Richard Katz
Drei
Gesichter
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1934 313 Seiten
wikipe
Autor *1888 DNB.Person (150) DNB.Nummer (155) detopia Umweltbuch |
Inhalt
Vorwort (1)
Lesebericht
2008
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Luzifer
Lärm
Maschine
Geschäft
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aus Dreyhaupt-2008
Richard Katz (1888-1968), studierter Jurist, machte sich einen Namen als deutscher Reiseschriftsteller.
Ende der 30er Jahre habe ich als Junge mit Begeisterung seine Bücher "Ein Bummel um die Welt" und "Funkelnder Ferner Osten" gelesen. Was ich nicht wusste, war, dass er sich schon 1934 in dem Werk "Drei Gesichter Luzifers" fortschrittskritisch mit den Gefahren der Technik für Mensch und Umwelt befasst hat - nicht unähnlich im Tenor wie Ludwig Klages in "Mensch und Erde", aber viel konzilianter in der Sprache; da war Katz als Jude schon in die Schweiz emigriert. Er floh 1941 weiter nach Brasilien, von wo er erst 1956 in die Schweiz zurückkehrte, anders als sein Leidensgenosse Stefan Zweig - beide überzeugte Europäer -, der sich in Brasilien das Leben genommen hatte.
Der Reiseschriftsteller Katz hat in "Drei Gesichter Luzifers" sein Metier nicht verlassen und das Buch wie ein Reisebuch angelegt - eine Reise nicht in die weite Welt, sondern, wie Katz im Vorwort schreibt, "nach innen, zur Erkenntnis unserer Zivilisation. .... Wir wollen durch unsere Zivilisation reisen, um festzustellen, woran sie krankt."
Wie zwischen Anode und Kathode stellt er sich den Funken des Lebens "zwischen den Polen Geist und Materie - Gott und Luzifer" vor; er sorgt sich, dass wir den Pol des Geistes vernachlässigen und "den der Materie blank putzen". Den Kern seiner Überlegungen fasst Katz zusammen:
"Da der Luzifer der Materie monströs um uns anschwillt, während die geistigen Kräfte religiösen Glaubens, philosophischer Weltanschauung, künstlerischer Betätigung, der Nächstenliebe und der Selbsterkenntnis seit der biblischen Zeit eher ab- als zugenommen haben, müssten wir zunächst versuchen, diese zu steigern. So würden wir ein Gegengewicht gegen das Übermaß der Materie schaffen und unser Leben wieder in die harmonische Mitte zwischen Anode und Kathode rücken. Wenn jedoch unsere geistigen Kräfte minder steigerungsfähig sind als unsere Kohlen- und Eisengruben - was zu befürchten ist -, sollten wir unsere materiele Produktion bis zu dem Grade abbauen, bis zu dem sie unser Geist noch zu meistern vermag. Sonst erstickt er in der gefühllosen Umklammerung der Materie. Hierin liegt die Drohung Luzifers."
Und diese Gefahr des Materialismus stellt Katz in drei Luzifer kennzeichnenden Gestalten dar - Lärm, Maschine, Geschäft -, um zu warnen. Lärm und Maschine betreffen eindeutig die Materie, während mit Geschäft eher der Geist gemeint ist, wie Katz treffend beschreibt:
"Geschäft - was ist Geschäft? Im Sinne Christi: geben, ohne zu nehmen. Im Sinne des Antichrist: nehmen, ohne zu geben. Halben Wegs zwischen jenem idealistischen und diesem materialistischen Pol liegt die Norm wirtschaftlicher Wohlfahrt: soviel nehmen wie geben - gerechter Preis für gerechte Ware."
Mit den letzten Worten ist Katz heute hochaktuell, schon 1934 hat er ein Postulat aus der momentanen Diskussion um die Globalisierung formuliert!
Die Lärm-Ausführungen, wie auch die im Kapitel Maschine, sind von starken subjektiven Empfindungen der Person des Autors geprägt. Das Lärmkapitel enthält mehr eine Philosophie des Lärms und der Stille als eine Anklage gegen die Technik - von der Katz übrigens auf seinen Weltreisen weitgehend Gebrauch gemacht hat. Der Ästhet Katz, eher ein Mensch der Stille als der Lautheit, hat mir, der ich vor 20 Jahren im Pensionsalter einen Altersruhesitz in der Eifel gesucht und gefunden habe, aus dem Herzen gesprochen:
"Als sich der Verfasser vor vielen Jahren aus dem Lärm der Großstadt zurückzog, um sich im stilleren Tessin anzusiedeln, war es die ständige, besorgte Frage seiner Bekannten: <Werden Sie denn dort Gesellschaft finden?> Auch als er zu bedenken gab, dass das Tessin ausreichend besiedelt und zudem von Touristen viel besucht sei, beruhigten sie sich nicht. <Werden Sie auch immer jemand haben, mit dem Sie sprechen können?> forschten sie besorgt. Zum Kuckuck, muss man denn immer sprechen?"
Und dann folgt eine Seite weiter der abschließende wunderbare Satz: "Sprechen können wir mit jedem - schweigen nur mit Vertrauten."
Das Maschinen-Kapitel ist geschrieben vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise Anfang der 30er Jahre mit einer extrem hohen Arbeitslosigkeit, erkennbar an einem eigenen Abschnitt mit dem Titel "Arbeitslosigkeit und Maschine". Darin kritisiert er z.B. auch Henry Ford und dessen Prinzip der Automatisierung, worunter der damit gewissermaßen entseelte Arbeiter leiden müsse.
Aber er kritisiert nicht nur die Arbeitsplätze vernichtende Spezies Maschine, sondern denkt auch an "Abhilfe" und macht den abenteuerlichen - a priori niemals zu erfüllenden - Vorschlag, "durch ein weltweit gültiges Gesetz die Konstruktion neuer und den Weiterbau bekannter Maschinen für einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren" zu untersagen.
Der Bezug der Maschine zur Umweltbeeinträchtigung wird im Kapitel "Maschine" weniger deutlich als der zu den direkten nachteiligen Folgen für den Menschen.
Ein Beispiel für Umweltbeeinträchtigungen bringt Katz am Anfang des Maschinen-Kapitels, wo er, notabene 1934, das Automobil unter der Überschrift "Raubritter der Landstrasse" attackiert und sowohl auf das stinkende und lärmende Auto als auch auf den Fahrer, der um diese Zeit in der Automobil-Werbung oft als "Ritter der Landstrasse" heroisiert wurde, abzielt. Die Metapher vom Raubritter konkretisiert er dann auch sehr drastisch:
"Um vieles ärger ist die lebensgefährdende Bedrohung durch die zahlreiche Horde der Rücksichtslosen! Berauscht vom Machtgefühl der mechanischen Kraft (und berauscht bisweilen auch von Alkohol) sausen sie wie mit eingelegter Lanze um unübersichtliche Kurven, überholen, bis an den Straßenrand ausbiegend, minder schnelle Fahrzeuge und scheren sich den Teufel um Fußgänger, Hunde, Geflügel und sonst was verächtlich Langsames. Raubritter? ... Raubritter ließen wenigstens Kinder in Frieden."
Das Katz’sche Buch ist auch heute noch lesenswert, lebensnah, amüsant und moralisch aufrüstend, aber mehr weltanschaulich als vor zukünftigen konkreten Bedrohungen der Umwelt warnend orientiert. Es fokussiert in einem eingeschränkten Bereich subjektiv in der Auseinandersetzung zwischen dem Nutzen der Technik und ihren Gefahren eindeutig auf die Nachteile. Gleichwohl muss man Richard Katz aber zuerkennen, schon früh vor diesen Gefahren pauschal gewarnt zu haben. Sein Werk ist mit Metternichs Buch schon von der Breite des erfassten Gefahrenpotenzials und von der Tiefe der Darstellung nicht zu vergleichen.
Eine konkrete Katz’sche Prognose möchte ich aber hier noch festhalten, weil ich selbst infolge meines Alters sehr wahrscheinlich nicht mehr in der Lage sein werde zu entscheiden, ob es ein Kassandraruf war – und wir genau so töricht waren wie die Trojaner. Katz beklagt allgemein, dass der Mensch sich zu leicht von Luzifer verführen und selbst von Katastrophen nicht belehren lässt, und fügt als konkretes Beispiel an:
"1923 zertrümmerte ein entsetzliches Erdbeben Tokio und Yokohama. An einem Tag fraß es hunderttausend Menschen. Doch es war kaum vorbei, als die zivilisierten Japaner auch schon den Wiederaufbau Tokios und Yokohamas in Angriff nahmen – an derselben Stelle, die erfahrungsgemäß einmal in jedem Jahrhundert von einem Erdbeben verheert wird. Der Dünkel der Zivilisation, die Materie zu beherrschen, wird es in diesem Fall verschulden, dass spätestens im Jahr 2023 Japan einem Erdbeben mehr Menschen wird opfern müssen als einer Atombombe."
Der Leser von 2024 wird wissen, ob diese Katz’sche Zukunftsprognose ein Kassandraruf war oder ob Katz nur ein einfacher Prophet war, der sich geirrt hat!
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detopia-2024:
Tja... Ich staune erstmal - anders Dreyhaupt, mit dem ich in Kontakt war -, das Katz schon 1934 von einer "Atombombe" wusste.
Eventuell hat Katz die Auflage von 1953 nochmal überarbeitet, denn da lebte er ja noch.