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2. Quantität, Qualität, Moralität

Von Aldous Huxley 1958

 

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In der »schönen neuen Welt« meiner Phantasie wurden Eugenik und Dysgenik systematisch praktiziert. In der einen Gruppe von Flaschen erhielten biologisch hochwertige Ovare, von biologisch hochwertigem Sperma befruchtet, die bestmögliche vorgeburtliche Behandlung und wurden schließlich als Beta, Alpha und sogar Alpha-plus entkorkt. In einer anderen, viel zahlreicheren Gruppe von Flaschen wurden biologisch minderwertige Ovare von biologisch minderwertigem Sperma befruchtet, dem Bokanowsky-Verfahren unterworfen (96 identische Zwillinge aus einem einzigen Ei) und pränatal mit Alkohol und anderen Proteingiften behandelt. 

Die schließlich entkorkten Geschöpfe waren beinahe untermenschlich; sie waren aber fähig, die Arbeit ungeschulter Arbeiter zu verrichten, und wenn sie ordentlich konditioniert, durch freien und häufigen Zugang zum anderen Geschlecht entspannt, durch kostenlose Unterhaltung beständig abgelenkt und in ihrem erwünschten Verhalten durch tägliche Gaben von Soma bestärkt wurden, konnte man sich darauf verlassen, daß sie ihren Oberen keine Scherereien bereiten würden. 

In dieser zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verhalten wir uns dem Problem der menschlichen Fortpflanzung gegenüber weitgehend unsystematisch; aber auf unsere willkürliche und ungeregelte Weise übervölkern wir unseren Planeten nicht nur, wir legen es, so scheint es, geradezu darauf an, daß diese größeren Menschenmengen biologisch minderwertiger sein müssen.  

In der schlechten alten Zeit blieben Kinder mit beträchtlichen oder sogar nur geringen erblichen Defekten nur selten am Leben. Heutzutage gelangen dank sanitärer Anlagen, moderner Heilmittelkunde und sozialen Bewußtseins die meisten der mit erblichen Mängeln geborenen Kinder zur Reife und mehren ihre Art. Unter den heutigen Verhältnissen wird jeder Fortschritt in der Medizin durch eine entsprechende Vermehrung derjenigen Überlebenden aufgehoben, die mit irgendwelchen genetischen Unzulänglichkeiten geschlagen sind. 

Trotz neuer Wundermedizinen und besserer Behandlungsmethoden (ja, in gewissem Sinn gerade ihretwegen) wird die körperliche Gesundheit der Gesamt­bevölkerung keine Besserung zeigen und vielleicht sogar absinken. Und zusammen mit der Durchschnitts­gesundheit wird vielleicht auch die Durchschnitts­intelligenz sinken. Einige kompetente Fachleute sind sogar überzeugt, daß ein solches Absinken schon eingesetzt hat und fortdauert. 

»Unter Verhältnissen, die sowohl bequem als auch ungeregelt sind«, schreibt W. Sheldon, 

»neigt unser wertvollstes Geschlecht dazu, reproduktiv von einem Geschlecht verdrängt zu werden, das ihm in jeder Hinsicht unterlegen ist... In einigen akademischen Kreisen ist es Mode, den Studenten zu beteuern, daß die Beunruhigung über unterschiedliche Geburten­zunahme unbegründet sei; daß es sich da bloß um wirtschaftliche Probleme handle oder bloß um erzieherische oder religiöse oder kulturelle oder dergleichen. Das ist unberechtigter Optimismus. Vererbte Delinquenz ist etwas Biologisches und Grundlegendes.« 

Und er fügt hinzu: »Niemand weiß genau, wie weit der durchschnittliche Intelligenzquotient in diesem Land (den USA) seit 1916 abgesunken ist, als Terman versuchte, den IQ 100 zu standardisieren.« 

In einem unterentwickelten und übervölkerten Land, wo vier Fünftel der Bevölkerung weniger als zweitausend Kalorien täglich erhalten und nur ein Fünftel sich einer genügenden Ernährung erfreut, können da demokratische Einrichtungen spontan entstehen? Oder, wenn sie von außen oder von oben aufgezwungen werden, können sie sich da halten?

Und nun wollen wir den Fall der reichen, industrialisierten demokratischen Gesellschaft betrachten, in welcher, als Folge ungewollten, aber wirkungs­vollen Praktizierens der Dysgenik, Intelligenzquotienten und körperliche Lebenskraft im Sinken sind. Wie lange kann eine solche Gesellschaft ihre Werte individueller Freiheit und demokratischer Regierung beibehalten? 

In fünfzig oder hundert Jahren werden unsere Kinder die Antwort auf diese Frage erfahren.

Inzwischen sehen wir uns einem äußerst beunruhigenden sittlichen Problem gegenüber. Wir wissen, daß gute Zwecke nicht die Anwendung schlechter Mittel rechtfertigen. Was aber ist mit denjenigen - heute so häufigen - Situationen, in denen gute Mittel Ergebnisse haben, welche sich als schlecht erweisen?

Wir begeben uns zum Beispiel auf eine tropische Insel, und mit Hilfe von DDT rotten wir die Malaria aus und retten so in zwei oder drei Jahren Hundert­tausenden das Leben. Das ist offensichtlich gut. Aber die Hunderttausende von Menschen, die so gerettet wurden, und die Millionen, die von diesen gezeugt und geboren werden, können mit den auf der Insel zur Verfügung stehenden Mitteln nicht ausreichend gekleidet, behaust, unterrichtet, ja nicht einmal genügend ernährt werden. Schneller Tod durch Malaria ist abgeschafft worden; aber ein durch Unterernährung und Überfüllung elend gemachtes Leben ist nun die Regel, und ein langsamer Tod durch regelrechtes Verhungern bedroht eine immer größere Zahl von Menschen. 

Und wie steht es mit den von Geburt an unzulänglichen Organismen, die unsere Medizin und unsere sozialen Einrichtungen jetzt am Leben erhalten, so daß sie ihresgleichen fortpflanzen können? Den Unglücklichen zu helfen, ist offensichtlich gut. Aber unseren Nachkommen in Bausch und Bogen die Folgen ungünstiger Mutationen zu übermitteln und den genetischen Vorrat, aus welchem die Angehörigen unserer Spezies ihre Lose ziehen werden, immer mehr zu verseuchen, ist nicht weniger offensichtlich schlecht. 

Wir befinden uns da in einem ethischen Dilemma, und um den Mittelweg zu finden, werden wir unserer ganzen Intelligenz und unseres ganzen guten Willens bedürfen.

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