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Rede von Robert Kennedy
am 8.2.1968 in Chicago

 

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Die Ereignisse der letzten Wochen haben von neuem die Richtigkeit von Lord Halifax' Ausspruch bezeugt, daß die Hoffnung zwar "ein sehr guter Weggenosse ist", aber "im allgemeinen ein schlechter Führer". Unser Feind hat, indem er ganz nach seinem Belieben überall in Südvietnam mit großer Gewalt zuschlug, endgültig den Schleier der offiziellen Illusionen zerrissen, hinter dem wir unsere wahre Lage verbargen – sogar vor uns selbst. 

Noch vor kurzem waren unsere Berichte und Erfolgs­voraus­sagen gelassen-optimistisch. 

Im April erzählte uns unser Kommandierender General, daß «die Südvietnamesen heute besser kämpfen als je zuvor... ihre Kampfleistungen... sind hervorragend». Im August erzählte uns ein anderer General, daß «die wirklich großen Schlachten des Vietnam-Krieges vorüber sind... der Feind ist so vernichtend geschlagen worden, daß er uns nie wieder Schwierigkeiten machen wird». Im Dezember erzählte man uns, daß wir «eine Schlacht nach der anderen» gewännen, daß «der Bevölkerungsanteil der sicheren Gebiete von etwa 45% auf 65% gestiegen ist und wir in den umstrittenen Gebieten nach wie vor Fortschritte machen».

Diese Träume sind zerronnen. Die Vietcong werden sich wahrscheinlich aus den Städten zurückziehen, wie sie sich aus der amerikanischen Botschaft zurückziehen mußten. Tausende von ihnen werden tot zurückbleiben. Dennoch werden sie bewiesen haben, daß kein Teil und kein Bewohner Südvietnams vor ihren Angriffen sicher ist: weder Bezirkshauptstädte noch amerikanische Stützpunkte, weder der Bauer auf seinem Reisfeld noch der Kommandierende General unserer gewaltigen Streitkräfte. 

Niemand kann den genauen Verlauf und Ausgang der Schlachten voraussagen, die heute im Gange sind, in Saigon oder in Khe-San. Wir wollen beten, daß wir mit den geringstmöglichen Opfern unserer jungen Männern Erfolg haben werden. Aber wie die Schlachten auch immer ausgehen mögen die Ereignisse der letzten beiden Wochen haben uns etwas gelehrt. 

Um der jungen Amerikaner willen, die heute kämpfen, wenn aus keinem anderen Grund, ist die Zeit gekommen, den Krieg in Vietnam von neuem zu überprüfen; nicht, indem wir die Vergangenheit verdammen, sondern indem wir sie benutzen, um die Zukunft deutlicher zu erkennen. 

Der erste und notwendige Schritt ist, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Es gilt, die rauhe, schmerzliche Wirklichkeit Vietnams zu erkennen, ohne Wunschdenken, falsche Hoffnungen und sentimentale Träume. Es gilt, uns der «guten Weggenossen» zu entledigen, jener Illusionen, die uns immer tiefer in den Sumpf von Vietnam gelockt haben. «Wenn du mit dem Licht der Vernunft führen willst», schreibt Holmes, «muß dein Geist kühn sein.» Wir werden keine Richtschnur für die Zukunft Vietnams finden, wenn wir nicht kühn genug sind, uns der bitteren Qual, der Wirklichkeit dieses Schlachtfeldes zu stellen, das einst eine Nation mit Namen Südvietnam war, ohne trügerische Illusionen. 

Die Zeit für die Wahrheit ist gekommen.

Wir müssen uns zuallererst von der Illusion befreien, daß die Ereignisse der vergangenen zwei Wochen irgendeine Art von Sieg darstellen. Dem ist nicht so.

Es wird gesagt, daß die Vietcong nicht in der Lage sein werden, die Städte zu halten. Das ist wahrscheinlich richtig. Aber sie haben allen unseren Berichten von Fortschritten, von der Stärke der Regierung und Schwäche des Feindes zum Trotz bewiesen, daß eine halbe Million amerikanische Soldaten zusammen mit 700.000 vietnamesischen Verbündeten, mit vollständiger Luftherrschaft, mit vollständiger Seeherrschaft, versehen mit gewaltigen Hilfsquellen und den modernsten Waffen, nicht in der Lage sind, auch nur eine einzige Stadt vor den Angriffen eines Feindes zu schützen, dessen Gesamtstärke sich auf etwa 250.000 Mann beläuft. 

Es ist, als hätte James Madison 1814 einen großen Sieg behaupten können, weil die Briten Washington nur niederbrannten, statt es für ihr Empire zu annektieren.

Man sagt uns, der Feind habe schwerste Verluste erlitten; und das trifft zweifellos zu. Sie können jedoch nicht so vernichtend gewesen sein, wie die Zahlen es erscheinen lassen. Der Verteidigungsminister hat uns mitgeteilt, daß «die Kommunisten während des ganzen Jahres 1967 ungefähr 165.000 Mann verloren», aber die Stärke der regulären Truppen des Feindes «wurde während des vergangenen Jahres auf einem relativ konstanten Stand von 110.000 bis 115.000 gehalten». Es scheint demnach, daß, ganz gleich, wie viele Vietcong und Nordvietnamesen wir zu töten behaupten, die Stärke des Feindes durch eine wundersame Willensanstrengung gleichbleibt. 

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Jetzt erzählt uns unser Nachrichtendienstchef, daß von den 60.000 Mann, die bei den Angriffen auf die Städte eingesetzt waren, 20.000 getötet wurden. Wenn auf einen Gefallenen nur zwei Schwerverwundete kamen - eine sehr konservative Schätzung -, wurde die gesamte Streitmacht des Feindes außer Gefecht gesetzt. Wer kämpft dann eigentlich noch?

Man behauptet weiter, die Kommunisten hätten einen ausgedehnten Volksaufstand erwartet, der nicht erfolgt sei. Welche Ironie, wenn wir einen Sieg beanspruchen, nur weil ein Volk, zu dessen Verteidigung wir 16.000 Menschenleben, Milliarden von Dollar und fast ein Jahrzehnt geopfert haben, nicht gegen uns die Waffen ergreift! 

Desillusionierender und schmerzlicher ist die Tatsache, daß die Bevölkerung sich nicht zur Verteidigung ihrer Freiheit gegen die Vietcong erhob. Tausende von Männern und Waffen wurden mehrere Tage, wenn nicht Wochen in dichtbevölkerte Stadtgebiete eingeschleust. Doch nur wenige Bürger, wenn es sie überhaupt gab, beeilten sich, ihre Beschützer über diese massive Infiltration zu informieren. Bestenfalls schlossen sie Augen und Ohren und überließen es anderen, zu handeln. Wußten wir, daß der Angriff bevorstand? Wenn ja, warum schlugen wir nicht als erste zu, und wo waren die für eine wirksame Verteidigung erforderlichen Streitkräfte?

Jahrelang hat man uns gesagt, der Maßstab unseres Erfolgs und unserer Fortschritte in Vietnam sei die wachsende Sicherheit der Bevölkerung und die zunehmende Kontrolle über sie. Jetzt haben wir gesehen, daß kein Teil der Bevölkerung sicher und kein Gebiet unter fester Kontrolle ist. Vor vier Jahren, als wir nur etwa 30.000 Mann in Vietnam hatten, waren die Vietcong nicht in der Lage, Angriffe auf die Städte zu unternehmen, wie sie dies heute gegen unsere gewaltigen Streitkräfte getan haben. Vor einiger Zeit wurde eine Anregung, wir sollten Enklaven schützen, verspottet. Heute gibt es keine geschützten Enklaven.

Das ist nicht geschehen, weil unsere Männer nicht tapfer und tüchtig sind; sie sind es. Es ist geschehen, weil wir den Charakter des Krieges verkannt haben - weil wir versucht haben, mit militärischer Gewalt einen Konflikt zu lösen, dessen Ausgang von dem Willen und der Überzeugung des südvietnamesischen Volkes abhängt. Es ist, als schicke man einen Löwen aus, um einer Gelbfieberepidemie Einhalt zu gebieten. Diese Täuschung gründet sich auf eine zweite Illusion - die Illusion, daß wir einen Krieg gewinnen können, den die Vietnamesen nicht selbst gewinnen können.

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Zwei Präsidenten und zahllose Regierungsvertreter haben uns sieben Jahre lang gesagt, daß wir den Südvietnamesen zwar helfen können, es aber ihr Krieg ist und sie ihn gewinnen müssen; wie uns Verteidigungsminister McNamara im vorigen Monat erklärte: «Wir können den Südvietnamesen nicht den Willen liefern, als unabhängige Nation zu überleben... oder die Fähigkeit und die Selbstdisziplin, die ein Volk besitzen muß, um sich selbst regieren zu können. Diese Qualitäten und Eigenschaften bilden wesentliche Beiträge zu diesem Kampf, die nur die Vietnamesen bereitstellen können.» 

Doch dieser weise und treffende Rat ist allmählich zu einem leeren Schlagwort geworden, während wachsende Frustration uns dazu brachte, den Krieg in ein amerikanisches militärisches Unternehmen zu verwandeln.

Der südvietnamesische Senat weigert sich mit nur einer Gegenstimme, 18- und 19jährige Südvietnamesen einzuziehen, und ein Mitglied der Kammer fragt, «warum man südvietnamesische Jungen für die Amerikaner in den Tod schicken soll» - während 19jährige amerikanische Jungen kämpfen, um diesen Senat und diese Kammer in Saigon zu erhalten. 

Jeder objektive Beobachter hat die ungeheuere Korruption bezeugt, die jede Ebene des staatlichen Lebens Südvietnams durchdringt. Hunderte von Millionen Dollar werden von Privatpersonen und Regierungsbeamten gestohlen, während man vom amerikanischen Volk höhere Steuern zur Finanzierung unserer Hilfsanstrengungen verlangt. Trotz ständiger Versprechungen weigert sich die Saigoner Regierung, gegen die Korruption einzuschreiten. Ende vorigen Jahres wurden auf unser Drängen nach Reform endlich zwei hohe Heeresoffiziere wegen «verbrecherischer» Korruption entlassen. Im Januar erhielten dieselben beiden Offiziere neue, einflußreiche Kommandos. Unterdessen nehmen integre Offiziere aus Frustration und Resignation ihren Abschied.

Vielleicht ließen sich Korruption und Unfähigkeit allein ertragen. Die Konsequenz ist jedoch nicht nur der Verlust von Geld und Vertrauen der Bevölkerung; es ist auch der Verlust von amerikanischen Menschenleben. Denn die Korruption der Regierung ist die Quelle der Stärke des Feindes. Sie ist, mehr als alles andere, der Grund dafür, daß die größte Macht der Welt einen winzigen, primitiven Gegner nicht besiegen kann.

Man kann von einem Menschen nicht verlangen, daß er sein Leben einsetzt und Härten erträgt, wenn ihm an seiner Gesellschaft nichts liegen kann. Er muß ein deutliches Gefühl der Identifizierung mit seiner Regierung besitzen, den Glauben, daß er teilhat an einer Sache, die des Kampfes wert ist. Politische und wirtschaftliche Reformen sind nicht einfach idealistische Parolen oder edle Ziele, die sich vertagen lassen, bis die Kämpfe vorüber sind. Sie sind die Hauptwaffen in der Schlacht. Menschen kämpfen nicht, um die Taschen von Generalen zu füllen oder die Bankkonten der Reichen zu vergrößern. Viel eher werden sie Augen und Türen vor ihrer Regierung verschließen - wie in der vergangenen Woche.

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Mehr als jede Wahl, mehr als alle stolzen Siegesmeldungen enthüllt diese eine Tatsache die Wahrheit. Wir haben nur der Form nach einen Verbündeten. Wir unterstützen eine Regierung, die keine Unterstützung genießt. Ohne den Einsatz amerikanischer Streitkräfte würde diese Regierung keinen Tag an der Macht bleiben.

Die dritte Illusion geht dahin, daß das unerschütterliche Anstreben des militärischen Sieges, zu welchem Preis auch immer, im Interesse unser selbst oder des vietnamesischen Volkes liegt. Für das vietnamesische Volk haben die letzten drei Jahre wenig anderes als Grauen bedeutet. Sein winziges Land wurde von mehr Bomben und Granaten verheert, als im Zweiten Weltkrieg auf Nazi-Deutschland fielen. Wir haben 4 1/2 Tonnen Bomben pro Quadratkilometer Nord- und Südvietnams abgeworfen. Ganze Provinzen sind weitgehend zerstört worden. Mehr als zwei Millionen Südvietnamesen sind heute heimatlose Flüchtlinge. Man stelle sich die Auswirkungen vor, wenn in unserem eigenen Land eine entsprechende Zahl - über 25 Millionen Amerikaner - obdachlos umherwanderten oder in Flüchtlingslagern interniert wären und weitere Millionen Flüchtlinge dazukämen, indem New York und Chicago, Washington und Boston durch einen in ihren Straßen tobenden Krieg zerstört würden. Wie diese Schlachten auch ausgehen mögen - am meisten verlieren wird die Bevölkerung, die wir zu verteidigen suchen.

Den Interessen Amerikas dient es auch nicht, wenn wir diesen Krieg kämpfen, als könnten moralische Maßstäbe hinter den Erfordernissen des Augenblicks zurücktreten. In der vergangenen Woche wurde ein Vietcong-Verdächtiger dem Chef des vietnamesischen Sicherheitsdienstes übergeben, der ihn auf der Stelle erschoß - eine klare Verletzung der Genfer Konvention, Gewiß ist der Feind brutal und grausam; er hat viele Male das gleiche getan. Aber wir kämpfen nicht gegen die Kommunisten, um ihnen ähnlicher zu werden - wir kämpfen, um die Unterschiede zu bewahren. Zudem können uns solche Maßnahmen - wie auch der verbreitete Einsatz von Artillerie und Bombenflugzeugen in den Innenstädten - auf lange Sicht weit mehr schaden, als sie uns heute nützen. Die Fotografie der Hinrichtung erschien auf den Titelseiten in der ganzen Welt - und unsere besten und ältesten Freunde fragten, eher betrübt als im Zorn, was mit Amerika geschehen sei.

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Die vierte Illusion besagt, daß die nationalen Interessen der Vereinigten Staaten mit den eigensüchtigen Interessen eines inkompetenten Militärregimes identisch sind - oder diesen untergeordnet werden sollten. Sicher sagt man uns, daß die Schlacht um Südvietnam tatsächlich ein Kampf um 250 Millionen Asiaten ist - der Anfang einer Great Society für ganz Asien. Wir können und sollten Asien in vernünftigen Grenzen Hilfe leisten; aber wir können dort keine Great Society aufbauen, wenn wir es in unserem eigenen Land nicht können. Wir können nicht extravagant von einem Kampf um 250 Millionen Asiaten sprechen, wenn ein Kampf um 15 Millionen in einem asiatischen Land unsere Kräfte so anspannt, daß ein anderes asiatisches Land, eine viertklassige Macht, die wir schon einmal im Kampf besiegt haben, es wagt, sich eines amerikanischen Schiffes zu bemächtigen und dessen Mannschaft gefangenzuhalten und zu demütigen.

Und man sagt uns, daß der Krieg in Vietnam den zukünftigen Weg Asiens bestimmen wird. Aber das ist ein frommer Wunsch, der sich auf eine unsichere Hoffnung gründet und nur dazu dienen soll, die enormen Opfer zu rechtfertigen, die wir bereits gebracht haben. In Wahrheit triumphierte der Kommunismus in China vor zwanzig Jahren und wurde auf Tibet ausgedehnt. Er wurde in Malaysia und auf den Philippinen besiegt, erlitt in Indonesien eine vernichtende Niederlage und wurde in Korea im Kampf zum Stillstand gebracht. In Burma kämpft er seit 20 Jahren erfolglos gegen mehrere Regierungen, und in Thailand mag er noch viel länger kämpfen. 

Das Ergebnis hängt in jedem Land ab - und wird es auch weiter tun - vor der inneren Stärke der Regierung, den besonderen Bedingungen des Landes und dem besonderen Charakter der Aufstandsbewegung. In Wahrheit verspricht der Krieg in Vietnam nicht, allen Bedrohungen Asiens und letztlich der Vereinigten Staaten ein Ende zu setzen; vielmehr verspricht er, wenn wir auf unserem gegenwärtigen Kurs beharren, nur Jahre und Jahrzehnte weiteren kräfteverzehrenden Konflikts auf dem asiatischen Festland - eines Konflikts, der für uns, wie unsere besten militärischen Führer stets gewarnt haben, nur zu einer nationalen Tragödie führen kann.

Es gibt ein amerikanisches Interesse an Vietnam. Wir haben ein Interesse daran, die Festigkeit der von uns eingegangenen Verpflichtungen zu bewahren - und gewiß haben wir diese unter Beweis gestellt. Wer will angesichts aller der Menschenleben und Mittel, die wir in Vietnam investiert haben, behaupten, daß eine Regierung, die etwas Unterstützung durch ihre Bevölkerung genießt, die einige Fähigkeit zum Regieren besitzt, die einigermaßen entschlossen ist, sich zu verteidigen, nicht schon lange jede Aufstandsbewegung besiegt hätte, wie stark diese auch von außerhalb der Grenzen unterstützt werden mag?

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Und wir haben ein weiteres, noch unmittelbareres Interesse: das Leben unserer tapferen jungen Männer zu schützen und mit den amerikanischen Hilfsquellen hauszuhalten. Wir haben jedoch kein Interesse am Überleben einer privilegierten Klasse, die durch die Korruption des Krieges immer reicher wird und die nach all den Opfern, die wir für sie gebracht haben, fragen kann, warum vietnamesische Jungen für Amerikaner sterben sollen.

Die fünfte Illusion lautet, daß dieser Krieg auf unsere Weise und zu einer von uns bestimmten Zeit zu unseren Bedingungen beendet werden kann. Eine derartige Lösung ist das Privileg des triumphierenden Siegers - dessen, der seine Feinde im Kampf niederwirft oder ihren Kampfwillen zerstört.

Das ist uns nicht gelungen, und es besteht keinerlei Aussicht, daß wir einen solchen Sieg erringen werden.

Zwanzig Jahre lang haben zuerst die Franzosen und dann die Vereinigten Staaten den Sieg vorhergesagt. 1961 und 1962 ebenso wie 1966 und 1967 hat man uns gesagt, daß «das Blatt sich wendet», «das Licht am Ende des Tunnels sichtbar wird», «wir bald die Truppen nach Hause bringen können - der Sieg nahe ist - der Feind müde wird». Einmal, im Jahre 1962, beteiligte ich mich selbst an solchen Voraussagen. Aber zwanzig Jahre lang haben wir uns geirrt. Die Geschichte der Konflikte zwischen Staaten verzeichnet keine zweite so lange und ungebrochene Chronik des Irrtums. Es ist an der Zeit, eine so hinlänglich bewiesene Täuschung fallenzulassen und der Wirklichkeit ins Auge zu sehen, daß ein militärischer Sieg nicht in Sicht ist und wahrscheinlich niemals erreicht werden wird.

Unfähig, unseren Feind zu besiegen oder seinen Kampfwillen zu brechen - zumindest ohne eine gewaltige, langanhaltende und immer kostspieligere Anstrengung -, müssen wir uns aktiv um eine friedliche Regelung bemühen. Wir können nicht weiterhin unsere Bedingungen verschärfen, wann immer Hanoi erkennen läßt, daß es zu Verhandlungen bereit sein könnte; und wir müssen bereit sein, eine Lösung ins Auge zu fassen, die den Vietcong eine Möglichkeit gibt, am politischen Leben des Landes teilzunehmen. Nicht weil wir wünschen, daß sie dies tun, sondern weil das der einzige Weg ist, auf dem dieser Kampf beendet werden kann. Niemand weiß, ob Verhandlungen zu einer friedlichen Regelung führen; aber wir wissen, daß es ohne Verhandlungen keine friedliche Regelung geben wird. Auch können wir diese Verhandlungen nicht ausschließlich zu unseren Bedingungen erreichen. Wir müssen vielleicht Konzessionen machen und Risiken eingehen, und bestimmt werden wir direkt mit der FNL ebenso wie mit Hanoi verhandeln müssen. 

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Gewiß ist es nur eine weitere Illusion, wenn man immer noch diese grundlegende Notwendigkeit bestreitet. Wir dürfen nicht das Prestige, das in eine bestimmte Politik investiert ist, mit dem Interesse der Vereinigten Staaten verwechseln; auch sollten wir bereit sein, Risiken für den Frieden einzugehen, wenn wir gewillt sind, so viele Menschenleben im Krieg aufs Spiel zu setzen.

Vor einem Jahr, als unser Gegner Verhandlungen anbot, wenn wir nur die Luftangriffe auf den Norden einstellten, antworteten wir mit einer Forderung, die praktisch auf seine Kapitulation hinauslief. Höchste Vertreter unserer Regierung meinten, der militärische Sieg stehe dicht bevor, und Verhandlungen - außer zu unseren Bedingungen - seien unnötig. Heute, ein Jahr zu spät, stellen wir weniger Bedingungen für eine Unterbrechung der Bombenangriffe - Bedingungen, die damals eindeutig akzeptabler gewesen wären. Und das dazwischenliegende Jahr hat trotz der horrenden Kosten und des Todes von Tausenden Amerikanern und Südvietnamesen unsere Position nicht im geringsten verbessert. Wenn es wieder eine Möglichkeit zu Verhandlungen gibt, sollten wir die Erkenntnis dessen, was wirklich möglich und für eine friedliche Regelung notwendig ist, nicht noch einmal um ein Jahr aufschieben.

Dies sind einige der Illusionen, die beseitigt werden müssen, wenn die Ereignisse der letzten Woche nicht nur einfach eine Tragödie, sondern auch eine Lehre werden sollen - eine Lehre, die einige grundlegende Wahrheiten enthält.

Erstens, daß ein totaler militärischer Sieg nicht in Sicht oder nahe ist; daß er vielmehr wahrscheinlich unerreichbar ist; und daß der Versuch, einen solchen Sieg zu erringen, nur zum fortgesetzten Abschlachten Tausender von unschuldigen und wehrlosen Menschen führen wird - ein Blutbad, das unser Gewissen als Nation auf ewig belasten wird.

Zweitens, daß das Anstreben eines solchen Sieges von unseren nationalen Interessen nicht gefordert wird und diesen sogar schadet.

Drittens, daß die Fortschritte bei der Ausweitung unserer Kontrolle über das Land und der Erhöhung der Sicherheit der Bevölkerung, wie wir behauptet haben, weitgehend illusorisch sind.

Viertens, daß die zentrale Schlacht dieses Krieges nicht an der Zahl der getöteten Feinde oder dem von Bomben angerichteten Schaden bewertet werden kann, sondern nach dem Ausmaß, in dem die Bevölkerung Südvietnams Zielsetzungen und Hoffnungen mit den sie Regierenden gemeinsam hat.

Fünftens, daß das gegenwärtige Regime in Saigon nicht willens oder nicht fähig ist, ein starker Verbündeter im Krieg gegen die Kommunisten zu sein.

Sechstens, daß ein politischer Kompromiß nicht nur der beste Weg zum Frieden ist, sondern der einzige, und daß wir ebensoviel Bereitschaft zeigen müsssen, einen Teil unseres Prestiges für den Frieden aufs Spiel zu setzen wie das Leben junger Männer im Krieg.

Siebtens, daß die Eskalationspolitik in Vietnam, weit davon entfernt, den internationalen Widerstand gegen die Aggression zu stärken und zu konsolidieren, unserem Land in der ganzen Welt schadet, indem sie das Vertrauen anderer Völker in unsere Weisheit und unser Zielbewußtsein verringert und die Entschlossenheit der Welt schwächt, für Freiheit und Frieden zusammenzustehen.

Achtens, daß der beste Weg, unseren höchsten Einsatz in Vietnam - das Leben unserer Soldaten - zu retten, in der Vermeidung einer Ausweitung des Krieges besteht und daß der beste Weg zur Vermeidung von Verlusten die Beendigung des Krieges ist.

Neuntens, daß unsere Nation die Wahrheit über diesen Krieg erfahren muß, in all seiner schrecklichen Wirklichkeit nicht nur, weil es rechtens ist, sondern auch, weil jede Regierung nur auf diese Weise Vertrauen und Einheit der Öffentlichkeit für die vor uns liegenden dunklen Tage gewinnen kann.

 

Kein Krieg hat mehr Mut von unserem Volk und von unserer Regierung gefordert – nicht nur Tapferkeit vor dem Feind oder den Mut, Opfer zu bringen – sondern den Mut, auf die Bequemlichkeit der Illusion zu verzichten – falsche Hoffnungen und lockende Versprechungen aufzugeben.

Die Wirklichkeit ist bitter und schmerzlich. Aber sie ist nur ein schwaches Abbild der verzweifelten Lage, in die uns eine auf Illusionen gegründete Politik mit Sicherheit führt.

Wir sind eine große Nation und ein starkes Volk. Wer immer zu trösten sucht, statt offen zu sprechen, zu beruhigen statt zu informieren, Befriedigung zu versprechen statt Enttäuschung zu offenbaren, der verneint diese Größe und erschöpft diese Stärke. Denn heute wie am Anfang ist es die Wahrheit, die uns frei macht. 

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