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 § 13  

Kärrner-Dienste

 

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Friedensforschung — so wird man aus dem Gesagten schließen müssen — ist nur da sinnvoll und förderungs­würdig, wo sie dem Kriege dient. 

Diese Dienstleistung allerdings kann in direkter oder indirekter Form erbracht werden — unmittelbar in der Erarbeitung von Szenarien und Simulations­modellen, die dem durchgespielten Grauen dann bei seiner Realisierung die betäubende und die Entschlußkraft lähmende Wirkung nehmen, mittelbar, wie der blauäugige Optimismus eines Kneutgen verdeutlicht, durch Ablenkung pazifistischer Kritik ins Reich der schönen Utopie und der absorbierend-»brisanten« Schein­probleme.

Zu solchen Ersatzangeboten für den humanistisch deformierten Intellekt, der damit auf eine elegante und gänzlich gewaltfreie Art und Weise beschäftigt und davon abgehalten wird, den weltgeschichtlichen Aufrüstungs­prozeß negativ zu beeinflussen, gehören z. Zt. — neben der beschriebenen schöngeistig-weltfernen Variante der Friedensforschung — die Ökologiedebatte, die Kernkraftfrage und bis zu einem gewissen Grade paradoxerweise auch die Atomwaffen­diskussion selbst.

Die »ökologische Mode« (Maldonado 1972: 70) — die die Zukunft unter der Perspektive einer sich explosions­artig vermehrenden Menschheit und der nicht minder rapide schwindenden natürlichen Ressourcen, unter der Geißel von Hunger, Umwelt­verschmutzung und mitleidsloser Ausbeutung perhorresziert und verzweifelt nach Auswegen aus der Sackgasse sucht — lenkt den Blick der Diskutanten auf Wachstumskurven, Produktions­diagramme und Hochrechnungen der noch vorhandenen Rohstoff­reserven und hält sie damit der Einsicht fern, daß die Menschheit nach Erschöpfung der Bodenschätze oder bei Vergiftung ihrer industriellen Umwelt nicht sanft und sich in das Unvermeidliche schickend abscheiden dürfte — sondern schon lange zuvor ihr Heil in erbarmungslosen Verteilungs­kämpfen und Kriegen um die restlichen noch halbwegs gesunden und kontaminations­freien Lebensräume suchen wird.

Die sich verschlechternde ökologische Situation mag damit neben oder im Verein mit politischem Hegemonie­streben, ideologischer Kreuzzugs­mentalität und der Eigendynamik der militärischen Komplexe zum auslösenden Faktor der Befreiungstat des Untiers werden, hat neben ihrem Katalysator­charakter aber — im Gegensatz zur Einschätzung der Ökophilen — keine größere eigen­ständige Bedeutung, und schon gar nicht die unseres zentralen existentiellen Problems.

Der wohligen Fiktion — am archimedischen Punkt der neueren Weltgeschichte anzusetzen und sich um eine Nachwelt, die sich in Wirklichkeit längst in die Nicht­existenz zurückgebombt haben wird, verdient zu machen — hängen auch die Kernkraftgegner an; ihnen verstellt die garstige Vision von Reaktor­unfällen mit einigen zehntausend Toten den Blick auf militärische Einsatz­kapazitäten, denen gegenüber ein außer Kontrolle geratener durch­schmelzender Reaktor sich ausnimmt wie eine vor den Ketten von Panzern detonierende Knallerbse.

Die Ablenkung kritischer Energien und des kollektiven Protests auf im Vergleich durchaus sekundäre Bedrohungen — wie sie sich etwa in der Auflösung der Oster­marsch- und »Kampf-dem-Atomtod«-Bewegungen der 50er und frühen 60er Jahre und der Abdrängung des Lemmingszugs der Unzufriedenen in das Ödland und Salz um Gorleben und zwischen die Baugruben des Reaktorgeländes von Wyhl abspielt — ist einer der ganz großen Triumphe gesamt­gesellschaft­licher Verdrängungs­arbeit, die das Untier instand setzen, sein Ziel ohne große Umwege und erwähnenswerte Hindernisse direkt anzusteuern. 

Und selbst noch die versprengten Reste der Atomwaffen- und Rüstungsgegner, die bis in unsere Tage* überlebt haben und sich jetzt am Strohfeuer einer kurzlebigen Friedens­diskussion wärmen, bevor sie ihre Sache endgültig verloren geben werden, haben in der Vergangenheit wider Willen dem Untier Kärrner­dienste** geleistet. Eben weil sie so vehement gegen Atombomben, Wasserstoffbomben, Neutronen­bomben mobil machten, ist das wachsende Arsenal der B- und C-Waffen nahezu vollständig aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwunden; und deren Weiter­entwicklung in dem arbeitsamen und von neugieriger Querulanz verschonten Idyll der Laboratorien hat — zumal im biologischen Bereich — ungeahnte Erfolge gezeitigt:  

Um mit Sicherheit jegliches Leben in einem Bereich von 1000 x 1000 m zu zerstören, müssen 16.000 Artillerie­granaten (75 oder 77 mm) abgeschossen werden, das entspricht 10 Tonnen herkömmlichen Sprengstoffs. 

Das gleiche Resultat wird erzielt mit 1 Tonne chemischem Kampfstoff oder 10 kg Atomsprengstoff, wie er in Hiroshima angewendet wurde, mit 10 g thermo­nuklearem Sprengstoff gegenwärtigen Typs — oder aber mit nur 0,1 Gramm biologischem Kampfstoff.  

(Zentral­vorstand der Gewerkschaft Wissenschaft 1972: 141)***  

Für die Eingeweihten und das anthropofugale Denken ist es angesichts solcher Ergebnisse tröstlich zu wissen, daß auch jene, die der atomare Feuersturm über den Städten nicht erreicht und die wegen ihres marginalen Lebensraumes vielleicht auch dem letalen Fallout entgehen mögen, die Hoffnung auf ein Ende keineswegs fahren lassen müssen, sondern daß sie gewiß sein können — mit geringer zeitlicher Verzögerung und als letzte ihrer Gattung — von mutierten Viren, Bakterien und Pilzen, einer künstlichen Lungen­pest, einem verheerenden Fleckfieber, einer nie dagewesenen Form des Milzbrandes hinweggerafft zu werden — als Nutznießer jenes Weitblicks und jener Fürsorge, mit der sich in der Apokalypse noch die Toten der Überlebenden annehmen werden.

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Anmerkungen von detopia-2010

 

Hiermit ist dann auch "Zuliefererfunktion" geklärt - im Disput mit Robert Jungk, 1990. Das hatte ich lange nicht verstanden, wieso denn die öffentliche grüne Ökopax-Bewegung böse bzw. schlecht wäre. Jetzt aber sage ich: Horstmann hat recht. Und Bahro liegt in gewisser Weise in LdR, 1987, auf dieser Linie, z.B. mit "Ökosozialismus bleibt Exterminismus".

 

*  "Unsere Tage" meint erscheinungszeit des buches, 1983: protest gegen "nachrüstungsbeschluß" 

**  Kärrner: auch karrer, von karren - karrenführer, karrenschieber, fuhrknecht 

 

***  ... der DDR - hier sind zwei dinge interessant: 1. die offizielle veröffentlichung in der ddr - und 2. schon 1972 war dieser technische "stand" erreicht - und danach wurde weiter geforscht, also noch 20 jahre bis zum ende des kommunismus. -- und noch ein wort zu biologischer "kampfstoff": ich mag mich jetzt nicht bei wikipedia oder google über den aktuellen stand der ausrottungsforschung informieren. ich stelle mir vor, daß "kampfstoff" hauptsächlich lebende "kulturen" von bakterien und viren (falls wir diese begriffe noch zutreffen). diese "monster" sind heutzutage sicher "genmaniluliert" (nicht nur "gezüchtet") - und sie können sich selbst vermehren - und sicher sich auch über die luft übertragen. daher eben die "0,1 gramm", die man nur "braucht". - rosige aussichten sehen anders aus. #  allerdings: weil das eine SED-quelle ist, ist eine "zweite meinung" unbedingt nötig. jedoch: man verbeiße sich nicht in "0,1 gramm",  also den unterschied 1:100 zu plutoniumsprengstoff. das ist nicht wichtig!! - selbst wenn das 100 gramm biokampfstoff wären: auch schon schlimmer als kernsprengstoff. - Man kann dazu auch Taylor-1968 befragen.

 

atomtests  (2010)

die 2000 atom"tests" selber - also allesamt echte (wirkliche) schwere atomexplosionen - haben ebenfalls eine eigenständige exterministische wirkung (oder anthropofugale).  --  eine "atomdetonation" ist ja die umwandlung von materie in energie. wenn man das weiterdenkt, dann sind diese "tests" schon das eigentliche effekt - nämlich die "erzeugung" von "nichts".  -- hinzu kommt (wovon ich selten höre), die schockwellen, die um die erde laufen. - nein, nicht nur die großflächige zerstörung von landschaft, die anreicherung des luftozeans mit neuen partikeln. nicht nur das. - auch die 50-megatonnen-"test"-explosion von 1961 über nowaja semlja muß genannt werden. http://de.wikipedia.org/wiki/Zar-Bombe  

atomtest-video 1945-1998

das video "1945-1998" (2003) stammt von dem japanischen künstler namens isao hashimoto.

https://www.youtube.com/results?search_query=isao+hashimoto

 

heise.de/tp/blogs/6/148141   heise artikel zum Thema Atomdetonationen 

Die erste Atombombe wurde am 16. Juli 1945 wurde von den USA bei Alamogordo, New Mexico, gezündet. Der Trinity-Test fand oberirdisch statt. Deutschland entging durch Kapitulation der Bombardierung mit Atombomben nur knapp. Am 6. August wurde "Little Boy", wie die Bombe verharmlosend genannt wurde, auf Hiroshima abgeworfen, einen zwingenden Grund dafür gab es nicht mehr, ebenso wenig für den Abwurf der zweiten Bombe "Fat Man" am 9. August auf Nagasaki.

Danach ging es Schlag auf Schlag. Insgesamt wurden bis 1998 2053 Atombomben gezündet, am meisten in den Jahren zwischen 1958 und 1962. Während der 54 Jahre wurde alle 9,5 Tage eine Atombombe gezündet.

 

auch hier auf diese seite paßt eine ddr-märchenschallplatte 

 

 

 

 

detopia.de      ^^^^       Literatur   

Das Untier von Ulrich Horstmann (1983)