Start    Weiter

6. Die Persönlichkeit und die Kette der Schmerzen

 

 

 

55

Ich erzähle Ihnen gleich eine Geschichte über drei verschiedene Menschen: Sam, der aggressive Draufgänger; Patricia, die Depressive; und Celia, die Manisch-Depressive. Es sind sehr unterschiedliche Leute, weil sie unterschiedliche Geburten hatten. Sam, Patricia und Celia sind alle neurotisch, aber ihre Neurose manifestiert sich sehr unterschiedlich. Reden wir zuerst über Sam und Patricia.

 

   Sam und Patricia: Der Sympath und die Parasympathin   

Sams Mutter war frigide. Der Brennpunkt eines Großteils ihrer Spannung lag im unteren Mittelbereich ihres Körpers. Als sie gebar, öffnete sich ihr widerwilliges System schließlich doch. Sam kämpfte viele Stunden, um herauszukommen und hatte schließlich Erfolg.

 

Patricias Mutter war sehr verklemmt, konnte nicht viel Schmerz aushalten und wurde während des Geburtsprozesses schwer anästhetisiert. Patricia kämpfte kurzzeitig, bevor das Betäubungsmittel in ihren eigenen Körper drang und viele Schlüsselfunktionen stilllegte. Sie konnte nicht einmal darum kämpfen, herauszukommen, weil das Medikament, das ihrer Mutter verabreicht wurde, seinen Weg in ihren winzigen Körper fand und sie praktisch außer Gefecht setzte. Sie war ein 'blaues Baby' und musste geschlagen werden, um ins Leben zu finden.

Ihr unterdrücktes Atmungssystem begann erst nach diesem Klaps zu funktionieren.


56

Während Patricia sehr früh den Kampf aufgeben musste und im passiven Modus auf die Welt kam, kam Sam im aktiven Modus und die ganze Zeit kämpfend auf die Welt. Sams Kampf brachte ihm schließlich Erfolg. Patricias Prägung war äußerste Machtlosigkeit — nicht genügend gerüstet zu sein, um ihr eigenes Leben zu retten. Dieser unterschiedliche Eintritt in die Welt prägte sich in ihre Systeme ein. Der eine wurde zu einem aktiven, vorandrängenden, aggressiven Individuum, die andere zu einem resignierenden, introvertierten und passiven Menschen.

Der Geburtsprozess und insbesonders die Art, wie wir geboren werden, wird als "Schnitt!-Ausdrucken!"-Erinnerung, die nie wieder verschwindet, in das Nervensystem eingestempelt. Diese Einprägung bestimmt den Modus unserer Persönlichkeit und liefert den Plan dafür, wie wir auf zukünftige Ereignisse reagieren werden. Darüber hinaus verschlimmern Geschehnisse in der Kindheit das Problem, weil jedes Individuum dazu neigt, auf neue Ereignisse im Sinne seines Geburtmodus zu reagieren.

In einer strengen, unterdrückenden elterlichen Atmosphäre war Patricia leicht die Unterlegene und zog sich noch weiter in sich selbst zurück. Sie war resigniert, sah keine Alternative oder Auswege aus Problemen. In derselben Atmosphäre war Sam rebellisch, kämpferisch und ungehorsam; ständig geriet er mit seinen Eltern in Konflikt und machte ihr Leben unerträglich. Sam gab sich niemals geschlagen; er rannte wie verrückt vor einer Hoffnungslosigkeit davon, die er selten bewusst wahrnahm.

Patricia war ruhig und nachdenklich. Sie hielt sich an sich selbst und tat nie etwas freiwillig. Sam war ein hyperaktiver Youngster, ein Rowdy, er war streitsüchtig und konnte in der Schule nicht still sitzen. Diese Verhaltensweisen leiten sich aus dem autonomen Nervensystem ab, das zwei Zweiglinien hat. Sam wurde jemand, der von seinem sympathischen Nervensystem dominiert wurde, ein "Sympath." Patricia war eine "Parasympathin", die von ihrem parasympathischen System dominiert wurde.

Das sympathische System steuert Energie verbrauchendes Verhalten wie die Kampf-oder-Flucht-Reaktion. Es mobilisiert uns, erhöht die Körpertemperatur und reduziert den peripheren Kreislauf (schafft dadurch Blutreserven für die Muskeln und bereitet auf Kampf oder Flucht vor), so dass das Gesicht bleicher ist und die Hände und Füße vielleicht kalt. Es führt dazu, dass wir häufig urinieren, nervös schwitzen, einen trockenen Mund haben und eine hohe Stimme.


57

Im Gegensatz dazu kontrolliert der parasympathische Zweig des Nervensystems die Energie bewahrenden Prozesse von Ruhe, Schlaf und Erholung. Es erweitert die Blutgefäße, macht die Haut warm und fördert die Heilung. Wenn wir uns im parasympathischen Modus befinden — mit entspannterer Muskulatur, um Energie zu sparen — senkt sich unsere Stimme auf ein langsames, honigsüßes Timbre.

Eine gesunde Person bewahrt ein gutes Gleichgewicht zwischen den zwei Systemen. Idealerweise arbeiten die zwei harmonisch zusammen, sodass wir tagsüber mehr "sympathisch" und im Schlaf mehr "parasympathisch" sind und eine ausgeglichene Mischung dieser zwei Tendenzen besteht. Aber Traumen, die geschehen, bevor wir das Licht der Welt erblicken, können uns in die eine oder in die andere Richtung verschieben. Was Patricia betrifft, so versetzte sie ihre Prägung ein für allemal in den "Aufgebens"-Modus. Patricia war immer "in ihrem Selbst", introspektiv, verträumt, emotional weit weg. Sie musste sich von ihrem fühlenden Selbst entfernen, weil die emotionale Last, die das Trauma in sich barg, mehr war, als sie integrieren konnte.

Sam ist optimistisch, Patricia pessimistisch; ihre Einstellung gleicht sich dem Ergebnis ihres jeweiligen Geburtskampfes an. Patricia befindet sich für immer im apathischen Modus, sie verliert den Mut und gibt auf, wenn sie sich nur dem kleinsten Hindernis gegenüber sieht. "Was hat das für einen Zweck?" ist ihre Haltung, denn was hatte es ursprünglich für einen Zweck? Sam kennt keine Hindernisse, und so ist er wahrscheinlich erfolgreicher.

Solche dialektischen Kontraste gibt es im Überfluss. Entschlossenheit versus Resignation, zum Beispiel: Sam bäumte sich auf und hatte Erfolg, während Patricia sich schnell überwältigen ließ und nur mit dem Strom schwimmen konnte. Hartnäckigkeit versus Aufgeben: Sam lernte, dass Anstrengung lebensrettend war, während Patricia lernte, dass Beharrlichkeit gefährlich war. Sam muss jedes Projekt beenden, weil Beenden Leben bedeutet, wogegen Patricia ein Dutzend unerledigter Geschäfte hat, weil Beenden Unheil bedeutet. Sie schafft es nicht, sich zusammenzunehmen und die Dinge zu erledigen; ihre Lehrer nannten es mangelnde Motivation. 

Sam ist alles andere als unentschlossen; nichts kommt ihm in die Quere. Er ist ein Bursche, der gerne ausgeht, die Initiative ergreift und sich bemüht, Leute zu treffen. Patricia blickt nach innen, nachdem sie am Anfang in sich selbst zurückgetrieben worden war. Ihre Geburt lehrte sie, dass hinauszugehen nicht sicher ist, und so ist Zurückhaltung ihr Leitmotiv.


58

Man musste sie "herausziehen", und auch jetzt muss man "sie herausziehen", eine Wiedererschaffung ihres Prototypen, der ihr Leben definiert.

Patricia ist in vielerlei Hinsicht konservativ, Sam ist radikal. Weil das Verlassen des Mutterleibs für Patricia einer Katastrophe gleichkam, schuf sie sich später ihren kleinen Kokon und wollte in ihm bleiben. Deshalb wird ihr Veränderung gefährlich. Mit Routine ist sie glücklich, und sie will Führer, die versprechen, "traditionelle Werte" aufrecht zu erhalten. Sam rebellierte gegen seinen tyrannischen Vater, wie er gegen seine Mutter in ihrem Leib rebellierte. Leben bedeutet für ihn Rebellion und an die Grenzen zu gehen. Um all das zu begründen, behilft er sich mit seiner revolutionären Philosophie, die für ihn das Verlangen nach Rebellion rationalisiert.

Sam ist weniger sensibel als Patricia, weil er sich die Zeit nicht nimmt, um nachzudenken; er schaut in die Zukunft. Patricia schaut in die Vergangenheit, weil sie ständig auf eine Katastrophe reagiert, die bereits geschehen ist aber in ihrer Vorstellung erst bevorsteht. Bei Neurose sieht man die Gegenwart nur durch den Schleier der Vergangenheit, weil das System zwischen Vergangenheit und Gegenwart nicht unterscheiden kann.

Weil Sam bei der Geburt schnell lernen musste, lernt er auch jetzt schnell, und somit reagiert er gut in Notsituationen. Patricia gefriert in Notlagen. Sie braucht Zeit, um zu reagieren. Ihr Ansatz ist methodischer, ihre Art, die Dinge auszuführen, ist detaillierter. Sam sieht das große Bild, die globale Perspektive. Er ist kein Mann für Details. Er musste instinktiv handeln, lange bevor sich sein Kortex entwickelte, dessen Schlüsselfunktion Hemmung oder Verdrängung ist. Wenn Impulse aufsteigen, bahnt er sich seinen Weg.

Warum finden die Sams auf der Welt die Patricias? Warum verlieben wir uns in Menschen mit Neurosen, welche die unseren ergänzen? Es scheint, als suche jeder von uns nach der anderen Hälfte seines oder ihres Nervensystems — die Hälfte, die es gäbe, wenn das Trauma nicht dazwischen getreten wäre.

Patricia wird von den Ereignissen beherrscht und braucht Sam, damit er an ihrer Stelle handelt. Sie braucht jemanden, der sie führt und ihr sagt, was sie tun soll. Sam braucht einen passiven, nachgebenden Typ, der seine konfliktträchtige Art hinnimmt. Er braucht auch die Stabilität, die Patricia anbietet. Wäre Patricia wie Sam, würden die Funken fliegen, und wäre Sam wie Patricia, könnten beide in Depression versinken.


59

Aber nachdem sie geheiratet haben, ist Sam von Patricia enttäuscht, weil sie nie irgendwo hingehen will, sondern damit zufrieden ist, zuhause zu bleiben und sich auf der Couch zu kringeln. Für Patricia läuft alles im Energiesparmodus ab, so wie es sein musste, damit sie ihre Geburt überleben konnte. Sam ist zwanghaft in Bewegung: aufstehen, herumlaufen, ein Projekt finden. Ruhig dazuliegen ruft die drohende Gefahr zu sterben wach, weil Passivität ursprünglich Tod bedeutete. Aber das ist keine zugängliche Erinnerung — er beginnt sich nur unwohl zu fühlen. Patricia ist unglücklich, weil Sam nicht stillsitzen kann, ständig unterwegs ist und keinen Urlaub nehmen kann, ohne sich zu überlegen, ob er nicht zur Arbeit zurückkehren soll. Sam ist unglücklich, dass Patricia nicht so quirlig ist wie andere Frauen. Sie verlor ihren Lebensfunken zu einer Zeit, die länger zurückliegt, als sich beide vorstellen können; aber sie ist sein stabilisierender Faktor, genau das, was ihn ursprünglich zu ihr hinzog.

Es ist acht Uhr morgens. Sam wacht im aktiven Modus auf, bereit für alles, was da kommen möge. Er springt aus dem Bett, zieht sich an, trinkt seinen Kaffee und ist für den Tag bereit. Er ist ein Tagmensch, voller Energie und marschbereit vom Augenblick des Erwachens an. Patricia ist träge, nahezu betäubt, kommt nur langsam zu vollem Bewusstsein. Matt und schlaff liegt sie bis zehn Uhr im Bett. Sie kann sich einfach nicht in Bewegung setzen. Sie hat nicht gut geschlafen mit den Albträumen vom Steckenbleiben, Ersticken in einer Höhle ohne Licht und Luft. Als sie aufwachte, schlug ihr Herz so schnell, dass sie dachte, sie müsse sterben — ihre Geburtsprägung der Todesnähe. Ihr ganzes Leben hatte sie ständige Albträume. Sam kann sich nicht einmal an seine Träume erinnern. Er ist weit von seinen Gefühlen entfernt; sie steckt in den ihrigen fest. Patricia ist langsam. Ihr langsamer Stoffwechsel, ihre langsamen körperlichen Reaktionen und besonnenen Gedankengänge machen sie zu einem sorgfältigeren Menschen. Sie macht weniger, aber sie macht es besser. Sie ist ein Nachtmensch, der erst nachts zu voller Wachheit und Aktivität findet, wenn Sam müde und reif fürs Bett ist.

Sam ist ungeduldig, wenn Patricia über ihre Depression und Verzweiflung beim Aufwachen klagt. Natürlich weiß er nicht, dass es ihr ursprüngliches Geburtsgefühl ist, das prototypische vage Gewahrsein des Todes. Sie ist sich sicher, das alles "zu Scheiße wird". Ihre Philosophie spiegelt unbewusst wider, was geschehen war: zuerst ging alles gut, und dann plötzlich wendete sich alles zum Schlechten. Sam konnte Depression nie verstehen.


60

In tagtäglicher Wiedererschaffung seiner Geburt erzeugt Sam eine Menge Druck, der ihn am Laufen hält. Viel zu tun, da und dort hin, überall mit dabei. Er ist ein extrovertierter Typ mit sehr wenig Phantasie. Patricia hasst Sams "Unwirklichkeit"; er hält nicht inne, um nachzudenken, weil er die negative Seite der Dinge nicht sehen kann. Sam stellt sich selbst nicht zuviele Fragen. Er handelt. Patricia grübelt ständig über ihre missliche Lage, ihr Leben, ihre Entscheidungen und ihre Orientierung. Sie ist sich nicht sicher, was sie tun soll, weil sie ursprünglich nichts tun konnte. Sam mag Patricias Pessimismus nicht. Ironischerweise glauben sowohl Sam als auch Patricia, er oder sie sei ein Realist. Beide sehen die Welt durch ihre Prägung und denken, es sei die Realität. Wenn sie irgendwie einander trauen könnten, könnten sie ihre Wahrnehmungen kombinieren und das ganze Bild sehen.

Patricia malt seit neuestem, und sie macht das gut. Unwissentlich malt sie ihre Gefühle: knorrige Bäume, die Leute mit Masken der Angst umklammern, ihre Albtraum-Figuren, Variationen über Edvard Munchs Der Schrei. Sam hat keine Zeit für Kunst; in seinem Kopf sind Zahlen, keine Bilder: Verkaufszahlen, Hochrechnungen und so fort. Patricia versteht nichts vom Geschäft oder Geld, aber Sam ist darin hervorragend. Er läuft der Katastrophe davon; sie sieht die Katastrophe überall.

Sam ist ehrgeizig. Ständig prüft er, wie er die Dinge in Zukunft besser machen kann. Patricia ist kein Selbststarter; sie braucht Disziplin von außen, aber wenn sie einmal in ihrem Trott ist, könnten sie keine wilden Pferde da herausholen. Sie will keine Abwechslung in ihrem Leben. Weil sie bei der Geburt keine Alternativen hatte, sieht sie keinen Ausweg aus Schwierigkeiten. Sam hasst Disziplin. Er will in niemandens Hand sein, denn als er es war, hing sein Leben davon ab, und er verlor es beinahe. Er kann keine Regeln und Verordnungen ertragen, oder einen Boss über ihm. Er ist der klassische Elefant im Porzellanladen.

Sam mag keine Drogen. Er braucht jedoch Ruhephasen, da sein Motor auf Hochtouren läuft, aber wenn er sein Leben so arrangieren kann, dass es seinen hochdrehenden Motor rationalisiert, wird er kein Verlangen nach Tranquilizern spüren. Er denkt, er stehe unter all diesem Druck von außen, wenngleich er ebenso viel Druck von innen hat.


61

Nie ist er glücklicher, als wenn er unter Termindruck steht. Aber er neigt dazu, zu sehr auf der Hut zu sein und hat Probleme beim Einschlafen. Gelegentlich braucht er etwas, das ihm schlafen hilft, das diesen Motor abstellt, der seit der Geburt permanent auf Hochtouren läuft. Patricias Drogen sind 'Uppers' [anregende, aufputschende Drogen]. Kaffee eröffnet den Tag, Alkohol inspiriert sie am Abend. Die Drogen, die sie beide nehmen, sind dann ein Versuch, normal zu werden; das System zu normalisieren, das zu Beginn des Lebens in Schieflage geraten war.

Sam kann Patricias Verhalten in Restaurants nicht ausstehen. Sie kann sich nie entscheiden, was sie essen soll, will immer wissen, was alle anderen bestellen wollen, bevor sie ihre Wahl trifft. Wenn sie mit ihrem Analytiker darüber redet, bietet er die Einsicht an, dass sie sich unsicher in ihrer Wahl sei. Aber man muss tiefer blicken, um zu finden, was jemanden wie Patricia unschlüssig macht. Es geht auf den Anfang zurück, als sie nicht wusste, was sie unternehmen sollte. Der tiefliegende Ursprung ihrer Unsicherheit war ihre unbewusste Furcht, dass jede Bewegung, die sie machte, unheilvolle Folgen haben würde. Nur indem sie dem Beispiel anderer folgte, konnte sie die "richtige" Bewegung erlernen.

Umgekehrt ist auch Patricia mit Sams brüsker, fordernder, unmanierlicher Art in einem Restaurant unglücklich. Sam dirigiert die Show. Er wählt das Restaurant, die Essenszeit, wer eingeladen wird und wer nicht. Er muss den besten Tisch haben; sein Gefühl, dass er für seine Eltern nie wichtig war, treibt ihn, drauf zu bestehen, wie eine wichtige Person behandelt zu werden. Patricia ist eine Mitläuferin. Sie braucht Führung, und er muss der Führer sein.

Sam ist nicht so mitleidsvoll wie Patricia. Sie sieht mehr in den Leuten. Sie träumt von einem sensiblen Ehemann, der ihre Bedürfnisse erkennt. Leider wird es nie Wirklichkeit werden, weil sie Sam braucht als Ausgleich für das, was ihr fehlt. Und so ist Patricia unglücklich. Ihre Bedürfnisse sind widersprüchlich: sie will dominiert und geführt werden, und sie will einen stabilen, sensiblen Partner haben, der sie 'herauszieht'. Sam dominiert Patricia, ist aber unsensibel und gibt sich keinen nachdenklichen Diskussionen hin. Sie mag es nicht, akzeptiert es aber und wird damit dem Prototyp der Passivität gerecht.

Sam und Patricia haben ein Sexproblem. Weil Patricia tief verdrängt, kann sie keine Erregung erleben, ohne sich zu verschließen.


62

Ihre Erregung geht bis zu einem gewissen Punkt, dann stirbt alles in ihr ab. Sam ist unglücklich, weil Patricia beim Sex einfach daliegt und nicht kreativ ist; ihm scheint, dass sie den Akt nur toleriert. Sie fühlt, dass er nicht zärtlich ist, dass er einfach auf sie draufspringt. Sie will Zärtlichkeit und Romantik. Sam leidet an vorzeitiger Ejakulation; seine Impulsivität und mangelnde Kontrolle machen jede Art von Erregung für ihn zu einer 'Alles-muss-raus'-Anstrengung. Als Kind erhielt er wenig Zuneigung, und es fällt ihm schwer, Liebe zu geben. Der Grund liegt zum Teil darin, dass er zu unruhig war und anderen nicht erlaubte, dass sie ihn im Arm hielten und herzten. Sein Geburtsschmerz und seine Kindheitsentbehrungen vereinigen sich und machen ihn sehr leicht erregt; er hat seinen Schmerz sexualisiert. Sex wird deshalb zu einer Spannungsabfuhr.

Sam weiß nicht, warum er sie geheiratet hat. Er hatte mehrere Affären; ganz unbewusst versuchte er bei jeder, mütterliche Liebe zu finden. Patricia kümmert sich nicht darum; sie will einfach in Frieden gelassen werden und nicht ständig mit der Forderung nach Sex belästigt werden. Patricia denkt an Scheidung, hat aber nicht die Energie, etwas in dieser Richtung zu unternehmen. Sie grübelt und fantasiert von einer Affäre. Aber sie hat nicht genug Energie, das in die Tat umzusetzen. Langsam gewinnen Träume die Oberhand über ihr Leben. Unterdessen denkt Sam nicht lange genug über seine Ehe nach, als dass er eine Scheidung in Erwägung ziehen könnte, weil er sich nie die Zeit nehmen kann, um abzuwägen, wie er sich wirklich fühlt.

Sie macht sich nicht mehr viel daraus, ihre Freundinnen zu sehen. Es fällt ihr schwer, sich zu motivieren, und sie ist ein bisschen phobisch, wenn es darum geht, das Haus zu verlassen, weil einen sicheren Platz zu verlassen, zuvor eine Katastrophe bedeutete. Sam drängelt, sie solle ihrem Psychologen von ihrer Phobie erzählen, aber sie glaubt nicht, dass es eine Phobie ist; sie will einfach nicht ausgehen. Kann er das nicht verstehen?

Patricia beschließt, einen Kurs in Geschichte zu belegen. Bei der ersten Prüfung schneidet sie nicht gut ab und entschließt sich aufzuhören. Sam ist wütend und sagt "Du bist eine Drückebergerin. Was ist los mit dir?" Er kann ihre augenblickliche Mutlosigkeit nicht begreifen. Er weiß nicht, dass die 'Drei' bei der Prüfung das Gefühl von Hoffnungslosigkeit auslöste, das bis zur Geburt zurückreicht, und dass sie prototypisch reagierte, indem sie nach einem Misserfolg aufgab.


63

Sam ist ungemein neugierig und lernt gerne, weil er von Beginn an wissen musste, was los war, für den Fall, dass es ihm helfen könnte, sein Leben zu retten. Patricias Neugierde ist unterdrückt; sie will nichts wissen, weil wissen weh tut. Bei ihr ist es die massive Verdrängung, die notwendig ist, um die erschütternde Erinnerung unter Kontrolle zu halten, was ihr das Gefühl gibt, dass das Leben nicht lebenswert ist. Es ist alles so grau und langweilig und bedeutungslos, dass sie sich nicht einmal mehr Mühe geben will. Sam ist es leid, zu versuchen, "ihr Leben einzuhauchen", etwas, das er oft sagt, ohne zu wissen, was er wirklich meint.

Beim Sympath-und-Parasympath-Paradigma tendiert ersterer zum "Ausagieren", während letzterer "einagiert". Patricia sieht, dass Kampf zwecklos ist, und so gibt sie zu leicht auf. Sie ist chronisch deprimiert und glaubt, alles sei hoffnungslos. Ihre Energie wird geschleust, richtet sich nach innen gegen Organe und Zellen und verursacht Symptome wie ihre Migräne. Vielleicht stirbt sie vorzeitig an Krebs, weil sich der Druck auf die Zellen über die Jahre so lange aufbaut, bis sie deformieren. Das ist nicht der Fall bei Sam, der "ausagiert", sich um die Erfüllung seiner Bedürfnisse bemüht. Sein Verhalten absorbiert seine unablässige Getriebenheit. Das Ausagieren setzt die Energie des Feelings frei. Die Energie, die sein Verhalten nicht absorbieren kann, wird sich gegen Organe richten, und er wird vielleicht an Herzproblemen und Geschwüren leiden und vorzeitig an einer Herzattacke sterben.

Sam und Patricia haben heute einen geschäftigen Tag. Beide gehen zum Arzt, sie zu ihrem Hausarzt wegen ihrer Migräne, er zu seinem Kardiologen wegen seines Herzklopfens. Der Kardiologe fragt Sam, ob er in letzter Zeit unter Stress steht. "Nein", sagt er. "Sie sollten es ein bisschen langsamer angehen", rät der Doktor. "Ich gebe Ihnen ein Beruhigungsmittel." Aber Sam kann sich nicht beruhigen. Sein Herzklopfen ist ein Teil der Erinnerung an die Geburt, bei der sein Herz beschleunigte, um ihn für die Anstrengungen zu rüsten.

Patricias Doktor gibt ihr Pillen, die als Vasokonstriktoren funktionieren, um der Erweiterung ihrer Blutgefäße im Kopf entgegen zu wirken. Der Doktor sagt ihr auch, dass Kaffee hilft und dass sie es mit zwei Tassen am Morgen probieren sollte, wenn sie die Kopfschmerzen bekommt; gewöhnlich trinkt sie fünf. Kaffee ist ein Vasokonstriktor; er bringt sie von ihrer Verzweiflung ab, weil er ihr die Energie gibt, die ihr fehlt, und sie forttreibt von der Einprägung der Anoxie, die sie bei der Geburt erlitt.


64

Müsste man Patricia mit zwei Worten beschreiben lauteten sie keine Energie. Das ist die Prägung; sie kann nicht kämpfen, und sie kann nicht davonlaufen — sie steckt fest. Die Vitaminspritzen für ihr chronisches Müdigkeitssyndrom helfen einigermaßen, aber ihr Arzt erkennt nicht, dass die Müdigkeit eine Erinnerung ist, die in der Gegenwart lebendig ist. Vitamine werden Patricia nicht heilen, weil die Quelle ihrer Müdigkeit eine physiologische Erinnerung ist mit Sekundäreffekten wie einem gesteigerten Bedarf an bestimmten Vitaminen und einem Immunsystem, das durch Sauerstoffdeprivation bei der Geburt geschwächt worden ist.

Diese sekundären Auswirkungen müssen behandelt werden. Patricia braucht Immunverstärker und eine Vitaminpackung, die auf das Immunsystem wirkt und ihr mehr Energie verleiht. Mit diesen einfachen Vitaminspritzen stopft der Arzt nur die Löcher im Deich wie der kleine Holländer, während die primäre Urgewalt überzulaufen droht. Der Arzt kann den Stress nicht sehen, unter dem Patricia steht. Er kann nicht sehen, dass die Geburtsanoxie ihre Zellen geschwächt und sie für spätere Krankheiten anfällig gemacht hat. Ihr Immunsystem ist aufgrund ihrer globalen Verdrängung träge. Falls Patricia nicht krank wird, wird sie jünger aussehen und länger leben als Sam, weil ihr Puls, ihre Körpertemperatur und ihr Blutdruck tendenziell niedrig sind. Aber sie wurde tatsächlich krank. Sie entwickelte Hypothyreoidismus, der von einem unteraktiven System verursacht wurde.

 

Celia, die Zyklische

 

Patricia hat eine Schwester namens Celia, die als manisch-depressiv diagnostiziert worden ist. Sie hat euphorische Hochphasen, denen gewaltige Tiefs folgen. Sie redet wie ein Wasserfall, schreibt ganze Romane, schläft wenig und fällt dann in tagelange Depression.

Celias Geburt war nicht so wie die von Patricia. Sie begann normal, aber dann stellte sich heraus, dass ihre Mutter sich nicht genügend öffnete. Zuerst kam es zu einer gemeinsamen Anstrengung, zu einer maßvollen Reaktion, bei der Celia ihr Bestes tat, um sich herauszukämpfen. Das kulminierte in einem verzweifelten Versuch freizukommen. Dann setzten sie die Betäubungsmittel außer Gefecht und machten sie total passiv. Später erwachte sie wieder und begann erneut zu kämpfen. Sie versuchte es wieder und wieder, schaffte es jedesmal beinahe, und dann war ihr doch der Erfolg verwehrt.


65

Dieser Zyklus von Kampf-Scheitern-Kampf prägte sich ein. Die Einprägung sollte später Celias Stimmungen und Verhalten lenken und die Voraussetzung für eine Psychose ganz besonderer Art schaffen: manische Depression, das lebenslängliche Echo auf Celias Geburtserfahrung. Das Trauma änderte auch die Sollwerte für einige ihrer Hormone. Später könnte ein Arzt vielleicht einen Hormonmangel feststellen, der mit ihrer manischen Depression in Zusammenhang steht, und glauben, dass dies die "Ursache" ihres Problems ist. Es ist eine "Wirkung".

Sam ist unglücklich, wenn Celia zu Besuch kommt. Wenn Celia in guter Stimmung ist, wird sie zum strahlenden Mittelpunkt der Party, ist sogar "besser drauf" als Sam. Sie ist irrsinnig extravagant, kauft alle möglichen exotischen Lebensmittel fürs Essen und unnütze Sachen fürs Haus. Ihr Enthusiasmus kennt keine Zügel, und sie kann achtzehn Stunden am Tag arbeiten, ohne müde zu werden. Aber diese manische Phase endet mit einer kurzen psychotischen Unterbrechung, auf die eine tiefe Depression folgt. Wenn sie "down" ist, lässt sie den Kopf hängen und begeistert sich für rein gar nichts.

Celia ist manisch-depressiv, weil diese Verhaltensabfolge, Manie gefolgt von Erschöpfung und Energielosigkeit, für ihr Überleben verantwortlich war. Ihre übermenschliche Arbeitsfähigkeit und ihre wahnwitzigen Kauforgien sind in Wirklichkeit ein Kampf ums Leben. Ihr System "erinnert sich" an seinen ersten großen Überlebenskampf und setzt diesen Kampf auf immer und ewig fort.

Depression folgt auf Manie wegen einer Prägung von Misslingen und äußerster Hoffnungslosigkeit gefolgt von einer letzten Anstrengung, die Erfolg hat. Das System erinnert sich an sein grundlegendes Scheitern nach einem manischen Kampf. Wenn Celia deprimiert ist, fühlt sie, was sie ursprünglich fühlte, obgleich sie es gedanklich nicht erfassen kann. In dieser Phase sehen wir die Analogie zu den ursprünglichen parasympathetischen Gefühlen von Hilflosigkeit und Lebensunwillen. Dann bäumt sich Celia in einem verzweifelten letzten Lebensversuch auf, und der Zyklus wiederholt sich.

Nach einer Periode der Normalität, in der sie immer mehr Verantwortung übernimmt und härter und länger arbeitet, gleitet Celia beinahe unmerklich in einen manischen Zustand, in der sie ganz in hektischer Aktivität aufgeht. Die Energie, die dieses Verhalten antreibt, ist die ursprüngliche Verzweiflung auf Leben und Tod aus der manischen Phase des Geburtskampfes. Die Speicher verborgener Energie werden angezapft, wenn die Geburtssequenz genau so abläuft, wie es ursprünglich war.


66

Schließlich wird die Manie so intensiv, dass Celia die Kontrolle verliert. Es endet damit, dass sie sich mit ihrer Mutter streitet und danach beginnt, Klavier zu spielen, wobei sie es furios mit den Ellbogen behämmert und aus vollem Hals singt, in der Überzeugung, dass das Piano Botschaften an ihre Mutter sendet.

Celia landet in einer psychiatrischen Klinik. Ihre Diagnose lautet auf akute manisch-depressive Psychose mit einer Vorgeschichte von wechselweiser Manie und Depression. Um die hohen und niederen Energiepegel zu moderieren, die beide ihr normales Funktionieren beeinträchtigen, setzt sie der Arzt auf antipsychotische Medikamente wie Lithiumkarbonat. Aber die lindern nur und heilen nicht. Die Ärzte sind sich sicher, dass ihre zyklische Persönlichkeit genetisch bedingt ist, und führen ihre manisch-depressive Verkettung bis zu den Ur-Ur-Großeltern zurück. Wenn sich dieses Muster wiederholt und Celia wieder eingewiesen werden muss, werden sie wieder zu derselben Diagnose kommen, weil ihre Ausbildung die schädlichen Wirkungen des Geburtstraumas oder die Möglichkeit, dass diese vergangene Erfahrung auch der Schlüssel zur Heilung ist, nicht in Betracht zieht.

Wenn Celias manisch-depressives Muster nicht genetisch ist, wie erklärt sich dann dieses Muster von tiefer Depression gefolgt von übermenschlichen Anstrengungen, das im Erwachsenenalter immer wieder abläuft? Wenn man nicht zu glauben bereit ist, dass Millionen von Manisch-Depressiven mit demselben genetischen Defekt geboren wurden, der sie im Kreise laufen lässt, muss man in Erwägung ziehen, dass soziale Ereignisse die Ursache sein könnten. Ganze Heerscharen von Experten für geistig-psychische Gesundheit sehen Psychose als Anzeichen für Pathologie, wenn es doch einfach ein Versuch ist, die Unversehrtheit der Persönlichkeit zu bewahren.

Ursprünglich musste Celia wild und außer sich sein, um ihr Leben zu retten, und dann musste sie aufgeben, um ihr Leben zu retten. In der Primärtherapie haben wir das Rätsel der Psychose entwirrt und heraus­gefunden, dass sie durch die Prägung erklärt werden kann. Wenn unsere Celias dieses zyklische Trauma wiedererleben, lösen sie ihre manische Depression auf. Wenn das Wiedererleben von Geburts­traumen die Persönlichkeit so dramatisch verändern kann, weist das darauf hin, dass das ursprüngliche Trauma die Persönlichkeit ebenfalls verändert und gesteuert hat.


67

Was ist eine gute Geburt?

 

Wenn das Geburtstrauma so wichtig für die Gestaltung der Persönlichkeit ist, dann trifft dies auch auf die gute Geburt zu. Die ideale Geburt, wie Dr. Frederick Leboyer gezeigt hat, ist mit einem belebende Maß an Anstrengung für den Fetus verbunden, sie ist von Erfolg gekrönt, und ihr folgt das Anlegen an die Brust. Eine solche Geburt bedeutet vor allem, der Mutter keine Betäubungsmittel zu verabreichen, wenn es sich vermeiden lässt. Diese Geburt schafft die Erwartung, dass sich nach der Anstrengung der Erfolg einstellt, was später zu einem optimistischen Aussehen führt. Diese Geburtsprägung erzeugt eine Physiologie des Optimismus. Im Alter von etwa neun Jahren stellten sich "Leboyer-Babys" als gut angepasst heraus, und sie waren in der Regel Ambidexter.

Natürlich stammt nicht jeder Prototyp von der Geburt. Er kann vor oder nach der Geburt zustande kommen, aber immer sehr früh im Leben, wenn grundlegende Reaktionstendenzen angelegt werden. Ein Baby, dessen Geburtserfahrung nicht traumatisch ist, das aber dann plötzlich von seiner Mutter entfernt wird und tagelang ohne Berührung in einem Inkubator allein gelassen wird, kann ein Leben lang schreckliche Angst vor dem Alleinsein haben. Jede Situation im Erwachsenenalter, die mit Alleinsein zu tun hat, löst das frühe prototypische Ereignis aus.

Wenn sich das nach dem Schuster anhört, der auf der Welt nur Schuhe sieht, dann denken Sie daran, dass die Persönlichkeit irgendwo beginnt. Natürlich gibt es die erbliche Komponente, die vielleicht zu einem schnell reagierenden oder zu einem trägen Nervensystem beiträgt. Dann stellt sich die Frage nach der Ernährung und Pflege im Mutterleib: War die Mutter anorexisch, rauchte sie, trank sie Alkohol in der Schwangerschaft? Wir wissen, dass diese Faktoren die Entwicklung des Fetus signifikant beeinflussen.

Bedeutet das, dass sich Menschen nach der Geburt ihr Leben lang nicht mehr verändern? Sie ändern sich, aber nicht tiefgreifend. Sie werden reifer, entwickeln Verstand und Intellekt, erlernen Berufe und so weiter, aber wahrscheinlich wird aus dem ruhigen Baby ein zurückhaltender Erwachsener und aus dem hyperaktiven ein aggressiver Erwachsener. Grundlegende Tendenzen werden durch die Prägung bestimmt, und diese Prägung wird durch den "Traumazug" zudiktiert.


68

Hätte Patricia, ein willfähriges, gehorsames Kind, viel Liebe und Unterstützung erhalten und wäre sie ermutigt worden, hartnäckig zu sein, dann wäre ihre Prägung in Schach gehalten worden aber nicht ganz verschwunden. Die grundlegende Tendenz in ihr, sich zu fügen, wäre noch immer da. Ihre Prägung, nicht in der Lage zu sein, ums Überleben zu kämpfen, wird fortbestehen, und sobald ihr Kortex entsprechend ausgestattet ist, um die Einprägung in Logik zu übersetzen, wird sie als Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit in Begriffe gekleidet.

Die Bedeutung des sympathischen/parasympathischen Paradigmas besteht darin, dass es eine biologische Basis für das Verständnis unserer Persönlichkeit und unserer psychophysiologischen Entwicklung bereitstellt. Es befähigt uns, Abstraktion und Metapher hinter uns zu lassen und Spekulation durch die Präzision verifizierbarer Hypothesen zu ersetzen. Wir müssen nicht mehr von dem Willen zur Bedeutung, dem Ödipuskomplex, dem Es und anderen Konzepten reden, die von der Biologie abgerückt sind; wir können von der Persönlichkeit und der Biologie als einer Einheit reden. Wir können über die Art diskutieren, wie das Nervensystem auf Ereignisse in der Kindheit reagiert, und wie diese Ereignisse in physische und psychologische Leiden übersetzt werden. Das sympathische/parasympathische Paradigma verbindet Physiologie und Psychologie, lässt beweisbare Hypothesen entstehen und ebnet der Psychologie den Weg zur Wissenschaftlichkeit.

 

Sam, Patricia und Celia nach der Therapie

 

Sam, Patricia und Celia unterzogen sich einer Primärtherapie. Sam wäre nie zu einer Therapie gegangen, wenn Patricia nicht darauf bestanden hätte. Er ging nicht deshalb hin, weil er unter Leidensdruck gestanden hätte, sondern weil er überzeugt war, dass das Herzrasen ihn umbringen würde. Wie Patricia und Celia fand er heraus, dass er etwas tun konnte, um seine Psychologie und Physiologie zu normalisieren.

Sam hatte sich bitterlich über Patricias Sexualtrieb beklagt. Aber nachdem sie die Anoxie im Mutterleib voll erlebt hatte, begann sie, sexuell mehr zu fühlen. Nachdem sie sich selbst gestattete, auf die schreckliche Qual zu reagieren, konnte sie sehr viel mehr Erregung zulassen, ohne sich zu verschließen; sie konnte sich entspannen und es genießen. Mittlerweile sind ihre Migränen selten geworden, und die Auflösung ihrer Depression beseitigte auch ihre Schilddrüsenunterfunktion.

Sam lernte, dass seine Hypersexualität früher erotisierter Schmerz war.


69

Er benutzte Patricia, um einen bodenlosen Schlund zu füllen. Als er seinen Schmerz wiedererlebt hatte, wurde er weniger aggressiv, und sein Testosteron-Spiegel normalisierte sich. Für ihn bedeutet das "viel weniger", für Patricia "viel mehr". Sam lernte auch, Herzklopfen als Zeichen zu identifizieren, dass etwas in ihm ausgelöst worden ist, das gefühlt werden muss.

Patricia lernte, dass sie wie alle Neurotiker die Vergangenheit in der Gegenwart wiedererschaffen hatte. Indem sie in erster Linie auf ihre Prägung reagierte, nämlich "Ich kann nicht, ich schaff's nicht, ich sterbe", stellte sie ihr Scheitern sicher. Ihre gegenwärtige Situation wurde zu ihrem alten Feeling. Als Patricia dieses Gefühl viele Male erlebt hatte, ergab sich daraus, dass aus Misserfolg schließlich Erfolg wurde, indem sie den Terror und die Hoffnungslosigkeit in den richtigen Zusammenhang stellte und nicht mehr falsch in die Gegenwart platzierte. Sie konnte endlich Vergangenheit und Gegenwart auseinanderhalten. Das ist der Schlüssel, um Neurose ungeschehen zu machen: das Vergangene in der Vergangenheit zu platzieren, sodass es die Gegenwart nicht lenken kann. Indem Patricia das tat, löste sie ihre Migränen auf — eine von mehreren positiven Veränderungen.

Wenn Patricia mit fünfunddreißig Jahren wieder die Schulbank drückt, gibt sie nicht auf, falls sie eine Drei bekommt, weil so eine Note den alten Terror und die alte Verzweiflung nicht wieder wachrufen kann. Sie wird nie so beharrlich sein wie Sam, der Beharrlichkeit seit seiner Geburt praktiziert, aber sie hat gelernt, dass durchzuhalten gleichbedeutend mit Erfolg ist. Und entsprechend wird Sam nie ein Künstler sein, weil sich seine prototypischen frühen Fähigkeiten nicht entwickeln konnten. Er kann nicht in Bildern denken, und sie interessiert sich nicht für Geld und Geschäft, aber sie können zurechtkommen. Sie lässt ihn nicht mehr warten, weil sie jetzt besser in die Gänge kommt. Er ist weniger unzufrieden und viel geduldiger mit ihr. Ihre Ehe ist kein Spielfeld mehr für ihre alten Gefühle.

Ihre Persönlichkeit ist im Grunde gleich geblieben, aber sie geht nicht mehr ins Extreme. Sam kann jetzt zuhause bleiben und entspannen, während Patricia weniger Angst hat auszugehen. Sie braucht sich von Sam kein "Leben" mehr "einhauchen" zu lassen, und er hat eine Zentriertheit und Stabilität gefunden, die er nie zuvor gekannt hatte. Beide sind zufriedener mit sich selbst.

Was Celia betrifft, hatte sie als Resultat des Gefühlsprozesses folgende Einsicht zu ihrem Zusammenbruch: "Wenn mein Verhalten nur verrückt genug würde, bekäme ich endlich die Aufmerksamkeit meiner Mutter, und sie würde mir geben, was ich zum Überleben bräuchte."

In ihrer verzweifelten Anstrengung, leben zu dürfen, wünschte sie sich nichts so sehr wie jemanden, der sie begreifen und ihr helfen würde. Ihre Schreie waren lautlos und ihr Schmerz war stumm. Der Streit mit ihrer Mutter war der letzte Strohhalm. Als sie ihr Feeling integriert hatte, verschwanden ihre Hochs und Tiefs ohne das Zutun von Medikamenten.

Für Sam, Patricia und Celia bedeutete die Verbesserung ihres gegenwärtigen Lebens, zurückzureisen, um die Konfrontation mit den Traumen ihrer Vergangenheit zu suchen. In den nächsten zwei Kapiteln konzentriere ich mich darauf, wie unsere Geschichte als Wegkarte zu unserer Gesundung dienen kann, und wie gegenwärtige Gefühle ein Startpunkt sein können, um tief verborgene unerfüllte Bedürfnisse zu entschlüsseln.

70

#

 

 

 ^^^^ 

www.detopia.de