Vorwort 1958 von J. Kogan
Aus dem Russischen übersetzt von Dieter Pommerenke
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Die atheistischen Werke Holbachs, eines der bedeutendsten materialistischen Aufklärer des 18. Jahrhunderts in Frankreich, zählen zu dem Besten, was der Atheismus der Vergangenheit hervorgebracht hat. Obwohl sie vor fast zweihundert Jahren verfaßt wurden, gehören sie doch nicht zu jenen philosophischen Literaturdenkmälern, die heute nur noch einen engen Kreis von Spezialisten interessieren.
Ungeachtet dessen, daß die wissenschaftliche Religionskritik seit jener Zeit erhebliche Fortschritte gemacht hat, können diese Werke, die von leidenschaftlichem Haß gegen den Aberglauben erfüllt sind, auch in unserer Zeit erfolgreich jener edlen Aufgabe dienen, der ihr Autor sein außergewöhnliches Talent weihte — der Befreiung des menschlichen Bewußtseins von den morbiden religiösen Ideen.
Bekanntlich wurden die Werke der französischen Atheisten des 18. Jahrhunderts, insbesondere die kämpferischen antireligiösen Pamphlete Holbachs, von den Begründern des Marxismus-Leninismus als Mittel zur atheistischen Aufklärung der Werktätigen hoch geschätzt. Friedrich Engels hielt es für notwendig,
»dafür zu sorgen, daß die prachtvolle französische materialistische Literatur des vorigen Jahrhunderts massenhaft unter den Arbeitern verbreitet würde, jene Literatur, in der der französische Geist nach Form und Inhalt bisher sein Höchstes geleistet hat, und die - den damaligen Stand der Wissenschaft berücksichtigt - dem Inhalt nach auch heute noch unendlich hoch steht und der Form nach nie wieder erreicht worden ist«.
Friedrich Engels, »Flüchtlingsliteratur«, in: »Der Volksstaat«, Organ der SDAP und der internationalen Gewerksgenossenschaften, Leipzig, Nr.73, 26.06.1874
Wir wissen, mit welcher Eindringlichkeit W. Lenin in den ersten Jahren der Sowjetmacht darauf hinwies, daß Engels' Rat, »die polemische atheistische Literatur vom Ende des 18. Jahrhunderts zur Massenverbreitung unter dem Volk zu übersetzen«,* in Vergessenheit geraten sei.
»Die streitlustige, lebendige, talentvolle, geistreich und offen das herrschende Pfaffentum attackierende Publizistik der alten Atheisten des 18. Jahrhunderts«** ist, wie Lenin zeigte, noch von nicht geringem Nutzen im geistigen Kampf für die vollständige Befreiung der Werktätigen vom Einfluß religiöser Vorurteile.
* W. I. Lenin, »Marx-Engels-Marxismus«, Dietz Verlag, Berlin 1957, S. 523.
** Ebenda, S. 524.Es ist anzunehmen, daß Lenin hier in erster Linie die atheistische Publizistik Holbachs im Auge hatte, der speziell und mehr als alle anderen Enzyklopädisten auf diesem Gebiet wirkte.
Was aber lenkt unsere Aufmerksamkeit besonders auf diese Publizistik?
Welches sind ihre Stärken und welches ihre Mängel?
Was bedingte ihren wahrhaft kämpferischen und kompromißlosen Charakter?
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Die von den Enzyklopädisten geschaffene bedeutende atheistische Literatur spiegelt die äußerste Zuspitzung der sozialen Gegensätze im Frankreich jener Zeit wider, die ihren Höhepunkt in dem revolutionären Sturm auf die feudalen Bastionen gegen Ende des 18. Jahrhunderts fanden.
Im Laufe des Jahrhunderts wurde im gleichen Maße, wie im Schoße, der feudalen Gesellschaftsordnung Frankreichs die kapitalistische Produktionsweise heranreifte, die Kluft zwischen den Produktivkräften und den herrschenden, aber bereits überlebten alten Produktionsverhältnissen immer größer. Für die Aufrechterhaltung dieser Verhältnisse kämpften mit der Verbissenheit Todgeweihter die privilegierten Schichten — der Adel und die Geistlichkeit —, die sich auf die königliche Macht stützten und, obwohl sie zahlenmäßig schwach waren, alle Rechte und die politische Macht in ihren Händen hatten und am Körper des Volkes schmarotzten.
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Obwohl das Zunftwesen vorherrschte, beschritt die französische Industrie im 18. Jahrhundert den kapitalistischen Weg und wurde nach den Worten von Karl Marx »Muster der eigentlichen Manufaktur«*. Die Zahl der Betriebe mit Manufakturcharakter erreichte im vorrevolutionären Frankreich 600 und die Zahl der Lohnarbeiter 600.000, das waren mehr als zwei Prozent der Gesamtbevölkerung.
Einer weitgehenden Verwirklichung der zahlreichen Möglichkeiten für die Bourgeoisie, sich zu bereichern, stand das ganze System der feudalen Verhältnisse, die Industrie und Handel enge Fesseln anlegten, hemmend im Wege. Nachdem die französische Bourgeoisie sich ihrer Stärke bewußt geworden war und ihre wirtschaftliche Position gefestigt hatte, empfand sie ihre politische Rechtlosigkeit besonders deutlich.
Die Bourgeoisie, die Trägerin der damals fortschrittlichsten Produktionsweise, stand im Frankreich des 18. Jahrhunderts an der Spitze des Kampfes gegen die Feudalordnung und vermochte die durch Adel und Geistlichkeit unterdrückten werktätigen Massen um sich zu scharen. Mit Hilfe dieser Massen wurde dann auch die Revolution durchgeführt, nur daß sie, ihre eigentlichen Schöpfer, nicht die Früchte ernteten. Der Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital zeigte sich bereits, er trat jedoch hinter dem Hauptwiderspruch jener Zeit zurück — dem Widerspruch zwischen Aristokratie und hoher Geistlichkeit einerseits und dem »tiers etat«**, der sowohl die Bourgeoisie und die Handwerker als auch die im Entstehen begriffene Arbeiterklasse und die nach Millionen zählende Bauernschaft umfaßte, andrerseits.
* Karl Marx, »Das Kapital«, Dietz Verlag, Berlin 1953, Bd. 1, S. 399.
** Der dritte Stand.
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Der Kampf gegen den gemeinsamen Feind - den Adel - vereinigte diese ihren Besitzverhältnissen nach so verschiedenen Schichten der französischen Gesellschaft bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem Lager. Die zu jener Zeit revolutionäre Bourgeoisie unterzog die durch und durch verfaulte alte Gesellschaftsordnung durch den Mund ihrer radikalsten Ideologen, vor allem der Aufklärer um Holbach und Diderot, einer vernichtenden Kritik. Aus dieser Kritik sprachen die Wünsche und Hoffnungen der überwältigenden Mehrheit der Nation.
Der »tiers etat« war, wie wir gesehen haben, in sozialer Zusammensetzung nicht einheitlich. Einheitlich war nicht einmal die französische Bourgeoisie mit ihrer kleinen Schicht von Großbesitzern und der Masse von Angehörigen des Mittelstandes. Ebenso bildeten auch die französischen Aufklärer, die Ideologen des »tiers etat«, verschiedene Gruppen — von Voltaire und Montesquieu, die die Interessen der Großbourgeoisie verfochten, bis zu den Verkündern einer bäuerlichen Demokratie mit Jean Jacques Rousseau an der Spitze. Verschieden war ihr gesellschaftlich-politisches Programm, unterschiedlich war die Rolle, die ihre Lehren in der Revolution spielten; aber sie alle trugen auf die eine oder andere Weise zu deren ideologischer Vorbereitung bei, sie alle erglühten in heiligem Haß gegen die durch und durch verfaulte weltliche und geistliche Aristokratie, die das Land ins Verderben stürzte.
Das Bild des Lebens, das sich den Aufklärern darbot — eines Lebens mit schreienden sozialen Gegensätzen, mit der Grausamkeit der Machthaber, mit den sinnlosen Überresten des Mittelalters —, war voller Widersprüche, und dieses Bild wurde fortwährend, bald hier, bald dort, durch elementares Auflodern des Volkszorns, das den unvermeidlichen Zusammenbruch des Ancien regime* noch beschleunigte, erhellt.
* Die vorrevolutionäre, bourbonische Herrschaft.
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Die beiden privilegierten Schichten im vorrevolutionären Frankreich — der Adel und die Geistlichkeit — stellten nur einen winzigen Teil (lediglich ein Hundertstel!) seiner 25-Millionen-Bevölkerung dar; doch ihnen gehörten etwa zwei Drittel des gesamten Grund und Bodens. Die Großgrundbesitzer, der Hofadel, die Beamten- und Offiziersaristokratie sowie die kirchlichen Würdenträger aller Rangstufen schwelgten im Luxus, führten ein ausschweifendes Parasitenleben, plünderten das Volk und vor allem die Bauern aus -r- und zwar trieben sie es um so ärger, je mehr der Adel seine Vorrangstellung in der Wirtschaft des Landes einbüßte.
Die formell freie, doch in Wahrheit völlig rechtlose Bauernschaft, die zahllose Steuern und Abgaben — oft bis zu siebzig Prozent ihrer Erträge — entrichten und vom frühen Morgen bis zum späten Abend den Rücken krümmen mußte, stand am Rande des völligen Ruins. Es gibt unzählige Belege für den außergewöhnlichen Zynismus, mit dem die »blaublütigen« Herren bei der Befriedigung ihrer Launen vorgingen. So ist zum Beispiel bekannt, daß die Bauern gezwungen wurden, im Interesse ihrer Herren, die der Jagd frönten, überwiegend vom Wild bevorzugte Kulturen anzubauen. Ja, man ging sogar noch weiter. So wurden auf den Besitzungen des Prinzen Conde junge Wölfe aufgezogen und im Winter freigelassen, damit der Seigneur Treibjagden veranstalten konnte.
Häufige Mißernten stürzten die ausgebeuteten Volksmassen in tiefstes Elend. In Scharen zogen Bettler auf der Suche nach Nahrung durch das Land. Allein in Paris waren am Vorabend der Revolution von den 650.000 Einwohnern etwa 120.000 mittellose Menschen, die von Almosen lebten. In ganz Frankreich erreichte die Zahl der Bettler im Jahre 1777 die horrende Zahl von 1,2 Millionen — mit anderen Worten, auf zwanzig Landesbewohner kam ein Bettler. D.
I. Fonwisin, der Frankreich in jenen Jahren bereiste, schrieb, daß man dort buchstäblich auf Schritt und Tritt Bettlern begegne.
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Die zur Verzweiflung getriebenen französischen Bauern und die Armen in den Städten erhoben sich wiederholt gegen ihre Bedrücker. Das ganze 18. Jahrhundert hindurch hörten die spontanen Volkserhebungen nicht auf, brachen häufig Hungerrevolten aus; zeitweilig wurden große Gebiete von schrecklichen Hungersnöten heimgesucht. Die Erhebungen wurden mit Hilfe des Militärs so gründlich niedergeworfen, daß von manchen Dörfern nur noch ein rauchender Trümmerhaufen übrigblieb.
Die Ausbrüche des Volkszorns richteten sich nicht nur gegen die weltlichen, sondern auch gegen die geistlichen Feudalherren, denen die dicken Mauern ihrer Schlösser und Klöster und die Drohung mit »himmlischen Strafen« für jene, die es wagen sollten, die Hand wider die »gottgewollte Ordnung« zu erheben, immer weniger halfen. So wurden im Jahre 1752 in Rouen während der durch eine Verteuerung des Brotes verursachten Unruhen nicht nur die Häuser der Aristokraten, sondern auch die reichen Vorratsspeicher der Klöster gestürmt. Und das war keineswegs etwas Außergewöhnliches.
So nimmt es nicht wunder, wenn die Volksmassen in Frankreich (in der überwältigenden Mehrheit handelte es sich um gläubige Menschen) von einem tiefen Haß gegen die hochgestellten »Seelenhirten« erfüllt waren, die erhebliche irdische Güter zusammengerafft hatten. Diese Massen, vor allem die Bauernschaft, verspürten auf Schritt und Tritt das schwere Joch der katholischen Kirche, die im vorrevolutionären Frankreich ein festes Bollwerk des Königtums und der Aristokratie war. Der Kirche gehörte ein Fünftel des Grund und Bodens im Lande. Angehörige des Adels hatten die einträglichen Pfründen der Bischöfe, Erzbischöfe und Äbte inne, von denen jeder im Durchschnitt mehr als 100.000 Livre Jahreseinkommen bezog. Ein Zehntel all ihrer Erzeugnisse mußten die Bauern in Form von Naturalien oder Geld als Zins an die Kirche abliefern. Das war eine der schlimmsten Steuern. Durch den »Zehnten« nahm die Kirche jährlich bis zu 125 Millionen Livre ein; die Gesamtsumme ihrer jährlichen Einnahmen belief sich auf etwa 350 Millionen Livre. Trotz dieser gewaltigen Einnahmen war die Kirche ebenso wie der Adel von allen Steuern befreit und beschränkte sich darauf, dem Staat hin und
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wieder nach eigenem Ermessen »eine freiwillige Gabe« zukommen zu lassen, wobei sie in den letzten Jahren vor der Revolution noch einen Teil der staatlichen Subsidien hierauf verwandte, die sie »wegen ihrer Bedürftigkeit« für sich ergaunert hatte.
Die in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht mächtige katholische Kirche war im vorrevolutionären Frankreich Hauptträger und -verfechter der feudalen Ideologie. Mit dem Namen Gottes sanktionierte sie die Herrschaft des Adels und der Geistlichkeit, die Ständeordnung und die Königsmacht, die Rechtlosigkeit und Armut des Volkes, die schärfsten Formen feudaler Ausbeutung — kurz, alle Zustände, die den Übergang des Landes zu neuen, fortschrittlichen gesellschaftlichen Verhältnissen hemmten. Die fast 150.000 Köpfe starke Armee der Geistlichkeit, die auf zahllose Kirchengemeinden und 983 Klöster verteilt war, vergiftete tagaus, tagein das Bewußtsein der werktätigen Menschen durch die Aufforderung, sich mit ihrer Ausbeutung abzufinden. Im Namen Gottes zwang die Kirche die Gläubigen, die von der Obrigkeit festgesetzten Steuern pünktlich zu entrichten. Im Jahre 1777 berichtete der auf Reisen befindliche Fonwisin in einem Brief aus Montpellier an seine Schwester, daß in der dortigen Kathedrale ein Bittgottesdienst abgehalten worden sei, damit der Allerhöchste den Bewohnern der Stadt die Bereitschaft erhalte, das freiwillig zu bezahlen, was man sich andernfalls mit Gewalt von ihnen holen würde.
Die völlig vom Geist des Dunkelmännertums und der Intoleranz durchdrungene offizielle Kirche schürte mit allen Mitteln den religiösen Fanatismus, verfolgte Andersgläubige und unterdrückte grausam auch die geringste Regung von Freigeisterei und erst recht von Atheismus. Sie suchte jedes gedruckte freie Wort, das gegen den weltlichen und den geistlichen Despotismus und gegen das religiöse Dunkelmännertum gerichtet war, auszumerzen. In ihren Händen oder unter ihrer Kontrolle befanden sich alle Schulen und Universitäten. Durch die Verbreitung ihrer wissenschafts-
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feindlichen religiösen Weltanschauung hemmte die Kirche die Entwicklung wissenschaftlichen Denkens, den Fortschritt der Wissenschaft und der Technik, an dem die zu jener Zeit revolutionäre französische Bourgeoisie so sehr interessiert war. Die Kirche im vorrevolutionären Frankreich hatte wie überall und stets in den vergangenen Jahrhunderten der westeuropäischen Geschichte die Stellung der »allgemeinsten Zusammenfassung und Sanktion der bestehenden Feudalherrschaft«*.
Sie umgab diese Ordnung, wie Engels schrieb, »mit dem Heiligenschein göttlicher Weihe« und war die Hauptmacht, die danach strebte, das Ancien regime zu verewigen. »Ehe der weltliche Feudalismus in jedem Land und im Einzelnen angegriffen werden konnte«, schrieb Engels, »mußte diese seine zentrale, geheiligte Organisation zerstört werden.«** Man mußte also den Einfluß der religiösen Ideologie, die den herrschenden Ständen als Mittel zur Erhaltung ihrer Macht diente, radikal beseitigen. Auf philosophischem Gebiet führten diese ideologische Entwaffnung des Ancien regime am konsequentesten die französischen Materialisten des 18. Jahrhunderts durch; als streitbare Atheisten vermochten sie durch ihre scharfe Kritik der Religion und der Kirche vernichtende Schläge beizubringen.
Dies waren in groben, Umrissen die sozialen Voraussetzungen für jenen »Sturmangriff auf den Himmel«, den die Aufklärer um Holbach und Diderot unternahmen und bei dem sie einen für die damalige Zeit gewaltigen Erfolg hatten. Wie jede Erscheinung im Geistesleben baute auch ihr Atheismus auf dem Ideengut anderer auf, so vor allem auf dem Schaffen der Freigeister der französischen Renaissance — Francois Rabelais', Bonaventure Des Periers', Michel de Montaignes und des von der Inquisition hingerichteten Etienne Dolet.
* Friedrich Engels, »Der deutsche Bauernkrieg«, Dietz Verlag, Berlin 1955, S. 42.
** Friedrich Engels, »Über historischen Materialismus«, in: »Neue Zeit«, Jg. 1893, Bd. 1, Heft 2, S. 42.
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In seinem berühmten Roman »Gargantua und Pantagruel« gab Rabelais eine zutiefst kritische Darstellung der Feudalgesellschaft, zog er mit der Waffe der Satire über die religiösen Anschauungen der Scholastik her und schuf das Idealbild eines neuen Menschen, der den engen Rahmen kirchlicher und feudaler Begrenztheit sprengt und auf Schritt und Tritt seine Überlegenheit im Kampf mit den finsteren Mächten des Mittelalters beweist. Zwar finden wir in Rabelais' Werk nur vereinzelt Ausfälle gegen die biblischen Legenden und gegen die christliche Dogmatik; dafür war das allegorische »Cymbalum mundi« des ihm gleichgesinnten Des Periers bereits eine offene Verurteilung der christlichen Religion, von der sich nur »das dümmste und unglücklichste Wesen der Welt« einen Nutzen erhoffen könne.
Und was vollends Dolet, den Lyoner Verleger und Humanisten, betrifft, so war er ein echter »Ritter des Freidenkertums«, ein unerschrockener Entlarver kirchlichen Dunkelmännertums, der aus seiner Überzeugung, daß das Dogma von der Unsterblichkeit der Seele falsch sei, kein Hehl machte. Neben anderen französischen Druckern des 16. Jahrhunderts verlegte Dolet eine Reihe verbotener freigeistiger Bücher, darunter wahrscheinlich auch das der Kirche besonders verhaßte alte Werk »Geschichte von den drei Betrügern«. Offensichtlich ist dieses damals vor allem in Frankreich so radikal atheistisch überarbeitet worden, daß die Leser darin die Existenz Gottes bereits offen verneint fanden.
Die vom Geist der Skepsis erfüllten letzten Teile von Rabelais' Roman kündigten gleichsam die »Essays« (1580) Montaignes an, jenes, nach einem Ausdruck des Philosophen La Mettrie, »bezaubernden Epikureers«, dessen gewohnheitsmäßige Frage »Was weiß ich?« in bezug auf die Religion den Zweifel an allen ihren »Wahrheiten« ausdrückte. Gleichzeitig bezweifelte Montaigne nicht im geringsten die Richtigkeit der atheistischen These, daß »unsere große und allmächtige Mutter Natur« der einzige »sympathische und zugleich auch vernünftige und zuverlässige Leitstern ist«.
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Der atheistisch gefärbte philosophische Skeptizismus* Montaignes ging jedoch nicht bis zum offenen Atheismus. Nichtsdestoweniger war der Skeptizismus in jener Zeit, da jedes von kirchlicher Bevormundung freie Denken grausam verfolgt wurde, die geeignetste Form der Kritik an Religion und Kirche. Nicht umsonst bedienten sich nach Montaigne seiner auch gern die fortschrittlichen französischen Denker des folgenden, 17. Jahrhunderts — La Mothe-le-Vayer, Saint-Evremond und Pierre Bayle, auf den sich Holbach und die andern Enzyklopädisten häufig berufen.
Bayle, der nach Marx' Worten »dem Materialismus und der Philosophie des gesunden Menschenverstandes ihre Aufnahme in Frankreich«** vorbereitete, gilt nicht zufällig als Vorläufer der französischen Aufklärung im 18. Jahrhundert. In seinem Hauptwerk »Großes historisches und kritisches Wörterbuch« (1695-97) findet man zwar keine offenkundigen atheistischen Gedanken, doch mit allen seinen von Skepsis durchdrungenen Betrachtungen über religiöse Themen unterminierte Bayle gründlich das durch und durch morsche Gebäude der Theologie. Besonders wichtig war die entschiedene Abgrenzung der Religion und der Moral gegeneinander, die nach Bayle von Holbach und Diderot glänzend fortgesetzt wurde.
Entgegen der von den Theologen vertretenen Auffassung werden, nach Bayle, die Normen des menschlichen Verhaltens nicht durch die Religion, sondern durch die Natur der Menschen und durch ihre Umwelt bestimmt. Die Religion, so schrieb er, vermag schlechte Handlungen nicht zu verhüten; ja, man könne sogar sagen, daß gerade mit der Religion und ihrer Verteidigung zahlreiche Verbrechen verknüpft seien. Die Atheisten hingegen, die mit Hilfe ihres gesunden Menschenverstandes in der Lage seien, die Tugenden nüchtern zu beurteilen, führten in der Regel einen durch und durch moralischen Lebenswandel.
* Philosophische Richtung, die die Möglichkeit der Wahrheitserkenntnis bezweifelt.
** Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Dietz Verlag, Berlin 1958, Bd. 2, S. 134.
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Bayle warf der katholischen Kirche, die menschenfeindliche religiöse Intoleranz predigte und die Atheisten verdammte, den Fehdehandschuh hin und trat als Verfechter der Glaubensfreiheit und sogar der Gewissensfreiheit auf, das heißt des Rechts, einem beliebigen Glauben anzuhängen oder überhaupt nicht an Gott zu glauben. Gerade dieser Punkt in den ethischen Anschauungen Bayles erregte die besondere Aufmerksamkeit der atheistischen Aufklärer im 18. Jahrhundert. Diese seine zutiefst humanistischen, fortschrittlichen Auffassungen schätzte Marx besonders hoch. So schrieb er über Bayle: »Er kündete die atheistische Gesellschaft ... durch den Beweis an, daß eine Gesellschaft von lauter Atheisten existieren, daß ein Atheist ein ehrbarer Mensch sein könne, daß sich der Mensch nicht durch den Atheismus, sondern durch den Aberglauben und den Götzendienst herabwürdige.«*
Nichts dergleichen hatte der zweite bedeutende Vertreter der fortschrittlichen französischen Philosophie des 17. Jahrhunderts, Pierre Gassendi, im Sinn; dennoch spielt auch er in der Geschichte des Atheismus eine beachtliche Rolle. Das Hauptverdienst Gassendis besteht darin, daß er den Atomismus** des großen Materialisten und Atheisten der Antike, Epikur, wiedererweckte. Marx sagt von ihm, daß er »den Epikur aus dem Interdikt befreite, mit dem die Kirchenväter und das ganze Mittelalter, die Zeit der realisierten Unvernunft, ihn belegt hatten...«***
Pierre Gassendi, der in seinem »Sammelwerk der Philosophie« (1658) und in anderen Arbeiten die Vorstellung von der Atomstruktur der Materie weiter ausbaute, sah in der Bewegung der Atome den Schlüssel zur Erklärung der Vielfalt aller Dinge und Erscheinungen in der Natur, in Raum und Zeit.
* Ebenda, S. 135.
** Philosophische Richtung des Altertums, nach der es nur einen Urstofl gibt, der aus zahllosen Atomen besteht, auf deren Wirken alle Naturvorgänge zurückzuführen sind.
*** Karl Marx/Friedrich Engels, Historisch-kritische Gesamtausgabe, Marx-Engels-Archiv, Frankfurt a. M. 1927, 1. Abt., Bd. 1, 1. Hbd., S. 9.
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Diese Ideen Gassendis waren eine wichtige Vorstufe für die Anschauungen der französischen Materialisten des 18. Jahrhunderts, obwohl er selbst an den göttlichen Ursprung der Atome glaubte und überhaupt seinen Materialismus mit einer Menge von Einschränkungen und Vorbehalten versah, um einen offenen Bruch mit der Kirche zu vermeiden.
Von den französischen Vorläufern des Holbachschen Atheismus, die diesem am nächsten kamen, sind zumindest zwei zu nennen: Nicolas Freret und Jean Meslier.
Der Historiker und emsige Erforscher des Altertums Freret verwarf die herkömmliche Ansicht der Kirche vom Neuen Testament; er wies nach, daß die »kanonischen« Evangelien erst in der zweiten Hälfte des ersten und zu Beginn des zweiten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung entstanden. Von großer Bedeutung war sein »Brief des Thrasybulus an Leukipp« (erstmals 1758, nach dem Tode des Autors, erschienen), ein atheistisches Werk, das im Grunde genommen bereits alle wesentlichen Punkte der antireligiösen Kritik der Enzyklopädisten enthielt. In diesem Buch finden wir unter anderem fruchtbare Ansätze zu einer vergleichend-historischen Betrachtung der Religion, Versuche, Gemeinsamkeiten zwischen der christlichen Mythologie und den religiösen Vorstellungen der altorientalischen und der antiken Welt zu entdecken.
Freret bewies, daß vom Standpunkt des gesunden Menschenverstandes aus keinerlei Notwendigkeit besteht, das Universum mit Hilfe einer Gottesidee zu erklären. In jeglicher Religion sah er nur ein ernsthaftes Hemmnis für die Freiheit des Geistes, für das Glück der Menschheit. Er meinte, daß jeder vernünftige Mensch für die Erhaltung jener kostbaren Güter kämpfen müsse, deren ihn die Religion zu berauben suche. Die gleichen Gedanken, nur viel ausführlicher dargelegt und sozial zugespitzt, finden wir in Mesliers »Testament«, jenem bekannten literarischen Denkmal des Atheismus der Vergangenheit und des utopischen Kommunismus. Der Autor dieses Werkes war ein Dorfgeistlicher, den die Not zwang, gegen seine eigene Überzeugung das Christentum zu predigen; insgeheim aber schrieb er dieses Buch in der Hoffnung, daß es die Mitglieder seiner Gemeinde nach seinem Tode finden und lesen würden.
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Mesliers große Bedeutung für die Geschichte des Atheismus besteht darin, daß seine Kritik an der Religion nicht nur konsequent und kämpferisch, sondern auch zutiefst demokratisch war; als erster verknüpfte er diese Kritik mit der Forderung, für die Interessen der Arbeitenden zu kämpfen, sowie mit der Idealvorstellung vom utopischen Kommunismus. Holbach wie auch den anderen Enzyklopädisten waren die kommunistischen Tendenzen Mesliers fremd, doch ist eine gewisse Beeinflussung durch die antireligiösen Ideen des »Testaments« unverkennbar.
Der Atheismus Holbachs basierte nicht etwa nur auf dem Ideengut des französischen Materialismus und Atheismus. Das Werk der Enzyklopädisten, die sich um Holbach und Diderot gesammelt hatten, repräsentierte zu jener Zeit die höchste Stufe der europäischen materialistischen Philosophie, es hatte die bis dahin in der Kritik an Religion und Kirche sowie auf dem Gebiet der Naturwissenschaften gewonnenen Erkenntnisse am weitgehendsten ausgewertet.
Gerade die Naturwissenschaften waren um die Mitte des 18. Jahrhunderts in Frankreich und in den anderen Ländern um viele wichtige Entdeckungen und Beobachtungen bereichert worden.
Die Ideen der italienischen Naturphilosophen und Freigeister der Renaissance mit Giordano Bruno an der Spitze, die Arbeiten des großen holländischen Materialisten und Atheisten Spinoza, des Begründers des englischen Materialismus der Neuzeit, Francis Bacon, sowie seiner Landsleute Hobbes, Locke und Toland — all das floß bei Holbach, Diderot und Helvetius, in dem monumentalen Holbachschen »System der Natur« zusammen, diesem — das kann man wohl mit Recht behaupten — Produkt der gesamten westeuropäischen materialistischen Philosophie und Religionskritik fast dreier Jahrhunderte.
Der französische Atheismus des 18. Jahrhunderts wäre undenkbar ohne die neue Naturwissenschaft, die durch die Erfordernisse der sich entwickelnden Industrie ins Leben gerufen worden war und die das Naturbild allmählich von den Fesseln der Theologie befreite.
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Die durch Kopernikus begründete Lehre vom heliozentrischen Weltsystem stieß das geheiligte unwissenschaftliche Weltbild der Kirche um. Die Entdeckung der Grundgesetze der Mechanik durch Kepler, Galilei und Newton sowie die neuen Erkenntnisse über den Aufbau der Materie, auf dem Gebiet der Physik und der Chemie führten in der Mitte des 18. Jahrhunderts zur Entdeckung der Gesetze von der Erhaltung der Materie und der Bewegung, deren Bedeutung als Beweis für die Richtigkeit des Materialismus und des Atheismus gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Von gleicher Wichtigkeit waren die Arbeiten Vesals über die Anatomie des Menschen, die Forschungen Fabricius' auf dem Gebiet der Embryologie, die Entdeckung der Mikroorganismen, die Entdeckung des Blutkreislaufs durch Harvey sowie die Herausgabe der fundamentalen »Geschichte der Natur im allgemeinen und besonderen« durch eine Gruppe französischer Gelehrter mit dem Naturforscher und Philosophen Buffon an der Spitze, in der bereits von der Einheit der organischen Welt und von der Veränderlichkeit der Arten die Rede war. Allmählich weitete sich der Horizont echt wissenschaftlicher Naturerkenntnis, festigte sich der Glaube an die unbegrenzte Kraft des menschlichen Verstandes, der danach strebt, immer tiefer in die »unfaßbaren« Geheimnisse des Weltenbaus einzudringen.
Wenn man von den geistigen Voraussetzungen des Holbachschen Atheismus spricht, darf man auch die günstige geistige Situation nicht vergessen, in der seine kämpferischen atheistischen Pamphlete der sechziger und siebziger Jahre erschienen. Diese Werke waren unstreitig die radikalsten und bemerkenswertesten, aber nicht die einzigen der antireligiösen französischen Aufklärungsliteratur, die unaufhörlich die Bastionen der herrschenden Ideologie berannte.
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Aus dieser Literatur ragten die antichristlichen Dialoge Voltaires, sein berühmtes »Philosophisches Wörterbuch« und die Werke mancher anderer, häufig wenig bekannter Autoren hervor. Obwohl sich die pathetische Kritik Voltaires niemals bis zum offenen Atheismus steigerte, war diese Kritik doch in bezug auf die sogenannten »historischen« Religionen äußerst scharf und schonungslos und hat sich zweifellos auf den Atheismus Holbachs ausgewirkt.
Der französische Atheismus des 18. Jahrhunderts stellte eine wesentliche Seite der Aufklärungsideologie dar und förderte deshalb den Übergang der Gesellschaft zur fortschrittlicheren, kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die im Begriff war, den Feudalismus abzulösen. Er übernahm das ganze vielfältige Material, das sich auf dem Gebiet der Kritik an Religion und Kirche angesammelt hatte, und entwickelte es unter den neuen Bedingungen weiter. In Gestalt der französischen materialistischen Aufklärer und vor allem Holbachs erreichte der Atheismus eine Höhe und Reife wie nie zuvor in seiner langen Geschichte.
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Holbach wurde 1723 in Edesheim als Sohn eines wohlhabenden deutschen Barons nicht sehr vornehmer Abkunft geboren. Seine Jugend verlebte er in der Heimat, dann studierte er in den Niederlanden, an der Universität Leiden, und siedelte Ende der vierziger Jahre nach Paris über. Dort verbrachte er sein ganzes weiteres Leben.
Seine literarische Tätigkeit begann Holbach mit der Übersetzung von Werken der Physik, Chemie, Mineralogie, Geologie, Physiologie und Metallurgie ins Französische. Diese allseitige Beschäftigung mit den Naturwissenschaften trug zur Herausbildung seiner materialistischen Anschauungen bei und trieb ihn auf den Weg der Religionskritik, in der er sich glänzend hervortat. Von großem Einfluß auf Holbach war seine langjährige herzliche Freundschaft mit dem um zehn Jahre älteren Diderot, der mit Recht als sein Lehrmeister auf dem Gebiet der Philosophie gilt; es hat sich sogar die Meinung erhalten, daß Holbach ursprünglich Deist war und unter der direkten Einwirkung Diderots Atheist wurde.
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Den Aufklärern schloß sich Holbach schon bald nach seiner Ankunft in Paris an. Gleichzeitig wurde er aktiver Mitarbeiter an der berühmten »Enzyklopädie«, deren Seele — Initiator, Chefredakteur und einer der Hauptautoren — Diderot war. Zu dieser Arbeit von wahrhaft historischer Bedeutung zog Diderot die bedeutendsten Repräsentanten der damaligen fortschrittlichen französischen Kultur heran, darunter Voltaire, Rousseau, D'Alembert, Raynal u.v.a. Hauptsächlich mit der »Enzyklopädie« waren die ersten fünfzehn Jahre der literarischen und gesellschaftlichen Tätigkeit Holbachs — etwa bis zur Mitte der sechziger Jahre — verknüpft. In dieser Ausgabe war er für verschiedene naturwissenschaftliche Abschnitte verantwortlich, so vor allem für den chemischen Abschnitt, der aus eigenen Aufsätzen und Notizen zusammengestellt war. Doch hiermit erschöpft sich sein Anteil an der »Enzyklopädie« noch längst nicht. Mit Diderot teilte er alle Schicksalsschläge, deren es unzählige auf dem dornenvollen Weg bis zur Vollendung dieses großartigen Werkes gab — wurde doch in ihm eine entschiedene Umwertung aller materiellen und geistigen Grundlagen der Feudalgesellschaft vorgenommen; nicht umsonst zog die »Enzyklopädie« den Haß der kirchlichen und weltlichen Verfechter des Ancien regime auf sich.
Gewissermaßen das geistige Laboratorium der Atheisten, der Ort, wo sie sich zu neuen Taten rüsteten und kollektiv die theoretischen Voraussetzungen ihrer Philosophie überprüften, war der berühmte Salon Holbachs.
Die philosophischen Salons spielten in der Geschichte der französischen Aufklärung eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zu den aristokratischen Salons des 17. Jahrhunderts, deren Besucher sich die Zeit mit vornehmen Zerstreuungen und leerem Geschwätz vertrieben, waren die Pariser Salons des folgenden Jahrhunderts in vielen Fällen kulturelle Zentren, in denen Menschen geistigen Formats — Gelehrte, Philosophen, Publizisten — zusammenkamen.
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In leidenschaftlichen Debatten über die aktuellen Probleme des Lebens, im Aufeinanderprallen der Meinungen entstanden hier fortschrittliche Ideen, die sofort weiterentwickelt wurden und in den literarischen Werken, die gegen das Ancien regime gerichtet waren, konkrete Gestalt annahmen. Unter diesen philosophischen Salons war der Holbachsche der hervorragendste und — das kann man mit Recht behaupten — der einzige in seiner Art, was Zusammensetzung, Radikalismus und kulturhistorische Bedeutung betraf.
Im Besitz eines beachtlichen Vermögens, scheute Holbach, der sich durch Uneigennützigkeit und Großzügigkeit auszeichnete, keine Ausgaben für die edle Sache, der er sein Leben geweiht hatte. Sehr viel verdankt ihm die in den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts erschienene reiche Aufklärungsliteratur, unter der nicht nur seine eigenen Werke, sondern auch die, welche seine Freunde und Helfer, die Literaten Lagrange und Naigeon, herausgaben, einen beachtlichen Platz einnehmen. In dem gastlichen Hause Holbachs — im Winter in Paris, in der Rue Saint-Roche, im Sommer und bis in den Spätherbst hinein in dem Pariser Vorort Grandvalet — konnte man fast alle bedeutenden Vertreter der »republique des lettres«, fortschrittliche französische Schriftsteller, Gelehrte, Denker und Künstler, antreffen.
Dem Salon Holbachs einen Besuch abzustatten fühlten sich auch viele hervorragende Künstler aus England und Italien, ja sogar Diplomaten der verschiedensten Länder verpflichtet. Die Naturforscher Roud, Darcet und Buffon, der Wirtschaftler Turgot, der Literaturkenner Marmontel, der Verfasser des bekannten Werkes »Philosophie und politische Geschichte der Niederlassungen und des Handels der Europäer in Indien«, Raynal, der Philosoph Condillac, D'Alembert, die Holbach geistig verwandten Helvetius und Grimm und natürlich Diderot, den man mit Fug und Recht als Seele des Ganzen, als glänzendstes und begabtestes Mitglied der Runde bezeichnen konnte — das ist das bei weitem noch nicht vollständige Verzeichnis der häufigsten Besucher
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des Salons. Unter den ausländischen Gästen waren solche Berühmtheiten der Gelehrtenwelt wie Benjamin Franklin, Adam Smith, Cesare Beccaria, David Hume, Joseph Priest-Iey, der Schriftsteller Laurence Sterne und der Schauspieler David Garrick.
In ungezwungenen Gesprächen und heißen Wortgefechten wurden in Holbachs Kreis die verschiedensten Fragen der Philosophie und der Ethik, der Literatur und der Kunst, der Wirtschaft, der Politik und der Religion diskutiert. In den Debatten über die Religion entflammten die Leidenschaften besonders stark; gerade an ihnen nahm auch der Hausherr am meisten Anteil; aufmerksam lauschte er den Argumenten der Streitenden, beteiligte sich auch selbst an den Diskussionen und verstand es ausgezeichnet, sie zu leiten. In dem Kreis herrschten keineswegs einheitliche Anschauungen: neben den überzeugten Atheisten Diderot, Helvetius, Roud, Lagrange und Naigeon betätigten sich hier Deisten* und Agnostiker**; vielleicht entsprach dies auch den Absichten Holbachs, der in diesen Streitgesprächen die Argumente seiner Religionskritik einer allseitigen Prüfung unterzog. In der Rue Saint-Roche und in Grandvalet befand sich sozusagen das Hauptquartier für jenen »Sturmangriff auf den Himmel«, den die Enzyklopädisten, in erster Linie Holbach und seine nächsten Freunde, unternahmen.
Das Haus Holbachs war nicht nur Schauplatz philosophischer Lesungen und Gespräche. Hier wurde auch intensiv literarisch gearbeitet. Sowohl der Baron selbst als auch seine Mitarbeiter schrieben, übersetzten, redigierten und bereiteten unermüdlich Bücher zum Druck vor, von denen viele in der Folge große Berühmtheit erlangten und eine wertvolle Bereicherung des materialistischen und atheistischen Denkens darstellten. Ein wertvolles Hilfsmittel bei dieser Arbeit war die ausgezeichnet zusammengestellte, umfangreiche Bibliothek Holbachs.
* Deismus — religiöse Anschauung, die zwar einen Gott als Weltschöpfer anerkennt, ihm aber das Einwirken auf den "Weltlauf abspricht.
** Agnostizismus = philosophische Lehre, die die Erkennbarkeit der objektiven Welt leugnet.
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In einem seiner Briefe an Sophie Volland beschreibt Diderot, der wochenlang bei seinem Freund in Grandvalet zu Gast gewesen war, das dortige Leben:
»Man hat mich in einer kleinen abgeschlossenen Wohnung untergebracht, sehr ruhig, sehr freundlich, und sehr warm. Dort, zwischen Horaz und Homer und dem Bildnis meiner Freundin, verbringe ich Stunden mit Lesen, Nachdenken, Schreiben und Seufzen. Das ist meine Beschäftigung von zehn Uhr morgens bis um eins. Um halb zwei bin ich angekleidet und gehe in den Salon hinunter, in dem sich schon alle versammelt haben ... Wir essen gut und lange. Der Tisch ist hier gedeckt wie in der Stadt, und vielleicht noch prächtiger. Es ist unmöglich, mäßig zu bleiben und sich zurückzuhalten ... Zwischen drei und vier nehmen wir unsere Stöcke und gehen aus; die Frauen gehen ihren Weg, der Baron und ich den unseren. Wir machen sehr ausgedehnte Spaziergänge ... Beide finden wir Vergnügen am Schauspiel der Natur. Unterwegs sprechen wir von Geschichte, von Politik, von Chemie, von Literatur, von Physik, von Moral. Der Sonnenuntergang und die Frische des Abends lenken unsere Schritte dem Hause zu, wo wir kaum vor sieben anlangen ... Auf einem Tisch stehen Lichter und Karten ... Gewöhnlich wird unser Spiel durch das Abendessen unterbrochen ... Wir plaudern bis elf. Um halb zwölf schlafen wir alle — oder sollten es wenigstens. Am folgenden Tag das gleiche.«*
Wir haben bereits vom ersten Abschnitt im Schaffen Holbachs gesprochen. In der folgenden Periode — etwa von 1766 bis 1772 — lag die Blütezeit seiner Schaffenskraft. In diesen Jahren arbeitete er mit unerschöpflicher Energie, schrieb und veröffentlichte er fast alle seine antireligiösen Werke, darunter sein Hauptwerk, das berühmte »System der Natur«. In diesen Jahren veröffentlichte Holbach auch,
* Denis Diderot, »Lettres ä Sophie Volland«, Paris 1930, Bd. 1, S. 92/93.
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teils allein, teils gemeinsam mit Naigeon, zahlreiche Bearbeitungen und Übersetzungen von Werken früherer französischer und englischer Materialisten und Deisten, wie Freret, Toland, Hobbes und Collins. Holbach veranlaßte im Jahre 1768 die Herausgabe einer französischen Übersetzung des bedeutenden Denkmals des antiken Materialismus und Atheismus, des Lehrgedichts »Über die Natur der Dinge« von Lukrez. Alle diese Bücher bildeten den mächtigsten Teil jener Woge atheistischer, antichristlicher und antikirchlicher Literatur, die in den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts gegen den Katholizismus und die gesamte feudale Ideologie anbrandete.
Das war ein außergewöhnliches Ereignis im kulturellen Leben Frankreichs, das von den einen mit Interesse und Zustimmung, von den andern jedoch mit Haß und Wut begrüßt wurde. Anläßlich dieses Sturms auf die Bastionen der Religion schrieb Diderot im Jahre 1767 scherzhaft an Sophie Volland: »Ich weiß nicht, was aus unserer armen Kirche J.-C. und aus der Prophezeiung werden wird, die da besagt, daß die Pforten der Hölle niemals den Sieg erringen werden.«* »Es regnet Bomben in das Haus des Herrn; ich zittere stets, daß einer dieser furchtlosen Kanoniere ausfällt... es sind tausend entfesselte Teufel.«**
Die erste dieser »Bomben«, die Holbach auf das »Haus des Herrn« schleuderte, war das 1761 erschienene Pamphlet »Das entlarvte Christentum oder Untersuchung der Grundsätze und der Wirkungen der christlichen Religion« — eines seiner besten Werke dieses Genres, das eine scharfsinnige, vernichtende Kritik an den kirchlichen »Quellen« der christlichen Religion sowie an der Mythologie des Christentums, seiner Dogmatik und seinem Kult enthält. Auf »Das entlarvte Christentum« folgten 1765 das von Holbach und Naigeon herausgegebene atheistische Werk »Brief des Thrasybulus an Leukipp« von Nicolas Freret und die gleichfalls diesem Autor zugeschriebene »Kritische Untersuchung der Verteidiger der christlichen Religion«.
* Ebenda, Bd. 3, S. 97.
** Ebenda, S. 187.
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Im darauffolgenden Jahr präsentierte Holbach dem Leserpublikum gemeinsam mit Naigeon und anderen Mitgliedern des Kreises die »Taschentheologie«, eine scharfe Satire auf die Allwissenheit der Theologie. Dann gaben sie die Schrift »Der gottlose Soldat« heraus, ein antichristliches Pamphlet, von dem Holbach das letzte Kapitel schrieb.
Im Jahre 1768 erschienen neben einigen Übersetzungen und Bearbeitungen gleich zwei selbständige antireligiöse Arbeiten von ihm: »Die heilige Seuche oder Natürliche Geschichte des Aberglaubens« und »Briefe an Eugenie oder Schutzmittel gegen die Vorurteile«. In der ersten nimmt der Atheismus zum Unterschied von den vorhergehenden Pamphleten bereits eine stark politische Färbung an, wird er zum Werkzeug im Kampf gegen das gesamte absolutistische Feudalsystem; das zweite ist eine vorbildliche Propagierung des Atheismus und entlarvt leidenschaftlich Unduldsamkeit und religiöse Heuchelei. Von den antireligiösen Werken Holbachs muß man noch folgende nennen, die gleichzeitig mit dem »System der Natur« im Jahre 1770 erschienen sind: »Der Geist des Judentums oder vernünftige Untersuchung des Gesetzes Mosis und seines Einflusses auf die christliche Religion«, »Kritische Untersuchung des Lebens und der Schriften des heiligen Paulus«, »Kritische Geschichte Jesu Christi oder vernünftige Analyse der Evangelien« und »Gemälde der Heiligen oder Untersuchung des Geistes, des Verhaltens, der Grundsätze und des Verdienstes der Personen, die das Christentum verehrt und als Vorbilder ausgibt«. Die letzte Arbeit enthält eine detaillierte Kritik der Bücher des Alten und des Neuen Testaments und weist nicht wenige Gedanken und Schlußfolgerungen auf, die auch heute noch von Interesse sind.
Gekrönt wurde diese rastlose, hier nur unvollständig charakterisierte literarische Tätigkeit Holbachs, die gegen Religion und Kirche gerichtet war, durch das Werk »Der gesunde Menschenverstand oder die natürlichen Ideen im Gegensatz zu den übernatürlichen Ideen«, das erstmals 1772 in mehreren Auflagen erschien.
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Diesem der Form nach allgemein verständlichen Pamphlet, das sich durch unanfechtbare Logik der Beweise auszeichnet, wurde höchster Erfolg zuteil. »Der gesunde Menschenverstand« ist eines der besten Beispiele kämpferischer antireligiöser Literatur aus der Vergangenheit. Ebenso wie das monumentale »System der Natur« spiegelt es den höchsten Stand der Religionskritik wider, den die französischen Materialisten des 18. Jahrhunderts erreichten.
Holbach widmete sich mit Leib und Seele der Propagierung des Atheismus. Ja, man kann sogar sagen, daß er diese Aufgabe als seinen Lebenszweck und seine gesellschaftliche Pflicht ansah. Er war der leidenschaftlichste Streiter wider die Religion unter allen ihm gleichgesinnten Enzyklopädisten, »der persönliche Feind Gottes«, wie man ihn bisweilen nannte. Seine antireligiösen Pamphlete bilden ein besonderes Kapitel in der Geschichte des vormarxistischen Atheismus und speziell der atheistischen Aufklärung, vielleicht sogar eines der glänzendsten Kapitel. Jedoch nicht diesen Pamphleten, sondern vor allem dem »System der Natur« verdankt Holbach seinen Platz in der Geschichte. Das fortschrittliche philosophische Denken des 18. Jahrhunderts fand in diesem Buch seine allseitige Darstellung. Wie Strahlen im Brennpunkt einer Linse sind hier alle Thesen, Beweise und Schlußfolgerungen gesammelt, die der Materialismus bis dahin erarbeitet hatte; unter der Feder Holbachs war daraus ein logisch aufgebautes, geschlossenes, einzigartig authentisches philosophisches System entstanden. Holbach unterzog in diesem Buch alle Einwände der Gegner des Materialismus und des Atheismus, alle ihre vielzitierten »Beweise« für die Existenz Gottes und ihre kläglichen Versuche, die Religion als Quelle der »wahren« Moral hinzustellen, einer vernichtenden Kritik und wies offen auf die enge Verbindung zwischen Religion und Despotismus hin.
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Wie kein zweites Werk dieser Zeit zerstörte das »System der Natur« den Nimbus des »Gottesgnadentums«, mit dem die weltlichen und geistlichen Feudalherren ihre Herrschaft jahrhundertelang umgeben hatten. Dieses großartige Werk Holbachs war der Höhepunkt der geistigen Revolution, der Revolution auf dem Gebiet der Philosophie, die den zwanzig Jahre später losbrechenden Sturm auf die alte Gesellschaftsordnung ankündigte.
Das »System der Natur« ist im Jahre 1770 erschienen. Um den Inhalt entbrannte sofort ein erbitterter Streit, selbst im Lager der Aufklärer schieden sich die Geister. Das Erscheinen dieses Buches mit seinem konsequenten Atheismus diente den Verfechtern eines kämpferisch propagierten Atheismus als Anlaß, einen scharfen Trennungsstrich zwischen sich und denjenigen zu ziehen, die sich mit dem feigen, flauen Deismus zufriedengaben. Diderot, der das Schlußkapitel für das »System der Natur« schrieb, charakterisiert das, was seiner Meinung nach den Hauptwert dieses Buches bildete, folgendermaßen: »Ich ziehe mir eine logische, freie Philosophie, wie sie zum Beispiel im <System der Natur> und noch mehr im <Gesunden Menschenverstand> dargestellt ist, vor... Der Autor des <Systems der Natur> ist nicht auf der einen Seite Atheist, auf der anderen aber Deist: seine Philosophie ist wie aus einem Guß.«*
Eine ganz andere Einstellung zum »System der Natur« hatte Voltaire. Natürlich waren viele der darin aufgestellten Behauptungen für ihn völlig akzeptabel und entsprachen ganz seinen eigenen Anschauungen — besonders was das Christentum und die Kirche betraf. Mit dem kämpferischen Atheismus dieses Buches jedoch konnte sich der Deist Voltaire nicbt abfinden, da er der Ansicht war, daß jener »nicht wiedergutzumachenden Schaden anrichte«. Scharf ablehnend gegenüber dem »System der Natur« verhielt sich auch Rousseau. Die Zurückhaltung eines Teils der Aufklärer gegenüber diesem Buch erklärt sich nicht zuletzt aus der Befürchtung, daß es für die gesamte Bewegung verderbliche Repressalien auslösen werde. Und diese Befürchtungen waren nicht unbegründet.
X, S. 398.* D. Diderot, OEuvres completes, Paris 1875, Bd.
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Im August 1770, unmittelbar nach seinem Erscheinen, wurde das »System der Natur« zusammen mit einigen anderen Büchern vom Pariser Parlament zu öffentlicher Verbrennung verurteilt. In einer ausführlichen Rede brachte der königliche Staatsanwalt Seguier den ganzen Haß der herrschenden Gesellschaftskreise gegenüber diesen »aufrührerischen« Werken und vor allem gegenüber dem »System der Natur« zum Ausdruck, dessen Autor anonym blieb.
Der Staatsanwalt gab ausführlich den Inhalt des »Systems der Natur« wieder und erklärte dann, daß der Verfasser »Epikur, Spinoza und alle Philosophen oder, genauer gesagt, alle Atheisten der vergangenen Jahrhunderte an Unverschämtheit noch übertrifft«, daß »in den Augen dieses Gotteslästerers« der Glaube an Gott »ein schädliches Vorurteil ist aus der Angst geboren, von Betrügern gepredigt, Verbreitung findend dank Unwissenheit und Feigheit, gestärkt durch die Unterstützung von Seiten des Despotismus«.
»Seiner Meinung nach«, wetterte Seguier, der den revolutionären Charakter des Materialismus und Atheismus sehr wohl erkannt hatte, »sind die Personen, die an der Spitze des Staates stehen, nichts anderes als Usurpatoren, die sich den prunkvollen Titel <von Gottes Gnaden> nur deshalb zugelegt haben, um ungestraft und despotisch im Lande schalten und walten zu können. Das gute Einvernehmen zwischen Geistlichkeit und monarchischem Regime ist in seinen Augen nichts anderes als eine Allianz gegen das Menschengeschlecht.«
»Das <System der Natur> und dergleichen Werke«, fuhr dieser Hüter von Thron und Altar fort, »beabsichtigen nicht nur, die christliche Religion zu schädigen, sondern überhaupt jeglichen Glauben, jegliche Gottesfurcht zu zerstören ...«; die von ihnen propagierte Lehre wolle nicht nur den Samen des Atheismus aussäen, sondern auch »die gesamte Exekutive und Legislative in die Hände der Mehrheit« legen sowie »die Ungleichheit zwischen den gesellschaftlichen Gruppen und Ständen« beseitigen.
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Der Staatsanwalt forderte »rettende strenge Maßnahmen« und rief zu einem direkten Feldzug gegen das »unverschämte« Buch auf.* Unmittelbar nach den weltlichen Behörden verurteilten es auch die geistlichen. Im November desselben Jahres wurde das »System der Natur« durch ein besonderes Dekret der Inquisition auf den »Index« gesetzt, von dem es bis heute nicht gestrichen worden ist.
Sowohl in Frankreich als auch jenseits seiner Grenzen kamen alle reaktionären Kräfte gern diesem Aufruf des königlichen Staatsanwalts und dem päpstlichen Verbot nach; sie gingen daran, Holbachs Arbeit zu kritisieren, und scheuten dabei weder Zeit noch Papier. Besonderen Eifer bei diesem hoffnungslosen Unterfangen zeigte der Pariser Kanonikus und Doktor der Theologie Bergier, der bereits ein Jahr später zwei Bände seiner »Untersuchung des Materialismus« erscheinen ließ.
In Deutschland machte sich neben anderen »der Philosoph auf dem Thron«, Friedrich II., daran, das »System der Natur« zu widerlegen. Auch zahlreiche Broschüren waren dagegen gerichtet, in denen dürftige Argumente, dazu bestimmt, »die Pestbeule des Unglaubens« zu vernichten, mit Beschimpfungen und Schmähungen abwechselten. All diesen Machwerken war jedoch kein Erfolg beschieden — sie trugen eher noch zum höheren Ruhme des »Systems der Natur« bei, das in den Jahren vor der Revolution neun Auflagen erlebte und später wiederholt in deutscher, englischer, spanischer und, trotz der äußerst strengen Zensur gegen Ende des 18. Jahrhunderts, auszugsweise in russischer Sprache erschien.
All diese Fakten zeigen, unter welch schwierigen Bedingungen Holbach und seine Freunde ihren Kampf gegen die feudal-religiöse Ideologie, gegen das Dunkelmännertum der adlig-kirchlichen Kreise führen mußten, deren Bestreben es war, das dem Volke verhaßte Ancien regime zu verewigen. Ein im April 1757 herausgegebenes Regierungsdekret verbot bei Todesstrafe, »Werke zu verfassen, zu drucken und öffentlich zu verbreiten, die gegen die Religion, das König-
* Zitiert nach der Übersetzung der Rede des Staatsanwalts Seguier in: K. H. BepKOBa, »IL ToJiböax«, Moskau 1923, S. 67-71.
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tum und die öffentliche Sicherheit gerichtet sind«*. Zehn Jahre später, im März 1767, verbot eine königliche Deklaration erneut »jegliche Meinungsäußerung in allen die Religion betreffenden Fragen«**, womit natürlich nicht die Schriften der Rechtgläubigen, sondern die Veröffentlichungen der Freigeister und Atheisten gemeint waren.
Obwohl diese Gesetze nicht immer in ihrer ganzen Strenge angewendet wurden und in einer Reihe von Fällen einflußreiche Gönner wie beispielsweise der Polizeibeauftragte Malesherbes ihre schützende Hand über die Enzyklopädisten hielten, hatten Holbach und seine Freunde nichtsdestoweniger allen Grund, ihre atheistisch-literarische Tätigkeit so geheim wie möglich auszuüben. Hierzu zwangen sie sowohl Diderots Beispiel, der bereits Gelegenheit gehabt hatte, das Gefängnis im Schloß von Vincennes kennenzulernen, als auch die lange Liste verbotener und verbrannter freigeistiger Bücher, die Haussuchungen, denen sie selbst als Herausgeber der »Enzyklopädie« unterworfen waren, und schließlich die überaus strenge Zensur des Staatsrats, des Pariser Parlaments, der Sorbonne, der katholischen Kirche und des Königs selbst.
Kein einziges Werk Holbachs erschien zu seinen Lebzeiten unter seinem Namen, und auch keines davon wurde in Frankreich gedruckt. Unter Beachtung aller Vorsichtsmaßnahmen schickte Naigeon die Handschriften nach Amsterdam, zur Druckerei Marc-Michel Reys, dem auch der größte Teil der Enzyklopädisten des Kreises um Holbach seine Werke anvertraute. Auf den Titelblättern war gewöhnlich London als Erscheinungsort angegeben, und auch die Jahresangabe entsprach nicht immer der Wirklichkeit. Die Autorschaft war häufig irgendeinem verstorbenen Gelehrten zugeschrieben oder überhaupt nicht angezeigt; zur Tarnung wurde in einer »Vorbemerkung« eine erfundene Geschichte über den Ursprung des Buches erzählt.
[kyrillisch] , Kiew 1905, S. 63/64.* Zitiert nach:
** Ebenda, S. 64.
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Scharfsichtig schrieb der Philosoph Grimm — und er hatte dabei zweifellos Holbach und seine Freunde im Auge —, daß für sie »der verstorbene M. Freret und der verstorbene M. Boulanger zwei gute Seelen sind, die es gestatten, in ihren schriftlichen Aufzeichnungen alles das zu finden, was jenen peinlich wäre, wenn man es in ihren eigenen entdeckte«.*
Mit dem Namen eines 1759 verstorbenen Mitarbeiters an der »Enzyklopädie«, des Philosophen Boulanger, tarnte Holbach sein »Entlarvtes Christentum« und seine »Kritische Untersuchung des Lebens und der Schriften des heiligen Paulus«. Seine Schrift »Die heilige Seuche« schrieb er den englischen DeistenTrenchard und Gordon aus dem 17. Jahrhundert zu. Die »Taschentheologie« gab er als das Werk eines Abbe Bernier aus. Als Autor des »Systems der Natur« war der zehn Jahre vorher verstorbene Sekretär der Akademie, Mirabaud, angeführt. Erst im Jahre 1821 erschien diese grundlegende Arbeit Holbachs unter dem Namen ihres wirklichen Verfassers, und überhaupt wurde das Geheimnis seiner Autorschaft erst 1798 — und auch keineswegs vollständig und ganz zuverlässig — gelüftet, als Naigeon ein Verzeichnis der Arbeiten Holbachs veröffentlichte.
Zu Lebzeiten Holbachs waren in dieses Geheimnis bei weitem nicht alle Stammgäste des Salons in der Rue Saint-Roche eingeweiht— genauer gesagt, wußten nur einige seiner besten Freunde darum, nämlich Diderot, Naigeon, Lagrange, Helvetius und vielleicht Dr. Roud und Grimm. So nimmt es nicht wunder, daß man sich bei einer Reihe von Werken nicht einig ist, ob man sie Holbach zuschreiben soll und inwieweit seine nächsten Freunde an ihrer Entstehung Anteil haben. Bis heute sind verschiedene Zweifel in dieser Hinsicht noch nicht geklärt.
Unter Anwendung der geschilderten Vorsichtsmaßnahmen konnten Holbach und seine Mitarbeiter mehr oder minder ruhig ihren Feldzug gegen kirchliches Dunkelmännertum und religiöse Vorurteile fortsetzen. Trotz aller
* Correspondance litteraire, Paris 1879, Bd. 8, S. 158.
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Anstrengungen, den Haupturheber der gefährlichen Schriften aufzuspüren, mußten sich die königlichen und kirchlichen Behörden mit Repressalien gegen die Bücher selbst begnügen. Das obenerwähnte Urteil des Pariser Parlaments richtete sich nicht nur gegen das »System der Natur«, sondern auch gegen zwei andere Werke Holbachs: »Die heilige Seuche« und »Das entlarvte Christentum«. Das letzte wurde sogar noch früher verbrannt, nämlich im Jahre 1768. 1774 ereilte den »Gesunden Menschenverstand« und zwei Jahre später die »Taschentheologie« das gleiche Schicksal. Außer dem »System der Natur« wurden auch die anderen antireligiösen Pamphlete Holbachs nach und nach auf den päpstlichen »Index« gesetzt. Aber wenn Holbach selbst auch auf diese oder jene Art den polizeilichen Spürhunden entkam, so gelang dies keineswegs immer den Lesern und Verbreitern seiner Bücher. In einem Brief an Sophie Volland erzählt Diderot voller Bitterkeit von einem jungen Mann, der bei einem Buchverkäufer zwei Exemplare des verbotenen »Entlarvten Christentums« kaufte und so unvorsichtig war, eins davon an seinen Meister weiterzuveräußern:
»Dieser zeigt ihn bei dem Polizeileutnant an. Der Buchverkäufer, seine Frau und der Lehrling werden alle drei festgenommen, an den Pranger gestellt, ausgepeitscht und gebrandmarkt. Der Lehrling wird zu neun Jahren, der Buchverkäufer zu fünf Jahren Galeere verurteilt und die Frau lebenslänglich ins Hospital gesperrt.«*
Nach dem »System der Natur« und dem »Gesunden Menschenverstand« ließ das Interesse Holbachs an der Religionskritik erheblich nach, und seine Ansichten über die religiöse Frage zeichneten sich nicht mehr durch jenen kämpferischen Geist aus, der ihn vorher beseelt hatte. Möglich, daß dies zum Teil eine Folge der Scheidung war, die sich zu Beginn der siebziger Jahre im Kreis um Holbach und darüber hinaus im Lager der Aufklärer abzeichnete; Anlaß hierfür war das »System der Natur«, Ursache jedoch die weitere Verschärfung der Klassengegensätze im Lande, das sich bereits der Revolution näherte.
* D. Diderot, »Lettres à Sophie Volland«, Paris 1930, Bd. 3, S. 156.
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Außerdem vermochten Holbach und seine Freunde bei dem damaligen Stand des Materialismus zur Kritik an Religion und Kirche kaum noch Wesentliches hinzuzufügen, das nicht schon in ihren früheren Werken enthalten gewesen wäre.
Die letzten Arbeiten Holbachs sind in der Hauptsache moralischen Problemen gewidmet. Und wenn seine 1773 erschienene Arbeit »Das Gesellschaftssystem« noch den Geist des »Systems der Natur« atmet, tragen die folgenden Werke — »Die natürliche Politik« (1773), »Die allgemeine Moral« (1776), »Tugendherrschaft« (1776) und die postumen »Elemente einer allgemeinen Moral« (1790) — den Stempel abstrakten Moralisierens, vorgetragen in Form pedantischer Belehrungen.
Holbach starb am 21. Januar 1789, wenige Monate vor Ausbruch der Revolution, an deren geistiger Vorbereitung er so aktiv mitgewirkt hatte. Er wurde neben Diderot beigesetzt. Ihre Gräber sind nicht mehr erhalten. Am 9. Februar erschien im »Journal de Paris« ein Nachruf, in dem Naigeon ein glänzendes Bild von seinem Lehrer und Freund entwarf.
Es gibt keine Verleumdung, welche die Kirche im Laufe der Jahrhunderte nicht über Freidenker und Atheisten verbreitet hätte; sie verdammte sie und zieh sie aller erdenklichen Sünden, in erster Linie der Unmoral, die allen, die die Religion verwerfen, eigen sei. Die Geschichte des Atheismus führt diese verleumderischen Erfindungen der Dunkelmänner ad absurdum. Das Bild Holbachs — eines Mannes, der die Religion leidenschaftlich bekämpfte und den Aberglauben in allen seinen Formen schonungslos entlarvte — weckt in uns ein Gefühl tiefer Verehrung. Bei ihm verband sich ruheloser Forschergeist mit einem großen, liebenden Herzen, in dem nach den Worten Diderots »Saiten tönten, die imstande waren, einem die Seele umzukehren«*.
* D. Didro, [kyrillisch] , Moskau-Leningrad 1937, Bd. 8, S. 236.
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Übereinstimmend hoben Holbachs Freunde seine Weichherzigkeit, seine seelische Ausgeglichenheit, seine ungewöhnliche Einfachheit und Umgänglichkeit sowie seine natürliche Heiterkeit hervor, die jedoch einem tiefen Ernst Platz machte, sobald von Tyrannei und Kirche die Rede war. Seine Gelehrsamkeit und sein Gedächtnis setzten alle in Erstaunen.
»Was für ein System meine Phantasie auch erfinden mag«, sagte Diderot einmal scherzend, »ich bin überzeugt, mein Freund Holbach wüßte sofort Tatsachen und Meinungen von Autoritäten zu seiner Untermauerung anzuführen«.*
Holbach, der kein einziges Werk unter seinem eigenen Namen veröffentlichte, war jeglicher Ehrgeiz fremd. Er focht auf ideologischem Gebiet mit vielen Gegnern, auch solchen aus dem Lager der Aufklärer, einen Strauß aus, doch hatte er unter ihnen nicht einen einzigen persönlichen Feind. Die Tatsache, daß er die atheistischen Anschauungen Holbachs ablehnte, hinderte Rousseau nicht, dessen moralische Überlegenheit über viele Verteidiger der Gottesidee anzuerkennen. Obwohl keine engen Beziehungen und keine volle Übereinstimmung in philosophischen und religiösen Fragen zwischen Holbach und Voltaire bestanden, brachten die beiden einander bei ihrer Begegnung im Jahre 1778 — als der »Patriarch von Ferney«** nach Paris zurückkehrte und Holbach, wie Naigeon berichtet, »diesen bedeutenden Menschen, der so viel Meisterwerke aller Art geschaffen hat, zu sehen« wünschte — doch große Hochachtung entgegen. »Sobald man ihn Voltaire meldete«, fährt Naigeon fort, »eilte ihm dieser entgegen und sagte mit jener Lebhaftigkeit, die er allem gegenüber an den Tag legte, was ihn interessierte: <Ich freue mich, Sie zu sehen, Seigneur, ich kenne Sie schon lange durch Ihren Ruf; Sie sind einer von jenen Menschen, deren Freundschaft und Achtung ich gern besäße.>«***
* Correspondance litteraire, Paris 1881, Bd. 15, S. 145.
** Voltaire war Besitzer des Landgutes Ferney, das in der Nähe von Genf lag.
*** Zitiert nach der Beilage zu dem Buch: P. Naville, »D'Holbach«, 1943, S. 452.
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Humanismus war ein hervorstechender Zug des Menschen und des Philosophen Holbach: sah er doch in der Religion die größte Geißel der Menschheit und das Haupthindernis auf dem Wege zum menschlichen Glück, strebte er doch leidenschaftlich danach, die Menschen von religiösen Vorurteilen zu befreien.
Die Werke Holbachs wie auch der anderen bedeutenden französischen Aufklärer des 18. Jahrhunderts fanden ein weltweites Echo und wurden in viele Sprachen übersetzt. Sein »System der Natur« und die atheistischen Pamphlete erfreuten sich in der Folge bei vielen fortschrittlichen Denkern großer Wertschätzung und dienten' ihnen als willkommene Waffe.
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Die atheistischen Pamphlete Holbachs haben, wie wir sahen, ihre geistige Vorgeschichte. Sie wären undenkbar ohne jene Vorarbeit, die ganze Generationen von Freigeistern in Frankreich und außerhalb seiner Grenzen auf dem Gebiet der Kritik an Religion und Kirche geleistet haben. Doch zugleich unterscheiden sich die Pamphlete Holbachs grundsätzlich von allen bis dahin erschienenen atheistischen Werken. In ihnen tritt der Atheismus zum ersten Mal in wahrhaft kämpferischer und kompromißloser Form auf. Die Kritik an der Gottesidee erfolgt hier konsequent und offen. Und was besonders beachtlich ist, der Atheist Holbach wendet sich als erster nicht an einen kleinen Kreis von Eingeweihten, nicht an diejenigen, die mit allen Einzelheiten der Philosophie vertraut sind, sondern an ein viel größeres Auditorium — an alle Gläubigen, die von der Religion zu heilen sein heißester Wunsch ist. All das zusammengenommen ist für die geschichtliche Bedeutung der antireligiösen Werke Holbachs entscheidend und bestimmt die tiefe Verehrung der kämpferischen Atheisten unserer Tage für diesen Menschen, der als Gelehrter und Publizist seine Feder der Befreiung des menschlichen Bewußtseins von der Religion widmete.
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In seinen atheistischen Werken maß Holbach den Beweisen für die Unnahbarkeit der Gottesidee sowie der rationalistischen Kritik an der religiösen Dogmatik und am religiösen Kult besonderes Gewicht bei. Hier zeigt sich uns das Talent Holbachs in seinem vollen Glänze. Offensichtlich hatte Plechanow in erster Linie Holbach im Auge, als er schrieb, die französischen Materialisten des 18. Jahrhunderts »haben Gott guillotiniert lange vor dem guten Doktor Guillotin«*. Ja, man könne sogar sagen, daß Holbach Gott gezwungen habe, sich selbst zu guillotinieren, denn, so argumentiert dieser Philosoph scharfsinnig, wenn Gott die Menschen mit Verstand begabt habe und ausnahmslos alle ihre Handlungen lenke, dann sei seine, Holbachs Widerlegung der Gottesidee gleichfalls Gottes Werk.
Es ist nicht notwendig, hier näher den gesamten Gedankengang, alle Argumente zu verfolgen, die Holbach zur Negierung Gottes führten und die völlige Sinnlosigkeit der theologischen Bemühungen darlegten, das Gegenteil zu beweisen. In den Werken dieses bedeutenden Streiters wider die Religion sind leicht die Überzeugungskraft seiner Urteile, seine Schlagfertigkeit und sein Scharfsinn in der Polemik zu erkennen,, die auch den Leser nach und nach zu atheistischen Schlußfolgerungen führen. Der Leser stellt fest, daß Holbach außerordentlich streng gegen sich selbst ist, daß er den Theologen nichts zuschreibt, was nicht in ihren Schriften steht, daß er es ausgezeichnet versteht, die Theologie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, indem er die ihr innewohnenden zahllosen Widersprüche aufdeckt. Den Beweisgründen der atheistischen Pamphlete Holbachs können sich nur Menschen verschließen, die absolut nicht nachdenken wollen und nur immer stur die rettende Formel: »Dieses Geheimnis ist unergründlich« wiederholen, eine Formel, mit der die Verteidiger der Gottesidee gewöhnlich ihr Zurückweichen vor den Argumenten der Atheisten bemänteln.
* G. W. Plechanow, »Beiträge zur Geschichte des Materialismus«, Dietz Verlag, Berlin 1957, S. 60.
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Hier muß man jedoch hervorheben, daß Holbach nicht nur den menschenähnlichen Gott der Christen ablehnte, sondern überhaupt jede Gottesidee, darunter den Gott der »Naturreligion«, den unpersönlichen Gott der Deisten, der der Materie sozusagen den »ersten Anstoß« gibt, sich dann jedoch zur Ruhe setzt und sich nicht mehr in die irdischen Dinge einmischt.
Beim Nachweis der Unnahbarkeit der Gottesidee stützte sich Holbach auf die von ihm besonders im »System der Natur« entwickelten Thesen eines philosophischen Materialismus. Er verteidigte nicht nur die Prinzipien der materialistischen Naturauffassung, sondern formulierte sogar offen die atheistischen Schlußfolgerungen, worin er mit sein Hauptziel sah.
Holbach entschied die Grundfrage der Philosophie, die Frage nach dem Verhältnis vom Sein zum Denken, materialistisch und lehrte, daß die Materie die einzige, ewige, objektiv existierende Substanz und das Bewußtsein eine Eigenschaft der besonders organisierten Materie ist. Real existiert nur das, was direkt oder indirekt auf unsere Sinne einwirken und vom Bewußtsein wahrgenommen werden kann. Das ist eben die Natur in all ihrer Vielfalt, eine Natur, die weder räumlich noch zeitlich einen Anfang hat, die ständig in Bewegung ist und die selbst in ihrem winzigsten Teilchen keine absolute Ruhe kennt.
»Die Natur«, sagt Holbach, »ist die Ursache von allem; sie existiert durch sich selbst; sie wird immer existieren; sie wird immer wirken; sie ist ihre eigene Ursache; ihre Bewegung ist eine notwendige Folge ihrer notwendigen Existenz; ohne Bewegung können wir die Natur nicht begreifen; dieser Name umfaßt die Gesamtheit der Stoffe, die auf Grund ihrer eigenen Energien wirken.«* In der Natur, so behauptet Holbach, herrscht völlig das Prinzip der Notwendigkeit, demzufolge alle Erscheinungen auf Grund ihrer
* Paul Thiry d'Holbach, »System der Natur oder Von den Gesetzen der physischen und der moralischen Welt«, Aufbau-Verlag, Berlin 1959, S. 401.
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Kausalzusammenhänge zustande kommen. Eine Erscheinung kann nur auf natürliche Weise und nur in einer vorher festgelegten Richtung zustande kommen. Irgendwelche Verletzungen des Prinzips der Kausalität sind völlig undenkbar.
Die atheistischen Schlußfolgerungen Holbachs aus all diesen Thesen des Materialismus sind unwiderlegbar. Es existiert nur eine materielle Substanz, das heißt: es kann keine von der Materie losgelösten geistigen Wesen und vom Körper getrennten Seelen geben. Die Natur ist unendlich und ewig, das heißt: man kann sich nichts außerhalb von ihr und vor ihr vorstellen. Sie ist Urgrund ihrer selbst; mit andern Worten, zu ihrer Erklärung bedarf es keines Glaubens an irgendeine äußere Ursache, das heißt an einen Gott — weder an einen Gott als Schöpfer und Lenker noch an einen Gott, der den ersten Anstoß gegeben hat; ist doch Bewegung, wie Holbach beweist, »Daseinsweise« der Materie, sie ist ihr eigen und ohne sie undenkbar. Wenn man die Natur ohne Vorurteile betrachtet, muß man anerkennen, daß »die Materie vermöge der ihr eigentümlichen Kräfte wirkt und keines äußern Antriebs bedarf, um in Bewegung gesetzt zu werden«*.
Als Vertreter des metaphysischen und mechanistischen Materialismus bestritt Holbach den objektiven Charakter des Zufalls und ging in seinem Determinismus** bis zum offenen Fatalismus***. Die Lehre von der Zwangsläufigkeit der Naturerscheinungen, darunter auch der Handlungen des Menschen, den er als Teil der Natur ansah, war jedoch das stärkste Argument gegen die Theologenerfindungen einer »göttlichen Vorsehung« sowie der Wunder. Holbach wußte nicht, daß das Wesen der Bewegung, ihr innerer Impuls, kraft dessen sie vollführt wird, der Kampf von Gegensätzen ist; aber selbst die rein logisch abgeleitete Erkenntnis der
* Ebenda, S. 26.
** Lehre, die die Willensfreiheit leugnet und alles Geschehen als durch äußere und innere Ursachen bestimmt erklärt.
*** Annahme, daß alles Geschehen durch ein Schicksal (fatum) vorherbestimmt sei.
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inneren Aktivität der Materie gestattete es Holbach, die Gottesidee aus ihrem letzten, dem deistischen Asyl zu verdrängen. Der kämpferische Atheist Holbach erkannte die Unrichtigkeit des Deismus, der nicht imstande war, sich endgültig von der Gottesidee zu lösen: »Der Deismus ist ein System, bei dem der menschliche Geist nicht lange verweilen kann; da es sich auf ein Hirngespinst gründet, wird man sehen, daß es früher oder später in einen widersinnigen und gefährlichen Aberglauben ausartet.«*
Holbach führte einen konsequenten Kampf gegen den Deismus; er widmete ihm nicht wenig Seiten im »System der Natur« wie auch in einigen anderen Werken. Sein Scharfblick ist beachtlich: Im 18. Jahrhundert war der Deismus noch eine verhältnismäßig fortschrittliche Lehre — aus deistischer Position heraus griffen Voltaire und einige andere Aufklärer erfolgreich die orthodoxe Glaubensform an. In der Folgezeit bedienten sich jedoch die Ideologen der reaktionären Bourgeoisie des Deismus, um die Religion zu renovieren.
Die Erkenntnis, daß die psychischen Erscheinungen eine Eigenschaft der Materie sind, war von ungeheurer Bedeutung für die theoretische Fundamentierung des Atheismus und für die positiven Urteile über die Normen des menschlichen Verhaltens, die in Einklang mit dem »Naturgesetz« stehen, mit der Einsicht, daß es außer dem irdischen kein anderes Dasein für den Menschen gibt und daß nur dieses allein Gegenstand der Sorgen und Mühen des Menschen sein darf. »... diejenigen, die im Menschen eine immaterielle, von seinem Körper unterschiedene Substanz angenommen haben; haben sich selbst nicht verstanden und sich nur eine negative Eigenschaft vorgestellt, von der sie keine wirkliche Idee hatten ... Was man als Seele bezeichnet, bewegt sich mit uns; die Bewegung aber ist eine Eigentümlichkeit der Materie.«**
* Paul Thiry d'Holbach, a.a.O., S. 520
** Ebenda, S. 74
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Wenn jedoch die »Seele« nichts weiter als eine Eigenschaft der Materie ist, kann auch von ihrer Unsterblichkeit keine Rede sein. Die Eigenschaft verschwindet unvermeidlich mit dem Zugrundegehen ihres materiellen Trägers. »Die einfachsten Betrachtungen über die Natur unserer Seele müßten uns davon überzeugen, daß die Idee von ihrer Unsterblichkeit nur eine Illusion ist.«*
Doch welche wahrhaft verhängnisvollen Folgen hatte diese Illusion, die schon von alters her das Bewußtsein der Menschen schädlich beeinflußt hat! Ohne sie gäbe es nicht den Glauben an ein jenseitiges Leben und an eine Vergeltung der irdischen Taten; dieser Glaube gibt, wie Holbach nicht müde wurde zu betonen, nur eingebildeten Trost, er wurde zur Quelle wirklicher Leiden von Millionen Menschen und zum Mittel der Bereicherung für die Priesterkaste, der »... die Regionen der Zukunft geholfen haben, die Welt zu erobern. Die Erwartung einer himmlischen Glückseligkeit und die Furcht vor künftigen Strafen haben die Menschen nur von dem Gedanken abhalten sollen, ihr Glück auf dieser Erde zu suchen.«**
So zieht Holbach aus der These des philosophischen Materialismus, daß die materielle Substanz eine Einheit ist, eine überaus wichtige, revolutionäre atheistische Schlußfolgerung, die seiner gesamten Kritik an Religion und Kirche zugrunde liegt.
Wenn wir auch den kämpferischen Atheismus Holbachs in vollem Maße anerkennen, dürfen wir doch nicht an der Tatsache vorübergehen, daß in den zweihundert Jahren, die uns von jener Zeit trennen, die wissenschaftliche Religionskritik gewaltige Fortschritte gemacht hat. In dem atheistischen Erbe der französischen Materialisten des 18. Jahrhunderts muß man das, was dem Prüfstein der Zeit standgehalten hat, von dem bereits veralteten trennen!
* Ebenda, S. 191.
** Ebenda, S. 205.
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Den Werken Holbachs und seiner Freunde haftet, bedingt durch den mechanistischen Charakter ihres Materialismus und durch ihre idealistische Auffassung vom gesellschaftlichen Leben, eine gewisse Beschränktheit an. Allerdings zeigten sich einige von ihnen, in erster Linie Diderot und Helvetius, bisweilen vom mechanistischen Standpunkt unbefriedigt und stellten sogar einzelne dialektische Thesen auf. Es gab bei ihnen, besonders bei Helvetius, Versuche — wenn auch keine konsequenten —, über den Idealismus auf dem Gebiet der Geschichte hinauszukommen. Bei der Lösung der Grundprobleme des gesellschaftlichen Lebens jedoch ließen sie sich ganz und gar vom Idealismus leiten; das kommt unter anderem zum Ausdruck, wenn sie die Quellen der Religion, ihre Rolle in der Gesellschaft und die Wege zu, ihrer Überwindung bestimmen.
Auf Grund seiner materialistischen Geschichtsauffassung leitet der Marxismus die Religion in der Endkonsequenz aus der ökonomischen Basis der Gesellschaft, aus dem materiellen Sein der Menschen ab, von dem auf jeder Entwicklungsstufe der Charakter der Gesellschaftsordnung, der politischen Einrichtungen und der herrschenden Ideen abhängt. Die den Menschen beherrschenden gesellschaftlichen Mächte finden in der Religion, wie Engels sagt, ihre phantastische Widerspiegelung, in der sie »die Form von überirdischen [Mächten] annehmen«*. Vor allem auch durch die Lehre von den sozialen Wurzeln der Religion unterscheidet sich der marxistische Atheismus von dem Atheismus der Vergangenheit, darunter auch dem Holbachs. Die Ohnmacht des Menschen im Kampf mit der Natur, bedingt durch das außerordentlich niedrige Niveau des materiellen Lebens, erzeugte an der Schwelle zur Geschichte die religiösen Vorstellungen. In den antagonistischen Gesellschaftsordnungen blieb diese Wurzel der Religion erhalten, doch wurde nun die Unterdrückung ganzer Klassen, die Versklavung des Volkes durch Ausbeuter — erst durch die Sklavenhalter und Feudalherren, dann durch die Kapitalisten — zur Hauptursache der religiösen Vorstellungen.
* Friedrich Engels, »Antidühring«, Dietz Verlag, Berlin 1956, S. 393.
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»Die soziale Unterdrückung der werktätigen Massen«, schrieb Lenin, »ihre scheinbar völlige Ohnmacht gegenüber den blind waltenden Kräften des Kapitalismus, der den einfachen arbeitenden Menschen täglich und stündlich tausendmal mehr der entsetzlichsten Leiden und unmenschlichsten Qualen bereitet als irgendwelche außergewöhnlichen Ereignisse wie Kriege, Erdbeben usw. — darin liegt heute die tiefste Wurzel der Religion.«*
Diese soziale Unterdrückung führt auch dazu, daß die Menschen in der Religion, in ihren Versprechungen einer ewigen Seligkeit und eines phantastischen Jenseits Trost suchen. »Die Religion«, sagt Lenin, »ist eine Form des geistigen Jochs, das überall und allenthalben auf den durch ewige Arbeit für andere, durch ein Leben in Elend und Verlassenheit niedergedrückten Volksmassen lastet.«**
Die Lehre des Marxismus von den sozialen Wurzeln der Religion gibt auch auf die Frage, unter welchen Bedingungen diese wieder aus der Welt verschwinden würde, eindeutig Antwort. Die religiösen Vorurteile werden endgültig erst im Kommunismus überwunden sein, sobald, wie Marx sagt, »die Verhältnisse des praktischen Werkeltagslebens den Menschen tagtäglich durchsichtig vernünftige Beziehungen zueinander und zur Natur darstellen«***.
Diese Thesen des Marxismus gilt es bei der Bewertung der Ansichten der französischen Materialisten des 18. Jahrhunderts über die Religion zu berücksichtigen.
»Die Meinungen regieren die Welt.« An dieser Formel hielt Holbach, Idealist in der Erklärung gesellschaftlicher Erscheinungen, bei all seinen Meinungsäußerungen über gesellschaftspolitische Probleme fest. Hierauf läßt sich auch seine Einstellung zur Religion als gesellschaftlicher Erscheinung zurückführen.
I. Lenin, »Marx-Engels-Marxismus«, Dietz Verlag, Berlin 1957, S. 261.* "W.
** W. I. Lenin, Über die Religion, Dietz Verlag, Berlin 1956, S. 6.
*** Karl Marx, »Das Kapital«, Dietz Verlag, Berlin 1953, Bd. 1, S. 85.
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Durch falsche, vernunftwidrige, der »wahren« Moral entgegengesetzte »Meinungen« werden vernunftwidrige, unmoralische Beziehungen zwischen den Menschen, werden niedrige Leidenschaften und Tyrannei erzeugt. Vernünftige, mit dem »Naturgesetz« und mit der menschlichen Natur übereinstimmende »Meinungen« dagegen tragen zur Schaffung gerechter, vernünftiger Verhältnisse bei, die dem wohlverstandenen Interesse der Menschen sowie der Gesellschaft insgesamt entsprechen. Was aber gibt es Vernunftwidrigeres, Dümmeres und Primitiveres als die Religion mit ihren phantastischen Vorstellungen, ihrer absurden Dogmatik, ihrem dem gesunden Menschenverstand zuwiderlaufenden Zeremoniell, ihrer Intoleranz und ihrem Dunkelmännertum? So argumentierend kommt Holbach zu dem Schluß, daß die Religion wohl die Hauptursache jeglichen Übels auf der Welt sei und daß die Befreiung der Menschheit von all ihren Leiden in dem Moment erfolgen würde, wo sie sich von ihren religiösen Vorurteilen befreite. »... die Religion«, so sagt Holbach, »sollte als die wahre Büchse der Pandora angesehen werden, aus der alle die Leiden entsprangen, die das Menschengeschlecht bedrücken ...«* ».. überall ist die Religion die ursprüngliche Quelle ihrer** Versklavung, ihrer religiösen und politischen Vorurteile, ihrer blutigen Streitigkeiten, ihrer eingewurzelten Haßgefühle, ihrer inneren Ängste, ihrer schmerzlichsten Kümmernisse.«*** »Allein der Religion verdanken die Sterblichen den furchtbaren Despotismus, der auf Erden herrscht und der das begehrte Ziel aller Herrscher der Welt ist.«†
Daraus folgert Holbach: »Wilde und vernunftlose Götter ... haben das Universum mit Verbrechen und Elend überschwemmt... Sie müssen umgestürzt und vernichtet werden, wenn man die Quelle der Leiden zum Versiegen bringen will, von denen das Menschengeschlecht heimgesucht wird.«††
V.* [P. Holbach], »La contagion sacree, ou Histoire naturelle de la superstition«, Londres 1768, Bd. 1, S.
** »Ihrer« bezieht sich auf »Menschen«.
*** [P. Holbach], »La contagion sacree«, a. a. O., S. 25.† Ebenda, S. 124.
†† Ebenda, S. 164.
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Es ist leicht zu ersehen, daß Holbach das Problem auf den Kopf stellt, daß er in der Ursache die Folge sieht und in der Folge die Ursache. Aber während ihn der Idealismus in der Deutung der Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens die wirklichen Wurzeln der Religion nicht erkennen ließ, zeichnen sich seine Ansichten über ihre gesellschaftliche Rolle sowohl durch breites Erfassen als auch durch gedankliche Tiefe und durch politische Klarheit aus. Das Fehlen bürgerlichen Eigennutzes und das Streben nach allgemeinem Wohlstand — hervorstechende Züge bei den französischen Aufklärern des 18. Jahrhunderts, wie Lenin feststellt — zeigen sich hier vielleicht deutlicher als bei irgendeinem anderen Problem. Und aus eben diesem Grunde haben die Ansichten Holbachs über die reaktionäre Rolle der Religion bis auf den heutigen Tag nichts von ihrer kämpferischen Kraft eingebüßt.
»Die Religion«, so schreibt Holbach, »ist die Kunst, die Menschen durch Schwärmerei trunken zu machen, um sie daran zu hindern, sich über die Übel klarzuwerden, mit denen sie von denjenigen, die sie regieren, hienieden überhäuft werden. Mit Hilfe der unsichtbaren Mächte, mit denen man ihnen droht, zwingt man sie, schweigend die Leiden zu ertragen, mit denen sie von den sichtbaren Mächten niedergehalten werden; man läßt sie darauf hoffen, daß sie in einer künftigen Welt glücklicher sein werden, wenn sie einwilligen, in der gegenwärtigen unglücklich zu sein.«*
Was der Charakterisierung der gesellschaftlichen Rolle der Religion hier allerdings fehlt, ist eine Analyse vom Klassenstandpunkt her — doch wäre es ungerecht, Holbach hieraus einen Vorwurf machen zu wollen. Er zählte zu jenen, die im 18. Jahrhundert aktiv an der entscheidenden Schlacht »gegen alles mittelalterliche Gerumpel, gegen den Feudalismus in den Einrichtungen und Ideen«** teilnahmen. Und
I. Lenin, Ausgewählte Werke in zwei Bänden, Dietz Verlag, Berlin 1953, Bd. 1, S. 64.* [P. Holbach], »Le Christianisme devoile ou Examen des principes et des effets de la Religion Chretienne«, Londres 1790, S. 226.
** W.
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die Religion gehörte, wie wir wissen, zum Rüstzeug der weltlichen und der geistlichen Feudalherren, des Despotismus und der Tyrannei. Das hatte Holbach ganz klar erkannt. Und so wies er immer wieder geduldig und eingehend auf den Schaden hin, den die Religion jedem einzelnen und der ganzen Gesellschaft zufügt. Hierin liegt eine der stärksten Seiten seines Atheismus.
In enger Beziehung hierzu steht Holbachs Kritik an der religiösen Moral. Grundlage der ethischen Anschauungen Holbachs wie überhaupt aller Enzyklopädisten war das Prinzip der Nützlichkeit oder des Interesses, demzufolge die »wahre Tugend« des Menschen das in seiner Natur liegende Streben nach Glück ist. Das war eine für damalige Zeiten revolutionäre Anschauung, die in der Forderung gipfelte, das Wohlergehen jedes beliebigen Individuums müsse mit dem Wohlergehen der ganzen Gesellschaft harmonisch verbunden sein. Diese Anschauung stand in krassem Widerspruch zu den moralischen Vorschriften und zur Praxis der Religion und der Kirche, das heißt zur Moral der herrschenden, der feudalen Stände.
Getreu seiner Konzeption, derzufolge in der Religion die unmittelbare Ursache allen menschlichen Elends zu suchen war, erklärte Holbach auch die moralische Unvollkommenheit der Menschen nur mit ihren religiösen Vorurteilen.
»Wenn wir uns bemühen, zur wirklichen Quelle der Verderbnis der Sitten bei einer großen Anzahl von Völkern vorzudringen, so werden wir sehen, daß daran die fürchterlichen Begriffe schuld waren, die ihnen die Religion von ihren Gottheiten gegeben hat.«*
»Die Religion ist gewöhnlich die Grundursache der absonderlichsten, der abstoßendsten und der unnatürlichsten Gebräuche.«** Er wußte nicht und konnte auch nicht wissen, daß die Moral, die durch die Religion gepredigt wird, die Moral der Ausbeuterklassen ist, die nicht überwunden werden kann, solange diese Klassen existieren.
* [P. Holbach], »La contagion sacree«, Londres 1768, Bd. 2, S. 57.
** Ebenda, S. 58.
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Aber wenn sich Holbach auch hinsichtlich des Wesens der religiösen Moral irrte, so deckte er doch vom Standpunkt seiner Ethik aus richtig und schonungslos die Amoralität jeglicher Religion auf. Wenn, so argumentierte er, die wahre Moral in dem Streben nach Glück besteht, und zwar einem Streben, bei dem das Wohlergehen des einzelnen mit dem Wohlergehen der Gesellschaft in Einklang stehen muß — welch großes Hindernis auf dem Wege hierzu stellt dann die Religion, darunter auch die christliche, dar, die das Bewußtsein des Menschen von der Kindheit bis zum Grabe mit all ihren Anschauungen und Vorschriften, durch ihre gesamte Praxis vergiftet, indem sie ihn im Geiste gegenseitigen Hasses und der Verachtung aller irdischen Güter erzieht!
Die durch die Religion geförderte Unwissenheit trägt, nach Holbach, zum »allgemeinen Verfall der Sitten« bei. Er hebt hervor, wie verderblich die Verknüpf ung der Moral mit dem Aberglauben, sein Einfluß auf die Moral ist, als dessen Folge der Aberglaube »sie seinen Launen unterwarf«. Geduldig enthüllt er seinen Lesern, wie häßlich die Moral der christlichen »heiligen Bücher« ist, zeigt er die völlige Unvereinbarkeit der in ihnen enthaltenen moralischen »Vorbilder« mit den Forderungen der »natürlichen« menschlichen Moral. Am aufschlußreichsten in dieser Beziehung ist sein »Gemälde der Heiligen«, in dem er der Reihe nach die legendären Geschichten von den Herrschern und Propheten des Alten Testaments, die Legenden des Neuen Testaments und schließlich die Lebensbeschreibungen der christlichen Heiligen und Märtyrer unter dem moralischen Gesichtspunkt analysiert. Seine Schlußfolgerungen enthalten nichts Tröstliches für die Religion. Holbach erteilt ihrer Moral auch da eine vernichtende Abfuhr, wo er Untersuchungen über die Geschichte des Christentums, in erster Linie des Katholizismus, anstellt — eine Geschichte, voll von ungeheuren Verbrechen.
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Holbachs Religionskritik ist konsequent rationalistisch. Er unterwirft die Religion dem Richterspruch der Vernunft und des gesunden Menschenverstandes und enthüllt in allen Einzelheiten ihre innere Widersprüchlichkeit. Aber er wendet sich nur sehr selten den geschichtlichen Voraussetzungen des Lebens der Menschen zu. Überhaupt dient ihm die Geschichte nur dazu, Beispiele zur Illustrierung der rational abzuleitenden Erkenntnisse über den moralzersetzenden und kulturfeindlichen Einfluß der Religion zu liefern. Hierin kommen sowohl die positiven als auch die negativen Seiten in Holbachs Schaffen zum Ausdruck. Positiv deshalb, weil Holbach, indem er die Unsinnigkeit und Widersprüchlichkeit der religiösen Vorstellungen, Dogmen und Riten aufdeckt und überzeugend nachweist, daß die Theologen außerstande sind, die Gottesidee zu verteidigen, der Religion schonungslos den Nimbus der Heiligkeit, der Unanfechtbarkeit und der »göttlichen Inspiration« raubt.
Doch Holbach verwirft die Religion und ihre Moral nicht einfach nur als eines Menschen mit gesundem Verstand unwürdig; er unterzieht die Gottesidee vom Standpunkt des philosophischen Materialismus aus einer vernichtenden Kritik, er bekräftigt die materialistischen Prinzipien der Naturauffassung, und er beweist überzeugend die Richtigkeit des Atheismus. Wenn man all dies in Betracht zieht, sieht man leicht ein, daß seine rationalistische Religionskritik von großer fortschrittlicher Bedeutung war. Gleichzeitig erweist sich diese Religionskritik jedoch als unzureichend, da Holbach nicht historisch an sie herangehen konnte. Im Zusammenhang hiermit ist es angebracht, an eine wesentliche Eigenschaft des »gesunden Menschenverstandes« zu erinnern, die nach einer tiefgründigen Bemerkung von Marx in folgendem besteht: »Aus der Geschichte flüchtet er in die Moral, und nun kann er das sämtliche schwere Geschütz seiner sittlichen Entrüstung spielen lassen.«*
Es ist bekannt, daß Holbach unermüdlich und aus aufrichtigem Herzen seine sittliche Entrüstung über die
* Marx-Engels-Gesamtausgabe, Berlin 1932, 1. Abt., Bd. 6,'S. 312.
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Religion zum Ausdruck brachte und daß dies seinem Atheismus ein edles, kämpferisches Pathos verlieh. Diese sittliche Entrüstung war für Holbach Grund genug, die Religion zu verdammen, sie ihres Nimbus zu entkleiden; sie nützte ihm jedoch herzlich wenig bei der Erklärung so wichtiger Fragen wie der nach dem Ursprung der Religion und nach den Voraussetzungen für die Überwindung der Religion.
In der Religion sah Holbach ganz richtig eine Weltanschauung, die mit der Wissenschaft völlig unvereinbar ist. Da er jedoch die wirklichen, materiellen Quellen der religiösen Vorstellungen nicht kannte, gelangte er naturgemäß zu dem Schluß, daß diese Vorstellungen, die jedes rationalen Gehalts entbehren, vor undenklichen Zeiten aus Unverstand und Unwissenheit des Urmenschen in die Welt kamen. Unwissende Menschen sind leichtgläubig und lassen sich leicht betrügen; deshalb, so argumentierte Holbach weiter, wurden sie ein Opfer derjenigen, die ihre unsinnigen religiösen Phantasien aus eigennützigen Motiven heraus zu festigen und zu verstärken bemüht waren. Allerdings begnügte sich Holbach nicht mit dieser Feststellung. Beim Meditieren über den Ursprung der Religion kam er zu dem Schluß, daß hier die Furcht eine große Rolle gespielt haben müsse. Er brachte die Entstehung der Religion sogar mit Unbilden aller Art in Verbindung, denen sich die Menschen jener Zeit ausgesetzt sahen, und schrieb an einer Stelle bildhaft, daß »die Götter der Völker im Schöße des Schreckens entstanden sind«*. All diese Überlegungen, die ein Körnchen Wahres enthalten und dem forschenden Geist Holbachs alle Ehre machen, ändern jedoch nichts an seiner Grundkonzeption, die im großen und ganzen das wiederholt, was alle Freigeister vor ihm, angefangen mit Lukrez, gesagt haben.
Nach Ansicht Holbachs entspringen sowohl Furcht als auch Armut gleichermaßen der Unwissenheit des Menschen. Die Furcht der Urmenschen ist für Holbach eine rein psychologische Kategorie, die mit ihren sozialen Lebensbedingungen überhaupt nichts zu tun hat.
* Paul Thiry d'Holbach, »System der Natur«, a.a.O., S. 279.
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Ausgehend von der materialistischen Konzeption der Erkenntnis — von der These, daß die Ideen dem Menschen nicht angeboren sind —, beweist Holbach, daß auch die Religion nicht von Anfang an existiert hat, daß sie auf Grund ganz natürlicher Ursachen entstanden ist und sich entwickelt hat. Sehr interessant ist sein Versuch, ein Bild der fortschreitenden Veränderungen in den Formen der Religion — von der Fetischverehrung und der Personifizierung der Naturkräfte bis zum Polytheismus und Monotheismus — zu entwerfen. Holbach nahm ganz richtig an, daß dem Glauben an einen einzigen Gott und Schöpfer die Vielgötterei voranging. Folgende Stelle bezieht sich hierauf: »Die erste Theologie des Menschen ließ ihn zunächst die Elemente selbst, materielle und rohe Gegenstände fürchten und anbeten; dann verehrte er über den Elementen stehende Agentien, mächtige und untergeordnete Schutzgeister, Heroen oder durch große Eigenschaften ausgezeichnete Menschen. Nach vielem Nachdenken glaubte er die Dinge dadurch vereinfachen zu können, daß er die gesamte Natur einem einzigen Agens, einer höchsten Intelligenz, einem Geist, einer universellen Seele unterwarf, die diese Natur und ihre Teile in Bewegung setzte.«*
Es ist unschwer zu erkennen, daß Holbach an diese Frage als Idealist heranging; als Haupttriebfeder all dieser Veränderungen in den religiösen Vorstellungen der Menschen bezeichnet er die »Überlegung«; und trotzdem entspricht der von ihm skizzierte Ablauf dieser Veränderungen — zumindest in den Grundzügen — der Wirklichkeit, wie die moderne Wissenschaft bestätigt.
Mit Holbachs Theorie vom Ursprung der Religion stimmt auch seine Auffassung von den Wegen zu ihrer Überwindung vollständig überein. Da Holbach die Religion aus der Unwissenheit herleitet, kommt er zu der Schlußfolgerung,
* Ebenda, S. 283.
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daß die Befreiung des Menschen von den religiösen Vorurteilen in dem Moment erfolgt, da über ihm die Flamme des Wissens aufleuchtet und auch die geringste Neigung, an etwas Übernatürliches zu glauben, schwindet. Aufklärung ist nach Holbach das wichtigste und völlig ausreichende Mittel, um die Menschen von allen Irrtümern, darunter auch der Religion, zu heilen. Hierin ist er ein echter Aufklärer. »Wenn die Unkenntnis der Natur«, so schreibt Holbach, »Anlaß zur Erschaffung von Göttern war, so ist die Kenntnis der Natur dazu angetan, diese wieder zu zerstören. Je klüger der Mensch wird, um so mehr Kräfte und Hilfsquellen wird er sich mit seinen Einsichten erschließen; die Wissenschaften, die Künste und der Fleiß helfen ihm, und die Erfahrung gibt ihm Gewißheit oder verschafft ihm Mittel, sich dem Streben vieler Ursachen zu widersetzen, die ihn nicht mehr beunruhigen, sobald er sie erkannt hat. Kurz, seine Furcht verringert sich in demselben Maße, wie sich sein Geist aufklärt. Der unterrichtete Mensch hört auf, abergläubisch zu sein.«*
Selbstverständlich spielt die Aufklärung bei der Befreiung des Volkes von seinen religiösen Vorurteilen eine bedeutende Rolle. Der Kampf gegen die Religion ist ein ideologischer Kampf, und Holbach war auf dem rechten Wege, wenn er die Aufmerksamkeit hierauf lenkte. Doch nur dann können die religiösen Vorurteile unter dem Ansturm der Aufklärung ihren Einfluß einbüßen, wenn ihre Hauptwurzel, das soziale Unrecht, ausgerissen und ausgerottet ist, wenn sie im Bewußtsein der Menschen zu einem Überbleibsel der Vergangenheit geworden sind.
»Keine Aufklärungsschrift«, so schreibt Lenin, »wird die Religion aus den Massen austreiben, die, niedergehalten durch die kapitalistische Zwangsarbeit, von den blind waltenden, zerstörenden Kräften des Kapitalismus abhängen, solange diese Massen nicht selbst gelernt haben werden, vereint, organisiert, planmäßig, bewußt zu kämpfen gegen diese Wurzeln der Religion, gegen die Herrschaft des Kapitals in allen ihren Formen.«*
* Ebenda, S. 289/90.
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Aufklärung allein ist nicht imstande, mit den Vorurteilen fertig zu werden, wenn die Massen unter dem Druck der Ausbeuter schmachten, der, wie Lenin sagt, diese Vorurteile »täglich und stündlich« erzeugt und nährt.
Der bürgerliche Aufklärer Holbach kannte diesen Hauptumstand nicht und konnte ihn auch nicht kennen. Allerdings machte er die Erreichung des menschlichen Wohlstandes von der Beseitigung nicht nur der Religion, sondern auch der Tyrannei abhängig, die den Einfluß jeglichen Aberglaubens förderte. Aber auch die Beseitigung der Tyrannei stellte sich ihm ausschließlich als Resultat der Aufklärung, der Tätigkeit eines »aufgeklärten Herrschers« dar, der begriffen hat, daß man gerechte, auf den »Geboten der Natur« beruhende Gesetze schaffen muß.
In der Politik war er, wie wir sehen, kein Revolutionär. Er glaubte nicht an die Kraft des Volkes, das er für unfähig zu jeglicher schöpferischer Handlung, für eine träge Masse hielt.
Holbach wurde nicht müde zu wiederholen, »daß eine Gesellschaft von Atheisten, die keine Religion hat,... unendlich ehrenhafter und tugendhafter sein müßte als jene religiösen Gesellschaften, in denen alles dazu beiträgt, den Geist zu verblenden und das Herz zu verderben«**. Der Propagierung der Rechtlichkeit und der moralischen Vorzüge des Atheismus räumte er in seinen Werken viel Platz ein — unter anderem in den »Briefen an Eugenie« und vor allem in »Der gesunde Menschenverstand«. Leidenschaftlich sehnte er den Anbruch jener Zeit herbei, da der Atheismus Gemeingut des ganzen Volkes und nicht nur eines kleinen Kreises von Gebildeten sein würde.
I. Lenin, »Marx-Engels-Marxismus«, Dietz Verlag, Berlin 1957, S. 262.* W.
** Paul Thiry d'Holbach, »System der Natur«, a. a. O., S. 536.
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Holbach war jedoch gar nicht so sehr davon überzeugt, daß eine derartige Zeit anbrechen würde. Angesichts der Rückständigkeit und Unwissenheit der Massen, des gedankenlosen, blinden Glaubens an Gott, der das Denken von Millionen in Fesseln schlug, bei dem Fehlen selbst einfacher Lese- und Schreibkenntnisse im Volk schlichen sich Zweifel in seine Seele, ob es überhaupt jemals möglich sein würde, den unheilvollen Einfluß der Religion zu beseitigen. »So kann man nicht annehmen, ein ganzes Volk aus dem Abgrund des Aberglaubens, das heißt aus dem Schoß der Unwissenheit und des Wahns zum unbedingten Atheismus führen zu können; denn dieser setzt Überlegung, Studium, Kenntnisse, eine lange Reihe von Erfahrungen, eine zur Gewohnheit gewordene Betrachtung der Natur, das Wissen um die wahren Ursachen ihrer verschiedenen Erscheinungen, um ihre Verbindungen, um ihre Gesetze, um die Dinge, aus denen sie gebildet ist, und um deren verschiedene Eigentümlichkeiten voraus.«*
Hieraus kann man Holbach keinen Vorwurf machen. Die klare Erkenntnis, daß es mit der theoretischen Überwindung der Religion allein nicht getan ist, sondern daß sie auch praktisch überwunden werden muß, konnte erst der marxistische Atheismus gewinnen.
So ist in den vor fast zweihundert Jahren geschriebenen atheistischen Werken Holbachs nicht wenig enthalten, was längst überholt ist und von der heutigen fortschrittlichen Wissenschaft abgelehnt wird. Doch folgt hieraus keineswegs, daß Holbachs Religionskritik ihren erkenntnistheoretischen und praktischen Wert eingebüßt hat. In seinem bekannten Aufsatz »Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus« machte sich Lenin über diejenigen lustig, die bestrebt waren, die talentvolle atheistische Publizistik der französischen Materialisten des 18. Jahrhunderts zum alten Eisen zu werfen mit der Begründung, sie sei völlig unwissenschaftlich, naiv und veraltet.
* Ebenda, S. 537.
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»Es gibt nichts Schlimmeres als dergleichen hochgelahrte Sophismen, hinter denen sich entweder Pedanterie oder ein vollkommenes Unverständnis für den Marxismus verbirgt«*, schrieb Lenin über diese Leute. Lenin wies darauf hin, daß in den Werken der französischen Atheisten des 18. Jahrhunderts tatsächlich längst nicht alles akzeptabel für uns ist, schätzte diese Werke aber dennoch hoch ein und vertrat die Meinung, daß sie uns noch spürbar helfen können, den gläubigen Menschen aus seinem religiösen Schlaf zu rütteln, sein Interesse zu wecken, eine bewußte Einstellung zu religiösen Fragen in ihm wachzurufen.
Die rationalistischen Beweisgründe, die Holbach gegen die religiöse Dogmatik, den Kult und die Gottesidee selbst ins Treffen führte, haben auch heute noch nicht ihre Kraft eingebüßt. Präsentieren doch die modernen Verkünder des Christentums den Gläubigen im Grunde genommen die gleiche theologische »Weisheit« wie schon zu Holbachs Zeiten. Auch jetzt zwingen die Seelenhirten ihre Gläubigen immer noch, den »heiligen« Büchern des Alten und des Neuen Testaments Ehrfurcht entgegenzubringen, die in ihnen enthaltenen Legenden für Wahrheit zu nehmen, die althergebrachten Zeremonien einzuhalten usw.
Großes Interesse verdienen die Pamphlete Holbachs auch als bemerkenswerte, der Form nach in vieler Hinsicht bis heute unübertroffene Musterbeispiele für die Propagierung des Atheismus.
Allerdings findet man in diesen Pamphleten weder die künstlerische Sprache Voltaires noch die schillernde Pracht der schöpferischen Gedanken Diderots, noch die ausgesuchte Eleganz und Leichtigkeit des Stils von Helvetius. Sie enthalten viele Wiederholungen, die auf den ersten Blick sogar überflüssig erscheinen mögen. Sie sind stellenweise zu abstrakt und verwöhnen einen nicht gerade mit Beispielen aus der Geschichte, die bei dem Autor** des Werkes »Vom Geist« so häufig sind.
I. Lenin, »Marx-Engels-Marxismus«, Dietz Verlag, Berlin 1957, S. 524.* W.
** Gemeint ist Helvetius — d. Red.
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Der Antihistorismus tritt bei Holbach vielleicht stärker in Erscheinung als bei jedem anderen der Enzyklopädisten. Doch trotz alledem weisen die Pamphlete Holbachs Qualitäten auf, die den Werken seiner Kampfgefährten fehlen. Das liegt daran, daß Holbach immer und vor allem Propagandist des Atheismus ist, daß er sich von dem Bestreben leiten läßt, auch dem in der Philosophie nicht bewanderten Leser den gesamten Gang seiner Überlegungen verständlich zu machen.
Es ist Holbachs Bestreben, alle seine Schlußfolgerungen zu beweisen. Deshalb bringt er eine unendliche Geduld auf und hält es für besser, bereits Bekanntes zu wiederholen und zu unterstreichen als zu riskieren, daß die Leser den Faden seiner logischen Überlegungen verlieren. Grimm tat unrecht, als er sich über Holbachs Stil lustig machte und ihn mit monotonen Kuckucksrufen verglich. Auf Holbach kann man voll und ganz das anwenden, was Naigeon über den Stil Frerets gesagt hat: Häufige Wiederholungen »zerstören die Wärme und die Leichtigkeit des Stils und machen die Darstellung etwas schwerfällig«, sie sind jedoch notwendig, »damit die Grundthesen des Autors die Erinnerung und die Vorstellung des Lesers ständig wachhalten«, denn wenn auch nur eine der Thesen des Autors »vergessen oder schlecht verstanden wird, reißt die Beweiskette unvermeidlich ab, und als Ergebnis läuft sogar das begründete System selbst Gefahr, an Überzeugungskraft einzubüßen«.* Zweifellos hat Holbachs Schaffen Naigeon zu diesen Gedanken inspiriert.
* Encyclopedie methodique. Philosophie ancienne et moderne par M. Naigeon, Paris 1792, Bd. 2, S. 533.
Die atheistischen Werke Holbachs sind voll von beißender Ironie, welche die häßliche Absurdität religiöser Vorurteile geißelt. Er bedient sich oft der Lächerlichkeit als Waffe, um so deutlich wie möglich die ganze Armseligkeit der theologischen »Weisheit« zu zeigen. Hierin liegt eine der wichtigsten Besonderheiten der Form von Holbachs Pamphleten.
Ihre zweite Besonderheit ist ihre leicht faßliche Darstellung, die diese Pamphlete nicht nur für einen auserwählten Kreis von Menschen, sondern auch für den Durchschnittsleser verständlich macht — für »Bedienstete und Perrückenmacher«, wie Grimm mit deutlicher aristokratischer Geringschätzung schrieb; aber eben diese Worte stellen den antireligiösen Schriften Holbachs, die für die Aufklärung einer möglichst großen Anzahl von Menschen geradezu prädestiniert waren, das beste Zeugnis aus.
Auch heute noch suchen reaktionäre bürgerliche Philosophen in der Religion und in jeglicher Art von Mystik Trost, auch jetzt noch überschlagen sie sich dabei, Holbach und die anderen französischen Atheisten des 18. Jahrhunderts zu »widerlegen«. Die Bourgeoisie hat schon längst das Erbe verraten, das die fortschrittlichen Denker des 18. Jahrhunderts hinterlassen haben.
Die atheistischen Schriften Holbachs wie auch die Werke der anderen Enzyklopädisten gehören jetzt denen, die für Frieden, Freiheit und Sozialismus kämpfen. In diesem Kampf hat auch Holbachs Publizistik ihren Platz, trägt auch sie ihr Teil zur Befreiung des menschlichen Bewußtseins von geistiger Sklaverei bei.
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