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14. Jagd auf das Wort Gottes 

 

 

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Als ich eines Nachmittags in der Akademie mit meinen Studien beschäftigt war, erhielt ich den Befehl, mich um 9 Uhr abends mit einer kleinen Gruppe auf dem Polizeirevier einzufinden. Ich stellte rasch eine Mannschaft von sieben Jungen zusammen, und als wir dann pünktlich auf der Wache eintrafen, gingen wir ohne zu zögern in den hinteren Aufenthaltsraum. Hier wartete bereits der unvermeidliche Wodka, doch an diesem Abend hatte Nikiforow sogar noch Kaviar bewilligt. Ich hätte gern gewußt, woher er all die teuren Sachen nahm. Eines Tages würde ich ihn danach fragen. 

Nikiforow befahl den anderen, es sich gemütlich zu machen und nahm mich mit in sein Büro. Sehr ernst und eindringlich erklärte er mir den Auftrag des heutigen Abends. "Dieser Einsatz ist äußerst wichtig für uns", sagte er "Wir haben erfahren, daß sich eine Gruppe von Gläubigen heute abend um zehn Uhr versammeln will. Sie sollen eine neue Bibel haben und ein paar handgeschriebene Bücher. Wir brauchen diese Bücher als Beweismittel gegen sie. Bringt sie her. Wir werden sie nach Moskau schicken."

"Schicken wir alle Literatur nach Moskau?" fragte ich. "Nein, natürlich nur das gedruckte Zeug. Den handgeschriebene Schund wollen sie nicht." - "Und was machen wir damit?" - "Komm mit, ich werde es dir zeigen. Es loszuwerden ist ein Teil unserer Aufgabe." Er führte mich eine nur schwach erhellte Treppe in den sogenannten Kühlraum hinunter, ein unbeheizter Kellerraum, der selbst im Sommer eiskalt war. Hier wurden gewöhnlich die Betrunkenen zur Ernüchterung eingesperrt. In einer Ecke stand ein kleiner Allesbrenner, um die Wachen warm zu halten, während im übrigen Raum eine unverminderte Kälte herrschte. Nikiforow deutete auf eine Kiste voll alter Zeitungen und Feuerholz und sagte: "Werft das Zeug nur hier hinein, wenn ihr zurückkommt. Wir verwenden es für einen guten Zweck!" Er lachte über seinen eigenen Witz. 

Wenn wir bereits im voraus zu einer Aktion gegen eine Versammlung von Gläubigen gerufen wurden, konnte man ziemlich sicher sein, daß ein Spitzel innerhalb dieser Untergrundgemeinde die Informationsquelle war. 


Das von Nikiforow organisierte Netzwerk von Spionen erwies sich als äußerst wirksam. Ich fragte mich oft: "Warum tun sie diesen Dienst?" Ideologische Gründe konnten nicht dahinterstecken, auch nicht, daß sie hundertprozentige Kommunisten waren. Sie taten es für Geld, genau wie wir. "Ein Rubel kann ein Herz verändern", sagt man, und es waren mehr Rubel für diese Zwecke im Umlauf, als ich je für möglich gehalten hatte.

Die Spitzel, die unter den Gläubigen arbeiteten, wurden gut bezahlt. Sie verdienten sogar mehr als wir. Und das auch aus gutem Grund. Oft wurden sie gemeinsam mit den Gläubigen zusammengeschlagen, weil wir niemals ihre Identität erfuhren. Damit sie sich nicht selbst verrieten, besuchten sie ebenfalls die Zusammenkünfte der Gläubigen, und wenn einer von ihnen das Pech hatte, bei einer Razzia von uns gefaßt zu werden, so wurde er genauso gründlich verprügelt wie die Gläubigen. Darum erhielten sie auch diese enorme Bezahlung, denn ohne ihre Dienste hätten wir nur sehr wenig ausrichten können.

Die Spitzel schienen es zwar niemals zu führenden Positionen innerhalb der Untergrundkirche zu bringen. Doch wir erfuhren von ihnen, wo Versammlungen stattfanden und wer daran beteiligt war. Und mehr brauchten wir zunächst auch nicht zu wissen. Der Rest ergab sich von selbst.

Es war ungefähr zehn Minuten nach neun, als Nikiforow mich zur letzten Lagebesprechung in sein Büro rief. - "Wo ist es denn heute abend?" fragte ich. Den Platz, den er mir auf seiner großen Straßenkarte zeigte, konnten wir in fünfzehn bis zwanzig Minuten erreichen. - "Wieviel werden dasein?" - "Nun", erwiderte Nikiforow, "nach unseren Informationen ungefähr zehn bis fünfzehn." Unsere sieben Männer würden genug sein, um mit ihnen fertig zu werden.

Ich sah mir die Karte genau an und legte die Fahrtroute fest. Jetzt war es 9.15 Uhr, und wir hatten immer noch genügend Zeit. Wir hatten es uns zur Regel gemacht, immer erst zwanzig oder dreißig Minuten verstreichen zu lassen, ehe wir eingriffen. Diese Taktik gab den Gläubigen Zeit, sich zu entspannen und in falscher Sicherheit zu wiegen. Daher sagte ich zu meinen Leuten: "Wir werden frühestens um Viertel vor zehn aufbrechen."

Einige von ihnen hatten bereits die Füße auf den Tisch gelegt. nippten am Wodka und unterhielten sich. 

Der Kaviar verschwand schnell. Kadetten bekommen nicht oft so etwas vorgesetzt. 

Viktor las in einem Buch über Judo, dabei hätte er es selbst geschrieben haben können. Er war Judomeister Ostrußlands.

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Plötzlich warf er das Buch auf den Tisch, sprang auf und probierte Judogriffe und Karateschläge aus. "Heute abend werd' ich diesen neuen Karateschlag ausprobieren", rief er. "Er scheint äußerst wirksam zu sein!"

"Hee! Hast du schon mal diesen hier versucht, Viktor?" Ich demonstrierte einen Schlag mit der flachen Hand vor meinen Hals über dem Adamsapfel: "Sehr geeignet, um jemandem ein schnelles Ende zu bereiten." Die anderen schauten amüsiert zu.

Wladimir Selenow und Anatoly Litowtschenko, unsere beiden Box-Champions, begannen ebenfalls, sich gegenseitig herauszufordern. Da Wladimir Meister von Kamtschatka war, Anatoly aber von ganz Sibirien, versuchte er nur zu gern, sich mit ihm zu messen.

"Hee, kleiner Bruder", gab er an, "paß auf, und ich werde dir zeigen heute abend, was 'ne Harke ist. Ich zeig' dir einen Schlag, daß dir kalte Schauer den Rücken runterlaufen."

Anatoly lachte nur. "Wenn du mit deinem Kleinkinderkram fertig bist, sieh her, und ich werde dir den Schlag zeigen, der mich Meister von Sibirien gemacht hat."

Sie lachten beide, und wir stimmten mit ein. Allmählich waren wir alle aufgetaut. Der Wodka floß in Strömen, das Geplänkel ging weiter, und wir waren bereit, unsere Künste an diesen nichtsahnenden Gläubigen zu erproben, die gerade dabei waren, sich zu versammeln, um ihre kostbare Lektüre zu studieren.

Ich warf einen Blick auf meine Uhr und sagte: "Los, Jungs. Genug der Albernheiten und großen Reden. Geh'n wir, und überzeugen wir uns, ob ihr nur so großartig tut oder es auch wirklich seid!"

Wenige Minuten später fuhren wir durch die dunklen Straßen von Petropawlowsk. Sobald wir aus der Innenstadt heraus- und in die Vororte kamen, ließen wir auch die gepflasterten Straßen hinter uns zurück und holperten über die schmutzigen Lehmstraßen, die wie gewöhnlich von den häufigen Regenfällen Kamtschatkas schmutzig waren.

"Fahr langsam, Viktor", sagte ich, "es muß hier ganz in der Nähe sein ... Da ist es schon", und ich zeigte auf das Straßenschild. "Es muß nur noch ein kleines Stück entfernt sein. Fahr langsam und leise." Viktor trat auf die Bremse und fuhr vorsichtig den aufgeweichten Weg entlang, während ich in der Dunkelheit nach dem bewußten Haus suchte. 

Hinter den Häusern erhoben sich die dunklen Umrisse der gezackten Berge, die für diesen Teil Sibiriens charakteristisch waren.

"Das ist es," sagte ich leise. Es war ein kleines Holzhaus, typisch für diese Gegend. "Halt hier an", sagte ich zu Viktor, "den Rest des Weges werden wir zu Fuß gehen."

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Wir stiegen aus und steuerten so unauffällig wie möglich auf das Haus zu. "Ihr zwei!" sagte ich und deutete auf Alex Guljajew und Juri, "behaltet die Haustür und das Fenster im Auge. Paßt auf, daß niemand auf diesem Wege entkommt."

Alex protestierte. "Hör zu, Alex", sagte ich. "Ich weiß, was du sagen willst. Aber du mußt diese Ausgänge bewachen. Sobald der Spaß drinnen losgeht, kannst du kommen und mitmachen." Juri beschwerte sich wie immer, aber er ging. Wir fanden die vordere Tür verschlossen. Außer im hinteren Teil des Hauses brannte kein Licht. Es war eine dunkle, mondlose Nacht. Schnell und ruhig gingen wir um das Haus herum, wo ein Raum angebaut worden war. Er war ungefähr halb so groß wie das Haus, mit einem schräg abfallenden Dach und einer Hintertür. Ein schwacher Lichtschein fiel durch die zugezogenen Vorhänge. Hier waren sie also! Während wir uns nach hinten schlichen, warf jemand versehentlich einen Gegenstand um. Laut scheppernd rollte ein Eimer über die Steine, und innen konnte man plötzlich aufgeregte Stimmen vernehmen. Schritte hasteten hin und her.

Für uns war es nicht mehr notwendig, leise zu sein. Sie wußten, daß wir da waren. "Los!" rief ich. "Schnell!" Wir rannten zur hinteren Tür, doch sie war ebenfalls verschlossen. Sie sah nicht besonders solide aus, und so lief ich ein paar Meter zurück, nahm Anlauf und rannte mit voller Wucht dagegen. Ich fühlte einen scharfen Schmerz in meiner Schulter, prallte zurück und landete im Schmutz. Als ich dasaß, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, konnte ich meinen Ärger kaum noch zurückhalten.

"Hierher!" rief jemand und zeigte auf einen kleinen Holzbalken. Sie hoben ihn auf und brachten ihn herüber.

"Brecht die Tür auf!" befahl ich.

Immer und immer wieder rammten sie den Balken dagegen. Es war eine sehr stabile Tür. Schließlich gab sie nach. Inzwischen hatte uns alle die Wut gepackt, mich besonders. Drinnen rannten zehn oder elf Leute im Schein von öllaternen hin und her. Wir brachen mit all unserer Macht dazwischen und schlugen sie fluchend zu Boden.

Ich sah einen Mann in einer Ecke des Zimmers stehen. In der Hand hielt er eine Bibel, und mit entsetzten Augen suchte er einen Platz, wo er sie verstecken könnte. Ich sprang hinüber zu ihm, griff brutal danach, doch er hielt sie fest. Ich gab nicht nach, und schließlich riß ich sie ihm aus der Hand. Doppelt wütend, da meine Schulter noch von dem Schlag gegen die Tür schmerzte, begann ich, die Seiten aus dem Buch zu fetzen und sie auf dem Boden zu zerstreuen.

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Der Mann, ungefähr fünfundsedizig Jahre alt, sah auf und rief in flehendem Ton: "Nicht! Bitte nicht! Ich flehe Sie an!"

Trotzdem fuhr ich herum und schlug ihm mit voller Kraft mitten ins Gesicht. Meine Faust landete auf Nase und Mund gleichzeitig, die sofort zu bluten begannen. Mit Mühe kam er wieder auf die Beine und versuchte noch einmal, die Bibel an sich zu reißen.

Was war das bloß für ein Verrückter? fragte ich mich. Er schätzte dieses Buch mehr als sein Gesicht! Ich entriß es ihm erneut und schlug ihm noch einmal mit voller Kraft ins Gesicht. Diesmal schwankte er und fiel bewußtlos zu Boden. Er würde uns keine Schwierigkeiten mehr bereiten. Jetzt war auch noch meine Hand mit dem Blut des Verrückten beschmiert.

Ich fuhr herum und sah gerade noch, wie einer der Gläubigen ein paar Bücher unter einen Tisch warf, der mit einem bodenlangen Tischtuch bedeckt war. Während ich darauf zusprang, sah ich wie Wladimir einem ungefähr fünfundzwanzigjährigen Mann einen Schlag versetzte. Er segelte durch den Raum und stürzte gegen die Wand. Dann fiel er bewußtlos zu Boden.

Meine anderen Leute waren ebenfalls sehr beschäftigt. Viktor ergriff einen Mann mittleren Alters und wirbelte ihn durch das Zimmer, als wenn er nur eine ausgestopfte Puppe gewesen wäre. Er schlug mit dem Kopf gegen einen Schrank und blutete aus einer klaffenden Wunde. Das Zimmer hatte sich inzwischen in ein blutiges Chaos verwandelt.

Doch ich wollte die Bücher unter dem Tisch. Wir hatten den Befehl erhalten, alle Bücher mitzubringen. Anatoly packte den Mann, der sie unter den Tisch geworfen hatte. Indem er ihn am Hemdkragen hochriß, versetzte er ihm einen solchen Schlag, der seinen Kiefer in tausend Stücke zersplittert haben mußte. Nicht ein einziger Laut kam über seine Lippen, als er zusammensackte.

Dann war alles vorüber, fast genauso schnell, wie es begonnen hatte. Keiner der Gläubigen stand mehr auf den Beinen. Die Männer hatten sich in blutverschmierte Häufchen Elend verwandelt, und der Mann, dem ich zweimal ins Gesicht geschlagen hatte, lag mit dem Gesicht nach unten in einer Blutlache. Drei ältere Frauen hockten weinend in einer Ecke.

"Nehmt alle Bibeln und sonstige Literatur mit", wies ich meine Männer an. Dann kroch ich unter den Tisch, um nachzusehen, was dort noch lag.

Gerade in diesem Augenblick kamen Alex und Juri ins Zimmer gelaufen. Verärgert darüber, daß sie alles verpaßt hatten, warf Juri einen Blick auf meine Hinterseite, die nur unter dem Tisch hervorsah.

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In der Annahme, daß es sich um einen Gläubigen handelte, der sich verstecken wollte, sprang er herüber, hob seinen voll ausgezogenen Gummiknüppel, und bevor ihn irgend jemand daran hindern konnte, zog er mir mit aller Macht, indem sich sein ganzer Ärger Luft zu machen schien, eins über. Ich hatte das Gefühl, als sei das Haus über mir zusammengefallen und schrie auf. Diesen Schmerz werde ich niemals vergessen! Er war unbeschreiblich. Ich sah Sterne und fiel der Länge nach hin. Die anderen schrien Juri an, doch es war zu spät. Wütend stieß er den Tisch um, und erst jetzt sah er, wen er geschlagen hatte.

"Oh, Sergei", rief er entsetzt, "das tut mir leid!" "Ich dachte, es wäre einer der Gläubigen, der sich verstecken wollte."

Ich hatte solche Schmerzen, daß ich nicht sprechen konnte. Ich lag lediglich stöhnend und gewaltig fluchend auf dem Boden.

Schließlich halfen mir Juri und Guljajew wieder auf die Beine.

Der untere Teil meines Rückgrats schmerzte so sehr, daß ich kaum meine Beine bewegen konnte. Noch nie hatte ich einen solch qualvollen Schmerz gefühlt! Juri entschuldigte sich unentwegt, bis ich ihn endlich anschrie: "Hör auf damit! Laß mich endlich in Ruhe!"

Zwei der Gläubigen, die wir mitnehmen sollten, waren immer noch bewußtlos. Wir trugen sie über die schmutzige Straße und warfen sie in den Polizeiwagen. Sie sahen ziemlich mitgenommen aus. Ich ging gebückt und humpelnd wie ein alter Mann, bis zwei meiner Kameraden mir behilflich waren. "Habt ihr die Bücher mitgenommen? " fragte ich Viktor.

"Mach dir keine Sorgen, Sergei, wir haben sie alle", sagte er und zeigte auf eine mit Papier vollgestopfte Kiste hinten auf dem Wagen.

Dann fuhren wir wieder los zur Polizeiwache. Jeder Stein und jedes Schlagloch, über die wir fuhren, bereiteten mir unsägliche Schmerzen. Als wir dort angelangt und die Gefangenen hereingebracht waren, ging ich für eine Weile auf und ab, um wieder in Übung zu kommen. Mein Rücken schmerzte immer noch entsetzlich. Wie sehr wünschte ich, die beiden Bücher, die unter den Tisch geworfen wurden, gar nicht gesehen zu haben. Doch auf der anderen Seite konnte ich auch Juri keine Vorwürfe machen. Wahrscheinlich hatte ich wirklich wie ein Gläubiger ausgesehen, der fliehen wollte.

Als ich mich wieder etwas besser fühlte, ging ich ins Polizeigebäude. Die anderen waren gerade dabei, die Bibeln und sonstigen Bücher hineinzuschleppen und stapelten sie dann vor Nikiforow auf. Er besah sich den wachsenden Literaturberg und rief voller Begeisterung aus: "Wundervoll! Wundervoll! Diese hier", und er zeigte auf die gedruckten Bibeln, "werden großartige Geschenke für die Partei in

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Moskau sein. Und hinter diesen beiden", fuhr er fort, "warst du also her, als du deinen Unfall hattest." Er grinste amüsiert.

Der Leiter der Gruppe, der Mann, dem ich zweimal ins Gesicht geschlagen hatte, saß auf einer Bank und hielt seinen Kopf mit beiden Händen. Seine oberen Vorderzähne fehlten, und sein Hemd war völlig mit Blut befleckt.

"Ich glaube, er hat eine Dusche nötig", sagte Nikiforow. Die anderen lachten und zerrten ihn die Treppe hinunter. Sie stießen ihn unter die Brause und drehten den kalten Wasserhahn auf, eine Methode, die sonst für Betrunkene verwendet wurde, um sie wieder zu ernüchtern.

Oben rieb ich mir meinen Rücken, während Nikiforow uns lobte.

"Ausgezeichnet", sagte er, "seht, was wir für einen Fang gemacht haben. Eine ganze Ladung voll. Die haben sich ja mengenweise von dem Kram abgeschrieben, alles mit der Hand! Und wir haben es alles!" Er breitete die Bücher auf dem Tisch aus. Zwei Bibeln waren darunter, eine neue im Taschenformat, die andere alt und zerlesen.

"Die beiden gehen nach Moskau", sagte Nikiforow. Dann inspizierte er die übrige Literatur, darunter ein Kinderschulbuch, in das Bibelverse gekritzelt waren, ein Notizbuch mit einigen Liedern und einige Blätter mit handgeschriebenen Bibelversen.

"Nehmt diesen Kram und werft ihn unten in die Kiste!" rief er einigen Männern zu. "Die Wärter werden sich freuen." Dann wandte er sich an die anderen: "Habt ihr nicht Lust, noch etwas auszugehen und euch einen gemütlichen Abend zu machen?" Das taten wir denn auch. Mein Rücken schmerzte zwar immer noch, aber es wurde langsam erträglicher. Während des Essens bemerkte ich plötzlich, daß an meiner Hand immer noch das Blut dieses Gläubigen klebte. "Ach was", dachte ich, "ich wasche es später ab!"

Unsere Einsätze wurden immer häufiger. Manchmal wurden wir zwei- oder dreimal in der Woche gerufen. Die Gläubigen schienen immer aktiver zu werden. Besonders nach einigen Einsätzen hatte ich ungeheure Mengen von Papierkram zu erledigen. Um möglichst detaillierte Berichte abfassen zu können, mußte ich jemanden zur Arbeitsstelle der Gläubigen schicken, um von den Mitarbeitern die nötigen Informationen zu erhalten. All diese wurden an das antireligiöse Hauptquartier in Moskau geschickt und dort in einen Computer gespeichert.

Kopien davon wurden dann wieder von Moskau an unser Hauptquartier gesandt. Dadurch hatten sowohl Moskau als auch wir eine Kontrolle darüber, wer zu den Feinden unseres Volkes zählte. Zusätzlich wurde eine 7 x 12 Zentimeter groß Karteikarte mit einem Bild des Gläubigen, seinen Geburtsdaten und sonstigen Angaben an die Polizei geschickt, wo sie in einer besonderen Kartei aufbewahrt wurden. Unter diesen Vorkehrungen konnte die Partei jederzeit, wenn sie es für ratsam hielt, zuschlagen, die Gläubigen zusammenfassen und aus der Gesellschaft entfernen.

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