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3. Die fehlende Familie

 

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Meinen Großvater, Iwan Kourdakov, habe ich nie gesehen. Aber nach allem, was mir eine alte Frau über ihn erzählte, die ihn gut gekannt hatte, konnte ich mir ein gutes Bild von ihm machen. Ihre Erzählungen schilderten ihn als einen Mann, den ich sehr gerne kennengelernt hätte.

Er war durch und durch Russe — groß, breitschultrig, ein kräftiger Mann aus einem Bauerngeschlecht. Er wurde in der Nähe des Dorfes Powolgyje an der Wolga geboren und wuchs dort zu einem selbstsicheren und unabhängigen Mann auf, der seinen Bauernhof in ein gutgehendes, blühendes Unternehmen verwandelte.

Während der Zarenzeit diente er als Kapitän in der Kosakenarmee, die Revolten und Aufstände in den südlichen Regionen Rußlands niederschlug. Später war er bei der Weißen Garde als Kosakenkapitän und Anhänger der Gegenrevolution. Etwa zu der Zeit starb seine erste Frau. Im Kampf gegen die Kommunisten begegnete er einer wunderhübschen "Prinzessin" des Ossenstammes, einem Volksstamm im unteren Kaukasien, die später meine Großmutter wurde. Wie ich hörte, war sie tatsächlich eine Prinzessin, denn ihr Vater besaß Ländereien und eine große Schafherde und natürlich wegen ihrer Schönheit. Ihr Haar war tiefschwarz und glänzend und reichte ihr bis zu den Füßen.

Im Jahre 1921 kehrte mein Großvater nach den Kriegszügen wieder auf seinen Bauernhof zurück, wo er mit seiner jungen, hübschen Braut ein neues Leben begann. Den Erzählungen nach zu urteilen, wurde sie eine Quelle des Neides von jedermann in der ganzen Umgebung aufgrund ihrer Erziehung, ihres gewinnenden Wesens und ihres Charmes. Auch mein Großvater wurde ziemlich um seine Prinzessin beneidet, von der er behauptete, daß er sie auf seinen Kriegszügen geraubt habe. Geraubt hatte er sie schon, aber nur in dem Sinne, daß er ihr Herz gestohlen hatte, denn man erzählte mir, daß sie sehr glücklich mit ihm gewesen sei.

Gemeinsam arbeiteten sie hart und bauten den Bauernhof wieder auf. 1928 stand er wieder fest mit beiden Beinen im bürgerlichen Leben, besaß mehrere Pferde, einen Pflug und eine Mähmaschine. Selbst­verständ­lich konnte man ihn nicht als reich bezeichnen, aber es ging ihm sehr gut, da er sein eigener Herr und Meister auf eigenem Grund und Boden war. Hier, wo er geboren war, waren er und meine Großmutter ausgesprochen glücklich. 

Doch schwere Zeiten ließen nicht lange auf sich warten.


1928 startete Stalin sein Kollektivierungsprogramm, mit dem er alle Mittel- und Großbauern als Land­besitzer ausschalten wollte. Es war eine Schreckensregierung, die schrecklichste bis dahin im zwanzigsten Jahrhundert. Vertreter der Militärs kamen einfach auf die Bauernhöfe und beschlagnahmten mit vorgehaltener Pistole alle Lebensmittel und Getreidevorräte, wodurch sie die Bauern und ihre Familien dem Hunger auslieferten.

Es war die erste absichtlich geplante, von Menschen inszenierte Hungersnot der Welt. Millionen starben an den Folgen, weil sie ihre Bauernhöfe und ihren Lebensstil nicht aufgeben wollten. Zur gleichen Zeit erhöhte Stalin die Exporte; er verkaufte Milch, Getreide und Käse ins Ausland, während hier Millionen russischer Kinder verhungerten.

Im Jahre 1928 bekam auch mein Großvater die Faust des Kommunismus zu spüren. Eines Tages kam ein kommunistischer Beamter aus dem Dorf auf seinen Bauernhof, hielt ihm eine Pistole unter die Nase und forderte: "Gib mir all deine Lebensmittel und Getreidevorräte, die du hast." Der Mann war ein Trinker und ein Taugenichts, der noch nie in seinem Leben gearbeitet hatte. Er befahl seinen Leuten, alles zu durch­suchen und sogar den Boden aufzugraben, um verstecktes Getreide aufzuspüren.

Doch mein Großvater war kein Mensch, der leicht nachgab. Als der Anführer sich umwandte, ergriff er ihn mit einer russischen Bärenumarmung und, stark wie er war, drückte ihn zusammen, bis alle seine Rippen und sein Rückgrat gebrochen waren. Dann ließ er ihn als lebloses Häufchen zu Boden fallen. Daraufhin wurde er sofort verhaftet und in ein besonders hartes Arbeitslager nach Sibirien transportiert. Hier verbrachte er neun bittere Jahre, von 1928 bis 1937. Meine Großmutter hat er niemals wiedergesehen, denn sie wurde in ein Frauengefängnis gebracht, wo sie starb. Im Arbeitslager wurden meinem Großvater besonders schwere Arbeiten zugeteilt, doch obwohl er nicht mehr jung war, konnte er diesen Strapazen standhalten.

Im Oktober 1937 wurde er in ein Holzfällerlager am Tschulym in Sibirien gebracht, wo er die Stämme vom Fluß auf eine engspurige Eisenbahn verladen mußte. Als eines Tages die Hebevorrichtung zusammenbrach, hob mein Großvater selbst einen dicken Baumstamm auf, legte ihn über seine Schulter und trug ihn zum Eisenbahnwaggon. Dabei belastete er seinen Nacken und seinen Unterleib erheblich. Kurz darauf ist er gestorben.

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Mein Wissen über meine Mutter und meinen Vater sind bruchstückhafte eigene Erinnerungen und ein großer Teil gelegentlicher Informationen von einem früheren Freund meines Vaters. Ich war erst vier Jahre alt, als mein Vater getötet wurde. Meine Mutter starb kurz darauf.

Mein Vater wurde in Powolgyje auf dem Bauernhof meines Großvaters geboren. Als mein Großvater 1928 nach Sibirien verbannt wurde, mußte mein Vater ihn begleiten. Er mußte in eine nahe gelegene Schule gehen und wurde in einem staatlichen Kinderheim aufgezogen. Kurz darauf, noch in sehr jungen Jahren, wurde er ein glühender Kommunist. Da sein Vater Gefangener in einem Arbeitslager war, mußte er als erstes "seinen Ruf wiederherstellen und sich von allen vergiftenden Familienbindungen befreien". Er verleugnete meinen Großvater.

Von der kurzen Zeit, die mein Vater um mich war, erinnere ich mich noch gut, wie sehr ich ihn liebte und daß er damals, als ich drei oder vier Jahre alt war, gewöhnlich abends in mein Zimmer kam, um mir "Gute Nacht" zu sagen. Noch jetzt sehe ich seine durchdringenden, schwarzen Augen und fühle fast seinen langen, gebogenen Schnurrbart. der mich stets im Gesicht kitzelte, wenn er sich niederbeugte, um mich zu küssen. Ich erinnere mich auch noch, daß er gerne trank. Wenn er nach Hause kam, setzte er sich sofort an den Tisch mit einer Flasche Wodka. Da er beim Militär war, war er oft lange Zeit von zu Hause fort. Doch wenn er da war, hatten wir oft großen Spaß zusammen.

Ich weiß noch, wie er mir beibrachte, Tschechodka zu tanzen. Wenn ich es gut machte, gab er mir zur Belohnung ein Glas Wodka, und ich trank es aus und tanzte weiter. Doch schon bald war er völlig betrunken und fiel auf sein Bett. Wie oft, wenn er dort lag, ging ich an seinen Schrank, nahm seine Uniformjacke, zog sie an und stolzierte darin auf und ab, wobei seine Orden bei jedem Schritt klingelten. Sonst kann ich mich nur sehr schlecht an das gemeinsame Leben mit meinem Vater erinnern.

Da ich natürlich enger mit meiner Mutter verbunden war, erinnere ich mich auch viel besser an sie. Ihr Name war Anisia. Sie kam aus einem sehr armen Elternhaus, in dem einige an Gott glaubten. Sie sorgte sich sehr um mich. Doch das meiste der ersten gemeinsamen Jahre ist natürlich aus meinem Gedächtnis verschwunden.

An einen meiner zwei Brüder erinnere ich mich dagegen sehr gut. Er war einige Jahre älter als ich und mein großes Vorbild. Da wir im Militärstützpunkt in Nowosibirsk (was Neu-Sibirien bedeutet) lebten, wurde Wladimir in die Stadt geschickt, um dort in die Schule zu gehen. 

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In den Ferien kam er stets nach Hause, und wir verbrachten wundervolle Stunden zusammen. Ich erinnere mich noch gut, wie groß und stark er war und wie sehr ich ihn bewunderte.

Einmal, ich war damals vier Jahre alt, kam er wieder zu Besuch nach Hause. Als erstes sagte er zu mir: "Komm, Sergei, wir wollen eine kleine Fahrt machen!" Er legte ein Kissen auf die Lenkstange seines Fahrrades, setzte mich oben drauf, und los ging's in sausender Fahrt die Straße hinunter und auf einem schmalen Pfad durch den Wald. Wir fuhren die Hügel hinauf und hinunter und lachten und freuten uns. Ich erinnere mich noch, wie wir an einen Stall kamen und ich vom Fahrrad herunter und auf ein Pferd gehoben wurde. Wladimir sprang nach mir drauf, und wieder ging es los im vollen Galopp. Ich umklammerte fest meinen großen Bruder Wladimir, und er beugte sich, soweit es ging, nach vorne. Es war einfach herrlich! Doch wir wußten nicht, daß Mutter uns mit dem Pferd fortreiten sah und uns nachgelaufen war, wobei sie den ganzen Weg über rief: "Wladimir, Wladimir, bring das Kind zurück!"

Mama war so weit hinter uns, daß wir sie wohl nie gehört hätten, wenn das folgende nicht passiert wäre: Genau in dem Augenblick, als das Pferd unter einem Baum durchpreschte, drehte Wladimir sich um, und wir wurden beide recht unsanft zu Boden geworfen. Zu allem Unglück landete Wladimir ausgerechnet auf meinem Fuß, und ich begann zu heulen und zu schreien. Ich erinnere mich noch, wie Mutter uns schließlich einholte und ausrief: "Wladimir, du großer Dummkopf! Bist du verrückt, wie ein Wilder loszureiten? Und damit nicht genug, mußt du auch noch Sergei mit aufs Pferd nehmen, ohne daß du ihn oben behalten kannst!" Ich habe Mamas Lektion niemals vergessen, und ich bin sicher, Wladimir auch nicht. Er hörte schuldbewußt zu, bis sie fertig war, dann hob er mich auf und trug mich auf seinem Rücken nach Hause. Ich weinte den ganzen Weg lang, wohl mehr erschrocken als verletzt.

Das letzte Mal, daß ich meinen Bruder Wladimir sah, war als er in mein Zimmer kam, wo ich auf meinem Bett lag und mir sagte, daß ihm der Vorfall sehr leid täte. Er sagte, daß ich eines Tages ein großer, zäher Bursche sein würde. Solch ein kleiner Unfall wäre gar nicht so schlimm. Dann umarmte er mich, sagte auf Wiedersehen und ging aus dem Zimmer und damit auch aus meinem Leben. Ich habe ihn seither niemals wiedergesehen und jede Spur von ihm verloren.

 

Als ich siebzehn Jahre alt war, besuchte ich von der Leningrader Marine-Akademie aus Nowosibirsk. Ein älterer Freund fragte mich: "Sergei, möchtest du mehr über deinen Vater, deine Mutter und deinen Bruder erfahren? "

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"Ja, natürlich", erwiderte ich.

"Nun", sagte mein Freund, "geh zu dem Militärstützpunkt außerhalb der Stadt Nowosibirsk und frage nach dem Oberstleutnant Dobrinsky. Er kannte deinen Vater und kann dir sicher die Auskünfte geben, die du haben möchtest."

Ich hatte bereits erfahren, daß mein Vater erschossen worden war und daß meine Mutter wenige Monate später starb. Aber ich wußte keine Einzelheiten darüber. Jetzt, mit siebzehn Jahren, brannte ich natürlich darauf, alles darüber in Erfahrung zu bringen. Vor einigen Jahren, als ich dreizehn war, hatte ich gehört, daß mein Bruder Wladimir in einem Gefangenenlager in Kasachstan arbeiten würde. Ich schrieb an die Oberste Sowjetbehörde der Republik Kasachstan und bat um Hilfe bei der Suche. Man antwortete mir einige Zeit später, daß sein Name in keinen Unterlagen der Republik geführt würde und daß ihn auch niemand kannte.

Später versuchte ich mein Glück noch einmal. Durch einen hohen kommunistischen Offizier ließ ich eine Bittschrift an die Oberste Sowjetbehörde der UdSSR in Moskau verfassen, in der ich erneut bat, mir bei der Suche nach Wladimir behilflich zu sein.

Doch auch dort konnte man mir nichts über den Verbleib meines Bruders sagen. Er verschwand so spurlos, daß er wahrscheinlich das gleiche Schicksal wie mein Vater erlitten hat oder irgendwo vergessen in einem Arbeitslager lebt. Doch ich habe niemals die Hoffnung aufgegeben, ihn eines Tages wieder­zusehen.

Seit meinem vierten Lebensjahr wohnte ich bei befreundeten Familien, doch mit sechs Jahren kam ich in ein staatlich geführtes Kinderheim. So vermißte ich also schon seit meiner frühesten Kindheit die Fürsorge und Liebe von Vater und Mutter. Niemand kam morgens zu mir und sagte: "Iß jetzt dein Frühstück und paß gut in der Schule auf." Vielleicht können Sie sich vorstellen, was diese einfachen Worte für ein Kind bedeuten und welch eine Leere das Nichtvorhandensein solcher Besorgnis in meinem Leben hinterlassen hat.

Vielleicht war das die größte Lücke, die ich, als siebzehnjähriger Jugendlicher der Marineakademie in Leningrad, in meinem bisherigen Leben aufzuweisen hatte. Als ich darum erfuhr, daß ein Oberstleutnant Dobrinsky existierte, der mir etwas von meiner Mutter und meinem Vater erzählen konnte, verschwendete ich keine Zeit damit, erst zum Militärstützpunkt zu gehen. Ich klopfte ungeduldig an die Tür seines Quartiers, und als er aufmachte, sagte ich gleich: "Ich bin der Sohn von Nikolai Iwanowitsch Kourdakov."

Zuerst schaute er mich verwundert an. Doch dann ging ein warmes Lächeln über sein Gesicht. 

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"Oh, ja, ich kenne dich. Ich erinnere mich noch sehr gut an deinen Vater. Komm herein, komm nur herein!" Er stellte mich seiner Frau vor, die später ein riesiges Essen für mich bereitete. Dann setzten wir uns und erzählten. Der Wodka floß in Strömen. Der Oberst bot mir immer wieder an, doch ich nippte nur daran, während er ihn sich ausgiebigst schmecken ließ. Bald wurde er immer gesprächiger und konnte seine Zunge nicht mehr im Zaun halten. Die Worte kamen ihm leicht über die Lippen, und so erfuhr ich einige Einzelheiten vom Leben meines Vaters, Dinge, die ich nie gewußt hatte.

"Natürlich, Sergei, erinnere ich mich an ihn", sagte der Oberst. "Dein Vater war ein höchst interessanter und fähiger Mann. Er fühlte sich gezwungen, die Fehler deines Großvaters wiedergutzumachen, und so wurde er Soldat in der Kommunistischen Armee. Obwohl er nur vier Klassen in der Volksschule besucht hatte, war er ein solch guter Soldat und politischer Aktivist, daß er es sehr weit brachte. Er nahm an vielen Kriegszügen teil und riskierte sein Leben immer und immer wieder für die Kommunistische Partei, besonders in Turkistan, wo er eine Brigade anführte, die unzählige Revolten niederschlug. Als dann der finnische Krieg ausbrach, war das erste, daß er sich auch hier freiwillig zur Front meldete. Er leitete dort eine Brigade und kämpfte heroisch." Ich hörte gebannt zu, während er weitere Einzelheiten aus dem Leben meines Vaters erzählte.

Die Frau des Oberst nahm ebenfalls an unserer Unterhaltung teil, wobei sie ihrem Mann immer und immer wieder Wodka einschenken mußte. Ich nippte weiter an meinem und hörte hingerissen zu. "Als der zweite Weltkrieg ausbrach, war dein Vater selbstverständlich wieder dabei und befehligte eine Panzereinheit unter General Rokkossowsky. Er diente mit großer Hingabe und Aufopferung und erhielt viele Orden. Nach dem Krieg wurden dein Vater und ich gute Kameraden. Wir wurden beide hier nach diesem Militärstützpunkt gesandt. Doch als wir hier ankamen, war überhaupt nichts hier. Wir hatten den Befehl, den Stützpunkt aufzubauen und ein Panzer-Artillerie-Übungslager (OD: Panzerschießplatz) einzurichten. Ich stand eine Rangstufe unter deinem Vater und war sein Assistent. Er arbeitete wirklich schwer, um diesen ganzen Stützpunkt, wie du ihn jetzt vorfindest, zu organisieren. Alles, was du hier siehst, ist die Arbeit deines Vaters. Und wenn ich ihm auch mit Rat und Tat zur Seite stand, so ist doch alles größtenteils seinen Bemühungen zu verdanken. Dein Vater war nicht nur ein guter Soldat, er war auch ein guter Organisator und politischer Aktivist. Er unter­stützte Stalin hundertprozentig."

"Doch was passierte, als Chruschtschow an die Macht kam?" fragte ich.

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"Nun, dann begann es, schwierig zu werden. Ich erinnere mich an eine Nacht, als ich hier der dienst­habende Offizier war. Plötzlich fuhr ein Wagen vor, einige Leute stiegen aus und fragten mich nach deinem Vater. Ich sagte ihnen: ,Er ist nicht hier, er ist zu Hause.' Am Morgen sollte dein Vater mich ablösen kommen, doch als es Zeit wurde, erschien er nicht. Ich schickte jemand nach seiner Wohnung, um feststellen zu lassen, was denn los sei. Doch dort war er nicht mehr. Sie hatten ihn in der Nacht abgeholt.

Du willst sicher wissen, warum sie ihn abgeholt haben. Ich kann diese Frage deinem Gesicht ablesen. Nun, Sergei, du mußt wissen, daß Kruschtschew nach Stalin die Macht übernahm, und in den oberen Spitzen der Partei gab es große Kämpfe. Sie konnten nicht alles auf einen Schlag ändern, sondern nach und nach, Schritt für Schritt. Um seine eigene Machtstellung zu festigen, ließ Kruschtschew all jene hohen Offiziere beseitigen, von denen man wußte, daß sie Stalin unterstützten. Das mußte natürlich in aller Heimlichkeit geschehen und nach und nach, um keinen Argwohn zu erregen. Und darum wurde dein Vater mitten in der Nacht abgeholt. Er diente dem Kommunismus wie nur wenige Männer, die ich kannte. Aber er verschwand wie viele andere, die ich kannte. Zwei Tage, nachdem sie ihn abgeholt hatten, erschien ein neuer Mann hier im Stützpunkt und erklärte, daß er jetzt der neue Chef sei. Er sagte: ,Kourdakov war ein sehr schlechter Mann und ist unter Arrest gestellt worden.' Das ist das letzte, was ich von deinem Vater gehört habe. Er verschwand einfach, ohne daß man noch einmal von ihm hörte. Verstehst du, Sergei?"

Ich verstand. Verstand ich es wirklich? Der Oberstleutnant meinte, daß mein Vater jetzt sicher schon General wäre, wenn er überlebt hätte. Er war einfach eine zu mächtige Person für Kruschtschew gewesen, die nicht weiterleben durfte. Und um seine eigene Macht zu festigen, ließ Kruschtschew meinen Vater beseitigen, der sein ganzes Leben lang treu und mit aller Kraft dem Kommunismus gedient hatte.

Der Oberst fuhr fort: "Natürlich brach für deine Mutter nach dem Verschwinden deines Vaters eine Welt zusammen. Ich glaube, sie starb vier Monate später. Sie starb an gebrochenem Herzen, Sergei, weil ihr solch großes Leid widerfuhr. Sie verlor den Willen, weiterzuleben. Ich erinnere mich noch, als sie starb. Damals verloren wir dann deine Spur. Ich weiß also nicht, was dann mit dir geschehen ist. Wenn ich dich gefunden hätte, den Sohn eines alten Kameraden und Freundes, so hätte ich dir unter allen Umständen weitergeholfen."

"Sergei", fragte er, "was geschah eigentlich mit dir, nachdem dein Vater und deine Mutter gestorben waren?"

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