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Einleitung 1973 des Autors

 

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In den kommenden Jahren beabsichtige ich, ein Nachwort auf das Industriezeitalter zu verfassen. Ich möchte zurückverfolgen, wie sich Sprache, Mythos, Ritual und Recht im Verlauf der gegenwärtigen Epoche der Verpackung und Verschulung gewandelt haben. Ich habe vor, zu beschreiben, wie das Monopol der industriellen Produktionsweise dahinschwindet und ebenso die durch die Industrialisierung entstandenen Berufe, denen diese Produktions­weise dient.

Vor allem möchte ich zeigen, daß zwei Drittel der Menschheit um das Industriezeitalter herumkommen können, indem sie sich schon heute für eine postindustrielle Ausgewogenheit ihrer Produktionsweise entscheiden, die die hyper­indus­trialisierten Nationen gezwungener­maßen als Alternative zum Chaos wählen müssen. Um mich auf diese Aufgabe vorzubereiten, stelle ich den folgenden Essay zur kritischen Diskussion.

In der vorliegenden Form ist mein Buch Ergebnis von Gesprächen, die im CIDOC (Center for Intercultural Documentation) in Cuernavaca während des Sommers 1972 stattgefunden haben. Wer an meinem Seminar teilgenommen hat, wird an vielen Stellen seine eigenen Ideen, hin und wieder sogar seine eigenen Worte wiedererkennen. Ich bitte diejenigen, die mitgearbeitet haben, meinen aufrichtigen Dank entgegenzunehmen, vor allem für ihre schriftlichen Beiträge.

Mein Essay ist zu umfangreich geworden, um als Artikel zu erscheinen und zu komplex, um in mehreren Fortsetzungen gelesen werden zu können. Es handelt sich um einen Entwicklungsbericht. Voller Achtung danke ich Ruth Nanda Anshen dafür, daß sie diese Schrift in einem Band der Reihe World Perspectives von Harper & Row herausgibt.

Mehrere Jahre lang haben wir im CIDOC in Cuernavaca kritische Studien über das Monopol der industriellen Produktionsweise betrieben und haben versucht, konzeptuell alternative Produktionsweisen zu beschreiben, die einem postindustriellen Zeitalter gemäß wären. 

Während der späten sechziger Jahre standen bei diesen Studien Bildungswege und -ziele im Mittel­punkt. Bis 1970/1970 hatten wir herausgefunden:

  1. Daß eine universelle Bildung durch Pflichtschulen nicht zu erreichen ist.

  2. Daß sich alternative Mittel und Wege zur Produktion und Vermarktung von Bildung für die vielen leichter finden lassen, diese in ethischer Hinsicht aber weniger erträglich sind als die in Jahrgangsstufen organisierten Pflichtschulen. Solche neuen Bildungs­arrangements ersetzen in reichen und in armen Ländern allmählich die traditionellen Schulsysteme. Sie bieten potentiell bessere Möglichkeiten, Arbeitskräfte und Konsumenten in einer industriellen Ökonomie zu konditionieren. Deshalb sind sie für das Management der heutigen Gesellschaften attraktiver, die Leute lassen sich leichter von ihnen überzeugen und sie bringen fundamentale Werte auf heimtückische Weise in Gefahr.

  3. Eine Gesellschaft, die sich einer hochgradig gemeinschaftlichen Wissensform und einem entsprechenden kritischen persönlichen Umgang damit verpflichtet fühlt, wird dem industriellen Wachstum zwangsläufig Grenzen setzen müssen.

Die Ergebnisse dieser Untersuchungen habe ich in einem schon früher erschienenen Band der World Perspectives unter dem Titel Deschooling Society veröffentlicht. Einige Punkte, die in jenem Buch undeutlich geblieben sind, habe ich in einem Artikel geklärt, der im Saturday Review vom 19. April 1971 erschienen ist.

Unsere Analyse der Beschulung hat uns erkennen lassen, daß die Massenproduktion als Paradigma für andere industrielle Unternehmungen gelten kann, deren jede eine Dienstleistung produziert, als öffentliche Einrichtung aufgebaut ist und ihren Output für lebenswichtig erklärt. Zuerst richteten wir unser Augenmerk auf den Zwangskonsum von medizinischen Dienstleistungen und auf öffentliche Transportsysteme, die meist dann unverzichtbar werden, wenn der Verkehr eine bestimmte Geschwindigkeit überschreitet.

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Wir mußten folgern, daß die Industrialisierung einer beliebigen Dienstleistungsinstanz zu destruktiven Nebenwirkungen führt, die den wohlbekannten unerwünschten Nebenwirkungen der Überproduktion von Waren ähneln. Wir kamen zu dem Schluß, daß ein Bündel von Begrenzungen des industriellen Wachstums nur dann richtig durchdacht ist, wenn diese Begrenzungen sowohl für Güter als auch für Dienstleistungen gelten, die industriell produziert werden. Also machten wir uns daran, zu klären, wie diese Grenzen beschaffen sein müssen.

Ich lege hier das Konzept einer multidimensionale Ausgewogenheit des menschlichen Lebens vor, das dazu dienen kann, zu prüfen, in welchem Verhältnis der Mensch zu seinen Werkzeugen steht. Innerhalb jeder der verschiedenen Dimensionen dieser Ausgewogenheit kann man ein entsprechendes natürliches Gegengewicht ausmachen. Wenn eine Unternehmung über einen bestimmten Punkt dieser Balance hinaus expandiert, wird sie ihrem ursprünglichen Zweck nicht mehr gerecht, sondern sie wird zu einer Gefahr für die Gesellschaft als solche. Diese Balancespielräume müssen wir erkennen, und wir müssen die Parameter untersuchen, innerhalb derer die menschlichen Bestrebungen zulassen, daß das menschliche Leben fortbesteht.

 

Die Gesellschaft ist ihrem Untergang geweiht, wenn das Wachstum der Massenproduktion dazu führt, daß die Umwelt ganz und gar unwirtlich wird; wenn es allen die Möglichkeit nimmt, ihre natürlichen Fähigkeiten frei zu entfalten; wenn es die Menschen voneinander entfremdet und sie zu Gefangenen in einem künstlichen Milieu macht; wenn es das soziale Gefüge unterminiert, indem es die extreme gesellschaftliche Polarisierung und eine Zersplitterung durch die Spezialisierung begünstigt, oder wenn sich der soziale Wandel so schnell vollzieht, daß rechtliche, kulturelle und politische Präzedenzien nicht mehr als Leitfäden für heutiges Verhalten dienen können. 

Unternehmerische Ansinnen, die die Gesellschaft derart gefährden, können nicht mehr hingenommen werden. Von diesem Punkt ab spielt es keine Rolle mehr, ob ein Unternehmen formal Eigentum von Einzel­personen, Gesellschaften oder des Staates ist, weil kein Management der Welt eine solche grundlegende Zerstörung in gesellschaftlichen Nutzen verwandeln kann.

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Die heute gültigen Ideologien sind durchaus nützlich zur Klärung von Widersprüchen einer Gesellschaft, die auf der kapital­istischen Kontrolle der industriellen Produktion beruht. Sie bieten jedoch nicht den erforderlichen Rahmen für die Analyse der Krise in der industriellen Produktionsweise selbst. Ich hoffe, daß eines Tages eine präzise generelle Theorie der Industrialisierung ausgearbeitet werden kann, formuliert in so überzeugenden Begriffen, daß sie einer kritischen Überprüfung standhalten. 

Deren Konzepte müßten eine gemeinsame Sprache für Leute in opponierenden Gruppen bieten, die darauf angewiesen sind, soziale Programme und Technologien zu beurteilen und die die Werkzeuge des Menschen beschränken wollen, wenn diese im Begriff sind, den Menschen und seine Ziele zu überwältigen: Eine solche Theorie müßte den Menschen dabei helfen, die bestehende Struktur der wichtigsten Institutionen umzumodeln. Ich hoffe, daß ich mit diesem Essay dazu beitragen kann, die Erarbeitung einer solchen Theorie möglich zu machen.

Wir sind heute kaum dazu in der Lage, uns eine Gesellschaft vorzustellen, in der das industrielle Wachstum eben deshalb ausgewogen und kontrollierbar bleibt, weil ganz unterschiedliche wissenschaftlich fundierte Produktionsweisen nebeneinander bestehen. Unsere Visionen des Möglichen und Machbaren sind so stark von industriellen Erwartungen geprägt, daß uns jegliche Alternative zur weiteren Massenproduktion wie eine Rückkehr zur Unterdrückung vergangener Zeiten oder wie ein utopisches Design für edle Wilde erscheinen muß. Um neue Wege gehen zu können, müssen wir uns jedoch nur deutlich machen, daß wissenschaftliche Entdeckungen auf mindestens zwei gegensätzliche Weisen genutzt werden können. Die erste führt zur Spezial­isierung von Funktionen, zur Werteinstitutionalisierung und zur Machtzentralisierung und läßt die Menschen zu Helfers­helfern von Bürokratien oder Maschinen werden.

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Die zweite gewährt dem einzelnen mehr persönliche Kompetenz, Kontrolle und Initiative, die allein durch den Anspruch anderer auf das gleiche Maß an Macht und Freiheit eine Einschränkung erfahren können.

Um eine Theorie für eine zukünftige, sehr moderne und doch industrieunabhängige Gesellschaft formulieren zu können, müssen wir erst einsehen, daß natürliche Maßstäbe und Grenzen bestehen. Wir müssen uns klar machen, daß Maschinen nur in begrenztem Rahmen Menschen ersetzen können; jenseits dieses Rahmens können sie zu einer neuen Form von Sklaverei führen. Nur in Grenzen lassen sich Menschen für eine künstliche Umgebung abrichten; jenseits dieser Grenzen lauert das universale Schulgebäude, Krankenhaus oder Gefängnis. Nur in Grenzen sollte sich die Politik mit der bestmöglichen Verteilung industrieller Outputs beschäftigen statt mit der gerechten Verteilung von Energie- oder Informationsinputs. Wenn wir erkannt haben, wo diese Grenzen zu ziehen sind, werden wir die triadische Beziehung zwischen den Menschen, ihren Werkzeugen und einer neuen Kollektivität formulieren können. Eine Gesellschaft, in der sich Individuen und nicht Manager moderner Technologien bedienen, werde ich "konvivial" nennen.

Nach vielen Zweifeln und gegen den Rat von Freunden, die ich sehr schätze, habe ich mich für den terminus technicus "konvivial" zur Bezeichnung einer Gesellschaft entschieden, in der Werkzeuge vernünftigen Wachstums­beschränkungen unterliegen. Daß ich diesen Begriff gewählt habe, liegt zudem an meinem Wunsch, einen Diskurs fortzusetzen, in dem der entsprechende spanische Begriff Verwendung fand.

Brillat-Savarin gab der französischen Entsprechung des Begriffs in seinem Werk Physiology of Taste: Meditations on Transcendental Gastronomy eine technische Bedeutung (für die Küche). Diese präzisierte Verwendung des Begriffs im Französischen könnte erklären, warum er sich in dem völlig anderen und definierten Kontext meines Essays als brauchbar erweisen wird. Ich bin mir dessen bewußt, daß im heutigen englischen Sprachgebrauch der Begriff in die Nähe trunkener Fröhlichkeit geraten ist und damit einen Sinn hat, der ihm im OED (Old English Dictionary) nicht zukam.

Hier hatte er noch die auch von mir intendierte gegenteilige nüchterne Bedeutung der modernen eutrapelia. Indem ich den Terminus "konvivial" für Werkzeuge verwende und nicht für Menschen, hoffe ich, eine Verwechslung ausschließen zu können.

Der klassische Begriff eutrapelia (mod. engl. austerity, dt. etwa strenge Einfachheit), der etwas über Menschen sagt, hat auch einen Bedeutungswandel erfahren und einen bitteren Beigeschmack erhalten, während er für Aristoteles oder Aquinas noch die Grundlage der Freundschaft bildete. In der Summa Theologica II, II, Quaestio 186, Art. 5 spricht Thomas von der disziplinierten und schöpferischen Leichtigkeit. In seiner dritten Responsio bezeichnet er eutrapelia, als Tugend, die nicht alle Freuden ausschließt, sondern nur diejenigen, die vom persönlichen Bezogensein ablenken oder dieses gefährden. Für Thomas ist eutrapelia komplementärer Teil einer umfassenderen Tugend, die er Freundschaft oder Freudigkeit nennt. Sie ist Frucht der Befürchtung, daß Dinge oder Werkzeuge die eutrapelia (oder spielerische Leichtigkeit) der persönlichen Beziehungen zerstören könnten, statt sie zu verbessern.1)

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1)  Rahner, Hugo v.: Der spielende Mensch, 1953, Freiburg  101990.

 

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