4 Das Urerlebnis der Geburt Start Weiter
Anita
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Als ich erfuhr, daß meine Mutter sich einer Schockbehandlung unterziehen mußte, fühlte ich mich sehr einsam und verlassen. Kaum hatte ich angefangen, die Einsamkeit zu empfinden, da kam mir der Gedanke, mein Vater sei tot und meine Mutter sei so gut wie tot, und ich hätte somit niemanden mehr.
Mein Gefühl von Verlassensein ging zurück auf die Zeit unmittelbar nach meiner Geburt. Da war keine Mutter, die mich auf den Arm nahm und mich beruhigte, da sie nach dem »Leiden«, das sie gerade durchgemacht hatte, nichts mit mir zu tun haben wollte. Auch mein Vater konnte mich keine weiteren fünf Tage lang ständig im Arm halten. Da er der einzige war, der wußte, welche Fürsorge ich brauchte, hatte ich niemanden mehr. Ich kam zur Welt, indem ich nicht aufgab, um keinen Preis. Ich lernte bei der Geburt, daß ich es schaffen konnte, wenn ich mich nur abmühte. In jenen fünf Tagen der Entbehrung wurde ich hart, mühte mich ab und gab nicht auf.
Meine Härte zeigte sich während meines späteren Lebens auf vielfältige Weise. Ich habe immer nur selbst für mich gesorgt und niemals andere um Hilfe gebeten. Von anderen erwarte ich nichts. Ich bitte um keinerlei Vergünstigungen. Ich wünsche mir nichts, wenn ich es mir nicht selbst beschaffen kann. Ich bitte nie jemanden, mir dabei zu helfen. Menschen halte ich mir vom Leibe, ich bin kalt und abweisend, wenn ich das Gefühl habe, daß sie für mich eine Bedrohung darstellen. Ich taue erst auf und kann mich erst offenbaren, wenn ich mich bei einem Menschen sicher fühle. Ich kann nicht lügen, denn wenn ich lüge, bin ich im Unrecht und der Gnade eines anderen ausgeliefert. Er kann mich dann bestrafen, wie es ihm gefällt.
Aus diesem Grunde habe ich immer sorgfältig darauf geachtet, nicht vom Wege abzugeraten. Wenn ich gekränkt bin, lasse ich die Person, die mich gekränkt hat, niemals merken, daß das, was sie gesagt oder getan hat, irgendeinen Einfluß auf mich hat. Wenn meine Eltern mich ausschimpften oder bestraften, habe ich in ihrer Gegenwart niemals geweint. In diesem Zusammenhang ist mir aufgefallen, daß ich Jodey, wenn er mich wegen irgendeiner Sache anfährt, einfach zu Ende sprechen lasse, und dann das Thema wechsle und so tue, als sei nichts geschehen. Ich fühle es dann, wenn er nicht da ist, aber ich kann ihm nicht zeigen, daß ich gehört habe, was er gesagt hat. Ich konnte meinem Vater nicht zeigen, daß er mich liebhaben kann.
Mein Vater verstärkte mein prototypisches Verhalten, indem er mich dafür belohnte, mir Anerkennung zollte, wenn ich nicht aufgab und mich kasteite, sobald ich irgendein Zeichen von Schwäche gezeigt hatte. Einmal nahm ich Musikunterricht, und als ich merkte, daß mein musikalisches Gehör zu wünschen übrig ließ, hatte ich unglaubliche Schwierigkeiten und arbeitete doppelt so hart wie alle anderen. Mein Vater bemerkte meine Schwierigkeiten und erklärte mir ständig, ich solle es nicht so schwer nehmen, das sei die Sache nicht wert. Doch als ich ihm mein Zeugnisheft zeigte und auf die Note »1« hinwies, die ich in der Klasse erhalten hatte, hellte sich sein Gesicht auf und er meinte: »Da siehst du, was geschieht, wenn du dich nur immer tüchtig anstrengst und nicht aufgibst!« Auch er gab niemals auf; er belohnte mich für sein eigenes Verhalten.
* * *
Einer der Hauptgründe für die Stabilität der Abwehrmechanismen, die eine »charakteristische Persönlichkeit« ausmacht, ist in der Tatsache zu suchen, daß das Körpersystem fortfährt, sich gegen die frühen, verinnerlichten Schmerzen zur Wehr zu setzen. Diese Schmerzen überlasten das Körpersystem zum Zeitpunkt des Traumas und »fixieren« den betreffenden Menschen auf Reaktionsweisen in bestimmten Belastungssituationen. So mag ein Kind, das sich in der Schule abgelehnt fühlt, Asthma-Anfälle bekommen.
Wir alle verspüren den ersten stechenden Schmerz der Angst im Zustand der Erregung auf unterschiedliche Weise. Einigen von uns wird es »flau im Magen«, andere haben das Gefühl, als würde ihr Brustkorb eingeschnürt, wieder andere atmen heftiger. Nach meiner Ansicht sind solche Erscheinungen prototypisch; sie geben Aufschluß darüber, wo das erste große Trauma unseres Lebens sich abspielte. Unzureichende Ernährung während der Säuglingszeit kann zum Beispiel den Magen zum störanfälligen Organ bei allen späteren. Belastungssituationen machen, genauso wie Atembeschwerden während der Geburt dazu führen können, daß wir später die zum erstenmal verspürte Angst im Brustkorb oder in den Atemwegen fühlen.
Das ursprüngliche Erlebnis der Überlastung bildet die Hauptquelle für alle späteren, ähnlich gelagerten traumatischen Erlebnisse. Solche Erlebnisse sind neurologisch miteinander verknüpft; sie werden gespeichert in Erinnerungskreisläufen, die untereinander in Verbindung stehen.
Die Erfahrung einer langen, schwierigen Geburt zum Beispiel, bei der das Neugeborene eine unerträglich lange Zeit »warten« muß, bis es den Mutterleib verlassen kann, wird unter Umständen im späteren Leben immer dann neu belebt, wenn das Kind auf irgendetwas warten muß — in einer Schlange stehen, auf das Essen warten usw.
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Als Reaktionen stellen sich während der gegenwärtigen Wartesituation schreckliche Angst und Ungeduld ein, weil damit das ursprüngliche Trauma angerührt worden ist. Wenn dieses Trauma erst freigesetzt ist, dann wird auch das gesamte Arsenal der Warte-Erfahrungen wieder aktiviert. Aus diesem Grund setzt das Gefühl des ersten prototypischen Traumas alle später zum ihm geknüpften Assoziationsketten in Bewegung.
Es gibt eine große Anzahl unterschiedlicher prototypischer Früherfahrungen. So kann auf ein Geburtstrauma unzureichendes Stillen folgen, das den Säugling über Wochen hin systematisch Hunger leiden läßt. Dieses Trauma spielt sich im Mundbereich ab und wird möglicherweise durch die Abkürzung der zum Saugen notwendigen Zeit hervorgerufen. Das Bedürfnis zu saugen kann im Verein mit späterem Mangel an väterlicher Liebe zur Homosexualität führen und das Bedürfnis wecken, an Penissen zu saugen.
Natürlich stelle ich hier die Unzahl von ebenfalls ausschlaggebenden täglichen Erfahrungen ziemlich vereinfacht dar. Doch fest steht, daß Homosexualität in einem Falle wie dem geschilderten erst dann beseitigt werden kann, wenn der betreffende Patient sein großes Verlangen nach dem Vater und das frühe Bedürfnis zu saugen verspürt. Die Vorstellung, er könne dazu angehalten werden, sich zu ändern, ohne jene Erfahrungen erneut durchlebt zu haben, ist reine Illusion. Auch zahllose heterosexuelle Erfahrungen oder ein »großer Bruder«, der weiter hilft, werden seine Lebensgeschichte nicht ungeschehen machen. Ein Kind, das gezwungen wird, sich selbst zu täuschen und sich anständig zu verhalten, um seiner Mutter oder einem Therapeuten zu gefallen, würde doppelt krank, indem es genötigt wird zu behaupten, seine Bedürfnisse existierten nicht. Für einen Homosexuellen dieser Art ist Saugen ein prototypisches Urbedürfnis. Keine Analyse kann dieses Bedürfnis beseitigen; das gilt in noch stärkerem Maße für den Versuch, das Verhalten durch Bestrafungen zu ändern.
Betrachten wir ein weiteres Beispiel für ein prototypisches Trauma — die Beschneidung. Dieser Eingriff traumatisiert das Kind im Genitalbereich. Wir wissen dies aufgrund der Beobachtung von zahlreichen Urerlebnissen, in deren Mittelpunkt dieses Trauma stand. Eine tyrannische Mutter und dazu eine Beschneidung im Alter von einem oder zwei Jahren können erstens Angst um die Genitalien hervorrufen und zweitens Furcht davor, die Genitalien in Beziehungen zu Frauen zu benutzen.
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Auch hier wieder vereinfache ich, um die prototypische Erfahrung klarer herauszuarbeiten. Beschneidung kann im späteren Leben als Bestrafung gedeutet werden. In einem solchen Falle wecken sexuelle Wünsche Angst und können zur Impotenz führen. Das zusätzliche körperliche Trauma in einem besonders kritischen Alter dürfte ein bedeutsamer Faktor sein, der uns verstehen hilft, warum ein Kind mit einer tyrannischen Mutter homosexuell wird, während ein anderes nicht diese Entwicklung einschlägt, auch wenn seine Mutter sich ähnlich verhält.
Wenden wir uns dem Fall eines Epileptikers zu, der seit Jahren an Anfällen leidet und der kürzlich in die Therapie kam. Während der ersten beiden Wochen der Behandlung hatte er ein Geburtsprimal, in dessen Verlauf er das Gefühl hatte, sein Kopf stoße heftig mit irgendetwas zusammen. Nach zwei Stunden begann er wie ein Neugeborenes zu wimmern. Später erklärte er, seine Geburt sei sehr schwierig gewesen und habe lange gedauert. Seine Mutter habe ihm erzählt, er sei wimmernd zur Welt gekommen. Der Druck auf seinen Kopf, während seine Mutter sich mühte, ihn zur Welt zu bringen, mag durchaus kein physisches Trauma gewesen sein, doch er war mit Sicherheit der Brennpunkt eines psychischen Traumas. Als das Kind nach einigen Lebensmonaten allein in seinem Bettchen gelassen wurde, ohne gestillt oder aufgenommen zu werden, fing es an, mit dem Kopf gegen das Bettgestell zu schlagen. Nach seinem zehnten Lebensjahr stellten sich bei ihm Anfälle ein.
Seit dem ersten Tag, da er in die Therapie kam, hat er keinen Anfall mehr gehabt, und das trotz der Tatsache, daß er seither kein Dilantin mehr genommen hat. Was können wir daraus schließen? Zum einen, daß die während der Geburt ausgelöste Spannung in erheblichem Maße zu dem allgemeinen Spannungsniveau in seinem späteren Leben beigetragen hat. Die hohe Spannung ergoß sich in ein epileptisches Symptom, das sich auf den von seinem frühen Trauma betroffenen Körperteil konzentrierte, ähnlich wie Patienten im Erwachsenenalter bei Belastungssituationen plötzlich Hautstörungen entwickeln – das heißt, sie bilden ein Symptom im Körperbereich des frühen Traumas (im letzteren Fall bestand das Trauma in mangelnder Hautberührung während der ersten Lebensmonate), sobald sie in eine Streßsituation geraten.
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Wenn der besagte Epileptiker eine einigermaßen angenehme Kindheit gehabt hätte, hätte er lediglich ein Geburtstrauma erlebt und niemals epileptische Symptome entwickelt. Doch die Gesamtsumme aller traumatischen Erfahrungen führte zur Überlastung. Nach meiner Beobachtung haben allerdings Geburtstraumata einen maßgeblichen Anteil am Zustandekommen allgemeiner chronischer Spannungszustände. Das ist zum Teil auf die Verletzbarkeit des noch jungen Organismus zurückzuführen, auf seine noch nicht ausreichend entwickelte Fähigkeit, mit Belastungen fertig zu werden. Am wichtigsten ist freilich, daß es bei Geburtstraumata häufig um Leben und Tod geht – ein von der Nabelschnur stranguliertes Neugeborenes wird tatsächlich sterben, wenn nichts getan wird. Noch ehe wir das Licht der Welt erblicken, beginnt bei vielen von uns bereits der Kampf um Leben und Tod.
Die von einem Geburtstrauma erzeugte Spannung kann derartig katastrophal sein, daß ansonsten effektive psychische Funktionen aussetzen, wie das beim kindlichen Autismus der Fall ist. Das Syndrom des infantilen Autismus gibt Fachleuten Rätsel auf, denn sie haben weder organische Hirnschädigungen festgestellt, die für die totale Unfähigkeit des Kindes, mit der Umwelt Kontakt aufzunehmen, verantwortlich sein könnten, noch haben sie herausgefunden, daß eine bestimmte, psychisch schädliche Umwelt einen der Hauptgründe für die Krankheit bildet. Mehr noch, in Familien mit autistischen Kindern sind andere Geschwister häufig sehr gut angepaßt. Man sollte eigentlich annehmen, daß eine häusliche Umgebung, die derart schrecklich ist, daß sie kindlichen Autismus hervorbringt, auch die anderen Geschwister nachteilig beeinflußt.
Die besagten Fachleute haben vielleicht übersehen, daß eine niederschmetternde Geburtserfahrung das Kind tief in den Urschmerz tauchen und es lebensunfähig machen kann. Das heißt, das Kind leidet beständig unter einem massiven Schmerz, ist jedoch nicht in der Lage, ihn zu verstehen oder in Begriffe zu kleiden. Es ist so tief in seinem Trauma gefangen, daß es sich nicht daraus zu retten vermag. Es muß dieses Trauma unter der Anleitung eines Fachmanns der Primärtherapie in kleinen abgewogenen Dosen wieder erleben.
Im Journal of the American Medical Association [Zeitschrift der amerikanischen Gesellschaft für Medizin] schreibt ein Forscher: »Die Gefahren, denen der Fötus ausgesetzt ist, erreichen während der Geburtswehen ihren Höhepunkt. Die Geburt ist die gefährlichste Erfahrung, die den meisten Menschen jemals widerfährt. Der Geburtsvorgang ist selbst unter optimalen, kontrollierten Bedingungen ein traumatisches, potentiell vernichtendes Ereignis für den Fötus.«*
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Towbin fährt fort: »Hirnschädigungen, die sich bei der Geburt zeigen, treten häufig im verborgenen auf, nicht selten in der Zeit vor der Niederkunft.« Das soll heißen, es kommt häufiger, als wir vermuten, zu heimtückischen Hirnschädigungen aufgrund von gefährlichen (weil nach meiner Meinung neurotischen) Geburtsabläufen. Towbin ist der Auffassung, daß einer der Hauptgründe für solche Schädigungen in der Hypoxie, das heißt in mangelnder Sauerstoffzufuhr zu suchen ist.**
Bei wissenschaftlich ausgewerteten Autopsien von Frühgeborenen sind in vielen Fällen verborgene Verletzungen der tieferliegenden Gehirnbereiche festgestellt worden. Wie Towbin betont, kann Sauerstoffmangel zunächst nicht erkennbare Schädigungen nach sich ziehen, die erst später, wenn Belastungen hinzutreten, ans Tageslicht kommen; die Art der Schädigung, so Towbin, richtet sich danach, welche Gehirnzellen bei der Geburt in Mitleidenschaft gezogen wurden. Spätfolgen können sich als Sprachstörungen, emotionale Unausgeglichenheit oder als Unfähigkeit zu abstraktem Denken äußern.
Auf einer 1971 veranstalteten Tagung der Society of Neuroscience [Gesellschaft für Neurologie] berichtete die in Los Angeles ansässige Psychologin Virginia Johnson über ihre Untersuchungen, die unter anderem die Analyse von insgesamt mehr als 25.000 Stunden dauernden Interviews umfaßten. Danach konnten sich Patienten unter dem Einfluß des Rauschmittels Methylphenidate noch an Erfahrungen aus den ersten Lebenswochen erinnern. Solche Erinnerungen sind nach den Worten von Virginia Johnson häufig mit neurotischen Symptomen im späteren Lebensalter verbunden. Die Psychologin ist der Ansicht, daß einige der erinnerten Früherfahrungen schizophrenogen sind, das heißt eine Schizophrenie nach sich ziehen können, und folglich mitwirkende Faktoren bei der Entwicklung einer späteren Psychose darstellen. »Die am häufigsten mit späteren Symptomen der Schizophrenie in Verbindung stehenden frühen Lebenserfahrungen hatten offensichtlich mit tiefgreifenden oder umfassenden Veränderungen des Bewußtseinszustandes kurz vor oder nach der Geburt zu tun.«*
* Abraham Towbin, >Organic Causes of Minimal Brain Dysfunctions in: Journal of the American Medical Association 217, Nr. 9, 30. August 1971, S. 1213.
** Towbin schreibt auf S. 1213: »Es drängt sich die Schlußfolgerung auf, daß auf Sauerstoffmangel zurückzuführende geringfügige Schädigungen, die beim Fötus und beim Neugeborenen auftreten, verantwortlich sind für das spätere Auftreten von geringfügigen Formen klinischer Unzulänglichkeit, für verschiedene subtile Formen leichter Störungen der Zentralnervensystem-Funktionen.«
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Virginia Johnson fand heraus, daß spezifische Verhaltensmuster, wie sie sich bei Schizophrenen zeigen, durch die Art des Urtraumas bestimmt sind, »weil die während eines dieser Bewußtseinszustände erfahrene Desorganisation sich dem Gedächtnis einprägt und mithin unter entsprechenden Bedingungen erinnert werden kann«. Diese entsprechenden Bedingungen stellen sich nach meiner Meinung in der Primärtherapie ein. Wir können dem Bericht von Virginia Johnson entnehmen, daß es eine große Zahl verschiedener schizophrenogener Traumata gibt, welche die Form und die Qualität der späteren Psychose festlegen, und daß man – wie auch wir meinen – von der Psychose nicht als einer monolithischen Einheit sprechen kann, sondern sich klar machen muß, daß es sich dabei um eine vielgestaltige Krankheitsform handelt.
Nach der Ansicht von Virginia Johnson sind zum Beispiel auditive [dem Gehörsinn zugehörige] Halluzinationen auf bestimmte pränatale [vor der Geburt liegende] auditive Erfahrungen des Fötus zurückzuführen. Während der ersten Schwangerschaftswochen kann nach Virginia Johnson der Fötus Gehöreindrücke empfangen, Eindrücke, die anschließend Bestandteil eines schizophrenen Prozesses werden können. Nach meiner Ansicht ist dies nur möglich, wenn die auditive Erfahrung traumatisch ist, wie etwa ein Gewehrschuß in der Nähe einer schwangeren Frau, ein Fallbeispiel, das ich an früherer Stelle dieses Buches geschildert habe. Ein solches Trauma im Gehörbereich (dazu viele andere im späteren Leben) kann zunächst abgespalten werden, aber dann beim »Hören von Stimmen«, einem häufigen Symptom bei Schizophrenen, eine Rolle spielen.
Die dauerhaften und heimtückischen Spätschäden des Geburtstraumas sind 1972 im American Journal of Obstetrics and Gynecology [Amerikanische Zeitschrift für Geburtshilfe und Frauenheilkunde] dokumentarisch dargestellt worden. Eine Gruppe von Medizinern aus Indianapolis verglich die Geburtsprotokolle von 1698 Kindern mit ihren späteren Schulleistungen sowie mit anderen Angaben über ihre körperliche und psychische Anpassung im Alter von neun Jahren. Ein Viertel der in Steißlage geborenen Kinder war bis zum Alter von neun Jahren in der Schule mindestens einmal sitzengeblieben; jedes fünfte Kind bedurfte heilgymnastischer Übungen.
* Virginia Johnson, >Does Schizophrenia Get Its Start Early in Life?<, in: Science News 102, Nr. 17, 21. Oktober 1972, S. 263.
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Ein weiteres Beispiel. Kürzlich kam eine Frau in die Therapie, die ihr Leben lang unter »Schmerzen und Druck im Kopf« – so ihre Worte – gelitten hatte. Im zweiten Monat der Behandlung erlebte sie ein von mir überwachtes Geburtsprimal. Zweieinhalb Stunden lang lag sie zusammengerollt wie eine Kugel auf dem Boden, spuckte Schleim aus und schlug mit ihrem Kopf gegen die (gepolsterte) Wand. Die Kopfbewegungen vollführte sie sichtlich ohne willentliche Kontrolle und gleichsam automatisch; es erscheint zweifelhaft, ob irgendein Mensch imstande ist, zwei Stunden und länger seinen Kopf gegen die Wand zu schlagen, ohne sich völlig zu verausgaben. Unaufhörlich verdrehte und verrenkte sie ihren Kopf. Später erklärte sie, sie habe »versucht, herauszukommen«.
Tage darauf fiel ihr ein, daß ihre Geburt ungewöhnlich lange gedauert hatte. Das Trauma erwies sich als Prototyp eines spezifischen Reaktionsmusters, das heißt, bei jeder späteren Streßsituation bekam sie »Schmerzen und Druck im Kopf«. Weder sie noch ich hätten jemals den Ursprung ihrer Kopfschmerzen erahnen können. Wollten wir versuchen, ihre Symptome mit Hilfe der konventionellen analytischen, Theorie zu verstehen, würden wir vermutlich auf Schuldgefühle schließen, die die Patientin darüber empfand, weil sie ihrer kranken Mutter nicht genug geholfen hatte, oder auf verdrängte Wut gegen ihren Vater usw. — und das könnte alles zutreffen. Doch keiner dieser Erklärungsversuche könnte verständlich machen, wie Schuldgefühle oder Wut sich in Kopfschmerzen verwandeln, die die Patientin tagelang das Bett hüten ließen.
Nach meiner Beobachtung entspricht die Schwere von Symptomen gewöhnlich der Schwere des Traumas. Einige Aspirintabletten mögen Schuldgefühle oder Wut ein wenig lindern, doch sie sind gegenüber dem Druck des Geburtstraumas wirkungslos.
Es scheint, daß der Organismus während einer traumatischen Geburt geradezu aufgespalten wird (die volle Gefühlsfähigkeit verliert) und daß weitere psychische Traumata diesen Spalt lediglich vergrößern. Mit anderen Worten, der Kern der Neurose wird bei den Menschen, die ein Geburtstrauma durchgemacht haben, mit der Geburt selbst gelegt. In diesem Zusammenhang möchte ich hinzufügen, daß es in einer neurotischen Welt mit neurotischen Müttern äußerst schwierig ist, traumatische Geburten zu verhindern.
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Wenn der Organismus sich bei der Geburt aufspaltet, hat die Persönlichkeit des Betroffenen anschließend etwas Lebloses, »Totes«. Die meisten gleichsam leblosen Patienten erleben häufig zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Therapie ein schweres Geburtsprimal. Wir können uns diese Leblosigkeit so erklären, daß dem betroffenen Menschen keine Zeit vergönnt war, ganz er selbst zu sein und Gefühle zu empfinden.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, daß wir bei der Betrachtung des Verhaltens und der Symptomatik von Kindern sozusagen einen Bezugspunkt haben – eine Stelle, von der aus wir Gründe und Ursprünge von Störungen ausmachen können. Spätere Belastung konzentriert sich auf das Gebiet des ursprünglichen Schmerzes, als kehrte der Körper bei jeder Streßsituation zu seinem ersten katastrophalen Erlebnis zurück, um sich so selbst wieder in Ordnung zu bringen. Da zeigt sich das Wunder der menschlichen Existenz! Der Körper kann in der Zeit um fünfzig Jahre zurückeilen, um ein Trauma ungeschehen zu machen, das sich damals ereignete. Ungeschehen machen ist der richtige Ausdruck, denn nach durchgemachten Urerlebnissen verändern Patienten nicht nur ihr Verhalten, sondern es kommt auch zu tiefgreifenden Veränderungen in ihrem Organsystem, etwa bei der Hormonsekretion.
Kehren wir zu einem früheren Beispiel einer Spätgeburt zurück und führen wir uns vor Augen, wie das Herausfallen aus dem natürlichen Rhythmus während der Geburt späteres Verhalten beeinträchtigt. Das Geburtstrauma bedeutet zunächst, daß das Neugeborene sich den Bedürfnissen seiner Mutter zu unterwerfen oder sich ihnen zu »fügen« hat. Dieses Sich-Fügen im Mutterleib ist eine Lebenserfahrung – eine Beziehung –, die in jeder Hinsicht genauso bedeutsam ist, als wenn die Mutter ihr Kind später ausschimpft oder ihm Betragen beibringt. Die Erfahrung im Mutterleib ist der Prototyp eines gefügigen Verhaltens. Daneben gibt es noch weitere Faktoren. Wenn das Neugeborene sich während der Geburt heftig bewegt und sich aggressiv ins Freie drängt anstatt sich »hinzugeben« und sich zu fügen, dann liegt dem späteren Verhalten ein anderer Prototyp zugrunde, das heißt, das Kind wird in späteren Lebensjahren unter ähnlichen Bedingungen des Eingeschränktwerdens durch die Mutter ein aggressives Verhalten an den Tag legen.
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Zwischen dem Geburtstrauma und späteren Verhalten in der Kindheit besteht augenscheinlich kein eindeutiger Kausalzusammenhang. Verhalten wird durch viele Erfahrungen geprägt. Doch wenn die Geburt eines Kindes sich nicht im natürlichen Rhythmus vollzieht und wenn es intellektuelle Eltern hat, die großen Wert auf gewandtes Sprechen legen, dann kann sich die früh erlebte Disharmonie im Sprechverhalten niederschlagen und zu Sprachstörungen wie Stottern führen. Eine unzulässige Schlußfolgerung? Man sollte sich daran erinnern, daß jede Erfahrung bewahrt wird und daß diese Erfahrungen einen ständigen Einfluß auf uns ausüben. Ist der frühe Einfluß stark (wie beim Geburtstrauma), dann wirkt er sich auch auf das spätere Verhalten stark aus. Der Einfluß ist nicht nur quantitativer, sondern auch qualitativer Natur. Das heißt, er besitzt ein gewisses Maß an Wirkung auf das spätere Verhalten, hat darüber hinaus aber auch eine bestimmte richtungsweisende Qualität, die die Art des Verhaltens festlegt; so kann zum Beispiel eine zäh verlaufende Geburt zu einer zähflüssigen Sprechweise führen.
Fügsamkeit während der Geburt hat nicht automatisch Fügsamkeit des Kindes im späteren Lebensalter zur Folge. Doch wenn seine Eltern es ständig einschränken und kontrollieren, wenn sie sich bei allem, was es tut, ständig ängstlich fragen: »Was werden die Nachbarn davon halten?«, wenn das Kind sich den Stimmungen und Launen seines Vaters unterwerfen muß, dann häuft sich eine Erfahrungslast an, die geeignet ist, gefügiges Verhalten auszuprägen.
Bei der Spätgeburt sind noch weitere Aspekte zu beachten. Viele unserer Patienten, die ungewöhnlich langwierige Geburtswehen durchgemacht haben, ließen Ähnlichkeiten in bestimmten Bereichen ihrer Persönlichkeit erkennen. Und zwar im Hinblick auf Warten. Da sie während der Geburt gezwungen waren, lange zu warten, konnten viele der genannten Patienten es nicht ertragen, warten zu müssen. Die Eltern dieser Patienten gaben gewöhnlich den Wünschen und Forderungen ihrer Kinder nicht nach. Ihre ablehnende Haltung und ihre Unentschlossenheit – ihr »Später« als Antwort auf Forderungen ihrer Kinder – ließ in den Patienten das Gefühl entstehen, daß sie nichts bekämen, wenn es nicht »jetzt« geschehe. Ihre ungeheure Ungeduld war das Ergebnis des lebensbedrohlichen Wartens während der 30 bis 50 Stunden dauernden Wehen; hinzu kam das Verhalten der Eltern in den ersten Lebensjahren. Einer der Patienten erklärte: »Ich habe immer impulsive Entschlüsse gefaßt, weil ich nicht warten konnte – das heißt, ich konnte es nicht ertragen, das frühe Warten wieder zu fühlen; so heiratete ich das erste Mädchen, das mir begegnete, mietete die erste Wohnung, die ich mir ansah.«
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Seine Mutter ließ ihn auf das Leben warten und anschließend ließ sie ihn auf alles Erfreuliche warten. Sie schien der Auffassung zu sein, der Aufschub von Lust forme den Charakter. Was dabei herauskam, war ein rastloser und impulsiver Erwachsener.
Ich messe dem prototypischen Trauma deshalb so viel Gewicht bei, weil es das Reaktionsmuster des Kleinkindes ausbildet und seine Persönlichkeit mit formt. Und weil es sich nicht in Übereinstimmung mit den Wünschen seiner Eltern verhält (entweder ist es zu sprunghaft und zu unruhig oder nach Meinung eines aggressiven Vaters zu schwach und zu passiv), erfährt es bereits sehr früh im Leben Ablehnung, eine Erfahrung, die seine Schwierigkeiten noch verstärkt. Seine Geschwister zum Beispiel, die eine leichtere Geburt hatten (weil spätere Kinder mit geringerer Wahrscheinlichkeit längere Geburtswehen erdulden müssen), können durchaus weniger krampfanfällig, weniger anspruchsvoll und reizbar sein und mithin auf mehr Geduld und Freundlichkeit ihrer Eltern rechnen. Falls beispielsweise ein Elternteil ein kraftvolles Kind wünscht, wird es enttäuscht sein, wenn eine traumatische Geburt das Kind in seiner körperlichen Verfassung beeinträchtigt. Diese Zusammenhänge wollen wir ausführlicher untersuchen.
Die im Körpersystem gespeicherte Rhythmusstörung (einer dem natürlichen Rhythmus nicht entsprechenden Geburt) kann beim Kind auch zu ruckartigen, unkoordinierten Bewegungen oder zu einem stockenden Gang führen. Dergleichen kann eintreten, wenn die Eltern vom Kind frühzeitiges Gehen oder Werfen erwarten. Das heißt, wenn Eltern erneut ein aus dem Rhythmus fallendes Verhalten provozieren, indem sie das Kind zwingen, körperliche Tätigkeiten auszuführen, noch ehe die dazu notwendigen körperlichen und neurologischen Prozesse abgeschlossen sind; dann wiederbeleben sie die frühe Rhythmusstörung, mit dem Ergebnis, daß die körperliche Koordination beeinträchtigt wird. Ein »komischer« Gang ist ein Zeichen der Unfähigkeit des Gesamtsystems zum reibungslosen Funktionsablauf — das heißt, eines Systems, das frühe Erfahrungen nicht angemessen integrieren konnte. Hohes, näselndes, stotterndes Sprechen ist ein weiterer Hinweis auf mangelhafte physiologische Einheit. Das gleiche gilt für verzerrte Gesichtszüge und schließlich auch für uneinheitliches Körperwachstum, das sich etwa darin äußert, daß der Rumpf zu lang ist für die Beine oder die Beine zu lang sind für den Rumpf usw. Rhythmusgestörtheit ist etwas Angelerntes wie alles, was man in späteren Lebensjahren lernen mag.
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Eine schwierige Geburt erteilt dem Kind die »Lehre«, daß das Leben ein Kampf ist, daß man hilflos ist, daß im Leben Gefahren drohen usw. Diese Lektionen sind Wirkungsfaktoren, sie bilden die Matrix, das Grundmuster künftigen Lernens; wenn ein Mensch beispielsweise später einer Philosophie anhängt, die die Notwendigkeit des Kampfes als sine qua non, als unaufhebbare Bedingung des Lebens postuliert, dann kann man davon ausgehen, daß dabei komplexe, weit in die Individualgeschichte des Betreffenden zurückreichende Faktoren im Spiel sind, Faktoren, die zur Entwicklung einer solchen Ideologie beitragen. Zu versuchen, jemandem einen »irrationalen« Gedanken auszureden, ist gleichbedeutend mit dem Versuch, ihm seine persönliche Geschichte auszureden.
Ich möchte noch einige weitere Beispiele für die Auswirkungen des prototypischen Geburtstraumas anführen, um die weitreichenden Folgen eines einzelnen Traumas zu verdeutlichen und die das ganze Leben beeinflussenden Konsequenzen eines frühen Geschehens hervorzuheben. Die Beispiele entstammen den Urerlebnissen von Patienten. Mehrere Patienten blieben länger im Mutterleib, weil der Arzt zu spät im Krankenhaus eintraf. Von ihren Geburtsprimals her wird verständlich, daß sie aufgrund des von der Geburt herrührenden Wunsches nach Befreiung aus der Gefangenschaft zeit ihres Lebens ständig »auf dem Sprung« gewesen waren. Eine unserer Patientinnen kam schließlich an die Wut über das »Zurückgehaltenwerden« heran und erklärte, sie habe bei der Geburt »aufgegeben« und anschließend auf die Preßbewegungen während der Wehen mit Resignation reagiert. Nach dem Geburtsprimal konnte sie ihre Wut empfinden und äußern; das heißt, sie war endlich in der Lage, ihre »passive« Einstellung deutlich zu ändern.
Eine Patientin erklärte mir wiederholt, seit ihrer Jugend sei Selbstmord für sie ein »erstrebenswertes Ziel« gewesen. Unter Belastungen wollte sie sich umbringen, wie andere in ähnlichen Situationen den Wunsch verspüren zu essen. Die Patientin hatte schließlich ein Geburtsprimal, das sie für Stunden mit einem marternden Schmerz erfüllte und bei dem sie den Tod herbeisehnte, um die Höllenqualen zu beenden. Nach dem Primal wurde ihr klar, daß alle späteren Streßsituationen den bei der Geburt geweckten Todeswunsch wiederbelebten. Sobald sie aus der Fassung geriet, kam ihr der Gedanke an Selbstmord, eine prototypische Reaktion, die mit dem Eintritt ins Leben ihren Anfang genommen hatte.
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Es mag sein, daß es sich bei dem von Freud beschriebenen »Todestrieb« einfach um diese »Todeswunsch«-Reaktion handelt, die sich bei vielen Neurotikern einstellt, sobald sie in belastende Situationen geraten. Doch der Todestrieb ist nicht genetisch verankert oder angeboren; er ist vielmehr die Reaktion eines Kleinkindes, das absolut nichts unternehmen kann, um seinen marternden Schmerz bei der Geburt zu beenden.
Nach meiner Beobachtung denken einige introvertierte Patienten unter Belastungen häufig an den Tod, andere niemals. Jene Patienten, die niemals an den Tod denken, sind die aktiven, die »Macher«, sind Menschen, die sich heftig abmühten, während der Geburt ins Freie zu gelangen; für sie bedeutet Nichtstun »Sterben«. Ihre Aktivität ist mithin Abwehr von Todeswünschen. Sie müssen sich ständig betätigen. Unter Streß neigen sie dazu, hart zu arbeiten; auf diese Weise gelingt es ihnen, ihre uranfänglichen Ängste tief im Innern verborgen zu halten. Es sind jene Menschen, die in angsterregenden Situationen gegenphobisch [Phobie: zwanghafte Angst vor bestimmten Gegenständen oder Situationen] handeln — sie stürzen sich in die Situationen hinein, verhalten sich tapfer und verleugnen ihre Angst.
Lebenserfahrungen verstärken diese Abwehrmechanismen häufig. Die Abwehr breitet sich aus und wird im Laufe der Zeit immer komplexer. So hatte zum Beispiel einer unserer Patienten ein Geburtsprimal, bei dem ihm deutlich wurde, warum er niemals Kompromisse eingehen oder »nachgeben« konnte. Er stammte aus einem Elternhaus, in dem niemand sich ihm gegenüber nachgiebig gezeigt hatte, in dem einmal gegebene Befehle und Anordnungen niemals geändert wurden. Doch diesen Erfahrungen ging ein Geburtstrauma voraus, bei dem Lockerlassen und Nachgeben (im Kampf) unbewußt Tod bedeutete. Der Patient mußte vorwärtsstürmen, um sozusagen seine Stellung zu behaupten, und konnte es sich nicht leisten, in seinen Bemühungen nachzulassen.
Wenn ein Patient später in der Primärtherapie an diese frühen Todesgefühle herankommt, ist er auf besondere Hilfe angewiesen, denn er wird alle seine Abwehrmechanismen in Gang setzen, um diese Gefühle von sich fernzuhalten – indem er sich weiterhin übereifrig zeigt, behauptet, solche Gefühle habe er nicht, usw. Für den Patienten ist diese Phase der Behandlung eine gefährliche Zeit, denn wenn jene fürchterlichen Schmerzen sich verstärken, hat er das Gefühl, verrückt zu werden, und das heißt, daß in seinem Innern mehr aufsteigt, als sein Verstand verkraften kann.
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Nicht primärtherapeutisch behandelte Menschen, die zu Marihuana oder LSD greifen, zu Rauschmitteln, die die Schmerzbarriere niederreißen und aus ihrem natürlichen Zusammenhang gerissene Geburtsschmerzen auftauchen lassen, verlieren häufig den Verstand. Der Schmerz reißt ihren Verstand gleichsam in Stücke, das Denken wird zusammenhangslos, inkohärent. Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß prototypische Abwehrmechanismen, die sich um das Geburtstrauma gebildet haben, die Persönlichkeit zementartig zusammenhalten. Die Abwehrmechanismen müssen vorsichtig abgebaut werden; man darf sie auf keinen Fall mit einem Schlag und insgesamt beseitigen. Wir erkennen, daß zusammenhangsloses Denken eine notwendige Abwehroperation darstellt; sie ist häufig bei Leuten anzutreffen, die wiederholt Rauschgift konsumieren. Sie dürfen nicht »alles zusammensetzen«, weil totales Begreifen und Verstehen mit Schmerzen verbunden sind.
Uns können mithin bestimmte präverbale Traumata widerfahren, von denen fortan ein beständiger Strom unbewußter Vorstellungen ausgeht; auf diesen frühen Erfahrungen basierendes Verhalten im späteren Lebensalter ist irrational, weil es sich nicht auf die gegenwärtige Realität gründet, sondern auf jene vergangenen Erlebnisse. Wenn etwa ein Mensch starrköpfig ist, sich auf keine Kompromisse einläßt, selbst wenn die gegenwärtige Situation es fordert, dann verhält er sich neurotisch; mit dem Verstand denkt er: »Ich bin ein Mensch mit Prinzipien«, doch die wahren Gründe für sein Verhalten sind in verschiedenen früheren Ereignissen zu suchen. Kurz, der Verstand entwickelt Begriffssysteme, die rationalisieren sollen, was der Körper nicht fühlen kann.
Neurotiker fechten in ihrem späteren Leben den Geburtskampf gleichsam neu aus, um damit fertig zu werden, zumindest in symbolischer Form. Viele von uns können zum Beispiel erst richtig arbeiten, wenn sie unter Druck stehen. Sie müssen unter starkem Termindruck stehen, um produktiv werden zu können. Einige unserer Patienten hatten Urerlebnisse, bei denen ihnen klar wurde, daß Arbeiten unter Druck ihnen die Möglichkeit gibt, das Geburtstrauma wiederzubeleben, das heißt, wieder unter dem schrecklichen Druck zu stehen, ins Freie zu gelangen; ihnen ging auf, daß die Mühsal in jener Situation, nämlich bei der Geburt, notwendig war, um überhaupt leben zu können. Im späteren Leben externalisierten sie diesen Druck, verlegten ihn nach draußen, und behaupteten, daß an sie viele Forderungen gestellt würden, um auf diese Weise irgendwie mit dem Druck zurande zu kommen.
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Solche Menschen wollen fünf Dinge auf einmal tun, um unbewußt jenen (frühen) Druckzustand aufrechterhalten zu können. Sie fühlen sich ständig »unter Druck«, sind aber nicht in der Lage anzugeben, woher dieses Gefühl stammt; sie müssen annehmen, der Druck komme von draußen.
Andere Patienten, die ganz ähnliche Geburtstraumata hatten, können keinen Druck ertragen, ohne sogleich zusammenzubrechen. Vielleicht war ihr Geburtskampf völlig umsonst, weil die Mutter (und damit indirekt das Baby) schließlich narkotisiert und das Kind aus dem Geburtskanal herausgezogen wurde. Sie »lernten«, daß Kampf zu nichts führt. Der »Druck« war zu stark, um dagegen angehen zu können. Wenn ein solches Kind später zur Universität geht, kann es geschehen, daß es in seinen Leistungen zurückfällt, sobald es zwei Aufgaben zur gleichen Zeit zu erfüllen hat. Um es zu wiederholen, das Geburtstrauma allein ruft solche Reaktionen nicht hervor. Das Geburtsgeschehen legt die Richtung künftiger Reaktionen fest. Eltern, die ihre Kinder ständig bedrängen, sich sauber zu halten, zu lernen, Antworten parat zu haben usw., verstärken damit die drückende Last des Geburtstraumas. Als Erwachsene können die Kinder dann Druck nicht ertragen, weil bereits zuviel auf ihnen lastet.
Andere Beispiele für traumatisierende Geburtserlebnisse sind Fälle, in denen die Mütter ihr Kind nicht schnell genug loswerden können. Solche Mütter veranlassen den Arzt, die Wehen vorzeitig einzuleiten, weil irgend jemand ihnen erzählt hat, die Geburt solle an einem bestimmten Tag stattfinden; sie werden ängstlich, wenn der gesetzte Zeitpunkt verstreicht und das Kind sich noch in ihrem Leib befindet. Eine Anzahl von Patienten haben dieses Trauma in der Primärtherapie wiedererlebt, ein Trauma, das darin besteht, zu schnell in die Welt befördert zu werden. Nach ihrem Urerlebnis wußten diese Patienten, warum sie es nicht ertragen konnten, zur Eile angetrieben zu werden. In der Kindheit fanden sie stets Gründe, eine Weile länger dort zu bleiben, wo sie gerade waren, wenn ihre Mütter sie zum Essen riefen. Sie waren bei der Geburt zur Eile angetrieben worden, und niemand sollte ihnen das erneut antun.
Auch in unseren Träumen beleben wir ständig unsere Geburtstraumata wieder. Häufig wiederkehrende Träume zum Thema Ersticken können bedeuten, daß ungelöste traumatische Eindrücke während der Geburt fortwährend Zugang zum Bewußtsein suchen.
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Jene traumatischen Eindrücke und die daher stammenden Symbole sind dem Körpersystem für das ganze Leben lang sozusagen »eingeprägt«. Einer unserer Patienten träumte jede Nacht, er sei in ein rosafarbenes Gefängnis eingesperrt und werde von seiner viel zu engen Häftlingskleidung erstickt; der Alptraum verschwand, als er den wahren Alptraum wiedererlebte — seine Geburt. Häufig wiederkehrende Träume geben uns Einblick in das Wesen der Neurose, denn wir können an ihnen erkennen, wie sich vergangene Erfahrungen für immer in unserem Nervensystem niedergeschlagen haben, Erfahrungen, die ständig nach neuerlicher Symbolisierung jener verborgenen Schmerzen verlangen. Neurose heißt: ständiges unangemessenes Symbolverhalten, mit dem der Organismus auf seine Vergangenheit statt auf seine Gegenwart reagiert.
Hier der Bericht eines primärtherapeutisch behandelten Patienten über sein Geburtstrauma, Strangulierung durch die Nabelschnur, und die sein ganzes Leben beeinflussenden Folgen.
»So weit ich zurückdenken kann, standen hinter dem ausagierenden Verhalten, das auf mein Geburtstrauma zurückzuführen war, immer Angst, Hilflosigkeit und innere Leere. Ich neigte immer zur Ängstlichkeit, vor allem in Gegenwart anderer, und ich glaube heute, daß die tiefste Quelle dieser Ängstlichkeit in dem Gefühl von Panik und Schrecken liegt, das ich bei der Strangulierung im Uterus empfand. In der Vergangenheit war ich zuzeiten in der Lage, die Angst für eine Weile zu unterdrücken.
Das Geburtsprimal, das ich zur Zeit wiederholt durchmache, besteht vor allem im Hochziehen meiner Schultern, so als wolle ich meinen Kopf und meinen Körper so nahe zusammenbringen wie möglich, während sich mein Rücken gleichzeitig zusammenkrümmt, so weit es irgend geht. Dadurch sind Rücken und Kopf einem starken Druck ausgesetzt. Im Grunde ist das noch kein vollständiges Urerlebnis, sondern ein Vor-Urerlebnis, denn ich kann meine Umgebung noch wahrnehmen. Mein Kopf bewegt sich außerdem nach links. Das Zusammenkrümmen dauert an, bis ich keinen Sauerstoff mehr bekomme. Mein Mund ist während der Bewegung verschlossen, zu einer Grimasse verzerrt.
Kürzlich hatte ich Geburtsprimals, bei denen ich gurgelnde Geräusche von mir gab. Das geschieht dann, wenn ich meine Schultern hochziehe, der Rücken aber noch nicht gekrümmt ist. Während dieser Urerlebnisse scheine ich zu versuchen, den Mund zu öffnen,
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doch ohne großen Erfolg. Ich unterbreche diese Urerlebnisse durch Schreien, dabei presse ich manchmal Luft durch meine Luftröhre, als wollte ich dadurch versuchen, sie zu öffnen, doch auch das nutzt nicht viel.
Bei früheren Primais lag ich auf dem Rücken, die Arme über mir, in der Stellung eines Fötus, wurde von Angst geschüttelt und schrie. Diese Primais zogen sich über sechs Monate hin, sie nahmen ständig an Intensität zu. Eine Zeitlang hatte ich auch Primais, bei denen ich einfach auf dem Rücken lag, in einem Zustand von Muskelstarre, und zitterte. Das Zittern begann am Kinn und im Nacken und breitete sich allmählich über den Körper aus. Während dieser Urerlebnisse, die über fünf Monate andauerten, preßte ich Kopf und Körper so eng aneinander wie nur möglich.
Ich glaube, daß die mit Angst einhergehenden Primais und die von Muskelstarre begleiteten Primais zwei hartnäckige Abwehrfronten darstellen, die schließlich zusammenbrachen, und erst dann war ich in der Lage, mich tatsächlich so zu bewegen, wie ich es tat, als ich von der Nabelschnur stranguliert wurde. Ich muß dieses Erlebnis jetzt allerdings noch mit seiner vollen Intensität durchmachen. Ich war immer ziemlich labil und leicht zu manipulieren (ein Verhalten, das meine Mutter voll für sich ausnutzte). Diese Neigung zur Hilflosigkeit, die zusammenhängt mit jener Hilflosigkeit während der Strangulierung, die ich unterdrückte und gegen die ich agierte, äußert sich unter anderem dadurch, daß ich mich ruhig verhalte, vor allem wenn ich ängstlich bin. Ich glaube, die Schwierigkeit, die es mir bereitete, in der Nachbehandlungsgruppe und anderswo meinen Mund aufzumachen, rührt von der Schwierigkeit – vielleicht der Unfähigkeit – her, meinen Mund zu öffnen und zu schreien, als ich stranguliert wurde.
In mir war auch eine unterschwellige Trägheit, ein Mangel an emotionaler Reaktionsbereitschaft, der auf die Gefühlsunterdrückung zurückgeht, zu der ich durch das Geburtstrauma gezwungen worden war. Die ersten drei Wochen der primärtherapeutischen Einzelbehandlung lockerten meine Abwehr wie niemals zuvor, und anschließend zeigte sich meine innere Leere und Kälte deutlicher, als dies je zuvor der Fall gewesen war.
Fast alles Krankhafte an meinem Verhalten läßt sich tatsächlich zu einem erheblichen Teil auf mein Geburtstrauma zurückführen. So erklärt sich meine überintellektuelle Einstellung gegenüber dem Leben, die früher viel ausgeprägter war als heute, durch die Gefühlsunterdrückung im Mutterleib.
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Meine Schwierigkeiten in Beziehung zu Leuten haben ebenfalls dort ihren Ursprung. Schließlich auch mein oberflächliches und wahlloses Sexualverhalten.
Ich hatte immer Angst davor, unter Wasser zu schwimmen, und vor einigen Jahren überfiel mich bei dem Versuch, mit einem Atemgerät zu tauchen, eine solche Angst, daß ich es aufgeben mußte. Das hat offensichtlich mit der Erfahrung zu tun, eingesperrt zu sein und zu ersticken. Auch meine Angst, in Höhlen hineinzugehen, vor allem wenn es dort nur wenig Licht gibt, stammt daher. Ich hatte auch Angst vor engen Beziehungen, weil ich befürchtete, eingesperrt und überwacht zu werden. Dies hat zum Teil damit zu tun, daß meine Mutter mich manipulierte, einschränkte und überwachte. Doch was mit mir im Mutterleib geschah, ist ein früherer Erfahrungsprototyp.
Kürzlich, als ich in einem Primal den Rücken krümmte, kam mir auch die Erkenntnis, daß die Schwäche, die ich im Kreuz verspürte, ihre Ursache in meinem Geburtstrauma hat. Gewöhnlich bereitet mir diese Schwäche keinerlei Schwierigkeiten. Sie zeigt sich erst, wenn ich mich eine Zeitlang nach vom beuge. Als ich beispielsweise auf der höheren Schule Eishockey spielte, ein Sport, bei dem man sich häufig nach vorn beugen muß, um den Schläger richtig einsetzen zu können, hatte ich derart starke Rückenschmerzen, daß ich eine Art Korsett tragen mußte, um meinen Rücken zu stärken. Ich hatte auch immer eine schlechte Körperhaltung, das Kreuz zu weit nach vorn geneigt, das Gesäß zu weit rausragend.
Diese Körperhaltung kam noch deutlicher zum Vorschein bei Urerlebnissen, die mich veranlaßten, den Rücken bogenförmig zu krümmen. Sie hat offensichtlich mit der Haltung im Mutterleib zu tun.«
Geburt ist für einige Patienten die Ursituation der »Trennungsangst« (im Sinne von Otto Rank). Ein Trennungstrauma entsteht dann, wenn das Kind nicht gleich nach der Geburt auf den Arm genommen und gewärmt wird; es ist traumatisierend, ganz allein, verängstigt und mit Gefühlen des Unbehagens in die Welt entlassen zu werden. Spätere Trennungen von geliebten Menschen können dann die klassische Trennungsangst hervorrufen — die ursprüngliche.
Einer der Gründe, warum Neurotiker so schwer allein sein können, besteht darin, daß ihre erste Begegnung mit der Welt gekennzeichnet war von jenem katastrophalen Gefühl des Alleinseins, das von ihnen Besitz ergriff, als sie von der Mutter getrennt und allein und ohne Tröstung in ein Bett gesteckt wurden. Jeder Zustand des Alleinseins im späteren Leben kann dann begreiflicherweise diesen prototypischen Schmerz reaktivieren.
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Einige unserer Patienten erklärten, sie würden in der Nacht leicht durch Geräusche geweckt; andere wachen bei Licht auf. Einige klagen, sie seien äußerst empfindlich gegen Temperaturschwankungen; andere glauben, sie würden sehr schnell wach, wenn der Kohlendioxyd-Gehalt im Schlafzimmer infolge geschlossener Fenster ansteigt. Wir haben herausgefunden, daß solche Reaktionen sich auf prototypische Erfahrungen zurückführen lassen. Das heißt, wenn ein Neugeborenes bei der Geburt Atemschwierigkeiten hat, kann es in späteren Lebensjahren in einem ungelüfteten Raum schnell aufwachen. Aufgrund eines Schutzmechanismus (aufstehen und das Fenster öffnen) wacht der Betreffende schneller auf als andere, weil die geringfügige Änderung im Kohlendioxyd-Gehalt die prototypische Lebensbedrohung wieder akut werden läßt.
Wenn der erste Geburtsschock durch Licht verursacht wurde, kann der Betreffende in späteren Jahren empfindlich auf Licht reagieren, das in das Schlafzimmer dringt. Bemerkenswert ist, daß es sich dabei weitgehend um unbewußte Reaktionen handelt. Empfindlichkeit gegenüber Temperaturschwankungen während des Schlafs ist die Folge einer mit entsprechenden Erfahrungen angefüllten Lebensgeschichte, die die körperliche Konstitution und den Gesamtstoffwechsel der jeweiligen Person beeinflußt hat. Solche Reaktionen unterscheiden sich nicht von unbewußten Empfindlichkeiten gegenüber gewissen Dingen, die während des Wachlebens alte Schmerzzustände neu beleben.
Einer unserer Patienten, der durch einen Kaiserschnitt zur Welt gekommen war, hatte nach einem Geburtsprimal das Gefühl, er könne keine Sache anfangen, weil er an seinem Lebensanfang nicht beteiligt gewesen war. Er verbrachte sein Leben damit zu warten, daß andere seine Angelegenheiten für ihn erledigten.
Zusammenpressen bei der Geburt stellt den ersten »körperlichen« Umgang der Mutter mit ihrem Kind dar. Aufgrund von »Dämmerzuständen« schwach ausfallende Geburtskontraktionen bilden einen schlechten »Start« für Körperprozesse und lassen energisches, tiefes, das Körpersystem belebendes Durchatmen nicht zu.
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Kommt noch hinzu, daß die Mutter anschließend ihrem Kind körperliche Stimulierung vorenthält, dann haben wir die Elemente einer möglichen Disposition für spätere Atmungsstörungen beisammen. Nach meiner Auffassung sind die Körpersysteme den Muskeln vergleichbar —: wenn sie nicht voll in Anspruch genommen werden, müssen sie verkümmern.
Wie wir sehen, haben Traumata verschiedene Auswirkungen, die abhängig sind vom Organismus und der Art und Weise, wie er mit traumatischen Erfahrungen umgeht, wie er sie verarbeitet. Hier ein letztes Beispiel, das den entscheidenden Einfluß prototypischer Traumata auf das spätere Verhalten deutlich machen kann: Ein homosexueller Patient hatte nach monatelangen Urerlebnissen immer noch homosexuelle Triebimpulse. Er hatte dann ein Geburtsprimal und fühlte dabei die gewaltigen Anstrengungen, die es ihm gekostet hatte, den Mutterleib zu verlassen. Nach dem Urerlebnis blieb ein Gefühl haften, das sich in den Gedanken äußerte: »Mammi war nicht für mich da. Sie hat mir nicht geholfen.« Dieses anfängliche Gefühl verstärkte sich später, als seine Mutter tatsächlich, aufgrund ihrer neurotischen Störung, niemals für ihn da war. Der Patient hatte einen passiv eingestellten Vater, von dem er vergeblich hoffte, er könne ihm etwas geben. Danach richtete der Patient seine Hoffnungen auf Männer und agierte sie homosexuell aus.
Das soll nicht bedeuten, daß Geburtstraumata Homosexualität hervorrufen. Doch das Geburtstrauma des besagten Patienten verstärkte in verheerender Weise den Einfluß, der vom späteren Verhalten der Mutter ausging, einer Mutter, die für ihr Kind nicht da war und ihm nicht einmal bei der Geburt geholfen hatte. Der Patient mußte alles allein tun. Das Ausmaß der vom Geburtstrauma ausgeübten Wirkung kann man auf zweierlei Weise messen — objektiv und subjektiv. Objektiv stellen wir nach Geburtsprimals eine signifikante Verringerung der Körpertemperatur fest — ein Zeichen für die Lösung der enormen Spannung. Subjektiv mag der Patient schließlich keinen Impuls zu homosexuellem Ausagieren mehr empfinden. Wir können mithin schlußfolgern, daß die starke Energie, die zum Ausagieren zwingt, wie etwa im Falle des besagten homosexuellen Patienten, zum Teil von einem Geburtstrauma herrührt, das erheblich zu der im Körper verbleibenden Spannungslast beitrug. Eine lesbische Patientin machte in der Therapie eine ähnliche Erfahrung. Während eines Primais hatte sie das Gefühl, eine ziemlich normale Geburt durchzumachen. Doch dann blieb sie Stunden lang ohne jeden Körperkontakt und empfand dabei schreckliche Angst.
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Bei ihren homosexuellen Betätigungen wollte sie sich immer an die anderen Frauen anpressen und ankuscheln. In ihrem Urerlebnis fand sie den Grund dafür heraus — es war ihr Bedürfnis, sich an ihre Mutter anzuschmiegen und in ihren Leib zurückzukehren, zu dem letzten sicheren Ort in ihrem Leben. Diese Beispiele sind sicherlich ein wenig weit hergeholt. Doch der Leser sollte nicht vergessen, daß sie von Patienten stammen, die ihre früheren Erfahrungen neu erlebt haben, und daß es sich nicht um Deutungen handelt, die auf der Phantasie einiger Therapeuten beruhen. Was die bisherigen Ausführungen besagen, läßt sich in einem Satz zusammenfassen: Ein guter Lebensanfang läßt das Kind fast alle späteren traumatischen Erlebnisse besser ertragen. Hingegen macht ein schwieriger, belastender Lebensanfang unerhört empfindlich und anfällig für spätere Ereignisse, die normalerweise als weniger schwerwiegend erlebt werden. Ein Kind kann unabhängig von Geburtstraumata eine ablehnende Mutter haben, und dennoch braucht die rückständige Spannung bei ihm nicht derart stark zu sein, daß es in die Homosexualität getrieben wird.
Um die obigen Darlegungen zu unterstreichen, möchte ich auf eine bemerkenswerte Untersuchung hinweisen, die der Direktor des Instituts für Psychologie in Kopenhagen, Sarnoff A. Mednick, durchgeführt hat. In der Fachzeitschrift Psychology Today* berichtet Mednick über eine großangelegte Reihenuntersuchung an 2000 dänischen Männern, die 1936 in Kopenhagen geboren worden waren. Von 16 Männern, die Gewaltverbrechen begangen hatten, »verlief bei 15 Männern die Geburt unter den denkbar schlimmsten Bedingungen... und der sechzehnte hatte eine epileptische Mutter.«
Dr. Mednick kommt zu der Schlußfolgerung: »Es ist durchaus möglich, daß wir Bedingungen auf der Spur sind, die impulsive Kriminalität begünstigen.«Ich möchte auf keinen Fall den enormen Einfluß der Eltern-Kind-Beziehungen auf die Entwicklung neurotischer Verhaltensweisen herunterspielen, sondern lediglich auf Faktoren hinweisen, die wir möglicherweise übersehen haben.
Das Forschungsteam von Dr. Mednick hat in einem großangelegten Projekt auch die Ursachen kindlicher Schizophrenie untersucht. Auch hier wiederum weist er darauf hin, daß Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt entscheidend zur Entwicklung psychischer Störungen beitragen können. Mednick untersuchte sowohl normale wie schizophrene Kinder.
* Psychology Today 4, Nr. 11, April 1971, S. 49.
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Bei beiden Gruppen von Kindern wurden zahlreiche Tests durchgeführt; so wurden unter anderem die Herzschlagfrequenz, die Muskelspannung, die Atmung und die galvanische Hautreaktion [Galvanisation: Anwendung des galvanischen Stroms zur Diagnostik] überprüft. Außerdem wurde bei jedem Kind der Bericht der Hebamme über die Geburt – in Dänemark gesetzlich vorgeschrieben – herangezogen. 70 Prozent der von der Untersuchung erfaßten psychisch gestörten Kinder hatten während der Schwangerschaft oder während der Geburt eine oder mehrere Komplikationen durchgemacht, darunter Anoxie [Sauerstoffmangel im Blut], Frühgeburt, langwierige Geburtswehen, Strangulierung durch die Nabelschnur, Steißgeburt usw. Dr. Mednick kommt zu dem Schluß: »(Dies) legt die Annahme nahe, daß Schwangerschafts- oder Geburts-Komplikationen die Fähigkeit des Körpers zur Regulierung der Streß-Reaktionsmechanismen beeinträchtigen.«*
Eine der auf Sauerstoffmangel am empfindlichsten reagierenden Gehirnstrukturen scheint der Hippocampus zu sein. Möglicherweise beeinträchtigt Sauerstoffmangel bei der Geburt die Fähigkeit des Hippocampus zur Ausschaltung von Schmerz**; die Folge kann sein, daß das Kind in frühem Lebensalter mit körperlichem wie psychischem Schmerz überschwemmt wird und den Schmerz nicht ausreichend unterdrücken kann. Dies ist ein höchst wichtiger Punkt, denn es könnte sein, daß Gehirnstrukturen, die bei der Schmerzverdrängung beteiligt sind, gegen Sauerstoffmangel bei der Geburt besonders empfindlich sind und dauerhaft geschädigt werden können, wenn es zu Sauerstoffmangel kommt. Das bedeutet, daß Kinder anschließend ständig durch Traumata, die andere Kinder ohne weiteres verdrängen können, überlastet werden ... wie es bei autistischen Kindern der Fall ist.
Eine geringfügige Schädigung des Hippocampus kann dazu führen, daß das Kind in ständiger Verwirrung lebt, leicht erregbar, schnell von Gefühlen überwältigt und gedanklich ablenkbar ist, weil es sich nicht für längere Zeit auf einen Gegenstand konzentrieren kann. Das heißt, es ist nicht in der Lage, unwichtige Reize abzuwehren und sich einer wichtigen Angelegenheit zu widmen.***
* Op. cit., S. 49.
** Die entscheidende Rolle des Hippocampus bei der Schmerzausschaltung habe ich ebenfalls in Anatomie der Neurose beschrieben.
*** Auf diesen Punkt weist auch Lowell Storms hin (laut Bericht in Psychology Today vom Oktober 1972, S. 72): »Storms ist der Ansicht, daß eine Störung der Fähigkeit zur Dämpfung von Nervenreaktionen zu einer übermäßig gesteigerten Gedanken- und Wahrnehmungsgeneralisierung führt, die ihrerseits charakteristische Denkstörungen der Schizophrenie zur Folge hat.« Die von Mandell und anderen vertretene Theorie legt den Schluß nahe, daß aufgrund eines Defektes der Adaptionsfähigkeit von Nervenzellen die Erregung von Nervenimpulsen nicht unterdrückt werden kann.
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Das kennzeichnende Merkmal der Neurose ist Überreaktion. Man kann auf eine Situation mit Überreaktion antworten, indem man die angemessene Handlung unterläßt, das heißt, man kann in einer Situation regungslos verharren, die normalerweise eine solch extreme Reaktion nicht hervorruft. Oder man kann hysterisch überreagieren. Häufig sind jedoch für Überreaktionen, ob körperliche oder gefühlsmäßige, Urschmerzen verantwortlich. So kann jemand auf einen kalten Raum übermäßig reagieren und etwa aufgrund des frühen Schocks infolge der Geburt in einem durchlüfteten Kreißsaal eine Allergie bekommen. Oder er mag auf eine Prüfung mit Angst reagieren, sich überwältigt und hilflos fühlen, weil der Prüfungsstreß die ursprünglichen Hilflosigkeitsgefühle während langwieriger Geburtswehen aktiviert. Überreaktion setzt sich zusammen aus der Reaktion auf eine gegenwärtige und eine vergangene Streßsituation. Zusammen rufen sie offensichtlich übertriebene, unrealistische Reaktionen hervor. Das Urerlebnis prägt Reaktionsmuster, lenkt Gedanken und trägt zur Fixierung von Symptomen bei. Daher ist es so wichtig, die frühen Determinanten unseres Verhaltens zu erkennen. »Anleitungs«-Bücher gehen auf solche Schwierigkeiten nicht ein; sie wollen uns beibringen, wie wir mit den Ergebnissen jener Determinanten umgehen können, und ermöglichen uns mithin lediglich ein Operieren an der Oberfläche von Erscheinungen, deren Wurzeln weit in die Tiefe reichen.
Die folgenden Seiten enthalten eine ziemlich ausführliche Darstellung der zahllosen verästelten Spätfolgen des Geburtstraumas. Sie veranschaulichen, wie unerhört komplex soziales Verhalten ist und wie ein frühes Trauma derart feinmaschig in die Persönlichkeit eingewoben wird, daß es sich nicht mehr von ihr unterscheiden läßt. Aus diesem Grunde hatten wir bislang solche Schwierigkeiten bei dem Versuch, spezifische Faktoren des Wachstumsprozesses, die der Persönlichkeitsentwicklung ihren Stempel geben, aus ihrem Kontext zu isolieren. Hier zeigt sich das Problem, daß Fachleute anstatt Patienten einzelne Faktoren isolieren und untersuchen. Ich würde mich nicht dazu versteigen, auch nur halb so viel Erklärungen über die Auswirkungen des Geburtstraumas abzugeben wie der Patient in dem nachfolgenden Bericht. Doch weil dieser Patient die Auswirkungen fühlte und sich nicht intellektualisierend über mögliche Folgen erging, war er in der Lage, einige erstaunliche Schlußfolgerungen aus seinen Urerlebnissen zu ziehen.
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Mehr noch, keine der Gedankenverbindungen oder Einsichten wurde ihm »suggeriert«; er hatte sie nicht in irgendeiner Schule gelernt. Er entdeckte sie in sich selbst, sozusagen in seinem Körper. Der Kampf um Leben und Tod wurde gleichsam einem naiven, unerfahrenen Organismus eingebläut, einem Organismus, dessen erste soziale Erfahrung darin bestand, stranguliert, erstickt zu werden, diese Erlebnisse gezwungenermaßen zu vergessen usw.
Einer unserer Patienten hatte eine ungewöhnlich lange Geburt durchgemacht. Er spürte den nahenden Tod (auch wenn er die schreckliche Angst nicht in Worte fassen konnte), denn er wurde von der Sauerstoffzufuhr abgeschnitten. So »mühte« er sich, ins Freie zu gelangen, um atmen zu können. Schließlich gelang es ihm, und er wurde für sein »Abmühen« belohnt: er bekam Luft. Doch die Vorstellung von »harter Arbeit« prägte sich ihm derart tief ein, daß sie seinen künftigen Lebensstil und seine philosophische Einstellung bestimmte. (»Man muß für alles, was man im Leben bekommt, hart arbeiten.«) Nach einem Urerlebnis ging ihm auf, daß nicht arbeiten für ihn den Tod bedeutete. Die Angst, die er verspürte, wenn er einmal nichts zu tun hatte, war die alte Urangst in einer Situation, wo es sein Tod gewesen wäre, wenn er nicht in jeder Minute gekämpft und sich abgemüht hätte. Er grüßte jedermann mit den Worten: »Viel zu tun? Laufen die Geschäfte?«, ohne sich richtig klarzumachen, was er damit zum Ausdruck brachte.
28. Oktober 1972
Vor einem Monat erfuhr ich. Sie hätten Ihre Patienten aufgefordert, Ihnen mitzuteilen, was sie bei ihren Geburtsgefühlen erfahren hätten, was sie über die Auswirkungen dieser Gefühle auf ihr späteres Leben wüßten usw. Obwohl ich selbst nach längerer primärtherapeutischer Behandlung den Mutterleib noch nicht verlassen habe (meine Lebensgeschichte), erscheint es mir doch wichtig. Ihnen etwas von mir zu erzählen. Bei ein oder zwei Gelegenheiten habe ich meine Mutter gebeten, mir, so gut sie sich erinnere, zu erzählen, was ihr (und mir) während der Geburt widerfahren sei; es schien mir wichtig, so viel wie möglich herauszufinden, solange sie noch am Leben war und es mir erzählen konnte.
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Vor allem hat es den Anschein, daß das, was mit mir im Mutterleib geschehen ist, mein ganzes Leben geprägt hat, ein Leben, das ich am besten beschreibe, indem ich sage (wie ich immer zu tun pflegte), daß ich es nie wieder erleben möchte, wenn ich die Wahl hätte.
Nach einem Urerlebnis in der vergangenen Nacht ist mir klar geworden, warum ich keinen Freund habe (meine neurotischen Freunde habe ich verloren und von der Primärtherapie her kenne ich auch keine Freunde — nicht einmal Bekannte): weil ich niemanden finden kann, der mich braucht; Beziehungen zu Freunden kann ich nur aufnehmen, wenn sie mich brauchen. Ich kann niemals jemanden um Hilfe bitten, und es gibt für mich nur eine Möglichkeit, Hilfe zu bekommen: wenn ich tief in Schwierigkeiten stecke. Wenn es den anderen dann nicht auffällt, daß ich Hilfe brauche (und das war oft der Fall), dann bin ich gezwungen, sie um Hilfe anzugehen. Doch wenn es erst so um meine Bedürfnisse bestellt ist, nimmt das häufig kein gutes Ende. Wie immer möchte ich dann »die Leute mit einem Knüppel zwischen die Augen schlagen«, damit sie erkennen, daß ich in Schwierigkeiten bin und Hilfe brauche. Wie als Junge, als ich meine Mutter derart aufdringlich mit meinen Wünschen behelligte, daß ich von meinem alten Herrn eine Tracht Prügel bezog; wie das erste Mal (von insgesamt zwei), als ich meine Eltern im Mittelwesten besuchte, von Urerlebnissen aufgewühlt, weinend, laut schreiend, jedermann zum Teufel wünschend; wie an jenem Tag, als ich meine Frau mit dem unerwarteten Geständnis außer Fassung brachte, daß verschiedene Angelegenheiten, die uns betrafen, völlig verfahren waren; wie an dem Morgen, als ich gegen drei oder vier Uhr Arthur Janov anrief, von Todesangst erfaßt, aufgelöst in Tränen; wie an dem Tag, als ich meine Mutter von innen her attackierte, als ich sie kurz nach Mitternacht aus dem Schlaf riß, damit sie sich ins Krankenhaus aufmachte, und ihr damit einen stechenden Schmerz zufügte, nach ihren Worten den ärgsten, den sie jemals verspürt hatte.
Dann ist da dieses seltsam unerklärliche Gefühl. Immer hatte ich das Gefühl, daß ich zwar in der Welt sei, aber gleichzeitig auch außerhalb von ihr. Daß ich in Wirklichkeit zu niemandem Kontakt hätte, daß ich allein sei, im Schatten stehend, unsichtbar — ich hätte sterben können, und niemand hätte sich darum gekümmert. Nach den Urerlebnissen und Erfahrungen in der jüngsten Zeit weiß ich, daß dieses Gefühl aus meinem Innern stammt.
Ich sollte noch sagen, daß es mir schwerfällt, über diese Gefühle zu reden, über diese Gefühle des Isoliertseins von anderen. Es hat den Anschein, daß jedes dieser Gefühle völlig mit allen anderen verschmolzen ist und daß, wenn man über ein Gefühl spricht, damit auch alle anderen angerührt werden.
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Jetzt fühle ich mich irgendwie verloren. So werde ich über das stärkste Gefühl sprechen — ein Gefühl, das ich eine lange Strecke weit verfolgen muß, ehe es »ausgeschöpft« ist. Es ist das Gefühl, nicht in der Lage zu sein, von meiner Mutter loszukommen. Ich bin immer »Muttersöhnchen« genannt worden. Als kleiner Junge verbrachte ich praktisch meine ganze Zeit (ausgenommen, wenn ich gezwungen wurde, nach draußen zu gehen) zu Hause bei meiner Mutter. Als Jugendlicher arbeitete ich zur Aushilfe auf einer Farm; der Schmerz, am Morgen das Haus zu verlassen (oder auch als ich erfuhr, mein Vater habe einem Farmer stolz?? erklärt, ich werde für ihn arbeiten), war grausam, unerträglich; tagsüber dachte ich an meine Mutter, stellte mir vor, sie riefe nach mir, und sehnte mich nach dem Tag oder dem Abend, an dem ich wieder bei ihr sein würde. Ich erinnere mich an einen Tag — als ich am Abend heimkam, die Hände mit Blasen bedeckt, mit schmerzendem Rücken, deprimiert; sie wußte, daß ich mich schlecht fühlte und sie ließ schnell Wasser in die Badewanne, um mir etwas Gutes zu tun. Immer wieder – montags morgens, wenn ich eine neue Stelle antrat, der erste Tag an der Universität, in der Armee – verspürte ich jenes schreckliche Gefühl, nicht fortgehen zu wollen, doch wissend, daß ich es tun müsse (um ein Mann zu sein oder was immer).
Nach dem stechenden Schmerz, der sie frühmorgens aus dem Schlaf gerissen hatte, fror meine Mutter so sehr, daß sie wie Espenlaub zitterte; sie erklärte, sie habe niemals eine solche Kälte empfunden. In der ersten Behandlungswoche (etwa fünf Tage lang) verspürte ich eine Kälte, wie niemals zuvor. Es war eine Art greifbare Kälte, eine sich anklammernde, nasse Kälte, und während der ganzen Zeit hatte ich den Geruch von Alkohol oder Äther oder ähnlichem in der Nase, im Primär-Institut wie auch in meinem Hotelzimmer. Ich konnte mich von dieser Kälte nicht freimachen, wie ich mich auch drehte und wendete; ich war so klein, daß ich meine Arme mit den Muskeln nicht bewegen konnte. Ich drehte mich ein wenig, und als ich mich genügend gedreht hatte, schwangen meine Arme herum und fielen herab. Die kälteste Stelle war meine Stirn, und ich versuchte, meinen Kopf nach rückwärts zu bewegen (Kinn in die Höhe), versuchte es aus irgendeinem Grund, nur um die sich an mich krallende Kälte auf meiner Stirn loszuwerden. (Es ist verrückt, würde ich sagen, doch ich kann ein wenig von dieser alten Kälte auf meinen Oberschenkeln spüren.)
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Von Natur aus bin ich immer kälteempfindlich gewesen; es kann für mich nie zu heiß sein. Daran hat sich auch bis heute noch nichts geändert. Doch zurück zur Kälte, die ich im Institut empfand. Ich lag im Bett, unter zwei Wolldecken, und trug lange Unterwäsche, ein Oberhemd, einen Pullover, eine Trainingsbluse und eine Jacke, doch ich konnte dem Kältegefühl nicht entrinnen; denn es war ein ganz frühes Gefühl.
Meine Mutter zitterte vor der gleichen Kälte. Auch ich zitterte während der ersten Behandlungswoche vor dieser Kälte. Zweimal erfaßte mich ein heftiges Zittern, und bei einem Mal übergab ich mich in ein Kissen, während Paul losrannte, um einen leeren Eimer zu holen.
Meine Mutter war hysterisch. Während ihrer hysterischen Anfälle im Krankenhaus zerriß sie ihre Strümpfe in Fetzen. Sie sagte auch etwas, offensichtlich um eine der Schwestern zu einer Antwort auf die Bemerkung einer anderen zu bewegen, die eher rhetorisch gefragt hatte: »Wenn sie kein Kind wollte, warum ist sie dann überhaupt schwanger geworden?« Ich weiß auch, daß meine Mutter einen solchen Schmerz verspürte, daß sie Gott darum bat, sich und ihr Kind zu sich zu nehmen. Sie wurde dann narkotisiert. Der Arzt, der später dazu kam, meinte, wenn es noch 15 Minuten länger gedauert hätte, wären Mutter und Kind tot gewesen.
Ein weiterer wichtiger Faktor: ich bin klein und schmächtig (1,72 Meter groß, ungefähr 135 Pfund schwer), und meine Mutter ist klein (etwa 1,60 Meter). Meine Mutter aß besonders gut, als wollte sie ein großes, starkes Baby bekommen. Und das war auch der Fall. Bei der Geburt wog ich über acht Pfund.
So habe ich ihren Leib niemals wirklich verlassen. Obwohl ich fast die Hälfte meines Lebens von meiner Mutter getrennt lebte (und immer schmerzte es, wenn ich sie verließ), hat sie sich dennoch immer um mich gekümmert — in Briefen, in meinen eigenen Phantasien, in meinen Freundinnen, in meiner Frau. Bis vor kurzem hat meine Frau uns beide unterhalten, zweieinhalb Jahre lang. Nach einem Jahr primärtherapeutischer Behandlung bekam ich schließlich eine Stelle.
Ich kann meine Mutter nicht verlassen. Sie ist ständig um mich. Ich besitze praktisch nur das, was ich immer besessen habe (und das meiste davon ist Plunder). Ich habe noch immer alle Briefe, die meine Mutter mir geschickt hat, und ich besitze sogar noch viele der alten Möbel und das Geschirr, das meine Eltern loswerden wollten. Auf diese Weise behielt ich meine Mutter immer um mich.
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Es gibt eine Menge Gründe, warum ich meine Mutter nicht verlassen kann (sie lebt 3000 Kilometer entfernt von mir — ich meine natürlich meine Mutter in mir). Einmal, weil ich sie dann verletzen werde. Ich habe ihr bei der Geburt nicht nur gräßliche Schmerzen zugefügt, sondern auch Teile ihres Körpergewebes beschädigt. Dies ist nach meiner Erinnerung eines der ersten Dinge, die meine Mutter mir erzählt hat. Daher habe ich zeit meines Lebens jedesmal, wenn ich mich aus den Armen einer weinenden Frau befreite oder eine traurige Mutter verließ, den Schmerz verspürt, jemanden zu verletzen und zu zerreißen, den ich in Wahrheit gar nicht verlassen wollte Warum hatte ich das Gefühl, die Gebärmutter nicht verlassen zu wollen? Ich weiß es nicht. Vielleicht erschien mir der Aufenthalt dort leichter — viel leichter. Doch das darf nicht sein. Ich muß hinaus, aber ich will es nicht eigentlich, weil es so schwer ist — und so schmerzlich.
Wie gesagt, ich bin niemals rausgekommen. Mir ist im Leben nie etwas gelungen. Ich wollte viele phantastische Dinge tun, und ich habe mich wie höllisch abgemüht und gearbeitet. Doch ich habe die Barriere niemals überwunden. Häufig ist es nur eine kleine Barriere (»Wenn es mir nur gelänge, ein wenig weiter zu kommen«), doch es kann sich auch um eine zehntausend Kilometer dicke Barriere handeln, denn solange ich sie nicht überschritten habe, kann ich sie nicht überschreiten. Ich habe niemals im Leben Erfolg gehabt (Karriere, Geld, Universität, guter Körperbau – und vor allem bei dem, was mir ursprünglich äußerst wichtig war – Erfolg bei der Suche nach Kenneth, der hier irgendwo leben soll. Mit der Suche bin ich bereits im Alter von fünfzehn angefangen – vor zweiundzwanzig Jahren). Ich befürchtete sogar, daß es mir nicht gelingen würde, im Primär-Institut aufgenommen zu werden – weil es so verdammt wichtig für mich war.
Meine Frau lebt seit längerer Zeit im Mittelwesten. Da diese Mutter hier nicht mehr für mich sorgt, blieb mir nichts anderes übrig, als mich selbst in einer ganz neuen Weise zu sehen. Vorher hat sie sich in verschiedenster Weise um mich gekümmert – unter anderem auch therapeutisch. Auch wenn sie jetzt innerlich zerbrochen ist, so ist sie doch kein Therapeut; doch ich benutzte sie weiter, hieß sie zuhören, wenn ich meinen Mist erzählte. Und ich konnte mich »revanchieren« (das Bedürfnis, anderen zu helfen), ich half ihr dabei, ihren Mist loszuwerden. Doch vor einem Monat oder so spürte ich den Wunsch, erfahrene Hilfe zu suchen – jemanden, der wirklich weiß, was er tut –, um Kenneth zu helfen. So suchte ich das Primär-Institut auf und nahm an Sitzungen teil.
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Ich fühlte das überwältigende Bedürfnis nach einem »Durchbruch«. Und ich versuchte mit aller Kraft, es mit Urerlebnissen zu schaffen — ich mühte und mühte mich, schrie, mit verkrampftem Körper, klammerte mich für ein oder zwei Wochen an allen möglichen Mist. Schließlich gab ich auf, unter dem Vorwand, kein Geld mehr zu haben. Das Verlangen war weg, und ich fühlte mich zeitweilig zufrieden. Doch ich wußte, daß ich mit dem Kopf gegen eine Wand gestoßen war — ich war gegen eine Barriere angerannt, die ich bislang nicht hatte durchbrechen können. Am Ende meines Berichts möchte ich dazu noch etwas sagen.
Musik hat mich immer sehr fasziniert. Musik sind für mich Mutter und Vater gewesen; meine Gitarre war meine Lebensgefährtin (meine Mammi). Mit meiner Gitarre konnten sich meine wirklichen Freunde und Freundinnen nicht messen, jedenfalls soweit das mich betrifft. Musik ist für mich eine Art Therapie gewesen. Es ist fast so, als würde ich all die Musik, die sich während meines Lebens in mir angestaut hat, mit dem Gitarrespiel wiederbeleben, und wenn ich diese Musik wieder spiele, dann rufe ich damit viele meiner Gefühle zurück. Doch während meiner Therapie habe ich zweimal etwas Merkwürdiges erlebt. Erst beim zweiten Mal ging mir auf, daß eine bestimmte Musik mich in meine Geburtsgefühle versetzt. Das war während der Zeit, als ich mich bemühte, »durchzubrechen«. Verschiedene Arten von Musik wecken verschiedene Gefühle in mir. Diese besondere Musik ist von tiefen Baßklängen begleitet (etwa die Musik von Quincy Jones). Sie erzeugt in mir eine Art «Hoffnungs«-Gefühl (wir werden es schon schaffen, Baby!) – die Hoffnung, endlich den Kopf heben zu können –, nun, wie dem auch sei, mein Kopf hob sich jedenfalls. Ich fühlte den dunklen Baß, mein Kopf hob sich (Kinn in die Höhe), legte sich nach hinten auf den Nacken, und innerhalb von Sekunden fiel ich ins Bett, war ein Fötus, in rhythmischen Bewegungen (arbeitend) den Weg erkämpfend, den ich gehen wollte. Ich nehme an, daß Musik zum Teil – wie die Sprache – eine symbolische Beschreibung von Geburtsgefühlen ist. (Mit dem Kopf gegen eine Wand; schaffe den Durchbruch nicht; in der »Klemme«; werde gedrückt; sehe Tageslicht; komme nicht los; finde keinen Weg aus diesem Schlamassel; weiß nicht, wohin ich gehen soll; weiter und weiter bis in alle Ewigkeit.) Kürzlich hatte ich das Gefühl, ich stecke in all diesem Mist (Schmerz, Urerlebnisse usw.) und niemand nähme wirklich Notiz davon. (Wenn sie nur wüßten, worin ich stecke.)
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Ständig hatte ich mit einer Menge Mist zu tun (Schmerz, harte Arbeit, Leid, mit Mühe und Not davonkommen usw., Einsamkeit usw. usw.), und niemand wußte oder konnte wissen, was ich durchmachen mußte. In der Therapie habe ich das Gefühl, daß Arthur Janov überhaupt nicht weiß, was die Behandlung für mich bedeutet und wie sehr ich mich dabei abmühe — und was ich durchmache. Das ist ein schlimmes Gefühl, und es bedeutet eigentlich MAMMI, DU WEISST NICHT, WIE SEHR ICH MICH HIER DRIN ABMÜHE; DU VERSTEHST NICHT, WIE SCHWER ICH ARBEITE, WIE SEHR ICH MICH BEMÜHE, WIE ERBITTERT ICH KÄMPFE (um raus zu kommen) – und WIE SEHR ICH LEIDE – UND WIEVIEL ICH WIRKLICH WERT BIN! Mein ganzes Leben lang habe ich jedesmal hart für irgend jemanden gearbeitet, wenn sie nicht begreifen konnten, wie schwer ich mich abmühte, oder wenn sie meine Anstrengungen nicht anerkannten. Ich hätte mich abgeschuftet, wenn irgend jemand Notiz von mir genommen hätte; doch da es niemand tat, was hatte das alles für einen Sinn?
Während der intensiven Behandlungswoche (drei Sitzungen) im vergangenen Monat geriet ich in ein Gefühl, das mein ganzes Leben ausdrückt. Ich fühlte mich durch den Therapeuten unter Druck gesetzt, und zwar zu einem Zeitpunkt, als ich irgend etwas tun sollte, aber nicht wußte, was. Ich hatte das Gefühl ICH KANN NICHTS TUN, ICH KANN NICHTS TUN, und zur gleichen Zeit kämpfte ich wie ein Wilder. Wer mir nur einen Blick zugeworfen hätte, der hätte erkannt, daß ich eine Menge tat. Das ist mein Leben: kämpfen wie ein Wilder, doch niemals glauben, daß ich tatsächlich etwas tun kann. In meiner Mutter wie ein Wilder kämpfen, doch nicht das Gefühl haben, etwas zu tun (etwas Gutes zu tun). Es gab noch einen weiteren Grund, warum es mir schwer fiel, den Leib meiner Mutter zu verlassen; ich hatte das Gefühl, unerwünscht zu sein. Solange ich bei meiner Mutter war, konnte sie mir sagen, daß sie mich wünschte. Als ich weggegangen war, da war es zu spät. Dieses Gefühl habe ich mein Leben lang ausagiert: die Schwierigkeit, Mutter und ihre Ersatzpersonen zu verlassen. Die einsamen Stunden, Tage und Wochenenden, wo ich mich in mein dunkles, einsames Zimmer einschloß und nicht zur Tür ging, wenn Freunde (selten) mich besuchen wollten. Ich mußte in meinem Zimmer bleiben (wir zwei gemeinsam), weil dort etwas war. Und dann kam das Gefühl von Einsamkeit und Dunkelheit über mich. Ich blieb im Zimmer, aß das-» ganze Wochenende über nicht, schlief angekleidet auf dem Sofa ein. Nur ich und meine Musik. Es war wie Sterben.
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Während der Geburt hatte ich auch Angst, meine Mutter wollte nicht, daß ich ich sei (geboren wurde), weil ich ein schlechter Junge sei; ich war etwas Dreckiges; ich war ein wilder kleiner Hundesohn. Und jedesmal, wenn ich beanspruchte oder ausdrückte, ich sei ICH, dann verkrampfte sie sich und drückte mich zusammen. Weg mit dem Ich, dessen Rauskommen mir Angst bereitet, weil niemand mich mögen wird, weil ich dann Schwierigkeiten bekomme! Und da ist viel Ich. Genau wie im Mutterleib.
Nun zu dem, was ich, wie gesagt, später noch hinzufügen wollte. Nach etwa einem Jahr Behandlung erlebte ich ein Gefühl, das ich schließlich als ICH FÜHLE MICH GUT erkannte. Schlicht und einfach so. Ich merke allmählich, daß dies etwas sehr Wichtiges für mich ist. Vor zwei oder drei Wochen sagte Helen etwas Nettes zu mir, und das hat viel in mir aufgerührt. Letzte Nacht hat sie mir geholfen. Ich weinte und sagte: »Es ist sehr unangenehm, daß du hier bist.« »Warum?« fragte sie. »Weil deine Anwesenheit dazu führt, daß ich mich gut fühle.« Auch das ist die Geschichte meines Lebens. Ich mache einen Fortschritt – sozial oder anderswo, und dann beginne ich mich wohl zu fühlen. Sobald dies eintritt, gerate ich in Aufregung, Panik – richtige Panik – extreme Spannung. Schließlich werfe ich alles hin. Am letzten Abend, nachdem Helen mich verlassen hatte, geriet ich aus diesem Sich-gut-Fühlen – oder einem verwandten Gefühl – in ein Geburtsgefühl. Und für den Bruchteil einer Sekunde, blitzartig, hatte ich ein Gefühl von »Sich öffnen«. Und ich spürte auch, daß es in Zukunft für mich gute Gefühle geben wird — gute Gefühle, die auf mich warten. Zum erstenmal hatte ich das Gefühl, daß ich »es schaffen« werde (in der Therapie) und daß ich die Barriere überwinden kann. Und daß diese guten Gefühle sich nicht plötzlich einstellen, sondern zur passenden Zeit gleichsam ausgehandelt werden - oder bildlich gesagt: wie ein Blatt nach dem anderen bei einer Pflanze.
Doch wie gesagt, ich bin noch nicht draußen. Ich muß noch einen langen Weg zurücklegen; und ich nehme an, daß ich noch einen längeren Weg zu gehen habe, bis es mir gut geht. Es ist schön, wenn gute Gefühle auftauchen, ich kann sie schon fühlen. Sie werden keine Hindernisse sein; sie werden sich mir nicht in den Weg stellen. Wenn ich sie gefühlt habe, werde ich wieder ruhig sein, bereit, das nächste Gefühl zu erleben, ob gut oder nicht. (Tatsächlich, selbst die schlechten Gefühle sind gut zu fühlen.)
Man kann mein Leben auf folgende Formel bringen: Es gelang mir nicht, aus eigener Kraft den Leib meiner Mutter zu verlassen; ich kämpfte wie ein Wilder. Und seither ist mir im Leben alles mißlungen, obwohl ich auch hier wie ein Wilder kämpfte.
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Es muß ein schönes Gefühl für ein Baby sein, durch das rhythmische »Verlangen« seiner Mutter dabei unterstützt zu werden, den Geburtskanal zu passieren. Mir blieben solche Gefühle versagt. So führte ich schließlich ein nichtsnutziges Leben, ein Leben der Vergeudung, lebte in einem Vakuum. Bei dem Versuch, die Reise ins Geborenwerden hinter mich zu bringen, muß ich zu Anfang ein Lustgefühl verspürt haben — zumindest den Hauch eines solchen Gefühls. Doch das Lustgefühl wurde durch den Schmerz meiner Mutter (meine Schuld) abrupt unterbrochen, und damit war ich dazu verurteilt, ein Leben zu führen, in dem es keine guten Gefühle gab, sondern nur Einsamkeit und das Streben nach guten Gefühlen. Das ist meine Hoffnung. Immer wenn sich ein Gefühl des Vergnügens in mir zu regen begann (Lust, sich gut zu fühlen), dann traten Schuldgefühle dazwischen (zwischen mich und das gute Gefühl). Wenn ich zum Beispiel bei meiner Frau sexuelle Lust zu empfinden beginne, dann fällt mir plötzlich eine von Kenneth abgelehnte, Kenneth begehrende, traurige, einsame frühere Freundin ein, die in ihrem Zimmer sitzt und sich ungeliebt fühlt. Ich konnte niemals Freude an mir haben, weil es immer jemanden gab, der litt.
Ich versuchte zu genießen; ich mühte mich Dinge zu genießen — ich kämpfte verzweifelt um den Kern eines vermutlichen Genusses zu finden, versuche, alles in mich aufzunehmen, versuche, es einzufangen. Doch während ich mich bemühe, scheint es immer zu entschlüpfen; und später dann sehne ich mich verzweifelt danach, voller Sehnsucht, ein weiteres schlimmes Gefühl für mich (ICH MÖCHTE ES ZURÜCK HABEN.)
So war Lust für immer böse; das Gute war das Böse. Wie im Mutterleib fühle ich Schmerz und bewege mich; und wenn ich beginne, mich zu bewegen, empfinde ich ein gutes Gefühl. Doch dann verspüre ich den Schmerz meiner sich wehrenden Mutter, und meine Schuldgefühle hindern mich daran, jemals zu empfinden, was es heißt, gute Gefühle zu haben. Der undurchdringbare Körper meiner Mutter, ihr zerrissenes Gewebe, ihr Schmerz, MEINE SCHULD — das war meine Barriere.
Ich wollte nicht, daß meine Mutter sich verschloß und mich eingesperrt hielt (ein schreckliches Gefühl). Und ich wollte ihr nicht wehtun, weil es mir wehtat.
Doch nun, da ich ins Freie gelange, werden meine Gefühle weniger und weniger schuldbeladen — und ich habe mehr und mehr gute Gefühle (nur so kann ich das Sich-gut-Fühlen beschreiben).Kenneth
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Die Ärzte sollten daran denken, daß sie ein lebendiges, empfindsames menschliches Wesen und nicht einen Klumpen Protoplasma entbinden. Sie sollten wissen, daß ihre Maßnahmen bei der Entbindung etwas mit der späteren Neurose des Kindes zu tun haben. Schonungsvolles Vorgehen ist eine sine qua non, eine unerläßliche Bedingung. Bis zur Ankunft des Arztes hinausgezögerte Geburtswehen sind schädlich. Über Gebühr verlängerte Geburtswehen laufen den Bedürfnissen des Kindes zuwider. Übermäßiges Verabreichen von Medikamenten kann sich nachteilig auf den Fötus auswirken. Angestrebt werden sollte die natürliche Geburt, vielleicht mit zusätzlicher örtlicher Betäubung, wo das absolut notwendig ist.
Müttern mit schwierigen Geburtswehen sollte unter Umständen zusätzlich Sauerstoff verabreicht werden, um sicherzustellen, daß das Kind nicht unter Sauerstoffmangel zu leiden hat. Mütter müssen am Geburtsprozeß aktiv teilnehmen und nicht nur Anweisungen des Arztes befolgen. Es ist notwendig, daß sie ihren Kindern »helfen«, zur Welt zu kommen, und das können sie nicht, wenn sie halb betäubt sind. Die beste Gewähr für eine natürliche Geburt, für eine Geburt, die die Mutter unabhängig von den dabei auftretenden Schmerzen ertragen kann, ohne sich gleich systematisch zu verkrampfen, besteht natürlich in der Aufhebung anderer früherer Schmerzen der Mutter mit Hilfe von Urerlebnissen. Das heißt, in einem solchen Falle verstärkte der Schmerz der Geburt nicht andere frühere Schmerzen; die Geburtserfahrung wäre nicht derart schmerzlich, daß sie nicht ertragen werden könnte.
Kindererziehung beginnt im Mutterleib, am Lebensanfang. In einer sprachlich orientierten Gesellschaft taten wir uns schwer damit, diesen Gedanken zu verstehen, weil es dabei um Erfahrungen geht, für die jede sprachlich faßbare Erinnerung fehlt und die man nicht erklären kann. Sie können nur erlebt werden. Die konventionellen Therapieformen haben diesen sehr frühen Lebensaspekt vernachlässigt, weil sie sich sprachlicher Mittel bedienen. Bis zum Auftreten von Geburtsprimals hatten wir keine Möglichkeit, unsere These mit Beweisen zu stützen.
Man konnte darüber nur theoretisieren. Bis heute waren wir nicht in der Lage, die Bedeutung jener Erfahrungen und ihre Auswirkungen auf das spätere Verhalten einzuschätzen.
Nun können wir Untersuchungen über das Spannungsniveau vorher und nachher, über Gehirnwellen usw. anstellen und können die Auswirkungen von Spannungslösungen nachweisen. Wir können Verhaltensänderungen beobachten (zum Beispiel das Nachlassen von epileptischen Anfällen), wenn es zu Geburtsprimals gekommen ist, und können uns aufgrund dessen eine Vorstellung davon machen, welch großen Druck frühe Traumata auf das Körpersystem ausüben. Wir können feststellen, daß ein frühes Trauma zu Störungen im Hormonhaushalt geführt hat, wenn sich nach Geburtsprimals der aus dem Gleichgewicht geratene Hormonhaushalt verändert. Schließlich haben wir heute Mittel und Wege, die Auswirkungen einer frühen Erfahrung auf spätere Lebensprobleme wie etwa Lernschwierigkeiten genau anzugeben. Und wir wissen endlich, daß es nicht darauf ankommt, was Eltern tun, sondern darauf, was und wie sie sind.
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