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11. Ein Auftrag von der Geheimpolizei 

 

 

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Eines Tages im Mai 1969, ich saß gerade in meinem Büro und arbeitete für die kommunistische Jugendliga, klopfte es an die Tür. "Herein", rief ich und blickte von meiner Arbeit auf. Der Mann, der eintrat, war mir fremd. Er wirkte gedrungen, kräftig gebaut, hatte sein dickes schwarzes Haar auf strenge Art glatt zurückgekämmt und trug Zivilkleidung. Er sprach mit einer sonderbaren Staccato-Stimme, die an Maschinengewehrfeuer erinnerte, ein Sprachfehler, der ihn schwer verständlich machte. Ich mußte sehr hinhören, um mitzukommen, was er sagte. Er stellte sich als Iwan Azarow vor.

Seinen Namen hatte ich schon gehört. Er war Major im KGB, der Geheimpolizei, hier in Kamtschatka! Der KGB ist die Elite-Einheit der sowjetischen Geheimpolizei und operiert mit weitaus größerer Autorität als die uniformierte Polizei. Als ich seinen Namen hörte, verschluckte ich mich beinahe. Was wollte der KGB von mir? 

Azarow zog ein paar Unterlagen aus seiner Aktenmappe, und während er sie auf dem Tisch zwischen uns ausbreitete, bemerkte ich verschiedene Papiere, die mit meinem Namen versehen waren. - "Kourdakov", sagte Azarow, "ich habe deine Beurteilungen zurückverfolgt bis zu der Zeit, als du mit sechs Jahren im Kinderheim Nummer eins warst. Für einen so jungen Mann wie du hast du schon eine beachtliche Vergangenheit!"

Ich zuckte mit den Schultern, was als Geste der Bescheidenheit gelten sollte. - "Du mußt wissen", fuhr er fort, "daß wir einige schwerwiegende Probleme in unserem Lande haben, denen wir auf spezielle Art begegnen müssen. Wie du vielleicht weißt, bin ich im Polizeidienst tätig." Dann erzählte er mir, daß ein besonderer Polizeitrupp zusammengestellt werden sollte, um als offizieller Zweig der Geheimpolizei in Petropawlowsk zu operieren.

"Dieser besondere Aktionstrupp wird Aufgaben erhalten, mit denen die reguläre Polizei sich aus verschiedenen Gründen nicht abgeben kann", erklärte er. "Ähnliche spezielle Aktionstrupps werden jetzt überall in der Sowjetunion ins Leben gerufen. Wir haben Anweisung vom Parteihauptquartier in Moskau bekommen, auch hier einen zusammenzustellen." 


Er schwieg einen Moment, dann fuhr er fort: "Wir haben uns nach einem Mann umgesehen, der die Führung dieser Spezialtruppe hier übernehmen könnte."

"So", dachte ich, "das ist es also!" Ich versuchte, alle möglichen Gründe vorzubringen, weshalb ich dieses großzügige Angebot nicht annehmen könnte. Ich hatte doch wirklich schon so alle Hände voll zu tun. Doch Azarow fuhr in seiner schnellen, stoßweisen Redeart bereits wieder fort: "Ich weiß nicht, ob du dich daran erinnerst", sagte er, "aber ich war bei einer Versammlung deiner Schule, bei der du gesprochen hast, anwesend." Ich erinnerte mich nicht. 

"Du hast eine mitreißende Rede gehalten, junger Mann, eine der besten, die ich jemals an junge Leute adressiert gehört habe. Die Schüler hingen ja geradezu an deinen Lippen." Dann kam er zur Sache. "Wir suchen Führerqualitäten wie diese, Kourdakov. Der Mann unserer Wahl muß in der Lage sein, seine Leute zu rekrutieren und einzuarbeiten, sie zu organisieren und ihre Aktivitäten zu dirigieren. Ich habe deine Akte eingehend studiert", fügte er hinzu, wobei er beim Sprechen zur Untermalung mit dem Finger auf den Tisch klopfte. "Wir glauben, du könntest der richtige Mann sein, um unsere neue Polizeisondereinheit zu organisieren und zu leiten."

Er konnte mir selbstverständlich befehlen, diese Aufgabe zu übernehmen, aber ich suchte immer noch nach Gründen, um nein sagen zu können. Als ich einen Ansatz machte, um meine Einwände vorzubringen, begann er wieder zu sprechen. Ich sah, daß er es nicht gewohnt war, unterbrochen zu werden. "Es versteht sich natürlich, daß du für diese Sonderarbeit auch einen Sonderlohn erhalten würdest, aus speziellen Fonds, die von Moskau für diesen Zweck eingerichtet wurden — fünfundzwanzig Rubel per Auftrag."

Ich traute meinen Ohren nicht! Hatte ich richtig gehört? Schließlich sprach er wie ein Maschinengewehr. Sicher hatte ich ihn mißverstanden. "Würden Sie bitte noch einmal den letzten Satz wiederholen?" fragteich.

Er lächelte und sagte: "Ich weiß, was du denkst; aber du hast richtig gehört. Dies ist eine spezielle Polizeitruppe, die für ihre Arbeiten aus besonderen Fonds bezahlt wird. Es stimmt, du erhältst pro Auftrag fünfundzwanzig Rubel."

Als Kadett der Marineakademie bekam ich sieben Rubel pro Monat. Und jetzt sollte ich fünfundzwanzig Rubel "pro Auftrag" haben!

Selbst als Offizier in der Marine nach abgeschlossener Ausbildung konnte ich höchstens siebzig Rubel pro Monat verdienen.

Bei nur drei "Operationen" mit einem solchen Polizeiteam würde ich zu mehr Geld kommen als bei einem ganzen Monatsgehalt durch die Marine! Azarow gewahrte ein momentanes Flackern in meinen Augen.

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"Du nimmst diesen Posten also an? " fragte er. "Ja, natürlich", sagte ich. "Aber warum gerade ich?" "Aus drei einfachen Gründen. Erstens bist du als Offiziersanwärter in einer Militärschule, so daß deine Zeit bereits dem Staat gehört. Du brauchst also deinen Beruf nicht aufzugeben. Es ist eine ganz einfache Sache. Ich verhandle mit deinem befehlshabenden Offizier und befreie dich für deine Polizeiarbeit.

Zweitens kann ich deine Rede über den Kommunismus und die weltpolitischen Ereignisse an der Universität nicht vergessen. Du zeigtest dabei Führungs­fähigkeiten, die für diese Stellung unerläßlich sind. Drittens, und das ist der Hauptgrund, du verfügst über die Kontakte, um die richtigen Leute für dieses Team auszusuchen."

Im letzten Punkt mußte ich ihm zustimmen. Als Führer der kommunistischen Jugendliga unterhielt ich freundschaftliche Beziehungen zu fast allen Parteisekretären unter mir. Diese wiederum kannten alle Marinekadetten auf dem Flottenstützpunkt. Ich brauchte also nur zu ihnen zu sagen: "Gib mir drei deiner härtesten Leute", und sie würden es tun. Ich besaß die Kontakte und auch die Autorität, die besten Leute unter den 1200 Offiziersanwärtern auf dem Flotten­stützpunkt auszuwählen.

"Wieviel Männer wollen Sie haben?" fragte ich Azarow. "Wenigstens zwanzig", erwiderte er. "Sie werden nicht immer alle zur gleichen Zeit gebraucht werden, aber wir möchten wenigstens zwanzig Mann zusammen haben, auf die wir zurückgreifen können, für den Fall, daß dieser oder jener mal nicht abkommen kann." Meine Gedanken begannen bereits zu arbeiten, auf wen meine Wahl fallen sollte.

"Such dir die Leute aus, Kourdakov, und stell sie mir vor, nicht später als in zehn Tagen. Ich möchte jeden einzelnen kennenlernen und euch dann dem Mann übergeben, der eure Operationen im einzelnen dirigieren wird."

"In Ordnung", erwiderte ich. Der Major erhob sich und ging hinaus. Ich bin ja schließlich nicht von gestern, dachte ich. Ich wußte, was er vorhatte. Wir sollten uns sicher Trunkenbolde, Mörder, Schläger­typen und andere Gesetzesbrecher vornehmen, mit denen sich die reguläre Polizei nicht abgeben konnte. Es gab hier in der Hafenstadt Petropawlowsk allerhand dunkle Elemente, unter denen man wohl aufräumen wollte. Ich brauchte also einige rauhe, furchtlose, rauflustige Kerle, die stark und geschickt genug waren, zwei sich streitende Parteien auseinanderzubringen.

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Ich war sicher, daß ich selbst gut da hineinpaßte. Schon jahrelang hatte ich mit Disziplin und Ausdauer Körperertüchtigung betrieben, hatte gerungen und war erst kürzlich Judo-Champion der Provinz Kamtschatka geworden. Ich mußte also noch zwanzig weitere Jungen wie mich herausfinden. Zuerst dachte ich an meine Sportsfreunde. Schon als ich in meinem Quartier angekommen war, hatte ich mich für einige von ihnen entschieden. Es waren alles Männer, die ich durch unser Jugendliga-Sportprogramm kennengelernt hatte — Championboxer, Judoexperten und andere gute Athleten.

Als erstes entschied ich mich für Viktor Metwejew, einen sehr starken Mann, 2 m groß und 2 Zentner schwer. Obwohl er die Statur eines Bären hatte, war er doch erstaunlich flink auf den Füßen. Und trotz eines warmen, freundlichen Gesichtes war sein Herz kalt wie Stein. Er war ein enger Freund von mir und einer meiner Abgeordneten innerhalb der Liga. Ihm unterstanden 200 Kadetten in der Funkabteilung. Er war einer der besten Hockeyspieler in unserem Team. Das einzige Mal, daß wir Schwierigkeiten miteinander hatten, war bei sportlichen Wettbewerben. Anfangs war es immer nur ein freundschaftlicher Judo- oder Ringkampf, manchmal aber ging es darüber hinaus und wurde eine ernsthafte Sache, bei der wir beide die Beherrschung verloren.

Innerhalb seines eigenen Freundeskreises oder seiner Mitarbeiter war Viktor ein netter Mensch. Wenn er jedoch in einen Kampf geriet, war er wie besessen, als wenn animalische Instinkte von ihm Besitz ergriffen hätten. In diesen Augenblicken konnte er den anderen wirklich gefährlich werden, was er auch später bei den Polizeieinsätzen beweisen sollte.

Viktor hing zum Scheitern verurteilten Ambitionen nach. Er wäre gern Pilot geworden, schaffte jedoch nie die Prüfung und verlor darüber zwei Jahre Zeit. Obwohl er zwei Jahre älter war als ich, war er eine Rangstufe unter mir. Es war eine Art Minderwertigkeitsgefühl, das ihn so reizbar machte.

Im Judo allerdings erreichte er sein Ziel und wurde Champion von ganz Ostrußland.

Als nächstes fiel meine Wahl auf Anatoly Litowtschenko, einen Playboy in Petropawlowsk, groß, stark und gutaussehend, mit einem charmanten, freundlichen Wesen. Sein verhältnismäßig langes schwarzes Haar, sein dunkler Schnurrbart und seine großen, schwarzen Augen gaben ihm das Aussehen eines "feurigen Liebhabers". Doch obwohl er wie ein Frauenliebling aussah, wagten doch nur seine engsten Freunde, ihn so zu nennen, und das auch nur im Spaß. Anatoly war ein hochtrainierter, erstklassiger Boxer, der damit in der Sowjetunion an dritter Stelle stand

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Man war übereinstimmend der Meinung, daß er es zum Champion der Sowjetunion gebracht hätte, wenn er nicht bei einem der Kämpfe eine komplizierte Schulterverletzung erlitten hätte. Bis zu diesem Zeitpunkt galt er noch als Kamtschatkas Hoffnung für die Olympischen Spiele. Solche Klasse war Viktor.

Der nächste Mann meiner Wahl war Alexander Guljajew, nervös und spannungsgeladen, mit einem explosiven Temperament, das ihn später das Leben kosten sollte. Alex war kein Sportler, aber groß, stark und gewalttätig. Er reagierte impulsiv, ohne vorher nachzudenken. Er kam aus meiner Heimatstadt in Nowosibirsk, und wir waren gute Freunde geworden. Wahrscheinlich war er der entschlossenste von all meinen Leuten. Wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, so war es so gut wie ein Ding der Unmöglichkeit, ihn davon abzuhalten. Er hatte ein rundes, flaches Gesicht und eine Nase, die der von Viktor zum Verwechseln ähnlich sah. Wir nannten daher Viktor und Alex "die Brüder Nase".

Wladimir Selenow zählte zu den etwas kleineren Männern, die ich für unser Team auswählte. Er war zwar nicht groß, aber ein enorm guter Boxer und recht stark. Er war ein unbeschwerter Bursche, für den das Leben nur aus Vergnügen zu bestehen schien. Er war nicht bei der Marineakademie, weil es einem Berufswunsch entsprach, sondern einfach, weil er die Armee vermeiden wollte. Eigentlich wollte er weder dies noch das, aber er kam zu dem Schluß, daß die Marine immer noch das kleinere von allen Übeln war. "Die ganze Marschiererei!" pflegte er zu sagen, "ganz gleich, was es ist, es ist jedenfalls besser als das!"

Einmal bei der Marine, versuchte er jedoch alles, um wieder herauszukommen. Einige der Kadetten schnitten sich ernstlich in die Finger oder Sehnen, versuchten sich mit Tuberkulose zu infizieren oder auch eine andere gefährliche Krankheit, um aus dem Dienst entlassen zu werden.

Wladimir unternahm zwar niemals etwas Derartiges, aber er sprach oft über einen Plan, wie er hier herauskommen könnte — sich ein Bein zu brechen, einen Finger abzuschneiden, einen Herzanfall zu inszenieren oder was ihm sonst noch in den Sinn kam. Er ging allerdings niemals über solche drohenden Redensarten hinaus.

Das einzige, was er ernsthaft betrieb, war Boxen. Er war der Champion im Mittelgewicht in der Provinz Kamtschatka.

Das größte Mitglied unserer Attackiergruppe war Juri Berestennikow. Seine Mutter war Direktorin an der staatlichen Schule Nummer Vierzehn in Petropawlowsk und hatte viele Freunde in der kommunistischen Partei. Juri war außergewöhnlich stark und liebte den Kampf über alles, besonders in Autobussen.

Oft unternahm er eine Busfahrt, nicht, um irgendwo hinzukommen sondern um einen Streit dem eine Schlägerei folgt, vom Zaun zu brechen. Unsere Busse waren gewöhnlich überfüllt, oft mit Militärpersonal.

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Einmal im Bus, konnte Juri immer damit rechnen, daß ihn jemand aus Versehen anstieß, wenn der Bus mit einem Ruck anfuhr. Das war für ihn Grund genug, um seinem "Widersacher" einen kräftigen Schlag zu versetzen. Manchmal beteiligten sich alle jüngeren Fahrgäste daran, und Juri hatte bald eine regelrechte Schlacht im Gange. Einmal schaffte er es, daß alle Zivilisten gegen das Militär kämpften. Es war ein wildes Getümmel. Der Busfahrer schaute sich den lärmenden Haufen an und fuhr dann mit seiner Ladung voll kämpfender Passagiere geradewegs zur Polizeiwache.

Das war Juri. Er lebte für den Kampf. Und trotzdem mußte man ihn gernhaben. Er hatte eine gute Ausbildung gehabt, war klug, witzig und tat immer irgend etwas Verrücktes.

Ich war sicher, daß er der unmilitärischste Bursche war, der sich je in der Akademie einschreiben ließ. Ich glaube, er schaffte es nur durch die Beziehungen seiner in guter Stellung befindlichen Eltern. Wenn er in einer Unterrichtsstunde aufgerufen wurde, ging er zur Tafel, um die Frage des Lehrers zu beantworten. Dort stand er dann in strammer militärischer Haltung und gab mit ernstestem Gesicht die falsche Antwort. Gab ihm der unterrichtende Offizier dann zu verstehen, daß seine Antwort alles andere als richtig war, konnte er seinen Kopf in nachgemachter Scham hängenlassen und einen höchst unmilitärischen Schrei ausstoßen, der die ganze Klasse in brüllendes Gelächter versetzte. Einmal strich er doch einem glatzköpfigen älteren Offizier über den Kopf und sagte: "Auf einem guten Dach wächst nun mal kein Gras."

Natürlich wurde Juri oft wegen seines undisziplinierten Benehmens zur Rede gestellt, aber das schien ihm nicht das geringste auszumachen. Sein Lebensinhalt bestand darin, die Leute um ihn herum entweder zum Lachen oder zum Kämpfen zu bringen und das möglichst mit ihm mittendrin.

Schließlich entschieden seine Vorgesetzten trotz des Einflusses seiner Eltern, daß er einfach nicht das Zeug zu einem Offizier habe, und er wurde ein einfacher Seemann. Doch während er zu meiner Aktionseinheit gehörte, erwies er sich als einer der robustesten, zuverlässigsten und angsteinflößensten Leute, wenn er tätlich in eine Auseinandersetzung verwickelt war.

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Ein weiterer Hauptvertreter unserer Gruppe war Sergei Kanonenko, ein Ukrainer, einer meiner Assistenten in der Jugendliga. Er war zäh, zuverlässig, brutal, kalt, mit fast keinem Anzeichen einer Gefühlsregung und sehr wirkungsvoll. Er gehörte ebenfalls zu unserem Ringerteam, ein kräftiger Mann von ungefähr zwei Zentnern. Er liebte es, bei Schlägereien sein Messer zu zücken. Ich würde auf ihn aufpassen müssen, damit er es nicht unnötigerweise benutzte.

Es gab noch andere Freunde, wie Wladimir Litowka und Viktor Lasarow, alles starke und kraftstrotzende Athleten und große Kerle. Sie und ich würden den Kern meiner Polizeitruppe ausmachen. Um die übrigen Positionen zu besetzen, forderte ich meine Abgeordneten in der Jugendliga auf, mir die Namen der stärksten und hartnäckigsten Männer zu geben, Männer, geübt im Boxen, Ringen oder Judo.

Ich glaube nicht, daß man in ganz Rußland eine härtere Gruppe zusammenstellen konnte. Azarow hatte die besten verlangt, und die sollte er auch bekommen.

Nachdem ich meine Liste abgeschlossen hatte, suchte ich jeden einzeln auf. Fast überall begegneten mir Ausflüchte und Entschuldigungen. "Sergei", sagten einige, "ich bin zu beschäftigt. Ich bin jetzt schon viel zu sehr ausgelastet." So ging es, bis ich das Geld erwähnte, das sie dafür bekommen sollten. Danach brauchte ich nichts mehr zu sagen. Jetzt redeten sie. "Sergei", hieß es jetzt, "wann fangen wir an?" Fünfundzwanzig Rubeln für die Arbeit von ein paar Stunden konnte keiner von uns widerstehen. Nur Juri hätte sicherlich schon allein der Rauferei wegen zugestimmt!

Bald hatte ich eine Gruppe von einundzwanzig Mann zusammen und rief sie alle zu mir. Noch nie hatte ich so viele große, hart aussehende Männer in einem Raum versammelt gesehen. Als wir alle zusammen waren, genehmigten wir uns einen guten Schluck, ehrlich gesagt, mehrere. Ich sagte ihnen, daß sie sich am nächsten Tag alle bei Iwan Azarow im Hauptquartier der Kommunistischen Partei in Petropawlowsk melden sollten.

 

Zur festgesetzten Zeit erschienen wir also alle im Büro von Azarow. Wir waren bereits alle versammelt, als Azarow eintrat. Er sah sich meine Leute an und sagte: "Gut, Kourdakov, ich sehe, du hast mich beim Wort genommen, als ich dir empfahl, eine sorgfältige Auswahl zu treffen." Während er jeden einzelnen überprüfte, konnte ich sehen, daß er beeindruckt war. Azarow ging völlig unter in der Gruppe der großen, muskulösen Kerle, doch mit seiner ihm eigenen Autorität befahl er uns, Platz zu nehmen und gab ein paar einleitende Erklärungen, warum er eine solche Gruppe gewünscht hatte.

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"Ich habe Kourdakov gebeten, euch aus einem bestimmten Grunde hierherzubringen. Im ganzen Land haben wir Probleme mit Feinden unseres Volkes. Um sie unschädlich zu machen, bilden wir spezielle Operationsteams, die eng mit der Polizei zusammenarbeiten.

Technisch gesehen arbeitet ihr hier für die Polizei in Petropawlowsk. Hinter den Kulissen aber werdet ihr von meinem Büro im Hauptquartier der Partei hier dirigiert werden. Ihr werdet eine Sondereinheit darstellen, organisiert auf Grund direkter Befehle von Moskau, um diese speziellen Volksfeinde auszurotten. Ihr werdet also nicht zu gewöhnlicher Polizeiarbeit herangezogen werden. Irgendwelche Fragen?"

Es kamen keine. So fuhr er fort:

"Nach dieser kurzen Einweisung werdet ihr als nächstes euren Polizeichef kennenlernen, dem ihr direkt in euren Einsätzen unterstellt seid. Ich selbst werde letzten Endes für eure Aktionen verantwortlich sein und mich daher ständig auf dem laufenden halten. Ich weiß, die meisten von euch sind wie Kourdakov von der Marineakademie. Ich werde daher eure befehlshabenden Offiziere davon unterrichten, daß ihr für außerdienstliche polizeiliche Zwecke eingesetzt werdet. So sind wir sicher, daß ihr die erforderlichen Pässe erhaltet, den Militärstützpunkt zu jeder Zeit verlassen zu können. Es ist natürlich selbstverständlich, daß eure Hauptverpflichtung der Akademie gegenüber besteht, wo ihr immerhin Offiziers­anwärter seid. Doch eure Verpflichtung und Verantwortung der Polizei gegenüber, als Teil dieser Sondereinheit, kommt gleich danach. Irgendwelche Fragen?"

Es gab immer noch keine. "Wir werden euch zunächst ein paar vorbereitende Aufträge geben; in Kürze werde ich euch für weitere Anweisungen wieder in meinem Büro sehen. Jetzt werde ich euch eurem Polizeichef vorstellen, der euch die direkten Befehle erteilen wird."

Kurz zuvor war ein Mann in einfacher Kleidung eingetreten und hatte sich etwas abseits niedergelassen. Ein Blick genügte, um zu sehen, daß er zum Militär oder zur Polizei gehörte und daß er sich in Zivilkleidung fehl am Platze fühlte. Seinen Mantel hatte er, obwohl er nicht dazu bestimmt war, bis zum Hals zugeknöpft, und er trug ihn, als wenn er sich in einer Zwangsjacke wohler gefühlt hätte. Jetzt sagte Azarow: "Ich möchte euch Polizeihauptmann Dimitri Nikiforow vorstellen."

Nikiforow stand auf und begleitete Azarows Vorstellung mit einem linkischen Dankeschön und ein paar gestammelten Begrüßungsworten an uns. Anfangs war ich keineswegs beeindruckt, doch ich wußte, daß äußere Erscheinungen oftmals irreführend sind. Er war klein, gedrungen, mit mittelblondem Haar und kalten, stahlblauen Augen. 

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Obwohl er nicht groß war, war doch fast alles an ihm von besonderer Größe — eine große, knollige, rote Nase, ein überdurchschnittlich großer Mund, starke Knochen, doch keine Muskeln. Aufgedunsene dunkle Ränder unter seinen Augen gaben seinem Gesicht einen müden Ausdruck. Er machte den Eindruck, daß er sich nicht so ohne weiteres zum Narren halten ließ, und ich war sicher, daß es gefährlich war, ihn jemals zu unterschätzen.

Nikiforow war als junger Mann im Jahr 1947 nach Kamtschatka gekommen. 1953 wurde er zum Polizeichef von Petropawlowsk befördert, wo er einen Mann ablöste, der im betrunkenen Zustand aus dem Fenster der Polizeiwache mehrere Passanten mit einem Gewehr niedergeschossen hatte, bevor er selbst überwältigt und erschossen wurde.

Ich sollte bald erfahren, daß Nikiforow keine großartige Verbesserung gegenüber seinem schießwütigen Vorgänger war. Auch er war in solchem Maße von einer Art Aktionshunger erfüllt, daß er oft seine eigentlichen Pflichten vernachlässigte, um bei einer Razzia dabeizusein. Nikiforow hatte niemals geheiratet, lebte aber mit einer Prostituierten zusammen in einer Wohnung, die mit Ausnahme der absolut notwendigen Einrichtungsstücke, wie Kühlschrank, Bett, Stühle und Tisch, jeglicher Möblierung und Wohnlichkeit entbehrte. Sein ganzes Leben gehörte der Polizei und dem Staat. Sein Heim bedeutete ihm nichts. Wir gaben ihm den Spitznamen "Eisberg-Niki".

Er besaß gute Kontakte in Polizeikreisen und hatte enge Verbindungen zu kommunistischen Parteiführern in Kamtschatka. Während ich ihn mir so betrachtete, dachte ich: Schrecklich, sich vorzustellen, wenn der hinter mir her wäre!

Nach seinen linkischen Begrüßungsworten begann Nikiforow langsam und bedächtig zu sprechen, wobei er jedes Wort betonte. "Ihr Männer", sagte er, "seid ausgesucht worden, um eine Sondereinheit der Polizei zu bilden. Als solche werdet ihr direkt unter meinem Kommando stehen und meinen Anweisungen folgen. Ich, gemeinsam mit Genosse Azarow, werde für eure Ausbildung und eure Einsätze verantwortlich sein. In unserem Lande haben wir immer größer werdende Probleme mit Feinden des Volkes. Sie operieren im Geheimen und versuchen, die Autorität unserer Regierung zu untergraben. Unsere Aufgabe ist es, diese Feinde aufzuspüren und unschädlich zu machen."

"Zunächst einmal werdet ihr für kurze Zeit einige Routineaufträge erhalten, um euch einzuarbeiten. Danach werden Genosse Azarow und ich euch weitere Anweisungen erteilen. Ihr müßt jederzeit abrufbereit sein und euch jeweils umgehend bei mir im Polizeihauptquartier melden. 

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Ihr werdet Aufträge bekommen, für die die Polizei keine Zeit hat und auch solche, die nicht wie offizielle Polizeiaktionen aussehen dürfen. Darum werdet ihr auch jederzeit Zivilkleidung tragen. Für die Bevölkerung werdet ihr nur gewöhnliche Mitbürger sein, die aus Überzeugung gegen kriminelle Elemente vorgehen. Habt ihr verstanden?"

Wir nickten zustimmend. Dann fuhr er fort: "Jetzt möchte ich mit eurem Führer allein sprechen. Ihr seid entlassen — alle, außer dir, Kourdakov. Komm hierher zu mir. Genosse."

Die anderen verließen nacheinander das Zimmer. Nikiforow teilte mir daraufhin mit, daß unsere Arbeit als Polizeisondereinheit sofort beginnen würde. Er befahl mir, mich in drei Tagen wieder mit meinen Leuten im Polizeihauptquartier zu melden.

Als wir uns nach drei Tagen wieder einfanden, sagte uns Genosse Nikiforow, daß wir in den nächsten Wochen erst einmal Routineaufträge bekämen und drei Stunden pro Tag der Polizei zur Verfügung stehen sollten. Schon bald halfen wir der Polizei bei routinemäßigen Festnahmen. Es war nicht ungewöhnlich, daß zwei oder drei Morde pro Woche passierten. Oft gab es Schlägereien zwischen betrunkenen Seeleuten, oder es waren andere Unruheherde zu beseitigen. Unsere Aufgabe bestand darin, durch Gewaltanwendung wieder Ruhe und Ordnung herzustellen.

Bei einer Gelegenheit wurden Viktor, Wladimir, ein paar andere und ich geschickt, um in einer Bar in der Nähe der Hafenanlagen einen Streit zu beenden. Bei solchen Einsätzen benutzten wir einen Polizeiwagen, mit dem wir fast zwanzig Leute transportieren konnten. An diesem Abend, als wir den Streit in der Hafenkneipe beilegen sollten, hatte Nikiforow gesagt: "Macht euch keine Gedanken darüber, wer recht hat und wer unrecht. Beendet die Sache unter allen Umständen, egal, auf welche Weise."

Für Boxer, Judo-Champions und Ringer war diese Aufforderung das gleiche, als würde man einem Tiger frisches Fleisch unter die Nase halten. Viktor schlug dann auch vier Kerle fast gleichzeitig zu Boden, daß sie sich nicht mehr rührten. Ich befand mich mitten in der wütenden Menge, als mich zwei Burschen gleichzeitig anfielen. Sie waren beide größer als ich, doch ich konnte mich rasch von ihnen befreien, den einen mit einem Karateschlag ins Genick und den anderen mit einem Judogriff. Es war wirklich ein großartiger Sport!

Wir brauchten ungefähr zwanzig Minuten, um den Kampf zu beenden. Durch die Bar schien ein Tornado gefegt zu sein. Ich sah mich um. Dort standen Viktor, Anatoly und drei weitere meiner Leute und lachten. Und Juri! Er war im siebenten Himmel. Hatte er doch nicht einmal einen Streit vom Zaun brechen müssen. Er war außer sich vor Freude. 

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Für uns war es ein großartiger Spaß gewesen. Wo bekamen wir sonst schon die Erlaubnis, uns nach Herzenslust zu prügeln und wurden auch noch bezahlt dafür?

Nun, der Kampf war zu Ende. Die meisten Männer, die ihn aufgerührt hatten, lagen stöhnend auf dem Boden. Betrunkene Seeleute waren keine besonderen Gegner für eine disziplinierte Kämpfertruppe. Wir nahmen keinen fest. Unser Auftrag hatte diesmal nur gelautet, den Streit zu beenden. Das hatten wir getan, und so rief ich: "Kommt, Jungs, geh'n wir!" Wir kletterten alle wieder in den Polizeiwagen und fuhren zum Polizeihauptquartier zurück, wo wir Nikiforow unseren Erfolg berichteten.

"Gut", sagte er. "Ihr macht eure Arbeit ausgezeichnet."

Die Zeit verging. Drei- oder viermal pro Woche wurden wir gerufen, um Krawalle zu beenden oder der Polizei bei der Suche nach irgendwelchen Personen zu helfen. Manchmal wurden wir nur zum Polizeihauptquartier gerufen, saßen da und warteten auf einen Abruf, tranken, rauchten und unterhielten uns. Ging das Telefon und jemand berichtete, daß irgendwo ein Streit ausgebrochen war oder ein Mord stattgefunden hatte, so sagte Nikiforow lediglich: "So, Kourdakov, ihr könnt gehen!"

Dann rannten wir hinaus, sprangen in den Polizeiwagen, den Viktor normalerweise steuerte und rasten auf den Tatort zu, mit heulenden Sirenen und flackerndem Rotlicht, ohne Rücksicht auf irgend jemand anderen zu nehmen.

Nach jeder Razzia kassierten wir pro Person unsere fünfundzwanzig Rubel und steuerten dann eine Bar an, wo wir aßen und tranken, mit den Mädchen tanzten und eine großartige Zeit verbrachten, bevor wir wieder zum Stützpunkt zurückgingen. Wie man es auch nahm, es war für uns eine phantastische Sache. Wir konnten die Akademie zu jeder Zeit verlassen, was den anderen Kadetten untersagt war, und nach unseren Einsätzen konnten wir noch draußen bleiben, solange wir wollten.

Die Arbeit brachte uns mit den schlimmsten Elementen zusammen, und schon bald entwickelten wir ihnen gegenüber eine solche Verachtung, daß wir ihnen alles Menschliche absprachen. Wenn wir die Gelegenheit hatten, einen Mörder zu verprügeln, warum sollten wir ihn nicht zu Brei schlagen? Und Nikiforow lachte darüber und gratulierte uns als "Gesichtsskulptoren". Schlugen wir nicht hart genug zu, verhöhnte er uns als "die kleinen Sanften". Wir verstanden ihn. Wehe dem nächsten, der uns in die Quere kam!

Dann rief mich eines Tages Nikiforow an. "Genosse Kourdakov", sagte er. "Ich möchte, daß du morgen nachmittag um vier Uhr mit deinen Leuten hier bei mir erscheinst. Azarow kommt ebenfalls. Wir wollen mit euch reden."

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Ich benachrichtigte meine Leute, und wir trafen uns im Polizeihauptquartier. Zuerst sprach Azarow. "Nun, Jungs", sagte er, "wie ich gehört habe, habt ihr euch gut eingearbeitet. Damit ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, wo wir zum eigentlichen Kern eurer Aufgabe kommen könnten, zu der wirklich bedeutenden Arbeit." Ich fragte mich, worauf er wohl hinaus wollte. Wir hatten unsere Arbeit jetzt schon seit mehreren Wochen getan. Was war da mehr zu tun?

Er fuhr fort: "Ich wollte, daß ihr erst etwas Erfahrung in dieser Tätigkeit sammelt, bevor ihr wirklich bedeutende Aufträge bekommt. In der Sowjetunion haben wir es mit den verschiedensten Arten von Kriminellen zu tun. Wir haben solche Staatsfeinde, wie Mörder, Trunkenbolde und Prostituierte. Bisher habt ihr mit dieser Sorte zu tun gehabt. Doch das sind längst nicht die gefährlichsten.

Es gibt Kriminelle, die eine viel größere Gefahr für die Sicherheit unseres Landes und unsere Lebenseinstellung bedeuten. Sie sind insofern gefährlicher, weil sie in aller Stille in unserer Mitte arbeiten, die Säulen unseres Systems untergraben und die Existenz unseres Landes bedrohen. Die Leute, von denen ich spreche, sehen nach außen hin völlig harmlos aus. Aber laßt euch nicht irreführen. Sie versprühen ihr giftiges Gedankengut, bedrohen das Leben unserer Gesellschaft, vergiften unsere Kinder mit falschen Lehren und untergraben die Lehren des Leninismus und Marxismus. Die Leute, von denen ich spreche, sind die religiozniki, die religiösen Gläubigen."

Ich verstand erst nicht, was er sagte. Doch er wiederholte. "Es sind die religiozniki." Er wollte sichergehen, daß wir alle verstanden hatten, wovon der sprach.

"Es sind die Gläubigen", fuhr er fort, "die ein Aktionsprogramm organisiert haben, das die großen Fortschritte unserer sowjetischen Bevölkerung zunichte zu machen droht. Sie unterstützen aktiv die Feinde unseres Landes. Sie arbeiten Hand in Hand mit den Imperialisten und versuchen, die Errungenschaften der Kommunistischen Partei in der Sowjetunion zu schmälern oder zu vernichten." Jetzt war er in voller Fahrt. Man sah, daß er regelrecht besessen war von einem Gefühl der Verachtung und Wut. "Sie sind so gefährlich, eben weil sie keineswegs gefährlich aussehen. Mörder und Diebe sind offensichtlich. Aber diese Leute sind hinterlistig, niederträchtig und schlau. Bevor man sich versieht, haben sie alles, wofür wir hart gearbeitet haben, unterminiert, die Menschen vergiftet und einen unglaublichen Schaden angerichtet.

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Nun, und deshalb haben wir euch als Sondereinheit der Polizei zusammengestellt — um gegen diese Feinde vorzugehen. Ihr habt jetzt praktische Erfahrungen gesammelt; nun ist es Zeit für eure wirkliche Arbeit. Eure Einheit ist nur eine von vielen, die im ganzen Lande operieren. Es ist höchste Zeit, daß wir diese Staatsfeinde ausrotten.

Wir werden jetzt etwas dagegen unternehmen! Und das ist eure Aufgabe. Die Befehle dazu kommen direkt vom Parteibüro und dem Genossen Breschnew. Ihr werdet aus speziellen Fonds bezahlt, die zur Vernichtung der üblen und verseuchenden Einflüsse der Religion auf das sowjetische Leben eingerichtet worden sind. Nikiforow wird, wie bisher, euer direkter Vorgesetzter bleiben."

Ich hörte erstaunt zu. Seit ich damals die fast zweitausend Gläubigen in Inskaja in der Nähe von Nowosibirsk gesehen hatte, hatte ich mir meine Gedanken darüber gemacht. Ich wußte natürlich, daß es keinen Gott gab und daß die Religion Opium für das Volk war. Ich wußte auch, daß die Religion keinen Platz im modernen Leben in der Sowjetunion hatte. All das war mir nur zu vertraut, hatte ich doch selbst oft genug in meinen Vorlesungen an den Schulen und Universitäten und in meiner Arbeit als Leiter der Kommunistischen Jugendliga darüber gelehrt.

Was mich überraschte, war die Tatsache, daß die Religion und die Gläubigen eine solche Macht darstellten, daß sie eine Bedrohung für unser Land waren, so daß man sie im wahrsten Sinne des Wortes bekämpfen mußte. Natürlich, dachte ich bei mir, sie wachsen und breiten sich aus wie eine Krankheit, an der man sich infiziert hat, bevor man es merkt. So wird es schon seine Richtigkeit haben, wenn sie aus unserer Gesellschaft entfernt werden.

"Seht mal da drüben", sagte Azarow und deutete auf mehrere Plakate an der Wand, über denen allen das Wort "gesucht" zu lesen war. Außer den Photos von mehreren Mördern war da das Bild eines Mannes, der wegen "Feindlicher Aktionen gegen das Volk" gesucht wurde.

"Dieser Mann", fuhr Azarow fort, "vergiftete Kinder mit dem Narkotikmittel des religiösen Glaubens. Er erteilte heimlich Bibelunterricht. Wenn er gefaßt wird, bekommt er sieben Jahre."

Ich war froh über das Geld, das ich inzwischen verdient hatte, doch andererseits paßte das Verfahren mit Mördern, Dieben und anderen Kriminellen nicht unbedingt zu meinen Interessen als kommunistischer Aktivist. Doch jetzt, da wir es mit wirklichen Staatsfeinden zu tun bekamen, war es etwas anderes, etwas viel Höheres und Bedeutenderes. Das waren Probleme, die ich oft in meinen Vorlesungen behandelt hatte. Jetzt konnte ich etwas dagegen tun und würde auch noch dafür bezahlt werden. Das waren wirklich gute Nachrichten für mich.

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Im Laufe unserer Unterhaltung fragte unser "Frauenheld" Anatoly: "Genosse Azarow, Sie sagen, daß diese Leute schlimmer wären als die Mörder, mit denen wir es bisher zu tun hatten. Inwiefern?"

"Genosse Litowtschenko", sagte Azarow, 

"Mörder bringen ein paar Menschen um, dann werden sie geschnappt. Doch diese Gläubigen töten die Seele und den Geist unseres sowjetischen Volkes und verbreiten ihren vergiftenden Glauben an Tausende. In den letzten zwei Jahren ist das Problem mit diesen Gläubigen immer stärker geworden. Statt auszusterben oder ihren Kampf gegen unseren Staat aufzugeben, haben sie im Stillen weitergearbeitet und es geschafft, viele zu täuschen und für sich zu gewinnen. Wo immer sie können, vergiften sie den Geist unserer sowjetischen Jugend. 

Jetzt endlich muß unsere Partei eingreifen. Ein besonderer Befehl, die religiozniki zu bekämpfen, ist von der Führungsspitze in Moskau erlassen worden. Und ihr seid ein Teil dieses Aktionsprogrammes. Alle Organisationen, die den religiösen Glauben bekämpfen, sind unter der zentralen Parteiführung zusammengefaßt worden, und eine koordinierende Gruppe wurde zusammengestellt, um den Kampf gegen die Gläubigen und ihren Aberglauben zu dirigieren.

Unsere besten Köpfe und intelligentesten Professoren studieren die theoretische Seite dieses Problems. Gleichzeitig wurde eine Arbeitsgruppe gegründet, die mit Hilfe von Computern Informationen über die Gläubigen sammelt, so daß wir sie leicht identifizieren und ihnen auf der Spur bleiben können. Ein Teil eurer Arbeit wird darin bestehen, Berichte zu verfassen, Namen und alle Einzelheiten von den Gläubigen anzugeben. Diese Berichte werden nach Moskau geschickt, wo sie in Computern gespeichert werden. 

Auf diese Art und Weise werden wir diesen hinterlistigen und gefährlichen Gegnern in nicht allzu ferner Zukunft das Handwerk legen können. Ein weiterer Organisationszweig beschäftigt sich in Moskau mit den Lehren dieser Gläubigen, damit wir sie widerlegen und so auch auf geistiger Ebene besiegen können. Unsere besten Gelehrten studieren zu diesem Zweck ihre Literatur, einschließlich der Bibel. Man könnte es fast eine richtige Bibelschule nennen."

 

Als ich das Wort Bibelschule hörte, mußte ich sofort an den kleinen Prediger in Barysewo denken, der sich immer gewünscht hatte, zur Bibelschule gehen zu können. Aber sicherlich meinte Genosse Azarow nicht solche Leute wie ihn. Ich wandte mich wieder seinen Ausführungen zu. Er schien überhaupt kein Ende zu finden.

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Als ich mich umschaute, sah ich, daß die anderen genauso fasziniert waren wie ich. Noch nie hatte ich die große Bedrohung erkannt, die von den Gläubigen auf unser Gesellschaftssystem ausging. Doch jetzt wußten wir es. Und jetzt erfuhren wir von einem dynamischen Aktionsprogramm, das extra ins Leben gerufen war, um unser Land zu beschützen. Das bestätigte uns die Vitalität und die Macht unserer Kommunistischen Partei. 

Hinter all dem standen Männer, die genau wußten, was sie wollten. Sie waren es, die die Kommunistische Partei vorantrieben. Sie saßen nicht ruhig in großen Lehnstühlen und warteten, bis die Feinde von innen das Land zerstört hatten. Wir waren Männer, die Taten liebten, und wir hörten voller Bewunderung, was für umfangreiche Anstrengungen unternommen wurden, um der Lage Herr zu werden. Und wenn man bedachte, daß wir an diesem großen Plan teilnahmen! Ein unbändiger Stolz auf die Kommunistische Partei wallte in mir auf. Endlich werden wir zurückschlagen, dachte ich. Unsere Feinde hatten es zu weit getrieben. Wir, das sowjetische Volk, würden es ihnen schon zeigen. Die Kommunistische Partei hat viel Geduld, aber wenn man zu weit geht, weiß sie, was zu tun ist.

Azarow sprach noch von einer anderen Arbeitsgruppe dieser Organisation, deren Spezialität es war, die Grenzen zu "versiegeln", um so das Hereinbringen von Bibeln und christlicher Literatur aus dem Ausland zu verhindern. Ich hatte noch nie von einem derartigen Unternehmen gehört. Azarow fuhr fort: "Jungs, es liegt in eurer Hand, sämtliche religiöse Literatur zu beschlagnahmen. Wir überprüfen sie und schicken sie dann nach Moskau. Von dort wiederum stellt man Nachforschungen an, aus welchem Land sie kommt und wie sie herübergeschmuggelt worden ist. Wenn wir das wissen, können wir dem auch bald einen Riegel vorschieben."

"Schlagt den Kopf ab", sagte Azarow, "und der Körper wird sterben. Wir müssen die Anführer, die Köpfe, hinter diesen geheimen Organisationen der Gläubigen finden. Dann werden die irregeführten Anhänger bald zur Besinnung kommen und wieder auf den rechten Weg gelangen."

Als Azarow mit seinen Ausführungen zu Ende war, sahen wir in allen Gläubigen elende, intrigierende, hinterlistige Menschen, die sich heimlich in ihren Wohnungen versammelten, um auf den Sturz unserer Regierung hinzuarbeiten und unsere Kinder zu vergiften. Wir waren so empört darüber, daß wir bereit waren, sofort in Aktion zu treten, um ihnen eine Lektion zu erteilen und sie zu erledigen.

Azarows Rede folgten zwei Wochen lang eine Anzahl ähnlicher Vorträge. Wir lernten die Methoden und Techniken, die von den Gläubigen angewandt wurden. Während einer dieser Vortragsstunden fragte ich, warum man nicht den Ausdruck "Religiöse" oder "Christen" benutze anstelle von "Gläubigen".

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Azarow erwiderte: "Das ist eine gute Frage, Kourdakov. Ich will es dir sagen. Hat uns nicht schon Genosse Lenin vor langer Zeit gelehrt, daß es nicht die Religion ist, die wir zu fürchten haben sondern der Glaube? Das ist unser größter Feind. Die Religion können wir zerstören und die Kirchen schließen. Seht euch doch um hier in Kamtschatka. Was seht ihr? Kirchen? Natürlich nicht! Wir erlauben sie nicht. Es gibt nicht einen religiösen Platz in Kamtschatka. Die Kirche bedeutet keine Gefahr, ebenfalls nicht die Religion. Es sind die Gläubigen selbst, die die eigentliche Gefahr sind."

Er schwieg einen Augenblick und schaute sich um, ob seine Worte auch die nötige Wirkung auf seine Zuhörer ausübten. Offensichtlich befriedigt, fuhr er fort: "Genösse Lenin sagt, daß man mit Leichtigkeit die Kirchen schließen und ihre Anführer ins Gefängnis stecken kann, aber es ist sehr schwierig, den persönlichen Glauben aus dem Herzen eines Menschen zu vertreiben, wenn er erst einmal davon verseucht ist. Und darum. Genosse Kourdakov, ist der Glaube unser größter Feind, nicht die Religion. Und darum nennen wir sie nicht Christen oder Kirchgänger. Wir nennen sie die Gläubigen. Sie glauben innerlich, und diesen Glauben aus ihrem Herzen auszurotten ist eine sehr schwierige Aufgabe."

Das leuchtete mir ein.

Schließlich war unser Kinderheim in Barysewo eine frühere Kirche gewesen. Es war wirklich nicht schwer, Kirchen zu schließen. Das verstand ich jetzt. Unsere Aufgabe war es, den Glauben im Herzen unseres Volkes nicht Wurzel schlagen zu lassen, vor allen Dingen nicht bei unserer Jugend und unseren Kindern.

"Vielen Dank, Genosse Azarow", sagte ich im Namen meiner Leute. "Das waren für uns sehr aufschluß­reiche Stunden. Wir hatten keine Ahnung, welche Bedrohung von diesen unschuldig aussehenden Leuten ausgeht."

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