"<Ich bin> steht allen ins Gesicht geschrieben.

<Ich war> auf jedem Grabstein.

Deshalb will der Künstler in das 
<Ich werde gewesen sein>."

 

Posthumes Publizieren

Wie sich Ulrich Horstmann 
als Schriftsteller unsterblich macht

Von Frank Müller

literaturkritik.de  rezension id=10104  

literaturkritik.de  
Nr. 11, November 2006  
Deutschsprachige Literatur

 

     Horstmann.Start

2006

xxx Seiten 

Google.Buch

 

Detopia: 
A. Tarkowski 

 

Mit freundl. Duldung 
von Frank Müller 
für Ulf Turlach.

 

 

Alle Kunst will Dauer, sie ist ein ästhetischer Protest gegen die Vergänglichkeit. Nur in den Kunstwerken wird der Traum von der Versiegelung, dem Stillstehen, ja dem Zurückdrehen der Zeit für Stunden wahr. Im Unterschied zur Ideologie und Religion jedoch ist die Kunst ehrlich genug, sich den Ersatzcharakter ihrer Hervorbringungen einzugestehen. 

Vom Künstler ließe sich dasselbe behaupten: Der Wunsch nach Ewigkeit, die Sehnsucht, in seinen Werken zu überdauern, wird aufs Schmerzlichste eingeholt durch die Tatsache, dass die meisten Bücher bereits zum Zeitpunkt der Drucklegung Makulatur sind und ungelesen in den Regalen verstauben.

Wie also bringt man es als Autor zur Unsterblichkeit? 

Es gibt, behauptet Ulrich Horstmann in seiner neuesten Aphorismensammlung <Hoffnungsträger>, eine große und eine kleine Unsterblichkeit. Die erste verleiht die Nachwelt mit ihren Gedenktafeln, Jubiläumsausgaben und Ruhmeshallen. Die zweite erreicht man durch einen Kunstgriff: "Wer in gewissen Abständen Nachrufe auslöst oder selbst in die Welt setzt, gelangt unweigerlich an den Punkt, an dem er als werter Verblichener seinen Kredit verspielt hat und sich sein Ableben definitiv nicht mehr mitteilen lässt." 

Anders ausgedrückt: Wer bereits zu Lebzeiten den toten Mann spielt, dessen tatsächliches Hinscheiden wird gar nicht mehr wahrgenommen, weil alle schon über den morbiden Witzbold Bescheid wissen.

Feststellungen wie diese bilden den vorläufigen Endpunkt einer ganzen Kette von Versuchen einer literarischen Selbstverständigung Horstmanns. Immer unter ironischem Vorzeichen - wie ja auch der Titel der neuen Sammlung nicht auf die Selbsterhebung des Autors zur Lichtgestalt abhebt, sondern auf den Komparativ von "hoffnungsträge". Das vorgezogene Ende ist mit anderen Worten schon in Horstmanns frühen Werken präsent.

Im apokalyptischen Blockbuster "Das Untier" (1983) wird die Ausrottung der Menschheit durch das große ABC der Massenvernichtung zum Gegenstand einer, wie es in einem frühen Essay heißt, "apokalytische(n) Simulation". Der Weltuntergang findet statt - auf dem Papier. Eine Lesart übrigens, die Horstmann in seinen neuen Aphorismen noch einmal nachdrücklich bestätigt: "Totgesagte leben länger. Und warum soll das, was von jedem Spezi gilt, vor der Spezies halt machen?"

Aber auch sich selbst hat Horstmann beileibe nicht geschont. 

Ein Auszug aus der Liste fiktiver Todesnachrichten: In dem Erzählband "'Er starb aus freiem Entschluss'" (1976) tarnt der junge Literatur­wissenschaftler Horstmann die eigenen literarischen Gehversuche als Nachlassschriften des Selbstmörders Klaus Steintal - einer Phantasiegestalt. Spiegelbildliches ereignet sich fast zwanzig Jahre später in "Konservatorium" (1995), denn hierbei handelt es sich - angeblich - um eine Sammlung nachgelassener Schriften Horstmanns. Und als der untote und widergängerische Autor das im Suhrkamp-Verlag ausgelaufene "Untier" im Johannes G. Hoof Verlag neu veröffentlicht, vermeldet der Klappentext: "Ulrich Horstmann (1949-2004) war ein Schwarzarbeiter und stiller Störenfried des deutschen Literaturbetriebs." Als "erste posthume Publikation" deklariert Horstmann konsequenterweise auch den in optimistisches Grün gewandeten Band "Hoffnungsträger".

Konsequenterweise? Hier sind Erklärungen gefordert und angebracht. Im Jahr 2004 nämlich endet nach seinem eigenen Bekunden Horstmanns Schriftstellerkarriere (vgl. literaturkritik.de Nr. 07/2005). Das Versiegen der literarischen Nährlösung wird in "Hoffnungsträger" noch einmal ausführlich beschrieben - in Gestalt eines essayistischen "Entlassungspapier(s) aus dem Dreißigjährigen Krieg".

Der Titel des Essays geht zurück auf einen Aphorismus von 1993, in dem Horstmann mit Blick auf seinen in wilhelminische Formen gezwungenen Bartwuchs als "Barttracht des Dreißigjährigen Krieges" spricht. Dieser Selbstkommentar wird in "Hoffnungsträger" Anlass zu einem weiteren: "Das war für das zwanzigste Kriegsjahr mit Hellsicht gesprochen, denn nichts anderes ist eingetreten nach Ablauf der Frist, genauso ging es aus zwischen den Schläfen, die jetzt feige ausbleichen zum Lieblingston der Parlamentäre." Vergleichbar selbstbezüglich geht es auch in einem anderen Sinnspruch zu, der den Imperativ "Schreiben einstellen!" nicht länger als Aufforderung zu einer stilistischen Nachjustierung verstanden wissen will: "Die Zeichen für solche feinsinnigen Verdrehungen sind vorbei."

Verdrehtheit ist schon das richtige Wort, denn erstens ist mit dem selbst bestimmten Hinscheiden des Schriftstellers Horstmann keineswegs das letzte Wort gesprochen: Auf die "erste" posthume Publikation werden, wie es aussieht, weitere folgen. Zweitens scheint Horstmann seinen 'Nachrufen zu Lebzeiten' eher einen literarischen Autismus permanenter Selbstbespiegelung zu befördern - zugegeben ein Heidenspaß -, als dass damit schon ein fröhliches Wachsen und Gedeihen literarischer Stilblüten auf dem Post-Humus sichergestellt wäre. Die Frage scheint ja berechtigt: "Muss ich mich eigentlich selbst ans Messer liefern, damit ich auch in Zukunft geschnitten werde?" Aber was bleibt von dieser Ansage übrig außer der weitsichtigen Vorwegnahme der eigenen Erfolglosigkeit und der Stilisierung des Autors zur Lachnummer?

Viel scheint es zunächst nicht zu sein, denn "Hoffnungsträger" verlängert die Kette der literarischen Leistungserbringung lediglich um einige Glieder, anstatt sich über die früheren Aphorismenbände "Hirnschlag" (1984), "Infernodrom" (1994) und "Einfallstor" (1998) hinauszuhangeln. Die melancholisierenden Mauersegler, der heruntergekommene Literaturbetrieb, die stille Bierseligkeit, der nonchalante Brückenschlag vom frühzeitlichen Hominoiden zu Handy und HDTV, die kulturkritisch inspirierte Sehnsucht nach dem 19. Jahrhundert - "Wer fernsieht, verpaßt die Glühwürmchen" -, das alles konnte man schon auf sehr ähnliche Weise lesen. Während der Kuli übers Papier gleitet, ist sein Meister zu seinem eigenen Kuli geworden und trägt sich das Gepäck nach. Die hinterrücks zündenden Wortspiele eingeschlossen: "Der Heilige Stuhl. Soviel unmetaphysische Direktheit will erst einmal verdaut sein."

Trotzdem wäre der Rezensent der Angeschmierte, wenn er gerade Horstmann, der seinen Lesern gerne einmal den Rückschritt vom "Kapieren" zum "Kopieren" bescheinigt, auf Horstmann-Recycling festlegen würde. Der Ernst allen Spiels folgt auch hier auf dem Fuß und hört auf den Namen Lauterkeit. Horstmann ist mit anderen Worten ebenso sehr Opfer und "Spielball" literarischer Prozesse - und kann als solcher naturgemäß nicht aus seiner Haut -, als er den literarischen Rückbau- und Erschöpfungsprozess immer schon mitreflektiert: "Bis fünfundzwanzig bringt man ein Floß zusammen, wenn man das Treibgut nutzt. Danach werden noch eine Weile gnadenlos überteuerte Schwimmwesten gereicht, und ab fünfzig klatschen neben dem, der den Kopf weiter über Wasser zu halten gedenkt, gratis Badekappen in die Lake, wo sie sich runden, ein kleingeistiger Ulk, wo sie wie kunterbunte Quallenschwärme bedächtig versinken." Symptomatik und Diagnose gehen Hand in Hand.

Viele der "Hoffnungsträger"-Aphorismen sprechen von einem Verblassen, Verhallen und Verkommen. Vom "Rückgabedatum" der Bücher ist die Rede - und des Lesers, der sie aufschlägt. Alles, was einem während dieses fortgesetzten 'Versackens' noch bleibt, ist, mit einem Streichholz die verbleibende Profiltiefe zu messen. 

Das ist die Zeit der 'weißen' Melancholie, einer Art zur Ruhe gekommener Enttäuschung, wie sie Horstmann schon in "Der lange Schatten der Melancholie" (1985) beschreibt. Ohne die aufblitzende Selbstironie, die das Projekt posthumen Publizierens als Spiegelgefecht zum Zwecke der literarischen Angstabwehr entlarvt, aber kommt auch sie nicht aus: "Die Verzweifelung ist sozial und für jedermann zu haben. Das schmerzliche Lächeln der Melancholie dagegen besteht auf einer Kreditkartennummer."

 

 

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