19. Was hat Liebe damit zu tun?
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Geschichte, Geschichte, Geschichte. Einprägung, Einprägung und Liebe. Wie lieben Sie ein Gehirn? Sie erfüllen die basalen Bedürfnisse von Menschen, und das Gehirn sowie der Körper werden sich anschließen; denn Liebe ist nicht einfach etwas, das wir denken oder in Worten äußern. Sie befindet sich in allen unseren Geweben, Hormonen und Organsystemen. Das Gehirn organisiert die Liebe und verbreitet ihre Freuden überall im System. Sie sagt „Nicht zu viele Stresshormone," „Nicht zu viele erregende Neurotransmitter," gerade genug, um uns wach und wachsam zu halten.
Wenn es Liebe gibt, genügend Sauerstoff bei der Geburt, große Sorgfalt der Mutter in der vorgeburtlichen Zeit, Halten, Berühren, Pflegen, Harmonie, Zuhören, Lob und Ermutigung, wird sich das System selbst ins Gleichgewicht bringen. Wenn wir spätere Drogensucht und Alkoholismus vermeiden wollen, brauchen wir ein Gehirn, das effektiv verdrängt, und das bedeutet ein geliebtes Gehirn. Serotonin ist ausreichend vorhanden, wenn es frühe Liebe gibt, und es reicht nicht aus, wenn es sie nicht gibt. Wir können Nein zu Drogen sagen, aber ich denke nicht, dass wir Nein zu unserer Neurobiologie sagen können.
Wir brauchen eine neue Einstellung zur Liebe. Es sind nicht einfach zärtliche Worte, was wir brauchen. Wir dürfen die Mutter und damit das Neugeborene nicht anästhetisieren, so dass Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit sich ein Leben lang einprägen und ein abweichendes Gehirn erschaffen. Wir müssen eine Kampagne gegen Rauchen und Trinken in der Schwangerschaft arrangieren. Die Mutter raucht, der Fetus keucht. Die Mutter trinkt, und der Fetus wird betrunken.
Können Sie sich vorstellen, was der Fetus durchmacht, <besoffen> und keine Chance, den Angriff zu verstehen? Es ist kein Zufall, dass rauchende schwangere Mütter Nachwuchs zur Welt bringen, der oft Verhaltensprobleme hat und nicht gut lernt. Es kommt daher, dass das Gehirn dieser Kinder bereits beeinträchtigt ist.
Es gibt die 'Ein-Recht-auf-Leben'-Leute, die wollen, dass Frauen, die vergewaltigt worden sind und/oder ihre Babys wirklich nicht wollen, kein Recht auf Abtreibung haben. Nichtsdestotrotz zeigt die Forschung, dass ungewollte Kinder viel weniger Chancen haben, ein normales Leben zu führen. Das zwingen wir Frauen auf: psychisch behinderten Nachwuchs zu gebären. Das Recht auf Leben sollte das Recht auf ein normales, glückliches Leben bedeuten.
Ein Kind, das aus welchen Gründen auch immer unerwünscht ist, setzt die Mutter unter Stress. Ihr Kortisolspiegel sind kontinuierlich hoch. Das Ergebnis kann eine Frühgeburt sein und alle Komplikationen, die mit unzulänglicher Gehirnentwicklung in Zusammenhang stehen. Ein Baby zu lieben bedeutet, dass seine Rechte zuerst kommen. Wenn eine schwangere Mutter einen Drink braucht, muss sie zuerst an die Auswirkungen auf den Fetus denken. Wenn sie Diät machen will, um ihre Figur zu halten, muss sie an die Mangelernährung des Fetus denken, und daran, wie dies das Gehirn schädigen wird. Es ist schwer, jemanden anderen an erste Stelle zu setzen, wenn wir selber so schrecklich bedürftig sind.
Wenn wir neue menschliche Geschöpfe mit einem stabilen Gehirn erzeugen wollen, müssen wir die Geburtspraktiken in Übereinstimmung mit den Doktoren Leboyer und Odent ändern. Wir müssen in der vorgeburtlichen Phase und natürlich in den ersten Monaten nach der Geburt große Sorgfalt walten lassen. Das heißt, in einer Zeit, in der das Gehirn neue Synapsen und Dendriten bildet; sein Kommunikationssystem entwickelt sich, das dem Kind erlaubt, in vielen Bereichen – körperlich, künstlerisch und intellektuell – mehr als kompetent zu sein. Ich habe Kinder gesehen, die von Müttern geboren wurden, die vor, während und nach der Geburt sehr sorgfältig und liebevoll waren. Diese Kinder sind anders. Sie sind rege, klug, körperlich fortgeschritten, nicht krank, nicht weinerlich, sie sind kreativ, warmherzig und kuschelig. Wer wollte noch mehr? Sie haben alle Chancen im Leben, und aus dem Grund wurde dieses Buch geschrieben – um der Gesellschaft die Chance zu geben, eine neue Art Mensch zu schaffen. Es ist gar nicht so schwierig. Es ist eine Methode, wie wir späteren Alkoholismus und spätere Sucht, Kriminalität und Psychose vermeiden. Es ist eine Methode, Menschen zu schaffen, die sich um ihre Brüder und Schwestern in der Gesellschaft kümmern.
Ich bin beeindruckt von der Vorstellung, wie leicht zu erreichen ist, was ich hier erörtere. Es ist viel leichter, als Gefängnisse und psychiatrische Kliniken zu bauen, in denen wir uns um die Folgen der Fehler kümmern, die wir in der Kindererziehung bereit gemacht haben.
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Worüber die meisten von uns schreiben, hat damit zu tun, wie man sich mit den Kompensationsmechanismen frühen Liebesmangels arrangiert. Wir stutzen die Migränen, den Vergewaltiger, den Drogensüchtigen und den Voyeur zurecht, den Bluthochdruck und den Zähneknirscher, den Zorn, der außer Kontrolle geraten ist, und den Depressiven.
Wir müssen anfangen, uns mit den Ursachen zu befassen, bevor es zu einem abweichenden, abnormen Gehirnsystem kommt, das abweichendes Verhalten erzwingt. Wir müssen die ganz tiefen, viszeralen Wurzeln der Angst verstehen, jene äußerst primitive Reaktion, die tiefgelegene Sektoren des Gehirns involviert. Wir können versuchen, sie durch Ermahnung, Moralpredigt, Einsichtstherapie oder Medikamente zu bekämpfen, aber wäre es nicht besser, auf diese tiefen Ebenen hinabzusteigen und die Wurzeln der Angst auszureißen? Es ist machbar. Zuallererst müssen wir unsere Geburtspraktiken ändern. Hören wir auf, Mütter bei der Geburt unter Drogen zu setzen. Für alle meine schwer rauchenden Patienten war das Geburtstrauma ausschlaggebend. Dasselbe gilt für die Alkoholiker.
Gestern interviewte ein Fernseh-Team einige meiner Patienten. Sie fragten: „Erschreckt Sie nicht, was sie da tun?" Sie sagten einstimmig Nein; es ist erschreckend, es nicht zu tun, weil es dann chronisches Leiden bedeutet. Sie alle sagten, dass sie ihre Therapiesitzungen gar nicht erwarten können, weil sie Erleichterung bedeuten.
Ich habe mir keine Theorie über eine Einprägung ausgedacht. Ich habe jeden Tag gesehen, was Liebesmangel den Leuten antut, und wie er vierzig oder fünfzig Jahre in ihrem System verharrte; wie diese frühen Traumen in reiner Form erhalten bleiben, unberührt von jahrzehntelanger Erfahrung. Ich höre es jeden Tag in den Schreien meiner Patienten, die ihre realen Bedürfnisse ihren Eltern gegenüber ausdrücken: „Halte mich. Will mich. Hör’ mir zu. Lobe mich. Führe mich. Sei bei mir."
Was sie nicht mit Worten ausdrücken können, erleben sie in der unartikulierten Agonie aus präverbalen Schmerzen wieder. Ihr Körper drückt die Angst und das Unwohlsein aus. Wir müssen uns wieder daran orientieren, wie der Körper sich auf seine eigene Art ausdrücken kann. Durch hohen Blutdruck, der sagt: „Ich stehe unter Druck." Durch Migränen, die sagen: „Meine Blutgefäße ziehen sich zusammen und erweitern sich auf Grund von Sauerstoffmangel bei der Geburt."
Was können wir an den Folgen frühen Liebesmangels ändern? Ich glaube, das Wiedererleben der beteiligten Agonie erlaubt dem Gehirn, sich auszurasten und zu erholen. Es scheint logisch, nachdem man/frau meine fortgeschrittenen Patienten gesehen hat, dass es dem Gehirn irgenwie sehr gut geht, wenn es nicht unter Schmerzbelastung steht. Das Gehirn kann nicht von allen seinen frühen Beeinträchtigungen genesen, aber diese Individuen können ein glückliches und produktives Leben führen.Wir sehen an den Fallgeschichten, wie sie Drogen und Alkohol vermeiden können. Wir befassen uns mit diesen Problemen niemals um ihrer selbst willen. Wir befassen uns mit dem Schmerz; alles Übrige ergibt sich. Ja, man muss sich mit Symptomen befassen, aber nicht als endgültige Therapie.
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Das sind die entscheidenden Konzeptionen, die enthalten sein müssen, wenn man sowohl physische als auch psychische Probleme ansprechen will. Ohne sie sind wir in eine phänotypische, Symptome erleichternde, am äußeren Schein orientierte Therapie eingesperrt, die bestenfalls flüchtige Erfolge bringt. Diese Therapien sind nur handlungsorientiert. In der handlungsorientierten Therapie müssen Sie die früh eingeprägten Dämonen zurückschlagen. Per Definition kann sie keine Langzeitwirkung haben, weil die Einprägung immer gegenwärtig ist und die Person an unerledigte Geschäfte erinnert. Die Einprägung ist ein Überlebensmechanismus und sollte immer anwesend sein. Sie erlaubt uns, in die Geschichte zurückzugehen, zurück in eine Zeit, als wir mit sechs Monaten oder einem Jahr nicht berührt wurden, und diese Geschichte wiederzufinden und ungeschehen zu machen, indem wir das Bedürfnis hinausschreien, unsere Hände nach Mami ausstrecken, flehend, bittend (mit dem neu entwickelten kortikalen Gehirn), und indem wir die Verdrängung dieses Bedürfnisses überwinden, eines Bedürfnisses, das zu Schmerz wurde, weil ihm die Erfüllung versagt blieb.
Es ist meine Vermutung, dass Patienten sich auch in vorgeburtliche Ereignisse einklinken, wenn sie das Geburtstrauma wiedererleben, und es kann gut sein, dass das Wiedererleben beide Zeitperioden umfasst. Jede sich entwickelnde Ebene der Gehirnfunktion umfasst die vorangegangene. Eine hormonelle Veränderung bei einer deprimierten Mutter zu einem Zeitpunkt, da der Fetus fünf Monate alt ist, kann sich bei der Geburt durch schwere Anästhesie verschlimmern, mit der sich ein nur geringfügig verfeinertes und weiter entwickeltes Gehirnsystem auseinandersetzen muss. Beide Ereignisse und viele weitere werden das kleine Kind permanent herunterregulieren. Wir dürfen niemals denken, dass früher Schmerz nicht kodiert und gespeichert werden könne, weil es für ihn keine Worte gebe. Vielleicht müssen wir Jahrzehnte warten, bis wir Gefühle mit einem Etikett versehen können, aber es wird geschehen.
Es ist die alte philosophische Frage: Sind wir glücklich, wenn wir denken, dass wir es sind? Sind wir geheilt, wenn wir es denken? Nein! Wir sind geheilt, wenn der Körper seine Aussage macht. Er spricht seine eigene Sprache mittels chemischer Substanzen; die sind auch "wir". Wir sind nicht nur ein kortikales Gehirn. Wenn jemand hohe Stresshormonpegel aufweist, sagt der Körper: „Nein, du bist nicht gesund."
Ein ursprünglicher Grund für die Entwicklung des frontalen Kortex bestand darin, unangenehme Wahrheiten weit von uns zu halten. Wenn wir die Kodierung und Speicherung von Gefühlen erkennen, können wir anfangen zu verstehen, warum wir so sind, wie wir sind. Wenn wir lernen, in unserer Therapie der Evolution des Gehirns zu folgen, werden wir viel weiter kommen. Das Feld der Psychotherapie hat die Einprägung und die Evolution weitgehend ignoriert, weshalb der Schwerpunkt auf der Gegenwart, auf Verhalten und auf Symptomen liegt.
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Wenn die Sauerstoffexperimente an der UCLA (University of California in Los Angeles) sonst keinen Zweck erfüllen, so sollten sie doch den deutlichen Beweis für die Elastizität und anhaltende Kraft der frühen Erinnerung erbringen. Weiterhin bedeutet es, dass wir uns wiedergefundene Erinnerung noch einmal anschauen müssen. Es gibt Methoden, sie zu verifizieren. Lassen wir unsere Patienten dadurch nicht noch mehr leiden, dass wir ihrer Geschichte über Missbrauch keinen Glauben schenken. Das ist keine Therapie, das ist Moralpredigt. Es ist keine Sache unseres persönlichen Glaubens. Es ist unser Job, die historische Realität aufzuspüren, wohin auch immer sie uns führen mag. Therapeuten können sagen, dass ein Patient ein Trauma vortäuscht, erfindet, dass er hysterisch ist, etc. Aber solange Therapeuten keinen tiefen Zugang ((zu sich selbst)) haben, können sie die Wahrhaftigkeit des Patienten nicht beurteilen. Bis dahin können sie dem Patienten durch derart bewertendes Verhalten einen äußerst schlechten Dienst erweisen. Denken Sie daran, Wahrhaftigkeit resultiert aus Wiedererleben und nicht aus Wiedererzählen. Wiedererleben erzeugt exakt dieselben früheren Vitalwerte, wie sie während des Traumas aufgetreten waren.
Es gibt eine wichtige Methode, wie wir erkennen können, dass eine Wiedererlebensepisode zutreffend ist und dass die Einprägung existiert. Befindet man sich einmal vollständig mit Körper und Seele in einer Erinnerung und erlebt die Verminderung der Sauerstoffzufuhr bei der Geburt, agiert das System, als sei dieses enorme Bedürfnis nach Sauerstoff gegenwärtig, und akzeptiert tiefes, schweres Atmen ohne Hyperventilations-Symptome. Aber wenn jemand sich auf intellektueller Ebene an den Sauerstoffmangel erinnert und dann willkürlich schnell und tief atmet, kommt es zum Hyperventilations-Syndrom. Deshalb heilt totales Erinnern, während intellektuelles Erinnern, auch wenn es unter Tränen geschieht, nicht heilt. Es ist der Unterschied zwischen dem Weinen über und dem Weinen innerhalb einer Erinnerung.
Ich habe die unteren Gehirnebenen viele Male auf andere Art in Aktion gesehen (Und wir haben es gefilmt). In einer Sitzung vibrierten die Füße eines Patienten fünfunddreißig Minuten lang mit über 100 schnellen Bewegungen pro Minute, was er später durch keinen Willensakt auch nur ansatzweise nachvollziehen könnte. Aber, sagen Sie, das ist dasselbe wie Hypnose. So ist es. Hypnose zapft tiefere Ebenen an, indem sie uns durch Vorstellungskraft von kritischem kortikalen Denken abbringt. In unseren Sitzungen ist der Körper auf Automatik und reagiert instinktiv. Falls nicht, kann das, was ich gerade beschrieben habe, nich ablaufen. Was trieb diese Vibration an? Es war ganz früher Terror, den er nur fühlen konnte, als er zu den Hirnstamm-Erinnerungen des Geburtsterrors hinabstieg.
Sind wir im Grunde zornige, tobende Monster, oder sind wir freundliche und edle Miezekätzchen? Weder noch und beides zusammen. Wir werden mit Fähigkeiten geboren, die Millionen Jahre zurückdatieren. Wenn das System geliebt und nicht traumatisiert wird, ist es freundlich und edel und nicht hasserfüllt und aggressiv.
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Wenn ein kleines Kind ständig frustriert wird, wird es zu einem zornigen Kind und Erwachsenen werden. Das Kind reagiert auf eine Verletzung, und es wäre die äußerste Verleugnung, wenn es vorgeben würde, es sei nicht verletzt worden.
Verknüpfung ist Heilung. Die Wunde, die wir heilen müssen, ist der Mangel an Liebe. Die Heilungsmethode besteht darin, diesen Mangel zu erfahren. Wenn wir uns weh tun, eilt das System augenblicklich herbei und leitet die Heilung ein. Wenn wir uns schneiden, wird der epidermale Wachstumsfaktor produziert, um die Heilung zu unterstützen. Wenn wir uns emotional weh tun, eilen die Kräfte der Verdrängung herbei, um uns ruhig und am Funktionieren zu halten. Dann versucht der eingeprägte Schmerz ständig, sich mit dem frontalen Bewusstsein zu verknüpfen, um die Heilung einzuleiten. Das System weiß, dass dies zur Heilung nötig ist. Alle unsere Messungen zeigen, dass Verknüpfung heilt, sei es die dauerhafte Senkung des Blutdrucks oder die anhaltende Reduzierung der Stresshormone. Schmerz ist ein Segen. Wenn er gefühlt wird, setzt er die Kräfte der Heilung in Bewegung. Um Liebe zu fühlen, müssen Sie sich zuerst ungeliebt fühlen. Dies öffnet das System, sodass es jetzt Liebe empfangen kann.
Es scheint paradox, aber sich ungeliebt zu fühlen lässt Liebe und Wärme herein, weil es endlich die Schmerzverdrängung aufhebt und Fühlen zulässt. Andernfalls durchflutet dieses Gefühl des Ungeliebtseins alles andere. Ein nicht erwiderter Anruf ist ein Auslöser, der sonderbare Ideen in Gang bringt: „Sie will nicht mit mir reden. Bestimmt liebt sie mich nicht."
Jede psychische Ausschmückung ist eine Extrapolation, die von eingeprägten Gefühlen angetrieben wird. Sie verhindert den vernünftigen Gedanken in uns, dass der Anruf einfach deshalb nicht erwidert wurde, weil die Person beschäftigt war. Das kommt daher, weil man/frau die andere Person nicht „sehen" kann; man/frau ist zu sehr in die eigenen Bedürfnisse verstrickt. Wenn wir bereits fühlen, dass „niemand uns mag", dann ist es leicht, einen Telefonanruf hinsichtlich dieses Gefühls zu missinterpretieren. Wenn wir versuchen, jemanden zu überzeugen, dass „die Leute ihn wirklich mögen", kämpfen wir gegen die Realität. Konzentrieren wir uns nicht darauf, Ideen in Ordnung zu bringen; konzentrieren wir uns auf das, was die Ideen schieflaufen ließ.
Warum sollten wir, wenn wir uns mit einer Verletzung befassen, die im Alter von einer Woche geschah, als wenig frontaler Kortex da war, um irgendwas zu verstehen, den sich später entwickelnden Kortex benutzen, um sie zu begreifen und ihre Heilung zu versuchen? Es ist wahr, dass Information aus dem primitiven Gehirn in der Ontogenese an höhere Gehirnebenen weitergeleitet und dann ausgearbeitet wird, aber wir dürfen diese Ausarbeitung nicht mit dem Ursprung der Verletzung verwechseln. Keine Ebene des Gehirngewebes kann die Arbeit einer anderen verrichten. Wir verlangen vom Hirnstamm keine höhere Mathematik. Verlangen wir vom frontalen Kortex nicht, dass er ganz für sich selbst fühlt und Gefühle versteht.
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Ich bestehe darauf, dass in den meisten abweichenden Verhaltensweisen und Symptomen ein Kern aus Urschmerz sitzt, und es spielt keine Rolle, ob er frühen Mangel an Körperkontakt, Beschneidung, spätere Kritik, Erniedrigung, Verunglimpfung oder Ignoranz seitens der Eltern beinhaltet. Es wird alles als Schmerz verarbeitet. Das ist der Grund, warum Medikamente auf ein so breites Spektrum von Symptomen ansprechen. Nehmen Sie einen Tranquilizer, und wir können besser schlafen, Migränen vermeiden, Ausagieren unterdrücken, Ängstlichkeit beenden, weniger aggressiv sein, weniger deprimiert sein, Bettnässen und vorzeitige Ejakulation beenden und aufhören, Alkohol zu trinken und Drogen zu nehmen.
Eine spezifische Schmerzpille kann diese universelle Aufgabe erledigen. Kurz gesagt, Schmerz ist Schmerz, ungeachtet des Etiketts, das wir ihm anheften. Nicht ich bin es, der darauf besteht. Es ist das, was wir in jedem Patienten aus vierungzwanzig verschiedenen Ländern finden; sie drücken ihre Bedürfnisse und ihren Schmerz ohne irgenwelche Anweisung von uns aus. Wenn sonst nichts, dann zeigt der Phantom-Gliederschmerz — wenn der Fuß schmerzt, der vor zwei Jahren amputiert wurde — , dass wir an einer Erinnerung leiden können!
Unbewusstheit ist Teil unseres genetischen Erbes, dass wir von Generation zu Generation weitergeben. Wir sind mit den Mechanismen ausgestattet, die uns gnädigerweise unbewusst bleiben lassen. Freud nannte es Neurose. Es bedeutet nicht mehr, als unbewusst zu sein. Deshalb existieren sie; der barmherzigste aller menschlichen Prozesse. Wir können niemanden Bewusstsein ((consciousness)) geben, obgleich wir ihm Bewusstheit ((awareness)) geben können. Bewusstsein kann man nicht manipulieren und durch keinen Willensakt erreichen. Bewusstheit schon.
Ist eine Patientin einmal voll bewusst ((consciously aware)), müssen wir ihr keine Integration beibringen oder Lebensunterricht erteilen. Ist die Integration erst zustandegekommen, müssen wir der Selbstbestimmung der Patientin vertrauen, die sie ihr eigenes Leben gestalten lässt. Therapeuten müssen nicht allwissend oder allmächtig sein. Den Leuten zu sagen, wie sie leben sollen, bedeutet sich anzumaßen, dass wir es besser wissen als sie selbst. Sind sie einmal von ihrer Vergangenheit befreit, können sie ihren eigenen Weg bestimmen.
Dass wir schlau sind, bedeutet nicht, dass wir unser Leben nicht verpfuscht haben. Ich glaube, die Patienten werden es selber wissen, wenn sie einmal integriert sind und nicht länger von unbewussten Kräften getrieben werden. Selbstbestimmung ist ausschlaggebend. Im Großen und Ganzen brauchen Menschen emotionale Beratung, wenn sie nicht fühlen können. Das ist der Grund für alle diese "Wie-man"- Bücher in der Psychologie. Und wir sehen, wie begrenzt der Erfolg dieser Bücher ist. Letzten Endes fällt die Person auf die gewohnten Verhaltensmuster zurück.
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Fühlende Menschen behandeln Kinder und Freunde mit Empathie und Freundlichkeit, nachdem alle Feindseligkeit aus ihnen entfernt worden ist; sie behandeln sich selbst gut, da sie keine Gefühle mehr mit Zigaretten und Trinken unterdrücken müssen; und sie sind gut zur Umwelt, weil sie in Kontakt mit ihrer eigenen Wesensart stehen, und das erlaubt ihnen, die Natur zu schätzen.
Es geht nicht einfach darum, sich gesunde Gedanken zu machen; wir brauchen ein gesundes Gehirn. Ein ungeliebtes Gehirn ist nicht gesund. Es sind nicht einfach Zellen, was wir diskutieren; sie sind Teil eines menschlichen Wesens. Und es ist nicht bloß Dopamin oder Serotonin, das zur Debatte steht. Es bedeutet, dass auf jeder Ebene Liebe entscheidet, wie wir und unsere spätere Persönlichkeit gestaltet werden. Ein Hormondefizit in der Schwangerschaft kann für alle Zeiten als Defizit im Baby bestehen bleiben. Natürlich können wir uns diese oder jene Substanz, dieses oder jenes Hormon vornehmen und Defizite in bestimmten Syndromen finden. Aber das bedeutet nicht unbedingt, dass der Mangel die Ursache des Leidens ist. Oft ist er eine Begleiterscheinung.
Madonna sagte in ihrem Lied „Ertrunkene Welt": Ich tauschte Ruhm für Liebe ein." Sie redete darüber, was sie für Liebe aufgab. Sie fand, dass Ruhm ein schlechter Ersatz war. „Er ist wie eine Droge, er steigt dir so zu Kopfe, dass er dich von den Beinen fegt," sagte sie in einem Interview in der Titelgeschichte der London Sunday Times vom 1. März 1998. Er ist nicht wie eine Droge. Er ist eine Droge! Er vertuscht die fehlende Liebe. Das Problem ist, dass wir immer mehr brauchen. „Plötzlich bist du zusammen mit hunderttausend Leuten, die deinen Namen schreien, in einem Stadion, und fühlst dich so einsam wie nie zuvor." Wer könnte es besser sagen?
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20 Psychotherapie und das Gehirn
WIE MAN DAS GEHIRN GESUND MACHT
Das Ziel der Primärtherapie besteht darin, fühlende Geschöpfe zu erzeugen. Um das zu leisten, müssen wir der Biologie vertrauen. Das biologische System ist schauderhaft und unerbittlich rational. Kein Patient, der die Geburt wiedererlebt, kann von Armen oder Beinen Gebrauch machen. Wir müssen auch dem Patienten vertrauen, der weiß, was als nächstes geschehen sollte. Dieses System wird von der Einprägung gesteuert.
Wir laufen unser ganzes Leben herum und versuchen, die Einprägung einzuholen; leider schaffen wir es nie. Sie bleibt in Führung. Ein Vater, der mit seiner Arbeit beschäftigt ist, weil er wegen seines eigenen Schmerzes beschäftigt und ständig in Bewegung sein muss, wird nicht der aufmerksame Vater sein, den ein kleines Kind braucht. Er sagt, er muss sich um den Unterhalt der Familie kümmern, aber zu oft ist das eine Rationalisierung.
Und der Stressspiegel des Babys steigt, weil es einen Papi braucht. Und es wird aufwachsen und ständig in Bewegung sein, weil seine chronisch hohen Stressspiegel es dazu zwingen. Wenn wir hohe Stresshormonspiegel haben und nicht ausagieren und uns nicht in Bewegung halten, richtet sich der Druck nach innen, und wir sind Kandidaten für eine Herzattacke oder einen Schlaganfall. Der Tod wartet, gleichgültig, wohin wir uns wenden.....nach innen oder außen. Ich habe von der „Verabredung in Sumatra" gesprochen. Gefühle sind diese Verabredung. Wohin auch immer wir uns wenden, wohin wir auch fliehen, sie warten auf uns. Wir ignorieren sie, und sie machen uns krank. Wir betäuben sie, und sie erlangen ihre Kraft zurück, sobald wir damit aufhören. Wir agieren sie aus, bis wir zu Boden sinken. Es gibt kein Aufhören, keine Atempause, kein Erbarmen.
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Das gepeinigte System ist faschistisch, es lässt niemals nach, bekommt seine Bedürfnisse nie erfüllt, es sei denn symbolisch, es dominiert alles und jede Beziehung, erlaubt keine Alternativen und kein Entkommen. Es ist ein Gefängnis, das wir für uns selbst konstruieren, um fremde Gefühle und Bedürfnisse draußen und Schmerz drinnen zu lassen.
Während eines Feelings weicht der Kortex zurück und gleichzeitig treten Prozesse der tieferen Ebenen in den Vordergrund. Bevor das geschieht, befindet sich das System in hektischer Aktivität, da im Kampf gegen die Einprägung immer mehr Neuronen rekrutiert werden. Die Rekrutierung zusätzlicher Gehirnzellen treibt die Amplitude der Gehirnwellen in die Höhe. Wir sehen, dass die Amplitude radikal ansteigt, wenn ein Patient einem Feeling nahe ist; wenn ein Feeling hart darum kämpft, ins vollständige Bewusstsein ((conscious-awareness)) zu gelangen. Nach einem verknüpften Feeling fällt die Amplitude gleichermaßen radikal. Es ist ein weiteres Kriterium für Verknüpfung, für ein echtes Feeling. Jetzt kann man die Einprägung in sich aufnehmen, sie fühlen und vor allem auf sie reagieren, anstatt vor ihr davonzulaufen.
Reaktivität ist ein zentraler Punkt, weil die volle Reaktivität zur Zeit des Traumas blockiert und umgeleitet wurde. Wenn das Ereignis – Vater und Mutter ständig streiten zu sehen – Sie dazu brachte, dass Sie sich schutzlos fühlten, dann wird es in der Therapie nötig sein, es über viele Monate zu fühlen, um eine vollständige Reaktion darauf zu ermöglichen. Das Feeling könnte darin bestehen, dass die Familie jeden Augenblick auseinanderfallen würde und das Kind kein Zuhause mit den Eltern mehr hätte. Die Person wächst in Unsicherheit und Schrecken auf. Sie wartet auf die große Katastrophe – die Scheidung – , das Ende der Familie. Genau das passiert in zu vielen Fällen, mit verheerenden Folgen. Und hinsichtlich des Vaters, der ständig droht, die Mutter zu verlassen: „Ich werde nie mehr meinen Papa haben." Die Person wächst in Angst vor dem Leben und besonders vor dem Tod auf, weil sie niemals jemanden hatte, der sie besänftigt und beruhigt, ermutigt, unterstützt und beschützt hätte. Sie steht nackt vor dem Leben; keine schützende Schicht aus Liebe, die sie ummantelt hätte, keine frühe Liebe, die einen frontalen Kortex errichtet hätte, der dem Leben die Stirn bieten, Gefühle integrieren und erleben und mit anderen auskommen könnte.
Wir dürfen vorgeburtliche Ereignisse nicht länger vernachlässigen, denn wenn wir die Entwicklung der Persönlichkeit verstehen wollen, müssen wir uns darauf konzentrieren, wo sie sich entwickelte. Unsere Gehirnzellen sind dem Darwinschen Überleben des am besten Angepassten verpflichtet; die stärksten und die am meisten benötigten überleben. Deshalb glaube ich, dass das menschliche Gehirn seit Millionen Jahren sehr erfolgreich ist und unter sonst gleichen Umständen angemessen funktionieren sollte. Die stärksten Neuronen haben überlebt, und die wirkungsvollsten intern produzierten Schmerzkiller haben auch überlebt. Als das System im Laufe der Zeit schweren Traumen ausgesetzt war,
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verfeinerten sich die Rezeptoren immer mehr. Sie sind bereits vor der Geburt einsatzbereit und finden sich auch in der Plazenta. Aus diesem Grund neige ich dazu, der Vererbung kein so großes Gewicht beizumessen. Angesichts der verschiedenartigen Traumen, denen wir von der Zeit im Mutterleib an unterliegen, ergeben sich zahlreiche Gründe für abweichende Verhaltensweisen und Symptome. Ich erwähnte an früherer Stelle, indem ich Peter Nathanielsz zitierte, dass Menschen, die mit großer Plazenta geboren werden, anfälliger für hohen Blutdruck und möglichen Schlaganfall im späteren Leben sind. Wie alles andere im menschlichen System tendiert die Plazenta dazu, Ausgleich zu schaffen, wenn während der Schwangerschaft suboptimale Bedingungen herrschen. Sie wird größer, um Gegebenheiten wie dürftige Ernährung wettzumachen.
Ein anderer Grund für das Wachstum der Plazenta besteht darin, dass sie härter arbeitet, um die anhaltende Sekretion von Stresshormonen im Fetus abzubrechen. Unglücklicherweise kommt der Punkt, an dem der Stress die Kompensationsmechanismen überbeansprucht. Die Plazenta ist nicht einfach ein Sack; sie ist ein lebendes Gebilde, das Schmerzkiller produziert. Ja, der Fetus muss Schmerz abtöten, auch wenn er wie ein Protoplasmaklümpchen aussieht, und obgleich er keine Worte hat, um sich irgendwie zu artikulieren.
Sauerstoffmangel tendiert dazu, die Blutgefässe zu schwächen. Dieses scheinbar geringfügige Problem im Mutterleib kann sich später im Leben zu ernster Diabetes oder Herzstörungen auswachsen. Vergessen wir nicht, dass die Plazenta für den Fetus der Hauptlieferant von Sauerstoff ist. Eine rauchende und/oder trinkende Mutter erzeugt für den Fetus einen niedrigen Sauerstoffspiegel; die Plazenta gleicht aus, indem sie wächst, um mehr bereitstellen zu können. Die Nieren und die Leber können darunter leiden, wenn auch unmerklich, weil das System versucht, den Sauerstoff an das Gehirn des Fetus zu liefern. Später wird der Schaden nicht unmerklich bleiben, da weitere Traumen im Leben den leichten ‚Knacks’ im System verschlimmern.
Wenn es zu dieser Art Trauma, zu Sauerstoffmangel kommt, produziert der Fetus Stresshormone, um das System für die Gefahr aufzurüsten. Anhaltende Sekretion von Kortisol kann jedoch für späteren hohen Blutdruck verantwortlich sein. Deshalb erwähne ich an anderer Stelle, dass die ‚Fabrikation’ früher Schlaganfälle ( aufgrund hohen Blutdrucks) im Mutterleib stattfindet.
Ob jemand dick ist oder nicht, kann auch nicht nur von Vererbung abhängen (obgleich ich ihren Einfluss nicht verneine), sondern davon, wie gut sich die Mutter während und nach der Schwangerschaft ernährt. Wenn sie in der ersten Hälfte der Schwangerschaft unterernährt ist, ist die Chance größer, dass ihr Nachwuchs später im Leben fettleibig ist. Das System scheint in diesen Fällen im ganzen späteren Leben zu versuchen, die Defizite im Mutterleib auszugleichen.
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Die Sollwerte für das Gefühl der Sattheit sind in diesem Fall vor der Mitte der Schwangerschaft festgesetzt worden. Wenn die Lungen sich im Mutterleib nicht richtig entwickeln, kann das die Voraussetzung für die chronische, lebenslange Behinderung der Atemwege schaffen.
Fehlernährung während der Schwangerschaft kann die Lebensspanne der Nachkommen durchaus verkürzen, aber wenn das Kleinkind nach (kursiv) der Geburt unterernährt ist, wird das die Lebenserwartung nicht senken. Wir sehen immer und immer wieder, dass ein Trauma die Sollwerte im Mutterleib abändert; ein Problem, das nicht leicht zu bewältigen ist, falls überhaupt. Ein Trauma nach der Geburt kann dauerhafte Auswirkungen haben, aber es hat nicht so tiefgreifende Konsequenzen wie Erfahrungen im Mutterleib. Wir dürfen nie die kritische Periode vergessen. All das Obige betont — und es entspricht meiner klinischen Erfahrung und gründet auf vielen neuen Forschungsergebnissen —, dass viele Schwierigkeiten und Gebrechen, die wir Erwachsene haben, aus pränatalen Einflüssen resultieren können.
Vergessen wir nicht die dialektischen Prinzipien, die die Biologie beherrschen. Wir putschen ein Baby im Mutterleib mit Kaffee und Angst auf, und es wächst heran und will Beruhigungsmittel, um sich normal zu fühlen. Wir unterdrücken einen Fetus mit Drogen und Alkohol und er wächst heran und will Speed, Kaffee, Zucker und vielleicht Kokain. Unser Körper verbringt sein ganzes Leben mit dem Versuch, die Geschehnisse im Mutterleib auszugleichen. Die Sollwerte ändern sich für immer. Mit vierzig brauchen wir Schilddrüsenhormone, um den niedrigen Hormonspiegel während der Schwangerschaft auszugleichen. Und wir wissen, dass die Leistung ihrer Schilddrüse (und der des Babys) beeinträchtigt war, als sie unter Stress stand. Schilddrüsenhormon ist für die Pflege und Versorgung der Neuronen und ihrer dendritischen Verbindungen wesentlich. Auch wenn der Fetus etwa im vierten Monat beginnt, sein eigenes Schilddrüsenhormon zu produzieren, so fließt doch auch die Produktion der mütterlichen Thyreoidea ins fetale System ein und beeinflusst seinen Ausstoß. Wenn der Spiegel der Mutter sehr niedrig ist, kann das Kind mit Rückständen in der geistigen Entwicklung geboren werden; die Neuronen entsprechen einfach nicht der Anforderung. Was versuchen viele von uns, wenn sie Drogen nehmen.....Tranquilizer, Schilddrüsenhormon, Insulin, Heroin, Pillen zur Blutdrucksenkung und Herzberuhigung und Vasokonstriktoren für die Migräne? Wir versuchen, uns zu normalisieren.
Die Medikamente, die wir jetzt anwenden, um Sucht und Alkoholismus zu kontrollieren, sind oft die nämlichen Serotonin steigernden Medikamente wie Prozac, Zoloft und Paxil. Was versucht der Süchtige zu erreichen? Er oder sie versucht, normal zu werden, - die Spiegel intern produzierter Schmerztöter auf optimalen Stand zu bringen, sodass der frühe Liebesmangel nicht gefühlt wird. Durch Drogen und Medikamente wird der Körper hinters Licht geführt und denkt kurze Zeit, dass er geliebt werde, denn genau das leistet Behaglichkeit; sie lässt uns innerlich ganz warm und kuschelig fühlen.
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Und was machen Ärzte, die ein und dieselbe Droge für alles von Depression bis Angst, von Bulimie bis zu suizidalen Neigungen verschreiben? Bewusst oder unbewusst versuchen sie, das System des Patienten zu normalisieren. Hierin also liegt das Dilemma: Ein ganz frühes Trauma beeinträchtigt das Serotonin-System, dasselbe System, das wir brauchen, um dieses Trauma zu verdrängen. Jemand, die/der eine ziemlich liebevolle Kindheit hatte aber eine schreckliche Zeit vor und während der Geburt, kann immer noch in der Lage sein, die Ressourcen aufzubringen, um Schmerz zu unterdrücken. Aber wenn Sie das Vorgeburts- und Geburtstrauma durch Hinzufügen von emotionaler Leere und Zurückweisung in der frühen Kindheit verschlimmern, dann haben Sie eine Anhäufung von Schmerz, die das Hemmungssystem überfordert.
Wenn wir uns fragen, warum es Kriminalität gibt und warum so viele Kriminelle unter Drogen stehen, müssen wir einen Blick auf frühe Deprivation und eingeschlossenen Schmerz werfen. So viele unserer Gefängnisse werden für die Aufnahme Drogensüchtiger in Anspruch genommen; Leute, die behandelt werden sollten, weil Ihnen Liebe fehlte. Für Leute, die Süchtige ausbeuten und deren Geschäft der Drogenverkauf ist, sieht die Sache anders aus. Süchtige zu beraten, kann erst hilfreich sein, nachdem man sich mit dem Schmerz befasst hat. Die Priorität derjenigen, die von Anfang an Liebe entbehren mussten, besteht immer darin, den Schmerz abzutöten. Sie können schwören, dass sie Drogen aufgeben werden, den Versuch aufgeben werden, unbewusst zu versuchen, ihr System zu normalisieren, aber die Physiologie regiert; der frontale Kortex folgt nach und geht nicht voraus – genau wie es in der Evolution war – zuerst der Hirnstamm, als zweiter der Hirnstamm und zuletzt der frontale Kortex. Wir müssen mit der Evolution arbeiten, nicht gegen sie.
Wenn wir an die Kosten der Kriminellen für die Gesellschaft denken, stellt sich zum Beispiel heraus, dass die Hälfte der Frauen in US-Gefängnissen (so steht es in einem Bericht) Opfer körperlicher oder sexueller Misshandlungen in ihrer Kindheit sind. Viele ihrer Vergehen waren von gewalttätiger Art, nachdem sie früh im Leben Gewalt gegen sich selbst erfahren hatten. Diese Frauen benutzen mit viel größerer Wahrscheinlichkeit Drogen und Alkohol. Ich bin überzeugt, dass wir diese Opfer behandeln und ihnen helfen können, Gewalt zu vermeiden, nicht durch Ermahnung sondern durch wissenschaftliche Psychotherapie, die in einem schalldichten gepolsterten Raum die Wut und das Bedürfnis im Kontext herauslässt.
Wir haben etwa einhundert Fälle von Inzest behandelt, und wir sehen die furchtbare Zerstörung, die er anrichtet. Drogensucht ist die harmloseste; es geht um die Verbrechen, die diese Personen auf Grund der Sucht zwangsweise begehen. An all dem lässt sich etwas ändern, wenn die von den Eltern begangenen Verbrechen gegen die Menschenwürde dieser Personen wieder erlebt werden. Die Gefühle tragen die Patienten zu den Orten und Zeiten, die sie aufsuchen müssen.
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Warum sollte jemand Höllenqualen fühlen wollen? „Weckt keine schlafende Hunde", so lautet oft das Motto. Wir müssen es fühlen, weil wir es auf einer Ebene des Gehirns bereits die ganze Zeit (kursiv) fühlen – wir sind uns bloß dessen nicht bewusst; und der Schaden, den es anrichtet, wird fortbestehen. Wir sind „entnormalisiert", und wir spielen die ganze Zeit „aufholen". Der Hirnstamm wird weiterhin bis zur Erschöpfung erregende Substanzen ‚ausspucken’, um uns ein Leben lang auf Touren und auf Achse zu halten. Wir laufen dann wegen dieses oder jenes Symptoms zum Arzt – wegen hohen Blutdrucks, Pädophilie, Kolitis und Spielsucht. Oder vielmehr gehen wir zu mehreren verschiedenen Spezialisten, die uns vielleicht alle auf dieselbe Weise behandeln. Oft geben sie uns Tranquilizer, weil sie unbewusst verstehen, dass all diesen Symptomen Schmerz zu Grunde liegt.
Weil wir viel mehr limbische Bahnen haben, die zum frontalen Kortex hin verlaufen, als solche, die von ihm herkommen, haben Gefühle weit mehr Einfluss auf Gedanken, als Gedanken auf Gefühle, wie wir aus evolutionärer Sicht erwarten könnten. Jemand muss in einer kontrollierten Situation völlig die Kontrolle verlieren, sodass er in Gefühlen versunken ist. Das Gehirn wird sodann Selbstkontrolle erlernen. Es muss weniger kontrollieren. (Ehe ich Polster an den Wänden hatte, hatte ich viele Löcher.) Die Person muss die Kontrolle im Kontext (kursiv) verlieren.
Wenn wir zu der Erinnerung, zu der ganz frühen Erinnerung zurückgehen, als Papa die Kontrolle verlor und die ganze Zeit herumbrüllte, dann folgt die Wut nach. Wir müssen uns zu dem Babygehirn begeben, das die Wut fühlt, und nicht zum erwachsenen frontalen Kortex, der Vermutungen anstellt, wie das Baby sich fühlt. Wir müssen das Ausmaß unserer Wut kennenlernen, weil so viele von uns Angst vor sich selbst und davor haben, was sie anstellen könnten, wenn sie die Kontrolle verlieren. Besser die Kontrolle in einem gepolsterten Raum verlieren, wo wir lernen, welches Ausmaß die Wut hat.
Erinnerung ist niemals annähernd; sie ist exakt. Zu oft, wie ich immer wieder beobachten konnte, beginnt die Wut mit dem Winden und Drehen bei der Geburt, wenn die Zange heftig an dem Neugeborenen zieht. Wir müssen über diese Wut nicht theoretisieren. Wir erleben sie jeden Tag. Niemals fordern meine Therapeuten Wut heraus oder sagen den Patienten, sie seien voller Wut. Nur im Kontext werden die Patienten genau die Wut ausdrücken, die ins System eingeprägt ist. Wenn sie/er es auf Geheiß des Therapeuten tut, wird es zwangsläufig ungenau sein.
Viele Therapeuten sagen ihren Patienten: „Lass das Kind in dir heraus", „Sag deinem Papa, dass du ihn hasst", und so fort. Da ist kein kleines Kind drin. Da sind nur Erinnerungen, die zur Verknüpfung gelangen müssen. Der große Fehler der Pseudo-Therapeuten (wie ich sie nenne) besteht darin, dass sie vorschreiben, wohin der Patient zu gehen hat: „Sag deiner Mutter, dass sie dir weh tut!" — „Schrei deinen Zorn über deinen Vater hinaus!"
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Vorschriften zu machen, weist auf mangelndes Vertrauen hin und nimmt dem Patienten die Macht. Aus diesem Grund heißt meine Therapie nicht Urschrei-Therapie. Es ist Primärtherapie. Niemals wird jemandem gesagt, er solle schreien.
Richtige Therapie braucht Zeit. Deshalb sind Wochenend-Seminare, die Wiedererlebnisse vermitteln, gefährlich. Und deshalb ist es ein schwerer Fehler, Drogen zu nehmen, um schneller dorthin zu gelangen. Der Schmerz hat seinen eigenen Zeitplan; wir müssen biologische Parameter respektieren, wenn wir erfolgreich sein wollen. Das ist genau der Grund, warum es absolut nutzlos ist, ohne Zusammenhang mit der Vergangenheit zu schreien, auf Matratzen einzuschlagen oder Wut auszudrücken. Diese Verknüpfung ist eine sine qua non. ((unverzichtbare Bedingung))
In mancher Hinsicht ist die gegenwärtige konventionelle Psychotherapie ein unbewusster Pakt zwischen Arzt und Patient, der impliziert, dass der Arzt mehr über den Patienten weiß als er selbst. Das trifft besonders zu, wenn der Arzt am Patienten interessiert, warmherzig, besorgt, beschützend und freundlich ist – all die Eigenschaften, die die Eltern nicht hatten. Das ist sehr erleichternd, aber wir müssen über Jahre ständig zur Therapie laufen, weil sie eben nur das ist.......lindernd und Abhängigkeit schaffend. Der Patient denkt, es seien die Einsichten, die helfen. Sie helfen nur ein bisschen. Es ist der freundliche und besorgte Doktor, der etwas ausmacht. Wären es die Einsichten alleine, die helfen, könnte sie auch ein Roboter liefern. Es geht um die Wärme und Besorgtheit, die mit ihnen einhergeht. Der Doktor ist der Masseur des schmerzgeplagten Egos. Er bietet, was wir haben wollen, nicht, was wir brauchen. Was wir brauchen, ist das Bedürfnis – das alte kleinkindliche Bedürfnis aus älteren Gehirnstrukturen. In der konventionellen Therapie spielt sich auf der zweiten Ebene (limbisches System) eine Beziehung ab, bei der es sich im Wesentlichen um ein Ausagieren des Patienten handelt. Er/sie ist brillant, hat Einsichten und erfährt im Gegenzug Linderung und bekommt, was er/sie im Alter von zwei brauchte. Zu spät. Deshalb macht es abhängig. Die Wirkung ist von kurzer Dauer, und er/sie muss immer wiederkommen. Es ist immer noch ein Ausagieren, ob es in einer therapeutischen Situation geschieht oder nicht. In den ersten paar Jahren des Lebens wird, was immer geschieht, zu unserer Schuld, weil es keinen anderen Bezugsrahmen gibt, um die Dinge zu verstehen.
Die Beziehung zwischen Patient und Therapeut zählt; sie sollte warmherzig und unterstützend sein, aber wie die Berichterstatter bei einem Tennismatch sollten wir beherzigen, dass das Spiel unten auf dem Feld stattfindet und nicht in der Übertragungskabine. Brillianz ist nicht erforderlich. Empathie schon. Die Einsichten, die der Patient braucht, sind im frontalen Kortex bereits vorhanden. Es bedarf keines weiteren Kortexes, der aushilft. Die Einsicht eines Genies wird nicht zur Amygdala oder Medulla oder zum locus caeruleus oder zum Hypothalamus oder Thalamus durchdringen.
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Wir können die Amygdala nicht überzeugen oder ihr abraten. Sie ist absolut unparteiisch. Kein Ratschlag, keine Meinung oder Ermahnung wird etwas ändern. Sie weiß, welche Gefühle sie in sich trägt, und sagt es niemandem. Beratung führt zur Neuordnung des frontalen Kortex, sodass sich die Person wohler fühlt, während sie entscheidende Information in der Amygdala und im Hippocampus verbirgt.
Konventionelle Therapie ist ahistorisch und weitgehend des Fühlens beraubt; somit geht sie dem eigentlichen Kern unseres Menschseins aus dem Weg. Ja, einige dynamische Therapien erforschen tatsächlich die Geschichte, aber nicht mit dem alten historischen Gehirn, das aus einem dreijährigen Gehirn heraus wie ein Dreijähriger weint. Sie weinen als das, was sie sind – Erwachsene; nicht als die deprivierten Kinder, die sie waren – und innerlich noch immer sind. Aus diesem Grund haben Therapeuten die Tiefe des Fühlens in ihren Patienten nicht gesehen. Wir versuchen nicht, einfach schlauere Leute zu produzieren; wir wollen Menschen produzieren, die sich wohler fühlen, glücklicher sind und fühlen können; die nicht mehr an unerklärlichen Symptomen oder zwanghaftem Verhalten leiden.
Wenn wir darüber hinwegkommen können, uns mit vorliegenden Symptomen zu befassen, als seien sie das eigentliche Problem, dann könnten wir uns tiefer ins Gehirn begeben und zu Orten gelangen, deren Existenz wir uns niemals erträumt hätten. Man braucht auch einen abgedunkelten, ruhigen, gepolsterten Raum, um die Chancen zu vergrößern, tiefer ins Gehirn zu gelangen, und natürlich die geeigneten Techniken.1 Wenn wir uns nicht mit inneren Einprägungen befassen, verbinden wir eine Wunde und lassen sie dann eitern, während wir weiterhin glauben, es sei etwas getan worden, um das Problem zu behandeln. Das menschliche Gehirn ist im Sinne unserer Therapie kein so großes Geheimnis. Es bewahrt unsere Geschichte sicher im Verborgenen, bis wir in der Lage sind, sie wiederzufinden. Das ist seine wunderbare Funktion.
Ein Therapeut kann uns erzählen, dass wir wundervoll, wertvoll, wichtig, etc. sind. Aber das lässt den Ort außer Acht, an dem die Wertlosigkeit liegt und an dem das Bedürfnis liegt. Die Amygdala beharrt darauf, dass wir nicht wundervoll sind, weil unsere Eltern uns das durch ihr Verhalten, das von Distanz und Gleichgültigkeit uns gegenüber geprägt ist, wissen lassen, indem sie uns ignorieren, niemals nach unserer Meinung fragen oder nicht einmal danach, was wir essen wollen. Es resultiert aus den Jahren, in denen wir kaum jemals Augenkontakt mit unseren Eltern hatten. Das ist die vorherrschende Realität, die einem verwundbaren Gehirn in der frühen und späteren Kindheit aufgebürdet und eingeprägt wurde, vielleicht in einer kritischen Periode. Die kritische Periode ist vorbei; die Tat ist geschehen. Das Kind brauchte als Baby seine Eltern, um Lob, Ermutigung und Liebe – also viel Berührung – zu bekommen. Die Amygdala bewahrt diese Wahrheit in ihrem Tabernakel und lässt sich niemals eines anderen belehren. Niemals! Sie kann es nicht hören! Nur
1 Anmerkung 5. auf Seite 341: Wir bieten allen Profis in den helfenden Berufen Training an.
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zeitweise lässt sie sich von Gedanken knebeln. Babys brauchen Tag und Nacht körperliche Nähe von der ersten Minute ihres Lebens an und in den folgenden sechs Jahren; nicht jede Minute, aber so, wie es dem Bedürfnis des Babys entspricht.
In dem Fall einer Frau, deren Mutter Tuberkulose hatte, gab es niemals Liebe; daher das innewohnende Gefühl, wertlos und unwichtig zu sein – keines Menschen Freundlichkeit wert. Diese geringe Selbstachtung ist nicht einfach eine Vorstellung (kursiv); sie befand sich im Blutsystem und in den Gehirnzellen. Vernachlässigung mit zwei Wochen führte dazu, dass sie sich unwichtig und keiner Aufmerksamkeit wert fühlte.
Es gibt einen Artikel in der New York Times (kursiv), der darauf hindeutet, dass Fachleute die Auffassung vertreten, die gegenwärtige Psychotherapie sollte größtenteils von kurzer Dauer sein. Langzeittherapie ist suspekt, wird sogar als unethisch betrachtet. Das geschieht auf Erlass der neuen Ego-Psychologie, um den Versicherungsgesellschaften entgegenzukommen, die keine Langzeittherapie bezahlen wollen. Stillschweigend inbegriffen in all dem ist, dass das Feld zugunsten einer Therapie im Beratungsstil auf tiefgreifende Veränderung verzichtet. Die tiefe, dynamische Freudianische Therapie ist seit kurzem weitgehend in Ungnade gefallen, gerade jetzt, da es zu tiefgreifender Veränderung kommt. Weil die dynamische Tiefentherapie es aufgrund fehlerhafter Theorie (meiner Einschätzung nach) nicht schaffte, hat man die Langzeit-Tiefenanalyse hinter sich gelassen. Nicht das Problem, dass man tief in der Psyche graben muss, hat Schuld daran. Schuld ist die falsche Methode. Nötigenfalls sollten wir tief graben, sobald wir eine gewisse Vorstellung haben, wie wir es angehen sollen. Und wir sollten uns nicht auf therapeutische Ideen verlassen, die hundert Jahre alt sind. Würde irgendein anderer Zweig der Medizin den Techniken treu bleiben, die ein Jahrhundert alt sind? Kaum. Wir müssten wieder dahin zurückkehren, Patienten mit Blutegeln zu schröpfen. Es sollte offensichtlich sein, dass tiefgreifende Veränderung, die Änderung tief verwurzelten Verhaltens, nicht in wenigen Sitzungen erreicht werden kann, obgleich die Lacan-Methode in Frankreich genau das versucht.
Warum ist die Psychotherapie derart in die Irre gegangen? Weil Emotionen und Verdrängung involviert sind, und die hindern hochgebildete Praktiker daran, den Wert des Fühlens zu sehen; und weil die frühen Freudschen Ideen die Psychotherapie so im Würgegriff hatten, dass es sehr schwer war, sie abzuschütteln. Und schließlich gab es nicht genug neurologische Informationen, um uns davon in Kenntnis zu setzen, dass wir das Gehirn in Betracht ziehen müssen, wenn wir Psychotherapie praktizieren. Zu viele Therapien erachten Abreaktion – das heißt, über ein anderes Gruppenmitglied wütend zu werden, einem anderen gegenüber Liebe auszudrücken – als Therapie. Wenn das Feeling nicht im historischen Kontext steht, ist es nicht heilsam und keine Therapie. Es kann hilfreich sein, aber andererseits – Voodoo ist es auch. Niemand kann gesund werden ohne die Hilfe der Geschichte.
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Ich sage das in Bezug auf körperliche als auch auf psychische Leiden. Ja, wir können Krebs erfolgreich behandeln. Aber erst wenn wir den ungeheuerlichen Druck von Schmerz der ersten Ebene sehen, können wir verstehen, wie Zellen verfallen und ihre Unversehrtheit verlieren können.
Weder gelenktes Tagträumen noch Imaginationstherapie kann uns dorthin bringen, wo wir hingehen müssen. Es ist ein willkürlich-bewusster Akt unter der Anleitung eines anderen, anstatt den Anweisungen unseres eigenen Nervensystems zu folgen. Wir können uns einbilden oder glauben, dass wir entspannt sind, den ganzen Tag lang auf einer Wolke schweben, und dennoch Angst haben, die weiter unten im Hirnstamm und limbischen System rumort. Es ist per Definition Selbsttäuschung. Wir können für die Behandlung schwerer Schmerzen keine Selbsttäuschung brauchen.
Warum muss unser Nervensystem die Regie übernehmen? Weil es die ganze Zeit Regie führt. Imaginationstherapie, oder wie auch immer der Name sein mag, ist ein geistiges Spiel, das nicht auf die Realität neurologischer Einprägungen zielt, sondern merkwürdigerweise von ihnen ablenkt; nur die Geschichte ist heilsam. Wir können uns vorstellen, der Aufzug sei kein furchteinflößender Ort, sondern ein Ort der Ruhe und des Friedens, als ließe man sich auf einem See treiben, währen man nach oben huscht; aber der Hirnstamm sagt: „Das ist ein grässlicher Ort, weil er die alte Angst im Inkubator hervorruft."
Wann immer die Macht der Therapie außerhalb unserer selbst liegt, kann sie nicht gelingen. Dann ist es Führung. Und Beratung. Aber keine Tiefentherapie. Die Macht ist bereits in uns; wir müssen sie nur anzapfen. Alles, was wir lernen müssen, ist bereits in die Schaltkreise des Gehirns eingeschrieben. Der Slogan „Alle Macht dem Volke!" sollte wörtlich genommen werden. Die Patienten entscheiden, wann sie kommen, wann sie für heute gehen und wann sie die Therapie auf Dauer verlassen. Sie haben die Einsichten nach dem Fühlen. Sie sind die Schlauen und machen die bedeutsamen Entdeckungen. Ihre Neugierde ist aufgewacht.
Die Vorstellung, es liege Gefahr im Aufschließen der Psyche, ist seit den Warnungen Freuds tief in uns verwurzelt. Ich habe herausgefunden, dass das Gegenteil der Fall ist. Das Erschließen der Psyche auf allen Ebenen der Gehirnfunktion ist der einzige Weg, um fest eingewachsene Muster oder Syptome auszumerzen. Einsicht wird dieser Aufgabe nicht gewachsen sein. Unser Schmerz gründet nicht auf Mangel an Einsicht, und wenn wir der Mixtur Einsichten hinzufügen, bewirkt das gar nichts, außer dass wir dem Patienten Rechtfertigungen für sein Verhalten anbieten und von daher seine Abwehr verstärken. Einsichten ohne vorhergehendes Fühlen sind reine Raterei. Stellen Sie sich vor, ich versuchte Ihnen zu sagen, was in ihrer Amygdala steckt, wenn nicht einmal Sie es wissen, wo es doch Ihre Amygdala ist.
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Der Grund, dass die Psychotherapie eher ein Teil des Problems ist als ein Teil der Lösung, besteht darin, dass sie das Unterbewusste des Patienten und sein präfrontales Bewusstsein auseinanderrückt und den kortikalen „Geist" behandelt, als unterscheide er sich vom übrigen Körper. Die Psyche wird behandelt, als sei sie etwas, das im Raum schwebe und neu geformt und konstruiert werden müsse. Es handelt sich nicht um geistig-psychische Krankheit!
Wir brauchen keine Psycho-Therapie. Wir brauchen empirische Therapie. Schmerz ist im Blut, in den Geweben, im Gehirn und in den Muskeln. Er befindet sich in Immunzellen und Hormonen. Er ist überall und nirgends. Er lässt sich nicht auf einen Platz festnageln, weil er pandemisch ist. Wir können das Blut, das Gehirn, die Muskeln und das Immunsystem alle für sich behandeln, aber solange wir den Menschen nicht als Ganzes behandeln, sind diese Maßnahmen zum Scheitern verurteilt.
Kann eine Therapie helfen, wenn wir an sie glauben? Vieles kann helfen, nicht zuletzt Religion. Widerspricht ein Placebo der Wirksamkeit bestimmter Tranquilizer-Therapien, wenn es den Leuten nach einem Placebo besser geht? Ein Placebo kann uns besser fühlen lassen, weil es die Sekretion der gleichen Substanzen in Gang setzt, die in den Tranquilizern enthalten sind. Viele Straßen führen nach Rom. Nur weil wir uns nach einem Placebo besser fühlen, bedeutet nicht, dass die Medikation unwirksam ist. Es bedeutet einfach, dass der Glaube und die Hoffnung, die es enthielt, die Sekretion interner Tranquilizer förderte.
Ohne den Eckpfeiler des Bedürfnisses kann keine Therapie dauerhafte Veränderung schaffen. Kompensationsmechanismen zu behandeln, bedeutet Umgestaltung. Sie befasst sich mit dem System, wie es ist, und modifiziert die Missbildungen, die es verursacht hat. Wir brauchen eine Revolution; wir müssen das System verändern, dann entströmt ihm Gesundheit auf natürlichem Wege. Ich glaube, wir haben den Orchestrator aller Kompensationen gefunden – das Gehirnsystem, dem sie alle entspringen. Wir werden kompensieren müssen, bis ein jeder den Dirigenten findet. Es geht immer darum, das große Loch aufzufüllen, das unbefriedigte Bedürfnisse hinterlassen haben.
Sind wir im Grunde zornige, tobende Monster oder sind wir freundliche und edle Miezekätzchen? Weder noch und beides zusammen. Wir werden mit Fähigkeiten geboren, die Millionen Jahre zurückdatieren. Wenn das System geliebt wird und nicht traumatisiert, wird es freundlich und edel sein und nicht hasserfüllt und aggressiv. Wenn ein kleines Kind ständig frustriert wird, wird es zu einem zornigen Kind und Erwachsenen. Das Kind reagiert auf eine Verletzung, und es wäre die ultimative Verleugnung, würde es so tun, als sei es nicht verletzt worden.
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Existieren fetale Erinnerungen? Ja, in neurochemischem Sinn. Erinnern wir uns an all das? Ja, aber im Sinne neurochemischer Veränderungen, nicht im Sinn von Szenen, Worten oder Gefühlen. Das untere Gehirnsystem erinnert sich ständig. Alles, was wir tun müssen, ist, dieses System anzuzapfen. Das menschliche Gehirn ist hinsichtlich unserer Therapie kein so großes Geheimnis. Es bewahrt unsere Geschichte sicher im Verborgenen, bis wir sie wiederfinden können. Das ist seine wundervolle Funktion.
Sigmund Freud glaubte, dass der Weg ins Unbewusste über Worte führe, wie im freien Assoziieren. Dem ist nicht so. Wir können uns den Weg zur Gesundheit nicht erdenken. Der Weg zur fühlenden Ebene führt über Gefühle; der Weg zur Ebene instinktiver Empfindung führt über reine Empfindungen. Wir müssen von jeder Ebene ihren Beitrag zur Verknüpfung fordern. Das lässt uns wieder ganz werden. Und letztlich gibt uns das unser Selbst zurück. Wir können uns selbst finden, aber wir müssen an den unwahrscheinlichsten Orten suchen. Ist es nicht paradox – ständig der einen Sache auszuweichen, die uns befreien könnte?
Wie ich in der Einleitung behauptet habe, müssen wir in unerforschte Gewässer hinaussegeln, unseren Kompass auf eine außergewöhnliche Fahrt in den düsteren Morast des Unbewussten einstellen und zu den tiefsten Zonen des Gehirns reisen.
Wenn wir ankommen, werden wir herausfinden, dass es dort unten gar nicht so düster aussieht. Das Unbewusste ist voller Licht und Entspannung, wenn wir all diese verborgenen Erinnerungen frei gelassen haben. Ich glaube, ich habe einen Teil des Weges kartiert. Der Rest ist Aufgabe der Wissenschaft. Auf dieser Reise haben wir erfahren, was wir im Leben entbehren mussten, und wie wir unsere Kinder behandeln müssen, um sie vor diesen Fehlern zu bewahren. Wir können einen neuen Menschen erschaffen. Wir haben die Wahl, und wir haben die Technik, um das zustandezubringen. Liebe ist ihr Name. Immer wieder.
E n d e
ANMERKUNGEN Quellennachweise 1 – 7
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