Gustav LandauerAufruf
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1911 144 Seiten (*1870) kontextverlag.de Oppo Verlag Berlin
detopia: Siegbert Wolf 1997 (Nachwort) |
Inhalt Vorbemerkung von 1911 Vorwort 1919 (5) Nachwort 1997 von Siegbert Wolf (147)
detopia-2005: Ich habe sparsam in meine Text-Vorlage vom Oppo-Verlag eingegriffen. Sie hat nur eine Zwischenüberschrift, sieben numerierte Abschnitte und daher gibt es wohl auch kein Inhaltsverzeichnis. Landauers Satzbau ist manchmal 'ziemlich' ›mündlich‹. Gustav Landauer verdeutlicht - und zwar kurz und knapp -, daß er eine Kulturbewegung will. ; also eine Bewegung für mehr menschliche Kultur. In der selben deutlichen Sprache spricht er aus, was ohnehin jeder weiß: Ohne Land (Grund und Boden) geht nichts; kann man nichts machen – auch nicht die schönste Kultur. Die Naturzerstörung hatte Landauer noch nicht im Blick, aber den "Mißbrauch der Kraft und der Technik". Hätte man ihn länger leben lassen, dann wäre er sicher auch noch ein Umweltautor geworden. |
1 – 4 (15) Über den Marxismus (36) Marxismus und Sozialismus (51) Sozialismus
ist Umkehr; Sozialismus ist Neubeginn;
Ich gebe keine Schilderung eines Ideals, keine Beschreibung einer Utopie. Was davon jetzt zu sagen ist, habe ich durchblicken lassen und habe es Gerechtigkeit mit Namen genannt. (S.33)
Der Sozialismus ist keineswegs eine Sache der Staatspolitik, der Demagogie oder des Kampfes um Macht und Stellung der für die kapitalistische Wirtschaft tätigen Arbeiterklasse; er ist ebenso wenig beschränkt auf Umwandlung materieller Verhältnisse, sondern ist heute in erster Linie eine geistige Bewegung. "Die 12 Artikel des Sozialistischen Bundes", Artikel 9, Fassung von 1912 Landauer hat im Laufe seines Lebens seine Vorstellungen von Sozialismus in seinen Schriften wiederholt präzisiert. Allerdings findet man keine einheitliche Definition. Es gibt 'nur' einen Grundgedanken, der sich wie ein roter Faden durch alle Formulierungen zieht. Zu Beginn seiner politischen Laufbahn definierte Landauer Sozialismus gleichbedeutend mit Anarchismus. Letzterer war allerdings in der Öffentlichkeit sehr negativ belegt und wurde gleichgesetzt mit kriminellen gewalttätigen Aktionen, um den Staat zu beseitigen. In späteren Jahren ersetzte Landauer dann für sich Anarchismus durch Sozialismus; er selbst nannte sich auch aus tiefster Überzeugung einen Sozialisten, während er denjenigen, die seiner Meinung nach aus dem Sozialismus eine Wissenschaft gemacht hatten, das Recht darauf absprach. In Artikel 9 der 12 Artikel des Sozialistischen Bundes ist seine Vorstellung prägnant dargelegt. Es ging ihm nicht darum, daß der Sozialismus sich mit der ökonomischen Erneuerung der Gesellschaft zu beschäftigen habe, um so die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse zu verbessern; ebensowenig, wie Sozialismus eine staatlich 'verordnete' Gesellschaftsform sein sollte. (Dr. Martha Meyer, 1992, Wuppertal) |
Vorbemerkung zur ersten Auflage 1911
von Gustav Landauer
In meinem Buch <Die Revolution> von 1907 habe ich gesagt:
"Unser Weg geht dahin: daß solche Menschen, die zur Einsicht und zur innern Unmöglichkeit, so weiter zu leben, gekommen sind, sich in Bünden zusammenschließen und ihre Arbeit in den Dienst ihres Verbrauches stellen. Sie werden dann bald an die Schranken stoßen, die der Staat ihnen setzt: ihnen fehlt der Boden.
Dies ist der Punkt, wo die Revolution, von der wir bis hierher gesprochen haben, weiter geht in die, von der sich nichts sagen läßt, weil sie noch entfernt ist. Auch von der sozialen Regeneration, auf die hier nur hinzudeuten war, ist an dieser Stelle nichts zu sagen; von der Erwartung des Kommenden hängt es ab, wie man die Ansätze und Richtungen, die vorhanden sind, einschätzt; doch gedenke ich, an anderer Stelle den Faden wieder aufzunehmen und den kommenden Sozialismus im Zusammenhang zu behandeln."
Da ich vorerst nicht dazu komme, das Buch, das mit diesen Worten angekündigt war, zu schreiben, nehme man einstweilen mit dem Vortrag, der hier folgt, vorlieb; wolle aber keinen Augenblick vergessen, daß es ein Vortrag ist und nichts anderes sein will. Da muß manches kurz gesagt werden, und ein gefühlsstarker Ton muß oft die eingehende Begründung ersetzen; der Fluß der Rede will weiter.
Benutze man den Vorteil, daß es ein gedruckter Vortrag ist; bedenke man, daß mancher der Sätze, die hier stehen, zu seiner Begründung und Ausführung ein Buch erfordern könnte; verlasse man manchmal den Redenden, um selbst weiter über den einzelnen Gegenstand nachzudenken; vielleicht findet man dann, daß, was schnell gesagt ist, darum nicht unüberlegt und nicht ungründlich vorgebracht sein muß.
Die Form des Vortrags habe ich gewählt, weil unter den Aufgaben der Sprache immer die sein wird, andere zu sich heranzurufen und weil diesmal dies meine Absicht war. Freilich spreche ich hier anders als in einer Versammlung, spreche vor dem weiten, unbestimmten Kreise, den der Einsame in nächtlichen Arbeitsstunden vor sich sieht.
Als ich den Vortrag zum ersten Male hielt – am 26. Mai und 14. Juni 1908 – habe ich zum Schluß der zweiten Versammlung den Inhalt in "Zwölf Artikeln des Sozialistischen Bundes" zusammengefaßt, die in dieser ursprünglichen Fassung im Anhang zum Abdruck gelangen. Damit war der Sozialistische Bund gegründet, und die ersten, die sich zu ihm zählen wollten, meldeten sich auch schon in der Versammlung. Bald bildete sich die erste Gruppe; Gruppe "Arbeit" in Berlin.
In diesem Augenblick bestehen in Deutschland und der Schweiz neunzehn ausdrücklich konstituierte und eine größere Anzahl ungenannte Gruppen. Anfang 1909 begann die Halbmonatsschrift "Der Sozialist" zu erscheinen, in der ich und andre unsre Ideen weiter verfolgen und an den Zuständen und Vorgängen in den Völkern, am Leben der Gemeinden, der Familien, der Einzelnen zu bewähren suchen.
Außerdem haben wir bisher drei Flugblätter ausgegeben, die mit einem Rechenschaftsbericht über die bisherige Tätigkeit des Bundes vereinigt in einem Heft erschienen sind.
Hermsdorf bei Berlin, März 1911
Aufruf zum Sozialismus von Gustav Landauer