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"Fatalismus wäre Todsünde" Ansprache Hans Jonas anlässlich seiner Ehrenpromotion durch die Freie Universität Berlin 1992 |
Aus: |
Verehrter Herr Bundespräsident und - in aller Kürze - meine Damen und Herren,
begreiflicherweise überwältigt von dem, was ich hier in den letzten zwei Stunden gehört habe, was an mich gerichtet war oder über mich gesagt wurde, überwältigt sowohl vom Inhaltlichen wie von der Wärme und Großzügigkeit des Gesagten, rechne ich auf Ihr Verständnis dafür, daß ich nur mit wenigen dürftigen Worten antworten kann.
Eine Ehrung wie die hier mir so verschwenderisch zuteil gewordene erzeugt in ihrem Empfänger eine Mischung von Glück, Stolz und Verlegenheit. Glück und Stolz brauche ich nicht zu erklären. Wen beglückte es nicht, sein Lebenswerk von kundiger Seite so anerkannt zu hören und es in dieser Hinsicht als geglückt ansehen zu dürfen? Und wen erfüllte es nicht mit Stolz, daß dies an so rühmlicher Stelle und vor einer so glänzenden Versammlung geschieht? Als mich besonders bewegend darf ich hier die Anwesenheit des Herrn Bundespräsidenten hervorheben, für den ich seit langem Gefühle persönlicher Verehrung hege.
Was aber die Verlegenheit betrifft, so wurzelt sie in dem Zweifel meines Herzens, den keine Kompetenz und keine Aufrichtigkeit der mich Ehrenden stillen kann, ob ich so viel Lob, auch abzüglich der solchen Gelegenheiten schuldig erachteten Übertreibungen, wirklich verdiene. Es ist dies, ich versichere Sie, keine Koketterie der Bescheidenheit, sondern die immer heikel bleibende Bilanz von Vollbringen und Versagen, zu der allein es eine einigermaßen ehrliche Selbstprüfung am Ende einer langen Bahn bei mir bringen kann.
An dieser Stelle schweife ich von meinem vorbereiteten Text ab, um angesichts dessen, was ich heute gehört habe, in freier und hoffentlich nicht zu stammelnder Rede noch etwas hinzuzufügen.
Die Verlegenheit, von der ich sprach, hat außer dem erwähnten subjektiven auch noch einen viel ernsteren objektiven Grund: Und das ist die Befürchtung oder der Verdacht einer Vergeblichkeit des Wortes, selbst des wahren Wortes, wenn es zu sehr in Widerspruch gerät mit den Zwängen, den Nöten, den Interessen, den Mächten des Augenblickes und wenn es zu weit in die Zukunft greift - daß es dann ohnmächtig wird für die Gegenwart.
Es gibt Gründe genug für eine solche Befürchtung und infolgedessen Gründe genug für einen tiefen Zweifel am schließlichen Ausgang der Sache, an der man wirkt. Die jetzt stattfindende Gipfelkonferenz in Rio ist eine Probe aufs Exempel, deren Ausgang ich mit einigem Bangen entgegensehe. Er wird wahrscheinlich die Art von Zweifel, die ich eben äußerte, bestärken, so fürchte ich oder so sehe ich voraus, würde das aber nicht für einen Grund halten, die Flinte ins Korn zu werfen.
Da hier zu meiner Freude die Studentenschaft zu Wort gekommen ist, wollte ich eben hier in improvisierter Rede sagen, daß Fatalismus die eine Todsünde des Augenblicks wäre.
Das bevorstehende Schicksal, das uns droht, das wir uns selber bereiten würden, wenn wir die Erde weiter schlecht verwalten, wie wir es im Augenblick tun, dieses Unglück werden wir nur um so sicherer machen, als je unausweichlicher wir es ansehen.
Ich warne daher vor der inneren Gefahr des Fatalismus, die fast so groß ist wie die äußere Gefahr, die ohnehin durch unsere Schuld besteht.
Fatalismus - d.h. das Schicksal für unausweichlich zu halten, nicht wendbar, ist selbsterfüllend und wird das gewiß zustande bringen, was eben der Rat der Verzweiflung als unabwendbar ansieht.
Ich möchte Ihnen daher als alter Mann, der oft erfahren hat, daß das Wort ohnmächtig ist, zurufen: Oh, glauben Sie nicht, glaubt nicht daran, daß Dinge unausweichlich sind, und laßt Euch nicht verführen vom Rate angeblich objektiver Notwendigkeit, der wir hilflos gegenüberstünden. Haltet daran fest, daß wie man denkt, was man denkt, was man sagt und wie man in der wechselseitigen Kommunikation Ideen verbreitet, einen Unterschied ausmacht im Gang der Dinge.
Erfolg ist nicht garantiert; aber sicher ist, daß die Anstrengung unterlassen, die Bemühung aufgeben, ganz bestimmt das Unheil werden läßt, das wir voraussehen können und dessen Voraussehen es ja doch verhindern soll.
Verzeihen Sie mir, daß ich in dieser mahnenden Weise - nicht nur an Sie, sondern auch noch an mich selbst gerichtet - Ihnen predige.
Betrachten Sie also bitte die zuvor von mir beschriebene Verlegenheit und auch die soeben skizzierten objektiven Bedenklichkeiten als mit eingeschlossen in den tieffühlenden Dank, den ich hiermit all denen, die gesprochen habe, für ihre Worte und die darauf verwendete Mühe ausspreche. [...]