13. Einsicht und Übertragung in der Psychotherapie
Arthur Janov 1970
Das Wesen der Einsicht
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In seiner Ansprache als Präsident der <American Psychological Association> im Jahre 1961 behandelte Hobbs die Ursachen von Besserungen in der Psychotherapie. Die von Hobbs aufgeworfenen Fragen über die Rolle der Einsicht sind wichtig, weil Einsicht bei der Normaltherapie, wie ich sie kenne, eine wichtige Rolle spielt.
Ungeachtet ihrer theoretischen Überzeugung glauben im Gegensatz zu den Behavioristen die meisten Therapeuten, die sich des Werkzeugs der Einsicht bedienen, daß ein Patient fast unvermeidlich dazu neige, neurotisches, irrationales Verhalten aufzugeben, wenn er verstehen kann, warum er etwas tut. Hobbs äußerte Besorgnis darüber, daß sehr einsichtsvolle Patienten oft keinen Fortschritt machen. Viele von uns stimmen ihm da zu.
Hobbs zog die Wirksamkeit der Einsicht als einer signifikanten Technik in Zweifel. Er zitierte Fälle, in denen Veränderungen ohne Einsicht eintraten — Spieltherapie mit Kindern, Bewegungstherapie und Psychodrama. Er erwähnte, daß Therapeuten verschiedener theoretischer Schulen unterschiedliche, doch gleich wirksame Einsichten offenbar mit derselben berichteten Besserungsrate befürworten. Er warf die Frage auf, ob sich die Patienten bei den auf Einsicht beruhenden Therapien nicht einfach auf das persönliche Interpretationssystem des Therapeuten eingestellt hätten. Es scheint, sagte er, daß »der Therapeut nicht recht zu haben braucht; er muß überzeugend sein«*.
* Nicholas Hobbs, <Sources of Gain in Psychotherapy>, <American Psychologist>, 1962:s741
Die Frage, die Hobbs aufwirft, lautet: Wie können alle diese unterschiedlichen Interpretationen richtig sein? Oder gibt es überhaupt eine <richtige>?
Hobbs definiert Einsicht so: »Wenn ein Patient eine Aussage über sich macht, die mit der Vorstellung des Therapeuten darüber, was mit ihm los ist, übereinstimmt.« An diesem hoffnungslosen Punkt geht er von der Einsicht als einem ziemlich fruchtlosen Unterfangen zu dem über, was seiner Ansicht nach wirklich therapeutische Besserung bei Patienten hervorruft. Er erwähnt Warmherzigkeit, Verständnis und aufmerksames Zuhören als wichtige Faktoren der Besserung — mit anderen Worten, die Beziehung zwischen Patient und Therapeut. Hobbs schloß seine Ansprache mit der Feststellung: »Es gibt keine wahren Einsichten, nur mehr oder weniger nützliche.«
Was ist therapeutische Einsicht?
Ich glaube, sie ist die Erklärung des irrealen Verhaltens. Wahre Einsicht ist nicht mehr als nach außen gekehrter Urschmerz. Einsicht ist der Kern des Urschmerzes. Sie ist das, was verborgen werden muß, damit der Mensch der Wahrheit nicht ins Auge zu schauen braucht. Um den Urschmerz zu befreien, muß also die Wahrheit befreit werden. Daraus folgt, daß es nicht einfach >nützliche< Einsichten gibt, wie Hobbs glaubt, sondern einmalige, präzise Wahrheiten über jeden Menschen.
Nehmen wir ein Beispiel.
Eine primärtherapeutische Patientin spricht über ihren Vater, den sie für einen im wesentlichen liebevollen Mann hält. Sie erwähnt, wie schlecht er von ihrer Mutter behandelt wurde und wie schwach er offenbar war. Nach weiteren Ausführungen zu diesem Punkt, wobei sie voll Abscheu sagte: »Ich wünschte, ich hätte ihr die Stirn bieten können«, dränge ich sie zu rufen: »Pappi, sei stark für mich!« Sie hat ein ergreifendes Urerlebnis darüber, daß ihr Vater an der Familie verzweifelte und sich in sich selbst zurückzog, geschlagen und gebrochen. Er war das Baby, das seiner Tochter nicht helfen konnte, die Schutz vor ihrer bissigen, <gemeinen> Mutter brauchte. Sobald sie erkennt, daß er sie in Wirklichkeit nicht liebte und ihr nicht helfen konnte, weil er selbst Hilfe brauchte, wird sie von Einsichten überschwemmt: »Darum habe ich einen solchen Schwächling geheiratet; ich versuchte, aus ihm einen starken Vater zu machen. Darum weine ich, wenn mein Sohn zärtlich zu mir ist. Darum hasse ich die Männer, die sich von ihren Frauen auf der Nase herumtanzen lassen. Darum, darum ...«
Diese <Darums> waren ihre Einsichten. Es sind die Erklärungen für ihre unzähligen Versuche, ihren Urschmerz zu verbergen. Jede dieser Verhaltensweisen war durch die verleugneten Gefühle veranlaßt. Wenn das Gefühl empfunden wird, werden sie verständlich.
Über diese Einsichten wird nicht bloß gesprochen. Sie brechen aus einem fest verbundenen System hervor, so daß sie die Schlußpunkte eines totalen Gefühlserlebnisses sind. Die Patienten nennen es einen <Ausbruch von Einsichten>, der seinem Wesen nach fast unwillkürlich ist. Es sind Einsichten, die <bis in die Zehenspitzen> gefühlt werden, wie es eine Patientin ausdrückte. Der verleugnete Urschmerz dieser Frau — daß niemand da war, der sie vor ihrer boshaften Mutter beschützte — war der Grund für ihr späteres irreales Verhalten. Wenn der Urschmerz befreit wird, werden die Gefühle klar. Gründe sind Einsichten. Sobald der Urschmerz empfunden wird, ist es fast unmöglich, nicht von Einsichten überschwemmt zu werden, weil eben dieses unterdrückte Gefühl so viel neurotisches Verhalten verursacht hat.
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Ein weiteres Beispiel:
Ein Patient spricht von seiner unsinnigen Wut auf seine Frau und seine Kinder: »Sie lassen mich nie in Frieden! Sie stellen eine Forderung nach der anderen, und nie habe ich Zeit für mich selbst.« Verbittert sagt er, es gebe keinen Frieden in seinem Leben. Ich frage ihn, ob er das Gefühl auch zu Hause bei seinen Eltern hatte. »Oh ja«, antwortet er.
»Weiß Gott, ich erinnere mich, daß mein Vater immer in mein Zimmer kam, wenn ich mich ausruhte oder Musik hörte, und mich mißtrauisch ansah, weil ich nicht mit meinen Hausaufgaben beschäftigt war. Himmel! Ich werde wütend, wenn ich an sein ständiges Antreiben denke. Kein einziges Mal hat er sich zu mir gesetzt und sich mit mir unterhalten. Er brüllte mir nur seine Befehle zu.« — »Fühlen Sie das«, sage ich. »Lassen Sie dieses Gefühl sich aufbauen und auf Sie einwirken.« Nach wenigen Augenblicken taucht das Gefühl auf, und ich frage ihn: »Was wollten Sie zu ihm sagen?« — »Oh, ich hätte dem Kerl gesagt ...« — »Sagen Sie es ihm jetzt!«
Nun läßt der Patient eine lange Schimpfrede über seinen nichtswürdigen Vater vom Stapel, aber bald weicht das einem tieferen Gefühl: »Pappi bitte. Setz dich doch mal zu mir. Sei einmal nett zu mir. Sag etwas Freundliches, bitte. Ich möchte nicht böse auf dich sein. Ich möchte dich lieben. Ach, Pappi!« Hier schluchzt der Patient und wird vom Urschmerz geschüttelt. Nun beginnen seine Einsichten: »Darum habe ich mir immer Geld von ihm oder jemand anderem geliehen. Ich wollte, daß sich jemand um mich kümmert. Darum wollte ich niemals meiner Frau helfen. Ich reagierte auf seine Forderungen. Darum wurde ich wütend, wenn die Kinder wollten, daß ich ihnen bei etwas helfe.«
Er weint noch mehr und schreit seinen Vater an: »Pappi, wenn du nur wüßtest, wie einsam ich mich fühlte, wenn ich darauf wartete, daß du nur einmal herzlich zu mir wärst. Beim Nachhausekommen einmal den Arm um mich legtest — darum bin ich immer ganz gerührt, wenn mein Chef freundlich zu mir ist. Darum verkrampft sich mein Magen, wenn mich mein Chef kritisch ansieht.«
Hier sehen wir, wie eng verwoben Urschmerz und Einsichten sind. Einsichten sind tatsächlich die geistige Komponente des Urschmerzes. Dieser Mann empfand seine realen Bedürfnisse, die seinem ganzen Zorn zugrunde lagen, und er konnte alle seine sogenannten sinnlosen Handlungen verstehen, die Folge dieser Bedürfnisse waren.
Primärtherapeutische Patienten wissen nicht, daß sie einsichtsvoll sind. Es ist nicht etwas Abgetrenntes. Wenn ein Patient seinen Eltern sagt, was er fühlt, dann befindet er sich in der Situation. Er betrachtet seine Gefühle nicht aus der Entfernung. Es ist nicht: »Ich haßte euch damals deswegen«, sondern: »Ich hasse euch, weil ihr mir das angetan habt.« Es ist, kurz gesagt, kein abgespaltetes Selbst, das über ein anderes Selbst spricht. Der primärtherapeutische Prozeß ist ein einziges, einheitliches Erleben.
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Es ist das reale kleine Kind, das in meinem Sprechzimmer seine Wahrheiten ausspricht, nicht der Erwachsene, der erklärt, wie es als Kind für ihn war. Es macht meiner Ansicht nach einen gewaltigen Unterschied aus, ob man einem Arzt gegenüber von Gefühlen spricht oder ob man während der Primärtherapie mit den Eltern spricht. <Mit ihnen sprechen> bedeutet, daß es kein zweites Selbst gibt — nur ein von der Vergangenheit überwältigtes Selbst.
Wenn ein Patient sagt: »Herr Doktor, ich glaube, ich tat das, weil ich mir wie ein kleines Kind vorkam«, dann besteht eine Trennung zwischen dem <Ich>, das erklärt, und dem <mir>, das erklärt wird. Bei der normalen Therapie trägt also das Erklären dazu bei, die Neurose in Gang zu halten, weil die Spaltung fortbesteht. Wie richtig die vorgetragene Einsicht auch sein mag, die Neurose wird sich vertiefen.
Bei der Primärtherapie gibt es keine Erklärungen durch den Therapeuten. Erklärungen sind oft die Krankheit, besonders in Familien des Mittelstandes, wo die Kinder jeden ihrer Schritte erklären müssen. Mittelstandseltern haben ausgeklügelte Begründungen für alles, was sie tun, und dazu gehört auch, warum sie die Kinder bestrafen, und sie zwingen ihren Kindern diese Form auf.
Manchmal hat ein Arbeiterkind es besser. Nach ein paar Glas Bier kommt der Vater nach Hause, verprügelt die Kinder als <Eröffnungszug>, und das Leben geht weiter. Alles ist vordergründig. Keine ausgeklügelten Prinzipien, die die Kinder verwirren. Es ist kein Zufall, daß die Primärtherapie bei Patienten aus der Arbeiterklasse schneller vonstatten geht. Sie sind nicht so daran interessiert, Vater zu analysieren. Sie brauchen ihn bloß anzuschreien wegen all der sinnlosen Prügel, die sie bekommen haben.
Ich glaube daher, daß der erklärende Prozeß der konventionellen Psychotherapie den Patienten unter Umständen mehr neurotisch macht. Er scheint es dem Patienten lediglich zu erleichtern, sein irrationales Verhalten im Sinne dieser oder jener Theorie in ein Schema zu bringen und ihn zu dem Glauben zu verleiten, es gehe ihm besser, weil er es »versteht«, während der Prozeß in Wirklichkeit das hervorbringt, was ich einen <psychisch integrierten Neurotiker> nenne.
<Verstehen> in der konventionellen Therapie ist nur eine weitere Trennung für den Urschmerz. Eine fast ebenso schlimme Geißel der Menschheit wie Geisteskrankheiten ist heute deren Behandlung. Die Patienten haben es nicht nötig, Gefühle zu erklären und das Thema zu Tode zu hetzen, sondern sie zu empfinden.
Sobald wir die Gefühle des Patienten beiseite lassen und uns in den Bereich der therapeutischen Interpretation begeben, kann fast alles als richtig ausgelegt werden. Ein Patient, der nicht zu fühlen vermag, ist allem ausgeliefert. Er muß die Interpretationen seiner Handlungen durch andere akzeptieren, weil er seine eigene Wahrheit nicht empfinden kann.
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Außerdem kann die theoretische Interpretation eines Therapeuten gut und gern der Ausdruck seiner verleugneten Gefühle sein, die bis ins einzelne in theoretischen Begriffen symbolisiert sind. So findet er vielleicht in dem, was der Patient sagt, sexuelle oder aggressive Inhalte, die eher Probleme des Therapeuten als des Patienten sind. Es kann auch vorkommen, daß die Interpretation eines Therapeuten nichts mit den Gefühlen von irgend jemandem zu tun hat, sondern einfach aus einer Theorie stammt, die er in einem vor Jahrzehnten geschriebenen Buch gefunden hat. Diese Theorie mag dem Therapeuten wegen seiner verdrängten Gefühle zugesagt haben, und er hat sie übernommen und auf andere angewandt.
Solange das Gefühlshindernis besteht, können Patient und Therapeut nur mutmaßen, was sich dahinter befindet. Die Mutmaßung des Therapeuten wird eine Theorie genannt. Wenn der Patient erfährt, daß diese Theorie auf sein Verhalten zutrifft, wird er vielleicht für <gesund> erklärt. Weil ich glaube, daß Einsichten nie dem Urschmerz vorangehen, sehe ich die Aufgabe des Therapeuten darin, behilflich zu sein, daß der Staudamm zwischen Denken und Fühlen beseitigt wird, damit der Patient selbst die Verbindungen herstellen kann. Sonst muß der Therapeut dem Patienten jahrelang Erklärungen abgeben, und der Patient kann oft nichts anderes sagen als: »O ja, Herr Doktor, ich verstehe.« Gewöhnlich versteht er dann, wie hervorragend der Arzt ist.
Vielleicht haben wir Einsicht durch die falsche Brille betrachtet. Es könnte sein, daß Einsicht keine Veränderung verursacht, sondern deren Folge ist. Das wird deutlich, wenn wir bedenken, daß Einsicht das Ergebnis der zwischen Fühlen und Denken hergestellten Verbindung ist, angewandt auf ein bestimmtes Verhalten. >Verbindung< ist der Schlüsselbegriff, denn es ist auch möglich, pseudoeinsichtsvoll zu sein - Dinge im Geist zu wissen, ohne eine Verbindung herzustellen, so daß keine Veränderung herbeigeführt wird. Ohne Urschmerz kann es für den Neurotiker keine wirkliche Einsicht geben. Man könnte sagen, daß Einsicht das geistige Ergebnis von empfundenem Urschmerz ist.
Der Urschmerz ist eng verknüpft mit Einsicht. Solange der Einsichtsprozeß innerhalb eines neurotischen Systems stattfindet, wo der Urschmerz die Einsicht daran hindert, das ganze System zu durchdringen (und damit zu ändern), bezweifle ich, daß wir signifikante und dauerhafte Veränderungen des Verhaltens erwarten können. Wenn die Urschmerz-Blockierung da ist, kann die Einsicht nur eine weitere zusammenhanglose und bruchstückweise Erfahrung darstellen. Die Urschmerzsperre würde die Einsicht geistig abriegeln, so daß sie dem gesamten Organismus nicht viel nützen könnte.
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Ich möchte den Einsichtsprozeß der konventionellen Therapie mit dem Bericht eines Ministeriums an die Regierung vergleichen, in dem das Wirtschaftssystem analysiert wird. Der Bericht ist, ebenso wie die Einsicht, eng mit dem System verbunden. Er wird zur Kenntnis genommen und dann abgelegt, so daß er keinen Einfluß auf das gesamte System haben kann. Darum glaube ich, daß man sich, wenn man ein irreales und nicht funktionierendes System beseitigen will, nicht in einen Dialog mit ihm einläßt. Es ist im allgemeinen anzunehmen, daß, wie präzise die Einsicht oder wie tiefschürfend der Bericht auch sein mag, das System weiterhin auf irrationale Weise reagieren wird. Es wird die Wahrheit zerkleinern und in sich aufnehmen, bis etwas geschieht, das das irreale System beseitigt.
Die Patienten wollen sowieso keine Erklärungen von Dritten. Ein Patient sagte: »Meine Neurose ist meine Erfindung. Wie könnte ein anderer meine Erfindung besser erklären als ich?«
Wenn man den Versuch aufgibt, dem Patienten die Wahrheit über ihn zu sagen, ist es für alle Beteiligten eine Erleichterung, ganz zu schweigen davon, daß es ehrlicher ist. Die Prämisse bei der Gesprächstherapie ist meistens, daß der Arzt dem Patienten helfen werde, die Wahrheit über sich herauszufinden. Wäre der Neurotiker aber nicht gezwungen, sich sein Leben lang etwas vorzulügen, wären Spezialisten für psychologische Wahrheiten weitgehend unnötig. Es scheint mir viel wirkungsvoller, die Lüge abzustreifen, mit der der Betreffende lebt, damit die Wahrheit herauskommen kann.
Zwischen der Einsicht in der normalen Therapie und der Einsicht in der Primärtherapie bestehen einige entscheidende Unterschiede. Bei der normalen Therapie nimmt sich der Therapeut irgendeinen Teil des neurotischen Verhaltens des Patienten vor und schließt daraus, welcher wahre Grund dem zugrunde liegt (was unbewußt ist). Der konzentriert sich auf irreales Verhalten. Bei der Primärtherapie wird der Patient über irreales Verhalten sprechen, nachdem er gefühlt hat, was unbewußt ist. Bei der normalen Therapie wird die Einsicht zu einem Ziel an sich, und von einer Häufung von Einsichten wird angenommen, daß sie eine Veränderung herbeiführt. Außerdem ist die Einsicht eindimensional. Sie bezieht sich in der Regel auf nur einen Teil des Verhaltens und die dazugehörige Motivation.
In der Primärtherapie kann ein großer Urschmerz zu mehreren Stunden ununterbrochener Einsichten führen. Vor allem aber versetzen primärtherapeutische Einsichten oft das ganze System in Konvulsion. Sie sind organismisch und bringen eine totale Veränderung hervor. Primärtherapeutische Einsichten sind konvulsiv, weil eine einheitliche Person (deren Seele mit dem Körper verbunden ist) nicht schmerzliche Gedanken haben kann ohne schmerzhafte körperliche Reaktionen. Auch kann sie nicht bei einem Urerlebnis körperlichen Schmerz empfinden, ohne ihn mit bewußtem Gewahrwerden zu verbinden.
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Wenn ein Patient in der Primärtherapie Fortschritte macht, kann es sogar sein, daß er gegen Ende der Therapie dieselbe Geschichte noch einmal erzählt und eine viel stärkere körperliche Reaktion auftritt als zu Beginn der Therapie, als er sie schon einmal erzählte.
Die normale Therapie befaßt sich gewöhnlich mit bekannten Verhaltenstatsachen. Bei der Primärtherapie ist alles unbekannt, bis es gefühlt wird. Ein Patient beschrieb den Unterschied folgendermaßen: »In mir schien ein großer, tumorartiger Schmerz zu sein. An diesem Tumor hingen verhedderte Strähnen, die mich schier erwürgten. Meine frühere Therapie schien sich darauf zu konzentrieren, die Strähnen zu entwirren, um an den Kern der Krankheit heranzukommen, aber wir kamen nie dahin. Hier haben wir offenbar den ganzen Tumor herausgenommen, und alles renkte sich mit einemmal ein.«
Die Feststellung, daß sich <alles einrenkte>, treffen viele Patienten. Indes sind es nicht nur Gedanken, die sich plötzlich einrenken, sondern auch der Körper. Ein Patient drückte es so aus: »Mein Gehirn ließ meinen Körper abgetrennt sein. Ich glaube, wenn mein ganzer Körper harmonisch funktioniert hätte, dann hätte ich meinen entsetzlichen Urschmerz total gefühlt. Ich habe ihm erst mein Gehirn und dann meinen Körper überlassen.«
Wenn ich also indiziere, daß mentale Einsichten ein Teil der organischen Veränderung bei der Primärtherapie sind, dann sind die Ergebnisse schärfere Wahrnehmung und verstärkte physische Koordination. Ein Patient mit leicht hängenden Schultern beschrieb diese Totalität wie folgt:
»Wenn keine Verbindung besteht, sind Körper und Seele nicht aufrichtig miteinander, und ich glaube, daß dieser Mangel an Aufrichtigkeit sich sowohl mental als auch physisch zeigt. In meinem Fall zog er meine Brust nach innen, vermutlich, um sich gegen den von unten kommenden Urschmerz abzudichten, und er zog meine Schultern um die Brust zusammen, um sich noch besser zu schützen. Er verzog meinen Mund zu einer geraden Linie und ließ meine Augen blinzeln. Als ich während eines Urerlebnisses die Verbindung herstellte, verstand ich nicht nur alles, sondern bekam gleichzeitig eine gerade Haltung. Daß sich meine Haltung geändert hatte, war mir gar nicht bewußt geworden, bis meine Frau eine Bemerkung darüber machte. Das Seltsame dabei ist, daß alles unwillkürlich ist; ich meine, ich versuche nicht, gerade zu stehen — ich bin einfach mir selbst gegenüber aufrichtig, und der Körper schließt sich an.«
Kehren wir einen Augenblick zu Hobbs zurück.
Hobbs legt mehr Gewicht auf die Warmherzigkeit des Therapeuten als auf seine Einsichtigkeit. Ich würde sagen, Warmherzigkeit hat weniger mit Einsicht zu tun, denn die Primärtherapie ist nicht eine Therapie der Beziehungen. Alles, was der Patient erfahren wird, liegt bereits in ihm, nicht zwischen dem Therapeuten und ihm. Es gibt keine Umerziehung, nichts, was der Patient vom Therapeuten lernen muß. Ich glaube, Einsichtigkeit kann ebensowenig gelehrt werden wie Fühlen. Das Gefühl ist der Lehrer. Ohne tiefes Gefühl kann die Warmherzigkeit des Therapeuten bestenfalls ein Akt sein. Aber selbst wenn es mit diesem Akt <klappen> sollte, sehe ich immer noch nicht ein, wie Nettigkeit und Freundlichkeit eine jahrelange schwere neurotische Verdrängung ungeschehen machen können.
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Zusammenfassung
Gerade demjenigen, der vielleicht ein wenig von der normalen Gesprächstherapie hätte profitieren können, hat sie gewöhnlich nicht geholfen — nämlich dem wortungewandten Angehörigen der Arbeiterklasse, der sich nicht artikulieren kann. Er hätte es am dringendsten nötig gehabt zu lernen, sein Denken und Fühlen zu artikulieren, aber leider kam das bei ihm nicht an. Doch weil sich der Angehörige des Mittelstandes die Therapie eher leisten und ein verbales Einsichtssystem begreifen konnte, war er es, der bei der Therapie am meisten profitierte.
Indes war die Einsichts-Schäkerei zwischen diesem Patienten und dem Therapeuten weitgehend ein Kampf mit dem Abwehrsystem, ein geistiges Duell. Der Wortungewandte hatte zu diesem Bereich keinen Zutritt und konnte dieses Spiel nicht spielen. So wurde für ihn erst etwas getan, als er seelisch zusammenbrach. Was er bekam und noch bekommt, ist in einem Buch mit dem Titel <Social Class and Mental Illness>* beschrieben: nämlich mehr Behandlung und weniger Gespräch, Schocktherapie, Pillen, Beschäftigungstherapie und so weiter. Man fragt sich, wie wissenschaftlich eine Therapie sein kann, wenn sie nur auf eine bestimmte soziale Schicht anwendbar ist. Man sollte meinen, daß keine Wissenschaft vom menschlichen Verhalten die überwiegende Mehrheit der Menschheit vernachlässigen dürfte.
Es gibt eine solche Vielfalt von Einsichtstechniken, von denen jede eine andere Methode hat, daß man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, Verhalten könne in fast jedem Bezugsrahmen erörtert werden. Ich glaube, es gibt nur eine Realität, einen einzigen, klar umrissenen und nicht interpretierbaren Satz von Wahrheiten über jeden von uns.
Die Übertragung
Der Übertragungsprozeß spielt bei vielen Therapien eine wichtige Rolle, besonders bei den analytischen Methoden. Übertragung ist einer der Freudschen Schlüsselbegriffe, um jene irrationalen Einstellungen und Verhaltensweisen des Patienten gegenüber seinem Therapeuten zu bezeichnen.
* Hollingshead und Redlich, Social Class and Mental Illness, New York 1958.
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Es wird angenommen, daß der Patient den größten Teil der alten irrationalen Gefühle, die er seinen Eltern gegenüber hegte, nun auf den Therapeuten projiziert. Das Ziel der schrittweisen Therapie ist, die Übertragung <durchzuspielen> — das heißt, dem Patienten behilflich zu sein, daß er erkennt, wie die ursprüngliche Eltern-Kind-Beziehung fortgesetzt und auf andere Menschen, besonders den Arzt, verlagert wurde. Man hofft dabei, daß das Verständnis des Patienten für seine irrationalen Prozesse aufsein Leben im allgemeinen übertragen wird und er in all seinen Beziehungen rational zu sein vermag.
Ich glaube nicht, daß es Übertragung als ein vom allgemeinen neurotischen Verhalten getrenntes Phänomen überhaupt gibt. Von einem Patienten, der sich selbst gegenüber symbolisch agiert, ist anzunehmen, daß er es auch seinem Therapeuten gegenüber tut. Weil die Therapeut-Patient-Beziehung eine so intensive und ununterbrochene ist, hegt es nahe, die Neurose des Patienten danach zu analysieren, wie sie dem Therapeuten gegenüber ausgespielt wird. Außerdem kann sich die Neurose verstärkt haben, weil der Therapeut eine Autorität ist wie die Eltern.
Was der Therapeut mit dem neurotischen Verhalten des Patienten (Übertragung) macht, ist die Frage. Wenn er Einsicht in die Art und Weise vermittelt, wie sich der Patient im Sprechzimmer verhält, dann werden sich, glaube ich, dieselben Probleme ergeben wie bei jedem Einsichtsprozeß. Das heißt, der Patient wird die Einsicht in sich aufnehmen und weiterhin neurotisch sein, wenn er sich auch ein wenig reifer, weniger impulsiv oder weniger ängstlich und feindselig gegenüber dem Therapeuten verhalten wird. Der Primärtherapeut befaßt sich gar nicht mit Übertragung. Er ist eifrig damit beschäftigt, den Patienten dazu zu bringen, daß er seine Bedürfnisse seinen Eltern gegenüber empfindet. Tatsächlich bleibt die Patient-Therapeut-Beziehung völlig unbeachtet. Überhaupt Zeit dafür aufzuwenden, die Übertragung zu analysieren, käme mir vor, als wollte man sich auf eine Erörterung über abgeleitetes, verlagertes und symbolisches Verhalten einlassen, statt an das Grundbedürfnis heranzukommen.
Die Primärtherapie unterbindet jede Übertragung und läßt keinerlei neurotisches Verhalten zu, weil das bedeutet, daß der Patient nicht fühlt; er agiert aus. Wir zwingen den Patienten, direkt zu sein. Statt zuzulassen, daß er unterwürfig oder intellektuell ist, sagen wir ihm, er soll sich auf den Boden fallen lassen und unmittelbar seinen Eltern zurufen: »Liebt mich, liebt mich!« Das macht gewöhnlich jede Erörterung darüber, welche Gefühle der Patient dem Therapeuten gegenüber haben könnte, überflüssig.
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Wenn der Patient Gefühle, die er noch seinen Eltern gegenüber hegt, auf den Arzt projiziert, dann sollte es doch eigentlich auf der Hand liegen, daß diese projizierten und verlagerten Gefühle in Wirklichkeit unwichtig sind. Entscheidend sind die frühen Gefühle den Eltern gegenüber. Wenn sie empfunden werden, wird das die Neurose und die Übertragung beseitigen.
Wenn jemand unter Urschmerzen leidet, erwartet er Abhilfe von seinem Therapeuten. Er möchte, daß der Arzt ein guter Vater oder eine gute Mutter ist. Gewöhnlich wird er sich so verhalten, als versuchte er, aus dem Arzt gute Eltern zu machen, genau wie er es mit seinen lieblosen Eltern tat. Aber nun ist der Arzt vielleicht so gut, fürsorglich, aufmerksam und so bereit, sich alles anzuhören, wie sich der Patient seine Eltern immer gewünscht hatte. Auf diese Weise <wirkt> die Neurose. Sie verhindert, daß der Patient das empfindet, was er von seinen Eltern nicht bekam.
Wir dürfen nicht vergessen, daß der Patient gewöhnlich zum Arzt kommt, weil er durch sein Agieren draußen nicht bekommt, was er braucht. Aber drinnen im Sprechzimmer des Therapeuten mag es besser gehen. Wenn der Therapeut hilfreich und warmherzig ist und ein wenig Rat anbietet, fördert er die <positive> Übertragung. Da ich glaube, daß die Übertragung eben die Neurose ist, bin ich der Meinung, daß man dem Patienten mit allem, was darüber hinausgeht, ihm behilflich zu sein, seinen Urschmerz zu empfinden, einen schlechten Dienst erweist.
Patienten <verlieben> sich oft in ihren Therapeuten, weil der Therapeut etwas von dem bietet, wonach der Patient unbewußt mit seinem neurotischen Verhalten gesucht hat. Es spielt wirklich keine Rolle, wie der Arzt aussieht; er ist eine Autorität, ist freundlich und kann zuhören. Es ist kein Wunder, daß ein Patient, der während des größten Teils seines Lebens nichts gehabt hat, jahrelang in der Therapie bleiben wird, nachdem er diesen guten <Vater> einmal gefunden hat. Die Patienten sind bereit, das Therapie-Spiel zu spielen und jahrelang Einsichten und Erklärungen über sich ergehen zu lassen, bloß um mit diesem feinfühligen, so sehr interessierten, warmherzigen Therapeuten zusammen zu sein.
Meiner Ansicht nach ist eine Diskussion über die Übertragung das letzte, was ein Patient will. Er will sich in der Beziehung Analytiker-Analysierter behaglich niederlassen. Er wird vielleicht die Übertragung als eine Art von <Gebühren> ansehen, aber ich glaube, dem liegt der Wunsch zugrunde, bloß dort zu liegen und kein einziges Wort zu sagen und keine Einzelheit des Verhaltens erklären zu müssen — eingehüllt in Wohlwollen und Verständnis.
Der Primärtherapeut hingegen dringt zu diesen zugrunde liegenden Gefühlen vor. Das bedeutet, daß er jedes Anzeichen von Übertragung, ob positiv oder negativ, verhindert, denn es ist alles symbolisches Verhalten. Man könnte fragen: »Wenn der Therapeut nun aber wirklich etwas an sich hat, das einem gefällt oder mißfällt?«
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Meine Antwort würde lauten, daß der Therapeut nicht dazu da ist, das Verhältnis zwischen ihm und dem Patienten zu erörtern, und daß er auch nicht dazu da ist, zu gefallen oder zu mißfallen. Er ist der <Urschmerz-Dealer>, nicht mehr und nicht weniger. Wenn der Therapeut gewisse Verhaltensweisen der <Gegenübertragung> (auf den Patienten projizierte irrationale Reaktion) hat und diese Verhaltensweisen sich in seine Beziehung zu dem Patienten eindrängen, dann würde ich vermuten, daß der Therapeut seinen eigenen Urschmerz noch nicht gefühlt hat und die Primärtherapie nicht praktizieren sollte. Gegenübertragung wird bei Primärtherapeuten nicht geduldet, denn sie bedeutet, daß die Therapeuten noch neurotisch sind. Ein Neurotiker kann diese Therapie nicht durchführen.
Es kann nicht deutlich genug betont werden, daß jedes symbolische Verhalten zur Folge hat, daß das Fühlen abgeschaltet wird. Gegenübertragung ist dasselbe symbolische Verhalten, das darauf abzielt, geliebt zu werden, und das der Therapeut bei seinem Patienten ausagiert. Natürlich wird das den Zustand des Patienten verschlimmern, denn nun sind gewisse Erwartungen mit dem Patienten verknüpft. Er muß sich so verhalten, daß der Urschmerz des Therapeuten unterdrückt wird, und deshalb muß der Patient irreal und sich selbst gegenüber unehrlich sein.
Stellen wir uns zum Beispiel einen Therapeuten vor, der sich für freundlich, warmherzig und besonders feinfühlig hält. Er umarmt seinen traurigen, weinenden Patienten und tröstet ihn mit den Worten: »Nun, nun, es ist schon gut. Ich bin ja da. Es wird schon alles gut werden, Sie werden's sehen.« Ich glaube, daß eine solche <Elternstellvertretung> zu einer Abschaltung des Fühlens führt und den Patienten daran hindert, all den Schmerz zu fühlen, den er fühlen muß, um schließlich darüber hinwegzukommen. Es mag dazu führen, daß der Patient nicht das Gefühl hat, er sei allein und habe niemanden, der ihn tröstet; das ist die übliche Realität vieler neurotischer Patienten. Das therapeutische Trösten ruft dann ein flacheres Erleben hervor; auf diese Weise nimmt der <warmherzige> Therapeut am Kampf des Patienten teil. Statt darauf hinzuwirken, daß er sich allein und isoliert fühlt, hilft er dem Patienten, vor dem Fühlen davonzulaufen. Dieses Gefühl ist es, das den Kampf hervorruft, und wird, wenn es empfunden wird, den Kampf beenden.
Wenn der Therapeut den Patienten an sich drückt, kann das ein Zeichen dafür sein, daß er seine Rolle verwechselt hat. Er mag unwissentlich versuchen, der gute Vater zu sein, statt das zu sein, was er (der Therapeut) ist. Das Ziel ist, um es zu wiederholen, den Patienten von seinem Kampf zu befreien, nicht aber, an ihm teilzunehmen.
Wenn ein Primärtherapeut wirklich einmal die Hand oder den Kopf seines Patienten hält, dann bedeutet das im allgemeinen, daß er den Patienten dazu bringen will, ein Gefühl seinen Eltern gegenüber intensiver zu empfinden. Das geschieht dann, wenn der Patient das empfindet, was er von seinen Eltern nicht bekam, und der Gegensatz zu dem warmherzigen Therapeuten verstärkt an diesem Punkt den Urschmerz.
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Nach Ansicht der Primärtherapie ist der Grund, warum die Übertragungsanalyse nicht erfolgreich sein kann, daß der Patient irreale Hoffnung auf den Arzt überträgt, statt seine Hoffnungslosigkeit zu empfinden. Wenn der Patient vom Therapeuten tatsächlich das bekommt, was er zu brauchen glaubt, dann mag die Lage in bezug auf seine Neurose wirklich hoffnungslos sein. Indern er seine realen Bedürfnisse nach guten Eltern in den Wunsch verwandelt, vom Therapeuten gelobt und respektiert zu werden, hat der Patient seinen üblichen Weg eingeschlagen — er hat einen Ersatzkampf gefunden. Eben das Erleben der normalen Psychotherapie allein trägt meiner Ansicht nach dazu bei, daß der Patient krank bleibt. Der Patient kommt, weil er Hilfe braucht, und er findet sie in Gestalt eines verständnisvollen und mitfühlenden Therapeuten. Schon wenn der Patient davon spricht, wie unselbständig er ist, wie sehr er immer Anleitung gebraucht hat, wird dieses Gefühl durch die Tatsache verfälscht, daß jemand da ist, der zuhört und hilft. Insofern agiert der Patient in der therapeutischen Situation wiederum das Ersatzbedürfnis nach Hilfe aus, während er doch fühlen müßte, wie wenig ihm seine Eltern je halfen. Neue Hoffnung auf Hilfe wird neurotisch für Therapie ausgegeben.
Der Versuch, Bedürfnisse zu befriedigen, zwingt den Neurotiker, aus den Menschen, und auch aus dem Therapeuten, etwas zu machen, was sie nicht sind. Der Neurotiker kann die Menschen nicht sein lassen, was sie sind, ehe er nicht ist, was er ist. Sobald er das geworden ist, gibt es keine Übertragung früherer Bedürfnisse auf die Gegenwart mehr.
Phillip
Das Folgende ist die Autobiographie eines Mannes, der im Leben sehr zu kurz gekommen war und in verschiedenen Heimen aufwuchs. Wie bei vielen meiner Patienten vor der Therapie äußerte sich bei ihm seine innere Verkrampfung körperlich in einem leichten Buckel. Er wurde immer wieder straffällig, galt als ein <verstocktes Kind> und wurde Tag für Tag bestraft. Später hatte er zahllose Liebesaffären, die in Inzest gipfelten. Sein pathologischer Befund war in jeder Hinsicht schwer. Selbst nachdem er zur Psychotherapie zu einer Ärztin geschickt worden war, brachte er es noch fertig, die Situation in eine sexuelle Eroberung umzumünzen. Nach der üblichen diagnostischen Ausdrucksweise war er ein <Psychopath>. Sein Fall veranschaulicht, daß ein fast unrettbar verlorener Mensch rehabilitiert werden kann, wenn er die richtige Therapie erhält.
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Ich bin Phillip. Jetzt bin ich sechsunddreißig Jahre alt. Als ich drei Jahre alt war, haben sich mein Vater und meine Mutter getrennt und sich später scheiden lassen. Ich erinnere mich, daß meine Mutter und meine Schwester weggingen, und ich wußte nicht, warum und was es bedeutete. Mein Vater heiratete fast sofort wieder. Meine Stiefmutter sagte, ich habe sehr viel geweint und sei ein mürrisches, schwieriges Kind gewesen, das nicht angefaßt oder in den Arm genommen werden wollte. Nur Bonbons und andere Süßigkeiten stimmten mich versöhnlich. Ich zog mich in mich selbst zurück und nahm Störungen übel.
Mein älterer Bruder und ich wurden in einem privaten Internat untergebracht, als ich fünf war. Mein Vater nahm an Abendkursen der juristischen Fakultät teil, und tagsüber arbeiteten er und meine Stiefmutter. Ich geriet dauernd in Schwierigkeiten und konnte mich der dem Internat eigenen Lebensweise nicht anpassen. Ich schloß mich in der Schule ab und lebte wie ein ferner Außenseiter, zurückgezogen und mißmutig bei Festlichkeiten, Besuchen und geselligen Veranstaltungen. Mein Bruder versuchte mich immer aufzuheitern und mich dazu zu bringen, Veranstaltungen und Feste ebenso zu genießen wie er. Aber ich weinte nur.
An einem Weihnachtstag fragten mich einige ältere Jungen, ob ich Bonbons und Kekse aus einer Packung haben wollte, die sie hatten. Gewöhnlich wurde ich nicht zu so etwas aufgefordert, und ich aß, so viel ich konnte. Wir wurden alle hinuntergerufen in das Büro des Direktors, ehe wir mit der Packung fertig waren, und ich erinnere mich, daß ich als letzter hineingerufen wurde. Ich war ängstlich und wußte nicht, warum der rothaarige lutherische Pfarrer so wütend war. Die Packung gehörte einem anderen Jungen und war gestohlen worden. Ich versteckte meine Hände auf dem Rücken, um mich vor der Haarbürste zu schützen und pinkelte in die Hosen und über den Pfarrer, als die Haarbürste immer auf- und niedersauste. Mein Daumen war grün und blau, als ich ihn später ansah.
Mein Vater hatte seine erste Stellung als Syndikus bei einer Kunstseiden- und Seidenweberei im Süden. Er kaufte ein Haus, und zum erstenmal lebten wir alle das ganze Jahr über zusammen. Mein Bruder hatte eine Halbtagsstellung und arbeitete nach der Schule. Manchmal schenkte er mir ein paar Bonbons oder etwas Geld. Meistens stahl ich Geld oder Kaugummi aus der Handtasche meiner Stiefmutter und sagte nichts oder log, wenn sie etwas vermißte. Eines Abends fand sie etwas Kleingeld in meiner Hosentasche, weckte mich auf und fragte, woher ich das habe. Ich konnte ihr keine Antwort geben. Mein Vater kam herein, hielt mir eine Strafpredigt und schickte mich wieder ins Bett. Ich war damals zehn und mein Bruder zwölf. Ich begann Bonbons und Kaugummi in Geschäften zu stehlen.
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Mein Bruder kaufte sich von seinem verdienten Geld ein Luftgewehr, und wir wollten es hinterm Haus ausprobieren. Da waren hohe Telefondrähte, und wir versuchten, flache Steine über die höchsten Drähte zu werfen. Ich warf wie ein Mädchen und kam nie über den obersten Draht. Mein Bruder kam fast immer drüber, und er traf fast alles, auf das er warf. Einmal warf er mit Steinen nach mir, und ich sagte ihm, er solle aufhören. Er tat es nicht. Ich nahm das Luftgewehr, pumpte es so stark auf, wie ich konnte, und schoß ihm in den Magen. Mein Vater mußte das Luftgewehr erst suchen, und dann verprügelte er mich mit einem Riemen. Er wollte, daß ich mich bei meinem Bruder entschuldigte, und ich sagte ihm dauernd, mein Bruder habe angefangen.
Ich ging immer mit gesenktem Kopf und vorgezogenen Schultern und kickte beim Gehen Steinchen. Ich überquerte die Straße, als ich von einem Wagen angefahren wurde. Ich erlangte das Bewußtsein wieder, und der Mann setzte mich in seinen Wagen und fuhr mich nach Hause. Meine Stiefmutter war ärgerlich und sagte, wenn ich in den Laden gegangen wäre und Brot geholt hätte, wie ich sollte, wäre das nicht passiert.
Ich war elf Jahre alt, als wir nach Charlotte zogen. Es war üblich, daß mein Bruder und ich für den Weihnachtsmann und seinen Gehilfen Coke hinstellten. Ich sagte meinen Eltern, ich glaubte nicht mehr an den Weihnachtsmann und wisse, daß sie die Geschenke hinlegten. Ich trank das Coke selbst. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte mein Bruder alle Geschenke und Süßigkeiten bekommen. Er bot mir an, mit mir zu teilen, und gab mir den schwarzen Gummirennwagen, den ich mir zu Weihnachten gewünscht hatte. Ich warf ihn an die Wand und wurde auf mein Zimmer geschickt.
Mein Vater und meine Mutter waren abends ausgegangen, und im Aschenbecher lagen einige Zigarettenstummel. Ich zündete einen an, drückte ihn wieder aus und warf den Aschenbecher in den Mülleimer. Die Vorhänge fingen Feuer aus dem Mülleimer, und mein Bruder versuchte, es zu löschen. Der Brandmeister wollte wissen, wie das Feuer ausgebrochen war. Ich sagte, mein Vater müsse eine brennende Zigarette in den Mülleimer getan haben. Mein Bruder berichtete, wie es wirklich passiert war. Mein Vater und meine Stiefmutter wollten wissen, warum ich nicht so artig sein könne wie mein Bruder. Wir fingen an zu streiten, und ich biß meinen Bruder und stach nach ihm mit Bleistiften und Gabeln. Meine Stiefmutter bemerkte die Bißspuren bei ihm und biß mich, damit ich wissen sollte, wie weh das tut. Mein Stiefbruder wurde geboren.
Ich war zwölf, als wir wieder in den Norden zogen, in die Nähe von New York City. In dem Sommer trug ich für meinen Bruder Zeitungen aus, während er Betreuer in einem Sommerlager war. Ich lieferte die Zeitungen nicht ab, sondern verkaufte sie an der Straßenecke und erstand mit dem Geld Eiskrem und Süßigkeiten. Mein Vater mußte, als die Sommerferien vorbei waren, die Rechnung begleichen. Ein Drittel der Kunden bestellte das Abonnement ab. Mein Vater fragte, ob ich je etwas richtig machen könne.
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Meine Stiefmutter zwang mich, vor ihr auf dem Fußboden zu sitzen und meine Schularbeiten zu machen. Sie hatte die Beine gespreizt und trug keinen Schlüpfer. Sie schaute nicht hin, als ich mit dem Finger in ihrer Fotze bohrte, und ich hatte den Kopf schon wieder über meinem Buch, als sie herumfuhr. Mein Vater und mein Bruder hielten mich fest, während meine Stiefmutter mich küßte. Ich ließ mich nicht gern küssen. Ich spuckte ihr ins Gesicht und wurde geschlagen. Es gab Krach, und ich nannte meine Stiefmutter ein Miststück. Sie warf ein Küchenmesser nach mir. Ich rannte von zu Hause weg. Mein Vater ließ in sechs Staaten nach mir fahnden. Das brachte mich wieder nach Hause.
Es war Sommer, und wir mußten um acht ins Bett gehen. Meine Stiefmutter pflegte mich in meinem Zimmer einzuschließen, damit mein Bruder und ich keine Dummheiten machten, während sie unten war. Meines Bruders Zimmer war nicht abgeschlossen, und wir konnten uns durch die Glasscheiben in meiner Zimmertür sehen. Ich hörte von meinem Fenster aus die anderen Kinder draußen schreien und spielen. Mein Bruder pflegte eine Tafel Schokolade hochzuhalten und mir zu bedeuten, ich sollte kommen und sie mir holen. Ich kletterte dann aus meinem Fenster hinaus und kroch über das Ziegeldach in das Zimmer meines Bruders.
An jenem Abend brachte ich meinen Bruder dazu, mit mir in mein Zimmer zu kriechen. Er hatte Angst davor, wieder in sein Zimmer zurückzukriechen, denn von dem Zimmer ging es gleich schräg nach unten, man konnte bis zum Erdboden sehen. Es war ungefähr zwölf Meter tief. Mein Bruder zitterte und wollte nicht weiter als bis zum Dachvorsprung und starrte hinunter zu seinem Fenster. Ich kroch an sein Fenster und machte mich an seine Schokolade, während er auf dem Dachvorsprung saß, wütend und ängstlich. Er drohte, mich zu verprügeln und zu verpetzen, und zwischendurch bat er um Hilfe. Ich versprach ihm zu helfen herunterzukommen, wenn er mich nicht schlagen und nicht verpetzen und mir außerdem fünfzig Cents bezahlen würde. Er war schließlich einverstanden.
Wir zogen weiter nach draußen in die Vororte von New York, als ich dreizehn war. Nach der Schule sollte ich meinen Stiefbruder versorgen. Ich pflegte die Hälfte des Orangensaftes aus seiner Flasche zu trinken, Wasser nachzufüllen und ihm dann die Flasche zu geben. In dem Jahr bekam ich eine Anstecknadel, weil ich den Kindergottesdienst regelmäßig besucht hatte, und meine Stiefschwester wurde geboren. Mein Vater und meine Stiefmutter beschlossen, mich in eine Privatschule in New Jersey zu schicken. Ich lernte Kühe melken, Schach spielen und Deutsch. Ich trat in den Schulchor ein, spielte Fußball, Korbball und lernte boxen
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Einmal schwänzten ein anderer Junge und ich die Schule und gingen mit unseren Badehosen zum Fluß. Von der Uferböschung bis zum Wasser unten waren es etwa viereinhalb Meter. Er war größer als ich und neckte mich, weil ich Angst hatte, einen Kopfsprung zu machen. Ich schlug ihm auf den Mund, und er setzte mir nach. Ich sprang und mein Kopf schlug auf die Felsen am Ufer auf. Ich wurde aus der Schule ausgeschlossen, und mein Vater brachte mich mit der Ambulanz in ein New Yorker Krankenhaus.
Meine Stiefmutter sagte, wenn ich im Haus bliebe, würde sie gehen. Mein Vater hatte versprochen, er würde den Aufnahmeantrag unterschreiben, wenn ich die Zulassungsprüfung bei der Marine bestehe. Ich bestand sie, und er sagte, er könne nicht unterschreiben, weil ich minderjährig sei und er nie geglaubt habe, daß ich durchkommen würde. Ich nannte ihn einen Lügner und sagte, ich haßte ihn. Er schlug mich dauernd zusammen, und jedesmal, wenn ich wieder hochkam, sagte ich ihm, er könne mir nicht mehr weh tun, weil ich ihn haßte. Ich war vierzehn, und er gab mir Geld für eine Fahrkarte nach Pennsylvania, dort sollte ich bei meiner Mutter leben.
Meine Mutter, meine Schwester und ich schliefen alle in einem Bett, und die ganze erste Nacht hielt ich meine Schwester im Arm und küßte sie. Ich schwänzte oft die Schule und kam tage- und nächtelang nicht nach Hause. Meine Mutter sperrte mich aus, und ich brach ein, nachdem ich die ganze Nacht im Keller verbracht hatte. Sie holte ihren Freund, einen Polizisten, der mich bestrafen sollte. Ich bedrohte ihn mit einem Küchenmesser und sagte, ich würde zustechen, wenn er mich anrührte. Der für Schulschwänzen zuständige Beamte der Schulbehörde holte mich ab und steckte mich in ein Heim für Jungen. Vom Jugendgericht wurde ich als >unverbesserlich< bezeichnet und in eine staatliche Besserungsanstalt für straffällige Jungen eingewiesen.
Mit siebzehn trat ich in die Armee ein und verließ die Besserungsanstalt. Mein Vater starb an einer Überdosis Schlaftabletten, und ich ging zur Beerdigung. Ich blickte in den Sarg und sah sein Gesicht und fühlte nichts. Nach der Trauerfeier erzählte ich meinem Onkel, ich sei zum Korporal bei den Fallschirm-Sanitätern befördert worden. Er wurde wütend, weil ich meinem toten Vater nicht genügend Ehre erweise.
Ich war zwanzig, sie achtzehn, und wir trafen uns auf einer Eisbahn außerhalb des Kasernengeländes. Es war mein erstes sexuelles Erlebnis, und nach zwei Wochen waren wir verheiratet. Mein Sohn war sechs Monate alt, als ich sein Gebrüll nicht mehr ertragen konnte. Ich versohlte ihn und hinterließ den Abdruck meiner Hand in Grün und Blau auf seinem Hintern.
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Meine Frau war schwanger, als ich mich freiwillig zum Dienst in Übersee meldete, und unsere Tochter war zwei Wochen alt, als ich mich einschiffte. In Übersee setzte ich meinen religiösen Unterricht fort, ging jeden Sonntag in die Kirche, schickte meinen ganzen Sold bis auf drei Dollar monatlich an meine Frau und war ihr in den zwei Jahren absolut treu. Ich kehrte nach Hause zurück, und ehe das Jahr um war, hatte ich Geschlechtsverkehr mit meiner zweieinhalbjährigen Tochter.
Aus ihren Briefen hatte ich schon geschlossen, daß meine Frau sich herumtrieb. Ich begann in diesem Jahr zu trinken, zu rauchen und mit anderen Frauen zu schlafen. Als ein anderer GI mir die Untreue meiner Frau vorhielt, griff ich ihn mit einem Schanzgerät an. Es wurde ein Militärgerichtsverfahren eingeleitet. Ehe das Gericht zusammentrat, nahm ich eine Überdosis Schlaftabletten und landete auf der psychiatrischen Station. Ich wurde aus dem Militärdienst und aus dem Krankenhaus entlassen. Meine zweite Tochter wurde geboren, und ich zweifelte daran, daß es meine war.
Ich war fünfundzwanzig Jahre alt, als ich nach Texas ging und meiner Frau sagte, ich würde sie nachkommen lassen, wenn ich Arbeit gefunden hätte. Ich hatte nicht vor, sie nachkommen zu lassen, und in Texas arbeitete ich, trank und hatte mehrere Liebesaffären. Meine Frau kam von sich aus, und nach sechs Monaten trennten wir uns und wurden später geschieden. Ich war verbittert und enttäuscht.
Mit sechsundzwanzig zog ich nach Kalifornien mit der Absicht, ein College zu besuchen. Als ich Gloria kennenlernte, verkaufte sie Zeitschriftenabonnements, und ich sagte ihr, ich wolle ihr helfen. In meinem ersten College-Jahr lebten wir zusammen, und ich verließ sie, als ich in einer Schule für geistig zurückgebliebene Kinder zu arbeiten begann. Ich hatte Liebesverhältnisse mit mehreren Frauen, die dort arbeiteten, und eine Frau sagte dem Direktor, ich hätte sie geschwängert. Ich wurde gefeuert und dachte an Selbstmord als eine Lösung. Ich hatte weiter zahllose Liebesverhältnisse, trank eine Menge, rauchte stark und schlief wenig.
Fay war eine probeweise zugelassene College-Studentin, als ich sie kennenlernte. Ich bot ihr an, ihr bei ihren Schularbeiten zu helfen, denn ich war damals arbeitslos. Meine Miete war noch für eine Woche bezahlt, als wir heirateten und sie arbeiten ging. Ich bewarb mich um eine Anstellung bei einem Grafschaftsamt und nahm zwischenzeitlich einen Job an, mit einem apathischen Kind zu arbeiten. Ich sollte es für die Aufnahme in einem Schulheim vorbereiten, weil seine Eltern es nicht in eine Nervenheilanstalt bringen wollten. Ich bekam die Stellung bei der Grafschaft und gab die Arbeit mit dem apathischen Kind an meine Frau weiter. Ich zankte dauernd mit ihr, weil sie nicht imstande war, das Kind anzuleiten und mit ihm zu arbeiten, und hatte ewig an ihr auszusetzen.
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Wir ließen uns etwa zu der Zeit scheiden, als das apathische Kind für die Aufnahme in der Schule bereit war. Ich war von Selbstmordgedanken erfüllt und gab mir gegenüber zum erstenmal zu, daß ich krank sei und Hilfe brauche. Ich setzte mich mit der Studentenberatung in Verbindung und begann eine Gruppentherapie.
Ich lernte rasch, die Techniken zu beherrschen, die in der Gruppensituation angewandt wurden. Zu dieser Zeit diskutierten meine Schwester und ich sehr sachlich über Inzest, dann schliefen wir miteinander und lebten kurze Zeit zusammen. Die Gruppentherapie bei meinem Psychiater hörte auf, ohne daß die Affäre mit meiner Schwester zur Sprache kam, und ich begann eine Einzel- und Gruppentherapie bei einer Psychologin. Ich sprach mit ihr über meine zahlreichen Liebesaffären, mein bisheriges Leben und meine Fortschritte in der Therapie. Innerhalb von drei Monaten diskutierten wir über Gegenübertragung, schliefen miteinander, ich gab meine Stellung auf und zog in ihr Haus nach Hollywood Hills. Sie war Ende vierzig, ich Anfang dreißig. Meine jetzige Frau lernte ich kennen, als ich in dieser Gruppe war, und zog dann nach North Hollywood. Ich erhielt eine Anstellung in einer psychiatrischen Klinik. Ich bewarb mich um eine Anstellung bei einer Bundesbehörde und begann mit Leuten in der Gemeinde zu arbeiten.
Ich ging meine dritte Ehe ein, und als mein Lebensstandard sich besserte, nahm mein Trinken zu. Die vielen Therapien und Therapiesitzungen hatten die Krankheit in mir nicht zu heilen vermocht. Ich war immer schlauer als meine Therapeuten und überlistete sie und mich selbst und trieb sie in die Enge. Ich hatte Geschicklichkeit erlangt in verbalen Intrigen, intellektueller Rationalisierung, theoretischer Erklärung, Problemlösen, Körperberührung und vielen anderen gelehrten Techniken. Und immer blieb ich krank und wußte es. Ich hatte mich durch meine Ausbildung und Therapie von einem >verantwortungslosen, ungebildeten, unverbesserlichen< Psychopathen in einen verantwortungsbewußten, gebildeten >Mittel<-Psychopathen verwandelt.
Janov stand hinter dem Schreibtisch und schaute zu mir auf, als ich zum erstenmal sein Sprechzimmer betrat. Ich hatte ein starres Lächeln auf den Lippen, als er sprach. »Stehen Sie nicht da und schauen Sie mich an; hier draußen gibt es keine Antworten. Legen Sie sich auf die Couch.« So fing es an.
Mein verlogenes Lächeln verschwand, und ich legte mich auf die Couch. Janov fragte: »Was fühlen Sie?« Meine Antworten waren bruchstückhaft und ungeordnet. Ich begann zu weinen. »Was ist los?« fragte Janov. »Lassen Sie uns darüber sprechen. Sie sehen schlecht aus.« Ich weinte nur noch mehr. Janov wartete und sagte dann: »Sagen Sie, was Sie fühlen. Weinen Sie es nicht weg.« Schließlich hörte ich auf zu weinen und wurde ruhig.
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»Gut«, sagte Janov. »Was fühlen Sie?«
Ich antwortete: »Angst; auch eine Art Treibenlassen.«
Janov: »Gut, nun versenken Sie sich gleich da hinein; strecken Sie Ihre Beine aus. Nun versenken Sie sich gleich da hinein und versuchen Sie in keiner Weise sich zu beherrschen. Lassen Sie sich gehen! Lassen Sie sich gehen!« Ich begann rasch zu atmen.
Janov: »Jetzt atmen Sie vom Bauch her, ganz tief; machen Sie den Mund auf und holen Sie die Luft aus dem Bauch herauf; sagen sie ah — ganz tief — ah — tief. Versenken Sie sich da hinein!«Ich ließ mich ein wenig gehen.
Janov: »Was ist es?«
Ich: »Mir dreht sich alles im Kopf; ich kann mich nicht gehen lassen. Ich denke daran, daß ich immer Angst vor Kritik hatte. Mein Schwung, mein Antrieb, alles bei mir — das ist es eigentlich nicht, was mit mir geschieht. Ich will nicht versagen. Ich will nicht kritisiert werden.«
Janov: »Von wem?« Ich: »Von meiner Familie, glaube ich. Ich gehe noch weiter zurück. Ich glaube, ich erinnere mich nicht an die Zeit, ehe ich drei war. Ich erinnere mich an die Zeit danach. Ich weiß, daß ich einen Haß habe; ich kann nicht verzeihen ...«
Janov: »Sagen Sie es.«
Ich: »Ich kann meiner Mutter nicht verzeihen. Sie verließ mich, als ich drei war. Meine Stiefmutter habe ich nie akzeptiert. Dauernd wird kritisiert. Warum bin ich nicht so brav wie mein Bruder? Er fügt sich. Ich rebelliere. Und eigentlich nicht; eigentlich will ich nicht so brav sein wie er. Er ist gar nicht brav.«Janov: »Was würden Sie zu Ihrer Mutter sagen, wenn Sie jetzt mit ihr sprechen könnten; mit Ihrer richtigen Mutter.«
Ich: »Meine richtige Mutter?«
Janov: »Was würden Sie sagen?«
Ich: »Ich würde sie bitten, mich zu lieben.«Janov: »Gut, bitten Sie sie. Reden Sie mit ihr. Mammi - kommt. Sagen Sie ihr, was Sie sagen wollen.«
Ich begann schwer zu atmen und spürte den Kloß im Hals. Ich zog mächtig. Mir war, als würde ich auseinandergerissen, als ob ich in der Mitte geteilt sei und die beiden Hälften voneinander wegstrebten. Ich wurde körperlich und in jeder Beziehung auseinandergerissen. Ich versuchte mich dagegen zu wehren. Die beiden Teile von mir lagen miteinander im Kampf. Ich konnte es nicht hindern. Ich legte los und schrie: »Mammi, Mammi!«
Janov: »Rufen Sie!«
Ich: »Ich will, daß sie zurückkommt.« Ich begann heftig zu weinen. Es tat weh. Ich erstickte fast und würgte an meinen Gefühlen.
Ich schrie: »Ich möchte sterben.«
Janov: »Sagen Sie es ihr.« Ich konnte meinen Gefühlen nicht freien Lauf lassen. »Mammi, geh nicht weg.« Ich schaltete ab. Ich konnte das Weinen, das Würgen, den Schmerz nicht aufhalten. Es zerriß mich. Ich legte los: »Ich hasse dich, laß mich zufrieden, Mammi. Ich hasse euch alle, ihr Scheißer.« Ich würgte und schluckte und versuchte meine Gefühle niederzuhalten, sie zu beherrschen. Sie kamen immer wieder hoch. Mir tat alles weh. Der Kloß im Hals verschwand nicht. Ich legte los und schrie: »Liebe mich.« Ich schaltete ab. Ich kämpfte.
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Trotzdem kam es heraus: »Liebe mich.« Ich war ruhig und empfand Furcht. Aber noch immer war ich nicht sicher, was Fühlen sei. Ich sah, daß ich eine Menge Dinge getan hatte, nicht weil ich es wollte, sondern weil ich die Liebe meiner Eltern wollte. Ich hatte wieder Angst. Ich fürchtete, ich würde nicht geliebt und sei selbst nicht imstande zu lieben. Ich hatte das Gefühl, nichts zu taugen. Meine Mutter hatte mich verlassen, und ich fragte: »Warum mich?« Ich weiß nicht, ob sie mich nicht wollte, und ich nahm es ihr übel. Ich wollte töten — mich töten. Ich kam mir anders vor als andere Leute. Ich schrie auf. Ich schrie noch mehr, aber ich blockierte immer noch. Ich hatte Angst, meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Fürchtete, ich würde unbeherrscht um mich schlagen, wenn ich meinen Gefühlen freien Lauf ließ. Ich schlug auf die Couch und schrie; und heraus kam: »Ich hasse mich.« Ich wollte schreien, kämpfte dagegen an und verzerrte den Klang eines Wortes, das zu sagen ich mich fürchtete.
Zum erstenmal begann ich meinen Schmerz zu spüren, und als Janov sagte: »Sagen Sie es ihnen. Sagen Sie es Mammi und Pappi. Sie müssen ihnen sagen, daß Sie leiden«, da erstickte ich schier und würgte und konnte nur innehalten. Der Urschmerz war zu groß. Janov: »Seien Sie nicht mehr still. Leiden Sie nicht mehr schweigend. Bringen Sie es raus; rufen Sie um Hilfe. Mammi. Pappi.« Ich schrie den Urschmerz hinaus und schrie ihn immer wieder hinaus. Dann war Stille. Ich redete: »Jetzt weiß ich, warum ich mich hasse.« Janov: »Warum?« Ich: »Weil ich im Grunde genommen alles dafür hergeben würde, um von ihnen geliebt zu werden, und trotzdem hasse ich sie auch. Ich hasse sie, weil ich sein muß, wie sie mich haben wollten, damit sie mich lieben konnten. Sie sind alle verrückt; sie sind verrückter als ich.« Janov: »Was haben Sie immer gewollt, was wollten Sie von ihnen?« Ich: »Ich wollte, daß sie mich um meinetwillen lieben und mich sein lassen, was ich sein mußte ohne ihr strenges >das ist brav; das ist böse; du mußt Erfolg haben; du darfst nicht sagen, was du eigentlich empfindest, du mußt sagen, was richtig ist, was nett ist, um ihnen zu schmeicheln und ihnen zu sagen, was sie hören wollen<. Ich habe eine Menge angestellt, weil ich nie sagte: >Liebt mich. < Ich konnte nicht sagen: >Liebt mich. < Darum habe ich immer Schwierigkeiten gehabt. Die Szene, als meine Mutter wegging, stand mir blitzartig vor Augen, und ich konnte nicht rufen: >Mammi, bleib hier!<
Ich fühlte mich hilflos und einsam, und ich wußte, daß es damals gewesen war, daß ich mein ganzes Fühlen abgeschaltet hatte. Ich wollte nicht nach Mammi rufen, denn das bedeutete, zu der Szene zurückzukehren und jenen Schmerz zu empfinden, den zu empfinden ich nie zugelassen hatte. Ich wußte auch, warum ich bestraft werden wollte, und warum ich destruktiv war und mich dem Familienrahmen nicht anpaßte. Ich versuchte immer zu dieser Anfangsszene zurückzugehen und zu fühlen, was da geschehen war.
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Ich fragte mich: <Warum bin ich der einzige, dem es etwas ausmachte? Warum haben die anderen Familienmitglieder sich angepaßt?> Ich fragte mich dauernd, was mit mir nicht stimme, und ich schlug um mich, nach ihnen und nach allem im Leben. Ich mußte zurückgehen und diesen Augenblick empfinden und konnte es nicht, wenn sie ihn versperrten. Mein ganzes Ausagieren begann, als ich abschaltete und meine Hilflosigkeit, mein Alleinsein an diesem Punkt nicht fühlen konnte.«
Das war meine Primärszene und die erste Verbindung, die ich herstellte. Alles andere ergab sich aus diesem Ursprung meines Konflikts. Mein Körper fühlte die Spaltung, das Auseinanderreißen. Meine Vergangenheit, die Vergangenheit, die ich nie empfunden hatte, überfiel mich. Ich hatte wieder Angst. Ich schaltete ab. Ich war erschöpft und wollte in mein Zimmer zurückgehen und stundenlang schlafen. Als ich aufwachte, war die Furcht noch da, und ich fühlte den Kloß im Hals. Ich versuchte, das, was ich vorher gefühlt hatte, zu verleugnen und fortzurennen.
Ich schwankte, ob ich in Janovs Sprechzimmer rennen sollte und um Hilfe bitten wie der ängstliche und verletzte kleine Junge, der ich tatsächlich war, oder ob ich vor dem Urschmerz wegrennen sollte, den der Kampf mit mir selbst auf der Couch hervorgebracht hatte. Ich spürte jetzt drei Klöße. Einen im Hals, einen im Zwerchfell und einen unten in der Brust. Ich schrie: »Mammi, Mammi«, und ich sah, wie sie mit der Hand hinunterlangte und meine Eier heraus- und nach oben zog durch mich hindurch. Sie blieben stecken, und als ich zog, funktionierten sie nicht richtig. Ich zog noch mehr, und nach einer Weile bekamen sie Verbindung. Der Kloß im Hals wurde zylindrisch und bewegte sich auf und ab. Alle drei Klöße hingen jetzt aneinander. Ich bekam Angst, aber ich wußte, daß es mein Pimmel und meine Eier waren. Mein Pimmel bewegte sich im Hals auf und ab, wenn ich atmete, und er masturbierte. Der Schleim wurde in meinem Mund Samen, und ich würgte. Ich schrie auf, aber ich verdrehte und verhüllte das Wort >Pimmel< noch, vor dem ich mich so fürchtete. »Pimmel, Pimmel, Pimmel.« Was bedeutete das? Vielleicht war ich homosexuell. Ich bekam es mit der Angst. Endlich wußte ich, daß >Pimmel< das Symbol meines ganzen destruktiven, sexuellen Ausagierens war. Gefühle begannen in mir aufzusteigen, manchmal in physischer, manchmal in symbolischer Form. Aber sie waren zusammenhanglos, und ich würde weiter zurückgehen müssen, bis sie alle miteinander in Verbindung gebracht waren. Ich begann die ganze ungefühlte Abfolge meines Lebens zu empfinden. Erstens die Verleugnung, daß ich im Alter von drei Jahren ungeliebt und hilflos zurückgelassen wurde. Dann das Wort >Pimmel< und mein wütendes, destruktives Ausagieren durch Sex, um die Furcht zu verbergen, die das Alleinsein mit sich brachte. Ich war allein in meinem Schlafzimmer und wurde von panischem Schrecken erfaßt.
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Ich wollte Janov auf den Zahn fühlen. Weiß er, was er tut? Wie gefährlich es ist, die Büchse der Pandora zu öffnen? Ich fürchtete mich und wollte vor mir selbst davonlaufen. Ich rief Janov an und drohte, ich würde ihm eine Untersuchungskommission auf den Hals schicken. Er fragte mich, warum ich eigentlich anrief, und ich sagte ihm, ich hätte Angst. Angst vor meinen Gefühlen. Ich wollte gesund sein. Ich wollte Penis, Testes und Samen heraufhusten und ausspucken.
Gesund bedeutete vielleicht real. Real bedeutet vielleicht homosexuell. Ich weiß nicht, Janov hatte mir gesagt, sein Sprechzimmer sei mein Zimmer, und da könnte ich alles sein, was ich wollte. Ich wollte in mein Zimmer rennen, dort in Sicherheit sein, dort ich sein.
Auf dem Weg zu Janov war mir die Kehle wie zugeschnürt, und ich wollte weinen. Mir war, als ob ich ein kleiner Junge sei und in mein Zimmer gehe, wo es völlig richtig war, ein kleiner Junge zu sein. Ich legte mich auf die Couch, und das Fühlen stieg auf. Ich machte den Mund auf, und >Pappi< kam heraus. Ich begann zu weinen und zu rufen: »Pappi, Pappi, liebe mich!« Bei dem Wort >liebe< stockte mir der Atem, und ich schämte mich. Janov sagte: »Bitten Sie.« Ich rief und bat um die Liebe, die ich brauchte; würgte und kam mir verächtlich vor. Es bedeutet, daß man schwach ist, wenn man Liebe braucht, und es tat weh, weil ich es so lange verleugnet hatte, daß ich Pappis Liebe brauchte. Ich mußte es verleugnen, denn er hätte mir nie erlaubt, darum zu bitten. Es hätte ihm zu viel Schmerz bereitet, deshalb mußte ich abschalten, statt die Ablehnung zu empfinden, die mir immer zuteil wurde. Ich versenkte mich in mein Gefühl, und ein Bild tauchte blitzartig vor meinen Augen auf. Ich stand in der Mitte eines Kreises von Menschen, die mich anstarrten, ich machte mit dem Mittelfinger das >Leck-mich<-Zeichen und lachte.
Plötzlich änderte sich das Bild, ich wurde nackt ausgezogen, und die Gesichter starrten mich an. Höhnische Gesichter, boshaft und häßlich. Mein häßliches Spiegelbild. Ich bekam Angst so ganz allein und versuchte, meine Blöße mit den Händen zu verdecken. Ich konnte nicht sehen, wer die Gesichter waren. Janov sagte: »Sehen Sie es sich an, bleiben Sie dabei.« Ich schaute genau hin. Mein Kopf wollte sich abwenden. Ich wollte wegrennen. Janov sagte: »Sehen Sie hin.« Ich sah scharf hin und schrie vor Angst auf. Es war meine Familie. Meine Familie, die mich höhnisch anstarrte, und ich kam mir verletzlich und allein vor, und ich wollte, daß mein Pappi mich beschützt. Ich sah, daß auch er ein ängstlicher kleiner Junge war, genau wie ich. Wo war er? Ich rief, und da sah ich ihn, tot in seinem Sarg, aber er hörte mich. Ich bat ihn, nicht wegzugehen. Ich sagte ihm, ich brauche ihn, und zum erstenmal sprach ich mit ihm. Ich wollte ihn ganz für mich allein haben, und das sagte ich ihm.
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Er war immer da, wenn ich ihn rief, und ich sah die frühen Szenen meines Lebens mit ihm und sagte und fühlte all das, was wir nie gesagt und gefühlt hatten, als er lebte. Ich hatte zahlreiche Urerlebnisse, bei denen ich meines Vaters Fimmel wollte, wütend, traurig wurde und grob und zärtlich zu ihm war. Schließlich kam der Augenblick, ihm auf Wiedersehen zu sagen, den Sargdeckel zu schließen, und es begann der Prozeß, ihn sterben zu lassen und die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen.
Meine Urerlebnisse erhielten nun mehr symbolische Bedeutung, und ich fühlte mich eingeschlossen und beengt. Ich versuchte mich dazu zu zwingen, das zu fühlen, was es war, aber es klappte nicht. Es war, als ob mein Körper sich nur in einem bestimmten Tempo bewegen konnte, und ich vermochte den Prozeß weder zu beschleunigen noch zu verlangsamen. Ich versuchte zu rauchen, mein Körper wurde starr vor Spannung, und ich hatte Schmerzen. Es war, als ob in mir eine Schlacht ausgefochten würde, und ich hatte keinen Einfluß auf das, was vorging.
Manchmal wünschte ich, es möge vorbei sein, und manchmal hatte ich Angst, es würde vorbei sein. Ich mußte empfinden, was mich einschloß. Ich versenkte mich in das Fühlen und sah ein Bild von mir mit einer bleiernen Gußform auf dem Rücken, wie ein Mumiensarg. Ich ging durchs Leben, vornübergebeugt, niedergedrückt von dem Gewicht der Gußform, die alles beherrschte, was ich tat. Es war die Form, in die meine Familie mich gezwängt hatte, und ich wurde darin verrückt. Wie konnte ich heraus?
Ich mußte da heraus! Ich schrie, mein Rücken begann sich zu wölben, Brust- und Rückenmuskeln streckten sich, und ich weinte und schrie vor Schmerz. Dann wurde die Verbindung hergestellt, körperlich wie auch im Fühlen. Ich hatte seit Jahren einen krummen Rücken gehabt, gebeugt unter dem Willen meiner Eltern, aber mein Körper hatte die Auferlegung der fremden Form nie ganz akzeptiert. Bei jedem neuen Urerlebnis wurde mein Rücken gerader, und meine Muskeln streckten sich. Ein vollständig neues System übernahm in mir die Herrschaft, und ich konnte die körperlichen Zusammenhänge spüren. Nach jedem Urerlebnis war ich erschöpft und erwartete ungeduldig den nächsten Schritt, die nächste Phase.
Ich konnte nicht glauben, daß es je enden würde. Manche Tage waren qualvoll; manche waren still und friedlich; manche waren hellwach und anschaulich klar. Ich wußte nie, was ich zu erwarten hatte. In der Zeit zwischen den Phasen der Urerlebnisse schien sich mein Körper auszuruhen, die neu geformten Züge auf die Probe zu stellen und sich auf die nächste Phase vorzubereiten. Ich wurde gewahr, daß mein Körper die Herrschaft übernahm und mein Gehirn die Kontrolle über meinen Körper verlor. Ich saß in der Gruppe und hatte wieder die Empfindung, die ich schon bei mehreren Sitzungen gehabt hatte. Es war eine Empfindung von Zerren und Straffen, die den Bereich der Kopfhaut und des Kopfes erfaßte, und tiefer drinnen in den Knochen und Muskeln vom Kopf, Hals und Gesicht empfand ich eine Einschnürung.
Ich legte mich hin in der Gruppe und glaubte, in ein paar Minuten würde es mit mir aus sein, als ich plötzlich Angst bekam und spürte, daß mein Körper um sich schlagen und sich freiwinden wollte. Ich schrie: »Ich habe Angst«, und Janov sagte: »Lassen Sie es geschehen.« Mein Körper nahm verschiedene unheimliche Stellungen an, die sich jeder Kontrolle durch mich widersetzten, und ich stieß Schmerzensschreie aus, als die Auflösung sowohl körperlicher als auch emotionaler neurotischer Abwehrmechanismen begann. Mir brach der Schweiß aus, als ich von der Gewalt meines Körpers übermannt wurde, und mein Gehirn vermochte nicht mehr zu diktieren, wie ich seiner Ansicht nach sein sollte.
Ich wußte nun, daß mein Gehirn diktiert hatte, was ich nach den Wünschen meiner Eltern denken und sein sollte, aber mein Körper rebellierte und wollte nicht mehr nach irgendwelchen Diktaten >agieren< oder sich >verhalten<, sondern nur noch nach dem, was für ihn richtig war. Zum erstenmal in meinem Leben war ich frei und wußte, was Freiheit ist. Ich hatte keine Wahl mehr, ob ich krank oder nicht krank sein und ausagieren könnte. Mein Körper erlaubte es nicht. Mein Kopf konnte nicht mehr lügen oder meinem Körper vorschwindeln, er müsse sich unterwerfen. Ich versuchte ein Abkommen zu treffen, damit mein Körper aufhöre, mich zu verzerren und zu entzerren, aber es klappte nicht.
Mein Körper hatte sich entschieden, und mir blieb keine Wahl. Mein Körper ist ein Tabernakel und duldet keine Mißachtung mehr. Ich weiß, daß die überwiegende Mehrheit der von den Eltern und der Gesellschaft eingeführten Regeln, Vorschriften, Grundsätze und Kontrollen unnötig sind, wenn dem Kind gestattet wird, real zu sein und auf seinen Körper und sein Gehirn einzugehen, wie der Körper es verlangt.
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