtsein kommen lassen will, ist in letzter Konsequenz machtpolitisch und weder kommunistisch noch sozial. Hier also liegt der alte, offenbar nicht zu umgehende Zwiespalt der menschlichen Natur offen zutage. Entweder gibt es eine menschliche Freiheit — dann müssen alle daran Anteil haben; oder es gibt keine — dann hat auch keiner ein Recht auf sie.
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14 Der metaphysische Begriff der Einheit
Der Einheitlichkeit des (theoretischen) Gesichtspunktes liegt jedoch nicht nur der Gedanke eines organischen Rechtszustandes als natürlicher oder künstlicher Folge eines ebensolchen Naturzustandes zugrunde, sondern — wenigstens in aller Deutlichkeit bei Campanella — der metaphysische Begriff der Einheit selbst, wie ihn Aristoteles im Gegensatz zum platonischen Dualismus formal begründet hat.
Das «Ziel alles menschlichen Geschehens kann daher nur sein: Verwirklichung des göttlichen Gedankens in der Welt durch Ausscheidung alles Zufälligen und Irrationalen und Rückkehr in jenes reine göttliche Sein, von dem die paradiesischen Anfänge der Welt erfüllt waren...: damit ist zunächst die Kategorie der Einheit als Ziel alles menschlichen Geschehens erwiesen» (Doren).
Es ist das <Ein und Alles> ( xxxxxx ) der griechischen Philosophie, des Xenophanes von Kolophon wie des Plotinos, in der christlichen Interpretation des Neuplatonismus, die Einheit und Gemeinsamkeit der überfließenden Gottheit, die in allem Geschaffenen enthalten ist wie der Zeugende in dem Gezeugten.
Diese Einheit tut sich daher auch am offenbarsten in jenem Grundtrieb der Selbsterhaltung alles Lebens kund, in dem, ob unter dem Namen der superbia (More), des amor proprius (Campanella), des amour de soi (Rousseau) oder welchem auch immer, schließlich doch das bewegende Moment der Welt überhaupt zu sehen ist. Sein <Grund> wird auf der Tafel der Werte einen besonderen Platz einnehmen müssen.
Der Lebenswille der Kreatur, in dem sich der Selbsterhaltungstrieb ständig dartut, «ist das allgemeine und höchste Gut. Dieses Gut kann der Mensch nicht für sich allein erreichen; durch seine Bedürftigkeit ist er auf andere angewiesen; Vereinigung mit anderen ist also ein natürliches Gesetz für den Menschen, und er will sie von Natur, weil sie ein Gut ist» (Sigwart).
Daher bezeichnet schon Cicero als die «erste Ursache der Vereinigung einen gewissen natürlichen Geselligkeitstrieb der Menschen» (naturalis quaedam hominum quasi congregatio), und später lehrte Thomas von Aquino, gleichfalls im Anschluß an Aristoteles:
«Da der Mensch von Natur aus ein geselliges Wesen ist, bedarf er zur Verfolgung seines eigenen Zweckes der Hilfe der anderen Menschen.»
Es hängt demzufolge nur von dem jeweiligen Gesichtspunkt ab, ob man das irdische Heil in der Verneinung jenes Geselligkeitstriebes und einer völligen Loslösung von der Gemeinschaft sucht oder aber von einer totalen Bindung an diese erwartet.
Der Sozialismus — wie man seit Reybaud die Lehre von der «ökonomischen Gleichheit» (Stein) nennt — hat sich, sofern er nicht nur «von der Gesamtheit, der Masse, ausgeht», sondern «die Seele der Masse an die Stelle der Seele des Einzelnen» (Baudin) setzt, für die zweite Möglichkeit entschieden.
Er sieht damit im Sinne Mores und vor allem Campanellas in der Gemeinschaft die einzige Möglichkeit für den Menschen, das Leben zu bestehen, also <glücklich> zu sein.
Es erhebt sich nur immer wieder die leidige Frage, bis zu welchem Grade von Bewußtsein man dem Menschen zumuten darf, mit diesem «Glück der Mücke» (Rilke) zufrieden zu sein, das dem Begriff der metaphysischen Einheit entspricht.
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en.wikipedia Marie_Roch_Louis_Reybaud *1799 in Marseille
wikipedia Lorenz_von_Stein *1815 in Norddeutschland