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Einleitung

Homo hostilis: der Feind-Erfinder

Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, 
müssen auch die Bollwerke des Friedens 
im Geist der Menschen errichtet werden.
UNESCO-Charta

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Im Anfang erschaffen wir uns den Feind. Vor der Waffe explodiert unsere Phantasie: Zuerst denken wir andere zu Tode und erfinden dann die Streitaxt oder die Raketen, um sie auch tatsächlich zu töten. Die Propaganda geht der Technologie voraus. Politiker der Linken wie der Rechten verharren in rück­ständigem Denken: Sie nehmen an, der Feind werde verschwinden, wenn wir uns nur anders mit Waffen ausrüsten würden. Konservative glauben, den Feind durch größere und bessere Waffen in einen Zustand der Zurückhaltung »erschrecken« zu können.

Liberale denken, der Feind wandle sich zu einem Freund, wenn wir unser Waffenarsenal verringerten. Beide Seiten gehen von rationalistischen, optimistischen Annahmen aus: Wir Menschen seien vernünftige, pragmatische, werkzeugproduzierende Lebewesen, die es nicht umsonst in ihrer Geschichte zum Homo sapiens und zum Homo faber gebracht haben. Deshalb sei es uns auch möglich, den Frieden über rationale Verhandlungen und Rüstungs­kontrolle herzustellen.

Aber es funktioniert nicht. Das Problem scheint nicht in unserem Verstand oder unserer Technologie zu liegen, sondern in unserer Hartherzigkeit. Wir finden von Generation zu Generation genug Entschuldigungen, einander zu hassen und zu entmenschlichen, und stets rechtfertigen wir uns mit höchst wohlklingender politischer Rhetorik. Und wir weigern uns, das Offensichtliche zuzugeben: Wir Menschen sind Homo hostilis, die feindselige Spezies, das »feinderfindende« Lebewesen. Wir sind getrieben, uns einen Feind zu basteln, der als Sündenbock die Last unserer verleugneten Feindschaft trägt.

Aus dem unbewußten Reservoir unserer Feindseligkeit erschaffen wir ein Zielobjekt; aus unseren privaten Dämonen zaubern wir uns einen öffentlichen Feind. Die Kriege, in die wir uns verstricken, sind — vielleicht mehr als alles andere — zwanghafte Rituale, Schattendramen, in denen wir fortwährend jene Teile von uns selbst zu töten versuchen, die wir verleugnen und verabscheuen.

 

 

  

»Nicht die Waffen töten Menschen, 
Köpfe töten Menschen« 

Jerry Robinson 
© Cartoonists and Wrilers Syndicate 

 

Unsere größte Überlebenschance besteht darin, unsere Denkweise über Feinde und Kriegführung zu ändern. Statt vom Feind hypnotisiert zu sein», müssen wir zu prüfen beginnen, mit welchen Augen wir den Feind sehen. Es ist jetzt an der Zeit, den geistigen Zustand des Homo hostilis zu erkunden, wir müssen im Detail untersuchen, wie wir das Bild des Feindes erzeugen, wie wir überflüssiges Böses schaffen, wie wir die Welt in eine Schädelstätte verwandeln. Es scheint unwahrscheinlich, daß wir irgendeinen nennenswerten Erfolg in der Rüstungskontrolle erreichen werden, wenn wir nicht dahin kommen, die Logik des politischen Verfolgungswahns zu verstehen» — und den Vorgang einer Propagandamache, die unsere Feindseligkeit rechtfertigt.

Wir müssen uns dessen bewußt werden, was C. G. Jung den »Schatten« genannt hat. Die Helden und Führer zum Frieden in unserer Zeit werden jene Männer und Frauen sein, die den Mut haben, in die dunkle Tiefe der individuellen und der kollektiven Psyche hinabzutauchen und dem inneren Feind ins Gericht zu sehen. Der Tiefenpsychologie verdanken wir die unbestreitbare Erkenntnis, daß der Feind aus verleugneten Aspekten des Selbst konstruiert wird. Deshalb zeigt das radikale Gebot »Liebe deinen Feind wie dich selbst« den Weg sowohl zu Selbsterkenntnis als auch zum Frieden. Tatsächlich lieben oder hassen wir unsere Feinde im gleichen Maß, wie wir uns selbst liebem oder hassen. Im Bild des Feindes finden wir den Spiegel, in dem wir unser eigenes Gesicht am deutlichsten erkennen können.

Doch einen Moment. Nicht so schnell! Die Praktiker realistischer Machtpolitik heben zu einem Chor von Einwänden an: 

»Was meinen Sie damit, Feinde zu >schaffen<? Wir machen uns unsere Feinde nicht selbst. Es gibt Aggressoren, Reiche des Bösen, schlechte Männer und boshafte Frauen in der realen Welt. Und sie werden uns zerstören, wenn wir sie nicht zuerst zerstören. Es gibt reale Schurken — Hitler, Stalin, Pol Pot. Sie können politisches Geschehen nicht psychologisieren oder das Problem des Krieges lösen, indem Sie unsere Wahrnehmungen des Feindes studieren.«

Einwände akzeptiert. Teilweise. Halbwahrheiten psychologischer oder politischer Art sind nicht geeignet, die Sache des Friedens voranzutreiben. Wir sollten uns ebensosehr davor hüten, politische Ereignisse zu psychologisieren, wie davor, psychische Vorgänge zu politisieren. Krieg ist ein komplexes Problem, das kaum mit einem einzigen Ansatz oder von einer einzigen Disziplin gelöst werden kann. Um uns mit ihm auseinandersetzen zu können, benötigen wir zumindest eine Quantentheorie des Krieges und keine monokausale Theorie. So wie wir das Licht nur verstehen, wenn wir es sowohl als Partikel wie auch als Welle betrachten, werden wir den Angelpunkt des Kriegsproblems nur finden, wenn wir es als ein System sehen, das von beidem aufrechterhalten wird:

Kreatives Denken über den Krieg wird immer die Betrachtung sowohl der individuellen Psyche als auch der sozialen Institutionen einschließen. Die Gesellschaft formt die Psyche und umgekehrt. Deshalb müssen wir daran arbeiten, psychologische und politische Alternativen zum Krieg zu schaffen sowie die Psyche von Homo hostilis und die Struktur internationaler Beziehungen zu verändern. Wir haben keine Chance, die Kriegsbereitschaft abzubauen, wenn wir nicht die psychologischen Wurzeln von Paranoia, Projektion und Propaganda untersuchen, wenn wir die rauhen Praktiken der Kindererziehung ignorieren, die Ungerechtigkeit, die besonderen Interessen der Machteliten, die geschichtlich gewachsenen rassischen, ökonomischen und religiösen Konflikte und den Bevölkerungsdruck, die das Kriegssystem aufrechterhalten.

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Die vorrangige Aufgabe dieses Buches ist es, eine Lücke in unserem Denken über den Krieg zu füllen. Gehen Sie in eine beliebige Bibliothek, und Sie werden Bücher finden, die sich mit jedem erdenklichen Aspekt des Krieges beschäftigen, außer einem — dem Feind. Eigentlich sollte man annehmen, daß irgend jemand lange und intensiv über die Identität des Feindes nachgedacht hat, weil der Krieg ja dazu bestimmt ist, eben diesen Feind zu töten.

 

Das Militär, das den Feind vernichten soll, überläßt es gewöhnlich den Politikern, zu definieren, wer dieser Feind ist und warum er zerstört werden muß. Die Militärs bevorzugen die begrenzte Rolle, Männer zum Töten auszubilden und mit Kriegsmitteln, Taktik und Strategie umzugehen. Normalerweise gehört zu dem Auftrag, aus Zivilisten Soldaten zu machen, ein freizügiger Einsatz von Propaganda und Haß-Training. Vielfältige entmenschlichende Masken werden dem Feind übergestülpt, damit er ohne Schuldgefühle umgebracht werden kann.

Die Schwierigkeit in der Militärpsychologie besteht darin, wie man den Akt des Mordens in Patriotismus verwandeln kann. Zum größten Teil ist dieser Prozeß der Entmenschlichung des Feindes bisher nicht näher untersucht worden. Wenn wir unsere Schatten projizieren, machen wir uns selbst systematisch blind dafür, was wir tun. Um Haß in Massen zu erzeugen, dürfen sich die politisch Handelnden ihrer eigenen Paranoia, Projektion und Propaganda nicht bewußt werden. »Der Feind« wird daher als ebenso real und objektiv vorhanden betrachtet wie ein Felsen oder ein tollwütiger Hund.

Unsere erste Aufgabe ist es also, dieses Tabu zu brechen, das Unbewußte der Politik bewußt zu machen und die Mittel und Wege zu erkunden, mit denen wir einen Feind schaffen.

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In Teil 1 will ich deshalb entwerfen, was Philosophen eine »Phänomenologie der Feindvorstellung« nennen. Diese Aufgabe erfordert, daß ich die historische Frage von Schuld und Unschuld ausklammere und mich auf die wiederkehrenden Bilder konzentriere, die zu unterschiedlichen Zeiten und an verschiedenen Orten benutzt worden sind, um den Feind zu charakterisieren. Meine Ausgangsfrage gilt dem, was C.G. Jung den »Archetyp« des Feindes genannt haben würde. Wir werden herausfinden, daß Kriege kommen und gehen, daß die Feindvorstellung jedoch — eigenartigerweise unter verschiedensten Bedingungen — ein bestimmtes Standardrepertoire von Bildern aufweist, die zur Entmenschlichung des Feindes verwendet werden. Was Propaganda angeht, sind wir alle Platoniker; wir wenden zeitlose Archetypen auf sich wandelnde Ereignisse an.

Es versteht sich von selbst, daß unter bestimmten Umständen, wie etwa im Krieg gegen, das Dritte Reich, unsere Feindbilder nahezu realistisch erscheinen. Hitler war eine derart perfekte Inkarnation des Teuflischen, ein Muster des Bösen, daß wir ihn seither immer benutzt haben, um unsere Feinde herabzusetzen. Daß paranoides Denken seine unterdrückten Anteile auf den Feind projiziert, bedeutet nämlich nicht automatisch die Unschuld des Feindes an diesen Projektionen.

Wie die Erfahrung uns lehrt, haben Paranoide manchmal tatsächliche Feinde. Dennoch können wir niemals den Grad unserer eigenen Beteiligung an der Erzeugung des Bösen bestimmen, wenn wir nicht für einen Moment bereit sind, unseren Glauben an jede Propaganda auszuschalten und die Quellen der Projektion von Feindvorstellungen zu untersuchen. Waren wir bereit, aufrichtig prüfend in die Augen zu blicken, mit denen wir den Feind sehen, . bleibt für uns immer noch die qualvolle Entscheidung, wann wir zu den Waffen greifen sollten, um einem speziellen Feind zu widerstehen. Konflikte werden nicht dadurch beseitigt, daß wir die Psychologie der Wahrnehmung, die Logik des Homo hostilis studieren. Es könnte uns aber dazu bringen, die eigenen Motive zu erforschen, und es sät einen gesunden Zweifel in unsere anderenfalls selbstgerechte Kriegsführung.

Nachdem wir die Archetypen des Feindes untersucht haben, werden wir in Teil 2 die Aufmerksamkeit nach innen richten; wir werden einige psychologische Wurzeln der gewohnheitsmäßigen Feindschaft betrachten und erfahren, wie wir den Schatten, den wir auf den Feind projiziert haben, auf uns zurücklenken könnten.

Im Schlußteil des Buches werden wir uns eine Reihe von Szenarien für die Zukunft der Feindschaft anschauen. Dabei werden wir uns von den politischen Minimalmöglichkeiten bis zur radikalsten psycholog­ischen Option bewegen, von der verzweifelten Hoffnung, daß wir in der nuklearen Apokalypse mit Würde sterben, zu der fast utopischen Hoffnung, daß wir politischen und psychologischen Ersatz für den Krieg finden und einen neuen Menschen hervorbringen — den Homo amicus —, der von Güte erfüllt ist, von einfühlendem Wesen ist und eine Politik der Mitmenschlichkeit verfolgt.

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