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Mitschnitt 1

Zeit:

20.11.1976

Ort:

Wohnzimmer im Haus von Krug in Wilhelmsruh (Nordberlin)

  wikipedia  Thate      wikipedia  Lamberz     deto:   Stefan Heym

16-50

Hilmar Thate trägt vor,

er sei, zusammen mit seiner Frau, von dem Fernsehintendanten Heinz Adameck zu einer Unterredung gebeten worden, man habe dann gemeinsam zu einem weiteren Gespräch das Politbüromitglied, den Chef für Agitation und Propaganda, Werner Lamberz aufgesucht. Die Petition hätten er und seine Frau nun mal unterschrieben, es habe Reaktionen aus dem Westen gegeben, man habe sich Klarheit über die Lage verschaffen wollen. Sie seien beide nicht bereit gewesen, ihre Unterschriften zurückzuziehen oder ihre Meinungen zu ändern, statt dessen hätten sie vorgeschlagen, ein größeres Treffen mit mehreren Künstlern zu arrangieren, bei der Gelegenheit sollte offen und ehrlich über die gesamte Situation gesprochen werden.

Stefan Heym:

Das ist sehr schön, da würde ich jetzt den Vorschlag machen, daß der Genosse Lamberz mal referiert, wie diese Entscheidung, Biermann nicht wieder ins Land zurückzulassen, zustande gekommen ist und aus welchen Gründen. Denn ohne daß wir das wissen, können wir gar nicht intelligent mit Ihnen sprechen. Ich möchte vorausschicken, daß es mich sehr freut, den Genossen Lamberz auf diese Weise kennenzulernen, von dem ja — um den »König David Bericht« zu zitieren — das Gerücht geht, er sei einer der Weisesten im Lande.

Werner Lamberz:

Ich glaube, wir können auf Zensuren verzichten. (Bemühtes Lachen aus der Runde.) Wir sind hier nicht in der Schule.

Stefan Heym:

Das war keine Zensur, das war ein Kompliment.

Lamberz:

Ich bleibe lieber bei der Wahrheit. (Pause.) Vielleicht machen wir's doch so, ohne Referat, mir mißfällt der Begriff des Referierens. Wir machen's wirklich in Form einer Aussprache, wobei ich auch zwei Dinge vorwegschicken möchte. Hilmar Thate sprach schon von der Genesis dieser Zusammenkunft. Das war eine ganz persönliche Initiative von Heinz Adameck und mir, und heute spreche ich nur in meinem Namen, nicht im Namen einer Institution oder im Namen eines Kollektivs, und ich glaube, so soll man auch das Treffen auffassen. Und auch Heinz Adameck und Karl Sensberg, ein guter Freund von mir — wir sind alle als Personen hier. 

17/18

Was unsere Beweggründe waren, mit Angelica Domröse und Hilmar Thate zu sprechen, das war einfach die Sorge, wohin sich alles entwickelt, wie das alles eskaliert, was aus einer gut gemeinten oder richtig gedachten, sicherlich unterschiedlich zu bewertenden Absicht geworden ist, wie verschiedene Leute mitmischen bei dieser Absicht, und wie es heute gar nicht mehr um das Problem der Ausbürgerung oder Nichtausbürgerung geht, sondern um das einer politischen Konzeption und einer anderen politischen Konzeption, um die Versuche der anderen Seite, mit dieser ganzen Angelegenheit sich in die DDR einzumischen, in einer sehr massiven Form. 

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE hat davon gesprochen, daß die gestrige Sendung für die Bewohner der DDR gemacht wurde. (Gemeint ist der Biermann-Auftritt in Köln.) Aber wir haben immer gedacht, daß das Fernsehen der BRD für die Bürger der BRD da ist, und nicht für die Bürger der DDR. 

Also, unserer Meinung nach geht's schon gar nicht mehr um Kritik an irgendeiner Sache, sondern es geht wirklich um eine prinzipielle Auseinandersetzung mit der Politik unseres Staates, mit dem Charakter unseres Staates, mit dem Wesen unseres Staates und mit einem Protest, der vor allen Dingen von der anderen Seite ausgenutzt wird in einer Art und Weise, die sich natürlich kein Staat gefallen lassen kann. Worauf liegt denn die Hauptbetonung? 

Die liegt doch gar nicht mehr auf einem Gespräch zwischen den ersten Unterzeichnern und der Regierung. Abgesehen davon, daß in diesem Dokument ja auch nicht nur vom Gespräch gesprochen wurde, sondern es heißt am Schluß: Protest. Und diejenigen, die man jetzt sammelt, damit sie unterschreiben, tun das ja alle nur noch unter einer Zeile, unter einer Deckzeile: wir schließen uns dem Protest an, nicht: wir schließen uns einem Gespräch an, oder: wir sind für eine Unterredung. Wir protestieren! Wir protestieren!

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Heym:

... Und bitten...

Lamberz:

Wie bitte?

Heym:

Und bitten.

Lamberz:

Gut. Aber der Protest ist ja auch da. Ich meine, bei denen, die sich anschließen, geht es vor allem um den Protest. Sicherlich gibt's über Biermann verschiedene Auffassungen. Ich zweifle schon den ersten Satz der Erklärung ganz entschieden an. Man sagt dort, es gab auch unbequeme Dichter in der Vergangenheit. Nur, die unbequemen Dichter der Vergangenheit haben sich meistens gegen die Reaktion gewendet. Und dieser unbequeme Dichter wendet sich gegen den Fortschritt in erster Linie. Seine Hauptkritik wird nicht an der Reaktion geübt.

Was hat nun zu der Entscheidung geführt? Ich muß hier betonen, es handelt sich um eine Entscheidung der Regierung der DDR. Der Regierung der DDR. Zu dieser Entscheidung, die ich voll billige, voll unterstütze, hat das Verhalten von Biermann in der BRD geführt. Ich kann hier aus voller Überzeugung sagen: Ich habe keinerlei Absicht gehabt, keinerlei Vorentscheidungen oder Entscheidungen getroffen vor diesem Auftritt, Biermann aus der DDR auszubürgern. Wer das behauptet, lügt. Weder in der Parteiführung noch in einem anderen Gremium, irgendeinem weiteren Gremium, ist mir bekannt, daß eine solche Vorentscheidung getroffen worden wäre. Dieser Auftritt war außerordentlich schockierend. 

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Biermann ist ja bekanntlich gefahren, um die Metall-Jugend zu unterstützen und diejenigen, die ihn eingeladen haben, in ihrem Kampf, in ihren Aktionen. Aber ich weiß nicht, ob man diesen Auftritt als eine Unterstützung der Metall-Jugend betrachten kann. Denn das Wesentliche dieses Auftritts war die Auseinandersetzung mit dem Gesellschaftssystem der DDR. Also wurden doch die Dinge auf den Kopf gestellt. Ich nehme an, die Metall-Jugend kämpft in erster Linie für die Änderung der Gesellschaftsverhältnisse in der BRD. Also muß man sich mit diesen Verhältnissen auseinandersetzen und weniger mit der Bürokratie oder anderen Erscheinungen in der DDR. (Pause.) 

Also, wenn man sachlich die Dinge betrachtet, haben wir doch große Geduld gehabt, sehr große Geduld sogar. Sicherlich gibt es in diesem Raum viele, die alles oder fast alles oder einiges von dem kennen. Ich hatte das Vergnügen, einiges zu lesen. Nun bin ich ein geduldiger und ruhiger Mensch. Aber ich kann verstehen, daß viele — einfache Leute — bei uns, wenn sie das alles hören, ziemlich in Rage kommen. Ich spreche nicht von den beiden, die mich begleiten, die wirklich tolle Jungs sind und darum keine »Stasischweine«. (Er spricht von zwei jungen Männern, die als einzige sichtbar auf der Straße patrouillieren.) Das sind unsere Jungs, sie sind bei uns groß geworden, sind unsere Leute, in unsere Schulen gegangen, die haben den Staat mitgebaut. Die lieben uns. Das sind keine »Schweine«.

Krug:

Wer?

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Lamberz:

Was Biermann sagt... Meine Jungs zum Beispiel, die mich begleiten. Oder: Ich wohne nicht in einem Ghetto. Pardon, ich wohne wirklich nicht in einem Ghetto. Ich weiß, hier gibt es mehrere, die Antifaschisten in der Familie haben. Mein Vater hat sechs Jahre im KZ gesessen, meine Mutter ist durch die Drangsalierungen der Nazis umgekommen. In meiner Familie gibt's mehrere. Aber Pardon, trotzdem lebe ich nicht im Ghetto. Und außerdem leben wir nicht in Kasernenhöfen oder von Kasernen umgeben. Das ist nicht wahr. Uns zu vergleichen mit den Nazis und das dort, wo wir wohnen, mit Ghettos zu vergleichen. Biermann sagt, wir sind isoliert. Also, wer im Wald lebt, ist isoliert? Die Bourgeois, die in der Stadt leben, sind mit dem Volk verbunden? Und die Kommunisten, die im Wald leben, sind isoliert? Ob jemand isoliert ist oder nicht isoliert ist, hängt von der Politik ab, die er macht. Es gibt Leute, die können weit entfernt von einer Stadt leben, aber eine so menschliche Politik, eine Arbeiterpolitik machen, daß sie viel verbundener sind als diejenigen, die mitten in der Stadt wohnen. 

Ich bringe das nur als Beispiel. Ich könnte hier vieles zitieren, und ihr wißt ja selbst, was er geschrieben hat über den Staatsapparat, über die Arbeiter in unserem Land, seine Haltung zur Grenze, seine Haltung zu »68«, seine Haltung zur Entwicklung auf dem Lande, all das sind doch Schnittpunkte einer politischen Entscheidung gewesen. Das hat uns nicht berührt und nicht bewegt und auch die Mitglieder der Regierung offensichtlich nicht so bewegt, daß sie vor dem Auftritt in Köln zu einer solchen Entscheidung kam. Aber mit Köln kam eine andere Situation. Mit Köln ist Biermann auf dem Boden des anderen Staates in erster Linie in einer solchen Form gegen uns aufgetreten, daß — so glaube ich — der Staat berechtigt ist, hier eine solche Konsequenz zu verlangen und auszuüben, wie das getan wurde. Denn jeder Bürger hat doch seine Pflichten. Ja, man kann sich unterschiedlich bewegen: Ich habe mit großem Interesse gesehen, wie Stefan Heym sich in der Talk-Show bewegt hat. (Er bezieht sich auf eine Talk-Show mit Heym im Westfernsehen.) 

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Meiner Meinung nach so, wie sich das gehört. Wer in einer so komplizierten Frage — für die DDR wirklich komplizierten Frage — wie der Selbstverbrennung von Brüsewitz mit einer staatsbürgerlichen Souveränität geantwortet hat... Und er hatte keine solchen geistigen Riesen als Partner, von denen ihm einer einen Ball hätte zuwerfen können... Er hat gesagt: Ich bin bereit zu diskutieren, ich würde mich freuen, im Fernsehen der DDR zu sprechen... Das war eine Art Happening. Und damit hat er eigentlich gezeigt, wie man auftreten kann, ohne sich mit anderen zu identifizieren. Und zwischen dem, was Heym dort gesagt hat zum Beispiel und dem, was Biermann macht, meine ich, gibt es einen qualitativen Unterschied. 

Also, ich bitte zu verstehen, daß aus der Situation heraus, die sich ergeben hat, aus dem Auftritt von Biermann und den weiter beabsichtigten Auftritten eine solche Entscheidung gekommen war.

Heym:

Ich möchte gern festhalten, daß die Entscheidung der Regierung von Montag auf Dienstag gefallen ist.

Lamberz:

Das weiß ich nicht. Da müßte ich...

Heym:

Doch. Am Montag ist er aufgetreten, am Dienstag kam die Ausbürgerung. Am Montag abend müßte die Entscheidung gefallen sein, entweder über Nacht oder am nächsten Morgen.

Lamberz:

Die ist sicherlich am nächsten Tag gefallen.

  wikipedia  Manfred_Krug     wikipedia  Jurek_Becker    22


Karl Sensberg:

Die Entscheidung, die Entscheidung... Aber das ist ja nicht so, daß man sich das ganz plötzlich überlegt... Ich meine, der Genosse Lamberz hat ja gesagt, daß der da in Köln so aufgetreten ist. Und das ist der Punkt.

Jurek Becker:

Genosse Lamberz hat auch gesagt, daß vorher nicht daran gedacht worden ist, daß der Auftritt der die Aussperrung auslösende Effekt war.

Heym:

Die Entscheidung fiel innerhalb von zwölf Stunden. Sie sagen selbst, vorher gab es keine Absicht. Das sollten wir doch mal festhalten.

Lamberz:

Jetzt möchte ich aber folgendes sagen: Halten wir hier was fest? Ich bitte, eins zu klären, ja?: Wir halten hier nichts fest.

Heym:

Aber da Sie gesagt haben, das ist eine Entscheidung von gestern auf heute gewesen — nicht? —, so will ich das nur noch mal wiederholen. Wiederholen. Damit das auch wirklich klar ist. Denn mir ist es bisher noch nicht vorgekommen, daß Regierungsentscheidungen von doch ziemlichem Gewicht — Sie mußten sich darüber klar sein, was kommt — in so kurzer Zeit und ohne Diskussion des Politbüros und so aus der Lamäng gemacht worden sind.

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Lamberz:

Das ist nicht aus der Lamäng gemacht worden, denn es gab ja vorher schon eine ganze Reihe von Stimmen, die verlangt haben — nicht in der Regierung, sondern in Parteiorganisationen und in parteilosen Kollektiven, es gab sogar Westjournalisten, die gesagt haben: — warum habt ihr ihn nicht vor Gericht gestellt? Vorher war er doch ein unbekannter Mann. Als er zum ersten Mal — ich glaube, das war vor vier oder fünf Monaten — im Zweiten Westfernsehen auftrat, gab es schon eine ganze Reihe von Stimmen aus den verschiedensten Schichten, die verlangt haben, gegen ihn auch juristisch vorzugehen. Deshalb ist es keine emotionale Entscheidung gewesen, die über Nacht erfolgt ist, sondern es hat sich hier vieles angehäuft. 

Und als Biermann dann den Antrag gestellt hat zu fahren und als entschieden worden ist: ja — und noch einmal: nicht vom Politbüro und von niemand personell, sondern auf der Regierungssitzung; alle anderen Vorstellungen sind absoluter Unsinn — und als er gefahren ist, da hat man natürlich sehr aufmerksam hingesehen: Was wird passieren? 

Was ist herausgekommen, und darum geht's mir eigentlich? Sicher, über Biermann könnte man viel diskutieren und unterschiedlicher Meinung sein. Ich persönlich schätze die Lage jetzt so ein: Es handelt sich nicht mehr um Biermann, sondern es handelt sich wirklich um eine politische Plattform, die von der anderen Seite entwickelt wird und wo er auch benutzt wird, es handelt sich im Grunde um unseren Staat und unsere Sache. Ich habe noch nicht erlebt, daß ein Kommunist — er sagt ja, er sei Kommunist — von der Presse der Bourgeoisie so popularisiert und von den Massenmedien der Bourgeoisie so benutzt wurde.

Krug:

Das ist nicht Biermanns Schuld ...

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Lamberz:

Dem Louis Corvalan geht's viel schlechter als dem Biermann. Ich spreche nicht allein von der Schuld und gar nicht von seiner Schuld. Die Frage ist: Ist dieses Programm der anderen Seite — ist das das Programm der Leute, die sprechen wollten und protestierten, oder muß man sich gegen dieses Programm wehren, muß man sich davon distanzieren? Man muß hier eine klare und feste Meinung zum Ausdruck bringen. Oder läßt man die Dinge laufen? Darum ging's mir eigentlich.

Krug:

Werner, es gibt in der DDR wohl kaum einen Typen, bei dem man vorher so sicher sein kann, daß er, wenn man ihn rausläßt, genau dasselbe sagen und tun wird, was er gesagt und getan hat, solange man ihn nicht rausließ. Es gibt kaum einen Mann, bei dem das, was er machen wird, so absehbar ist wie bei Biermann. Ich habe Stefan Heyms Talk-Show auch gesehen und ihn genauso bewundert wie du...

Jureck Becker:  

Ich auch.

Frank Beyer:

Ich auch...

Krug:

Ich habe ihn um die Möglichkeit, überhaupt so clever sein zu können, beneidet. Ich wäre sicher stolz gewesen, wenn mir in einer ähnlichen Situation so viele pfiffige Sachen eingefallen wären.

Du sagst, wer behauptet, der Entschluß über Biermanns Rausschmiß sei von vornherein getroffen gewesen, lügt. Ich kann hier nur vermuten und verdächtigen, lügen nicht. Du sagst, du warst nicht dabei und weißt nicht, wie das im einzelnen vor sich gegangen ist. Wenn's doch nur den Lieben Gott gäbe, und er wäre dabeigewesen, und er würde sagen: Manfred, ich hab's gesehen, ich war dabei... Ich würde mir 'ne Hand dafür abhacken lassen, daß es von vornherein beschlossene Sache war, ihn loszuwerden. Ich kann nichts anderes glauben. Das ist bei mir ein Punkt. 

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Der zweite ist der: Es ist doch nicht unsere Schuld, daß jedesmal, wenn Leute in diesem Land euch etwas sagen wollen, das sich gegen eine eurer Entscheidungen richtet oder das eine eurer Entscheidungen modifizieren oder ändern will, daß die Leute dann jedesmal in dieselbe Zwickmühle kommen, nämlich in die Zwickmühle, daß sie irgendeinen Schrieb bei ADN abgeben und ADN silberhell kichert und die Leute abweist nach der Formel: Das ist eine Frage des Klassenstandpunktes, ob man mit Kritik an die Öffentlichkeit geht oder nicht. So stehen sie dann als konspirative Dummköpfe in der Gegend rum und können euch nicht erreichen und erreichen auch nie eine Veröffentlichung. Du hast das Wort »protestieren« in dem Text sehr herausgestrichen. Natürlich ist auch von Protest die Rede. Gegen eine so ungeheuerliche Entscheidung, einen aus dem Land zu schmeißen, kein Wunder.

Man sieht's ja, die Leute hängen immer am Arsch vom Klassenfeind rum und müssen darüber nachgrübeln, ob sie den nicht brauchen, wenn sie in der nächsten Umgebung gehört werden wollen. Das ist ein furchtbarer, undemokratischer, bedauerlicher Zustand. Diesen Zustand zu ändern, daran sollten ein paar Gedanken verschwendet werden. Es sollten Möglichkeiten geschaffen werden, anständigen Leuten, die sich nach Kräften am sozialistischen Aufbau beteiligt haben und beteiligen, im eigenen Land eine Öffentlichkeit zu verschaffen, auch und gerade für kritische Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten. Wenn es das gäbe, wäre Biermann gestern abend nicht vier Stunden lang über den Sender gegangen.

*   wikipedia.org/wiki/Klaus_Schlesinger    

  wikipedia  Klaus_Schlesinger    26


Lamberz:

Manfred, erstens: Führt man ein Gespräch, wenn man mit Leuten diskutieren will, über eine Nachrichtenagentur? Zweitens: Wer hat zum Beispiel — also mich kennen viele Leute, ich bin noch nie einer Debatte ausgewichen, ich habe auch gesagt, zu mir kann kommen, wer will, ich diskutiere auch mit jedem, auch in diesem Kreis — wer hat angerufen? Bei Honecker, was weiß ich, bei Hager, bei Lamberz, bei Y, bei Z in dieser Sache? Dritte Frage: Wie erklärst du dir, daß die Nachrichtenagentur der BRD als erste diese Erklärung hatte, vor uns?

Klaus Schlesinger:

Das stimmt nicht.

Lamberz:

Aber entschuldige! Ich kann euch die Zeitungen geben, wann DPA die Erklärung rausgegeben hat...

Heym:

Das war um fünf Uhr nachmittags. Der Genosse Herrmann im NEUEN DEUTSCHLAND hat sie um zwei Uhr nachmittags gehabt.

Lamberz:

Genosse Herrmann? Weiß ich nicht.

Heym:

Herrmann wurde gesagt, er soll sie an ADN weitergeben. Von Stephan Hermlin persönlich, Sie können ihn anrufen. Wenn der Genosse Herrmann nicht den Mut hat, diese Erklärung an ADN weiterzugeben, dann ist das die Angelegenheit vom Genossen Herrmann. Das kann niemandem anders zum Vorwurf gemacht werden.

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Lamberz: 

Also, ich kann nur feststellen, daß ADN diese Erklärung nach DPA bekommen hat und ich persönlich — ich war zu dieser Zeit nicht in Berlin — durch einen Anruf erfahren habe, daß die Nachrichtenagenturen der BRD das bringen. Und, eine andere Frage, wenn man ein Gespräch will, muß man sich da an die andere Seite wenden?

Krug:

Das Dilemma hab ich doch eben erklärt. Laß mich eine Frage stellen: Glaubst du — das verkürzt die Sache vielleicht — glaubst du, daß diese Erklärung jemals im NEUEN DEUTSCHLAND hätte stehen können?

Heinz Adameck:

(Intendant des Fernsehens der DDR) Ist denn das dein Problem, Manne?

Ich nehm dir das persönlich übel. Gerade deine letzte Frage. Wir haben über alles in den letzten zehn Jahren geredet, über Stücke, Stoffe und so weiter. Das hab ich auch den beiden (Thate & Domröse) schon gesagt. Bloß in so einem entscheidenden Moment... Wolltet ihr nun ein Gespräch oder wolltet ihr Informationen haben, oder wolltet ihr euch streiten — von mir aus auch streiten —, das kann man doch bei uns einfacher haben. Du (Thate) hast mich angerufen. Sie (Thate & Domröse) haben mich angerufen. Dem Frank (Beyer) nehm ich das auch übel, der hat auch nicht angerufen. 

Wieso könnt ihr mit jemand nicht in Kontakt kommen, den ihr kennt? Das kann doch nicht immer nur für Sachen gut sein, wo ihr was braucht. Das ist die erste Frage. Und das nehm ich dir (Krug) persönlich übel, daß du uns da jetzt attackierst. Oder nicht? Ich empfinde das als einen Vertrauensbruch, wenn ihr in dem Moment, wo es mal bei euch um was geht, nicht kommt. Sonst immer! Natürlich hätte es das, was es jetzt hier gibt, in normalerweise geben können. Oder geht's euch um was anderes?

   wikipedia  Heinz_Adameck   28


Lamberz:

Wenn Dienstag von euch irgendeiner bei mir oder woanders angerufen hätte...

Adameck:

Krug, warum hast du nicht angerufen?

Krug:

Was gibt's da anzurufen? Ich saß hier — ich habe den Brief hier liegen — und schrieb einen schönen deutschen Hausfrauenbrief an den Genossen Erich Honecker, dem ich im ganzen Leben keinen Brief schreiben würde, ich meine, dessen Zeit ich nicht in Anspruch nehmen würde. Aber in diesem Fall hatte ich den Eindruck, daß er der richtige Adressat wäre. Jedenfalls konnte ich mir nicht vorstellen, daß so 'ne Entscheidung ohne sein Wissen gefällt worden war. Deshalb schrieb ich an ihn. 

Ich sitze also da und schreibe schon eine ganze Weile, da kommen zwei Freunde und legen mir diesen knappen, kurzen Text vor. (Das waren die Schriftsteller Schlesinger und Plenzdorf.) Ich hatte schon gut fünf Seiten fertig und sah meine Felle schwimmen, ob der Genosse Honecker überhaupt Zeit hätte, so 'n langen Brief zu lesen. Da sehe ich diesen kurzen, freundlichen Text, der mir total aus dem Herzen geschrieben war. Ich fragte: Wie soll das laufen? Da wurde mir gesagt, daß das erst bei uns hier abgegeben wird, mit der Bitte um Veröffentlichung. Und nach einer Frist von mehreren Stunden, von vier oder drei Stunden, glaub ich...

Jemand:  

... Drei Stunden ...

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Krug:

... Also nach drei Stunden wird es dann, falls es bei uns nicht veröffentlicht wird, wird es dann... himmelherrgottnochmal... nicht an eine deutsche, sondern an eine ausländische Agentur gegeben, ich glaube an Reuter.

Adameck:

Das finde ich unanständig.

Krug:

Das finde ich nicht unanständig.

Adameck:

Wo ist das Vertrauen?

Jurek Becker:

Wo ist das Vertrauen. O.K. Nach 27 Jahren Sozialismus in diesem Land habe ich den festen Wunsch, solche Meinungsverschiedenheiten, die mich betreffen und die meine Emotionen hochfliegen lassen, in der Öffentlichkeit auszutragen. Und wenn man 27 Jahre lang die Leute für zu blöde hält, so was zur Kenntnis zu nehmen, dann wird das Irre passieren, daß sie allmählich wirklich zu blöde werden. Und mit der Zeit schafft man es, diesen Weg wirklich zu verschließen. Das ist für mich ein äußerst wichtiger Punkt. 

Was diese Resolution von heute betrifft, die ich in der Zeitung gelesen habe, also die sich gegen die zwölf Autoren und Mitunterzeichner richtet: Ich weiß sehr genau von vielen Leuten, mit denen ich gesprochen habe und die ich bewegen wollte, sich dem anzuschließen, daß sie es aus verschiedenen Gründen — unter anderem aus Gründen der Parteidisziplin — zum Teil abgelehnt haben, sich daran zu beteiligen, obwohl sie der Meinung der Unterzeichner sind und andere Initiativen gestartet haben:

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Briefe ans Politbüro, andere sind selbst hingegangen usw. Ich habe davon nicht ein einziges Wort bei uns gelesen, obschon ich weiß, daß es sehr viele Personen gibt, die dies getan haben. Ich bin auch in der Lage, viele Namen zu nennen. Ich glaube, daß hier nur der Teil eines Bildes — in einer Art und Weise, die mich nicht befriedigen kann — geliefert wird. Und: Hier distanzieren sich in unserer Presse Leute von einer Aktion, von der die Leser dieser Presse ja eigentlich nichts wissen, es sei denn, sie hätten sich anderer Massenmedien bedient.

Frank Beyer:

Davon gehen wir ja stillschweigend aus, daß das eh geschieht, nicht?

Lamberz:

Meine Frage ist noch nicht beantwortet, ich will mal unterbrechen; warum hat niemand den Weg gesucht, eine normale Diskussion zu erreichen, anzurufen, zu bitten, zu fragen: Kann man sich über dies oder jenes unterhalten.

Schlesinger:

Weil sich dadurch nichts geändert hätte.  

Christa Wolf:

Darf ich dazu vielleicht einen Satz sagen, der vielleicht nur auf mich zutrifft. Als diese Frage stand, natürlich haben wir uns diese Frage gestellt, aber wir hatten an demselben Tag den Kommentar des NEUEN DEUTSCHLAND zu der Ausbürgerung Biermanns gelesen. Also, Biermann wurde ausgebürgert, und am nächsten Tag stand dazu der Kommentar im NEUEN DEUTSCHLAND. Und dieser Kommentar ist derart demagogisch und verlogen... 

wikipedia  Frank_Beyer    wikipedia  Christa_Wolf     31


Also ich meine, ich habe mich in den letzten Tagen nicht sehr wohl gefühlt, aber immer noch wohler als der Schreiber dieses Kommentars, das muß ich schon sagen. Denn was dort steht — ich weiß nicht, ob es den anderen ähnlich geht —, da hab ich hingesagt: Was soll man da noch reden? Es sind keine Argumente, gegen die ich ankann. Was soll ich gegen Lügen sagen? Wenn da steht »Biermann ist zu jeder Schandtat bereit«... Was soll der denken, der den Text kennt und der also weiß, in welchem Zusammenhang Biermann das sagt! Soll ich zum Beispiel hier meine Haltung zu Biermann oder zu unserem Staat ausweisen! Ich könnte es freilich tun, aber ich kann auch noch was anderes sagen auf die Frage von vorhin. Wie das immer ist mit dem Klassenfeind. '69 ist mir folgendes passiert, was ich nicht vergessen habe, weil es sich nämlich in Bahnen eingräbt, die nicht nur im Kopf, sondern ganz woanders verlaufen. Daß ein westdeutscher Kritiker — er hatte offenbar ein Interesse daran — mein damals gerade im Druck befindliches Buch »Christa T.« für sich, für die BRD »eingekauft« und damit erreicht hat, daß es für hier tot war. Damit war ich vier Jahre lang sozusagen ein Opfer, obwohl ich nicht, aber auch nur einen Finger breit, diesen Leuten entgegengekommen bin. Möglichkeiten dazu hätte ich gehabt. Ich habe alles gemacht, was ihr mir geraten habt, was dazu gedient hat, sozusagen meine Stellung zu diesem Staat deutlich zu machen. Ich habe einen Preis abgelehnt. Ich hab in einem anderen Fall gesagt: Gebt ihn mir erst gar nicht. Ich mußte ihn sowieso ablehnen. Ich habe mich in Diskussionen drüben — schade, daß ich nicht wie Hermann Kant immer Tonbänder dabei aufnehme — für die DDR wacker geschlagen, all das gilt überhaupt nichts. Es steht dann heute in der Zeitung: »Leute, die unter dem GETEILTEN HIMMEL leben, gehören nicht dazu«. 

DER GETEILTE HIMMEL ist ein Buchtitel von mir. Also ich gehöre nicht zu denen, die hier in der DDR irgendwas bewirkt haben und am Aufbau dieses Staates teilgenommen haben. Ich bin also draußen. Das würde bedeuten, daß sie mich ausbürgern. Also mich müßt ihr schon anders rausschmeißen als Biermann, um mich rauszukriegen. Das würde ziemlich schwer werden.

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Lamberz:

Aber entschuldige: Was im Zentralorgan der Partei steht, ist doch nicht der Beschluß des Politbüros. Wir sind doch nicht für jedes Wort im Zentralorgan verantwortlich.

Wolf:

Nein, das war jetzt kein Angriff gegen dich. Ich wollte nur sagen, wie es passiert. Das passiert dann auch Leuten, die nicht im Traum daran denken, sich in irgendeinen Gegensatz zu unserem Staat zu begeben. Indem man sie hier im Stich läßt: Guck mal, was die hier über dich schreiben! Also ist es doch so. Und wie man dann keine Möglichkeit hat, sich zu äußern, hier jedenfalls nicht. Und ich hab die Möglichkeit, es drüben zu tun, abgelehnt. Ich würde das auch heute immer wieder in Fällen, die mich betreffen, tun. Vor zehn Jahren würde ich wahrscheinlich so eine Erklärung nicht gemacht haben. Und daß ich kein Biermann-Fan bin, weiß jeder. Und Biermann weiß es auch. 

Aber es ging hier, glaube ich, um eine andere, grundsätzliche Sache. Wenn man so wie von einer Keule getroffen ist von einer Entscheidung, daß einem die Beine wegrutschen, daß einem alles aus der Hand fällt, da muß man sich doch fragen: Was ist jetzt hier eigentlich los? Reagierst du ganz falsch, oder ist jetzt hier wirklich was passiert, was über anderes, was dich auch schon getroffen hat, hinausgeht. Und die Reaktion ist sicherlich aus dieser Emotion heraus mit zustande gekommen. Und ich glaub, da kann ich jetzt für alle sprechen, die da als erste unterzeichnet haben, die übrigens nicht gewollt und gewünscht haben, daß sich dem andere anschließen. 

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Wer mich gefragt hat, dem habe ich gesagt: Diese Liste ist abgeschlossen. Wir wollen keine Kampagne, wir haben uns das gut überlegt. Was ein anderer macht, ist eure Sache, aber überlegt es euch gut. Das war meine Meinung, und das war Stephan Hermlins Meinung und die anderer, die dort waren. Wir haben das jedem gesagt. Denn es kamen viele Fragen. Wir haben jedem gesagt: keine Kampagne, es handelt sich nicht um Erpressungsversuche. Wir haben das Bedürfnis, uns öffentlich zu äußern. Das war also die Genesis. Wahrscheinlich muß man dazu noch mehr sagen, auch fragen. Aber ich wollte erst mal wenigstens das sagen und möchte den Krug da sehr unterstützen: ob wir uns nicht überlegen können, gemeinsam, daß es eine Möglichkeit geben muß, auch anderslautende, sogar kontroverse, aber meistens ja differenzierte Meinungen zu Beschlüssen oder zu bevorstehenden Beschlüssen in der Presse oder anderen Massenmedien zu diskutieren.

Lamberz:

Warum nicht? Selbstverständlich.

Wolf:

Na ja, es ist nicht so selbstverständlich. Es ist wieder schwächer geworden.

Lamberz:

Das streite ich nicht ab. Aber das soll es nicht geben? Ich bitte Sie. Ich werde Ihnen ein paar Diskussionen schicken, wo es zwischen Kuczynski und Kosiolek Debatten gab über die sozialistische Ökonomie, in der Presse, in der Presse, vor dem VIII. Parteitag, und zwischen Hanna Wolf und Otto Reinhold, in der Presse: Man muß sie lesen, die gibt es. Und sehen Sie sich manches »Professorenkollegium« an im Fernsehen — mein Gott, was wird dort alles diskutiert, was gar nicht reinpaßt in einen engen sozialistischen Rahmen. Das ist doch so.

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Krug:

Meinst du etwa die Professorenforen sonntags bei uns im Fernsehen?

Lamberz:

Ja, natürlich haben wir das im Fernsehen. Im Rundfunk und im Fernsehen.

Krug:

Du lieber Gott. Was soll denn da den Rahmen sprengen?

Adameck:

Moment mal, ich mache einen Vorschlag. Wir haben uns vorhin über die Zeit unterhalten. Wenn wir jetzt damit anfangen, müßten wir sowieso sagen: was im ND steht, vertreten wir; was im Fernsehen läuft, vertrete ich. Das führt zu nichts. Wir können hier nicht Einrichtungen kritisieren. Zweitens: Genosse Lamberz hat zu Anfang klar gesagt, über Biermann werden wir uns hier nicht einigen können, da habt ihr unterschiedliche Auffassungen. Wir müssen über die Frage reden, über die Situation, die jetzt entstanden ist. Und die wäre genauso entstanden, wenn wir auf die Dummheit verfielen, so was bei uns zu veröffentlichen. Jetzt ist eine Situation entstanden, die hättet ihr ein bißchen besser beeinflussen können. Das müssen wir auch mal in den Kreis stellen...

Jutta Hoffmann:

Warum erscheint so ein Artikel, von dem Christa Wolf gesprochen hat, wo einem wirklich das Zittern kommt? Warum erscheint das? Warum nicht das andere?

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Adameck:

Jutta, warum redest du jetzt auch noch so?  

Domröse sagt, 

wenn der Text der Petition hier in der DDR erschienen wäre, hätte niemand ihn mißbrauchen können. Jeder hätte wissen müssen, daß Biermann drüben nichts anderes singt und sagt als hier. Sie habe ebenfalls den Verdacht, daß der Rausschmiß geplant und von Anfang an gewollt gewesen sei.

Lamberz:

Angelica, wir haben ihn doch nicht eingeladen nach drüben.

Domröse sagt,

man finde empörenderweise Berichterstattungen über Biermann, wonach er gefaulenzt habe, während die Arbeiter in den Fabriken hätten arbeiten müssen.

Heym:

Er hat Hunderttausende von Devisen in die Deutsche Demokratische Republik gebracht.

Lamberz:

Hunderttausend Devisen! Wie denn? Möchte wissen, wo die liegen.

Heym:

Über die GEMA und AWA. (Anstalten zur Wahrung der Autorenrechte.)

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Domröse sagt,

Biermann werde schlechtgemacht, er habe keine Möglichkeit, sich zu verteidigen, und der Leser werde nicht wirklich informiert. Sein Konzert in Köln habe den Rausschmiß nicht gerechtfertigt. Sie und Thate hätten auch die Absicht gehabt, Honecker zu schreiben. Dann hätten sie sich erst einmal mit Freunden beraten. Viele Leute, auch im Theater, zeigten Angst bei dem Thema.

Krug:

Es gab auch einen Schauspieler, der hat, als ich kam, gesagt: »Biermann? Moment... Kann sein, daß ich den Namen schon mal gehört habe. Hilf mir mal eben, wer ist das? Ach, was du nicht sagst. Was hat denn der in Köln eigentlich gemacht? Da stehen ja tolle Sachen im NEUEN DEUTSCHLAND. Tja, weißt du, den Westkanal sehe ich fast nie, und hier gab's nichts über den Mann zu lesen. Er scheint hier nicht veröffentlicht worden zu sein...«

Dieter Schubert:

Ich möchte auch was dazu sagen. Zunächst, daß ich die Resolution gut finde. Das ist sehr wichtig für uns alle, jedenfalls für mich. Ich bin 20 Jahre in der Journalistik der DDR tätig gewesen, jetzt arbeite ich seit längerer Zeit als Schriftsteller. Zehn Jahre war ich in der JUNGEN WELT, mein Chefredakteur war Joachim Herrmann damals, und ich weiß natürlich, wie bei uns Journalistik gemacht wird und wie Zeitungen entstehen. Also, ich muß sagen, um auf diese Sache zu kommen, daß ich erstens betroffen war von dem Ton, der im NEUEN DEUTSCHLAND zu lesen war über die Geschichte, und zweitens habe ich mich als disziplinierter Mensch — durch die Journalistik vor allem, was mir in der Literatur übrigens zunächst sogar ein bißchen geschadet hat — wirklich gefragt, und das sehr eindringlich: was machst du da, wenn du diese Unterschrift gibst? Wem nützt das? 

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Und ich glaube, nach meinen Erfahrungen unter Journalisten war meine Entscheidung, mich auf dieser Liste einzutragen, richtig. Denn ich habe keine Möglichkeit gesehen nach meinen Erfahrungen, diese meine Auffassung und die anderer bei uns veröffentlicht zu sehen. Vorhin war hier von Vertrauen die Rede. Vertrauen ist eine Sache von Gegenseitigkeit. Ich glaube, hier ist in den letzten Jahren —f— und man muß bei dieser Situation mal die Ursachen sehen für eine solche spontane massenweise Beteiligung —, hier ist eine Art Vertrauensvakuum entstanden. Ich glaube, daß es notwendig ist, dieses Vakuum auszufüllen mit schöpferischen, freimütigen Diskussionen, die wir übrigens im Vorstand des Berliner Schriftstellerverbandes schon eine Weile führen, aber nicht in der Öffentlichkeit. Heute noch nicht. Das ist eine ganz wichtige Konsequenz aus dieser Situation, über deren weitere Konsequenzen nachher vielleicht noch zu reden ist. Das ist eine ganz wichtige Sache, die wir uns alle überlegen müssen.

Becker:

Laß mich einen Aspekt hinzufügen. Ich halte es persönlich für wichtig, und ein ganz gravierendes Motiv für meine Entscheidung war folgendes. Du (Lamberz) sagst selbst, Biermann war bis zu dieser Geschichte ein in der DDR eigentlich relativ unbekannter Mann. Jetzt steht das im NEUEN DEUTSCHLAND über ihn. Und die fünf Millionen Leser — ich weiß nicht, wie viele das NEUE DEUTSCHLAND hat — müssen sich aufgrund dieses Artikels eine Meinung über Wolf Biermann bilden. Ich lege Wert darauf, daß mein Nachbar erfährt: Ich bin anderer Ansicht. Und es ist für ihn wichtig zu wissen, daß Krug gegen die Ausbürgerung ist. Das soll zu der Meinungsbildung des Nachbarn beitragen. Ich finde es für den wichtig zu wissen: Die Wolf ist dagegen und der Kant ist dagegen.

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Lamberz und Adameck gemeinsam:

Kant ist dafür.

Becker:

Nein, Kant ist dagegen. Kant ist gegen unser Vorgehen. In diesem Brief von Kant steht, daß er nicht vor Biermann beschützt werden möchte. Das halte ich für einen Aspekt dieser Angelegenheit, den man nicht vergessen sollte. Und ich finde das wichtig. Und natürlich ist es auch wichtig für die Meinungsbildung der Leute, die Namen derer zu wissen, die dafür sind.

Krug:

Hier steht ein Sprachakrobat im NEUEN DEUTSCHLAND. Der Komponist Gerhard Rosenfeld ist auf folgendes gekommen, das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen: »Mit Erstaunen las ich im ND vom Auftreten Wolf Biermanns in der BRD. Der Bericht über sein Verhalten fordert meine Distanzierung.« Ein Kunstwerk, dieser Satz. Gehört in eine Pfiffigkeitenanthologie.

Heym:

Da seid ihr auf einen Schwejk reingefallen. (Alle lachen.) Genosse Lamberz, ich will mal ein bißchen in die Vergangenheit zurückgehen, um dann auf die Zukunft zu kommen. Im Jahre 1965 klingelte es bei mir früh um sechs an der Tür. Sie kennen meine Tür, Genosse Adameck. Und es standen davor drei Männer in Ledermänteln. Und überbrachten mir einen Zettel, auf dem stand, ich sollte um sieben Uhr im Innenministerium sein. Ich sagte, ich möchte den Zettel gern behalten, weil ich solche Dokumente im Haus haben will. Diese drei Männer im Ledermantel sagten »Nein, Sie geben ihn sofort zurück, Sie haben ihn gelesen.« 

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Ich sagte: »Sagen Sie dem Genossen Dickel, ich werde wahrscheinlich nicht bis sieben da sein können.« Ich war kurz nach sieben im Innenministerium. Ich wurde von einem Polizeioffizier rechts und einem Polizeioffizier links über die berühmte Seufzerbrücke zum Genossen Dickel geführt, der in einem winzigen Büro saß, hinter einem Schreibtisch. Er bot mir keinen Stuhl an, ich nahm mir einen Stuhl. Dann zog er seinen Schreibtisch auf und zog einen Zettel heraus, er las nämlich ab. Und er las mir einen Befehl vor, in Zukunft davon abzusehen, die DDR zu verleumden. 

Ich bin freiwillig in die DDR gekommen. Ich habe die DDR nie verleumdet, ich habe sie immer verteidigt. Ich erzählte dem Genossen Dickel, daß seine Ansicht, ich verleumdete die DDR, auf falschen Informationen beruhte. Das verstörte ihn ungeheuer, denn er las die Aufforderung daraufhin von Anfang an noch einmal vor. Ich sagte: »Ich nehme das zur Kenntnis. Soll ich gleich hierbleiben?« Darauf sagte er: »Nein, auf Wiedersehen.« Ich ging aus dem Büro, wieder in Begleitung dieser zwei Leute und traf auf der Seufzerbrücke — auch begleitet von zwei Leuten — den Genossen Biermann. Das war das zweite Mal, daß ich ihn in einer solchen Situation traf. Das erste Mal war 1956. Ich war im Krankenhaus. Nun tat sich einiges hier '56, das wissen Sie vielleicht auch noch. Da kam Biermann zu mir ins Krankenhaus, ein junger Student damals, und teilte mir mit, daß die Veterinärmediziner moserten, und ob ich nicht helfen könnte. 

Ich hatte damals »Offen gesagt« geschrieben, eine Kolumnenreihe in der Zeitung, und er glaubte, ich habe irgendwelchen Einfluß. Ob ich nicht verhindern könnte, was da geschieht. Er meinte, daß ich mich anziehe und hingehe. Ich lag aber wegen einer Herzgeschichte und konnte das nicht tun. Ich rief also den Genossen Erich Wendt an, sagte, hier ist das und das, könnt ihr da vielleicht etwas verhindern, ich hab eine Nachricht bekommen. 

Das war Biermann. Wenn Biermann so geworden ist, wie er

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heute ist, so kritisch, dann ist es, Genosse Lamberz, nicht die Schuld von Biermann. Ich habe später ein Gespräch geführt mit einem der höchsten Genossen hier — ich will den Namen nicht nennen, weil es ein vertrauliches Gespräch war —, wo mir der Genosse gesagt hat: das XI. Plenum war ein Fehler. Wir sprachen dann auch über Biermann. Und mir wurde das Versprechen gegeben, daß man sich mit Biermann zusammensetzt, um das zu tun, was man längst hätte tun sollen: diesen außerordentlich begabten Dichter, Komponisten, Sänger und Schauspieler mit seinen Sachen, die nämlich für uns gemacht sind, Genosse Lamberz, auch für uns zu verwenden. 

Ich habe hinterher noch zweimal bei Ministern nachgefragt, die wußten von diesem Versprechen, und die sagten, nein, wir können das nicht durchführen. Es gibt also im Politbüro Leute, die eine vernünftige Politik — nicht nur Biermann, sondern auch anderen Kulturschaffenden gegenüber — verhindern, Genosse Lamberz, Sie werden das selbst wissen, das wollen wir auch aussprechen. Ich bin überzeugt, es sind diese Leute, die uns alle in diese sehr peinliche und unangenehme politische Situation gebracht haben. Denn was ist geschehen? Ich will jetzt nicht darüber streiten, denn wir haben uns versichert, daß es eine Entscheidung innerhalb zwölf Stunden war. 

Ich will nicht fragen, wie es kommt, daß dieser unqualifizierte Brief, der da bestellt worden ist, am 12. November schon im NEUEN DEUTSCHLAND erscheint.

Lamberz:

Wer hat den denn bestellt?  

Heym:

Gut, ich nehme das Wort »bestellt« zurück. Er wurde gebracht am 12. November. Ich will mich auch nicht mit Ihnen darüber unterhalten, Genosse Lamberz. Und ausgerechnet der »Dr. K.«, über dessen Vergangenheit man sehr viel sagen könnte, wird dazu benutzt, einen Mann auf diese Art...

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Becker:

In einem SFB-Kommentar wurde die NSDAP-Mitgliedsnummer von »Dr. K.« — Dr. Kertzscher — veröffentlicht. Das ist eine peinliche Sache. Ich könnte heulen vor Scham, wenn ich eine solche Nachricht höre.

Lamberz:

Dr. K. hat sich im Jahre '44/'45 von den Nazis abgewendet, in einer Zeit, wo so was...

Heym:

Ich komme gleich auf diesen Punkt, Genosse Lamberz, der Mann muß aber erstens nicht stellvertretender Chefredakteur des NEUEN DEUTSCHLAND sein, zweitens möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die Terminologie dieses Artikels wörtlich entnommen ist den Ausbürgerungsdokumenten des nationalsozialistischen Staats. Ich habe mit einem Genossen gesprochen, der damals ausgebürgert wurde. Das ist nämlich eine Nazipraxis.

Lamberz:

Das ist nicht wahr.

Heym:

Die Ausbürgerung ist eine Nazipraxis. Und wenn das die Sowjetunion nachgemacht hat, dann ist das um so schlimmer für die Sowjetunion.

Lamberz:

Das ist das normale Völkerrecht eines jeden Staates. Ich weiß nicht, ob Frankreich ein Nazistaat ist, denn in Frankreich ist das seit der Revolution Tradition.

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K. Sensberg:

Das ist eine Errungenschaft gewesen, die die Revolution den Franzosen gebracht hat. Das können Sie nachlesen. In England genau das gleiche, seit 1648.

Heym:

Genosse Lamberz, bitte prüfen Sie das, es ist genau der Wortlaut der Nazikommentare. Die Ausbürgerung selbst war meiner Meinung nach erstens rechtlich nicht richtig. Denn er hat ein Wiedereinreisevisum gehabt, und ein Staat, der ein Wiedereinreisevisum gibt, muß dieses Wiedereinreisevisum akzeptieren. Wenn Sie etwas gegen Biermann haben und seine Auftritte im Westen, dann ist es an Ihnen, ihm hinterher ein Verfahren zu machen, ein Gerichtsverfahren, ein öffentliches Gerichtsverfahren, wo der Staatsanwalt nachzuweisen hat, daß gegen die Gesetze der DDR verstoßen worden ist. Und erst dann kann man ihn ausweisen. 

Das zum Formellen. Jetzt zum politischen Inhalt. Es ist Ihnen offensichtlich nicht ganz klar gewesen, daß wir nicht in einem Lande leben, das groß ist, das ein Land ist, sondern wir leben in einem geteilten Land in der Mitte Europas, und daß Biermann nicht ausgebürgert wurde aus Deutschland, sondern von Deutschland nach Deutschland. (Leichtes Zucken in einigen Gesichtern.) Daß dieser Mann, der Sie von links kritisiert, Ihnen ein Pfahl im Fleische sein wird für viele Jahre, das nenne ich einen politischen Fehler. Und ich meine, wir sollten uns jetzt nicht so sehr darüber unterhalten, warum wir diese unsere Resolution, diese Bitte an die Regierung auch an die West-Agenturen gegeben haben. Die Genossen hier, die Freunde, haben alle klargemacht, daß es bei uns keine Öffentlichkeit gibt

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für irgendeine Meinung, für irgendeinen Appell, der sich, abweichend von der gerade herrschenden Regierungsmeinung, an die Regierung und an das Volk richtet. Seit vielen Jahren zum Beispiel — obwohl ich auf die übelste Weise angegriffen worden bin in unserer Presse — ist es mir unmöglich gewesen, in dieser Presse zu antworten. Wenn ich mich an die Bevölkerung der DDR richten möchte —und Sie haben mir selbst vorhin das schöne Kompliment gemacht, daß ich mich in der fürchterlichen Talk-Show richtig verhalten habe, selbstverständlich richtig verhalten habe, denn ich bin Sozialist, und zwar etwas länger als die meisten hier —, wenn ich mich an die Bürger der DDR richten möchte, dann muß ich das West-Fernsehen benutzen. Seit vielen Jahren ist dies die einzige Möglichkeit zu kommunizieren.

Lamberz:

Sind nicht Ihre Bücher die geeignete Form zu kommunizieren mit der Bevölkerung?

Heym:

Ihr habt die Bücher verboten, dann habt ihr sie wieder gestattet, dann habt ihr sie wieder verboten. Und eines war immer ein verbotenes Buch (»Fünf Tage im Juni«), was ich Ihnen jetzt empfehlen möchte, weil es nämlich eine ähnliche Situation beschreibt.

Becker:

Das glaube ich nicht, Stefan.

Lamberz:

Sehen Sie! Sehen Sie! Jetzt kommen wir langsam drauf... (Tumult) Das wollte ich nämlich nicht hören! Das ist für mich interessant, was ich da eben gehört habe.

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Schubert:

... Ich hab was verstanden vom 17. Juni...

Heym:

Ich will noch... Ich will noch kurz davon sprechen, Genosse Lamberz, daß es uns nicht anders möglich ist, an die Öffentlichkeit zu kommen als über den Westen. Was ich im Westen gesagt habe, ist für die DDR gewesen, das ist 'ne andere Sache, aber hier habe ich es nicht sagen können. Ich meine jetzt, wir sollten über die Zukunft sprechen. Dieser Brief von den Genossen enthält die Bitte an die Regierung, diese Sache noch einmal zu überdenken. Ich weiß nicht, ob es nicht möglich ist, daß Sie dies tun. Ich habe neulich — auch wieder im Fernsehen — gesagt, das wäre nicht ein Zeichen von Schwäche, sondern ein Zeichen von großer innerer Kraft. Ich meine, wenn Sie sagen würden — das ist natürlich sehr erschwert durch diese Seite voller unqualifizierter Statements heute im ND —, wenn Sie sagen würden, daß Sie auf Bitten vieler prominenter Künstler und Schriftsteller der Republik diese Entscheidung rückgängig machen...

Becker:

... Nicht aufgrund dieser Bitten! Aufgrund innerparteilicher Kommunikation! Das hat gar nichts mit diesen paar Leuten zu tun.

Heym:

Aufgrund wessen auch immer. Es gibt Möglichkeiten, das so zu formulieren, daß es vernünftig ausgelegt wird und aufgenommen wird. Sonst, Genosse Lamberz, kommt die Situation — nicht 17. Juni, das meine ich jetzt nicht —, wo die Sache sich immer weiter verschärft, immer härter wird. Und das wollen wir alle im Interesse der Republik, im

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Interesse des Sozialismus und, ich bin nicht Parteimitglied, aber auch im Interesse der Partei nicht haben. Das müssen Sie mir schon glauben, das müssen Sie uns allen glauben. Und, sehen Sie, ich habe diesen 17. Juni erwähnt wegen der Fehlerdiskussion, der Rücknahme von Fehlern, dieser schwierigen Dinge, deshalb hab ich das erwähnt. Das war ja einer der Gründe. Ich kann Ihnen nur das Buch wieder empfehlen, das hier verboten ist. Damals wurden Fehler gemacht, genau wie die Biermannausbürgerung ein Fehler war. Dann wurde der Fehler auf unqualifizierte Art zurückgenommen. Und dann zog die Bevölkerung erst den Schluß... Das muß vermieden werden. Aber andererseits muß auch der Fehler, der begangen wurde, korrigiert werden, wenn nicht die Situation eintreten soll, die wir alle nicht wollen, daß das dauernd weitergeht. Ich habe mir gestern die ganze Show vier Stunden lang angesehen, bis zwei Uhr früh. Der Mann hat nichts gesagt, was gegen die DDR war. Er hat sehr viele Dinge gesagt gegen Bürokratie, gegen Mißstände bei uns...

Lamberz:

... Glauben Sie, daß wir keine Ehre haben?

Heym:

Wie bitte? Aber entschuldigen Sie, keine Ehre...

Lamberz:

Na, wenn Sie sagen, er hat nichts gegen die DDR gesagt, da muß ich doch wohl...

Heym:

Hören Sie zu. Er hat nichts gesagt gegen die DDR, er hat nur viel gesagt gegen die BRD. Identifizieren Sie sich mit der Bürokratie? Mit diesen Mißbräuchen der Bürokratie?

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Lamberz:

Das ist mir nicht bekannt.

Heym:

Sie haben gesprochen vom Ghetto. Das hat Sie persönlich gekränkt, daß er gesagt hat, Sie wohnen in einem Ghetto.

Lamberz:

Nicht nur das.

Becker:

Daß hier kein falscher Eindruck entsteht, ich glaube, niemand, der hier sitzt, wird Ihnen ernstlich sagen, daß er Biermanns gestrigen Auftritt im Fernsehen von vorn bis hinten gutheißt. Das ist überhaupt keine Frage. Ich tu das nicht, und das tut hier kein einziger. Die Frage ist nur...

Heym:

... Er hat die DDR sogar verteidigt...

Becker:

Die Frage ist nur, ob dieses Maß an Nichtübereinstimmung Biermanns Ausbürgerung aus der DDR legitimieren kann oder nicht. Ich bin überzeugt davon, daß die Rücknahme einer solchen Entscheidung nicht hämisches Grinsen zur Folge hätte bei uns und bei unseren Freunden, bei den Freunden der DDR in der DDR, sondern Sympathie und...

Krug:

Achtung.

Becker:

Verwunderte Achtung.

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Wolf:

Daß wir alles dazu tun würden, daß die Wirkung so wäre...

Becker:

Das will ich versichern. Ich zerreiße mich dafür.

Wolf:

Aber davon einmal abgesehen. Selbst wenn das nicht eintrifft — und ich glaube im Moment doch nicht, daß es möglich ist und daß ihr es machen könnt oder wollt —, so möchte ich doch einfach etwas anderes sagen. Ich bin nämlich in einem Punkt mit Stefan Heym ganz konträr: Ich sehe überhaupt kein Fünkchen von Ansätzen einer Ähnlichkeit mit Situationen wie der von 1953. Meine feste Überzeugung — und zwar nicht, weil ich mir jetzt was ausdenke, sondern weil ich unter Leuten lebe, weil ich im Sommer auf dem Lande unter einer Bevölkerung lebe, die mir vorher fremd war und von der ich weiß, wie sie hier in der DDR lebt und nirgendwo anders leben will —, meine Überzeugung ist, daß unser Staat fest ist.

Darf ich noch was dazu sagen: Wenn es doch einmal dazu kommen sollte, vielleicht später, daß Biermann wieder herkommt — wir wären seine Diskussionspartner, mit denen er's nicht leicht hätte, das möchte ich auch noch dazu sagen. Denn ich hab zum weiteren — soviel ich weiß, wir alle hier — nie zu denen gehört, die ihm irgendwo nach dem Munde reden, ihm irgendwas geschenkt haben, abgesehen davon, daß ich mit ihm in keiner Diskussion seit vielen, vielen Jahren stand und jetzt dieses mißbilligt habe, besonders was er tat. 

Also wären wir ganz bestimmt diejenigen, denen er sich dann auch stellen müßte. Er müßte dann nicht denken, daß er hier jetzt auf Rosen gebettet und etwa als Held der Nation zurückkäme. Das alles bin ich auch bereit, öffentlich zu sagen. 

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Das ist also nicht das Problem. Sondern es geht wirklich darum, daß dieses Grundproblem die ganze Zeit war, und ich höre das von andren Leuten: Autoren und Schauspieler und andere Intellektuelle haben ein stärkeres Bedürfnis, sich zu äußern, sich zu artikulieren, das ist ihr Beruf. Ich höre das aus vielen Kreisen der Bevölkerung, daß im Moment ein sehr starkes Verhältnis zur DDR entsteht in dem Sinne, daß hier Sicherheit ist, daß sie arbeiten, sehr oft eine Arbeit haben, an der sie hängen, daß sie sich verwirklichen können in diesem Arbeitsprozeß. Daß aber ein Gebiet sehr wichtig ist, das Gebiet der öffentlichen Meinung und Information. Und es wäre, ich weiß ja nicht, man kann immer wieder falsch verstanden werden, aber ich sag's trotzdem, es wäre, glaub ich, uns allen eine große Hilfe — also ich meine uns jetzt als Partei —, wenn wir, nicht von heute auf morgen und nicht in einer Gewaltaktion, sondern in einem ruhigen, vielleicht sogar unauffälligen Prozeß, in dem zum Beispiel ich bereit bin, mitzuwirken, das allmählich schaffen würden, daß die Studenten an ihren Universitäten miteinander und mit ihren Dozenten offener reden können. Daß die Schüler in der Schule miteinander und mit ihren Lehrern in eine offene Kommunikation treten, weil nämlich unsere Argumente wirklich die besseren sind, davon bin ich überzeugt. 

Und was ich nicht versteh', ist, warum die Lehrer, warum die Dozenten davon nicht überzeugt sind. Und diese Argumente nicht ihren Studenten nahebringen können. Ich erlebe es in jeder Lesung, die ich habe — ich hatte jetzt mehrere öffentliche —, daß man zu mir sagt: ja gut, was Sie hier sagen, das dürfte ich mir aber nicht leisten. Ich muß sagen, das hat mich mit der Zeit sehr bedrückt. Ich kann jedesmal sagen: Warum nicht? Was passiert dir? Und dann erzählen sie mir, was passiert. Und es passieren Sachen, die nicht jeder einfach auf sich nehmen will. Es passieren nicht die schlimmsten Sachen vielleicht, aber es will nicht jeder exmatrikuliert werden, wenn er irgend etwas kritisiert. Und es wäre wirklich gut, wenn wir das zum Anlaß nehmen würden, öfter miteinander zu sprechen. Ich meine es ganz ernst, ohne Hintergedanken, also im besten Sinne.

Becker:

Christa, du setzt einen Akzent, der mir nicht schmeckt. Ich will für meinen Teil erklären, daß ich keinen Sinn darin gesehen hätte, heute hierher zu kommen, nur um als ein Unbeschadeter aus diesem Vorgang herauszugehen, sondern ich hoffe und ich will und ich will's immer noch erreichen — und ich bin überzeugt davon, daß das nicht aus der Welt ist —, daß dieser Beschluß rückgängig zu machen ist. 

Ich weiß nicht, welch ein Bedürfnis ihr habt, euch in dieser Richtung zu äußern — ich finde, diese Nummer darf nicht hiermit vorbei und erledigt sein, und jetzt wollen wir darüber beraten, wie wir das am schnellsten vergessen können. Ich bin nicht bereit, an dieser Nummer mitzuwirken.

Wolf:

Nee nee, Jurek, das habe ich nicht gesagt und auch nicht gemeint.

Heym:

Ich glaube nicht, daß Christa das gemeint hat. (Zu ihr:) Das war sehr gut, daß du das gesagt hast, ich habe mich sehr darüber gefreut. Ich will noch einmal, damit keine Mißverständnisse entstehen, auf keiner Seite, das ergänzen, was ich zum 17. Juni gesagt habe. Ich erwarte nicht, wie ich vorhin schon angedeutet habe, eine Situation 17. Juni im Sinne von Bumm Bumm. Was ich meinte, ist diese Situation 17. Juni: Fehler machen, dann versuchen, Fehler zu korrigieren und sie auf falsche Art zu korrigieren, was dann zu Weiterungen führt. Man müßte sich darüber unterhalten, wie man den Fehler, der nun einmal gemacht worden ist, auf vernünftige Art korrigiert. Das war mein Argument.

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