9. Brief
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Nachdem ich Ihnen gezeigt habe, wie gering die Hilfe der Religion für die Moral ist, werde ich prüfen, ob die Religion der Politik realere Vorteile verschafft und ob es denn wahr ist, wie man unablässig wiederholt, daß sie für die Regierung völlig unentbehrlich sei.
Würde man die Augen verschließen und unseren Priestern Glauben schenken, so könnte man annehmen, ihre Anschauungen seien für die öffentliche Ordnung und Ruhe der Staaten notwendig, und sich einreden, sie seien für die Fürsten nicht zu entbehren, um die Völker regieren und für das Glück ihres Reiches sorgen zu können. Schließlich geben die Priester den Herrschern zu verstehen, daß es ganz in deren Interesse läge, sich ihren Launen zu fügen, alle Menschen dem göttlichen Joch zu unterwerfen und sich mit ihren bedeutsamen Streitigkeiten abzugeben; und es gelingt ihnen leider allzuoft, den Herren der Erde einzuflüstern, daß die Feinde der Priester die Feinde jedweder Macht seien und daß die Grundlagen des Thrones notwendig erschüttert würden, wenn die Grundlagen des Altars untergraben werden.
Man braucht nur die Augen offenzuhalten und sich in der Geschichte umzusehen, um die Unrichtigkeit jener Behauptungen zu erkennen und um die bedeutenden Dienste ermessen zu können, die die christlichen Priester zu allen Zeiten den Herrschern erwiesen haben. Wir sehen, daß sich seit der Gründung des Christentums in allen Ländern, in denen sich diese Religion ausbreitete, ständig zwei gegnerische Kräfte gegenüberstanden. Wir sehen einen Staat im Staate. Wir finden, daß die Kirche, das heißt eine Körperschaft von Priestern, ständig im Gegensatz steht zu der weltlichen Macht und daß sie auf Grund ihrer göttlichen Sendung und ihres heiligen Priesteramts allen Fürsten der Erde Gesetze auferlegen will.
Wir finden, daß der Klerus, eingebildet auf Würden, die er sich selbst verliehen hat, sich dem Gehorsam, den er den Herrschern schuldet, entziehen will und Anspruch erhebt auf angemaßte und ge-
fährliche Vorrechte, an welche man nicht rühren darf, ohne Gott selbst zu beleidigen.
Wir sehen, daß gottgleiche Untertanen nur ihre eigene Autorität anerkennen wollen, daß sie sich weigern, der weltlichen Autorität Folge zu leisten und sich am liebsten einem fremden Priester unterwerfen, der sich als Stellvertreter Jesu Christi ausgibt. Dieser behauptet, auf Grund dieses Titels auch den Monarchen gebieten zu können. Gestützt auf seine Sendboten und auf die Leichtgläubigkeit der Völker, ist es ihm oft gelungen, seine lächerlichen Ansprüche geltend zu machen, die Fürsten in sehr schwierige Lagen zu bringen, Streit und Zwietracht in deren Staaten zu säen und ihren Thron derart ins Wanken zu bringen, daß jene gezwungen waren, von ihm herabzusteigen und sich vor dem Statthalter Gottes zu demütigen.
Das sind die bedeutenden Dienste, die die Religion den Herrschern tausendfach geleistet hat. Die durch den Aberglauben verblendeten Völker können kaum zwischen Gott und ihren irdischen Fürsten schwanken; die Priester, die sichtbaren Werkzeuge des nicht sichtbaren Gottes, haben einen unermeßlichen Einfluß auf voreingenommene Geister; durch die Unwissenheit sind die Völker ebenso wie ihre Herrscher der Gnade der Priester ausgeliefert. Die Völker werden unablässig in deren nichtige Zänkereien verwickelt; seit vielen Jahrhunderten waren die Fürsten mit nichts anderem beschäftigt, als den Unternehmungen des Klerus Einhalt zu gebieten, sich gegen diesen zur Wehr zu setzen und die hartnäckigen Zänker in Schach zu halten, die im Namen Gottes zu sprechen behaupteten; fast niemals ist es ihnen gelungen, die ränkesüchtigen Betrüger oder die törichten und eitlen Fanatiker, die daran interessiert zu sein glaubten oder sich für verpflichtet hielten, die Staaten in Verwirrung zu stürzen, zum Schweigen zu bringen.
Die ständige Aufmerksamkeit, die die Fürsten dem Klerus widmen mußten, haben diese daran gehindert, auf das Glück ihrer Untertanen bedacht zu sein, die mit ihren Priestern häufig gemeinsame Sache gemacht und sich selbst dem Guten, das man ihnen geben wollte, widersetzt haben.
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Die Obrigkeit der Völker, die zu schwach war, um dem Strom der öffentlichen Meinung entgegenzuwirken, sah sich veranlaßt, vor dem Klerus zurückzuweichen, ihn zu schonen und sich mit ihm zu verständigen. Stellte sie sich seinen Absichten entgegen, so stieß sie stets auf heimlich gestellte Fallen oder auf offene Gegnerschaft. Hörte sie auf ihn, so opferte sie ihm feige das Glück und die Ruhe der übrigen Untertanen. Oft gab die herrschsüchtige und rachgierige Geistlichkeit Vatermördern oder Aufrührern Waffen in die Hand, um jene auf Herrscher zu hetzen, die sehr gut zu regieren wußten. Unter dem Vorwand, Gott zu rächen, ließen sie ihren Zorn selbst dann an den Monarchen aus, wenn sie bei diesen auch nur die geringste Neigung ahnten, sich nicht ihrem Joch zu beugen. Mit einem Wort, wir sehen, daß die Diener der Religion in allen Ländern und zu allen Zeiten sich ganz zügellos gebärdet haben. Wir sehen, daß auf ihr Betreiben überall große Reiche zersplittert, Throne umgestürzt, Fürsten ermordet und Untertanen zum Aufruhr angestachelt wurden; und wenn wir die Dinge näher untersuchen, so werden wir finden, daß der Ehrgeiz, die Begierde und die Eitelkeit des Klerus die wahren Ursachen und die Triebkräfte für all diese Verheerungen gewesen sind. So hat die Religion häufig zur Anarchie geführt und solche Reiche zugrunde gerichtet, deren Stütze zu sein sie behauptete.
Den Herrschern wurde nur dann Frieden gewährt, wenn sie sich schmählich den Priestern auslieferten, sich deren Launen unterwarfen, sich knechtisch deren Anschauungen zu eigen machten und diese an ihrer Stelle regieren ließen. Dann also war die herrschende Macht der Geistlichkeit untergeordnet, der Fürst war nur noch der erste Diener der Kirche; diese erniedrigte ihn oft derart, daß sie ihn zu ihrem Henker und zum Ausführenden ihrer blutigen Beschlüsse bestimmte; sie zwang ihn, seine Hände mit dem Blut seiner Untertanen zu besudeln, die von deri Dienern der Kirche geächtet worden waren; sie machte ihn zum sichtbaren Werkzeug ihrer Rache, ihrer Rasereien, ihrer verborgenen Leidenschaften. Anstatt für das Glück seiner
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Völker zu sorgen, folterte, verfolgte, opferte der Herrscher willfährig rechtschaffene Staatsbürger und machte sich bei einem Teil der Menschen verhaßt, deren Vater er war — und das nur, um den Ehrgeiz und die eigennützige Raserei einiger Priester zu befriedigen, die in dem Staat, der sie ernährt, immer Fremdkörper bleiben werden und die sich nur darum als dessen Glieder bezeichnen, weil sie ihn ungestraft beherrschen, aufsplittern, berauben und verschlingen wollen.
Wenn Sie nur ein wenig hierüber nachdenken wollen, so werden Sie zugeben, daß ich nicht übertreibe. Beispiele aus jüngster Zeit beweisen Ihnen, daß sich die Staaten selbst in diesem Jahrhundert, das sich aufzuklären bestrebt scheint, nicht vor den Anschlägen zu schützen vermögen, die die Priester zu allen Zeiten auf die Völker verübt haben. Beim Anblick der traurigen, meist durch kindische Fragen ausgelösten Torheiten haben Sie diese wohl hundertmal beklagt. Sie sind zurückgebebt vor den schrecklichen Folgen lächerlicher Zänkereien, die vernünftiger Wesen unwürdig sind. Sie haben zusammen mit allen guten Staatsbürgern angesichts der tragischen Wirkungen gezittert, die das rasende Verbrechertum eines Fanatismus hervorzubringen vermochte, dem nichts heilig ist. Schließlich haben Sie gesehen, daß die weltliche Autorität gezwungen ist, unablässig gegen aufrührerische Untertanen zu kämpfen, die behaupten, auf Grund ihres Gewissens oder der Interessen der Religion verpflichtet zu sein, sich den vernünftigsten und gerechtesten Willensäußerungen zu widersetzen.
Unsere Väter, die religiöser und weniger aufgeklärt waren als wir, haben noch viel schrecklichere Dinge gesehen; sie haben an Bürgerkriegen teilgenommen und von Bündnissen gewußt, die sich offen gegen den Herrscher richteten; sie haben eine mit dem Blut der Bürger getränkte Hauptstadt gesehen und erlebt, wie zwei Monarchen nacheinander der Raserei des Klerus zum Opfer fielen, der von allen Seiten das Feuer des Aufruhrs schürte. Sie haben auch erlebt, wie Könige gegen ihre eigenen Untertanen zu Felde
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zogen; wie ein berühmter Herrscher* seinen ganzen Ruhm verlor, weil er entgegen allen Verträgen solche Untertanen verfolgte, die ruhig geblieben wären, wenn man geduldet hätte, daß sie friedlich ihre Gewissensfreiheit genießen. Schließlich haben sie gesehen, daß dieser gleiche Fürst von einer heimtückischen Politik, welche ihn zur Intoleranz trieb, hintergarigen wurde, daß er mit den Protestanten die Industrie aus seinen Staaten verbannte und die Künste und Manufakturen zwang, bei unseren grausamsten Feinden Unterschlupf zu suchen.**
Wir sehen, daß die Religion in Europa unablässig die weltlichen Dinge beeinflußt; wir sehen, daß sie die Interessen der Fürsten bestimmt; wir sehen, daß sie christliche Völker entzweit und sie einander zu Feinden macht, weil ihre geistlichen Führer nicht in allem der gleichen Meinung sind. Deutschland ist in zwei religiöse Parteien aufgeteilt, die ständig einander widersprechende Interessenhaben. Wirtreffen überall auf Protestanten, die die geborenen Feinde der Katholiken sind und diesen stets mißtrauen, und ebenso treffen wir auf Katholiken, die sich mit ihren Priestern gegen alle diejenigen verbündet haben, die nicht die gleiche verächtliche und knechtische Denkungsart haben wie sie.
Das sind die bezeichnendsten Vorteile, die die Religion den Völkern verschafft. Man wird uns gewiß sagen, diese schrecklichen Wirkungen seien auf die Leidenschaften der Menschen zurückzuführen und nicht auf die christliche Religion, die unaufhörlich für Liebe, Eintracht, Nachsicht und Frieden eintritt. Aber wenn man nur ein wenig über die Prinzipien dieser Religion nachdenkt, so wird man bald feststellen, daß sie sich nicht mit den herrlichen Grundsätzen vereinbaren lassen, nach denen sich die christlichen Priester nur dann richteten, wenn sie nicht die Kraft hatten, ihre Feinde zu verfolgen und ihren Zorn mit allem Nachdruck an ihnen auszulassen. Die Verehrer eines eifersüchtigen, rachgierigen und blutdürstigen Gottes, wie es offensichtlich der-
* Gemeint ist Ludwig XIV.
** Gemeint ist die Aufhebung des Edikts von Nantes.199
jenige der Juden und der Christen ist, können weder maßvoll noch ruhig, noch menschlich sein. Die Verehrer eines Gottes, der sich durch die Gedanken und die Anschauungen seiner schwachen Geschöpfe beleidigt fühlt, der sie mißbilligt und der den Willen hat, daß man alle die ausrottet, die einem anderen Kult huldigen als dem seinigen, sind notwendigerweise intolerant, verfolgungswütig und bösartig. Die Verehrer eines Gottes, der sich nicht deutlich zu erkennen gibt und der sich seinen Günstlingen nur offenbart zu haben scheint, um die Vernunft auf Irrwege zu führen und jene Verehrer fortwährend in Ungewißheit und Verwirrung zu stürzen, können in ihren Anschauungen über den Willen dieses Gottes niemals völlig übereinstimmen. Im Gegenteil, sie müssen sich ewig darüber streiten, wie seine zweideutigen Orakel, seine undurchdringlichen Mysterien, seine übernatürlichen Gebote zu verstehen sind; denn diese scheinen nur erfunden worden zu sein, um den menschlichen Geist auf die Folter zu spannen und um Zwistigkeiten heraufzubeschwören, die nur mit Gewalt beendet werden können.
Man darf sich also nicht darüber wundern, wenn unsere Priester seit der Entstehung des Christentums nicht einen einzigen Augenblick ohne Streitigkeiten ausgekommen sind. Es könnte scheinen, Gott habe seinen Sohn nur auf die Erde entsandt, damit seine wunderbare Lehre zum Streitapfel für die Priester und seine Anhänger werde. Die Diener einer Kirche, die von Christus selbst gegründet wurde, vermochten sich in ihren Taten niemals zu einigen, obwohl jener versprochen hatte, sie unablässig aufzuklären und ihr seinen Heiligen Geist zu schicken. Wir sehen, daß diese unfehlbare Kirche für bestimmte Zeiträume gänzlich vom Irrtum beherrscht wurde. Sie wissen, daß sich — selbst nach dem Eingeständnis unserer Gottesgelehrten — im vierten Jahrhundert fast die gesamte Kirche der Meinung der Arianer angeschlossen hätte, die nichts weniger als die Göttlichkeit Christi leugneten. Der Geist Gottes hatte seine Kirche damals so sehr im Stich gelassen, daß sich seine Diener nicht einmal über das grundlegende Dogma der christlichen Religion zu einigen vermochten.
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Trotz der fortwährenden Streitigkeiten maßt sich die Kirche das Recht an, die Glaubensrichtung ihrer Anhänger festzusetzen; sie behauptet, unfehlbar zu sein; und wenn die protestantischen Gottesgelehrten auf diese hochmütigen und lächerlichen Ansprüche verzichtet haben, so wollen sie doch auch, daß ihre heiligen Beschlüsse von allen ihren Anhängern als himmlische Orakel aufgefaßt werden. Da die Priester immer miteinander in Streit lagen, haben sie sich fortwährend gegenseitig verflucht und verdammt; jede Partei hielt aus Eitelkeit starrsinnig an ihren eigenen Anschauungen fest und behandelte ihre Gegner als Ketzer; die Fragen wurden allein durch Gewalt entschieden, durch sie wurden die Streitigkeiten beendet und die Glaubensrichtungen festgesetzt. Die Priester aber, die die Herrscher auf ihre Seite zu ziehen wußten, waren die Orthodoxen, das heißt, sie rühmten sich, ausschließlich im Besitz der wahren Lehre zu sein; sie bedienten sich ihres Ansehens, um ihre Gegner zu zermalmen, die sie stets mit äußerster Grausamkeit behandelten.
Unsere Gottesgelehrten mögen sagen, was sie wollen: wenn wir nur ein klein wenig aufmerksam sind, so werden wir finden, daß die Glaubensrichtung der Christen in Wirklichkeit und letztlich immer durch die Macht der Kaiser und der Könige bestimmt wurde; die theologischen Anschauungen, die der Gottheit am angenehmsten sind, wurden den Völkern in allen Ländern mit dem Schwert aufgezwungen; die wahre Glaübensrichtung war immer diejenige, der die Fürsten huldigten; die Kirchenanhänger verfügten dann stets über die Kraft, ihre Feinde, die sie stets als Feinde Gottes behandelten, auszurotten. Mit einem Wort, in Wahrheit waren die Fürsten unfehlbar; sie sind als die wahren Begründer des Glaubens zu betrachten;, sie haben zu allen Zeiten über die Lehre entschieden, die die Völker anzunehmen oder zurückzuweisen hatten; schließlich werden immer nur sie allein die Religion ihrer Untertanen bestimmen.
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Wir sehen, daß die Religion, nachdem das Christentum von einigen Völkern angenommen worden war, die Aufmerksamkeit der Herrscher fast völlig in Anspruch genommen hat. Entweder lieferten sich die Fürsten, wenn sie vom Aberglauben verblendet waren, den Priestern aus, oder diese Fürsten glaubten, wenigstens aus Vorsicht einen Klerus schonen zu müssen, der sich zum wahren Herrn der Völker aufgeworfen hatte, die nichts Heiligeres und Größeres kannten als die Diener ihres Gottes. Weder in dem einen noch im anderen Falle wurde die gesunde Politik jemals um Rat gefragt; sie wurde feige den Interessen des Staates geopfert.
Wir sehen, daß die Kirche in den Zeiten der Unwissenheit durch den Aberglauben der Fürsten sehr große Einkünfte hatte; man glaubte, Gott reich zu machen, indem man die Priester eines Gottes, der ein erklärter Feind von Reichtümern war, im Überfluß schwimmen ließ. Wilde und sittenlose Krieger glaubten, alle ihre Sünden büßen zu können, wenn sie Klöster gründeten und den Menschen, die sich Armut gelobt hatten, unermeßliche Güter schenkten. Man glaubte, sich beim Allmächtigen verdient zu machen, wenn man den Müßiggang belohnte, den man als ein großes Gut betrachtete, da er erlaubte, sich dem Gebet hinzugeben, und man bildete sich ein, die Völker hätten ein dringendes und ständiges Bedürfnis danach. So wurde der Klerus durch den Aberglauben der Fürsten, der Großen und der Völker sehr reich und mächtig; das Mönchstum wurde geehrt, und die unnützesten, unfügsamsten, gefährlichsten Bürger wurden am meisten belohnt, geachtet und bezahlt; sie wurden mit Wohltaten, Vorrechten und Freiheiten überschüttet; sie erhielten die Unabhängigkeit; sie hatten eine große Macht, die sie zu Ausschweifungen führte; so wurden die Priester durch die unkluge Ergebenheit der Herrscher in den Stand gesetzt, sich diesen zu widersetzen, ihnen Gesetze aufzuerlegen und ungestraft im Staate Verwirrung zu stiften.
Nachdem der Klerus zu solcher Macht und Größe gelangt war, wurde er selbst von den Monarchen gefürchtet; diese waren gezwungen, sich entweder seinem Joch zu fügen oder
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gegen ihn zu Felde zu ziehen. Gaben die Herrscher nach, so waren sie nur noch Sklaven der Priester, Werkzeuge ihrer Leidenschaften, verächtliche Anbeter ihrer Macht. Weigerten sie sich nachzugeben, so bereiteten ihnen diese Priester die grausamsten Schwierigkeiten; sie schleuderten Bannflüche gegen sie; die Völker wurden im Namen des Himmels aufgeputscht und schlugen sich entweder auf die Seite des himmlischen oder auf die des irdischen Monardien; dieser hatte große Mühe, den Thron zu behaupten, den die Priester nach Belieben ins Schwanken bringen oder sogar vernichten konnten. Es gab Zeiten in Europa, in denen der Fürst und die Ruhe seines Staates einzig von der Laune eines Priesters abhingen. In den Zeiten der Unwissenheit, der Frömmigkeit und der für den Klerus so vorteilhaften Unruhen war ein schwacher und armer Monarch, der von einem beklagenswerten Volk umgeben war, auf die Gnade eines römischen Bischofs angewiesen, der die Glückseligkeit des Monarchen jederzeit zu zerstören, dessen Untertanen gegen ihn aufzuwiegeln und ihn in den Abgrund des Elends zu stürzen vermochte.
Im allgemeinen werden wir feststellen, daß die Oberhäupter von Ländern, die von der Religion beherrscht werden, notwendig von den Priestern abhängig sind; sie erhalten ihre Macht nur mit Zustimmung des Klerus; diese Macht löst sich auf, sobald sie den Mönchen mißfällt, denn diese sind mächtig genug, um die Völker gegen den Herrscher aufzuwiegeln. Die Völker können den Prinzipien ihrer Religion zufolge kaum zwischen ihrem Gott und ihrem Herrscher schwanken; aber Gott wird immer nur das sagen, was seine Priester ihn sagen lassen, und Unwissenheit und Unvernunft, die diese Priester zu erhalten bestrebt sind, werden die Völker daran hindern zu prüfen, ob sie von den Mittelsmännern Gottes getäuscht werden und ob diese seine Beschlüsse getreulich ausführen.
Ziehen Sie also mit mir die Schlußfolgerung, daß die Interessen des Herrschers nicht mit denen der Diener der christlichen Religion übereinstimmen können. Diese waren
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von jeher die unruhigsten, die aufsässigsten, die am schwierigsten zu bändigenden Bürger, die ihre Anschläge oft sogar gegen die Person der Könige selbst richteten. Man sage uns also nicht, das Christentum sei die sicherste Stütze des Thrones und es betrachte die Monarchen als die Abbilder der Gottheit und lehre, alle Macht sei vom Himmel. Diese Grundsätze sollen die Fürsten nur einschläfern; sie sind dazu bestimmt, denen zu schmeicheln, deren sich der Klerus versichert zu haben glaubt und mit denen er macht, was er will; diese Schmeichler wechseln sogleich den Ton, wenn die Fürsten zu kühn sind und sich ihren sehr gefährlichen Willensbekundungen nicht fügen oder wenn sie sich nicht blindlings allen ihren Absichten unterordnen; dann ist der Herrscher nichts anderes als ein Heide, ein Ketzer, dem man die Treue brechen kann und muß. Ja, noch mehr! Er ist ein Tyrann, den man vernichten soll, und das bezeichnet man als eine lobenswerte Handlung, weil die Erde durch sie von einem Feind des Himmels befreit wird.
Sie wissen, diese widerwärtigen Grundsätze wurden tausendmal von den Priestern gelehrt. Sobald der Herrscher jene Grundsätze einschränken will, sagen uns die Priester, er bedrohe die geistliche Macht, und sie rufen uns zu, es sei besser, Gott zu gehorchen als den Menschen. Die Priester sind den Fürsten nur ergeben, wenn sich die Fürsten ihnen blind unterwerfen. Sie predigen offen, daß man die Fürsten umbringen soll, wenn diese der Kirche, das heißt ihnen selbst, den Gehorsam verweigern. Diese Grundsätze, so schrecklich und so gefährlich sie für die Sicherheit der Herrscher und die Ruhe der Untertanen sind, leiten sich doch unmittelbar aus den Prinzipien des Judaismus* und des Christentums ab. Wir sehen, daß Königsmord, Aufruhr und Verrat im Alten Testament gebilligt und gelobt werden. Wenn man annimmt, Gott könne durch menschliche Gedanken beleidigt werden; wenn man sich einbildet, er verabscheue die Ketzer, so ist es sehr natürlich, daß man hieraus die Schlußfolgerung zieht, ein ketzerischer oder heidnischer
* Bezeichnung für die jüdische Religion.
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Herrscher, das heißt ein Herrscher, der einem eigens zur Leitung des Glaubens berufenen Klerus den Gehorsam aufkündigt, der sich den heiligen Absichten einer unfehlbaren Kirche widersetzt, der den Untergang und die Glaubensab-trünnigkeit eines großen Teils des Volkes herbeizuführen vermag, kann rechtmäßig von seinen Untertanen angegriffen werden; denn sie müssen die Religion für die wichtigste Sache der Welt halten, die ihnen teurer ist als ihr Leben. Solchen Prinzipien zufolge kann ein eifriger Christ immer nur denken, er erweise Gott einen Dienst, wenn er seinen Feind straft, und er diene seinem Volk, wenn er es von einer Obrigkeit befreit, die seinem ewigen Glück im Wege stehen könnte.
Sie sehen also, daß die Jesuiten, jene großen Förderer des Königsmords, als gute Christen und den Prinzipien ihrer Religion zufolge sehr konsequent geurteilt haben, obgleich ihre Lehren der Sicherheit der Herrscher und der Ruhe der Völker sehr zuwiderliefen. Doch hing — diesen Grundsätzen zufolge — das Leben eines Fürsten von der Laune eines Papstes oder eines Bischofs ab, der ihn, wenn er ihn zum Ketzer erklärte oder exkommunizierte, alsbald in einen Tyrannen verwandelte, auf dessen Haupt er die Wut des ersten besten Fanatikers lenkte, der nach Märtyrertum schmachtete. Wenn dieselben Jesuiten den Königen geschmeichelt haben und zu Begünstigern der unumschränkten Gewalt wurden, so haben sie dies nur dann getan, wenn sie die Gewissen beherrschten oder wenn sich diese Fürsten blind den Begierden jener Jesuiten fügten; sie haben sich immer empört und aufgelehnt, wenn sie nicht die gebührende Folgsamkeit fanden.
Der Gehorsam des Klerus ist stets mit Bedingungen verknüpft: Er wird sich seinem Fürsten unterwerfen, er wird seiner Macht schmeicheln und diese erhalten, wenn der Fürst sich seinen Befehlen fügt, seinen Plänen keine Hindernisse in den Weg legt, seine Interessen nicht gefährdet und keines der Dogmen antastet, auf denen nach Übereinkunft der Diener der Kirche ihre eigene Größe beruht; wenn er
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schließlich ihre göttlichen Rechte anerkennt, die offensichtlich denen des Herrschers entgegengesetzt sind und augenscheinlich die Grundlagen des Thrones untergraben.
Man braucht in der Tat nur die Augen zu öffnen, um zu bemerken, daß die Priester sehr gefährliche Menschen sind. Das Ziel, das sie sich setzen, besteht offenbar darin, die Geister zu beherrschen, um über die Körper derer, die sie mit den Waffen der Meinungsbildung unterjocht haben, zu verfügen. Das ist der Grund, warum diese Feinde der Menschheit der Wissenschaft und der Vernunft offen den Krieg erklären; es ist ganz klar ersichtlich, daß sie mit ihrem unveränderlichen System die Menschen abstumpfen, um sie unter ihr widerwärtiges Joch zu zwingen. Damit zufrieden, selbst reich und mächtig zu sein, stürzen sie ihre Mitbürger in Unwissenheit, Elend und Gleichgültigkeit; sie entmutigen den Bauern durch ihre Zehnten, durch ihre Erpressungen, durch ihre Täuschungen; sie zerstören die Aktivität, die Talente und den Fleiß, und es scheint ihnen zu behagen, nur über Unglückliche zu gebieten. Die schönsten Gegenden Europas, die'Priestern sowie frommen Herrschern in Ergebenheit unterworfen waren, wurden vernachlässigt und entvölkert. Wenn die Inquisition, die den Dienern der Kirche das Recht gibt, in eigener Sache zu urteilen und ihre Feinde auszurotten, in Italien, Spanien und Portugal für die Herrschaft eines sehr orthodoxen Glaubens gesorgt hat, so kann sie sich gewiß nicht rühmen, diese Staaten zur Blüte gebracht zu haben. In diesen großen und vom Himmel so begünstigten Ländern leben allein die Priester und die Mönche im Überfluß; die Herrscher haben weder Kraft noch Ruhm; die Untertanen schmachten in Armut und Knechtschaft. Sie haben nicht einmal* den Mut, sich aus ihrem Elend zu befreien; statt zu arbeiten, erbetteln sie ihr Brot an der Tür eines im Überfluß lebenden Prälaten oder Priesters; sie entäußern sich des wenigen, das sie haben, um die feisten Mönche, die ihnen Gebete verkaufen, noch fetter zu machen. Sie erkaufen sich von den ausschweifendsten aller Menschen die Vergebung ihrer eigenen Aus-
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schweifungen und der schändlichsten Laster. Schließlich sind sie bereit, sich gegen ihren legitimen Herrscher zu empören, sobald ein aufsässiger Mönch ihnen zu verstehen gibt, daß der Herrscher die Ursache der Leiden sei, die ihnen die Kirche zufügt.
Die Priester wissen zweifellos die Nützlichkeit ihrer Funktionen ins rechte Licht zu rücken. Sie werden uns sagen, daß — abgesehen von ihren Gebeten, durch die sie den Völkern seit so vielen Jahrhunderten soviel Gutes getan haben — sie allein auf die öffentliche Erziehung und auf die Unterrichtung der Völker bedacht sind und daß sie allein für die Einhaltung der Pflichten und für die Verbreitung der Moral sorgen. Nun, wenn wir jene angeblichen Dienste, die die Priester uns erweisen, genauer untersuchen, so werden wir bald sehen, daß sie sich in nichts auflösen, und wir werden sogar finden, daß sie für die Völker von jeher weit eher gefährlich als nützlich waren.
Wie steht es in der Tat um die Erziehung, die sich unsere geistlichen Führer allein vorbehalten haben und die nur sie der Jugend zu erteilen wünschen? Wollen sie uns zu mutigen, vernünftigen, tugendhaften Staatsbürgern machen ? Zweifellos nicht; diese Erziehung macht uns zu Feiglingen, die ihr ganzes Leben lang von eingebildeten Schrecken geplagt werden; sie macht uns abergläubisch, so daß wir nur klösterliche Tugenden kennen und, wenn wir die Lehren unserer Herren getreulieh befolgen, für die Gesellschaft völlig nutzlos werden; sie macht uns zu intoleranten Frömmlern, die bereit sind, jeden zu verabscheuen, der nicht so denkt wie wir; sie macht uns zu Fanatikern, die bereit sind, ihrem Herrscher den Gehorsam zu verweigern, sobald man ihnen einredet, dieser Herrscher lehne sich gegen die Kirche auf. Was lehren sie ihre Schüler? Sie vergeuden deren kostbare Zeit mit dem Hersagen von Gebeten und mit dem mechanischen Wiederholen theologisdier Dogmen, von denen sie selbst im reifen Alter nichts verstehen werden; sie lehren ihre Schüler tote Sprachen, die für die gegenwärtige Gesellschaft nutzlos sind und die ihnen höchstens
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ein Zeitvertreib sein können. Am Ende jener vortrefflichen Studien steht eine Philosophie, die in den Händen der Priester zu einer reinen Wortwissenschaft, zu einem sinnlosen Kauderwelsch geworden ist und auf diese Weise dazu beiträgt, die Schüler für die unerklärbare Wissenschaft vorzubereiten, die man Theologie nennt. Aber haben denn die Völker von dieser Theologie irgendwelchen Nutzen? Sind denn jene ewig währenden Auseinandersetzungen, in die sich unsere tiefsinnigen Metaphysiker verstricken, für die Völker, die nichts davon verstehen, von Interesse? Hat das Volk aus Paris oder aus den Provinzen irgendwelche Vorteile davon, wenn sich unsere Gottesgelehrten untereinander darüber streiten, was man von der Gnade zu halten habe?
Man muß schon einen sehr großen Glauben haben, wenn man die Nützlichkeit der Belehrungen entdecken will, die uns unsere Priester unaufhörlich wiederholen. Diese so sehr gerühmten Belehrungen bestehen darin, daß man uns unerklärliche Mysterien, wunderbare Dogmen, Fabeln oder ganz lächerliche Geschichten und einen panischen Schrecken einflößt, daß man uns fanatische oder düstere Vorhersagen macht, schreckliche Drohungen ausstößt und uns vor allem so tiefe Systeme vorsetzt, daß selbst diejenigen, die sie verkünden, nichts davon zu begreifen vermögen. In alledem kann ich wahrhaftig nichts Nutzbringendes sehen. Haben denn die Völker gegenüber solchen Menschen Verpflichtungen, die über Tiefen nachsinnen, die für das gesamte Menschengeschlecht stets gleichermaßen unergründlich bleiben werden? Geben Sie zu, daß unsere Gottesgelehrten sich ganz vergebens abmühen, uns einen sehr reinen Glauben zu geben. Wenigstens sind die Völker kaum imstande, aus den wichtigen Arbeiten der Priester Nutzen zu ziehen.
Oft wird die Kanzel zum Schauplatz des Zankes; von ihr herab beschimpfen sich die heiligen Redner gegenseitig, übertragen sie ihre Leidenschaften auf ihre christlichen Zuhörer, entfachen sie deren Eifer gegen die Feinde der Kirche und werden sie zu Sprachrohren der Raserei und der Aufsässigkeit. Wenn diese Prediger eine Moral
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lehren, so ist es eine übernatürliche und kaum für den Menschen geeignete Moral. Wenn sie Tugenden predigen, so sind es theologische Tugenden, über deren Nützlichkeit wir ausführlich gesprochen haben. Wenn dennoch einer von ihnen zufällig menschliche und soziale Tugenden predigt, so wissen Sie, daß er dem Haß und der Kritik seiner Mitbrüder zum Opfer fällt; er wird verachtet von den Frommen, die nur die Tugenden des Evangeliums kennen, welche sie nicht zu begreifen vermögen, oder für die es nichts Wichtigeres gibt als die mysteriösen Andachtsübungen, in denen nach Auffassung der Frommen die gesamte Moral besteht.
Hierauf also beschränken sich die bedeutenden Dienste, die die Diener des Herrn den Völkern seit so vielen Jahrhunderten erwiesen haben! Sie sind wahrhaftig den ungeheuren Preis nicht wert, den man für sie zahlt. Im Gegenteil, würde man die Priester entsprechend ihrem Verdienst bezahlen, würde man ihre Funktionen entsprechend ihrem wahren Wert einschätzen, so fände man vielleicht, daß sie keinen besseren Lohn verdienen als jene Kurpfuscher, welche an den Straßenecken Heilmittel feilbieten, die gefährlicher sind als die Leiden, welche sie zu heilen versprechen.
Wenn man dem Klerus einen Teil seiner ungeheuren durch die Leichtgläubigkeit der Menschen erworbenen Reichtümer nimmt, wenn man seine Macht über die weltliche Macht einschränkt oder gänzlich zerstört, wenn man ihn seiner Unantastbarkeit und seiner eingebildeten und schädlichen Vorrechte entkleidet, wenn man seine Mitglieder zwingt, zumindest friedliche Staatsbürger zu werden, so wird es den Fürsten eines Tages gelingen, den Völkern zu helfen, ihnen Mut zu geben und die Untertanen aktiver, fleißiger, vernünftiger, ruhiger und gehorsamer zu machen. Solange es im Staat zwei Mächte gibt, solange werden diese Mächte miteinander im Kriege liegen, und diejenige, die die Gottheit auf ihrer Seite hat, wird ungeheure Vorteile über die menschliche Macht haben. Wenn alle beide den gleichen Ursprung zu haben behaupten, so werden die
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Völker nicht wissen, auf wen sie hören sollen; die Untertanen werden sich veruneinigen, der Kampf wird um so wütender werden, und das Haupt des Herrschers wird sich der vielen Köpfe der Hydra* nicht erwehren können. Die aus dem Stabe Aarons hervorgegangenen Schlangen werden am Ende die Schlangen der Zauberer des Pharao verschlingen.
Sie werden mich fragen: Wie soll es einem aufgeklärten Fürsten nun gelingen, die aufsässigen Priester zu bändigen, die seit jeher über den Geist der Völker und über das Recht verfügten, auch den Herrscher ungestraft bedrohen zu dürfen? Ich antworte hierauf: Die Völker beginnen sich trotz der Wachsamkeit und der vermehrten Anstrengungen der Geistlichkeit aufzuklären; sie scheinen schließlich eines Joches müde zu sein, das ihnen lästig fällt und das sie nur deshalb solange getragen haben, weil sie in ihrer Frömmigkeit glaubten, es sei ihnen vom Allerhöchsten auferlegt und es sei für ihr Glück notwendig. Irrtümer können nicht ewig dauern, angesichts der Wahrheit lösen sie sich auf. Unsere Priester erkennen das sehr wohl; ihre fortwährenden Feldzüge gegen alle die, die das Menschengeschlecht aufklären wollen, sind ein unzweifelhafter Beweis für die Furcht, die sie vor ihrer Entlarvung haben. Sie haben Angst vor den durchdringenden Blicken der Philosophie; sie fürchten die Herrschaft der Vernunft, die niemals die Herrschaft des Aufruhrs oder der Anarchie sein wird. Die Fürsten brauchen also die Furcht der Priester nicht zu teilen oder sich zu Ausführenden ihrer Rache zu machen; sie schaden sich selbst, wenn sie die Sache ihrer zügellosen Rivalen verteidigen, die zu allen Zeiten die wahren Feinde der weltlichen Macht und die wahren Ruhestörer gewesen sind; schließlich verbünden sich die Fürsten mit ihren Feinden, wenn sie mit den Priestern gemeinsame Sache machen und wenn sie zu verhindern suchen, daß die. Völker von ihren Irrtümern befreit werden.
* Neunköpfiges Seeungeheuer der griechischen Sage.
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Die Herrscher sind mehr als alle anderen am Fortschritt der menschlichen Vernunft und an der Zerstörung der Irrtümer interessiert, deren erste Opfer sie so häufig waren. Wenn sich die Menschen nicht nach und nach aufgeklärt hätten, so stände die Obrigkeit der Völker heute noch ebenso wie ehedem unter dem Joch eines römischen Bischofs, der nach Belieben in ihren Staaten Verwirrung stiften, ihre Untertanen aufwiegeln und sie vielleicht sogar des Thrones und des Lebens berauben könnte. Ohne die unmerklichen Fortschritte der Vernunft würden sich die Könige noch an der Spitze einer wilden Menge unwissender und frommer Untertanen befinden, die bereit wären, sich auf das Zeichen eines unruhigen Priesters oder eines aufsässigen Mönches zu erheben.
Sie sehen also, daß die Menschen, welche denken oder welche anderen das Denken beibringen, den Herrschern viel nützlicher sind als diejenigen, welche die Vernunft ersticken und die Freiheit des Denkens für immer verbieten wollen; Sie sehen, daß die wahren Freunde der herrschenden Macht diejenigen sind, die den Völkern Kenntnisse vermitteln. Sie sehen ein, daß die Regierung, wenn sie das Verbreiten dieser Kenntnisse verhindert oder wenn sie die Philosophie verfolgt, ihre teuersten Interessen einem aufrührerischen Klerus opfert, der sich in seiner Ehrsucht und in seinem Geiz alles aneignen will und dessen Stolz sich immer gekränkt zeigt, wenn er einer Macht gehorchen muß, die er der seinigen unterwerfen will.
Es gibt nicht einen einzigen Priester, der sich seinem König nicht überlegen glaubt. Sieht man nicht häufig, daß der Klerus maßlose Ansprüche stellt: er gerät immer in Wut, wenn man ihn der weltlichen Mächt unterwerfen will; er betrachtet diese als heidnisch und tyrannisch, wenn sie ihn zur Vernunft bringen will; er behauptet stets, er sei heilig, seine Rechte stammten von Gott selbst und man dürfe, wenn man nicht lästern oder beleidigen will, die Güter, die Vorrechte, die Unantastbarkeit, die mit der Unwissenheit und mit der Leichtgläubigkeit verbunden sind, nicht angreifen.
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Jedesmal, wenn die weltliche Autorität an diese unter den Händen des Klerus unverletzlich und heilig gewordenen Dinge rühren wollte, war sein Geschrei nicht zu bändigen. Er bemühte sich, die Völker gegen die Autorität aufzuwiegeln; diese erschien ihm als tyrannisch, weil sie so kühn war und ihn dem Gesetz unterwerfen, seine Mißbräuche beseitigen und ihm die Möglichkeit, Schaden anzurichten, nehmen wollte. Die Autorität erscheint ihm als legitim, wenn sie seine Feinde zermalmt; sie erscheint ihm als unerträglich, sobald sie vernünftig und den Völkern wohlgesinnt ist.
Die Priester sind ihrem Wesen nach die bösartigsten Menschen und die schlechtesten Staatsbürger; es müßte ein Wunder geschehen, wenn sie nicht so wären; sie waren in allen Ländern die Schoßkinder der Völker. Sie sind hochmütig, denn sie behaupten, ihre Mission und ihre Macht von Gott selbst erhalten zu haben. Sie sind undankbar, denn sie versichern, nur Gott allein Rechenschaft ablegen zu brauchen für die Wohltaten, die ihnen offensichtlich durch die Großmut der Herrscher und der Völker gegeben werden. Sie sind vermessen, weil sie seit vielen Jahrhunderten Straffreiheit genießen. Sie sind ruhelos und zügellos, weil sie unaufhörlich danach streben, eine große Rolle zu spielen. Sie sind streitsüchtig und aufsässig, weil sie sich niemals darüber einigen können, wie die angeblichen Wahrheiten zu verstehen sind, die sie die Menschen lehren. Sie sind argwöhnisch, mißtrauisch und grausam, weil sie sehr wohl erkennen, daß sie allen Grund haben zu fürchten, daß ihre Betrügereien aufgedeckt werden. Sie sind die geborenen Feinde der Wahrheit, weil sie fürchten, daß diese ihre Ansprüche zunichte macht. Sie sind in ihrer Rache unerbittlich, weil es für sie gefährlich wäre, denen zu verzeihen, die ihre Lehre, deren Schwäche sie selbst kennen, zu erschüttern suchen. Sie sind heuchlerisch, weil die meisten von ihnen zuviel Verstand besitzen, um an die Hirngespinste zu glauben, die sie den anderen erzählen. Sie sind starrköpfig in ihren Ideen, weil sie eitel sind und weil es überdies gefährlich
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wäre, von einer Denkweise abzurücken, als deren Urheber sie Gott betrachten. Wir sehen, daß sie oft unbeherrscht und sittenlos sind, weil Müßiggang, Verweichlichung und Luxus notwendig das Herz verderben müssen. Wir sehen, daß sie bisweilen in ihrem Verhalten rauh und streng sind, um das Volk zu beeindrucken und ihre ehrgeizigen Pläne zu verwirklichen. Wenn sie heuchlerisch und arglistig sind, so sind sie sehr gefährlich; wenn sie dumm und in gutem Glauben fanatisch sind, so sind sie nicht weniger zu fürchten. Schließlich sehen wir, daß sie fast immer aufrührerisch und aufsässig sind, weil eine von Gott stammende Autorität nicht dazu angetan ist, sich der Autorität der Menschen zu fügen.
Das ist das wirklichkeitsgetreue Bild der Mitglieder einer mächtigen Körperschaft, der die Regierungen von jeher alle anderen Menschen opfern zu müssen glaubten. Das sind die Staatsbürger, die durch das Vorurteil am reichsten belohnt, die von den Fürsten vor den Augen der Völker geehrt werden, denen diese Fürsten ihr Vertrauen schenken, die sie als die Stützen ihrer Macht ansehen und als notwendig für das Glück und für die Sicherheit ihrer Reiche betrachten. Beurteilen Sie selbst, ob dieses Gemälde der Wirklichkeit entspricht; Sie sind eher als irgendein anderer imstande, die Intrigen, die Umtriebe, das Verhalten der Priester zu sehen und ihre Reden zu hören; Sie werden stets feststellen, daß sie ständig beabsichtigen, den Fürsten zu schmeicheln, um sie zu beherrschen und um die Völker zu versklaven.
Um derart gefährlichen Bürgern zu willfahren, kümmern sich die Herrscher um theologische Fragen, ergreifen sie für die Menschen Partei, von denen sie irregeführt worden sind, verfolgen sie alle die, die sich jenen nicht unterwerfen wollen, und ächten sie wütend alle Freunde der Vernunft und schaden ihrer eigenen Macht, indem sie die Aufklärung verhindern. Denn die gleichen Priester, die es als Gotteslästerung ansehen, wenn sich die Fürsten in ihre Angelegenheiten einmischen oder wenn sie die Priester zur Vernunft bringen wollen, werden unwillig, wenn sich die gleichen Fürsten nicht der kirchlichen Angelegenheiten annehmen
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wollen, um die Feinde der Priester zu vernichten. Und sie behandeln die Fürsten als Ketzer, wenn diese gegenüber ihren Streitigkeiten die Gleichgültigkeit zeigen, die sie verdienen.
Wenn die Fürsten, geheilt von ihren Vorurteilen, schließlich im eigenen Hause tatsächlich Herr sein wollen, so dürfen sie nicht mehr den Ratschlägen folgen, die ihnen jene von ihren eigenen Interessen bestimmten und oft blutdürstigen göttlichen Menschen geben, welche alles auf sich selbst beziehen und gern möchten, daß man ihnen das Glück, die Ruhe und die Reichtümer aller Stände des Staates opfere. Der Herrscher mische sich niemals in ihre Streitigkeiten; er lege diesen niemals eine gefährliche Bedeutung bei, indem er ihnen seine Autorität leiht; er verfolge niemals um irgendwelcher Überzeugungen willen, die gewöhnlich, von welcher Seite man sie auch betrachten möge, gleichermaßen lächerlich und unbegründet sind; sie würden den Staat niemals interessieren, wenn der Herrscher nicht die Schwäche hätte, sich selbst dafür zu interessieren. Er gestatte die Freiheit des Denkens, aber er leite die Handlungsweise seiner Untertanen durch gute Gesetze; es sei jedem erlaubt, nach Belieben zu träumen oder zu spekulieren, vorausgesetzt, daß er sich als rechtschaffener Mensch und als guter Staatsbürger aufführt. Zumindest soll sich der Herrscher dem Fortschritt des Wissens nicht widersetzen, denn allein das Wissen ist imstande, die Völker von der Unwissenheit, von der Barbarei und vom Aberglauben zu befreien, deren erste Opfer die christlichen Fürsten so häufig gewesen sind. Er möge davon überzeugt sein, daß aufgeklärte und unterrichtete Staatsbürger viel fügsamer und friedliebender sind als stumpfsinnige Sklaven, die keine Kenntnisse und keine Vernunft besitzen und die immer bereit sein werden, allen Leidenschaften zu frönen, die ihnen ein Fanatiker einzuflößen beabsichtigt.
Der Herrscher sei vor allem um die Erziehung seiner Untertanen besorgt; er dulde nicht, daß sich der Klerus dieser Erziehung ganz allein bemächtigt und seine Schüler
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von Kindheit an mit mystischen Begriffen, mit unsinnigen Träumereien, mit abergläubischen Andachtsübungen übersättigt, die die Menschen nur fanatisch zu machen vermögen. Kann er die Verbreitung solcher Torheiten nicht verhindern, so schaffe er wenigstens gegen ihre Wirkungen ein Gegengewicht, indem er eine vernünftige gesellschaftliche Moral lehrt, die dem Wohl des Staates gemäß und für das Glück seiner Glieder nützlich ist; diese Moral wird zeigen, was der Mensch sich selbst schuldet, was er seinesgleichen schuldet, was er der Gesellschaft und der Obrigkeit schuldet, von der sie regiert wird. Diese Moral wird weder Menschen, die sich um belangloser Anschauungen willen hassen, noch gefährliche Schwärmer oder Frömmler heranbilden, die den Priestern blind unterworfen sind; sie wird die Menschen friedliebend und zu vernünftigen und der legitimen Autorität ergebenen Untertanen machen; kurz, sie wird tugendhafte Menschen und gute Staatsbürger schaffen. Eine gute Moral ist das sicherste Gegenmittel gegen Aberglauben und Fanatismus.
Auf diese Weise wird die Herrschaft des Klerus nach und nach geschwächt; der Herrscher wird keine Gegenspieler mehr haben; er wird ohne Einschränkung nur vernünftigen Staatsbürgern gebieten; die nach und nach der Gesellschaft zurückgegebenen Reichtümer des Klerus werden es ihm ermöglichen, die Lage seines Volkes zu verbessern. Überflüssige Stiftungen können nutzbringend verwendet werden; ein Teil der Kirchengüter, die ursprünglich für die Armen bestimmt waren und lange Zeit von geizigen Priestern in Anspruch genommen wurden, wird wieder in den Besitz der armen Völker, ihrer legitimen Eigentümer, übergehen. Der Fürst wird, gestützt auf eine Nation, die die Vorteile und die Erleichterungen erkennt, die man ihr verschafft, das Geschrei des Fanatismus nicht länger fürchten, da dieses nicht mehr ertönen wird. Die Zahl jener Priester, jener untätigen Mönche, jener zügellosen im Zölibat lebenden Menschen, die nicht an die Zukunft denken und die in dem Staat, der sie ernährt, nur Fremdkörper sind, wird sichtbar geringer werden.
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Der reicher und mächtiger gewordene Monarch wird eher imstande sein, Wohltätigkeiten zu üben; seine Herrschaft wird gesicherter sein, und er wird einsehen, daß die Freunde der Kirche immer nur die Feinde seines Thrones, seines Ruhmes und seiner wahren Größe sind.
Das ist das Ziel, das sich jede Regierung stecken muß, die ihre wahren Interessen erkennt. Ich hoffe, daß Ihnen dieser Plan weder als eine Unmöglichkeit noch als ein Hirngespinst erscheint; die Erkenntnisse, die sich nach allen Seiten auszubreiten beginnen, ebnen bereits die Wege; man möge diese Erkenntnisse nicht unterdrücken, sondern man soll sie fördern oder sich wenigstens dem Fortschritt des menschlichen Geistes nicht widersetzen. Und Sie werden sehen, daß sich die Herrscher und die Völker ohne Revolutionen und ohne Unruhen allmählich von einem Joch befreien, das sie seit langem bedrückte.
Welchen Nutzen hat denn die Gesellschaft von den Denkmälern des Glaubens, die von unseren Vorfahren geschaffen wurden? Sie sind nichts anderes als Stiftungen, die ausgedacht wurden, um den Müßiggang der Mönche zu unterstützen; nichts anderes als kostbare Tempel, die von bedürftigen Völkern errichtet und reich ausgestattet wurden, um den Stolz der Priester zu nähren und um ihnen Altäre und Paläste zu erbauen. Seit seiner Gründung scheint das Christentum nur das Ziel gehabt zu haben, die Priesterschaft auf den Trümmern der Nationen und der Throne ruhen zu lassen. Die eifersüchtige Religion hat sich völlig des Geistes der Menschen bemächtigt, so daß diese vergessen haben, daß sie nicht nur auf Erden leben, um sich um ihr künftiges Glück in den unbekannten Regionen des Himmels zu sorgen.
Es ist an der Zeit, daß das Blendwerk zerstört wird; es ist an der Zeit, daß sich das Menschengeschlecht mit seinen wahren Interessen beschäftigt, die stets unvereinbar sein werden mit den Interessen der Führer, die das unantastbare Recht erworben zu haben glauben, die Menschen irrezuführen. Je gründlicher Sie die christliche Religion prüfen, um so überzeugter werden Sie sein, daß sie nur denen Vorteile bieten kann, die die leichte Aufgabe übernommen haben, die Menschheit zu führen, nachdem sie diese verblendet haben.
Ich bin etc.
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