1918
So kam der Jänner 1918.
War schon eine Kälte zum Erfrieren und in den Baracken ein Gestank zum Ersticken. Zwei Kollegen und ich gingen im Hof fleißig spazieren. Dass uns wärmer wurde und wir nicht krank wurden. Auch eine Karte bekam ich aus der Heimat. Dachte mir, vielleicht die letzte in der Gefangenschaft und freute mich wieder. Wird auch wahrscheinlich meine letzte gewesen sein. Konnte nicht wissen, dass ich meine Heimat noch so lange entbehren muss.
Gingen wieder die Tage in gleicher Eintönigkeit dahin. Mussten mich meine treuen St. Pöltner, Ludwig Hoffman aus Viehofen und Franz Kaiser aus St. Pölten, täglich aus der stickigen Luft der Baracke herausholen zum Spaziergang. Gingen, bis uns die Eiszapfen von der Nase und vom Schnurrbart herunterhingen. Das war das allerbeste Mittel. Den Zweien verdanke ich nebst höheren Gewalten mein Leben.
Den 10. Jänner kam ein Kollege aus Mank, der Anmasser aus Busendorf, herein in das Lager und auch auf das Heimfahren wartete. Als wir uns erkannten, zogen wir gleich zusammen, um gemeinsam unsere Erlösung abzuwarten.
Endlich kamen auch meine Freunde vom Schacht herein, da die Kälte noch immer ärger wurde. Die 2 Wiener Freunde waren in meiner Nähe, die anderen waren weiter weg im Lager. Da nun so viele in den Erdbaracken erkrankten, so kamen wir wieder in die Holzbaracken, wo die Räume gesünder waren.
Das Essen wurde immer schlechter. Viel Salzmangel war. Uns wurde alles ohne Salz gekocht. Es gab nur eine Krautsuppe und 2 Löffel Kascha.
Früh und abends Teewasser, ohne Rum und ohne Zucker und ein kleines Stücklein Haferbrot. Zum Leben zuwenig und zum Sterben zuviel. Es starben ohnehin viele. Mit lauter Trösten auf eine baldige Erlösung verging die Zeit doch besser.
Infolge der Kälte kamen oft Hunde ins Lager um Schutz zu suchen, da wir immer gut zu ihnen waren, wurden sie recht anhänglich. Musste aber mit der traurigen Zeit die wir hatten, so mancher sein Leben lassen, dass wir unseren Hunger stillen konnten.
So verging die Zeit bis März. Da wurde schon gesprochen, dass bald eine Invalidenvisite kommt, da die Invaliden zuerst nach Hause fahren. Mit lauter Warten kam der April, wo endlich die Visiten waren. Die meisten gingen, ich war auch dabei. Wurde auch zu den Schwerinvaliden anerkannt, mit meinen Verwundungen und Leiden. Es waren unser zehntausend Mann im Lager. Davon waren 500 Schwerinvalide und 800 leichte.
Mein Kollege aus Mank war bei den leichten, der ein Magenleiden hatte. Freuten uns schon auf ein gemeinsames Nachhausefahren. Wie uns das möglich werden wird, wussten wir selbst noch nicht.
So verging wieder die Zeit in unserem Elend. Und an Arbeit mangelte es auch nie. Wurde ein Koch krank aus unserer Küche. Kam der Barackenkommandant, es war Kollege Stockinger aus Wien, zu mir und sagte, ich solle anstatt dem Koch in die Küche gehen. Deswegen kann ich genauso gut nach Hause fahren wie die anderen.
Mir war es gleich recht. Dachte mir, da kannst du dich wieder einmal richtig satt essen. Aber es war auch nichts übriges in der Küche. Aber von der Kälte war ich schon mehr geschützt. Die in der Baracke mussten wieder täglich in den Wald um Holz zu holen. Man musste auch mit dem schweren grünen Holz auf der Achsel, bis an die Mitte im Schnee, zurück zum Lager gehen.
Auch das Wasser das man im Lager und in Küche brauchte musste man mit einem Schlitten herumschleppen. Was eine große Plage war.
Arbeit gab es für alle. Die nicht im Lager arbeiteten, gingen mit dem Posten in die Stadt zum Kommando. Gab dort verschiedene Arbeiten. War nun schon 3 Wochen in der Küche. Da hieß es schon, es wird bald ein Invalidenzug zusammengestellt. Das war eine Freude. Sagte jeder, wann nur einmal einer fährt. Werden wir auch noch drankommen. Hatte man Hoffnung, auch bald erlöst zu werden.
Es war Ende April, kam der Befehl, von jeder Baracke 8 Mann von den Schwerinvaliden, von den älteren Jahrgängen. Da war ich nicht dabei. Vergingen wieder ein paar Tage. Kam schon ein Sanitätszug, wo die bestimmten einwaggoniert wurden. Viele weinten vor Freude, dass endlich Erlösung kommt. Am 5. Mai fuhren sie weg. Nach ein paar Tagen hieß es schon, dass der zweite auch bald weggeht. War schon neugierig, wer nun diesmal dabeisein wird. Der Kommandant sagte mir, ich werde jetzt drankommen. Fragte gleich wegen Freund Anmasser, ob der auch mitkommt. Sagte er nein, das geht nicht, es sind noch zu viele andere. Beim 3. Transport wird er auch dabei sein. Da beschloss ich, auf ihn zu warten. Wegen der paar Tage kommt es mir nicht an. Ist doch besser, wenn man einen Kollegen hat, sollte einem was passieren. Kann doch der andere seine Sachen übernehmen. Am 9. Mai fuhr der 21. Transport weg. Sehnten uns schon sehr nach dem uns bestimmten Transport.
Da wurde schon gesprochen vom Umsturz, dass sich die Roten nicht mehr halten können.
Es gab uns denken, wir sahen unsere Heimfahrt ernstlich bedroht. Trösteten uns doch wieder. Da die Lebensmittel schon ganz knapp wurden, dachten wir uns, sie werden uns schon nach Hause schicken, dass sie uns loshaben.
Aber leider hatten wir schon wieder zu viel Hoffnung. So vergingen die Tage in der Trostlosigkeit dahin. Eines Nachts hörten wir neben dem Lager Schüsse fallen. Wir waren ganz aufgeregt darüber.
Das war der Anfang der Revolution. II. Umsturz.
In der Früh hieß es schon, es sei Kriegszustand und durfte sich ohne Ausweis niemand auf der Straße zeigen.
Wurde gesprochen, die Menschen haben den Umsturz gemacht und stellte eine monarchistische Regierung auf, wo ein tschechischer General Kordschak der Regent war.
So kam ein ganzes Regiment Tschechen nach Tomsk. Die da hausten und das Kommando führten.
Muss jetzt eine Zeile, die ich im vergangenen Blatt übersehen habe, einsetzten. Kollege Wallner, der Straßenbahner aus Wien, konnte sich einmal bei den Sekkanturen der Menschen nicht beherrschen und hatte einem das Nötige zurückgesagt. Es war bei Nacht, er musste gleich flüchten, was ihm auch gelang. Er sprang bei Nover Nikolajevka in einen der Heimwehr bestimmten Invalidenzug und reiste glücklich in die Heimat. Sonst wäre er im Lager erschossen worden.
Nun wieder zurück zu der Tschechenregierung. Sie wollten alles unterjochen. Die sich ihnen nicht anschlossen wurden eingesperrt und oft in der Nacht erschossen.
Man hörte nicht viel davon. Wurden viele in die Keller gesperrt und dort ums Leben gebracht, mussten Schauertode nehmen und elend zugrunde gehen. Von den Gefangenen wurde immer geredet, dass für uns 8000 Gewehre bereitstehen, um gegen unseren neuen Feind eine Gegenrevolution zu machen, um uns so zu befreien. Was hätte uns das auch genützt, das zu machen um uns zu befreien. Was hätte uns das auch genützt, wir waren doch nur eine Hand voll gegen so viele.
Wir mussten wegen diesem Gerede viel mitmachen.
Täglich um 4 Uhr früh kamen sie in unser Lager und trieben uns hinaus. Mussten uns im Freien 4 und 4 anstellen. Und auf unser Lager wurden Maschinengewehre gerichtet, die schon bereitgestellt waren, um dreinzuschießen, wenn wir uns wehren. Einige von den Tschechen durchstöberten unsere Baracken, wegen Gewehre und Munition.
Wenn sie beim Durchstöbern unserer Baracken Silbergeld fanden, das sich viele aufgehoben hatten, der sich zum Andenken an die traurigen Zeiten das Geld mit nach Hause nehmen wollte, und lieber bitter Hunger litt, als das Geld auszugeben. Jetzt wurde einem alles genommen.
Um ihre Armee zu verstärken, wurde alles mobilisiert, die einen tschechischen Namen hatte und nicht einmal ein Wort tschechisch reden konnten. Da sie schon gebürtige Wiener waren. Weigerte sich ein solcher, wurde er solange mit der Peitsche geschlagen, dass so mancher ins Spital gebracht wurde und auch oft einer draufging. Manche wurden auf einen Wagen gebunden, zuerst gehaut, dann zu den Kameraden gebracht und ausgerüstet. Was zu nichts Gutem führte, denn ein solcher denkt doch an Vergeltung. So ging es tagelang fort, bis sie keinen Tschechen mehr fanden. Zwei waren auch in meiner Baracke. Einen hatte es bald. Der andere lag hinter mir, war ein Mähre und wollte von den Tschechen nichts wissen. Konnte aber schlecht deutsch. Er verstudierte sich ganz, wie er dem Schicksal entrinnen soll. Einmal ums Grauwerden in der Früh stand er auf, kramte bei seinen Sachen um, und ich sah, da man ohnehin nicht schlafen konnte, das Rasiermesser in der Hand. Ich konnte mir nicht so schnell denken, was er damit machen will, kann sich doch noch nicht rasieren?
Ginge er zum Fenster, machte einen Blick herein auf uns, und im Nu hatte er Hand und Hals durchgeschnitten und fiel ohnmächtig zu Boden. Ich machte einen Schrei und es wurde im gleich Hilfe geleistet. Kam gleich ins Spital, war nicht lebensgefährlich.
Die Ärzte hatten Erbarmen und zogen seine Behandlung in die Länge. Konnte er im Spital verbleiben, damit er nicht mobilisiert werden konnte. Es verging der Mai, vom Nachhause fahren war keine Aussicht. Und solche Sachen mit ansehen und anhören, wie es bei dieser Regierung zuging, da verdross mich schon alles.
Anfangs Juni kam ein Invalidentransport, der seine Fahrt zum Lager in Krasnoyarsk in die Heimat, wegen des Umsturzes unterbrechen musste.
Mussten die Armen mit trauriger Stimmung die Heimreise unterbrechen. Und wieder, wer weiß wie lange, darauf warten.
Sie kamen zu uns nach Tomsk. Konnten nicht zurück in ihr Lager, da bis Krasnoyarsk zurück noch Kämpfe waren.
Wie ich bei den angekommenen Leidensgenossen so herumschaute, traf ich viele Bekannte, die ich 1916 zurück ließ in Krasnoyarsk. Dabei auch meinen besten Kollegen, den ich als ich auf Arbeit ging, wegen seines kürzeren Fußes zurücklassen musste. Er wäre auch so gerne mit, konnte aber nicht wegen seines Fußes, da er nicht arbeiten konnte. Wir begrüßten uns mit Tränen in den Augen. Erzählten uns gegenseitig unser Leiden und Drangsale. Hoffte einer vom anderen, er wäre schon zu Hause, oder gar nicht mehr am Leben.
Einige Tage mussten sie in den Waggons bleiben, dann kamen sie zu uns ins Lager. Damit war ihre letzte Hoffnung, doch nach Hause zu fahren, vorbei. Das war furchtbar, diese Enttäuschung für die Armen.
So ging die Zeit dahin, bei diesem Zustand und bei der schlechten Kost. Wir Bekannte verbrachten die meiste Zeit mit Trösten. Machen wir halt so mit, ewig kann es ja nicht dauern.
Nun fassten wir nach langer Zeit (5 Monate) Fleisch aus. Sie hatten wirklich doch Angst, wir könnten eine Gegenrevolution machen, indem einem der Hunger zu allem treibt.
Wir freuten uns schon so drauf. War aber kaum zu genießen. Es war Salzfleisch, was in schlecht verschlossenen Fässern gelagert war. War schon ganz grün und faulig. Aber wir aßen, denn der Hunger tut weh. Wir bekamen es öfter, denn für die Armee war es zu schlecht. Und für uns Gefangenen war es gut genug. Waren aber schon so unterernährt, dass viele davon krank wurden.
Ein Kollege aus Kirnberg a. d. Mank, Labenbacher mit Namen, war auch da vom Krasnoyarsker Lager. Der hätte sicher seine Heimat nochmals gesehen, wäre der Umsturz nicht gekommen. Bekam ein Leiden in der Brust und starb nach kurzer Zeit.
Endlos schlich die Zeit dahin, so kam der September.
Transport für den Eisenbahnbau in der Wüste!
Bis dahin verkürzten uns die Tschechen die traurigen Tage bei Verrichtung verschiedener Arbeiten. Musste arbeiten wer halbwegs konnte. Dann hieß es, das Lager werde geräumt, muss alles auf Arbeit gehen. Dann machten sie uns vor, es werden 365 gesucht, für einen Eisenbahnbau, wobei uns alles aufs Beste vorgeschildert wurde, um uns leichter aus dem Lager zu bringen. Denn sie hatten immer Angst, wir haben doch irgendwo Waffen. Wir waren froh, von diesem Leben wegzukommen, und glaubten ihnen alles. Ein Wiener Kollege, der von Mank und ich, kamen auch dazu. Wir blieben marschbereit bis auf weiteres. Während dieser Zeit fuhr der durch den Umsturz zurückgehaltenen Invalidentransport wieder zurück in Lager Krasnoyarsk. Musste wieder Abschied nehmen von meinem besten Kollegen, der mit dem schlechten Fuß.
Am 19. September!
Kam der Befehl, dass die 365 wegfahren zum Eisenbahnbau, wo sich der auch mitschwindelte, der sich das Leben nehmen wollte. Damit er den Tschechen aus den Augen kam, und um sein Glück zu suchen.
Wurden im Lager aufgestellt, jedem seine Sachen durchsucht, was sie brauchen konnten, wurde uns genommen, sogar Liebesgaben von zu Hause. Wurde uns wieder vorgemacht, bekommen dort ohnehin alles ausgefasst, was wir brauchen und uns abgeht.
Nun fuhren wir weg, waren froh, endlich von dieser Dressur der Tschechen wegzukommen. Wenn man auch wieder unbestimmten Zielen zusteuern musste. Den vom Nachhausefahren war keine Rede mehr. Dachten uns, wenn wir wieder bestimmte Arbeit haben und halbwegs was zum Leben, so verbringen wir die Zeit doch viel leichter bis zur Heimfahrt. Denn im Lager musste man verzweifeln.
Fünf Posten waren, die uns zur Arbeitsstelle brachten und uns bewachten. War schon jeder neugierig, wo es hingehen wird.
Abends, den 19. September fuhren wir 365 Mann, samt Bewachung weg. Am nächsten Tag, vormittags kamen wir nach Nover Nikolajevka. Dort bekamen wir etwas zu essen und fassten nach langer Zeit gutes schwarzes Brot. Das uns sehr wohl tat, als hätten wir Gugelhupf gegessen.
Dann gings wieder weiter, Tag und Nacht, und kamen nach Barabinsk. Vormittags bekamen wir wieder zu essen. Barabinsk war eine Station vor Kainsk, wo ich schon im Lager war. Mir war die Fahrt dorthin schon langweilig, da ich die Strecke bereits zum 4. Mal fuhr.
Dann gings wieder weiter und weiter und unser einziger Gedanke war immer, wo werden wir hingesteckt?
Am 22., um 2 Uhr früh, kamen wir in Omsk an.
Blieben in den Waggons stehen. Vom Schlafen war keine Rede mehr, vor lauter Kälte, denn der Winter begann schon.
Verblieben bis Mittag. Dann mussten wir die Waggons verlassen und wurden von den Tschechen visitiert, ob keine ihrigen darunter waren. Dann marschierten wir weg, 6 Wärs bis zu einem Schiffshafen. Wurden in einem leerstehenden Schiff einquartiert in den Keller. Der Platz war so klein, dass wir nur sitzen konnten. Vom Liegen keine Rede und hinaus durfte auch niemand. Auch ein 2. Transport kam zu uns. Waren dann 700 Mann.
Den 24. September, um 4 Uhr nachmittags, wurden wir in unser Schiff befördert. Das war sehr klein, hatten kaum Platz.
Mussten die meisten am Deck schlafen und dort war es furchtbar kalt. Ich und Anmasser schlossen uns fest zusammen, konnten uns aber nicht erwärmen. Kam uns der Gedanke, wir versuchen es im Heizhaus. Hatten aber mehrere die selben Gedanken. Wurden die Heizer ungeduldig und jeder musste sich ein Platzerl, dass er sich wärmen konnte.
Mussten einmal bei einer Haltestelle landen und Holz laden für den Kessel, der das Schiff betrieb.
Den gleichen Tag um 10 Uhr nachts, brach uns ein Rad vom Schiff. Standen mitten im Wasser, war sehr dunkel, der Sturm heulte. Wir fühlten uns schon sehr verlassen. Das Schiff drehte sich ganz auf eine Seite. Wurde das Rad zusammengebandelt. Fuhren in der Früh wieder weg. War ein altes Schiff und nur für 500 Mann gebaut, und unser waren aber 700 Mann.
Da war es leicht möglich, dass was brechen musste. Fuhren ein Stück, wurde wieder Holz eingeladen für den Kessel, den es ging stromaufwärts auf dem Flusse Irtysch.
Wieder gings fort. Und am 25. September, nachmittags hatten wir wieder Pech, brach das zweite Rad, waren auf eine Sandstelle aufgefahren. Waren wieder ganz trostlos darüber, dauerte aber nicht lange bei der Nacht, fuhren wieder weiter. Dann wurde in der Nähe eines Lager gelandet. Mussten über einen Berg gehen zum Lager. Dort bekamen wir etwas Fischsuppe und Kascha.
Es war eine Sandwüste. Die dortigen Gefangenen waren auch schon ganz trostlos in ihrer Verbannung.
Dann ging es wieder zurück zu unserem Schiff und wir fuhren wieder weg. Da wir nur mit einem Rad fuhren, legte sich das Schiff auf die Seite. Kam ein Dampfschiff im 2 Schleppern daher. Eines ging an unser Schiff, es machte einen Ruck, dass wir alle aufschrien, denn wir glaubten, alles ist verloren. Sagte einer zum anderen, wenn es so fortgeht, werden wir unser Ziel nicht erreichen. Fuhren weiter bis zu einer kleinen Stadt. Berblofsk. Dort bekamen wir wieder zu essen. Dann ging es wieder zurück zum Schiff, blieben dort stehen die ganze Nacht, bei dieser Kälte und bei diesem Sturm. Es war zum Verzweifeln.
Früh morgens fuhren wir dann weg. Die Fahrt wurde immer trauriger. Man sah nichts als Wüste und Berge von Sand, wie in der Sturm zusammentrug.
Gegen Abend sahen wir von weitem ein Dorf, wo wir uns gleich dachten, da werden wir Halt machen müssen, da der Fluss immer kleiner wurde und nur für kleine Schiffe zu befahren war. Wir täuschten uns nicht. Das Schiff blieb beim Dorfe stehen und wir mussten heraus.
Der Ort hieß Ermark. Als wir uns die Gegend ansahen, bemerkten wir, dass auch da eine Bahn gebaut wurde, zu einem Schacht, der in der Nähe war. Auch ein Kohlenschacht.
Von dort wurde die Kohle per Bahn nach Ermark zum Schiff befördert, von da dann stromabwärts.
Waren auch Gefangene dort bei der Arbeit, die auch nicht zufrieden waren. Als wir sagten, wir kommen auf Bahnarbeit, waren sie ganz baff. Denn sie warteten schon jede Stunde auf Heimkehr. Sie waren ganz abgeschnitten von jedem Verkehr. Hatten keine Post und keine Zeitung. Wussten gar nichts, wie es zuging. Und wir raubten ihnen durch unsere Ankunft die Hoffnung auf Heimkehr.
Auch wir sagten durcheinander, da schauts traurig aus. Da werden wir wohl auch noch in Verbannung kommen und die Heimat nimmer sehen. Als es Nacht wurde, bekamen wir zu essen. Viel wohl nicht, was auch nicht not tat, denn bei diesen traurigen Verhältnissen verging uns der Appetit.
Dann wurden wir in Häuser einquartiert. Wo ein Loch war, wurden wir hingesteckt. So verging die Nacht unter studieren, denn schlafen konnte wohl keiner. In der Früh mussten wir uns bei der Küche versammeln. Wir wurden abgezählt und es gingen schon 10 Mann ab. Sind aus Verzweiflung durchgegangen. Das war für uns schlecht, denn die Wache musste streng vorgehen. Denn sie waren für jeden Mann verantwortlich.
Den 28. September
knotzen wir wie die Schweine den ganzen Tag auf dem Erdboden herum und warteten auf weiteres. Dann kam der Befehl, 100 Mann bleiben hier (das waren meist Ungarn), die anderen weiter. Abends kamen dann Fuhrwerke, die unsere Sachen aufluden. Wollten abfahren, fing es so zu regnen an, mussten eine Weile warten, dann wurden die Wagen abgewogen, muss wohl nach dem Kilo bezahlt werden. Da es weiterregnete, sagten die Fuhrleute, sie fahren nicht zurück, so blieben wir über Nacht. Die konnten sich ja trocknen, wir aber mussten in den nassen Kleidern bleiben. Die ganze Nacht konnten wir die Wäsche nicht wechseln, da wir keine 2. Gewandung hatten. Wir wurden ganz verzagt, so verging die Nacht.
In der Früh war wieder Zusammenkunft, bekamen Teewasser, dann kam der Abmarsch.
Wussten nicht, was wir tun sollten. Gehen wir mit, oder sollen wir uns gleich erschießen, denn besser kommt es nicht mehr. Unsere Unterredung nützte uns auch nichts. Wir konnten uns doch nicht helfen und gingen mit.
Am 20. September gingen wir 20 Wärs, aber nur durch die Wüste, wo man nichts sah als Himmel und Erde. Es war eine Ebene, wie man es sich nicht denken konnte.
Es war kein Hügel oder Strauch zu sehen und da mussten wir im Freien übernachten, bei allem Sturm und Kälte.
Am 30. In der Früh fing es stark zum Regnen an. Wieder ging es fort mit den Fuhrwerken, die unsere Sachen hatten. Bekamen wieder Teewasser zum Frühstück. Das andere Essen wurde mitgeführt. Das Wasser war sehr salzig, weil sich in der Nähe viele Salzseen befinden. Aber vor Durst musste man es trinken. So ging es immer weiter und weiter mit unserer traurigen Stimmung. Je weiter wir in die Wüste kamen, sah man hie und da kleine Hütten eingebaut in die Erde. Denn heraußen konnten sie nicht stehen wegen der großen Stürme. Bis am Abend hatten wir 40 Wärs zurückgelegt.
In der Kirgisensteppe!
Als das Volk aus ihren Hütten herauskam, waren wir ganz erschrocken, glaubten schon, die werden uns fressen.
Es war ein Wüstenvolk, die konnten keine anderen Leute sehen und wir mussten uns vor ihnen hüten. Konnten mit ihnen nicht reden, nicht einmal russisch, denn sie redeten ihre eigene Sprache. Und aufs Stehlen gingen sie aus. Ein Mann durfte gar nicht alleine sein. Die waren im Stande und raubten einem aus und brachten einen um.
In der Früh, des 1. Oktober ging es wieder weiter. Zirka 20 Wärs, dann wurde wieder menagiert um 5 Uhr abends. Bekamen Fleisch, das auch mitgeführt wurde. Es war getrocknetes Schaffleisch. Kaum zu kauen, nichts wie Haut und Knochen. Und so salzig, kaum zu essen. Und noch dazu das saure Wasser.
Zum Kochen mussten wir kleine Dornstauden aushacken, die in der Nähe wuchsen, denn sonst gab es kein Prügerl Holz.
Das Holz, das wir mitführten, ging auch aus.
Dann marschierten wir wieder weiter bis 10 Uhr abends. Legten wieder 15 Wärs zurück. Mussten wegen Wegverfehlens wieder im Freien lagern. Und der Wind zog fürchterlich durch die Wüste. Vom Schlafen keine Rede. Lagen umeinander wie die Zigeuner. Die unter den Wagen Platz hatten, schliefen dort, die anderen im Freien.
So verging die Nacht, den 2. Oktober um 7 Uhr früh, ging es wieder weiter. Jeder war neugierig, wie weit das noch geht, und wie das enden wird. Einer tröstete den anderen, tun wir halt solange mit wie es geht, dann hörts ja von selbst auf.
Je weiter wir gingen, sah man doch schon kleine Hügel und etwas steinigen Boden. War doch nicht mehr so öde. Aber sonst gibt es nichts, als ½ Meter hohe Dornstauden und hie und da ein kleines Grasbüschel.
Man sah schon immer mehr Kirgisenvolk und Vieherden sah man auch herumlaufen. Die den Kirgisen gehörten und davon lebten. Einen Feldbauern kennt man in dieser Gegend nicht. Überhaupt ist es ein sehr faules Volk.
Dann sah man Salzseen, die von weitem glänzten wie Wasser. Und wenn man vom Durst gepeinigt hineinlief, war es nur Salz. Das Wasser war ausgetrocknet.
Unser Transport gestaltete sich immer schwieriger.
Die Fußmaroden wurden immer mehr. Die mussten schon auf den Fuhrwerken mitgeführt werden. Andere hielten sich an den Fuhrwerken an, um mitzukommen. Gingen etwa 12 Wärs, dann wurde zusammengewartet. Dann fassten wir etwas Brot. Kamen aber nicht mehr alle zusammen. Wussten nicht, wo sie hingekommen waren, vielleicht schon von den Kirgisen ausgeraubt und geplündert, vielleicht schon ins Jenseits befördert, denn die waren solches im Stande. Suchen konnte man auch nicht gehen. Wenn es solche Wege und Straßen gäbe wie bei uns, dann wäre das ein Leichtes. Es hat niemand einen Begriff, der noch keine Wüsste gesehen hat.
Es geht nur eine Karawanenstraße durch die Wüste und hie und da zweigt eine kleine Straße ab zu den Kirgisendörfern. Warteten eine Weile, kam niemand nach, gings wieder weiter. Muss halt jeder warten auf sein Schicksal, so trösteten wir uns. Wurden wieder 20 Wärs zurückgelegt. Dann das Essen gekocht, wie gewöhnlich.
Bis 12 Uhr nachts wurde wieder gewartet, auf die was verloren waren. Einige gingen auf Suche aus. Auch die Posten die wir hatten, mit Kirgisen, die den Weg kannten. Gingen nach allen Richtungen, links und rechts, und schrieen und pfiffen, dass sie uns hören sollten. Aber alles war umsonst. Bei Nacht hätten sie was hören können, wenn alles ruhig war.
Die Zurückgebliebenen legten sich nieder. Konnte aber niemand schlafen wegen der Kälte.
Das Feuer, wo das Essen gekocht wurde, war auch umlagert, so verging die Zeit bis 3 Uhr früh. Und da alles Suchen umsonst war, kehrten wir zurück. Wurde das Essen aufgewärmt und menagiert. Dann legten wir uns nieder, um uns für den nächsten Tag auszurasten. Auch wärmer wurde es in der Früh, dass man es leichter aushielt.
10 Uhr vormittags wurde wegmarschiert, der Marsch wurde doch interessanter, sah man doch schon mehr als Himmel und Erde. Es gab viele Salzseen und Viehherden. Bis zu 200 und 300 Stück. Sie gehörten den Kirgisen. Kühe, Pferde und Schafe, und das wichtigste Wüstentier, das Kamel. Alles lief im Freien herum. Musste sich ein jedes sein Futter selbst suchen. Gingen bis abends um 7 Uhr. Legten 32 Wärs zurück und kamen auf unserem Bestimmungsort an.
War endlich der öde Transport beendet und fing wieder ein neuer Wirkungskreis an.
Die Bahnlinie war ausgesteckt, die wir zu bauen hatten. Dort trafen wir einen von denen, die wir ohne Erfolg gesucht haben. Die sind alleine ihren Weg gegangen und waren auf einem Punkt geblieben. 40 Wärs weg von dem Punkt, wo wir angelangt waren. Punkte sind dort, an jenen Stellen, wo später die Stationen und Haltestellen sein werden, wenn die Bahn gebaut ist.
Den Mann schickten sie her, wegen ihrer Sachen, die noch auf den Fuhrwerken waren, damit nichts verloren geht.
Als wir uns den Bahnbau näher besichtigten, gefiel uns alles nicht besonders. Man glaubte, wenn man bereits 170 Wärs zurückgelegt hat, muss die Wüste bald irgendwo enden, und eine schönere Gegend kommen. Konnten es nicht glauben, dass die Wüste 2000 Wärs dauerte.
Die Bahn wurde von einer Stadt Semipaladinsk weg gebaut, bis nach Omsk. Das war durch die ganze Wüste. Hätten die ganze Strecke bauen sollen bis Omsk, das hätten sich die Herrn Tschechen gewünscht. Da wären wir wirklich in Verbannung gekommen und unser Lebensalter wäre zu kurz gewesen. So viel nahmen wir uns aber nicht vor. Überhaupt bei dieser Regierung mit den Tschechen und dem Regenten Kordschak, so wie die es mit uns trieben.
Nun kam die erste Nacht. Zum Schlafen kam keiner. Lag einer auf dem anderen, weil so wenig Platz war. Die Fuhrwerker blieben auch über Nacht. Die Sachen wurden aufgeteilt. Jedem was sein war. Das Andere, von denen die verloren gegangen waren, wurde auf einen Haufen zusammengeschmissen, bis sich die Eigentümer fanden. Ein Haus war dort mit rohen Ziegeln gebaut. Dort wohnte der Kommandant mit einem Techniker und 2 Partieführern. Dann waren 3 Erdhütten gemacht, wo mitten in der Hütte ein Gang war, und die Liegestätten links und rechts gleich aus der Erde ausgestochen und mit Filz überlegt waren. Es war für 20 Mann in einer Hütte. Das Dach war mit Ästen überhüllt und eine Schicht Erde darauf, wo der Wind durchblies.
Der Kommandant übernahm uns, wies uns die Liegestatt zu und konnten vorm Schlafen noch menagieren.
Dann war noch eine Bäckerei, eine Küche und eine Tischlerei. Aber alles in der Erde und nur provisorisch, mit Rohmaterial selbst gemacht.
Anderen Tages, es war der 4. Oktober, ging es in einem anderen Ton wie bisher. Mussten sich alle anstellen, wurde uns gesagt, dass 50 Mann hierbleiben. Die anderen kommen weiter auf die Punkte. Wurden 50 Mann herausgesucht. Anmasser, der Wiener Kollege und ich schlossen uns zusammen und blieben auch hier.
Die anderen gingen weiter und wurden an den Kommandanten übergeben, wo alles genauso eingerichtet war, wie an diesem Punkt.
Wir mussten uns aufstellen, wurde unser Name, Geburtsort und Zuständigkeit aufgeschrieben, wurde uns gesagt, dass wir hier gebraucht werden, Maurer, Zimmerleute, 2 Tischler, 2 Bäcker, 2 Köche, und 1 Diener für den Kommandanten.
Wer was kann, soll sich melden. Ein Wiener, der ein gelernter Tischler war, meldete sich, und ich gleich dazu, um ihn zu helfen. Anmasser meldete sich zu den Zimmerleuten.
Der Wiener Kollege Stockinger meldete sich als Koch, weil er sich beim Transport um die Menage gekümmert hatte.
Es wurde alles aufgenommen und uns gesagt, wir sollen uns ruhig und ordentlich verhalten, dass sie mit uns zufrieden sein könnten. Nahmen es uns auch fest vor, wenn es halbwegs geht. Dann bekamen wir den 5. und 6. Oktober zur Rast. Dass wir uns reinigen und waschen und unsere Sachen flicken konnten.
Am 7. Oktober, an einem Montag, fingen wir zum Arbeiten an. Den ersten Tag war es wohl nicht viel mit unserer Arbeit. Mussten uns erst an alles gewöhnen, auch an die Verhältnisse. Der Tischler und ich mussten Fenster und Türen machen.
Die Zimmerleute mussten die Dächer für das Mauerwerk machen. Einige Maurer mussten aus Lehm rohe Ziegel machen. Die anderen mauerten, so ging die Arbeit los.
Die anderen mussten Dornen hacken zum Kochen und heimführen mit den Pferden, da wir einige hatten.
Zum Essen bekamen wir in der Früh Teewasser, mittags Erdäpfelsuppe und ein kleines Stück Schaffleisch und Kascha wie gewöhnlich. Abends bekamen wir Suppe und Teewasser und anderthalb Pfund Brot.
So vergingen die Tage bis zum 12. Oktober. Da war Sonntag und hatten wir Rast. Konnten wir wieder reinigen und flicken.
Fassten auch Zwirn, Seife und Tabak aus. Dachten uns schon, wenn es so bleibt, sind wir zufrieden. Da kann mans schon aushalten. Ist doch besser als die Dressur im Lager und viel ruhiger. Frei waren wir auch nicht, da die Posten immer bei uns waren. Aber es war doch ein anderes Leben. Den 13. Oktober ging die Arbeit wieder an, das Gleiche wieder und ging fort bis 19., da wurde wieder gefasst. Am 20. ging die Arbeit wieder an, wusste schon jeder seine Arbeit. Der es nicht wissen wollte, für den war der Kommandant da, der es ihm deutlich sagte, da fehlte nichts, der traute sich schon. So ging es wieder fort bis zum 27. Da war wieder Rast und Reinigung. Und die kleinen Fassungen reichten nur zur Not für unsere Bedürfnisse. Dann wurde wieder gearbeitet bis 1. November, dann Rast bis zum 3. nur wieder das Gleiche, wie an allen Sonntagen.
Von da an wurde es viel schlechter, da die großen Stürme kamen. Mussten einige Tage aussetzen. Dann wurde wieder gearbeitet bis zum 10. November. Da war wieder Rast und Fassung. Dann wurde wieder gearbeitet.
Eines Tages hörten wir ein so seltsames Geräusch, wie wenn Militär auf uns zukäme. Man machte uns vor, dass in der Nähe ein Kosakendorf sei und das wird eine Patrouille sein.
Als sie bei uns ankamen, waren es Tschechen. Konnten uns nicht denken, was die da wollen, in dieser Wüste, wo sich so kein Mensch hertraut. Wussten es aber schnell. Hieß es gleich, Gefangene Vergatterung und wir stellten uns auf. Und einer von den Hergekommenen, es wird der Kommandant gewesen sein, fragte, ob unter uns Tschechen sind. Meldete sich keiner. Jeder wusste, dass die Tschechen mit ihrer Armee schon arm dran waren. Freiwillig ging keiner. So ging es mit Zwang. So sagte er, meldet euch, sonst erlebt ihr was. Das ließ uns aber ganz kalt. Dachten uns, habt uns ohnehin durch diese Verbannung jeden Trost auf Heimkehr genommen, mehr wie hin sein können wir nicht. Macht mit uns was ihr wollt. Da verlangte er von unserem Kommandanten, er solle unsere Namen von der Liste herunterlesen, damit sie draufkämen, ob tschechischen Namen darunter waren. Sie verfielen gleich auf jene, die konnten sich aber ausweisen, dass sie in Wien geboren waren. Gebürtige Wiener konnten die Tschechen nicht nehmen. Nur jener Mann, den wir von der früheren Aufschreibung kannten, der sich wegen der Transportmobilisierung vor meinen Augen in Tomsk den Hals und die Hand aufschnitt und dann lange im Spital war. Ging dann mit uns auf den Wüstentransport. Da fühlte er sich sicher, bis zum heutigen Tag.
Bei der Nennung seines Namens (Andrusch), fragten sie ihn gleich, von wo er herkommt. Er war aber so baff, dass er nicht antworten konnte. Gaben sie ihm eine feste Ohrfeige und musste gleich bei ihnen bleiben. Uns schworen sie, ihr werdet alle noch gerne zu uns kommen, oder ihr geht hier drauf. Wir dachten, ihr könnt uns gernhaben, wir werden euch eure Interessen verteidigen helfen. Für das vielleicht, weil sie unsere Heimfahrt verzögerten durch ihren Umsturz. Nochmals eine Waffe in die Hand nehmen konnte uns wohl nicht einfallen. Wollten schon lieber hier zugrunde gehen. Die Tschechen übernachteten. In der Früh musste unser Kollege Andrusch von uns Abschied nehmen, was ihm um so schwerer fiel, da wir einander gute treue Kameraden waren und ihm solange fortgeholfen hatten. Dann ging es weiter zu den nächsten Gefangenen, um dort auch einige einzufangen. Auf diese Vorgänge hin, machten uns wir doch wieder Hoffnungen, nach Hause zu kommen, denn wenn sie schon solche Not haben bei ihrer Armee, dass sie schon auf die paar Gefangenen in der Wüste anstehen, so kann es doch nimmer lange dauern.
Wussten wir auch schon lange nichts von der Heimat, doch waren unsere Gedanken im Wachen und im Traume zu Hause bei unseren Lieben. Jeder arbeitete wieder weiter, mit dem Gedanken, was wird aus uns werden. Verging die Zeit bis zum 17. November. War wieder Rast und Fassung.
Dann fing der Sturm mit solcher Wucht an, dass sich niemand mehr herauswagen konnte aus der Baracke. Kann sich ja niemand einen Wüstensturm vorstellen. Das muss erlebt sein. Käme da ein menschliches Wesen drein, wäre es verloren. Nicht einmal ein gut gebautes Haus in Österreich würde diesem Orkan Widerstand leisten. Das nähme er mit, als wäre es nicht dort gestanden.
Die Kirgisen die dort waren, waren alle unter der Erde. So auch unsere Baracken. Ganze Berge von Sand und Schnee trug es zusammen. Unbeschreiblich wurde unsere Lage.
Die Kälte war furchtbar in den Erdbaracken. Das Dach war nur mit Reisig überdeckt. Kot und Wasser wurde abgemischt und dünn überstrichen, alles war halt nur zur Not zusammengeputzt, denn man konnte sich nicht anders helfen.
Ganz verzweifelt waren wir schon, Hunger und Kälte peinigten uns furchtbar. Einheizen konnten wir nicht, da wir kein Holz hatten. Die kleinen Dornenstauden, die in der Wüste standen und wir zum Heizen verwendeten, konnte auch keiner holen.
So blieb uns das Einheizen und das Kochen erspart.
Endlich ließ der Sturm soviel nach, dass man sich hinaus trauen konnte um Brennmaterial, dass wir doch einmal Menage bekommen. Wurde ohnehin immer weniger das Essen. So verging die Zeit bis 24. November.
Da unsere Verhältnisse immer trauriger wurden und uns der Hungertod schon vor Augen war, beschlossen die 2 Posten, die bei uns waren, durchzugehen. Ihre Absicht war, wir sollen alle gemeinsam weggehen von unserer Arbeit, damit sie vom Kommando keine Strafe ausfassen.
Es war ihr fester Wille, wegzugehen. Wir kannten ihre Absicht. Obwohl wir sie gut leiden konnten, da sie immer gut zu waren, taten wir ihnen diesen Gefallen nicht. Denn wenn uns die Tschechen erwischt hätten, die uns ohnehin feindlich gesinnt waren, die hätten uns als Revolutionäre erklärt und uns kurzerhand zusammengeschossen.
So übergaben sie unserem Kommandanten die Gewehre. Der wollte sie aber auch nicht nehmen. Sie sollten bleiben, da er vor uns Angst hatte, denn er war ein gewesener Zarenoffizier, der hatte noch kein Pulver gerochen, was ihm auch die 2 Posten ins Gesicht sagten, als sie einmal Streit hatten mitsammen.
Er schwindelte sich nur weg vom Krieg, er war mit einem Wort ein Drückeberger.
Auch hier gings ihm nicht schlecht, sowie den beiden Parteiführern. Die hatten schon genug zum Leben, die ließen sich nichts abgehen beim Essen und für Brennmaterial sorgten sie auch. Für unsere Sachen handelten sie sich Kuhschöberl ein, die von den Kirgisen im Sommer gesammelt wurden und gut getrocknet gaben sie ein gutes Brennmaterial, wie Kohle.
Wir arbeiteten wieder fort bis zum 2. Dezember. Da war wieder Rast und Reinigung. Wurde geflickt was zerrissen war. Etliche Mann, die immer draußen sein mussten beim Dornen hacken, bekamen rohgegerbte Pelze, die von unseren Schneidern die wir hatten, verfertigt wurden. Auch Wäsche nähten sie, aber wir sahen keine, die brauchte auch der Kommandant für Brennmaterial, denn die hatten es gern warm, da ging schon was auf bei den Stürmen. Und wir mussten uns mit den Dornen begnügen, hatten wir keine, mussten wir frieren. Aber Not macht erfinderisch. Als es wieder stürmte und wir froren, zogen wir uns Pfosten und Scheibtruhen hinein, zertrümmerten sie und machten uns warm. Mit der Zeit ging es aber den Kommandanten ab und er stellte einen Kirgisen als Nachtwächter auf. Da konnten wir nichts mehr machen, den einen hätte man wohl nicht gefürchtet, aber wenn was vorfiel, machte er einen Pfiff und von allen Seiten kamen die Kirgisen auf ihren Pferden angesprengt, mit dem Messer an der Seite, das keinem fehlte.
Was wollte man da anfangen, gegen ein solches Wüstengesindel. Wir arbeiteten wieder weiter bis 15. Dezember. Dann war wieder Rast und Fassung. Aber schon so wenig Fassung, zum erhungern. Das nützten die Kirgisen aus. Jeder hatte doch mehrere Pferde und war doch im Sommer hie und da ein Grasbüschel zu sehen und nur durch die weite Ebene das Fortkommen der Rinder so halbwegs ermöglicht wurde. Aber jetzt im Winter hatten sie gar nichts und eines nach dem anderen fiel um, das Fleisch war blau, durch und durch. Aber doch vom Hunger getrieben, vertauschte man, was man entbehren konnte, für solches Fleisch, denn der Hunger tut weh. Sie nahmen auch mit allem vorlieb. Wenn es auch nur ein Fetzen von Wäsche war. Überhaupt auf das Silbergeld gingen sie los. Das brauchten sie für ihre Weiber.
Jeder Kirgise hatte 2 oder 3 Frauen, die waren so eingehüllt und eingemummt, bis auf Mund und Nase, wie bei uns die Klosterschwestern. Der lange Haarzopf, der fast bis zu den Knien reichte, der war geschmückt mit lauter Silbergeld.
Die Kirgisen sind so eifersüchtig auf ihre Weiber, dürfen kaum aus ihren Hütten heraus. Wollte eine Frau heraus, oder in ein anderes Erdloch gehen, bekamen sie 2 Begleitpersonen mit. Das war schon so der Brauch bei den Kirgisen. Denn wegen uns brauchten sie keine Angst haben, denn in unseren Verhältnissen dachten wir nicht an solches Vergnügen. Überhaupt so angezogen, so voll Fetzen, dass sie sich kaum rühren konnten. Und die Läuse, die sie hatten, die krochen herum wie die Weizenkörner so groß. Steckten auch uns wieder an, als sie zum Tauschen in unsere Baracken kamen. War auch kein Wunder bei solchen Menschen. Die trugen ihre Fetzen solange am Leib, bis sie herunterfielen.
Mit lauter Hungern und Tauschen gingen uns die halbwegs entbehrlichen Sachen aus.
Der Gedanke ans Durchgehen gewann immer mehr Oberhand. Wenn es nur nicht so schwierig gewesen wäre bei den großen Stürmen. Überrascht einem der Sturm, muss man sich glatt auf die Erde legen, und kanns einem passieren, wie es schon 50 und mehr Kameraden passiert ist, dass sie sich zusammenlegten und erfroren bis man sie fand. So kam es, dass uns keine Lebensmittel erreichten, da dir Stürme zu heftig waren und nichts zugeführt werden konnte. Es war nur eine Nachlässigkeit der Bahnbaugesellschaft. Es sollte im Sommer vorgesorgt werden. Auf sich selbst schauten sie schon die Höheren. Die waren schon versorgt für den Winter, aber für die armen Gefangenen, für die war gleich alles gut.
So kam der 22., da war wieder Rast und Fassung. Montag und Dienstag wurde wieder gearbeitet.
So kam das vierte Weihnachtsfest in der Gefangenschaft 1918
Es waren die traurigsten meiner ganzen Gefangenschaft.
Keinen Tabak zum Rauchen, damit wir unsere traurige Stimmung hätten vertreiben können. Draußen ein heftiger Sturm, kein Holz zum Heizen, die Baracke war voll Reim von unserer Ausdünstung. Kein Licht, denn wir fassten nur hie und da ein kleines Stückerl Kerze, wovon kaum 2 sahen, wir aber waren 20 drinnen. Hatten uns öfter von den Kirgisen Inslich (Schaffett) eingetauscht, gaben wir in eine Blechbüchse und einen Docht hinein. Das war oft unser Licht. Der Gestank, den es verbreitete, war kaum auszuhalten. Und soviel Rauch in der Baracke, dass alles schwarz wurde. Wir selbst sahen aus wie die Rauchfangkehrer.
Aber an diesem Abend war uns alles versagt. Sonst saßen wir auf einem Häuflein zusammen, mitten das Licht, um sich zu wärmen wie die Schweine und unsere traurige Wirklichkeit zu besprechen, denn vom Schlafen war bei dieser Kälte keine Rede.
Aber am heutigen Abend mussten wir im Finsteren auf einem Häuflein zusammensitzen. Still und stumm. Jeder dachte mit tränenden Augen an die Heimat und an seine Lieben zu Hause und fragte sich, ob er sich eine solches Leben verdient hat. Könnten wir doch zu Hause bei den Schweinen schlafen, dort hätten wir trockenes Stroh zum Liegen, da hat man den kalten Erboden.
Unsere Verköstigung zu den Feuertagen war ein kleines Stück Schaffleisch, was nur Haut und Bein war. Und ein kleines Stück Brot auf einmal essen.
Freitag und Samstag wurde wieder gearbeitet. Sonntag wieder Rast und Fassung. Das war das Eine, dass man den Sonntag herbeisehnte. Sonst hatte man nichts Gutes. Die eiskalte Baracke, da war es auf der Strecke besser, bei der Arbeit konnte man sich besser erwärmen. Am Montag kam ein Schlitten gefahren durch die Wüste, mit Kleidungsstücken. Es war nur ein Päcklein zusammengeflicktes Zeug. Rock und Hose, die es sehr dringend brauchten, bekamen was. Ich bekam einen Rock, da ich auch keinen Pelz hatte und meistens mit dem Tischler in der Tischlerei arbeitete, auch in einer kalten Erdbaracke.
Handschuhe und etliche Paar Filzstiefel waren auch dabei. Das war für etliche, wir aber waren doch 50 Mann.
Das war nur soviel, dass es einen Namen hatte. Das schlechte Zeug war bald wieder kaputt.
Machte neben meiner Arbeit 15 Paar Holzstiefel, nach innen Schafhaarfilz und außen überzog ich sie mir roher Kuhhaut. Die Haare nach außen, schauten aus wie die Kamele, aber besser waren sie doch als die Schuhe.
Dienstag und Mittwoch wieder ein furchtbarer Sturm, dass wir gar nicht hinaus konnten. Es wehte uns ganz ein in den Baracken. Hätten wir kein Fenster gehabt zum Hinauskriechen, hätten wir uns gar nicht ausschaufeln können. Denn vom Eingang in die Hütte gingen Stufen hinunter, wie bei einem Keller.
Hatten gar nichts zum Einheizen, auch nicht zum Essen. Eine Kälte zum Erfrieren. Meine zwei Kollegen, Anmasser, Stockinger und ich, legten uns auf ein Häufchen, unsere Sachen die wir noch hatten, legten wir über uns und verbrachten so die 2 Tage des heftigen Sturmes.
Konnten kaum unsere Notdurft verrichten, weil die Latrine 20 Schritte weg war und wir kaum hinaus konnten.
Man hatte freilich nicht viel im Magen. Manchmal musste es doch sein. Für mich mit meinem Leiden war es furchtbar. Bückte ich mich, so kamen die Hämorrhoiden heraus. So groß wie den Hühnern der Eierstock. Brachen auf, dass das Blut nach allen Seiten spritze. Gingen nicht selbst zurück in den Mastdarm, musste man nachhelfen, sonst hörten sie nicht auf zu bluten.
So verging das Alte Jahr.