Start    Weiter

15  «Er stand blutverschmiert an der Tür» 

 

Der Agent provocateur erobert die Hauptstadt

 

 

 

209-255

Ibrahim? Also plötzlich war der Name da, sagt Beate Schwämmle, die «Quasi»-Schwester von Böhme. Und ich dachte: Wie denn das? Bis jetzt hieß er doch Manfred. Und nun plötzlich Ibrahim. Und ich fragte ihn: Na, wie soll ich dich denn nennen?
Ibrahim, sagt er.
Gut. Ich bin die einzige in der Familie, die ihn Ibrahim nennt, sagt Beate Schwämmle. Wenn er sagt, er möchte so genannt werden, wenn ihm das so wichtig ist, dann mach ich das.

Als die SDP, die Ost-SPD gegründet wurde, sagt Gabriele Kahler, die Tochter von Böhmes Greizer Arzt Dr. Stadtmann, da tauchte ein blasses Gesicht im Fernsehen auf, und dazu der Name Ibrahim Böhme. Ich dachte: Ibrahim? Das würde zu Manfred passen. Das Bild auf dem Schirm sah ihm nicht ähnlich, aber der Name, der paßte. Ibrahim, das ist Manfred, da wette ich, das hat der drauf, seinen Namen zu ändern. Was will er jetzt ablegen? dachte ich. Warum ändert er seinen Namen? Das Judenfreundliche, sagt Gabriele Kahler, das hatte er uns beigebracht, diese Toleranz. Aber Ibrahim? Sich gleich Ibrahim zu nennen?

Ibrahim, hatte Manfred Böhme fast beleidigt zu mir gesagt, so habe ihn seine Deutschlehrerin Fräulein Dietrich schon in der Schule genannt. Ibrahim, was singen wir denn heute? Das sei schon immer einer seiner drei Vornamen gewesen: Manfred Otto Ibrahim.


Am 14. November 1991 hält Gerd Poppe vom Bündnis 90/Grüne im Deutschen Bundestag eine Rede zum Gesetzentwurf über den Umgang mit Stasi-Akten. Da er selbst zwanzig Jahre lang ein <Operativer Vorgang> gewesen sei, sagt er, möchte er vor dem Plenum gerne etwas sehr Persönliches sagen.

«Mir ist neulich beim Aufräumen ein Blatt Papier in die Hände gefallen, das mein damals siebenjähriger Sohn im Jahre 1987 geschrieben hatte. Darauf standen, scheinbar zusammenhanglos, zwei Sätze: <Heute war der erste Tag, an dem es schneite. Die Stasi war da und hat Poppoff> – das bin ich – <mitgenommen.>

Dann las ich auf einem zweiten Blatt Papier, was einige Zeit zuvor ein Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi, den ich jahrelang für meinen Freund gehalten habe, seinem Führungsoffizier über unsere erste Begegnung mitgeteilt hat. Meine Frau und ich hätten in einer Diskussion über Frieden und Menschenrechte einen Text eingebracht und die Anwesenden zur Unterschrift aufgefordert. Dieser Text hätte – ich zitiere – <eindeutig eine scharfe Gewichtung gegen die Sowjetunion und gegen die Staaten des Warschauer Vertrags> und nähme ebenso eindeutig, <wenn auch mit geschickten taktischen Formulierungen, Position und Partei für die sogenannten parlamentarischen Demokratien der westlichen Welt>.

(...) Am Ende des dreiseitigen Spitzelberichts steht folgender Satz: <Mit Poppes habe ich mich sehr gut verstanden, wir tauschten die Adressen aus, und sie luden mich zu sich nach Hause ein.>  Von da an hat uns der IM oft besucht, hat Süßigkeiten und freundliche Worte für die Kinder mitgebracht, widmete uns hin und wieder eines seiner Gedichte und wurde einer der aktivsten Mitarbeiter unserer Menschenrechtsgruppe. Die Stasi-Berichte schrieb er weiter, und sie wurden umso ausgefeilter, je länger unsere Freundschaft währte. Als seine Stasi-Tätigkeit bekannt wurde, stellte er seine Besuche bei uns ein. Meine Kinder fragten, warum er nicht mehr komme, und seit ich es ihnen erklärt habe, fragen sie: Warum hat er das getan? Ich würde es ihnen sagen, wenn ich es wüßte.»

 

Poppe weiß es noch immer nicht, denn er hat seinen Freund Ibrahim Böhme nie danach fragen können. Der ist ihm bis heute ausgewichen. Seit dieser Rede im Plenum war belegt, daß Ibrahim Böhme auch seine Freunde in Berlin bespitzelt hatte.

210


Gerd Poppe ist in den achtziger Jahren der Kopf der <Initiative Frieden und Menschenrechte>. Er und seine Frau Ulrike Poppe lernen Böhme 1986 bei Markus Meckel während eines Friedensseminars in Vipperow kennen. Mir ist das erste Gespräch mit ihm noch in Erinnerung, sagt die Bürgerrechtlerin, die damals im Museum für Deutsche Geschichte arbeitet. Wir haben in einer Gaststätte zu Mittag gegessen, ich saß mit ihm an einem kleinen Tisch, und er erzählte von sich, von der Greizer Zeit, von Kunze und von Fuchs und daß er im Knast gewesen sei und was für Vorstellungen er von Gesellschaftsveränderung hatte.

Er redete brillant, sagt sie, und er flocht auch überall sein Wissen über russische Literatur ein, und ich war beglückt, jemanden getroffen zu haben, mit dem ich einen so hohen Grad an Übereinstimmung feststellte. Und er wohnt auch nur ein paar Straßen von Poppes entfernt. Also verabredet man sich.

Aber Ibrahim Böhme läßt lange auf sich warten. Er begründet das bei der nächsten Begegnung damit, daß er Poppes nicht habe gefährden wollen. Da waren wir schon ein bißchen erstaunt, sagt Ulrike Poppe. Wir wähnten uns so sehr im staatsfeindlichen Zentrum, daß wir eher Sorgen hatten, andere zu gefährden.

Sie erinnert sich noch an ein Treffen bald darauf im Bürgerpark von Pankow. Solche Treffen, sagt sie, machten wir, um abgehörten Wohnungen auszuweichen. Im Bürgerpark konnte man eine breite Fläche überschauen, konnte es sehen, wenn die Stasi auftauchte. Und als Böhme von weitem ankam, da war die erste Reaktion von jemandem, der ihn noch nicht kannte: Da, guck mal, der Stasi-Typ.

Aber als sie ihn dann kennengelernt hatten, sagt Ulrike Poppe, stand für alle außer Frage: Das ist ein interessanter Mensch, höflich, eigenwillig, voller Charme, und der adrette Anzug gehörte eben auch zu ihm. Und während der Sommer- oder Winterakademien kocht er für die Gruppe und wäscht ab und sagt: Geht ihr mal, haltet ihr mal eure Vorträge, ich mach inzwischen die Küche sauber. Ich glaube, sagt Ulrike Poppe, er hatte immer Angst, daß wir Verdacht schöpfen könnten.

211


Damals in Berlin, sagt Angelika Barbe, die SPD-Bundestagsabgeordnete, Diplombiologin und Mutter von drei Töchtern, damals hatte er auch keine richtige Arbeit. Er schob das auf die Staatssicherheit. Er hätte Schwierigkeiten, sagte er, und deshalb bekäme er keine Arbeit. Das geht so bis zur SDP-Gründung Ende 1989. Er jobbt. Er teilt in der Küche der Evangelischen Kirche Essen aus, hilft im Hospiz und dann im Kindergarten, so als Haushaltskraft. Und weil das Geld nicht reicht, hält er Vorträge, wie er sagt, in Dresden, in Jena, in Leipzig. Oder er gibt Vietnamesen Deutschunterricht. Daß er am Geldtropf der Stasi hängt, das ahnt niemand.

Seine Wohnung am Prenzlauer Berg war grauenvoll, sagt Werner Fischer, der damals bei Poppes in der <Initiative für Frieden und Menschenrechte> arbeitet und mit Bärbel Bohley zusammenlebt. Schlimmste fünfziger Jahre, sagt er. Das hätte man alles so ins Museum stellen können, die dreiarmigen Lampen mit Plaste-Schirmen, all das Bambus-Zeug. Und so ein kluger Kopf, sagt er. So faszinierend. Und so hilfsbereit.

Also, mir hat das gefallen, wie er so in seiner kleinen Wohnung lebte, so bescheiden, sagt Angelika Barbe. Ich dachte: Der redet, wie er lebt. Der lebt das, was er spricht. Das hat mir an Ibrahim gefallen, sagt sie. Und solche Maßstäbe lege ich halt an, wenn man linke Ideen vertritt.

Privat wußten wir ja wenig von ihm, sagt Werner Fischer. Wir wußten, er kam aus dem Heim. Solche Fälle hatten wir in unserer Gruppe schon, Monika Haeger zum Beispiel. Die waren sehr empfindlich und litten offenbar wahnsinnig unter Liebes- und Freundschaftsentzug. Er erinnert sich noch, wie Bärbel Bohley der Monika Haeger – die wie Böhme Inoffizielle Mitarbeiterin der Staatssicherheit war – selbstgemachte Marmelade geschenkt hat. Da standen ihr die Tränen in den Augen, sagt Fischer. Und so ähnlich lief das bei Ibrahim auch.

212


Das wenige, was er erzählte, sagt Angelika Barbe, war unheimlich aufregend. Aber es waren auch Widersprüche da. Er erzählte mir, er wäre 1947 geboren. Ach, sagte ich, wie mein Mann, der ist auch 47 geboren. Später, als wir die SDP gründeten, stellte sich heraus, das stimmte nicht. Er war 1944 geboren. Ich konnte das gar nicht fassen. Ich fragte ihn dann, und er sagte: Du mußt dich geirrt haben, Angelika. Ich bin 44 geboren. Ich habe mich aber nicht geirrt, sagt Angelika Barbe.

Und dann hatte ich auch immer den Eindruck, er ist auf der Flucht. In seinem Verhalten war auch Widerspruch. Diese Handküsse, die er immer verteilte, die brachten auch etwas Devotes zum Ausdruck. Das paßte nicht in die DDR. So haben sich Männer nicht verhalten. Und an seinem Geburtstag, sagt Angelika Barbe, da lief er immer weg. Das fand ich ungeheuerlich. Das war nämlich wichtig in der DDR, daß man gerade solche Tage mit guten Freunden verbrachte, so wichtig. Aber nicht für Ibrahim. Der lief weg. Er erzählte mir mal, daß er mit niemandem Zusammensein möchte an diesem Tag.

Er verschwindet überhaupt dann und wann aus Berlin, taucht in Leipzig auf, in Jena, in Gera, in Greiz. Er sei krank, sagt er den Freunden in Berlin. Und niemand, sagt Werner Fischer, wußte eigentlich, an welcher Krankheit er gerade wieder litt. An Herzversagen oder einem Geschwür am Ohr. Und er sei auch nicht versichert, und deshalb fahre er zu seinen Arzt-Freunden in den Süden.

Einmal, sagt Ulrike Poppe, erzählte er uns, er müsse am Ohr operiert werden. Das Ohrenleiden habe er aus seiner Gefängniszeit. Da habe er eine schreckliche Ohrfeige bekommen. Von der Wucht dieser Ohrfeige sei er eine Treppe hinuntergefallen. Seither sei er auf dem linken Ohr schwerhörig. Und nun müsse er in Jena operiert werden.

Ich war zufällig zur selben Zeit in Jena wie er, sagt Ulrike Poppe. Ich wollte ihn besuchen. Aber er war nicht aufzufinden, vor allem nicht im Krankenhaus. Ich habe ihn nie danach gefragt, sagt sie. Ich wollte ihn nicht in Verlegenheit bringen.

Er hat ja immer wieder dunkle Andeutungen gemacht, sagt Gerd Poppe. Er fühlte sich bedroht, nannte mit Verschwörerton die Adresse der Familie Hartmann in Greiz, die müsse man dann benachrichtigen.

213


Das klang immer schrecklich konspirativ. Und Böhme sagte: Ihr seid die einzigen, denen ich das sage. Und das hat er dann sehr vielen gesagt.

Seit Anfang 1987 arbeitet Ibrahim Böhme fest in der < Initiative Frieden und Menschenrechte >. Er hatte sich umgesehen, sagt Poppe, war in dieser und jener Gruppe gewesen, und eines Tages stand er da und sagte: Ich möchte bei euch mitmachen. Gut. Es gab ja keine Mitgliedschaft. Wir waren doch kein Verein. Wer kam, war da. Wenn einer mal nicht kam, auch gut. Böhme kam eigentlich ständig, sagt Poppe.

Die erste Aktion, an der Ibrahim Böhme teilnimmt, ist am 27. Mai 1987. In der Sowjetischen Botschaft soll ein Brief für Michail Gorbatschow abgegeben werden. Gorbatschow ist zum Staatsbesuch nach Berlin gekommen, und vor der Botschaft Unter den Linden wimmelt es von Polizisten. Ulrike Poppe, Wolfgang Templin, Werner Fischer und Ibrahim Böhme sitzen im <Cafe Egon Erwin Kisch> auf der anderen Seite der Botschaft. Sie warten auf einen günstigen Moment.

Der Brief enthielt eine harte Kritik an der DDR-Führung, sagt Gerd Poppe. Ibrahim hat bei der Formulierung nach moderaten Tönen gesucht, hat auch, weil er die russische Seele ja so gut kennt, Ratschläge gegeben und gesagt, die Anrede müsse <Werter Michail Sergejewitsch> heißen, aber sonst hatte er nichts Substantielles beigetragen. Er hat den Brief dann mit unterschrieben.

Wir wußten, sagt Werner Fischer, daß der Botschafter uns empfangen würde. Wir hatten vorher angerufen und gesagt, daß wir einen Brief hätten. Aber wir wußten natürlich nicht, ob die Staatssicherheit das verhindern würde.

Da sitzen sie nun seit 13 Uhr 15 im <Cafe Kisch>, und Polizisten patroullieren auf dem Mittelstreifen Unter den Linden, und Fischer und Templin glauben, sie kommen da nie rüber. Und wenn was passieren sollte, wollten Ulrike Poppe und Böhme die Freunde benachrichtigen. 

Und wie es dann weitergeht, das diktiert Ibrahim Böhme seinem Führungsoffizier Major Lutz Edel gleich am nächsten Tag ins Tonband:

214


«Aus einer Laune heraus schlug Werner Fischer 13.30 Uhr vor, zu diesem Zeitpunkt die Übergabe des Briefes durchzuführen, da die Situation günstig wäre. Wörtlich sagte dazu Templin: <Na, gehen wir mal rüber, scheint jetzt gut auszusehen.>

Fischer und Templin suchten dann gegen 13.40 Uhr die Botschaft der UdSSR auf. Nach der Rückkehr um 14.10 Uhr erzählten beide in groß aufgelegter Stimmung, wie der diensthabende Botschafter sie empfangen habe...

Seitens des Botschafters wurde der Brief freundlich entgegengenommen und versichert, daß Genosse Gorbatschow den Brief erhalten wird. Fischer und Templin sind überzeugt, daß der Brief weitergeleitet wird.»

Als wir zurückkamen, sagt Werner Fischer, war Ibrahim ganz aus dem Häuschen. Also jetzt kann ich euch das ja sagen, sagt er den Freunden, ich war so aufgeregt. Also, das war eine tolle Aktion. Und welcher Gefahr sie sich da ausgesetzt hätten, die vier, und er sei stolz. dazuzugehören. Der Tag sei für ihn ein Schlüsselerlebnis.

Der «zuverlässige IM», wie ihn sein Führungsoffizier Edel nennt, erzählt das in seinem Bericht eher knapp und sachlich. Es ging den Inoffiziellen Mitarbeitern ja meist auch um etwas ganz anderes, sagt Werner Fischer. Ein IMB, wie Böhme einer war, stand für Mitarbeiter der Abwehr mit Feindverbindung. Es waren sorgfältig ausgesuchte Personen, die ihren <Feinden> intellektuell gewachsen sein mußten. Sie sollten Psychogramme erarbeiten und Schwachstellen erkunden. Der Führungsoffizier fragt dann:

Na, was habt ihr anschließend noch gemacht?
Wir waren in der Kneipe.
Aha, und wie hat sich der und der verhalten?
Der war gar nicht mehr dabei, dem ging es nicht gut, der hatte Kopfschmerzen.
So, hat er die öfter?
Na ja, er hört gerade auf zu rauchen.
Das waren ganz wichtige Informationen für die Stasi, sagt Fischer. Danach konnten sie ihre Maßnahmepläne zur Zersetzung machen, ihre operativen Spiele.

215


Er selbst habe folgendes erlebt: Sein IM hatte der Stasi von seinen Herzschmerzen berichtet. Eines Nachts wacht Fischer durch ein brummendes Geräusch auf. Da ist der Schreck schon mal da. Er geht dem Geräusch nach. Im Bad läuft der Rasierapparat. Wie ist das möglich? Keine Ahnung. Aber solche Erlebnisse konnte man doch niemandem erzählen, sagt Fischer, da hätte doch jeder gesagt: Klar, du warst besoffen.

Ibrahim Böhme wird bald von allen geliebt, weil er Charme hat, weil er freundlich ist, zurückhaltend, liebenswürdig, hilfsbereit, scheu, weil er nicht stören will und nur Besuche macht, wenn er auch einen Grund hat, und dann Blumen mitbringt und intelligent ist und nicht den großen Dramatiker mimt wie in Greiz, auch wenn er noch immer Gedichte schreibt und die auch gerne zeigt.

Einmal, sagt der Schriftsteller Lutz Rathenow, kam er mit einem ganzen Packen an. Er wollte natürlich ein Urteil von mir, und damit hatte ich Probleme, weil ich sie nicht gut fand, das muß ich klar sagen, auch wenn ich schon schlechtere gelesen habe als die von ihm. Aber wenn Ibrahim kam, war es mir immer angenehm.

Die Leute haben ihn ja angehimmelt, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Meckel, was weiß ich, wegen seiner geistreichen Art oder weil er so gut mit Menschen umgehen konnte, na ja, schön. Aber mit dem Anhimmeln hatte ich es nicht so. Deshalb war unser Verhältnis sachlich. Er lebte doch eher von nicht vollendeten Sätzen, sagt er. Das gehörte zu seinem Stil, den ich nie für besonders geistreich gehalten habe. Aber dann hatte er auch ein ungeheures Detailwissen von irgendwelchen Parteigrößen, wo man schon mal fragte: Wo hat der das her? Das wußte man normalerweise nicht, konnte man gar nicht wissen, weil das Partei-Interna waren. Im Grunde genommen, sagt Meckel, war das ein Verdachtsmoment. Aber die Informationen waren für uns auch wichtig.

Wir hatten keinen Zweifel an Böhmes Loyalität, sagt Werner Fischer. Er war schillernd, er war mysteriös, aber der Gedanke, er könnte für die Firma arbeiten, der sei nie gekommen. Und doch schien er Probleme zu haben, hatte etwas Gejagtes, und er trank auch.

216


Nach unseren Treffen, sagt Fischer, die meist in einer Wohnung stattfanden, von der wir wußten, daß sie abgehört wurde, sind wir eigentlich immer noch in eine Kneipe gegangen, um da über Dinge zu reden, die die Stasi nicht unbedingt mitkriegen sollte.

Alkohol, sagt Fischer, spielte in der Szene eine unglaubliche Rolle, aber für alle war auffällig, daß Ibrahim zum typischen Säufergemisch griff: Pfefferminz und Bier. Und das Schlag auf Schlag. Pfefferminzlikör, grün, das typische Gebräu aus der Berliner Eckkneipe. Schmeckt fürchterlich, sagt Fischer. Aber Böhme? Hat das Bier noch nicht aus, da sind schon drei Grüne unten. Ja, das war auffällig bei ihm. Später dann, als er Polizeibeauftragter war, lebte er von Cognac. Da hatte er immer eine Flasche im Schreibtisch.

Und nie was mit Frauen. Nur auf Anfrage hat er mal von einer erzählt, die ein Kind von ihm haben soll. Daß er verheiratet war? Davon wußten wir nichts, sagt Werner Fischer. Aber er weiß noch, daß die Freunde mal rumgeflachst haben: Warum hast du keine Freundin? Ich? Ich bin doch ein Unterleibsclown, hat er gesagt. Mit mir ist da nicht viel los. Untereinander haben wir schon darüber geredet. Also, was ist mit Ibrahim? Warum hat der keine Freundin?

In der Nacht zum 20. Januar 1988 verlassen Ulrike Poppe und Ibrahim Böhme gegen 1 Uhr 30 die Wohnung der Regisseurin Freya Klier. Ihr Mann Stefan Krawczyk, der Liedermacher, ist zwei Tage zuvor mit Freunden während der Rosa-Luxemburg-Demonstration festgenommen worden. Nun reden die beiden auf Freya Klier ein, wollen ihr klarmachen, daß auch sie sich auf eine Verhaftung vorbereiten müsse, wenn sie das Interview im Deutschlandfunk geben und die Schriftsteller zum Boykott aufrufen sollte wegen der Festnahme von Stefan Krawczyk.

Auf dem Heimweg wollen Ulrike Poppe und Böhme noch bei jungen Leuten vorbeischauen, die für Mitternacht einen Hungerstreik für die Inhaftierten angekündigt hatten. Doch die sind bereits von den <Organen> festgenommen worden. So reden die beiden noch mit denen, die in der Wohnung zurückgeblieben sind, dann bringt Ibrahim Böhme Ulrike Poppe nach Hause in die Rykestraße 28, verabschiedet sich und geht weiter in die Chodowieckistraße, wo er damals wohnt. Es ist fast 3 Uhr in der Nacht. Und da passiert nun diese schreckliche Geschichte.

217


Ibrahim Böhme geht über knarrende Stufen in den zweiten Stock. Als er seine Tür aufschließen will, schiebt sich seinem Schlüssel, so wird er erzählen, von innen ein Gegenstand entgegen. Er stutzt, schreckt zurück, geht im düsteren Hausflur die Treppen wieder hinunter, tritt aus dem Tor — und da stehen sie, zwei finstere Gesellen, die ihn fachgerecht zusammenschlagen.

Am nächsten Morgen klingelt der blutverschmierte Böhme bei Poppes. Meine erste Frage, sagt Ulrike Poppe, war natürlich: Warum bist du nicht gleich zu uns gekommen? Da sagt er: Ich wollte euch nicht stören, nachts. Ich bin spazierengegangen.

Das paßte natürlich zu seiner taktvollen Art, sagt sie, war aber doch ein bißchen absurd. Er kannte uns doch, er wußte, daß es uns überhaupt nichts ausgemacht hätte, ihm nachts noch einmal die Tür zu öffnen, damit er bei uns schlafen kann.

Und nun steht er da mit den aufgerissenen Wangen und dem geschwollenen Gesicht und sagt: Es darf niemand wissen. Sagt bitte, ich sei die Treppe runtergefallen. Das war nun auch wieder absurd, sagt Ulrike Poppe. Zu uns kamen so viele Leute. Das wußte er. Da ließ es sich gar nicht vermeiden, daß die dann fragten: Ibrahim, was ist denn dir passiert ? Also, wenn er wirklich gewollt hätte, daß ihn niemand sieht, wäre er in seiner Wohnung geblieben.

Aber Böhme kommt nicht nur morgens zu Poppes, er geht auch abends zur Mahnwache in die Kirche. Freya Klier wird in ihr Tagebuch schreiben:

«Vor der Elias-Kirche begegne ich Ibrahim. Mich packt Entsetzen. Ich sehe sie vor mir, die Blauhemden, die Fäuste geballt, ihre massenhaft stumpfen Gesichter, die ganze Breitseiten in den Zeitungen füllen. Und dann Ibrahim, der Sensible, der Einzelne. Haben sie ihn ausgewählt, weil er Jude ist — oder haben sie seinen Kopf demoliert, weil es ein kluger Kopf ist?»

218


«Da stand Ibrahim mit aufgerissenen Wangen und sagte: Es darf niemand wissen, daß ich zusammengeschlagen wurde. Bitte sagt, ich sei die Treppe runtergefallen.»

Ulrike Poppe über Ibrahim Böhme, hier in der Elias-Kirche 1988 in Berlin,
wo er sich demonstrativ den West-Fernsehkameras zeigt.

219


Zu den Fürbittandachten kamen nach den Verhaftungen ja Tausende, sagt Gerd Poppe. Und da stand Ibrahim nun fürchterlich lädiert vor der Kirche und sagte: Um Himmels willen, ich kann nicht mit reingehen. Aber du mußt, habe ich ihm gesagt, damit die Leute sehen, was hier gespielt wird. Du mußt.

Und ich weiß noch genau, sagt Poppe, daß ich ihm gesagt habe:

Jetzt machen sie das hier schon wie in Prag, wo sie die Leute von der Charta 77 auf offener Straße einfangen, ins Auto zerren, in entlegene Stadtbezirke fahren, sie zusammenschlagen und dann aus dem Auto schubsen. Das droht uns jetzt auch. Also, komm rein, Ibrahim, wir müssen das hier gleich mal publik machen.

Aber er will nicht, will kein Aufsehen erregen, wie er sagt, er würde sich aber wieder melden. Nach einer Weile kommt er dann aber doch rein. Und was tut er? Geht demonstrativ an den Kameras vorbei, schaut hinein, und wehrt dann ah mit gesenktem Haupt. Wie ein bescheidener Schauspieler nach dem zehnten Vorhang, danke, danke, nun ist aber gut, ihr habt mich doch nun alle gesehen.

Ja, sie haben ihn alle gesehen in seiner neuen Rolle. Heute wissen wir natürlich, sagt Werner Fischer, daß auch diese Szene zum Stück gehörte. Ibrahim Böhme, der Agent provocateur. Aber damals, sagt Ulrike Poppe, haben wir diesen Auftritt seiner Eitelkeit zugeordnet. Er war zwar bescheiden, konnte aber seine Koketterie nicht immer verbergen.

Als Ibrahim zusammengeschlagen wurde, sagt Lutz Rathenow, war das für mich ein Vertrauensbeweis. Er hat mir das alles angstvoll geschildert, wie einer, der fürchtet, zu verschwinden, weggeschnappt zu werden, weil er isoliert ist. Das hat wirklich Mitleid bei mir ausgelöst.

Von dem Augenblick an, als er zusammengeschlagen wurde, sagt Rathenow, habe ich offener denn je mit ihm geredet. Und ich habe ihm auch gesagt, daß Andachten und Mahnwachen nicht mehr ausreichten, daß man endlich was tun müßte. Und Ibrahim war einverstanden. Er sagte: Jetzt ist das bei uns so wie kurz vor 1933, kurz vor der faschistischen Machtergreifung. Jetzt kommen die Stalinisten ans Ruder.

220


Er wollte eine Studie schreiben, sagt Rathenow, einen Sprachvergleich zwischen der Nazi-Diktion und der Bonzensprache im Neuen Deutschland. Das wollte er mir vorbeibringen, wollte, daß es im Westen veröffentlicht wird. Etwas ganz Hartes wollte er schreiben. Und dann kam nichts.

Als Freya Klier und Stefan Krawczyk in den Westen abgeschoben wurden, genau an dem Tag, sagt Rathenow, bestanden Ibrahim und – wie wir heute wissen – andere Stasi-Spitzel darauf, die Tagesordnung für die Gedenkgottesdienste auszuarbeiten. Das muß man sich mal vorstellen, sagt Rathenow. Damals habe er voller Zorn gesagt: Seid ihr denn bekloppt? Hier sind zwei aus dem Land geworfen worden, gegen ihren Willen, und ihr wollt Gottesdienste regeln? Wir müssen sofort was tun!

Und Ibrahim Böhme, sagt er, den ich bis dahin immer als produktiv erlebt hatte, bremste tatsächlich, sagte: Aber Lutz, wir können doch jetzt nicht die demokratische Struktur aufheben, nur weil da jemand aus dem Land entlassen worden ist. Wir müssen die Tagesordnung einhalten. Da hat Rathenow gesagt: Das Affentheater mache ich nicht mit. Ist aufgestanden und gegangen.

Also, das war merkwürdig, sagt er. Plötzlich fing Böhme an zu verzögern. Das hatten bisher nur andere getan. Wolfgang Schnur, sagt Rathenow, der war so ein Verzögerer, ein tückischer Bremser, der durch langes Geschwafel und elende Diskussionen über Formalien wahre Nebelschwaden produzierte.

Von dem Zeitpunkt an, sagt Gerd Poppe, als uns dann auch noch fünf Leute fehlten – Wolfgang und Lotte Templin, Ralf Hirsch, Bärbel Bohley und Werner Fischer, die am 25. Januar 1988 verhaftet und für ein halbes Jahr nach England gezwungen worden waren, von dem Zeitpunkt an spielte Ibrahim Böhme eine größere Rolle in der <Initiative Frieden und Menschenrechte>.

Ich hab das in den Maßnahmeplänen der Stasi gelesen, sagt Poppe, das war ja ein Schlag für uns, die Verhaftungen und Ausweisungen der fünf, das wollten die natürlich ausnutzen, wollten unserer Gruppe endgültig den Garaus machen. Irrwitzige Pläne wurden erarbeitet.

221


Die IMs sollten widersprüchliche Formulierungen einbringen, Diskussionen entfachen, fünf Vorschläge auf einmal machen, und die sollten dann alle in unseren Text eingebaut werden Wir hatten plötzlich einen Wust von Papier in der Hand, sagt Poppe. Und als sich das türmt, und als die Texte zerfleddert und zerschandelt sind, da wirft Poppe den ganzen Kram weg. Was sollen wir mit dem Mist? Und dann schreibt er mit seinem Freund Reinhard Weißhuhn alles noch einmal neu.

«Poppe rügte Böhmes unbewußtes <Verzögern>», schreibt Ibrahim Böhmes Führungsoffizier am 4. Mai 1988 in einem Bericht und fährt fort: «Daran anknüpfend meinte Poppe, Böhme würde sich sowieso gesundheitlich übernehmen und sollte etwas kürzer treten, denn er werde noch gebraucht.»

Ibrahim war plötzlich zum Nebelwerfer geworden, sagt Lutz Rathenow. Und ohne die letzten guten Leute wäre der Kreis wohl auch im Nebel verschwunden, so in einer Barmherzigkeitsmasche, wie Knut Wollenberger sie hatte. Als dessen Frau verhaftet worden war, sagt Rathenow, schlug Wollenberger tatsächlich vor: So, und jetzt singen wir ein Lied für Vera hinter den Gefängnismauern.

Also lächerlich, sagt Rathenow. So ängstlich waren die Leute nicht mehr. Und den IMs ist es denn ja auch nicht gelungen, den Kreis zu zerschlagen. Das begreift am Ende auch Ibrahim Böhme. Er schreibt der Staatssicherheit: «Rechnung geht nicht auf, daß Initiative sich auflöst oder auseinandergeht.»

Anfang 1989 kommt der Verdacht auf, eine langjährige Mitstreiterin der <Initiative Frieden und Menschenrechte> sei ein Spitzel. Die Verdächtige heißt Monika Haeger, und die schwört Stein und Bein, nichts mit der Firma zu tun zu haben.

Als das die Runde machte, sagt Ulrike Poppe, war Ibrahim gerade verreist. So wußte er nichts von dem Vorgang, nichts von all unseren Debatten. Als er zurückkam, besuchte ich ihn, und wir machten einen langen Spaziergang im Thälmannpark. Sie erzählt ihm alles, erzählte von den Fotos, die Monika Haeger von der Gruppe gemacht und auf der Rückseite mit Namen versehen hatte.

222


Die waren ganz offenbar für die Staatssicherheit gedacht. Ihre Vertrauensbasis sei dahin, sie könne nicht mehr mit Monika zusammenarbeiten, auch wenn der endgültige Beweis fehle.

Ibrahim, sagt Ulrike Poppe, zeigte sich außerordentlich betroffen, aber auch von meiner Argumentation überzeugt. Und wir sprachen noch lange darüber, wie jemand so etwas überhaupt machen und so lange durchhalten könne und wie das moralisch zu bewerten sei, und ich erzählte ihm von meinen schlaflosen Nächten, die ich deshalb gehabt hätte. Und Ibrahim, sagt sie, widersprach in keinem Detail.

Am 15. Februar 1989 treffen sich vierzehn Mitglieder der <Initiative Frieden und Menschenrechte> in Poppes Wohnung. «Verabredet war 20.00 Uhr, wie immer verspäteter Beginn», wird Ibrahim Böhme in seinem sieben Seiten langen Bericht schreiben, der sich vornehmlich mit dem Fall Haeger befaßt.

Er selbst war ja sehr pünktlich früher, sagt Werner Fischer. Das hat ihn ausgezeichnet. Und in den Stasi-Berichten beklagt er sich denn auch durchweg über das undisziplinierte Verhalten und das ewige Zuspätkommen des Klassenfeindes.

Dann verlas Monika Haeger ein vorbereitetes Schriftstück, sagt Ulrike Poppe, in dem sie sich rechtfertigte, was nicht sehr plausibel war. Danach nahm einer nach dem anderen Stellung. Weißhuhn und mein Mann haben sich sehr vorsichtig geäußert, sagt sie. Darüber war ich entsetzt, muß ich sagen. Auch Werner Fischer sprach sich vehement für Monika Haeger aus: Jede andere, aber die nicht.

Die einzige, sagt Ulrike Poppe, die konsequent dagegen gefochten hat, war Bärbel Bohley. Und ich selbst habe auch noch mal erklärt, warum ich kein Vertrauen mehr zu Monika hätte und daß die endgültige Aufklärung nur eine Frage der Zeit sei.

Entsetzt aber, sagt Ulrike Poppe, war ich über Ibrahim Böhme. Er sagte: Wenn Monika beim MfS ist, dann bin ich beim KGB und beim Mossad. Und dann lachte er ein theatralisches Hahaha. Ich war wirklich erschrocken über Ibrahims Haltung, weil er mir gegenüber doch ganz anders geredet hatte. Ich habe ihn nicht verstanden.

223


In seinem IM-Bericht vom 17. Februar 1988 schreibt Böhme:

«Monika Haeger war in einer ausgesprochen schlechten nervlichen Verfassung, so daß sie nicht mit der entsprechenden Argumentier­kraft ihre Darstellung hinterlegen konnte.» Dann beschreibt er genau, wie die einzelnen reagierten, und läßt sich selbst natürlich nicht aus: «Als nächstes sprach Böhme der Haeger... sein volles Vertrauen aus...» und fragt dann die Versammlung, wer denn überhaupt ein Recht hätte, jemanden so unter Druck zu setzen. «Aber die große Überraschung des Abends war Gerd Poppe», schreibt Böhme weiter, der schloß sich «der Meinung von Böhme ganz hart an».

 

In dieser Zeit, sagt Ulrike Poppe, traf ich mich oft mit Ibrahim. Und da erzählte er mir dann, er könne Monika nicht mehr ertragen. Sie stünde fast jeden Tag vor seiner Tür, weil sie überall abgelehnt werde, überall auf Mißtrauen stoße, und Ibrahim meinte, das ginge ihm furchtbar auf die Nerven, und langsam glaube er selbst, daß sie nicht echt sei. Monika habe von ihm sogar ein Alibi haben wollen für ihre Lebensgefährtin. Sag ihr bitte, ich sei dann und dann bei dir gewesen. Sie hatte wohl Krach wegen einer anderen Frau. Und Ibrahim, sagt Ulrike Poppe, erzählte mir das mit fürchterlicher Empörung. Also für so etwas gebe er sich nicht her. Und stand nun plötzlich wieder auf der Seite der moralischen Verurteiler.

Kurz darauf, im Juni, enttarnt sich Monika Haeger dann selbst.

Die letzten vier Monate vor der Maueröffnung brechen an. Wir trafen uns noch ein-, zweimal, sagt Lutz Rathenow, Böhme mit Schlips und Kragen und sagt: Du auch?
Was ich auch?
Na, SDP-Gründung.
Nee, du, ich geh woanders hin.
Das war auch komisch, sagt Rathenow. Jeder ging da plötzlich in Richtung Karriere.

 

Im Frühjahr, sagt Markus Meckel, überlegten wir, ob wir Ibrahim mit in die SDP nehmen sollten oder nicht. Martin Gutzeit war dagegen. Ich war dafür. Im Juni, sagt Meckel, habe ich ihm davon erzählt. Er war sehr offen und sehr interessiert. Ja, er wollte da mitmachen.

224


Ende August, sagt Angelika Barbe, sollte ich mit Ibrahim in der Golgatha-Kirche ein Menschenrechts-Seminar leiten, Erziehung, Volksbildung und wie es so weitergehen soll in der DDR. Aber Ibrahim kam zu keinem Termin. Ich wußte nicht, ob er weg war, ob er krank war, ob ihn die Stasi abgeholt hatte. Er war weg. Und plötzlich tauchte er dann wieder auf, als sei nichts gewesen.

Im Spätsommer machen die künftigen Sozialdemokraten eine Radtour, und sie reden, diskutieren, fragen: Sollen wir auf die Straße? Sollen wir protestieren? Die Leute gehen jetzt alle über Ungarn raus, da muß man doch was tun. Und die einen sagen, das ist zu gefährlich, denkt an 1988, ihr werdet verhaftet. Und die anderen sagen, nein, die Situation ist reif, sie werden es nicht wagen, die meisten haben mit dem Regime abgeschlossen.

Die Diskussionen waren endlos, sagt Angelika Barbe. Aber dann haben wir nach demokratischen Spielregeln eine Entscheidung gefällt. Eine Woche vor der SDP-Gründung in Schwante, also am 1. Oktober, sagt Martin Gutzeit: Wir unterschreiben heute schon. Wer weiß, was in einer Woche ist. Und was passiert, wenn wir in Schwante verhaftet werden? Und so haben wir uns denn, sagt Angelika Barbe, schon eine Woche vor dem offiziellen Ereignis gegründet. Und ich weiß es nicht mehr genau, aber ich glaube, daß Ibrahim sehr überrascht war.

Das war er wohl. Denn einen Tag zuvor hatte der Inoffizielle Mitarbeiter Böhme der Staatssicherheit noch mitgeteilt:

«Ganz sicher sehe ich die Situation etwas zu <überzogen> gefährlich. Kommt es nach dem 4.10.1989 zu einer Medienerklärung der gemeinsamen Wahlplattform der Oppositionellen, so sind die Folgen bei dem in der DDR bestehenden allgemeinen Frust nicht mehr abzusehen.» Und Böhme schließt seinen Bericht mit devoter Geste:
«Bitte entschuldigen Sie mir die Akzentuierung meiner Bedenken.
  Maximilian »

225

#

 

  ^^^^ 

www.detopia.de