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Über den Marxismus

 

   1911 von Gustav Landauer 

 

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Zwischen den beiden Bestandteilen des Marxismus - der Wissenschaft und der politischen Partei - hat Karl Marx eine künstliche Brücke geschlagen, so daß es dann das Aussehen bekam, als sei etwas ganz Neues in die Welt gekommen - etwas, was sie vordem nicht gesehen hat -, nämlich die wissenschaft­liche Politik und die Partei auf wissenschaftlicher Grundlage: die Partei mit dem Wissen­schafts­programm.

Das war etwas wirklich Neues und dazu etwas überaus Zeitgemäßes und Modernes, und wie schmeichelte es überdies den Arbeitern, daß gerade sie die Wissenschaft, die allerneueste Wissenschaft vertraten. Willst du die Massen gewinnen, so schmeichle ihnen. 

Willst du sie zu ernstem Denken und Tun unfähig, willst du aus ihren Repräsentanten Urbilder der hohlen Aufgeblasenheit machen, die mit halb oder ganz unverstandenen Worten um sich werfen, so rede ihnen ein, sie seien Vertreter einer wissen­schaftlichen Partei. 

Willst du sie ganz mit der Bosheit der Dummheit erfüllen, so bilde sie auf Parteischulen aus.

Die wissenschaftliche Partei also — das war doch einmal das Erfordernis der fortgeschrittensten aller Zeiten! Was waren das für Dilettanten, die bisher Politik getrieben hatten, aus dem Instinkt oder der Genialität heraus, wie man das Gehen, das Denken, das Dichten oder Malen betreibt, wozu zwar allewege nebst der Natur und der Begabung viel Lernen, viel Können, viel Technik gehört, aber keinerlei Wissenschaft.

Und was für bescheidene Leute waren jene Vertreter der Politik als einer Art Wissenschaft gewesen, von Platon über Machiavelli bis zum Verfasser des vortrefflichen Handbuchs des Demagogen, die allerdings mit großer Kunst und starkem, verein­fachendem und vereinigendem Blick die Einzelerlebnisse und Institutionen geordnet und zusammengebracht hatten, denen aber nie der Einfall gekommen war, das Tun und Handeln wissenschaftlich zu betreiben. 

Was die Kunstwissenschaft wäre, wenn sie sich einbildete, die programmatische Grundlage für das Schaffen der Künstler zu sein, das ist der Marxismus für diese wissen­schaftlichen Sozialisten.

In Wahrheit freilich paßt der Wissenschaftswahn des Marxismus nur schlecht zu der praktischen Politik der Partei; sie passen nur zusammen für solche Menschen wie Marx und Engels waren, oder wie es Kautsky ist, die in sich den Professor und den Drahtzieher vereinigen.

Ohne Zweifel zwar kann man nur richtig und wertvoll wollen, wenn man weiß, was man will; das aber — abgesehen nun davon, daß solches Wissen ganz ein anderes ist als die sogenannte Wissenschaft — paßt schlecht zusammen, daß man auf der einen Seite behauptet, genau zu wissen, wie die Dinge auf Grund sogenannter geschichtlicher Entwicklungs­gesetze, die die Kraft von Naturgesetzen haben sollen, notwendig und unweigerlich kommen müssen, ohne daß an dieser Vorher­bestimmung Wille oder Tun irgendwelcher Menschen auch nur das Geringste ändern könnten; und daß man auf der andern Seite eine politische Partei ist, die nichts anders kann, als wollen, fordern, Einfluß nehmen, tun, einzelnes umwandeln.

Die Brücke zwischen diesen beiden Unvereinbarkeiten ist der törichtste Hochmut, der je in der Menschengeschichte zur öffentlichen Schau getragen wurde: alles, was die Marxisten tun oder fordern (denn sie fordern ja mehr, als sie tun), ist gerade in dem Augenblick ein notwendiges Glied der Entwicklung, ist von der Vorsehung bestimmt, ist nur das Zutagetreten des Naturgesetzes; alles was die andern tun, ist nutzloses Aufhaltenwollen des Müssens, der von Karl Marx entdeckten und sichergestellten Geschichts­tendenzen.

Oder aber auch so: die Marxisten sind mit dem, was sie wollen, die ausführenden Organe des Entwicklungs­gesetzes: sie sind die Entdecker und zugleich die Träger dieses Gesetzes, so etwas wie Legislative und Exekutive der Natur- und Gesellschafts­regierung in einer Person; die andern helfen allenfalls auch, diese Gesetze zur Durchführung zu bringen, aber gegen ihren Willen; die Elenden wollen immer das Verkehrte, müssen aber mit all ihrem Streben und Tun der von der Wissenschaft des Marxismus festgelegten Notwendigkeit helfen.

Aller Hochmut, alle Versessenheit und Verbohrtheit, alle Unduldsamkeit und einsichtslose Ungerechtigkeit und all das hämische Wesen, das fortwährend aus den Wissenschafts- und Parteiherzen der Marxisten zu Tage tritt, liegt also schon in ihrer absurd-absonderlichen Verquickung von Theorie und Praxis, von Wissenschaft und Partei begründet.

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Der Marxismus ist der Professor, der herrschen will; er ist also das rechte Kind von Karl Marx. Der Marxismus ist ein Gemächte, das aussieht, wie sein Vater; und die Marxisten sehen aus wie ihre Lehre. Nur daß die Geistesschärfe, das gründliche Wissen und die oft rühmenswerte Kombi­nations­gabe und Assoziationsfertigkeit des echten Professors Marx jetzt oft ersetzt ist durch Traktätchen­gelehrsamkeit, Partei­schulen­weisheit und plebejisches Nachschwatzen. 

Karl Marx ging doch wenigstens auf die Tatsachen des wirtschaftlichen Lebens, auf aktenmäßiges Quellenmaterial und — oft recht ungeniert sogar — auf die Manifestationen großer Intuitiver zurück; seine Nachfahren begnügen sich des öfteren mit Kompendien und Lehrbüchern, die mit Genehmigung des Oberstudienrats in Berlin zusammengestellt worden sind.

Und da wir hier das törichte und ruchlose Umschmeicheln des Proletariers nicht mitzumachen haben; da der Sozialismus das Proletariat abschaffen will und also nicht zu finden braucht, es sei eine für Geist und Herz aller Betroffenen besonders segens­reiche Institution (für große und begnadete Naturen wird es freilich wie jede Not und jede Hemmung eine volle Fracht Segen mit sich führen; und zu hoffen ist immer noch, daß die Entbehrung und innere Leere, die wohl eine Art Bereitschaft und Erfüllbarkeit, Geladenheit ist, im großen Moment einmal ganze Massen zum geschlossenen Aufspringen, zur Genialität der Aktion bringt), darum soll hier noch einmal gesagt sein:

Wohl kann über das Proletariat wie über jedwedes andere Volk einmal das Wunder kommen, nämlich der Geist, aber mit dem Marxismus ist kein Pfingstwunder und kein Zungenreden über es gekommen, sondern die babylonische Verwirrung und die Blähsucht, und der proletarische Professor, der proletarische Advokat und Parteiführer, das ist erst die rechte Karikatur der Karikatur, die Marxismus heißt, der Sorte Sozialismus, die sich für Wissen­schaft ausgibt.

 

    Was lehrt nun diese Wissenschaft des Marxismus?   

 

Was behauptet sie? Sie behauptet die Zukunft zu kennen; sie vermißt sich, eine so tiefe Einsicht in ewige Entwicklungsgesetze und die bedingenden Faktoren der Menschen­geschichte zu haben, daß sie weiß, wie es kommt, wie die Geschichte weitergeht, was aus unsern Zuständen, Produktions- und Organisations­formen wird.

Nie ist Wert und Bedeutung der Wissenschaft lächerlicher verkannt worden; nie ist ruchloser die Menschheit, und dazu noch vor allem der entrechtete, der geistig beraubte und zurückgebliebene Teil der Menschheit mit einem verzerrten Hohlspiegelbild genarrt worden.

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Hier ist jetzt noch gar nicht die Rede von dem Inhalt dieser Wissenschaft, von dem angeblichen Gang der Menschheit, den die Marxisten entdeckt haben wollen; hier geht es erst nur darum, die maßlos alberne Anmaßung aufzudecken, zu verhöhnen und zurückzuweisen: es gebe eine Wissenschaft, aus den Daten der Nachrichten von der Vergangenheit und den Tatsachen der Zustände der Gegenwart die Zukunft mit Sicherheit zu erschließen, zu errechnen, zu bestimmen.

Ich habe hier auch den Versuch gemacht, von dem zu reden, woher wir meinem Glauben nach kommen, und ich könnte auch ruhig sagen: meinem Wissen nach kommen — denn ich fürchte es nicht, ich hoffe es, von Eseln mißverstanden zu werden —, wohin wir meiner innigen Überzeugung und Durchdrungenheit nach gehen, gehen müssen, gehen wollen müssen.

Ein Müssen aber ist das freilich, das uns nicht in der Form des Naturgesetzes, sondern des Sollens gegeben ist. Denn sage ich damit: ich wisse etwas, in dem Sinne, wie man in der Mathematik aus bekannten Größen eine unbekannte errechnet? wie man in der Geometrie eine Aufgabe lösen kann? wie man weiß, daß das Fallgesetz, das Gesetz von der Pendelschwingung, das Gesetz von der Erhaltung der Energie allewege gilt, wie ich die Bewegung eines fallenden oder geworfenen Körpers berechnen kann, wenn mir die für die Formel in Betracht kommenden Umstände bekannt sind; wie ich weiß, daß H2O Wasser gibt, wie wir die Bewegungen vieler Gestirne berechnen, Mond- und Sonnenfinsternisse voraussagen können? 

Nein! Das alles sind wissen­schaftliche Betätigungen und Ergebnisse. Es sind Naturgesetze, weil es Gesetze unseres Geistes sind. Es gibt aber auch ein Naturgesetz, ein Gesetz unseres Geistes, ein Teilgesetz des großen Gesetzes von der Erhaltung der Energie, das heißt: was wir aus unserm Leib und Leben heraus machen werden, was die Fortsetzung des Bisherigen, der bevorstehende Weg, das Ausladen der Kompression, das Auslösen der Disposition ist — das alles heißt Zukunft —, kann uns nicht in der Form der Wissenschaft, das heißt der schon der Ordnung fähigen und vollendeten Tatsachen, sondern nur in der Form des Begleit­gefühls der Disposition, des inneren Drucks und Langens und Verlangens, das der äußeren, labilen Gleichgewichtslage genau adäquat ist, gegeben sein: und das heißt Wollen, Sollen, Ahnung bis zur Prophetie, Vision oder künstlerische Gestaltung.

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Dem Wegmoment, an dem wir stehen, entspricht nicht ein Rechenexempel oder ein Tatsachenbericht oder gar ein Entwicklungs­gesetz; das wäre ein Hohn auf das Gesetz von der Erhaltung der Energie; dem Weg entspricht eine Verwegenheit. Wissen heißt gelebt haben, Haben des Gewesenen; Leben heißt leben, Schaffen und Leiden des Kommenden.

Damit ist nicht nur gesagt, daß es keine Wissenschaft von der Zukunft gibt; darin liegt auch, daß es nur ein Lebenswissen der noch lebendigen Vergangenheit gibt, aber keine tote Wissenschaft wie von etwas Totem und Liegendem.

Die Marxisten und überdies alle Entwicklungsethiker, Entwicklungspolitiker, gleichviel ob sie der Theorie der Katastrophen- und Umschlag­entwicklung anhängen wie die vordarwinschen Marxisten oder ob sie einen gleichmäßig weiter gehenden Fortschritt aus der langsam-allmählichen Häufung von Kleinigkeiten statuieren wollen wie die darwinistischen Revisionisten, diese und alle Vertreter der Entwicklungs­wissenschaft sollten, wenn es sie gar nicht läßt, sich wissenschaftlich zu betätigen, einmal wissenschaftlich untersuchen, was diese prachtvollen, als Gruppe zusammengehörigen Worte für eine wirkliche Bedeutung haben, was von der Wahrheit der Natur und des Geistes in ihnen zum Ausdruck kommt, diese Worte: ich weiß, ich kann, ich darf, ich will, es muß und ich soll. Sie würden zugleich wissenschaftlich bescheidener, menschlich genießbarer und männlich unternehmender werden.

 

Geschichte also und Nationalökonomie sind keine Wissenschaft; die in der Geschichte wirkenden Kräfte können nicht wissenschaftlich formuliert werden; ihre Beurteilung wird immer eine Schätzung sein, die man je nach der Menschennatur, die sie in sich hat oder von sich gibt, mit einem höheren oder niedrigeren Namen belegen kann — Prophetie oder Professorengeschwätz —; immer wird sie eine Wertung sein, die von unserm Wesen, unserm Charakter, unserm Leben, unsern Interessen abhängt; und überdies sind uns, selbst wenn uns die Kräfte so sicher bekannt wären, wie sie uns formlos, schwankend, unbestimmt und wechselnd sind, die Tatsachen für die Anwendung solcher Prinzipien unbeschreiblich schlecht bekannt. Was sind uns denn für äußere, wissenschaftlich zu behandelnde Tatsachen von der völlig unendlichen Vergangenheit von Menschen und Welt gegeben?

Vielerlei freilich, viel zuviel ist in den Karren dieser sogenannten Wissenschaft hergefahren und abgeladen worden; nur sind es leider wirr und wüst und fragmentarisch durcheinandergeschmissene Trümmer aus einer Sekunde der sogenannten Menschen- und Weltgeschichte. Kein Beispiel ist kraß genug, um zu verdeutlichen, wie wenig wir wissen.

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Ein Fall ist freilich, wie der herrliche Goethe sagt, oft Tausende wert und schließt sie in sich; für das Genie und die Intuition nämlich; nur daß es für dieses ganze Gebiet des biologischen Werdens und der Menschengeschichte gar keine Fälle gibt, die Beispiele von Kräften oder Gesetzen wären, sondern, noch einmal mit Goethe zu reden, nur den Erfahrungsmist der Stoffsammler, Darwinisten und Revisionisten und den dialektischen Mist der Marxisten.

Und darum eben ist das Genie, dem in den Dingen des Mitlebens der Menschen ein Fall oft Tausende repräsentiert, kein Genie der Wissenschaft, sondern ein Genie der Gestaltung und der Tat; Lebenswissen ist dabei, aber keine Wissenschaft ist es, auf so vielerlei echte und große Wissenschaft es sich auch stützen mag.

Und gottlob, weltlob, daß es so ist! Und selbstverständlich, daß es so ist! Wozu denn noch leben, wäre denn das eine Möglichkeit zu leben, wenn wir wüßten, aber auch wirklich wüßten, alles wüßten, was kommt? Heißt denn nicht leben: neu werden?

Heißt denn nicht leben: als der Alte, der Sichere, der Selbstgewisse und auf sich Stehende, als eine in sich geschlossene Welt, als der Ewige hineinschreiten ins Neue, ins Ungewisse, in jene andere Welt, die wir nicht sind, ins wiederum Ewige, von Tor zu Tor, und von Heer zu Heer? Sind wir denn Leser oder Zuschauer oder von wohlbekannten Mächten ins wiederum Bekannte, vom Alten zum Alten Getriebene, wenn wir uns Lebende heißen? Oder sind wir nicht vielmehr der schreitende Fuß und die packende Hand, der Wirkende und nicht der Bewirkte?

Und ist uns Welt nicht wie etwas Weiches, unbekannt und gestaltlos jeden Morgen, den wir vom Schlaf aufstehen, Neues und Geschenktes, das wir formen und mit dem Werkzeug unsres Eigenen zu unserm Eigen machen? Oh' ihr Marxisten, wenn ihr auch nur für euer privates Leben Fülle und Lebensfreude hättet, wolltet und könntet ihr das Leben nicht zur Wissenschaft machen wollen! Und wie dürftet ihr das gar, wenn ihr wüßtet, daß eure Aufgabe als Sozialisten wäre, den Menschen zu Formen und Gemeinden der freudigen Arbeit, des freudigen Beieinanderlebens zu verhelfen!

Der hier, nicht resigniert oder skeptisch oder klagend, sondern einverstanden und freudig sagt: wir wissen nichts von den Vielfältigkeiten und Unsagbarkeiten des vergangenen und kommenden Lebens der Menschen und Völker, ist einer, der stolz und hohen Mutes genug ist, mehr als viele das Geschick der Jahrhunderttausende in sich zu wissen, in sich zu fühlen, in sich zu leben.

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Wohl habe ich ein Bild von dem, was geschehen ist, von dem, was also unterwegs ist; wohl habe ich mein Gefühl von unsrer Bestimmung und unsrer Bahn, und wohl weiß ich, wohin ich gehen, wohin ich weisen, wohin ich führen will. Wohl habe ich den Wunsch, meine Einsicht, mein glühendes Fühlen, mein starkes Wollen auf viele, auf einzelne, auf Massen zu übertragen. Aber rede ich in Formeln? Bin ich ein Journalist, der sich verlogen als Mathematiker maskiert? Bin ich ein Rattenfänger, der die unmündigen Kinder mit der Wissenschaftspfeife in den Berg des Unsinns und des Schwindels führt? Bin ich ein Marxist?

Nein. Aber ich sage, was ich bin. Ich brauche nicht zu warten, bis es mir die andern, die Getroffenen, die Marxisten sagen. Gelernt, erforscht, zusammengetragen habe ich so gut wie einer; und wenn es eine Wissenschaft der Geschichte und National­ökonomie gäbe, dann hätte ich wohl Kopf genug, sie gelernt zu haben. Denn, eigentlich seid ihr doch komische Leute, ihr Marxisten, und wunderlich, daß ihr euch nicht selber wundert; ist es denn nicht eine alte und sichere Sache, daß auch bescheidene Köpfe die Ergebnisse der Wissenschaften, wenn sie erst da sind, erlernen können?

Was wollt ihr denn mit all eurem Streiten und Polemisieren und Agitieren, mit all eurem Fordern und Parlamenteln, mit all eurem Überreden und Argumentieren: wenn ihr eine Wissenschaft habt, laßt doch das Überflüssige, nehmt den Bakel zur Hand und unterrichtet uns, lehret uns, laßt uns die Methoden lernen und fleißig üben, die Operationen, die Konstruktionen, und macht doch endlich als Erfahrene, als Wissende und untrüglich Sichere, was euer Bebel als ehrlicher Dilettant versucht hat: sagt uns endlich die genauen Daten der weiteren Geschichte, der Zukunft!

Ich habe also auch gelernt, nicht wie ihr, sondern besser als ihr und sage doch: Wissenschaft ist's freilich nicht, was ich lehre. Prüfe sich jeder, ob seine Natur, sein wahrhaftes Leben ihn auf dieselben Wege führt, und nur dann gehe er mit mir, aber dann gehe er mit mir. Ich habe besser gelernt als ihr, weil ich etwas habe, was euch fehlt. Hochmut freilich, was man gemeiniglich so nennt, habe ich keinen größern als ihr; und ich würde meine bescheidene, das heißt geziemende Meinung von mir selbst für mich behalten, wie's unter Ebenbürtigen sich von selbst verstünde, wenn hier nicht Nötigung wäre zu sagen, wer ein Sozialist ist und wer keiner ist.

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Denn verhöhnt und verjagt müssen sie werden, die Kaltsinnigen aus Nifelheim, die den Sozialismus usurpiert haben, die das "Kapital" bewachen wie jene Zwerge den Nibelungenhort: der Sozialismus muß zu seinen rechten Erben kommen, damit er werde, was er ist: eine Freude und ein Jauchzen, ein Bauen und ein Schaffen, ein schön zu Ende geträumter Traum, der nun im Tun und für alle Sinne und alles urvolle Leben eine Erfüllung werden soll. Und weil die Erben noch schlummern und in fernen Landen des Traums und der Form weilen, und weil doch endlich einer anfangen muß, die Hand aufs Erbe zu legen, muß ich es sein, der die Erben zusammenruft und der sich als einer von ihnen legitimiert.

 

Woher kommt denn all der Wissenschaftsaberglauben der Marxisten? Sie wollen die vielfachen, zersplitterten, durcheinander geworrenen Einzelheiten der Überlieferung und der Zustände auf einen Faden, in eine Ordnung, zu einer Einheit bekommen. Auch sie haben das Bedürfnis nach Vereinfachung, nach Einheit, nach Allgemeinheit.

Sind wir wieder einmal bei dir angelangt, herrliches erlösendes Allgemeines und Eines, das du dem wahren Denken so nötig bist wie dem wahren Leben, das Mitleben schafft und Gemeinschaft und Einung und Innung, das im Kopf der Denkenden die Idee ist und im Leben alles Lebenden durch alle Reiche der Natur hin der Bund der Bünde ist? das du mit Namen heißest: Geist!

Dich aber haben sie nicht, und darum ersetzen sie dich. Daher kommt ihnen die täuschende Fälschung, die Surrogatware ihrer Geschichtsklitterung und ihrer Wissenschaftsgesetze: sie kennen nur ein einziges Bannendes, nur ein Formendes, Zusammen­rückendes, die Einzelheiten Ordnendes, das Auseinander­gesprengte Verbindendes, nur ein Prinzip, nur ein Allgemeines: die Wissenschaft.

Und wohl ist Wissenschaft Geist, Ordnung, Einheit und Bund: wo sie Wissenschaft ist. Wo sie aber Schwindel und Affenbetrug ist, wo der angebliche Mann der Wissenschaft nur ein verkleideter Journalist und ein nur schlecht sich verstellender Leitartikelschreiber ist, wo statistisch formulierte Tatsachenhaufen und dialektisch maskierte Philistermeinungen für eine Art höhere Mathematik der Geschichte und untrügliche Anweisung fürs künftige Leben gelten wollen: da ist diese sogenannte Wissenschaft Ungeist, Hemmung des Geistes; ein Hindernis, das endlich gesprengt, mit Gründen und Lachen, mit Feuer und Wut vertilgt werden muß.

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Ihr kennt die andern Formen des Geistes nicht und habt darum die Professorlarve vor eure Advokaten­gesichter gezogen, wo ihr nicht wirkliche Professoren seid, die den Propheten spielen wollen, wie jener andere Professor, euer Schutzpatron, die Laute spielen wollte, aber nicht konnte.

Wir aber wissen es und haben es hier nun schon oft gesagt, was alles noch Geist ist: wir haben eine Allgemeinheit, ein Zusammengehen des Ganges der Menschheit anderer Art, anderer Herkunft als ihr, wir haben unser Wissen zusammen mit unserm großen Grundfühlen und unserem starken Weithinwollen: wir sind — —

zuvor aber, arme Marxisten, nehmet einen Stuhl und setzet euch und haltet euch fest; denn es kommt Fürchterliches; Anmaßendes kommt, und zugleich wird euch etwas weggenommen, was ihr mir so brennend gern selbst verächtlichen Tonfalls entgegengeworfen hättet — —

wir sind Dichter; und die Wissenschaftsschwindler, die Marxisten, die Kalten, die Hohlen, die Geistlosen wollen wir wegräumen, damit das dichterische Schauen, das künstlerisch konzentrierte Gestalten, der Enthusiasmus und die Prophetie die Stätte finden, wo sie fortan zu tun, zu schaffen, zu bauen haben; im Leben, mit Menschenleibern, für das Mitleben, Arbeiten und Zusammensein der Gruppen, der Gemeinden, der Völker.

Jawohl denn, wirklich, als volle Tatsächlichkeit soll kommen und wahr werden, was Dichtertraum und Melodie und berückende Linie und leuchtende Farbenpracht lange genug nun war: wir Dichter wollen im Lebendigen schaffen, und wollen sehen, wer der größere und stärkere Praktiker ist: ihr, die ihr zu wissen behauptet und nichts tut; oder wir, die nun das lebendige Bild in uns haben und das sichere Gefühl und den hinausgreifenden Willen: und die wir tun wollen, was nur getan werden kann, tun wollen gleich jetzt und immerzu und unentwegt, die wir die Menschen, die mit uns sind, sammeln wollen zu einem Keil, der vorwärts dringt, immer weiter im Tun, im Bauen, im Wegräumen; immerzu, über euch weg mit Lachen und Gründen und Zürnen; über schwerere Klötze weg mit Angreifen und Kämpfen.

Wir bringen keine Wissenschaft und keine Partei; wir bringen noch weniger einen Geistesbund, wie ihr ihn versteht, denn wenn ihr von so etwas redet, denkt ihr an das, was ihr Aufklärung nennt, und was wir Halbbildung und Traktätchenfutter heißen.

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Der Geist, der uns trägt, ist eine Quintessenz des Lebens und schafft Wirklichkeit und Wirksamkeit. Dieser Geist heißt mit anderm Namen: Bund; und was wir dichten, schön machen wollen, ist Praktik, ist Sozialismus, ist Bund der arbeitenden Menschen.

Hier sehen wir es nun offenbar vor Augen und können es mit Händen greifen, warum die Marxisten in ihrer famosen Geschichtsauffassung, die sie die materialistische nennen, den Geist ausgeschaltet haben. Wir können an dieser Stelle die Erklärung besser geben, als es ändern trefflichen Bestreitern der Marxisten gelingen konnte. Die Marxisten haben in ihren Erklärungen und Auffassungen aus sehr natürlichem, ja geradezu aus trefflich materiellem Grunde den Geist ausgeschaltet: weil sie nämlich keinen haben.

Aber wenn nur wenigstens wahr wäre, daß ihre Art, die Geschichte darzustellen, eine materialistische heißen darf. Das wäre ein rühmliches, ein gewaltiges Unternehmen sogar, freilich eines, dessen Veranstalter ohne eigenen Geist nicht auskäme: den Versuch zu machen, das Ganze der Menschheitsgeschichte bloß in der Form von physischen Vorgängen, von körperlich-dinglichen Prozessen, von einem unendlichen Wechselverkehr zwischen den materiellen Vorgängen der übrigen Welt und den physiologischen Prozessen der Menschenleiber darzustellen.

Es könnte das freilich, aus den Gründen, die ich schon gesagt habe, keinerlei auf Gesetzen aufgebaute Wissenschaft sein, nur eine geistvolle und fast phantastische Skizze zu einer solchen könnte es werden; aber es wäre etwas, an das einer schon beinahe sein Leben setzen könnte; und vielleicht kommt einmal einer*, der es unternimmt, und wäre es einer, der es nur darum tut, um das Recht, die Grundlage und die Sprachmöglichkeit zu finden, nunmehr diesen starren Bau flüssig und völlig zum Bilde zu machen und die große Umkehrung vorzunehmen: die ganze Menschengeschichte nämlich unter Ausschaltung jeglicher Körperlichkeit als psychisches Gesamtheitsgeschehen, als den Austausch geistigen Strömens darzustellen.

Denn wer so Materialismus bis in die äußerste Konsequenz zu denken vermag, weiß, daß er nur die andere Seite des Idealismus ist; wer so wirklicher Materialist ist, kann nur aus der Schule Spinozas kommen. Aber genug damit: was verstehen die Marxisten davon? Die Marxisten, die, wenn man Spinoza sagt, wohl gar an die überzwerche Puppe denken, die ihre und die darwinistisch-monistischen Traktätchenverfasser aus Spinoza gemacht haben.

 

* OD: Seit 1911 sind tatsächlich einige "gekommen". Lewis Mumford fällt mir ein, Julian Jaynes, Wilber, usw.

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Genug damit; hier ist nur nötig zu sagen, daß, was die Marxisten materialistische Geschichtsauffassung nennen, nicht das mindeste mit irgendeinem vernünftig aufgefaßten Materialismus zu tun hat: am Ende hielten sie es gar für einen Widerspruch, den Materialismus vernünftig aufzufassen und hätten nicht einmal unrecht. Allenfalls dürfte die Geschichtsauffassung, die sie lehren, ökonomistische heißen; ihr wahrer Name ist, wie gesagt, geistlose Geschichtsauffassung.

Sie behaupten nämlich, entdeckt zu haben, die politischen Zustände, die Religionen, die geistigen Strömungen insgesamt, ihre eigene Lehre und ihr ganzes Agitieren und Politisieren natürlich nicht ausgenommen, seien nur der ideologische Überbau, so eine Art nachträgliche Doppelgängererscheinung der wirtschaftlichen Zustände und gesellschaftlichen Institutionen und Prozesse.

Wie viel Geistiges, Seelisches mit dem unabschälbar verwachsen ist, was sie wirtschaftlich und gesellschaftlich nennen, daß vor allem das Wirtschaftsleben nur ein winziger Teil des Gesellschaftslebens ist und daß dieses von den großen und kleinen geistigen Gebilden und Bewegungen des Mitlebens gar nicht zu trennen ist, stört diese Ober­flächlichen nur wenig, für die es in allen ihren Kundgebungen kennzeichnend ist, daß sie Schnell­redner und Drauflosschwätzer sind, daß sie nie das Bedürfnis gespürt haben, ihren eigenen Worten auf den Grund zu gehen. Hätten sie das je getan, wären sie tief Verschwiegene geworden, denn an ihren Widersprüchen und Unvereinbarkeiten wären sie erstickt.

Dieser widerspruchsvolle Mißbrauch der Worte hat nun aber doch die Marxisten gestört, aber freilich nur so, wie Ungründliche sich irritieren lassen:

Die einen finden sich mit dem Widerspruch durch die eine Verkehrtheit und Halbheit und die andern durch eine andere Schiefheit und Verbiegung ab, und so entstanden verschiedene Strömungen unter ihnen und es hat allerlei Spannungen und Spaltungen gegeben: die einen schließen aus der Lehre, der Marxismus verkünde eine apolitische und fast antipolitische Haltung, da ja die Politik nur das fast irrelevante Spiegelbild der Wirtschaft sei; es komme nicht auf Politik, Gesetzgebung und Staatsformen an, sondern auf wirtschaftliche Formen und wirtschaftliche Kämpfe

(aber auch diese Kämpfe sind natürlich in die reine Lehre nur eingeschmuggelt; denn ein Kampf, auch ein wirtschaftlicher, ist eine durchaus geistige Sache und mit allem Leben des Geistes stark verwachsen; aber genug davon, denn, wie gesagt, wer irgendeinem Punkt des Marxismus auf den Grund geht, stößt immer auf die Unmöglichkeit und das Kompromiß und die Kontrebande);

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die andern wollen trotzdem mit Hilfe der Politik auf die wirtschaftlichen Dinge einwirken und fügen den Kompromissen, Ausreden und mühsamen Flickereien mit der Wirklichkeit, die so total anders aussieht, als ihre professorale Ausschwitzung auf dem Papier, fügen diesen Bemäntelungen, die sie alle machen müssen, noch ein paar neue hinzu. Es kommt nicht darauf an, und wir halten uns bei diesen Streitfragen nicht weiter auf; mögen sie die Politikomarxisten mit ihren Brüdern, den Syndikalisten oder den neuerdings durch elenden Mißbrauch zweier edlen Namen so genannten Anarchosozialisten ausfechten.

 

Denn die ganze Lehre ist falsch und hält nicht Stich und Faden, und als wahr und wertvoll bleibt nur die Beherzigung übrig, die, in England und anderswo, schon lange vor Karl Marx eingeschärft worden ist: man dürfe bei Betrachtung der menschlichen Geschehnisse die eminente Bedeutung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zustände und Umwandlungen nicht verkennen. 

Dieser Hinweis erfolgte in der großen Bewegung, die man die Entdeckung der Gesellschaft im Gegensatz zum Staat nennen müßte, eine Entdeckung, die einer der frühesten und wichtigsten Schritte zur Freiheit, zur Kultur, zum Bunde, zum Volke, zum Sozialismus ist. Überaus Heilvolles und Wegreiches steckt in diesen großen Schriften der politischen Ökonomisten, der glänzenden Publizisten des achtzehnten, der ersten Sozialisten des neunzehnten Jahrhunderts. 

Der Marxismus aber hat daraus nur eine Karikatur, eine Fälschung, eine Korruption gemacht. Die sogenannte Wissenschaft, die die Marxisten daraus gemacht haben, ist in ihrer tatsächlichen Wirkung ein kläglicher und doch verhängnisvoller Versuch (denn keine angebliche Wissenschaft ist so dumm, daß sie nicht, wenn sie demagogisch oder auch nur populär ausgemünzt wird, gebildete und ungebildete Massen und nicht zuletzt auch Universitätsprofessoren einfängt) — der Marxismus also versucht, den Strom, der vom Staat und damit von der Unkultur wegführt, hin zu Bünden der Freiwilligkeit und des gemeinsamen Geistes, den Strom, der die Gesellschaft der Gesellschaften auf seinem Rücken trägt, wieder zurück­zubringen zum Staat und zum Ungeist all unserer Einrichtungen des Mitlebens, und diesen Strom dabei noch die Mühlen ehrgeiziger Politikanten treiben zu lassen.

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Das müssen wir noch näher besehen. Denn wir haben erst nur zwei Häute der marxistischen Tränenzwiebel abgeschält; wir müssen noch mehr ins Innere dringen, und wenn uns dabei das Weinen ankommen sollte. Wir müssen das Mißgebilde weiter sezieren, und ich verspreche: ein bißchen Prusten und Nießen und etliches Lachen wird immer dabei sein. Wir haben gesehen, was es mit der Wissenschaft und was es mit dem Materialismus der Marxisten auf sich hat: was aber ist denn das nun für ein geschichtlicher Verlauf der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, den sie entdeckt haben, nicht doch, der aus der materialen Wirklichkeit ihnen in den geistigen Überbau, wahr­scheinlich in ihre kartesianische Zirbeldrüse, hineingewachsen ist?

Wir sind jetzt bei dem Moment angelangt, wo sich der Professor, der Leben in Scheinwissenschaft, Menschenleiber in Papier verwandelt, in einen Professor ganz anderer Art, mit ganz andern Verwandlungs­künsten verwandelt. Professoren nennen sich ja wohl auch gewöhnlich die Verwand­lungs­künstler, Zauberer, Prestidigitateure, die ihre Fingerfertigkeit und Volubilität auf Jahrmärkten produzieren. Die berühmtesten, die entscheidenden Kapitel von Karl Marx haben mich immer an Zauberprofessoren dieser Art erinnert. "Eins — zwei — drei — ohne jede Hexerei."

 

Folgendermaßen ist nach Karl Marx die Fortschrittslaufbahn unsrer Völker vom Mittelalter über die Gegenwart zur Zukunft, ein Lauf, der sich "mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses" (nach dem englischen Text, der noch deutlicher ist: mit der Notwendigkeit eines Naturgesetzes), übrigens mit steigender Geschwindigkeit, vollziehen soll: Im ersten Stadium, dem kleinlichen, krämerhaften, wo es nur Durchschnittsmenschen, Mittelmaß, Kleinbürger und dergleichen erbärmliches Volk gibt, haben sehr viele jeder sehr kleines Eigentum. Nun kommt die zweite Stufe, der Aufschwung zum Fortschritt, der erste Entwicklungsprozeß, der Weg zum Sozialismus: Kapitalismus genannt. Jetzt sieht die Welt schon ganz anders aus: wenige haben jeder sehr großes Eigentum, die Masse hat nichts.

Der Übergang in diese Stufe war schwer, und ohne Gewalt und Häßlichkeit ging es nicht ab.

Auf der Stufe aber geht's nun dem gelobten Land auf den gut geölten Schienen der Entwicklung immer näher und leichter entgegen; gottlob werden immer mehr Massen proletarisiert, gottlob gibts immer weniger Kapitalisten, sie expropriieren sich gegenseitig, bis nur noch Massen von Proletariern wie Sand am Meer ganz vereinzelten Riesen­unter­nehmern entgegenstehen, und nun ist der Sprung zur dritten Stufe, nun ist der zweite Entwicklungsprozeß, der letzte Schritt zum Sozialismus nur noch ein Kinderspiel: "die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt".

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Innerhalb des Kapitalismus ist man, sagt Karl Marx, zur "Zentralisation der Produktionsmittel" und zur "Vergesellschaftung der Arbeit" gekommen. Er nennt das eine Produktionsweise, "die unter dem Kapitalmonopol aufgeblüht ist", wie er denn immer leicht in Dichterstimmung kommt, wenn er die letzten Schönheiten des Kapitalismus, unmittelbar bevor er in Sozialismus umschlägt, besingt. Nun also ist es soweit: "die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation": den Sozialismus. Denn die "Kooperation" und "der Gemeinbesitz der Erde" ist, sagt Karl Marx, schon eine "Errungenschaft der kapitalistischen Ära". Die großen, ungeheuren, fast unendlichen Menschenmassen, die Proletarisierten, haben wirklich fast nichts mehr für den Sozialismus zu tun. Sie müssen nur warten, bis es soweit ist.

Denn nicht wahr? Soweit sind wir doch noch lange nicht, ihr Herrn von der Wissenschaft, daß uns der Kapitalismus die Kooperation und den Gemeinbesitz an der Erde und den Produktionsmitteln gebracht hätte? Was Gemeinbesitz heißt, das wenigstens ist doch insoweit klar, so viele sehr verschiedene Formen des Gemeinbesitzes es auch geben kann, daß er etwas anderes als Usurpation, als Privileg, als Privat­eigentum sein muß? Ist von diesem Gemeinbesitz, der schon in der Ära des Kapitalismus kommen soll, der die größte Ähnlichkeit schon mit dem Sozialismus haben soll, jetzt schon etwas zu merken? Ja oder nein? Wir möchten nämlich ganz gerne wissen, wie lange es etwa noch dauern kann mit dem Natur­prozeß. Heraus, bitte, mir eurer Wissenschaft!

Aber wer weiß, wer weiß! Vielleicht hat doch Karl Marx schon in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts die Spuren oder gar sichtbare Anfänge des Gemeinbesitzes an der Erde und den Produktionsmitteln sich aus dem Kapitalmonopol herauswickeln sehen. Denn was die Kooperation angeht, ist die Sache bei näherem Zusehen schon ganz unzweideutig. Für mich freilich heißt Kooperation Zusammenwirken und gemeinsame Arbeit, und wenn man nicht ein Narr ist, der das gemeinsame Ziehen einer Kuh und eines Pferdes vor einem Pflug, oder die nach Lokalität oder auch Arbeitsteilung gemeinsame Arbeit von Neger­sklaven auf einer Baumwollpflanzung oder einem Zuckerrohrfeld Kooperation und gemeinsame Arbeit nennt —— aber wie ist mir denn?

Genau dieser Narr ist ja Karl Marx! Was Zukunft! Was weitere Entwicklung des Kapitalismus! Der kluge Gelehrte hielt sich an die Gegenwart. Die Arbeitsform, die er im kapitalistischen Betrieb seiner Zeit gesehen hat, das Fabriksystem, die Arbeit tausender im engen Raume, die Anpassung des Arbeiters an die Werkzeugmaschinen und die damit sich ergebende weitgehende Arbeitsteilung in der Herstellung der Waren für den kapitalistischen Weltmarkt — das hat Karl Marx die Kooperation genannt, die ein Element des Sozialismus sein soll. Spricht er doch ohne jede Frage davon, daß der Kapitalismus "tatsächlich bereits auf gesellschaftlichem Produktionsbetrieb" beruhe!

Jawohl, man sträubt sich gegen so exemplarischen Unsinn, aber das ist ohne Frage die wahre Meinung von Karl Marx: der Kapitalismus entwickelt ganz und gar den Sozialismus aus sich heraus, die sozialistische Produktionsweise "erblüht" aus dem Kapitalismus: schon haben wir Kooperation, schon sind wir mindestens auf bestem Wege zum Gemeinbesitz der Erde und der Produktionsmittel: schließlich tut nichts mehr not, als die paar übriggebliebenen Eigentümer zu verjagen. Alles andere ist aus dem Kapitalismus erblüht. Denn der Kapitalismus, das ist der Fortschritt, das ist die Gesellschaft, das ist eigentlich schon der Sozialismus.

Der wahre Feind, das sind "die Mittelstände, der kleine Industrielle, der kleine Kaufmann, der Handwerker, der Bauer". Denn die arbeiten selber und haben höchstens ein paar Gehilfen und Lehrlinge, das ist das Murksige, der Zwergbetrieb; der Kapitalismus aber ist die Uniformität, die Arbeit Tausender an einer Stelle, die Arbeit für den Weltmarkt, und das ist die gesellschaftliche Produktion und der Sozialismus.

Das ist die wahre Lehre von Karl Marx: wenn der Kapitalismus ganz und gar über die Reste des Mittelalters gesiegt hat, ist der Fortschritt besiegelt und der Sozialismus so gut wie da.

Ist es nicht von symbolischer Bedeutung, daß das Grundwerk des Marxismus, die Bibel dieser Sorte Sozialismus "Das Kapital" heißt? Diesem Kapitalsozialismus stellen wir unsern Sozialismus gegenüber und sagen: der Sozialismus, die Kultur und der Bund, der gerechte Austausch und die freudige Arbeit, die Gesellschaft der Gesellschaften kann erst kommen, wenn ein Geist erwacht, wie die christliche Zeit und die vorchristliche Zeit der germanischen Völker einen Geist gekannt hat, und wenn dieser Geist fertig wird mit der Unkultur, der Auflösung und dem Niedergang, der wirtschaftlich gesprochen Kapitalismus heißt.
     So steht's nun in ganzer Schärfe einander entgegen.

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