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3. Brief 

 

 

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Sie haben in meinem vorigen Brief die nicht miteinander zu vereinbarenden und widerspruchsvollen Ideen kennengelernt, die die Religion uns von Gott gibt. Sie haben feststellen müssen, daß die Offenbarung, die man als eine Wirkung seiner Güte und seiner Zuneigung gegenüber dem Menschengeschlecht bezeichnet, in Wirklichkeit nur ein Beweis für seine Ungerechtigkeit und Willkür ist, die man bei einem unendlich gerechten und guten Gott nicht erwarten dürfte. 

Prüfen wir nunmehr, ob die Ideen, die uns die Bücher, in denen die göttlichen Orakel enthalten sind, darbieten, vernünftiger und konsequenter sind und ob sie den göttlichen Vollkommenheiten mehr entsprechen. Wir wollen sehen, ob die Tatsachen, die die Bibel berichtet, ob die Gebote, die sie uns im Namen Gottes selbst vorschreibt, dieses Gottes wahrhaft würdig und Zeichen von unendlicher Weisheit, Güte, Macht und Gerechtigkeit sind.

Diese inspirierten Bücher gehen bis auf den Ursprung der Welt zurück. Moses, der Vertraute, der Dolmetscher, der Geschichtsschreiber der Gottheit, macht uns sozusagen zu Zeugen der Bildung des Universums; er lehrt uns, daß der Ewige eines schönen Tages seine Untätigkeit, deren er überdrüssig war, überwand, um die Welt zu erschaffen, die ihm zu seinem Ruhme fehlte. 

Um dieser Wirkung willen schuf er die Materie aus dem Nichts. Ein reiner Geist erzeugt eine Substanz, zu der er keine Beziehung hat; obgleich dieser Gott schon alles mit seiner Unermeßlichkeit erfüllt, findet er doch ein Mittel, um noch das Universum und alle in ihm enthaltenen materiellen Körper aufzunehmen. Das wenigstens sind die Ideen, die man sich nach dem Willen der Theologen von der Schöpfung machen soll, wofern es überhaupt möglich ist, sich klare Ideen davon zu bilden und zu begreifen, wie ein reiner Geist Materie erzeugen kann. Aber diese Diskussion würde uns zu metaphysischen Erörterungen führen, mit denen ich Sie nicht belästigen möchte. 


Es wird genügen, wenn ich Ihnen sage, daß Sie sich trösten können, wenn Sie nichts davon verstehen; denn die tiefgründigsten Denker, die von der Schöpfung oder von der Zeugung der Welt aus dem Schoße des Nichts sprechen, haben hiervon keine deutlicheren Ideen, als Sie sich selbst zu machen vermögen. Wenn Sie sich nur ein wenig Mühe geben nachzudenken, so werden Sie fast immer finden, daß unsere Theologen, anstatt die Dinge zu erklären, sich nur Worte ausgedacht haben, die geeignet sind, diese Dinge noch unklarer zu machen und alle natürlichen Ideen zu verwirren.

Ebensowenig will ich Sie mit der langweiligen Aufzählung von Ungenauigkeiten belästigen, die sich häufig in der Erzählung von Moses finden, welche doch — wie man Ihnen verkündet — von Gott diktiert sein soll. Liest man sie nur ein wenig aufmerksam, so begegnet man auf Schritt und Tritt Irrtümern auf naturwissenschaftlichem und astronomischem Gebiet, die für einen inspirierten Autor unverzeihlich sind und über die man bei einem Mann, der auch nur sehr oberflächliche Begriffe von der Natur hat, lächeln würde. 

Sie finden dort zum Beispiel, daß das Licht vor der Sonne erschaffen war, während doch dieses Gestirn offensichtlich für unseren Erdball die Quelle des Lichts ist. Sie finden dort, daß es Abend und Morgen gibt, bevor noch die Sonne gebildet war, deren Gegenwart allein den Tag erzeugt, deren Nichtvorhandensein Nacht werden läßt und deren verschiedene Stellungen Abend und Morgen bedingen. Sie finden dort, daß der Mond als ein lichtspendender Körper angesehen wird, der der Sonne ähnlich ist, während dieser Planet doch ein dichter Körper ist, der sein Licht von der Sonne empfängt.

Diese so groben Fehler zeigen Ihnen hinreichend, daß die Gottheit, die sich Moses offenbart hat, die Natur, die sie aus dem Nichts geschaffen hatte, nicht kannte und daß Sie hierüber mehr wissen als einst der Schöpfer der Welt selbst.

Ich weiß wohl, daß unsere Theologen immer eine Antwort auf diese Einwände haben, die die göttliche Wissenschaft anzugreifen und die diese für weit schlechter zu halten

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scheinen als die Kenntnisse eines Galilei, eines Descartes, eines Newton und selbst jener jungen Menschen, die die ersten Elemente der Naturwissenschaft noch kaum studiert haben. Sie werden uns sagen, Gott habe sich den rohen Ideen und der falschen und ungenauen Sprache der wilden und ungebildeten Juden anpassen müssen, wenn er sich ihnen zu erkennen geben wollte. Diese Lösung, die unseren Gottesgelehrten so überzeugend erscheint und die sie so häufig anwenden, wenn es darum geht, die Bibel wegen ihrer Unkenntnis und ihrer vulgären Ausdrücke zu rechtfertigen, kann uns nicht beeindrucken. 

Wir antworten ihnen, daß ein Gott, der alles weiß und der alles kann, mit einem einzigen Wort die falschen Ideen des Volkes, das er aufklären wollte, hätte berichtigen und es in den Stand setzen können, die Natur der Dinge vollkommener zu erkennen als die geschicktesten der Menschen, die später geboren wurden. Wenn man behauptet, die Offenbarung sollte die Menschen nicht klug, sondern sie sollte sie fromm machen, so sage ich, die Offenbarung sollte keine falschen Ideen vermitteln, da es Gottes unwürdig wäre, sich der Sprache der Lüge oder der Unwissenheit zu bedienen; da die Naturwissenschaft der Frömmigkeit nicht im geringsten zu schaden vermag, sondern nach dem Eingeständnis der Theologen nur geeignet sein kann, die Größe Gottes zu zeigen; da die Religion unerschütterlich wäre, wenn sie mit der wahren Wissenschaft übereinstimmte; da man keine Einwände gegen die Erzählung von Moses und gegen die naturwissenschaftlichen Dinge in der Heiligen Schrift zu machen hätte, wenn alles darin nur von der Erfahrung, von der Astronomie und von geometrischen Beweisen bestätigt würde. Das Gegenteil behaupten und sagen, Gott finde Gefallen daran, das Wissen der Menschen zu verwirren und nutzlos zu machen, heißt behaupten, er finde Gefallen daran, uns unwissend zu machen und uns irrezuführen, und er verurteile den Fortschritt des menschlichen Geistes, als dessen Urheber wir ihn doch betrachten müssen. 

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Behaupten, Gott sei gezwungen gewesen, sich in der Schrift der Sprache der Menschen anzugleichen, heißt behaupten, er habe denen, die er aufklären wollte, keine tieferen Einsichten vermitteln wollen oder er habe sie nicht befähigen können, die Sprache der Wahrheit zu verstehen. Das ist eine Bemerkung, die man beim Studium der offenbarten Bücher nicht aus dem Auge verlieren darf, denn wir werden auf jeder Seite finden, daß Gott sich in einer Weise ausdrückt, die seiner unwürdig ist. Könnte ein allmächtiger Gott, anstatt sich zu erniedrigen, anstatt sich herabzulassen, anstatt sich der Sprache der Unwissenden zu bedienen, diese nicht so weit erleuchten, daß sie eine wahrere, edlere Sprache verstehen, die den Ideen, die man uns von der Gottheit gibt, mehr entspricht? Ein geschickter Lehrer befähigt seine Schüler nach und nach, das zu verstehen, was er sie lehren will; ein Gott muß imstande sein, ihnen sogleich all das Wissen zu vermitteln, das er ihnen zu geben sich entschlossen hat.

Wie dem auch sei, der Genesis zufolge schuf Gott, nachdem er die Welt erschaffen hatte, den Menschen aus dem Schlamm der Erde; indessen versichert man uns, er habe ihn nach seinem Bilde geformt. Aber wie sieht das Bild Gottes aus? Wie kann sich der Mensch, der, wenigstens zum Teil, materiell ist, einen reinen Geist vorstellen, der nur ohne Materie denkbar ist? Wie kann die so unvollkommene Seele des Menschen nach dem Vorbild einer so vollkommenen Seele geformt sein, für die wir diejenige des Schöpfers des Universums halten müssen? Welche Ähnlichkeit, welche Verhältnisse, welche Beziehungen kann es zwischen einer endlichen und mit einem Körper umgebenen Seele und dem Schöpfer geben, der ein unendlicher Geist ist? Das sind zweifellos große Schwierigkeiten, deren Lösung bisher als unmöglich erschienen ist und die wahrscheinlich, alle diejenigen noch lange beschäftigen werden, die sich bemühen, den unbegreiflichen Sinn des Buches zu verstehen, durch welches Gott uns unterrichten wollte.

Aber warum schuf Gott den Menschen? Weil er das Universum mit intelligenten Wesen bevölkern wollte, die ihn loben, die die Zeugen seiner Wunder sein, die ihn verherr-

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lichen, die seine Werke betrachten, über sie nachsinnen und sich durch Unterwerfung unter seine Gesetze seine Gunst erwerben sollten. So ist also der Mensch notwendig geworden zur Größe seines Gottes, der sonst ohne Ruhm leben würde, keine Huldigungen empfangen könnte und der in Traurigkeit ein Reich ohne Untertanen beherrschen würde, ein Umstand, den seine Eitelkeit nicht ertragen könnte. Es ist, glaube ich, unnötig, Ihnen zu sagen, wie wenig diese Ideen denen entsprechen, die man uns von einem Wesen gibt, das sich selbst genügt und das ohne die Mitwirkung eines anderen völlig glücklich ist. Alle Züge, unter denen die Bibel uns die Gottheit darstellt, sind stets vom Menschen oder von einem hochmütigen Monarchen entlehnt, und überall bemerken wir, daß nicht Gott nach seinem Bilde den Menschen, sondern daß immer der Mensch nach seinem Bilde einen Gott geschaffen und diesem seine Denkweise, seine eigenen Tugenden, ja noch mehr, seine eigenen Laster verliehen hat.

Aber entspricht nun dieser Mensch, den die Gottheit zu ihrem Ruhm erschaffen hat, wirklich den Absichten seines Urhebers? 

Wird der Gegenstand, den sie sich erworben hat, ihr gehorchen, ihr huldigen und ihren Willen befolgen? 

Er tut nichts von alledem. Kaum ist er erschaffen, so widersetzt er sich den Befehlen seines Herrschers und ißt von einer verbotenen Frucht, auf die Gott ihn aufmerksam machte, damit er durch sie in Versuchung geführt würde; dadurch zieht er den göttlichen Zorn auf sich und auf seine gesamte Nachkommenschaft; er vernichtet auf diese Weise mit einemmal die großen Pläne des Allmächtigen, der, obgleich er den Menschen nur um seines Ruhmes willen erschaffen hatte, alsbald über dessen Verhalten, welches er hätte voraussehen müssen, derart erbost ist, daß er sich gezwungen sieht, seine Empfindungen ihm gegenüber zu ändern, sein Feind zu werden, ihn und seinen gesamten Stamm, der noch nicht sündigen konnte, zu zahllosen Krankheiten, zu grausamen Leiden, zum Tode — ja noch mehr, zu Strafen, die selbst der Tod nicht enden kann, zu verurteilen. So wird Gott, obgleich er es wollte, doch nicht verherrlicht; er scheint den Menschen nur erschaffen zu haben, um von ihm beleidigt zu werden und um ihn zu strafen.

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Erkennen Sie in dieser biblischen Erzählung einen allmächtigen Gott, dessen Befehle immer ausgeführt und dessen Pläne notwendigerweise erfüllt werden? Sehen Sie in einem Gott, der in Versuchung führt oder der erlaubt, daß in Versuchung geführt wird, ein wohltätiges und aufrichtiges Wesen? Halten Sie einen Gott, der denjenigen bestraft, den er hat in Versuchung führen lassen, für gerecht? Bemerken Sie bei einem Gott, der seine Rache selbst auf diejenigen ausdehnt, die noch nicht gesündigt haben, auch nur eine Spur von Gerechtigkeit? Können Sie bei einem Gott, der sich über das erzürnt, was notwendig geschehen mußte, Voraussicht vermuten? Können Sie in den strengen Strafen, die dieser Gott seinen schwachen Geschöpfen in dieser und in der künftigen Welt rachgierig zuerteilt, den geringsten Schein von Güte entdecken?

Dennoch gründet sich das gesamte Gebäude der christlichen Religion auf diese Geschichte oder vielmehr auf diese Fabel. Wäre der erste Mensch nicht ungehorsam gewesen, so wäre das Menschengeschlecht nicht der Gegenstand des göttlichen Zorns geworden und hätte keines Erlösers bedurft. Wenn der Gott, der alles weiß, der alles voraussieht und der alles kann, die Sünde Adams verhindert oder vorausgesehen hätte, so wäre es für Gott nicht notwendig geworden, seinen eigenen unschuldigen Sohn sterben zu lassen, um sich dadurch selbst zu beruhigen. Die Menschen, für die er das Universum erschaffen hatte, wären immer glücklich gewesen und hätten sich niemals die Ungnade der Gottheit zugezogen, die nach ihren Huldigungen verlangte. Kurz, hätten Adam und seine Frau nicht unvorsichtigerweise einen Apfel gegessen, so wäre der Mensch ununterbrochen im Besitz des ewigen Glücks, das Gott ihm bestimmt hatte, geblieben, und die Absichten der Vorsehung in bezug auf ihre Geschöpfe wären nicht vereitelt worden.

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Es wäre nutzlos, über diese eigenartigen und der Weisheit, der Macht, der Gerechtigkeit Gottes so widersprechenden Begriffe nachzudenken; man braucht nur die Gegenstände, die die Bibel uns darbietet, miteinander zu vergleichen, um die Inkonsequenzen, die Ungereimtheiten und die Widersprüche zu erkennen. Wir treffen stets auf einen weisen Gott, der sich wie ein Unsinniger gebärdet, der sein eigenes Werk zerstört, um es wiederherzustellen, der das bereut, was er getan hat, der so handelt, als habe er nichts vorausgesehen, der gezwungen ist, alles das zuzulassen, was seine Allmacht doch nicht verhindern konnte. In den von jenem Gott offenbarten Schriften scheint dieser nur darum bemüht gewesen zu sein, sich selbst anzuschwärzen, sich zu erniedrigen, sich in den Augen der Menschen, die er auffordern wollte, ihm einen Kult und Huldigungen darzubringen, herabzuwürdigen und den Geist derer zu verwirren, die aufzuklären er bestrebt war.

Das soeben Gesagte müßte schon hinreichend sein, um sich über ein Buch klarzuwerden, das die Gottheit eher zu zerstören als von ihr diktierte und offenbarte Orakel zu enthalten scheint; alles, was aus diesen so unvernünftigen und falschen Prinzipien abgeleitet zu werden vermag, kann offensichtlich nur zu einer Anhäufung von Ungereimtheiten führen. Betrachten wir indessen noch die hauptsächlichsten Begebenheiten, die dieses göttliche Werk uns ständig vor Augen hält.

Nehmen wir also die Sintflut. Die heiligen Bücher lehren uns, daß das gesamte Menschengeschlecht, das schon durch Krankheiten, Unglücksfälle und Tod gestraft ist, entgegen dem Willen des Allmächtigen weiterhin der schlimmsten Verderbnis frönt; Gott gerät darüber in Zorn, er bereut, den Menschen erschaffen zu haben, dessen Verderbtheit er zweifellos nicht vorausgesehen hatte, und anstatt die schlechten Anlagen seines Herzens, das in Gottes Hand liegt, zu ändern, bewirkt er das größte, das unmöglichste aller Wunder, um alle Bewohner der Erde zugleich zu ertränken — mit Ausnahme einiger Günstlinge allerdings, die die er-

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neuerte Welt mit einem ausgewählten Geschlecht bevölkern sollen, das Gott angenehmer seih wird. Gelingt dem Allmächtigen die Verwirklichung dieses neuen Planes? Zweifellos nicht; das ausgewählte und vor dem Wasser der Sintflut gerettete Geschlecht beginnt auf den Trümmern der zerstörten Erde wiederum, den Beherrscher der Natur zu beleidigen; es begeht neue Verbrechen, treibt Götzendienerei, vergißt die noch in der Erinnerung haftenden Wirkungen der himmlischen Rache, die es durch seine Untaten erneut heraufbeschwört. Um dagegen Abhilfe zu schaffen, erwählt Gott den Götzenanbeter Abraham zu seinem Günstling; er entdeckt sich diesem, befiehlt ihm, dem Kult seiner Väter zu entsagen und eine neue Religion anzunehmen; als Unterpfand ihrer gegenseitigen Vereinbarung bedingt sich der Beherrscher der Natur eine peinlich berührende, lächerliche, fremdartige Zeremonie aus, von der ein kluger Gott seine Gunst abhängig machen will. Demzufolge muß die Nachkommenschaft dieses erwählten Menschen für immer alle Arten von Vorteilen genießen; sie wird stets der Gegenstand der parteiischen Zuneigung des Allmächtigen sein; sie wird glücklicher als alle die anderen Völker sein, die der Himmel von nun an verachten wird, um sich nur mit jenem zu beschäftigen.

Diese so feierlichen Versprechen verhindern nicht, daß das Geschlecht Abrahams in die Sklaverei eines vom Ewigen geächteten und verabscheuten Volkes gerät: die teuren Freunde der Gottheit werden von den Ägyptern sehr rauh behandelt; aber Gott, der sie vor dem Unglück, das ihnen zugestoßen war, nicht schützen konnte, schenkt ihnen einen Befreier oder ein Oberhaupt, das die erstaunlichsten Wunder vollbringt, um sie aus dem Unglück zu befreien. Durch die Stimme Mosis wird die gesamte Natur umgewälzt; Gott bedient sich seiner, um seinen Willen kundzutun; Gott, der die Welt erschaffen hat und sie ins Nichts zurückversenken kann, gelingt es nicht, Pharao zu beugen; die Starrköpfigkeit dieses Fürsten läßt die göttliche Allmacht, deren Vertreter Moses ist, zehnmal scheitern. Nachdem dieser

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vergeblich versucht hat, einen Monarchen umzustimmen, der nach dem Wunsche Gottes unbeugsam ist, ist dieser Gott gezwungen, sein Volk auf allergewöhnlichstem Wege zu retten; er sagt diesem, es solle fliehen, nachdem er ihm vorher geraten hatte, die Ägypter zu bestehlen. Diese wiederum verfolgen die flüchtigen Diebe; aber Gott, der diese Diebe schützt, befiehlt dem Meer, die Unglücklichen zu verschlingen, die so kühn waren, ihr Gut wiedererlangen zu wollen.

Die Gottheit wird nun zweifellos mit dem Volk, das sie durch so viele Wunder befreit hat, sehr zufrieden sein. Doch weder Moses noch der Allmächtige können das Volk von dem starrsinnigen Festhalten an den falschen Göttern des Landes, in dem es so unglücklich war, abbringen; es gibt jenen den Vorzug vor dem Gott, der es gerade errettet hat; alle Wunder, die der Ewige täglich für Israel vollbringt, können dessen Halsstarrigkeit, die noch wunderbarer und unbegreiflicher ist als die größten Mirakel, nicht überwinden. Diese Wunder, die man heute als überzeugende Beweise für die göttliche Sendung des Moses — im Vertrauen auf den gleichen Moses, der sie uns selbst übermittelt hat — anführt, waren nicht imstande, das Volk zu überzeugen, das selbst deren Zeuge war, und sie konnten zumindest nicht die guten Wirkungen hervorrufen, die Gott sich erhofft hatte, als er diese Wunder vollbrachte.

Die beständige Ungläubigkeit, Verstocktheit und Verderbtheit des jüdischen Volkes sind die überzeugendsten Beweise für die Unwahrheit der Wunder des Moses und all seiner Nachfolger, denen die Heilige Schrift ebenso wie ihm eine übernatürliche Macht zuschreibt. Wenn man dennoch behauptet, diese Wunder seien tatsächlich geschehen, so wird man zumindest auf Grund der Bibel selbst zugeben müssen, daß sie ganz nutzlos gewesen sind, daß die Allmacht mit all ihren Plänen ständig gescheitert ist und daß sie die Hebräer nie zu einem Volk zu machen vermocht hat, das ihren Wünschen ergeben war.

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Wir sehen dennoch, daß Gott fortwährend und hartnäckig darauf besteht, dieses Volk seiner würdig zu machen; er verliert es nicht einen einzigen Augenblick aus den Augen; er opfert ihm ganze Völker, er erlaubt ihm Raub, Gewalttaten, Verrat, Mord, widerrechtliche Besitz­ergreifung; er gestattet ihm alles, wodurch es sein Ziel erreichen kann; er schickt ihm zu jeder Zeit Anführer, Propheten, wunderbare Menschen, die sich vergeblich bemühen, es zu seinen Pflichten zurückzuführen. Die gesamte Geschichte des Alten Testaments zeigt uns nichts anderes als die vergeblichen Bemühungen Gottes, die Hartnäckigkeit seines Volkes zu überwinden; er versucht es durch Wohltaten, Wunder und Strenge; bald liefert er ihm Völker aus, die er zu hassen, auszurauben und auszurotten befiehlt, bald erlaubt er den gleichen Völkern, an seinen Günstlingen die größten Grausamkeiten zu verüben. Er überliefert es den Händen seiner Feinde, die doch die Feinde Gottes selbst sind; Götzenanbeter beherrschen die Juden, beschimpfen, verachten und behandeln diese mit unerhörtester Strenge und zwingen sie bisweilen, den Götzen zu opfern und das Gesetz ihres Gottes zu verletzen. Das Geschlecht Abrahams wird zur Beute der Ketzer; die Assyrer, Perser, Griechen und Römer unterwerfen es nacheinander den grausamsten Behandlungen und den blutigsten Beleidigungen; Gott duldet, daß sein Tempel durch die Bestrafung von Juden entweiht wird.

Schließlich schickt der reine Geist, der das Universum erschaffen hat, seinen eigenen Sohn, um die Leiden seines geliebten Volkes zu enden. Er hatte dies, wie man sagt, von seinen Propheten im voraus ankündigen lassen, wenn auch in einer Weise, die sehr geeignet war zu verhindern, daß man ihn erkannte, wenn er erschiene. Dieser Sohn Gottes verwandelt sich in einen Menschen aus Liebe zu den Juden, die er aufklären, befreien und zu den glücklichsten Sterblichen machen will. Versehen mit der göttlichen Allmacht, vollbringt er die erstaunlichsten Wunder, die jedoch die Juden nicht überzeugen; er kann alles, aber er kann sie nicht überzeugen, und trotz all seiner Wunder muß er selbst, anstatt jene zu bekehren und zu befreien, eine schändliche Strafe auf sich nehmen und das Leben wie ein übler Verbrecher verlieren.

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Gott wird gerade von denen zum Tode verurteilt, die er erretten wollte. Der Ewige verhärtet und verblendet diejenigen, denen er seinen eigenen Sohn schickt; er hat nicht vorausgesehen, daß dieser Sohn verstoßen würde — ja, mehr noch, er hat Maßnahmen ergriffen, damit man ihn nicht erkannte und damit sein geliebtes Volk keinen Nutzen aus der Ankunft des Messias ziehen könnte; kurz, die Gottheit scheint sich sehr große Mühe gegeben zu haben, um ihre für die Juden so vorteilhaften Pläne vernichten und unfruchtbar machen zu können.

Wenn wir uns gegen ein so eigenartiges und der Gottheit so unwürdiges Verhalten empörten, so sagt man uns, es habe alles auf diese Weise geschehen müssen, um die Prophezeiungen zu erfüllen, in denen angekündigt war, daß der Messias verkannt, verstoßen und zum Tode verurteilt werden würde. Aber warum faßte der Gott, der alles weiß und der das Schicksal seines geliebten Sohnes voraussah, überhaupt den Plan, ihn zu den Juden zu schicken, da er doch wußte, daß seine Sendung bei ihnen ohne Nutzen bleiben würde? War es nicht einfacher, ihn nicht ankündigen zu lassen und ihn nicht zu schicken? Wäre es der göttlichen Allmacht nicht angemessener gewesen, sich selbst so viele Wunder, Prophezeiungen, fruchtlose Bemühungen, Wutanfälle und ihrem Sohn so viele Leiden zu ersparen, indem sie das Menschengeschlecht auf einmal so formte, wie sie es haben wollte?

Man wird uns sagen, daß die Gottheit ein Opfer brauchte; daß die Sünde des ersten Menschen nur durch den Tod eines andern Gottes wiedergutgemacht zu werden vermochte; daß der einzige Gott des Universums nur durch das göttliche Blut seines Sohnes versöhnt werden konnte. Ich antworte zunächst, daß Gott die Sünde des ersten Menschen nicht zuzulassen brauchte; daß er sich dadurch sehr viel Kummer und Leiden erspart und seinem geliebten Sohn das Leben gerettet hätte. Ich antworte, daß der Mensch Gott nur hat beleidigen können, weil Gott es erlaubt oder gewollt hat. Ohne zu untersuchen, wie es möglich ist, daß Gott einen

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Sohn hat, der, obgleich er selbst Gott ist, sterben kann, antworte ich, daß man in der Sünde wegen des Apfels unmöglich ein so schweres Vergehen sehen kann und daß man die Beleidigung, die der Gottheit durch das Essen eines Apfels zugefügt wurde, und den Tod ihres Sohnes kaum miteinander in Verbindung bringen kann.

Wie dem auch sei, man behauptet, der Messias oder der Befreier der Juden sei durch die im Alten Testament enthaltenen Prophezeiungen deutlich vorhergesagt und bezeichnet worden. In diesem Fall frage ich: Warum haben die Juden diesen wunderbaren Mann verkannt, diesen Gott, den Gott zu ihnen sandte? Man wird mir antworten, daß die Verblendung der Juden gleichfalls vorhergesagt worden sei und daß mehrere Erleuchtete den Tod des Gottessohnes angekündigt hätten. Darauf werde ich antworten, daß ein vernünftiger Gott jenen nicht hätte schicken dürfen; daß ein allmächtiger Gott solche Mittel hätte wählen sollen, die wirksamer und sicherer gewesen wären, um sein Volk auf den Weg zu führen, den er ihm vorzeichnen wollte. Wenn er die Juden nicht bekehren und befreien wollte, so war es ganz nutzlos, ihnen seinen Sohn zu schicken und diesen in den sicheren und vorausgesehenen Tod gehen zu lassen.

Man wird mir gewiß antworten, daß Gott wegen der Ausschreitungen des jüdischen Volkes die Geduld riß; daß der unwandelbare Gott, der ein ewiges Bündnis mit dem Geschlecht Abrahams geschlossen hatte, endlich den Vertrag brechen wollte, der doch — wie er versichert hatte — ewig währen sollte. Man wird behaupten, Gott habe beschlossen, das hebräische Volk zu verstoßen, um sich der Heiden anzunehmen, die er viertausend Jahre lang gehaßt und verachtet hatte. Ich antworte, daß diese Überlegungen wenig den Ideen entsprechen, die man von einem Gott haben soll, der sich nicht wandelt, dessen Barmherzigkeit unendlich und dessen Güte unerschöpflich ist. Ich werde sagen, daß in diesem Fall der von den jüdischen Propheten angekündigte Gott für die Juden bestimmt war und ihr Befreier und nicht der Zerstörer ihres Volkes, ihres Kultes, ihrer Religion werden mußte. 

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Wenn es möglich ist, irgend etwas aus den dunklen, zweideutigen, rätselhaften, symbolischen Orakeln der jüdischen Propheten herauszulesen, wenn es möglich ist, die unentzifferbaren Buchstabenrätsel, denen man den anspruchsvollen Namen Prophezeiungen gegeben hat, zu erraten, so werden wir immer finden, daß die Inspirierten, wenn sie guter Laune sind, den Juden einen Menschen versprechen, der das ihnen zugefügte Unrecht wiedergutmacht, einen Menschen, der das Königreich Judäa wiederherstellt, und nicht einen Menschen, der die Religion Mosis zerstört. Wenn der Messias zu den Heiden kommen sollte, so ist es nicht mehr der den Juden versprochene und von ihren Propheten angekündigte Messias. Wenn Jesus der Messias der Juden ist, so konnte er nicht ihr Volk vernichten. Wenn man mir sagt, Jesus selbst habe behauptet, er sei gekommen, um das Gesetz Mosis zu erfüllen, und nicht, um es abzuschaffen, so werde ich fragen: Warum befolgen die Christen nicht mehr das Gesetz der Juden?

Unter welchem Gesichtspunkt man Jesus Christus auch betrachtet, er kann nicht derjenige sein, den die Propheten vorhergesagt haben; denn es ist evident, daß er nur gekommen ist, um die Religion der Hebräer zu vernichten, die, obgleich von Gott selbst geschaffen, seinen Augen doch unerträglich geworden war. 

Wenn dieser unbeständige und des Kults der Juden überdrüssige Gott schließlich seine Ungerechtigkeit gegenüber den Heiden bereute, so hätte er eben seinen Sohn zu ihnen senden müssen; auf diese Weise hätte er wenigstens seinen alten Freunden einen abscheulichen Gottesmord erspart, den zu begehen er sie zwang, indem er nicht zuließ, daß sie den Gott erkannten, den er ihnen geschickt hatte. Im übrigen ist es durchaus verzeihlich, wenn die Juden in einem Handwerker aus Galiläa nicht den Messias, den sie erwarteten, zu sehen vermochten; denn dieser trug keine von den Propheten angekündigten Merkmale, und zu seinen Lebzeiten wurden seine Mitbürger weder glücklich noch frei.

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Man wird sagen, daß er Wunder bewirkte, daß er Kranke heilte, daß er Hinkende gehen ließ, daß er Blinden das Augenlicht wiedergab, daß er Tote zum Leben erweckte, daß er schließlich selber wiederauferstanden ist. Aber das einzige Wunder, um dessentwillen er zur Erde herabgestiegen war, ist offensichtlich mißglückt; er hat die Juden, die die Wunder, die er täglich bewirkte, gesehen haben, niemals überzeugen oder bekehren können; trotz dieser Wunder haben sie ihn schmählich ans Kreuz schlagen lassen; er konnte dem Tod trotz all seiner göttlichen Macht nicht ausweichen; er hat sterben wollen, damit die Juden schuldig würden, damit er das Vergnügen hätte, am dritten Tag aufzuerstehen, um auf diese Weise die Undankbarkeit und die Starrköpfigkeit seiner Mitbürger zunichte zu machen. Was war der Erfolg? Haben sich diese Mitbürger durch dieses große Wunder überzeugen lassen, und haben sie ihn schließlich erkannt? Keineswegs; sie haben ihn nicht gesehen ; der heimlich auferstandene Sohn Gottes hat sich nur seinen Jüngern gezeigt; sie allein behaupten, mit ihm gesprochen zu haben; sie allein haben uns über sein Leben und über seine Wunder berichtet, und man will, daß uns ein derart verdächtiges Zeugnis noch gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts von der Göttlichkeit seiner Sendung überzeuge, während die Juden, seine Zeitgenossen, nicht überzeugt werden konnten.

Man wird uns antworten, daß sich mehrere Juden zu Jesus Christus bekehrt haben; daß diese nach seinem Tode viele andere bekehrt haben; daß die Zeugen des Lebens und der Wunder des Gottessohnes ihr Zeugnis mit ihrem eigenen Blut besiegelt haben; daß man nicht stirbt, um Lügen zu bezeugen; daß ein großer Teil der Erde durch eine sichtbare Wirkung der göttlichen Macht christlich geworden ist und bis heute an dieser göttlichen Religion festhält.

In alledem sehe ich nichts Wunderbares; ich sehe hierin nur Dinge, die dem gewöhnlichen Gang des menschlichen Geistes entsprechen. Ein gerissener Betrüger, ein geschickter Scharlatan kann bei einer ungebildeten, unwissenden, abergläubischen Bevölkerung leicht einige Anhänger finden.

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Wenn diese von seinen Ratschlägen überzeugt und von seinen Versprechungen verleitet sind, geben sie gern ein mühseliges und arbeitsreiches Leben auf, um einem Menschen zu folgen, der ihnen zu verstehen gibt, daß er sie zu »Menschenhirten« machen wird, das heißt, daß er ihnen auf Grund der Hilfsquellen seiner Kunst und auf Kosten der stets leichtgläubigen Menge ihren Lebensunterhalt sichern wird. Der Scharlatan kann mit Hilfe seiner Mittel Heilungen bewirken, die unwissenden Zuschauern als wunderbar erscheinen; diese Toren sehen in ihm sogleich einen übernatürlichen und göttlichen Menschen; er selbst greift diese Idee auf und bestärkt seine Gläubigen in der hohen Meinung, die sie sich von ihm gebildet haben; er ist daran interessiert, diese Meinung bei seinen Anhängern zu erhalten, da er das Geheimnis kennt, ihren Enthusiasmus zu entfachen. 

Aus diesem Grund verwandelt sich unser Quacksalber in einen Prediger; er spricht in Rätseln, in dunklen Sätzen, in Gleichnissen zu einer Menge, die immer das bewundert, was sie nicht versteht. Um sich beim Volke einzuschmeicheln, zieht er vor den Armen und vor den Toren gegen die Reichen, Großen, Weisen und besonders gegen die Priester zu Felde, die zu allen Zeiten geizig, herrschsüchtig, wenig hilfreich waren und dem Volke sehr lästig fielen. Wenn diese Reden von dem Pöbel, der immer verdrießlich, neidisch und eifersüchtig ist, mit Eifer aufgenommen werden, so mißfallen sie all denen, die der Gegenstand der Schmähungen und der Verspottungen des Volkspredigers sind. Infolgedessen sind sie ärgerlich auf diesen, stellen ihm Fallen, suchen ihn bei einem Fehler zu überraschen, um ihn doch einmal zu entlarven und sich an ihm zu rächen. Dieser bietet ihnen auf Grund seines Betrugs schließlich einen Angriffspunkt; durch seine Wunder und Gaukeleien verrät er sich endlich; dann ergreift und bestraft man ihn, und ihm bleiben als Anhänger nur einige Dummköpfe, die von ihrem Irrtum durchaus nicht geheilt werden können; nur Parteigänger, die daran gewöhnt sind, ein

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faules Leben zu führen; nur geschickte Gauner, die weiterhin die Öffentlichkeit durch Wunderwerke, die denen ihres ehemaligen Meisters ähnlich sind, durch dunkle, unzusammenhängende, wirre und fanatische Reden, durch Beschimpfungen der Behörden und der Priester beeinflussen wollen. Da diese die Macht in Händen haben, verfolgen sie schließlich jene, sperren sie ins Gefängnis, peitschen sie aus, bestrafen sie und verurteilen sie zum Tode. Landstreicher, die ans Elend gewöhnt sind, ertragen alle diese Leiden mit einer Härte, die man recht häufig bei vielen Übeltätern findet; bei einigen wird der Mut durch das Feuer des Fanatismus verstärkt. Die Härte überrascht, erregt, rührt und empört die Zuschauer gegen diejenigen, die jene Menschen foltern, die man auf Grund ihrer Standhaftigkeit für unschuldig hält, die recht haben könnten und für die sich daher das Mitleid regt. Auf diese Weise breitet sich die Schwärmerei aus, und die Verfolgung vergrößert stets die Zahl der Anhänger derer, die man verfolgt sieht.

Ich stelle Ihnen frei, die Geschichte unseres Quacksalbers und seiner Anhänger auf den Gründer, die Apostel und die Märtyrer der christlichen Religion zu übertragen. Mit welcher Kunst auch das Leben Jesu Christi, das wir nur durch die Apostel und ihre Schüler kennen, zusammengestellt sein mag, es bietet hinreichend Material, auf das wir unsere Vermutungen gründen. Ich gebe Ihnen nur zu bedenken, daß das Volk der Juden wegen seiner Leichtgläubigkeit berühmt war; daß die Gefährten Jesu aus dem Abschaum der Gesellschaft ausgewählt wurden; daß Jesus immer den Pöbel bevorzugte, dessen er sich zweifellos als Schutzwehr gegen die Priester bedienen wollte, und daß Jesus schließlich nach dem glanzvollsten seiner Wunder festgenommen wurde, und wir sehen, daß er unmittelbar nach der Auferweckung des Lazarus zum Tode verurteilt wurde, die aber eben nach der Erzählung des Evangeliums für alle diejenigen, die sie ohne Vorurteile zu betrachten vermögen, die auffälligsten Zeichen des Betrugs trägt.

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Ich glaube, das soeben Gesagte ist hinreichend, um die Meinung festzulegen, die man sich von dem Gründer des Christentums und seinen ersten Anhängern bilden muß; diese sind entweder Betrogene oder Fanatiker gewesen, die sich von dem Blendwerk oder den Reden verführen ließen, die ihren Wünschen entgegenkamen, oder von gewissen Betrügern, die aus den Schurkereien ihres alten Meisters Nutzen zogen, indem sie dieselben geschickt wiederholten, um eine Religion zu schaffen, durch die sie selbst auf Kosten der Völker leben konnten und durch die noch heute diejenigen im Überfluß schwimmen, die wir reich bezahlen, damit sie uns vom Vater auf den Sohn die Fabeln, die Visionen und die Wunder überliefern, deren Wiege Judäa war. Die Ausbreitung des christlichen Glaubens und die Standhaftigkeit der Märtyrer sind keineswegs überraschend. Das Volk läuft allen denen nach, die ihm Wunder zeigen; es übernimmt, ohne zu urteilen, alles, was ihm jene vorfaseln; es erzählt seinen Kindern die Märchen, die es vernommen hat, und nach und nach greifen seine Anschauungen auf die Herrscher, auf die Großen und selbst auf die Weisen über.

Was die Märtyrer betrifft, so ist ihre Standhaftigkeit nicht übernatürlich. Die ersten Christen wurden ebenso wie alle Neuerer von den Juden und von den Heiden als Störenfriede der öffentlichen Ruhe behandelt. Schon hinreichend trunken vom Fanatismus, den ihnen ihre Religion einflößte; überzeugt, daß Gott sich bereit halte, sie zu krönen und in seinen ewigen Gefilden zu empfangen; kurz, die offenen Himmel vor sich und überdies im Glauben, daß die Welt zugrunde geht, hatten sie — und das ist nicht überraschend — den Mut, den Strafen zu trotzen, sie standhaft zu ertragen und den Tod zu verachten. Mit diesen Beweggründen, die sich auf ihre Religionsanschauungen gründen, verbinden sich noch viele andere, die geeignet sind, stark auf den Geist des Menschen einzuwirken. 

Die als Christen Eingekerkerten und um des Glaubens willen Mißhandelten wurden von ihren Brüdern, die ihnen während der Gefangenschaft alle Sorge und Hilfe angedeihen ließen und die ihnen nach ihrem Tode eine Art von Kult weihten, be-

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sucht, getröstet, ermutigt, geehrt und mit Wohltaten überhäuft. Diejenigen aber, die Schwäche zeigten, wurden beschimpft, verachtet, verabscheut, und wenn sie bereuten, zwang man sie, eine strenge und lebenslängliche Buße auf sich zu nehmen. So vereinigten sich die mächtigsten Beweggründe, um den Märtyrern Mut einzuflößen, und dieser Mut ist nicht übernatürlicher als derjenige, der uns täglich bestimmt, aus der Furcht, uns in den Augen unserer Mitbürger zu entehren, den allgemein bekannten Gefahren zu trotzen; eine Feigheit würde uns für den Rest unserer Tage der Ehrlosigkeit preisgeben. An der Standhaftigkeit eines Mannes, dem man einerseits das ewige Glück und die größten Ehren anbietet und der sich andrerseits von Haß, Verachtung und ewigem Leid bedroht sieht, ist nichts Wunderbares.

Sie sehen also, daß es sehr leicht ist, die Beweise zu entkräften, durch die die christlichen Gottesgelehrten die Offenbarung stützen, die sie für so gesichert halten. Wunder, Märtyrer, Prophezeiungen beweisen nichts. Alle im Alten und im Neuen Testament berichteten Wunder bewiesen, wenn sie wahr wären, nicht die göttliche Allmacht, sondern im Gegenteil die ständige Unfähigkeit der Gottheit, die Menschen von den Wahrheiten zu überzeugen, die sie ihnen verkünden wollte. Wenn wir andrerseits annehmen, daß die Wunder ganz die Wirkung hervorgebracht hätten, die Gott von ihnen erwarten durfte, so können wir sie doch nur auf Grund der Überlieferung und der Erzählungen anderer glauben, die häufig verdächtig, unzuverlässig und übertrieben sind. Die Wunder des Moses sind uns nur bezeugt durch Moses selbst oder durch hebräische Schriftsteller, die daran interessiert waren, sie dem Volke glaubhaft zu machen, das sie regieren wollten. Die Wunder Jesu sind uns nur durch seine Jünger bezeugt, die sich Anhänger zu verschaffen suchten, indem sie einem leichtgläubigen Volk von Wundern berichteten, deren Zeugen sie gewesen zu sein behaupteten oder die vielleicht einige von ihnen wirklich gesehen zu haben glaubten. Nicht immer sind alle diejeni-

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gen, die die Menschen täuschen, Betrüger, oft werden sie selbst von Irregeführten in gutem Glauben getäuscht. Überdies glaube ich hinreichend bewiesen zu haben, daß Wunder sowohl dem Wesen eines Gottes widersprechen, der unwandelbar ist, als auch seiner Weisheit, die ihm nicht gestatten würde, etwas an den weisen Gesetzen zu ändern, die er selbst geschaffen hat. Schließlich sind die Wunder nutzlos, da die uns in der Heiligen Schrift überlieferten nicht die Wirkungen hervorgerufen haben, die Gott beabsichtigt hatte.

Der aus den Prophezeiungen abgeleitete Beweis der christlichen Religion ist nicht besser begründet. Wer ohne Voreingenommenheit jene vorgeblichen göttlichen Orakel untersucht, wird darin immer nur eine zweideutige, unverständliche, widersinnige, unzusammenhängende Redeweise finden, die eines Gottes, der die Absicht hatte, sein Vorherwissen zu zeigen und sein Volk über die Zukunft zu unterrichten, gänzlich unwürdig ist. In der gesamten Heiligen Schrift gibt es nicht eine einzige Prophezeiung, die so bestimmt wäre, daß sie wörtlich auf Jesus Christus angewandt werden könnte. Fragen Sie, um sich von dieser Wahrheit zu überzeugen, die klügsten unserer Gottesgelehrten, in welchen Prophezeiungen sie den Messias zu entdecken vermochten; Sie werden sehen, daß es ihnen nur mit Hilfe erzwungener Erklärungen, Gleichnisse, Parabeln und mystischer Deutungen gelingt, in jenen Prophezeiungen etwas Sinnvolles zu finden und sie auf den Mensch gewordenen Gott anzuwenden, den wir auf ihr Geheiß anbeten sollen. Es könnte scheinen, als habe die Gottheit nur Voraussagen gemacht, die nicht verstanden werden sollen. In jenen zweideutigen Orakeln, deren Sinn wir unmöglich zu erfassen vermögen, finden wir nur die Sprache der Trunkenheit, des Fanatismus und des Deliriums. Wenn man darin etwas Begreifbares zu erkennen glaubt, so kann man am ehesten herauslesen, daß die Propheten von Ereignissen sprechen wollten, die zu ihrer Zeit geschahen, oder von Personen, die vor ihnen lebten. 

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So wenden unsere Gottesgelehrten Prophezeiungen oder vielmehr Berichte, die nachträglich über David, Salomon, Cyrus und andere gegeben wurden, willkürlich auf Christus an. Man glaubt, in den Erzählungen, in denen augenscheinlich von der Babylonischen Gefangenschaft die Rede ist, die Verkündigung der Züchtigung des jüdischen Volkes zu sehen; man will in diesem Ereignis, das weit vor Jesus Christus liegt, die Voraussage der Zerstreuung der Juden sehen, die man als eine sichtbare Strafe für ihren Gottesmord betrachtet und die man heute als unzweifelhaften Beweis für die Wahrheit des Christentums gelten lassen möchte.

Es ist also nicht erstaunlich, daß die alten und die heutigen Juden in den Propheten nicht das gesehen haben, was unsere Gottesgelehrten über sie sagen oder was sie in ihnen zu sehen glauben. Jesus selber ist in seinen Voraussagen nicht glücklicher gewesen als seine Vorgänger. Er verkündet seinen Jüngern im Evangelium ausdrücklich die Zerstörung der Welt und das Jüngste Gericht als kurz bevorstehende Ereignisse, die noch zu Lebzeiten der damals lebenden Generation eintreten würden. Indessen existiert die Welt noch, und die Gefahr ihres Untergangs scheint keineswegs zu bestehen. Es ist wahr, unsere Gottesgelehrten behaupten, daß es sich bei der Voraussage Jesu Christi um die Zerstörung Jerusalems durch Vespasian und Titus handelt; aber nur solche Menschen, die das Evangelium nicht gelesen haben, können sich dadurch irreführen oder sich mit dieser Ausflucht abspeisen lassen. Wenn wir sie dennoch annehmen wollen, so müssen wir wenigstens zugeben, daß der Gottessohn selber nicht klarer zu prophezeien wußte als seine dunklen Vorgänger.

In der Tat scheint sich dieser Gott auf jeder Seite der heiligen Bücher, die — wie man behauptet — von Gott selber inspiriert seien, nur zu offenbaren, um sich besser zu verbergen; er spricht nur, um nicht verstanden zu werden ; er verkündet Orakel lediglich deshalb, damit man sie weder begreifen noch anwenden kann; er bewirkt Wunder nur, um zum Unglauben zu bekehren; er zeigt sich den

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Menschen nur, um ihr Urteil zu verwirren und die Vernunft, die er ihnen gegeben hatte, auf Abwege zu führen. Die Bibel stellt uns Gott unablässig als einen Verführer, als einen Versucher, als einen argwöhnischen Tyrannen dar, der nicht weiß, was er von seinen Untertanen zu erwarten hat, der Freude daran findet, seinen Geschöpfen Fallen zu stellen, der sie auf die Probe stellt, um das Vergnügen zu haben, sie zu bestrafen, weil sie seinen Versuchungen erlegen sind. Dieser Gott ist nur damit beschäftigt aufzubauen, um zu zerstören, zu vernichten, um wiederaufzurichten; gleich einem Kinde, das seiner Spielsachen überdrüssig wird, zerstört er unaufhörlich das, was er geschaffen hat, zerbricht er das, was der Gegenstand seiner Begierden war. Keine Voraussicht, keine Beständigkeit, keine Harmonie in seinem Verhalten, keine Verbindung und keine Klarheit in seinen Reden; wenn er handelt, billigt er einmal das, was er geschaffen hat, ein andermal bereut er es; er erzürnt sich über das, was er zu machen erlaubt hat; er duldet trotz seiner unendlichen Macht, daß der Mensch ihn beleidigt; er läßt zu, daß Satan, sein Geschöpf, alle seine Pläne durchkreuzt. Kurz, die offenbarten Bücher der Christen und der Juden scheinen nur ausgedacht zu sein, um die Eigenschaften, die man der Gottheit zuschreibt und die — wie man versichert — ihr Wesen ausmachen, unsicher zu machen oder sogar zu zerstören. Die gesamte Heilige Schrift, das gesamte System der christlichen Religion scheinen sich nur auf die Unfähigkeit Gottes zu gründen, das Menschengeschlecht so weise, so gut, so glücklich zu machen, wie er es beabsichtigt hatte. Der Tod seines unschuldigen Sohnes, den er seiner Rache opferte, ist für den größten Teil der Bewohner der Erde nutzlos gewesen; trotz der beständigen Bemühungen der Gottheit fährt fast das gesamte Menschengeschlecht fort, sie zu beleidigen, ihre Pläne zu vereiteln, sich ihrem Willen zu widersetzen, und verharrt in seiner Bösartigkeit.

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Auf derart unheilvolle, widerspruchsvolle und eines gerechten, eines weisen, eines guten, eines vernünftigen, eines unabhängigen, unwandelbaren und allmächtigen Gottes unwürdige Begriffe gründet sich die christliche Religion, die, wie man behauptet, von einem Gott für immer geschaffen sei, der aber dennoch der Religion der Juden überdrüssig ] geworden ist, mit denen er ein ewiges Bündnis geschlossen und beschworen hatte.

Es ist an der Zeit, zu beweisen, ob Gott seine Verpflichtungen gegenüber den Christen beständiger und treuer erfüllen wird als diejenigen, die er gegenüber Abraham und seiner Nachkommenschaft eingegangen war. Ich gestehe, daß mich sein bisheriges Verhalten in bezug auf das, was er in der Folge zeigen wird, beunruhigt. Wenn er selbst — durch den Mund Ezechiels — zu erkennen vermochte, daß die Gesetze, die er den Juden gegeben hatte, »nicht gut waren«, so könnte er wohl eines Tages an denen, die er den Christen gegeben hat, Mängel feststellen. Unsere Priester selber scheinen meine Vermutungen zu teilen und zu fürchten, daß Gott des Schutzes, den er seiner Kirche so lange gewährt hat, überdrüssig wird. 

Die Unruhe, die sie zeigen, die Anstrengungen, die sie machen, um die Welt daran zu hindern, sich aufzuklären, die Verfolgungen, die sie gegen alle diejenigen entfesseln, die ihnen widersprechen, scheinen zu beweisen, daß sie den Versprechungen Jesu Christi mißtrauen und daß sie im Innern nicht von der ewigen Dauer einer Religion überzeugt sind, die ihnen nur als göttlich erscheint, weil sie ihnen das Recht gibt, als Götter ihren Mitbürgern zu gebieten. Sie wären zweifellos sehr ärgerlich, wenn ihr Reich zerstört würde; indessen ist zu befürchten, daß der Herrscher des Himmels, würden die Herrscher auf Erden und die Völker einmal ihres Joches müde, dessen alsbald überdrüssig würde.

Wie dem auch sei, ich wage, mir einzubilden, daß Sie die Lektüre dieses Briefes völlig von einer blinden Verehrung der Bücher heilen wird, die »göttlich« genannt werden, während sie nur geschrieben zu sein scheinen, um Gott, den man für den Autor hält, herabzuwürdigen und zu zerstören. Zunächst möchte ich Ihnen zeigen, daß die Dogmen, die in diesen Büchern aufgestellt oder seither erfunden worden sind, um die Ideen zu rechtfertigen, die man uns von der Gottheit gibt, den Begriffen dieses unendlich vollkommenen Wesens nicht weniger entgegengesetzt sind. Ein System, das von falschen Prinzipien ausgeht, kann immer nur zu einer Anhäufung von Unrichtigkeiten führen. 

Ich bin etc. 

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