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Die Aufstellungen der Marxisten lauten:
1. Die kapitalistische Konzentration in der Industrie, im Handel, im Geld- und Kreditwesen sei eine Vorstufe — sei der Beginn des Sozialismus.
2. Die Zahl der kapitalistischen Unternehmer – oder wenigstens der kapitalistischen Unternehmungen – nehme immer mehr ab; der Umfang der einzelnen Betriebe dehne sich aus; der Mittelstand schrumpfe ein und sei zum Untergang verurteilt; die Zahl der Proletarier wachse ins Ungemessene.
3. Die Menge dieser Proletarisierten sei stets so groß, daß es immer Arbeitslose unter ihnen geben müsse; diese industrielle Reservearmee drücke auf die Lebensverhältnisse; es entstehe die Überproduktion dadurch, daß mehr produziert werde, als konsumiert werden könne. So seien die periodischen Krisen unausbleiblich.
4. Das Mißverhältnis zwischen dem ungeheuren Reichtum in den Händen von wenigen und der Not und Unsicherheit bei den Massen werde schließlich so groß werden, es werde eine so furchtbare Krise eintreten und die Unzufriedenheit in den Arbeitermassen sich so steigern, daß es zur Katastrophe, zur Revolution kommen müsse, in deren Verlauf das kapitalistische Eigentum in gesellschaftliches Eigentum übergeführt werden könne und müsse.
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An diesen Hauptsätzen des Marxismus ist vielfach, von anarchistischen, bürgerlichen, und in letzter Zeit besonders von revisionistischen Forschern Kritik geübt worden. Ob es einem lieb oder leid ist, gleichviel, wer ehrlich ist, kann nicht leugnen, daß die folgenden Ergebnisse dieser Kritik feststehen.
Man soll überhaupt nicht von kapitalistischen Unternehmern sprechen und dabei voraussetzen, es hänge der Bestand der kapitalistischen Gesellschaft von der Zahl dieser Unternehmer sonderlich ab.
Man soll vielmehr von all denen reden, die am Kapitalismus interessiert sind, denen es in bezug auf ihre äußerliche Lebenshaltung innerhalb des Kapitalismus verhältnismäßig wohl und sicher geht, – von solchen, die, sofern sie keine Ausnahms-, sondern Dutzendmenschen sind, auch in ihren Meinungen, Bestrebungen und Stimmungen von ihrem Interesse am Kapitalismus abhängig sind, gleichviel ob sie selbständige Unternehmer, wohlbestellte Agenten, höhere Beamte und Angestellte, Aktionäre, Rentiers oder was immer sind.
Und da läßt sich auf Grund der Steuerstatistik und anderer Beobachtungen, die nicht anzutasten sind, nur sagen, daß die Zahl dieser Personen nicht abgenommen, sondern absolut und relativ etwas zugenommen hat.
Man muß sich auf diesem Gebiet besonders davor hüten, sich von Stimmungen leiten zu lassen und aus kleinen persönlichen Erfahrungen und Teilbeobachtungen verallgemeinernde Schlüsse ziehen zu wollen. Das kann freilich jeder sehen, daß die Warenhäuser, an manchen Orten auch die Konsumvereine unter kleinen und mittleren Kaufleuten tüchtig aufräumen.
Auch kommen ja gar nicht bloß die Kaufleute in Betracht, die zugrunde gerichtet werden und den Laden schließen, sondern noch viel mehr die, die gar nie den Mut und die Mittel finden, sich selbständig zu machen. Die Frage ist nur, wohin ein großer Teil dieser Unselbständigen zu rechnen ist, ob sie nämlich Proletarier sind.
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Davon gleich nachher, wenn wir untersuchen, was unter einem Proletarier überhaupt zu verstehen ist. Trotz all solchen persönlichen Erlebnissen und Einzelwahrnehmungen dilettantischer Art ist nicht zu leugnen: die Zahl der am Kapitalismus Interessierten nimmt nicht ab, sondern sogar zu.
Was aber die Zahl der kapitalistischen Unternehmungen, der Betriebe, angeht, so kann eingeräumt werden, daß sie abnimmt; es muß nur hinzugefügt werden, daß diese Abnahme im ganzen eine so langsame und unbedeutende ist, und gar nicht die Tendenz zu rascher Progression zeigt, daß das Ende des Kapitalismus, wenn es wirklich von dieser Abnahme abhängen sollte, noch in Jahrtausenden nicht abzusehen wäre.
Die Frage des neuen Mittelstandes ist viel erörtert worden. Es ist aber gar nicht zu leugnen, daß er vorhanden ist. Es ist ja eben gar nirgends geschrieben, daß man unter Mittelstand nur selbständige Handwerker, Kaufleute, kleinere Bauern und Rentiers zu verstehen habe.
Wir können die Frage "Wer gehört zum Mittelstand?" ... verbinden mit jener andern: Wer ist ein Proletarier? -- Die Marxisten möchten gerne dabei bleiben, sie klammern sich mit aller Gewalt, wie an die letzte Rettungsplanke, daran, daß sie sagen: ein Angehöriger der besitzenden Klasse sei unabhängig und im Besitz seiner Arbeitsmittel und in Verfügung seiner eigenen Kundschaft; Proletarier sei ein jeder, der abhängig, nicht im Besitz seiner Arbeitsmittel sei und nicht selbständig seinen Abnehmern gegenüberstehe. Diese Erklärung ist gar nicht mehr aufrechtzuerhalten; sie führt zu ganz grotesken Resultaten.
Ich habe vor Jahren über diese Seite der Frage in einer öffentlichen Versammlung, die in einem der größten Berliner Säle stattfand, mit Clara Zetkin debattiert und habe sie gefragt: der Besitzer dieses Saales hier ist wahrscheinlich, wie die meisten Besitzer solcher Etablissements, durchaus abhängig von der Brauerei, die ihm das Bier liefert; diese Brauerei hat Hypotheken auf seinem Grundstück; er ist für Jahre hinaus verpflichtet, nur ihr Bier auszuschenken; die Tische, die Stühle, die Gläser sind das Eigentum der Brauerei; sein Einkommen beträgt jahraus, jahrein 30.000, 40.000, 50.000 Mark; es sind in dieser kapitalistischen Zeit Funktionen entstanden, für die die üblichen Bezeichnungen nicht ausreichen; er ist kein Angestellter, kein Agent, er ist selbständig, aber er ist nicht unabhängig; er ist nicht Eigentümer seiner Arbeitsmittel: Ist er ein Proletarier?
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Nicht jeder wird es gleich glauben wollen, aber ich habe darauf in der Tat die Antwort bekommen: jawohl, das sei ein Proletarier; auf die Lebenshaltung könne es nicht ankommen und auch nicht auf die gesellschaftliche Stellung, sondern nur auf das Eigentum an den Arbeitsmitteln und die Sicherheit; die Existenz aber dieses seiner Arbeitsmittel beraubten Mannes sei eine durchaus unsichere.
Ich hatte mir damals erlaubt, ganz schlicht und nicht eigentlich in wissenschaftlicher Sprache zu sagen, ein Proletarier sei, wer eine proletarische Lebenshaltung führe. Es gibt da natürlich alle möglichen Abstufungen; vom größten Elend über eine Existenz, die immer am Existenzminimum hinstreift, bis zu dem Arbeiter, der mit seiner Familie wohl oder übel leben kann, Zeiten der Arbeitslosigkeit übersteht, im großen und ganzen, ohne es zu wissen, durch Unterernährung sein Leben oder wenigstens seine und seiner Nachkommen Lebensintensitäten verkürzt und nie zu dem bescheidenen Überschuß an Einkünften gelangt, ohne den eine Teilnahme an Kunst, Schönheit, freier Heiterkeit nicht möglich ist.
So nimmt alle Welt das Wort Proletarier und so nehmen auch wir es. Noch mehr aber: so und nicht anders nehmen es in Wahrheit auch die Marxisten und können denn doch gar nicht anders. Nur diese Proletarier sind nicht am Kapitalismus, sondern an einer Wandlung der Zustände interessiert (wenn sie nämlich ihre Interessen vom Standpunkt der Gesamtheit auffassen), nur von diesen Proletariern kann das Wort gesprochen sein, sie hätten nichts zu verlieren, als ihre Ketten, sie hätten eine Welt zu gewinnen.
Schon in den oberen Schichten der Arbeiterschaft gibt es Berufe, die dem Proletariat nicht mehr völlig angehören. Manche Kategorien unter den Arbeitern des Buchgewerbes, manche Bauhandwerker müßten wir trotz ihrer verhältnismäßig hohen Löhne und günstigen Arbeitszeiten wegen der großen Unsicherheit ihrer Stellung und der also immer drohenden Arbeitslosigkeit doch noch zu den Proletariern rechnen, wenn sie nicht durch ihre eigenen Einrichtungen in ihren für die Zwecke der Lebensfürsorge innerhalb des Kapitalismus nicht genug zu schätzenden Gewerkschaften dafür gesorgt hätten, daß sie auch diese Zeiten leidlich überstehen. Doch ist zuzugeben, daß das eine Grenzgattung ist; und wegen der Gefahr, in den Fällen des Unfalls, der Invalidität und des Alters doch nicht genügend vor Entblößtheit gesichert zu sein, mag man sie doch noch zum Proletariat rechnen.
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Dagegen ist zu sagen, daß es in andern Schichten Menschen gibt, die bitter arm sind, aber nicht Proletarier genannt werden sollten. Dahin gehören arme Schriftsteller und Künstler, Ärzte, Offiziere und dergleichen.
Unter harten Entbehrungen oft haben sie oder ihre Eltern ihnen eine Form der Kultur gesichert, die sie oft nicht davor schützt, zu hungern oder hartes Brot oder die Gerichte der Volksküche zu essen; aber durch ihre äußeren Lebensgewohnheiten und ihren inneren Reichtum unterscheiden sie sich von den Proletariern und bilden, ob sie nun Einsame, Geordnete oder Zigeuner sind, eine kleine Klasse für sich, die übrigens schneller zuzunehmen scheint als das große Proletariat.
Einige von ihnen versinken manchmal, wenn sie ihren inneren Halt verloren haben, in die untersten Schichten des Proletariats, werden Pennbrüder, Landstreicher, Zuhälter, Hochstapler oder Gewohnheitsverbrecher.
Unter den umfangreichen Schichten derer jedoch, die in irgendeiner Form abhängig sind, finden sich sehr viele, die durchaus keine Proletarier sind. Kein Zweifel freilich, daß sich unter den kaufmännischen Angestellten z.B. viele finden, die sich weder außen noch innen sonderlich vom Proletariat unterscheiden. Das nämliche gilt von vielen Zeichnern, Technikern und dergleichen. Die Subalternbeamten bilden wieder eine Gattung für sich; sie sind von innen her mehr Sklaven als Proletarier zu nennen.
Zu welcher Gattung die Partei- und Gewerkschaftsbeamten gehören, bleibe unerledigt; sie kommen mehr durch ihren Einfluß als durch ihre Zahl in Betracht.
Nun haben wir aber eine große, eigentlich wachsende Zahl von solchen, die ohne Zweifel einen neuen Mittelstand bilden, sofern sie nicht zu den Wohlhabenden gehören. Kaufmännische Angestellte, Filial- und Abteilungsleiter, Direktoren und Generaldirektoren, Ingenieure und Oberingenieure, Agenten, Vertreter gehören dazu. Sie sind alle dergestalt am Kapitalismus beteiligt, daß weder mit ihrer Proletarisierung noch mit ihrer Revolutionierung auf Grund ihrer materiellen Lage und der durch diese bedingten Gesinnung zu rechnen ist. Nur um solche "Proletarier" aber kann es sich für den Marxismus handeln; die Tatsache, daß es Ausnahmemenschen oder Massen von Menschen in einer Ausnahmeverfassung gibt, wo es sich dann gar nicht mehr um eine so direkte, mechanische Beziehung von Gesinnung und Wollen zur äußern Lage handelt, läßt gerade der Marxismus außer acht und soll erst von uns wieder betont werden.
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Aber die Unsicherheit! Da ist zu sagen, daß die Unsicherheit für alle Angehörigen der kapitalistischen Gesellschaft besteht. Wir müssen eben da den Grad unterscheiden. Wir sprechen ja aber auch von bestimmten Schichten, die am Kapitalismus besonders interessiert sind und nennen sie in abgekürzter Redeweise Kapitalisten, während in Wahrheit wir alle ohne die geringste Ausnahme, solange der Kapitalismus besteht, an ihm beteiligt, in ihn verwoben und in Wahrheit kapitalistisch tätig sind, die Proletarier nicht ausgeschlossen.
So müssen wir auch hinsichtlich der Sicherheit läßlich unterscheiden und keine feste, sondern nur schwankende Grenzen ziehen, da es sich nicht um abstrakte Gebilde, sondern um geschichtlich gegebene Wirklichkeiten handelt. Für die vielen, die wir trotz ihrer Abhängigkeit, obwohl sie nicht über eigene Arbeitsmittel und eigene Kundschaft verfügen, zum neuen Mittelstand oder zu den Schichten der Begüterten rechnen, besteht eben normalerweise die Unsicherheit nur theoretisch, der nicht zu leugnenden Möglichkeit nach, wird aber nur ausnahmsweise praktisch.
Da die Marxisten aber in Wahrheit gar nicht Haarspaltereien treiben und Begriffe aufstellen, sondern ihren Erwartungen über Schicksal und Verhalten bestimmter Schichten einen in wissenschaftlicher Sprache gekleideten allgemeinen Ausdruck verleihen wollen, dürfen sie, wenn sie nicht lieber sich und ihre eigenen Wünsche betrügen und falsche Theorien bis zum letzten verteidigen wollen, nach den Aufklärungen, die ihnen geworden sind, gar nicht mehr leugnen, daß es eine sehr in Betracht kommende, langsam steigende Zahl Abhängige und Unselbständige gibt, die, alles in allem gerechnet, in ihrer Gesamtheit nie in Gefahr kommen, Proletarier zu werden.
Es scheint also jetzt schon, daß es um die Prophezeiungen der Marxisten übel steht. Und doch kann eingeräumt werden: sie waren einmal so wahr, wie ein Prophetenwort nur wahr sein kann.
Karl Marx war, obwohl er nur in seltenen Augenblicken der Erhöhung die echte Propheten- und Dichtersprache, meistens aber die Rede der Wissenschaft und nicht selten der wissenschaftlichen Gaukelei geführt hat, doch damals, als er zuerst auf Grund seiner Betrachtung des noch jugendlichen Kapitalismus seine Gedanken faßte und aussprach, ein echter Prophet.
Das heißt aber: Er war ein Warner. Er verkündete die Zukunft, die gekommen wäre, wenn es bei dem geblieben wäre, was er vor sich sah.
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Und auch insofern war er ein echter Prophet, einer von denen, die nicht bloß Warner, sondern auch Wirker sind, daß er selbst erheblich dazu beitrug, daß es nicht bei dem blieb, was seine Augen vor sich sahen, daß seine Warnungen Folgen hatten und daß es anders gekommen ist.
Seine Worte sagten, ohne daß er es so wußte: <Ihr Kapitalisten, wenn es so weitergeht mit der rasenden Ausbeutung, der schnellen Proletarisierung, der wilden Konkurrenz unter euch selbst, wenn ihr euch immer weiter so gegenseitig auffreßt, ins Proletariat stoßt und die Betriebe zusammenzieht, in ihrer Gesamtheit verringert, die einzelnen immer mehr vergrößert, dann muß es ein schnelles Ende nehmen!>
Es ist aber eben nicht so weitergegangen. Der Kapitalismus hat eine solche weitverzweigte Mannigfaltigkeit der Bedürfnisse geschaffen, so viel teuren, mittleren, billigen und Schundluxus zu befriedigen bekommen, die großen Industrien haben einen solchen Bedarf an Hilfsindustrien ins Leben gerufen, daß gar keine Form der Technik entbehrlich geworden ist, daß ganz neue Arten z.B. der Haus- und Dorfindustrien, der kleinen und mittleren Betriebe entstanden sind, daß selbst die Zahl der Hausierer und der Detailreisenden sich nicht vermindert hat, daß auch die Spezialgeschäfte, die kleinen und mittleren Verkaufsgeschäfte zwar auf manchen Gebieten verdrängt werden, dafür aber auf andern neue Möglichkeiten finden.
Mit dem Konkurrenzkampf ist es keineswegs nach dem abstrakten Schema oder der poetisch gesteigerten Verzweiflung immer schlimmer gekommen; wir sind noch mitten in der großen Bewegung der Vertrustung und Syndikalisierung, die zwar ohne Frage manchen kleinen Betrieben die Kundschaft und die Existenz nimmt, aber denn doch dafür sorgt, daß viele mittlere, große und ganz große ihre Gegenseitigkeit erkannt haben und sich gegen die Konsumenten verbünden, anstatt sich untereinander im Wettlauf um die Konsumenten totzurennen.
Und wir sehen auch, wie die Kleinen von ihnen lernen und ihre Vereine und Genossenschaften bilden, um sich behaupten zu können. Die Vereinigungen der selbständigen Tischler haben ihre großen Ausstellungsräume und konkurrieren mit dem Großunternehmer; die kleineren Kaufleute schließen sich zu Einkaufsringen oder zur Festsetzung von Einheitspreisen zusammen. Der Kapitalismus bewährt überall seine Lebendigkeit; und statt daß seine Formen in den Sozialismus überleiten, benutzt er im Gegenteil die echt sozialistische Form der Genossenschaft, der Gegenseitigkeit für seine Zwecke der Ausbeutung der Konsumenten und des Marktmonopols.
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Auch auf den Wegen der staatlichen Gesetzgebung ist dafür gesorgt worden, daß der Kapitalismus in den einzelnen Ländern recht kräftig am Leben blieb. Wie die Syndikate im Innern eines Landes dafür Sorge tragen, daß Unterbietung unterbleibt und Schmutzkonkurrenz nicht aufkommt, sorgt die Zollpolitik dafür, daß der Kapitalismus des einen Landes den des andern nicht niederringen kann; immer mehr geht die Tendenz der nationalen Zollgesetzgebungen und internationalen Abmachungen dahin, für die Gleichheit der Bedingungen auf dem Weltmarkt zu sorgen.
Diese Gleichheit der Bedingungen war im System des Freihandels nur scheinbar gegeben, weil die Bevölkerungen, die Lohnverhältnisse, die Zivilisationen, die Techniken, die Naturbedingungen und die Preise und Mengen der verfügbaren Rohstoffe in den einzelnen Ländern nicht gleich sind; die Zollpolitik hat die Tendenz, tatsächliche Ungleichheiten durch künstliche Regulationen auszugleichen. Das ist erst in den Anfängen; vorläufig geht es auf diesem Gebiet noch barbarisch zu; jeder Staat sucht noch seine momentane Macht auszunutzen; aber wohin die Tendenz geht, merkt man schon deutlich.
Der Staat hat übrigens auch sonst überall mehr oder weniger dafür gesorgt, daß die schlimmsten Schärfen des Kapitalismus abgeschliffen wurden. Man nennt das Sozialpolitik. Ohne Frage haben die Arbeiterschutzgesetze gegen die wüstesten Auswüchse des Kapitalismus, die Kinder- und Jugendlichenausbeutung, gewisse Sicherungen geschaffen; und auch sonst ist durch staatliches Eingreifen, Reglementieren und Vorsorgen die Lage der Proletarier im Kapitalismus und damit die Lage des Kapitalismus gebessert worden. Eben diese Wirkung haben auch die Arbeiterversicherungsgesetze, zumal für den Fall der Krankheit gehabt.
Wichtiger aber noch als diese tatsächlichen Wirkungen für den Kapitalismus waren die moralischen Ergebnisse dieser Gesetzgebung. Sie hat für die Masse nicht nur der Proletarier, sondern auch der Politiker die Unterschiede zwischen ihrem Zukunftsstaat und dem Gegenwartsstaat verwischt. Der Staat eroberte sich und seiner Polizei eine neue Machtsphäre: die Inspektion über die Fabriken, die Vermittlung zwischen Arbeitern und Unternehmern, die Sorge für kranke, alte, invalide Proletarier, den Schutz gegen die Gefahren des Betriebs nicht nur, sondern der abhängigen und unsicheren Lage. Die landesväterliche Haltung des Staates, das kindliche Vertrauen zum Staat und seiner Gesetzgebung ist gestärkt und gesteigert worden. Die revolutionäre Stimmung in den Massen und den politischen Partelen ist wesentlich geschwächt worden.
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Was die Unternehmer selbst taten, was der Staat besorgte, das förderten nun auch die Proletarier selbst nicht bloß durch ihre politische Mitarbeit an der staatlichen Gesetzgebung, sondern durch die Einrichtungen, die sie sich in eigener Solidarität schufen. Nicht umsonst haben Marx und Engels ursprünglich gar nichts von den Gewerkschaften wissen wollen. Sie hielten die Berufsverbände für nutzlose, schädliche Überreste aus der Zeit des Kleinbürgertums. Sie ahnten wohl auch, welche Rolle die Solidarität der Arbeiter als Produzenten zum Nutzen der kapitalistischen Bestandsicherheit einmal spielen könnte.
Aber sie konnten es keineswegs aufhalten, daß die Arbeiter sich nicht als von der Vorsehung erkorene Erlöser und Verwirklicher des Sozialismus gebärdeten, sondern als solche, die auch nur ein Leben haben und dieses Leben, das sie innerhalb des Kapitalismus zu führen genötigt sind, wohl oder übel so gut als möglich zu gestalten suchen.
So schützen sich denn also die Arbeiter durch ihr Kassenwesen für den Fall der Arbeitslosigkeit, der Wanderschaft, der Krankheit, manchmal auch des Alters und der plötzlichen Sterbefälle gegen die Not. Sie sorgen, wo sie gegen die Arbeitsnachweise der Unternehmer oder der Gemeinden oder privater Stellenvermittler aufkommen können, für schnelle und ihren Interessen entsprechende Arbeitsvermittlung. Sie haben angefangen, durch Tarifverträge, die beide Teile für längere Fristen binden, zwischen Unternehmern und Arbeitern gesicherte Beziehungen zu schaffen.
Sie haben sich von der Wirklichkeit und den Erfordernissen der Gegenwart treiben lassen und sind durch keinerlei Theorien und Parteiprogramme davon abzubringen gewesen. Die Parteiprogramme und Theorien haben vielmehr dem folgen müssen, was die Wirklichkeit des kapitalistischen Arbeitsverhältnisses an Auskunftsmitteln geschaffen hat. Allerlei Doktrinäre und Idealisten, aus verschiedenen Lagern, wollen die Arbeiter daran verhindern, durch zweckmäßige Behelfe für ihre armselige und öde Gegenwart zu sorgen; aber das kann natürlich keinen Erfolg haben. Die Arbeiter lassen es sich gerne in Massen gefallen, daß man sie in schmeichlerischen und anbetenden Worten als die revolutionäre Klasse bezeichnet; aber man macht sie damit nicht zu Revolutionären.
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Revolutionäre gibt es nur in Massen, wenn es eine Revolution gibt; einer der schlimmsten Irrtümer der Marxisten, mögen sie sich Sozialdemokraten oder Anarchisten nennen, ist die Meinung, auf dem Wege über Revolutionäre könne man zur Revolution kommen, während man umgekehrt nur auf dem Wege der Revolution zu Revolutionären kommt. Ein paar Jahrzehnte lang Reinkulturen von Revolutionären schaffen, vermehren und beisammen halten wollen, um sie für den Fall der Revolution doch einmal sicher in der rechten Zahl zu haben, ist ein echt deutscher, kindisch pedantischer und schulmeisterlicher Einfall. Um die Revolutionäre braucht man nicht bange zu sein; sie entstehen wirklich in einer Art Urzeugung — wenn nämlich die Revolution kommt. Damit die Revolution, ein gestaltendes Neue aber kommt, müssen die neuen Bedingungen geschaffen werden.
Am besten werden sie von Unbefangenen geschaffen, von denen, die man wohl Optimisten nennt (obwohl sie es nicht zu sein brauchen), von solchen, die es noch gar nicht für ausgemacht halten, daß es zur Revolution kommen muß, die so innig von der Notwendigkeit und Gerechtigkeit ihrer neuen Sache erfüllt sind, daß sie Hindernisse und Gefahren gar nicht als unüberwindlich und unvermeidlich sehen.
Von solchen, die nicht die Revolution, im besten Falle ein Mittel, wollen, sondern eine bestimmte Wirklichkeit, die ihr Ziel ist. Geschichtliche Erinnerungen können Schlimmes zustande bringen, wenn Menschen sich etwa als alte Römer oder Jakobiner drapieren, während sie ganz andere Aufgaben zu vollbringen haben; aber noch schlimmer ist diese Sorte Geschichtswissenschaft, die der verhegelte Marxismus gebracht hat. Wer weiß, wie lange wir schon die Revolution hinter uns hätten, wenn wir gar nie an eine bevorstehende gedacht hätten.
Der Marxismus hat uns eine Art Gang gebracht, die an keine der vorhandenen Schrittarten erinnert, nicht einmal an die Echternacher Springprozession, bei der man immer zwei Schritte vorwärts und einen zurückspringt, wobei es also doch immer noch eine Vorwärtsbewegung gibt. Beim Marxismus aber macht man zielbewußte Scheinbewegungen dem Ziele der Revolution zu und entfernt sich gerade dadurch immer mehr von ihr.
Es stellt sich heraus, daß das Ins-Auge-fassen der Revolution in seinem Ergebnis immer dem Bangen vor ihr gleichkommt. Es ist zu raten, beim eigenen Handeln nicht an das, was verhängt sein kann, zu denken, sondern an das, was zu tun ist. Die Forderung des Tages ist zu erfüllen: gerade von denen, die recht weithin, recht grundlegend und grundstürzend das Werk ihres Herzens, ihrer Sehnsucht, ihrer Gerechtigkeit und ihrer Phantasie bauen wollen.
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Ganz anderes freilich müssen sie bauen, als die Flickwerke am Kapitalismus, wie wir sie, als Unternehmungen der Unternehmer, des Staats und der Arbeiter selbst, in diesen letzten Jahrzehnten beobachtet und jetzt eben in ihrem Zusammenhang schnell vorgeführt haben.
In diesen Zusammenhang hinein gehört auch der Kampf der Arbeiter in ihren Produzentenorganisationen, den Gewerkschaften, zur Verbesserung ihrer Lebenslage und ihrer Arbeitsbedingungen. Wir haben gesehen, wie die Arbeiter als Produzenten, durch ihr Kassenwesen, regulierend in das eingreifen, was die Marxisten als Verhängnis und unabwendbar bezeichnen. Daneben ist aber eine Hauptaufgabe der Gewerkschaften immer noch der Kampf um höhere Löhne und Verkürzung der Arbeitszeiten auf den Wegen der Unterhandlung und des Streiks.
In dem Kampf um die Erhöhung der Löhne handelt es sich in Wahrheit um den Kampf einzelner, wenn auch vieler und geschlossen auftretender Produzenten gegen die Gesamtheit der Konsumenten; und, da jeder einmal in diesen Produzentenkampf eintritt: um den Kampf der Arbeiter gegen sich selbst. Die Arbeiter und ihre Organisationen sind in durchaus dilettantischer Art geneigt, das Geld, den Lohn, den sie empfangen, für eine absolute Größe zu nehmen. Es ist kein Zweifel, daß 5 Mark mehr sind als 3 Mark; und so ist es dem Arbeiter freilich zu gönnen und nachzufühlen, daß er sich freut, daß er gestern nur 3 Mark, von heute ab aber 5 Mark Arbeitslohn täglich empfängt. Die Frage ist nur, ob er heut übers Jahr und über 3, 5, 10 Jahre auch noch Grund zum Vergnügen hat. Denn Geld ist nur der Ausdruck der Beziehungen der Preise und Löhne zueinander; es kommt alles auf die Kaufkraft des Geldes an.
Selbstverständlich werden aber durch die Erhöhung der Löhne, genau ebenso wie durch andere Steuern und Zölle, die Preise der Waren erhöht. Natürlich ist nun der Klavierarbeiter geneigt, folgendermaßen zu argumentieren: Was liegt mir viel daran, daß die Klaviere teurer geworden sind! Ich bekomme höheren Lohn und kaufe mir kein Klavier, sondern Brot, Fleisch, Kleider, Wohnung usw. Und selbst der Weber z.B. kann sagen: Wenn auch die Stoffe, die ich kaufen muß, teurer werden; ich habe nur einen kleinen Teil meines Bedarfs verteuert, habe aber meinen ganzen Lohn, mit dem ich meinen ganzen Bedarf decke, vergrößert.
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Die Antwort auf diese und alle ähnlichen Einwendungen des privaten Egoismus sei gleich in der grundsätzlichen, umfassenden Form gegeben, die wir P. J. Proudhon verdanken. "Was in ökonomischen Dingen für den einfachen Privatmann Geltung hat, wird in dem Augenblick falsch, wo man es auf die ganze Gesellschaft ausdehnen will."
Die Arbeiter benehmen sich in ihren Lohnkämpfen durchaus, wie sie sich als Teilhaber der kapitalistischen Gesellschaft benehmen müssen: als Egoisten, die mit dem Ellbogen kämpfen, und, da sie allein nichts ausrichten könnten, als organisierte, vereinigte Egoisten. Organisiert und vereinigt sind sie als Branchengenossen. Alle diese Branchenvereinigungen zusammen bilden die Gesamtheit der Arbeiter in ihrer Rolle als Produzenten für den kapitalistischen Warenmarkt. In dieser Rolle führen sie einen Kampf, wie sie meinen, gegen die kapitalistischen Unternehmer, in Wahrheit aber gegen sich selbst in ihrer Wirklichkeit als Konsumenten.
Der sogenannte Kapitalist ist nicht eine feste, greifbare Gestalt: er ist ein Vermittler, an dem freilich viel hängen bleibt, aber die Hiebe, die ihm der als Produzent kämpfende Arbeiter versetzen will, bleiben nicht an ihm hängen. Der Arbeiter schlägt zu, schlägt wie durch ein durchlässiges Scheingebilde hindurch und trifft sich selbst.
In den Kämpfen innerhalb des Kapitalismus können die immer nur wirkliche Siege, d.h. bleibende Vorteile erringen, die als Kapitalisten kämpfen. Ist ein Ingenieur, ein Direktor, ein kaufmännischer Angestellter seinem Chef oder seiner Aktiengesellschaft vermöge seiner persönlichen Tüchtigkeit oder seines Wissens um Geschäftsgeheimnisse unentbehrlich, so kann er etwa eines Tages sagen: Bisher habe ich 20.000 M. Gehalt, gib mir 100.000, sonst gehe ich zur Konkurrenz! Wenn er das durchsetzt, hat er vielleicht für die Zeit seines Lebens einen endgültigen Sieg errungen; er ist als Kapitalist vorgegangen; Egoismus hat mit Egoismus gekämpft. So kann auch manchmal ein einzelner Arbeiter sich unentbehrlich machen, seine Lebenshaltung verbessern oder ganz in den Bezirk des Reichtums eingehen. Sowie die Arbeiter aber in ihren Gewerkschaften kämpfen, machen sie sich zu Nummern, deren jede persönlich bedeutungslos ist. Sie akzeptieren damit ihre Rolle als Maschinenteile, sie agieren nur noch als Teile der Gesamtheit und die Gesamtheit reagiert gegen sie.
Die Arbeiter bewirken also durch ihren Produzentenkampf eine Verteuerung der Herstellung aller Artikel.
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Diese Verteuerung, auch wenn es sich zum Teil um Luxusartikel handelt, bewirkt doch eine Erhöhung der Preise vor allem in den Artikeln des notwendigen Massenbedarfs. Und zwar nicht eine verhältnismäßige, sondern eine unverhältnismäßige Erhöhung. Bei steigenden Löhnen steigen die Preise unverhältnismäßig hoch; bei sinkenden Löhnen dagegen sinken die Preise unverhältnismäßig langsam und wenig.
Es ergibt sich: auf die Dauer und im Ganzen muß der Kampf der Arbeiter in ihrer Rolle als Produzenten die Arbeiter in ihrer Wirklichkeit als Konsumenten schädigen.
Hier wird nicht im geringsten gesagt, die ungemeine Verteuerung des Lebens, die Erschwerung des Lebens für viele komme ganz oder auch nur zur Hauptsache auf Rechnung der Arbeiter selbst. Es hat viel zusammengewirkt, und immer war der Egoismus schuld, der keine Gesamtwirtschaft und damit keine Kultur kennt. Einer dieser Faktoren war der Kampf der Produzenten, die sich mit diesem Kampf ausdrücklich darein gefunden haben, Glieder des Kapitalismus, aber auf seiner untersten Stufe zu sein. Alles, was die Kapitalisten als Kapitalisten tun, ist gemein; was die Arbeiter als Kapitalisten tun, ist proletarisch gemein. Natürlich ist damit nur gesagt, daß sie sich in eine gemeine Rolle gefunden haben; das ändert nichts daran, daß sie außerhalb und innerhalb dieser Rolle brav, wacker, edelmütig, heldenhaft sein können. Auch Räuber können heldenhaft sein; die Arbeiter aber in ihrem Kampfe um Lohn- und Preiserhöhung sind Räuber, ohne es zu wissen, Räuber an sich selbst.
Man wird bemerken wollen, die Gewerkschaften kämpften mit den Streiks gar nicht bloß um Lohnerhöhung, sondern auch um Verkürzung der Arbeitszeit, aus Solidarität mit Gemaßregelten, um ihre Arbeitsnachweise usw.
Darauf ist zu erwidern, daß in diesem Zusammenhang aber lediglich von der Wirkung der Lohnerhöhung die Rede sein sollte, und daß der uns seltsam mißverstehen würde, der meinte, es solle hier ein Kampf gegen die Gewerkschaften geführt werden. O nein! Es wird anerkannt, daß die Gewerkschaft eine durchaus notwendige Organisation innerhalb des Kapitalismus ist. Man verstehe doch endlich, was hier überhaupt gesagt wird.*
Hier wird anerkannt, daß die Arbeiter nicht eine revolutionäre Klasse, sondern ein Haufen armer Schlucker sind, die im Kapitalismus leben und sterben müssen.
* OD: Vielleicht eine Antwort auf einen uns unbekannten Zwischenruf aus dem Publikum.
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Hier wird zugegeben, daß für den Arbeiter die "Sozialpolitik" des Staats, der Gemeinden, die proletarische Politik der Arbeiterpartei, der proletarische Kampf der Gewerkschaften, das Kassenwesen der Gewerkschaften Notwendigkeiten sind. Es wird auch eingeräumt, daß die armen Arbeiter gar nicht immer in der Lage sind, die Interessen der Gesamtheit, auch nur der Gesamtheit der Arbeiterschaft zu wahren. Die Branchen müssen ihren egoistischen Kampf führen; denn jede Branche ist ja gegenüber allen andern eine Minderheit und muß sich angesichts der steigenden Verteuerung der Lebensmittel ihrer Haut wehren.
Aber alles, was hier anerkannt, zugegeben, eingeräumt wird, sind lauter Schläge für den Marxismus, der ja die Arbeiter in ihrer Rolle als Produzenten nicht als die armselige unterste Stufe des Kapitalismus, sondern als die vom Schicksal erkorenen Träger der Revolution und des Sozialismus auffassen will.
Dagegen wird hier gesagt: Nein! — All diese Dinge sind im Kapitalismus notwendig, solange es die Arbeiter nicht verstehen, aus dem Kapitalismus auszutreten. Aber es führt das alles nur immer im zwingenden Kreise des Kapitalismus herum; es kann alles, was innerhalb der kapitalistischen Produktion geschieht, nur immer tiefer in sie hinein, aber nie aus ihr herausführen.
Wir wollen dieselbe Sache noch einmal kurz von einer andern Seite betrachten. Die Kapitalisten begehen, wie Marx und andere ausführlich und in vielen wertvollen Einzeldarstellungen gezeigt haben, gegen die Arbeiter eine Erpressung: ihr habt, sagen sie durch die Tat, keine Arbeitsmittel und Werkstätten und Betriebsmittel, ihr seid in großer Zahl da, oft mehr als wir brauchen: arbeitet für den Lohn, den wir bieten.
Solange die Kapitalisten bloß einig sind — ohne dafür einer Vereinbarung zu bedürfen — in diesem Verhalten gegen die Arbeiter, unter einander aber national und international in heftiger Konkurrenz liegen, ergeben sich aus diesen zwei Tatsachenreihen: niedrige Löhne und billige Preise. Vereinigen sich nun die Arbeiter, um notgedrungen und rechtmäßig mit der Erpressung zu antworten: wir arbeiten alle nicht, wenn ihr nicht höhere Löhne zahlt, dann ergeben sich: höhere Löhne und teure Preise.
Vereinigen sich dem gegenüber nun wieder die Kapitalisten, erstens zur gegenseitigen Unterstützung und Versicherung gegen die Pression der Arbeiter, zweitens zu Kartellen zwecks Preisfestsetzung, so wird die Erhöhung der Löhne sogar immer schwerer, die Erhöhung der Preise immer leichter vor sich gehen.
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Dazu kommt noch die Sicherung gegen billige ausländische Konkurrenz durch Zölle; manchmal auch Einfuhr billiger, anspruchsloser Arbeitskräfte aus dem Ausland oder wenigstens vom Lande, oder auch Ersatz der männlichen Arbeiter durch weibliche, der gelernten durch ungelernte, der Handarbeit durch Maschinenarbeit. Man sieht, der Kapitalismus ist allewege im Vorteil, solange die Arbeiter bloß auf die Löhne, aber nicht auch zugleich auf die Preise Einfluß üben können.
Wenn daher die Arbeiter in ihrer Rolle als Produzenten für den kapitalistischen Warenmarkt bleiben, aber trotzdem radikal ihre Lage verbessern, d.h. dem Kapital einen Teil seiner Erträge nehmen, für sich nehmen wollen, bleibt ihnen nichts übrig, als auf möglichst hohe Löhne und möglichst niedrige Preise zugleich abzuzielen. Auf dem Wege der Selbsthilfe können sie bis zu einem gewissen Grade auch innerhalb des Kapitalismus in dieser Richtung vorgehen: wenn sie eine Organisationsform des Sozialismus, die Genossenschaft, in den Dienst ihres Konsums stellen und so für einen Teil ihrer Lebensbedürfnisse — auf den Gebieten der Nahrung, Wohnung, Kleidung, Hauswirtschaft, usw. — einen Teil des Zwischenhandels ausschalten. So haben die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter mit relativ hohen Löhnen Aussicht, einen Teil ihrer Erfolge wirklich zu genießen, wenn sie ihre Bedürfnisse in ihren Konsumgenossenschaften (auch Wohnungsgenossenschaften sind Konsumgenossenschaften) zu relativ niedrigen Preisen decken.
Ein anderer, radikalerer Weg zur Oberleitung eines Teils der kapitalistischen Erträge in die Hände der Arbeiter, d. h. zur Vermögenskonfiskation ist die gleichzeitige Festsetzung von Minimallöhnen und Maximalpreisen durch die Gesetzgebung des Staats oder der Gemeinde. Das war das Mittel der mittelalterlichen Kommunen und es ist auch - ohne rechten Erfolg - in der französischen Revolution mehr vorgeschlagen als wirklich versucht worden. Sehen wir von der Kommunalpolitik des Mittelalters ab, wo es sich um ganz andere Verhältnisse, um wirkliche Kultur und Gemeinschaft gehandelt hat, so ist zu sagen: solche Vermögenskonfiskation ist revolutionäre Klassenpolitik, die sich vielleicht in gewaltsamen Übergangszeiten vorübergehend empfiehlt, ist aber höchstens ein Stückchen Weg zum Sozialismus, ist nicht Sozialismus, da Sozialismus eben nicht eine gewalttätige Operation, sondern bleibende Gesundheit ist.
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Auf beiden Wegen — dem der Verquickung von Gewerkschaftslohn und Genossenschaftspreis und dem der gleichzeitigen Festsetzung von hohen Löhnen und niedrigen Preisen — liegt aber eine dilettantische und nur übergangsmäßige Vermengung von Kapitalismus und Sozialismus vor. Die Organisation des Konsums ist ein Anfang des Sozialismus; der Kampf der Produzenten ist eine Verfallserscheinung des Kapitalismus. Hohe Löhne und niedrige Preise in ihrer Gleichzeitigkeit sind eine erschreckende Unstimmigkeit, und eine kapitalistische Gesellschaft könnte die gleichzeitige Wirkung einer starken Gewerkschafts- und geschlossenen Konsumgenossenschaftsbewegung ebensowenig aushalten wie die obrigkeitliche Anbefehlung von hohen Löhnen und niedrigen Preisen.
Solcher Zwangskurs des Geldes — um nichts anderes handelte es sich in beiden Fällen — würde eine furchtbare Explosion vorbereiten und wäre der Anfang des Staats- und Gesellschaftsbankrotts.
Das könnte einen Wink für Gewaltrevolutionäre abgeben; aber selbstverständlich würde auch diesmal der Kapitalismus sich seiner Haut wehren: wir sehen ja auch heute, wie Gewerkschafts- und Genossenschaftsbewegung mit scheelen Augen betrachtet werden. Die eine ist immer das Element der revolutionären Beunruhigung und hat die Tendenz zum Generalstreik in sich; die andere ist ein wenn auch überaus bescheidener und seiner selbst nicht bewußter Anfang zum Sozialismus. Würden sie stärker um sich greifen und sich ihrer Zusammengehörigkeit bewußt werden, so wäre eine so erstickende Stockung in bedrohlicher Nähe, daß ein Ventil geöffnet und die Koalition auf beiden wirtschaftlichen Gebieten eingeschränkt oder unmöglich gemacht werden würde.
Bei hohen Löhnen und niedrigen Preisen ist jeder Gesellschaft das Leben unmöglich gemacht; genauso unmöglich wie bei niedrigen Löhnen und hohen Preisen. In Zeiten des relativen Friedens werden es sich Kapitalisten und Arbeiter in ihrem verblendeten Privategoismus nicht nehmen lassen, für hohe Preise und hohe Gehälter und Löhne zu sorgen und damit die Luxusgier und Unbefriedigung, die Unlust des Lebens, die Schwierigkeit der Geldbeschaffung, die Stockung, die chronische Krise und den trägen Umlauf immer mehr ins Werk zu setzen; im Zeitpunkt der Revolution wird die Tendenz, die Proudhon anno 48 so großartig, wenn auch erfolglos propagiert hat: niedrige Preise! niedrige Bezüge! niedrige Löhne! hoffentlich das nächste Mal durchdringen. Sie würde Freiheit, Beweglichkeit, heitere Laune, rascheren Umlauf, Leichtigkeit des Lebens, bescheidene Freuden, schlichte Harmlosigkeit im Gefolge haben.
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Man darf übrigens die Voraussage, was Staat und Kapitalismus tun würden, tun müßten, wenn sie von dem abnormen Verein einer starken Produzenten- und Konsumentenbewegung bedrängt würden, durchaus nicht so verstehen, als ob sie eine Warnung an die Adresse der Arbeiter sei, nach dem beliebten Muster: Was sollen wir erst anfangen? der Staat wird's ja doch verbieten!
Solche Warnung ist nicht unsre Art und unser Amt. Mag immerhin zu vermuten sein, daß andre tun, was ihrer Rolle entspricht; das kann abgewartet werden und braucht einen nicht zu kümmern. Wer also die Aufgabe zu haben glaubt, dafür zu sorgen, daß die Kapitalisten immer weniger von den Arbeitern einnehmen und immer mehr an die Arbeiter ausgeben, hat nun von uns erfahren, daß dafür eine starke Konsumorganisation im Verein mit einem sich durchsetzenden Gewerkschaftskampf die gebotene Waffe ist.
Denn auf das Gegenstück, die behördliche Lohn- und Preisfestsetzung wird kaum einer große Hoffnungen setzen wollen und ebensowenig auf einen Versuch, der ja auch hierher gehörte: den Einkommensüberschuß der Kapitalisten durch die Steuer konfiszieren und ihn durch geeignete Mittel ins Proletariat, etwa in die Arbeiterassoziationen fließen zu lassen. Das ist ebenfalls ein lediglich revolutionäres Mittel, das pfuscherhaft und dilettantisch ist und zu dem man nur ganz vorübergehend im Übergang seine Zuflucht nehmen könnte. Ähnliches ist ja denn auch ohne Erfolg in der Konventszeit hie und da versucht und auch bald nach 1848 von Herrn von Girardin in Frankreich vorgeschlagen worden. Auch Lassalles politisches Treiben und Drängen bewegte sich in dieser Richtung.
Wir also warnen nicht vor dem eigentümlichen Versuch, durch eine Verquickung von Revolution und Sozialismus, von Kampf und Aufbau die Stockung und Verstopfung in die Gesellschaft zu bringen. Wir müssen nur sagen, daß es heute noch lange nicht soweit ist und daß die Konsumgenossenschaften, wie wir sie heute haben, die ein kümmerlicher Anfang des Sozialismus sind, ohne es zu wissen, nicht im geringsten dazu angetan sind, dem Kapitalismus irgendwie ernsthaft die Preise zu verderben oder die Abnehmer zu nehmen. Das also ist vor allem die Aufgabe derer, die zum Sozialismus aufrufen: zu sagen, daß der Sozialismus beginnen muß, um zu kommen, daß er beim Konsum einzig und allein beginnen kann.
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Davon bald. Hier war die Aufgabe, zu zeigen, daß aller einseitige Kampf und alle Betätigung auf dem Gebiete der kapitalistischen Produktion, alles Vorgehen also der Produzenten ein Stück Geschichte des Kapitalismus ist und nichts überdies.
Weil wir aber doch schon dahin gekommen sind, die Betätigung der Produzenten in den Gewerkschaften, die wirtschaftliche Selbsthilfe der Arbeiter und ihren dadurch erzielten Druck zum Behuf gesetzlicher Regulierungen auf den Staat zu beschreiben und zu kritisieren, soll auch noch auf zwei andere wichtige Aufgaben dieser Organisationen und ihre Kämpfe kurz eingegangen werden. Hauptaufgaben der Gewerkschaften sind noch die Durchsetzung der Verkürzung der Arbeitszeiten und eine Änderung im Lohnwesen, die damit doch wohl in inniger Verbindung steht, nämlich der Ersatz des Stück- und Akkordlohns durch den Taglohn. Der Stück- und Akkordlohn ist eine Bezahlung nach dem Verhältnis der Arbeit zur Menge und Qualität des erzielten Produkts.
Es ist zu sagen, daß man in einer gerechten Tauschwirtschaft immer wieder auf diese An des Arbeitslohnes zurückkommen wird; daß es aber in einer Gesellschaft der Ungerechtigkeit gegen den Menschen, der Vernachlässigung seiner notwendigsten Bedürfnisse kaum Schlimmeres geben kann als die Verschärfung dieser Ungerechtigkeit durch die Gerechtigkeit gegen die Sachen. Unter dem Regiment des Kapitalismus kann es der Arbeiter nicht ertragen, daß irgendein anderes Prinzip sein Einkommen bestimmt als sein Bedürfnis.
Da es nun zum Bedürfnis seines Leibes und Lebens nicht nur gehört, so viel Lohn zu erhalten, daß er und seine Familie existieren können, sondern auch, daß er sich nicht durch übermäßige Arbeitszeiten um Gesundheit, Schlaf und Muße bringt, bietet ihm sein Kampf um Verkürzung der Arbeitszeit einen neuen Grund, sich gegen Stück- und Akkordlohn zu wehren: denn die Verkürzung der Arbeitszeit soll sein Einkommen nicht verringern und soll ihn nicht zu maßloser Steigerung der Intensität der Arbeit nötigen.
Darum übrigens ist es auch bedenklich, daß in manchen Berufen, z.B. in denen des Baugewerbes nicht ein Taglohn, sondern ein Stundenlohn bezahlt wird; die Arbeiter sind dadurch genötigt, bei jedem Kampf um Verkürzung der Arbeitszeit gleichzeitig um Erhöhung des Stundenlohns zu kämpfen, und oft geht ein solcher Streit mit einem Kompromiß zu Ende: sie erreichen das eine und müssen im andern nachgeben, verkürzen also z.B. gleichzeitig ihre Arbeitszeit und ihr tatsächliches Einkommen. Darum müßten die Arbeiter überall unterm Kapitalismus nicht nur den Stück- und Akkordlohn, sondern auch den Stundenlohn bekämpfen.
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Taglohn! muß die Forderung des kapitalistischen Arbeiters sein. In ihr kommt für jeden, der ein Ohr für die Stimme der Kultur oder der Niedrigkeit hat, mit scharfer Deutlichkeit zum Ausdruck, daß der Arbeiter kein freier Mann ist, der auf den Markt des Lebens tritt und Güter tauscht, sondern daß er ein Sklave ist, dem der Lebensunterhalt vom Herrn gewährt und von der Gesellschaft garantiert werden muß. Unter dem Regiment des Taglohns besteht kein ausgesprochenes Verhältnis der Arbeit zu der Menge und Qualität ihrer Produkte, besteht nicht Tausch gegen Tausch; es besteht nur die Notdurft, die nach Unterhalt begehrt. Auch hier also wieder sehen wir: der Arbeiter muß in der kapitalistischen Welt für eine kapitalistische, für eine kulturwidrige Einrichtung eintreten, um der Erhaltung seiner Existenz willen; die Not und die Rolle als Produzent machen ihn zum Helfershelfer und zum Leibeigenen des Kapitalismus.
Der Kampf des gewerkschaftlich organisierten Arbeiters um seine eigene Taglöhnerschaft hat sein Gegenstück im Staatsleben: nämlich im Kampf des politisch kämpfenden Arbeiters um die geheime Abstimmung. So unwürdig es ist, in der Form des Taglohns den Unterhalt des Lebens zu empfangen, statt Produkt gegen Produkt zu tauschen, d.h. Produktpreis oder -lohn zu erhalten, so erbärmlich ist es, sein Recht und seine Pflicht gegen die Gemeinschaft aus Furcht im Versteck, im Wahlklosett auszuüben. Das war der Grund, warum M. von Egidy für die öffentliche Wahl eintrat: er wollte, daß es keine üblen Folgen für den Freien und Aufrechten geben könnte.
Doch war das eine Donquixoterie des edlen Mannes; heutigen Tages muß der Arbeiter Tagelöhner sein wollen und muß der Staatsbürger ein ängstlicher Helot sein wollen; es ist unmöglich, an den Einzelerscheinungen, an den unablösbaren Symptomen der kapitalistischen Wirtschaft und des kapitalistischen Staats die Kur beginnen zu wollen. Der Arbeiter muß für sein Leben sorgen; und sein Leben wäre bedroht, wenn er zum Wählen nicht ins verschlossene Klosett ginge; sein Leben wäre gefährdet, wenn er nicht Taglohn empfinge. Das alles und alles, wovon wir hier sprechen, sind Notwendigkeiten des Lebens, solange wir nicht aus dem Kapitalismus austreten; sind aber freilich nichts weniger als Mittel und Wege des Sozialismus.
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Die Verkürzung der Arbeitszeit hat zwei Seiten, auf deren eine oft hingewiesen wird, während die andre, soviel ich sehe, nicht recht beachtet wird. Die Verkürzung der Arbeitszeit ist erstens nötig, um den Arbeiter bei Kräften zu erhalten; und hier, wo es unsre Aufgabe ist, um des Sozialismus willen die Gewerkschaften, diese notwendige Kampf- und Reguliereinrichtung des Kapitalismus, nicht etwa zu bekämpfen, dies freilich wäre mehr als töricht, wäre fast verbrecherisch, weil ja, um des Wohles der jetzt lebenden Menschen willen, durchaus nicht jede Einzelerscheinung des Kapitalismus bekämpft werden darf, wohl aber kühl und sachlich zu kritisieren, hier, sage ich, soll einen Augenblick lang innegehalten werden, um den Gewerkschaften verdienten Dank zu sagen für ihr schönstes Tun.
Sie haben in allen Ländern den Arbeitern die Zeit der Mühe, der Arbeit an Dingen, die sie oft nicht interessieren, in Betrieben, die sie müde und unlustig machen, mit Techniken, die sie aufs äußerste anspannen und ihre Tätigkeit geistlos und tödlich langweilig machen, verkürzt. Dank und Lob sei ihnen; wie vielen haben sie Gelegenheit zur Erholung am Feierabend, zu einem schönen Familienleben, zu den billig zu erreichenden edlen Freuden des Lebens schöner und belehrender Bücher und Schriften, zur Beteiligung am öffentlichen Leben gegeben. Wie vielen – und wie wenigen!
Erst in den letzten Jahren ist begonnen worden, und auch da meistens mit unzulänglichen, oft mit lächerlich öden und parteiamtlichen Mitteln, auch etwas für die rechte Ausfüllung der gewonnenen Stunden zu tun.
Zusammen mit dem Kampf gegen die langen Arbeitszeiten müßten die Gewerkschaften den Kampf gegen das furchtbar verheerende Saufen führen; sie müßten als ihre Pflicht betrachten, sich nicht nur um den produzierenden, sondern auch um den ruhenden und feiernden Arbeiter zu kümmern.
Da ist noch viel zu tun, und ist viel Gelegenheit zur Mitarbeit der Künstler, der Dichter, der Denker in unserm Volke. Wir dürfen nicht nur zum Sozialismus aufrufen; wir dürfen nicht bloß der Stimme der Idee folgen und in die Zukunft hineinbauen; um des Geistes willen, der uns Körper und Gestalt werden soll, müssen wir uns den lebendigen Menschen unsres Volkes zuwenden, den Erwachsenen und den Kindern, und unser alles tun, damit ihr Leib und ihr Geist stark und fein, fest und schmiegsam werde. Und dann mit diesen lebendigen Menschen zum Sozialismus!
Ja nicht aber so mißverstehe man das, als solle man ihnen irgendeine bestimmte, eine sogenannte sozialistische Kunst oder Wissenschaft oder Bildung geben.
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O' weh, was wird da mit Parteitraktätchen und tendenziösem Schrifttum für Unfug getrieben und wie viel wertvoller und natürlich auch freier ist zum Beispiel die sogenannte bürgerliche Wissenschaft als die sozialdemokratische!
All solche Versuche führen zum Amtlichen, Offiziösen, Behördlichen. Es ist ein großer Fehler, an dem alle marxistischen Richtungen, die sozialdemokratische wie die anarchistische, ihren Anteil haben, daß in den Kreisen der Arbeiter alles Stille und Ewige mißachtet und nicht gekannt ist, während dagegen das Agitatorische und das oberflächliche Tagesgeschrei überschätzt wird und in greller Blüte steht.
Ich selbst habe jüngst in einer größeren Stadt Deutschlands, wo ich zehn Vorträge zur deutschen Literatur hielt, die von einer sozialdemokratischen Vereinigung veranstaltet und von Mitgliedern der Gewerkschaften besucht waren, erlebt, wie nach einem Vortrag anarchistische Arbeiter in den Saal kamen, den sie vorher gemieden hatten, um mich aufzufordern, ihnen doch einmal einen Vortrag zu halten!
Damals habe ich mir vorgenommen, ihnen hier die Antwort zu geben, die lautet: ich habe diesen Vortrag gehalten, als ich über Goethe, als ich über Hölderlin und Novalis, als ich über Stifter und Hebbel, als ich über Dehmel und Liliencron und Heinrich von Reder und Christian Wagner und manche andern sprach; ihr aber habt es nicht hören wollen, weil ihr nicht wisset, daß die Stimme der Menschenschönheit, die zu uns kommen soll, der starke und gefaßte Rhythmus und Einklang des Lebens im Brausen des Sturmes nicht mehr als im sanften Ziehen beruhigter Lüfte und in dem heiligen Stillstand der Unbewegtheit zu finden ist.
Adalbert Stifter:
"Das Wehen der Luft, das Rieseln des Wassers, das Wachsen der Getreide, das Wogen des Meeres, das Grünen der Erde, das Glänzen des Himmels, das Schimmern der Gestirne halte ich für groß: das prächtig einherziehende Gewitter, den Blitz, welcher Häuser spaltet, den Sturm, der die Brandung treibt, den feuerspeienden Berg, das Erdbeben, welches Länder verschüttet, halte ich nicht für größer als obige Erscheinungen, ja, ich halte sie für kleiner, weil sie nur Wirkungen viel höherer Gesetze sind ...
Wir wollen das sanfte Gesetz zu erblicken suchen, wodurch das menschliche Geschlecht geleitet wird ... Das Gesetz der Gerechtigkeit, das Gesetz der Sitte, das Gesetz, das will, daß jeder geachtet, geehrt, ungefährdet nach dem andern bestehe, daß er seine höhere menschliche Laufbahn gehen könne, sich Liebe und Bewunderung seiner Mitmenschen erwerbe, daß er als Kleinod gehütet werde, wie jeder Mensch ein Kleinod für alle andern
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Menschen ist, dieses Gesetz liegt überall, wo Menschen neben Menschen wohnen, und es zeigt sich, wenn Menschen gegen Menschen wirken. Es liegt in der Liebe der Ehegatten zu einander, in der Liebe der Eltern zu den Kindern, der Kinder zu den Eltern, in der Liebe der Geschwister, der Freunde zu einander, in der süßen Neigung beider Geschlechter, in der Arbeitsamkeit, wodurch wir erhalten werden, in der Tätigkeit, wodurch man für seinen Kreis, für die Ferne, für die Menschheit wirkt ..."
So ist auch der Sozialismus, zu dem hier laut gerufen, von dem hier in Stille geredet wird, die sanfte Wirklichkeit bleibender Schönheit des Mitlebens der Menschen; nicht die wilde, häßliche Übergangszerstörung des häßlichen Heutigen, die auch vielleicht als Begleiterscheinung wird sein müssen, zu der zu rufen aber verderblich, heillos und unnütz wäre, wenn nicht vorher das sanfte Werk der Lebensschönheit in unsern Seelen und durch sie in die Wirklichkeit hinein getan wäre.
Alle Neuerung hat, trotz allem Feuer und aller Begeisterung, die sie trägt, etwas Wüstes, Häßliches, Pietätloses an sich; alles Alte, selbst das Verruchteste, selbst so überalt gewordene Institutionen, wie etwa das Militär und der Nationalstaat, haben, weil sie alt sind und Tradition haben, in all ihrer Hinfälligkeit, Entbehrlichkeit und Ablösungsbedürftigkeit einen, Schimmer wie von Schönheit. Darum lasset uns solche Neuerer sein, in deren vorgreifender Phantasie das, was sie schaffen wollen, schon als ein Fertiges, ein Eingelebtes, ein ins Vergangene und ins uralt und heilig Lebendige Verankertes lebt; darum lasset uns vor allem mit dem zerstören, was wir Sanftes, Bleibendes, Verbindendes bauen. Unser Bund sei ein Bund des strebenden Lebens mit den ewigen Mächten, die uns mit der Welt des Seienden verbinden; die Idee, die uns treibt, sei uns Idee, das heißt Bund, der uns über die Vergänglichkeit und Geschiedenheit der oberflächlichen Zeiterscheinungen hinüber mit dem Gesammelten und Gefaßten des Geistes vereint. Dies sei unser Sozialismus: ein Schaffen des Zukünftigen, als sei es ein von Ewigkeit her Gewesenes. Komme er nicht aus den Erregungen und wüst reagierenden Heftigkeiten des Augenblicks, sondern aus der Gegenwart des Geistes, die Tradition und Erbe unseres Menschentums ist.
Wir hatten uns unterbrochen, weil wir den Gewerkschaften für ihren Kampf um Muße und Feierabend der arbeitenden Menschen unsern Dank sagen wollten. Dies, was hier gesagt worden ist, sei unser Dank; denn, wie wir nicht bloß Produkte,
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Hervorbringungen und Reaktionen der abscheulichen Verfallserscheinungen des Veralteten und Hinfälligen sein wollen, sondern Produktive, die den versunkenen Geist, der einst Gemeingeist war und jetzt Isolierung geworden ist, zu neuen Formen führen und wieder lebendig und schön machen wollen, so soll auch unser Dank produktiv sein, soll auf das hinweisen, womit die Muße und Feierzeit der arbeitenden Menschen zu erfüllen ist, auf daß gesunde und starke und vom Geist erfaßte Menschen das Neue bereiten können, das als ein Uraltes aus uns herauskommen muß, wenn es uns wert sein, wenn es uns bleiben soll.
Die Verringerung der Arbeitsstunden schafft den Arbeitenden einen längeren Feierabend. So sehr man sich jedoch dessen freuen kann, was tatsächlich da ist, so wenig darf man außer acht lassen, was diese Errungenschaft sehr oft im Gefolge hat: die stärkere Ausnützung der Arbeitskraft, die gesteigerte Intensität der Arbeit. Oft hat der kapitalkräftige Unternehmer, eine große Aktiengesellschaft z.B., allen Grund, sich des Sieges der Arbeiter zu freuen. Alle Unternehmer einer bestimmten Branche sind etwa genötigt worden, die Arbeitszeit zu verkürzen; aber die großen Betriebe sind oft imstande, diese Einbuße durch Einführung neuer Maschinen, die den Arbeiter noch inständiger an den mechanisch hastenden Apparat fesseln, wettzumachen und so gegen ihre mittlere und kleinere Konkurrenz großen Vorteil zu haben. Manchmal freilich steht es auch umgekehrt: der Riesenbetrieb ist gehindert, seinen ungeheuren Mechanismus umzugestalten, während der mittlere und kleine Unternehmer, wenn er flotten Absatz und guten Kredit hat, sich leichter neuen Bedingungen anpassen kann.
Die Technik hat fast immer Ideen und Modelle vorrätig, um diesem Bedarf nach gesteigerter Auspumpung der Arbeit aus den Betätigungen der Menschen, die nur Diener der Maschinen sind, Genüge zu leisten.
Das ist die andere, die bittere Seite des längeren Feierabends: der angestrengtere Arbeitstag. Der lebendige Mensch kann in Wahrheit nicht lediglich arbeiten, um zu leben, sondern will in der Arbeit, während der Arbeit sein Leben fühlen, sich seines Lebens freuen, braucht also nicht bloß Erholung, Ruhe und Freude am Abend, braucht vor allem Lust an der Betätigung selbst, starke Anwesenheit seiner Seele bei den Funktionen seines Leibes.
Unsere Zeit hat den Sport, die unproduktive, spielerische Betätigung der Muskeln und Nerven zu einer Art Arbeit oder Beruf gemacht; in wirklicher Kultur wird die Arbeit selbst wieder ein spielendes Gehenlassen all unserer Kräfte sein.
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Der Industrielle wird übrigens häufig, um wieder einzuholen, was die Verringerung der Arbeitszeit ihm nimmt, noch nicht einmal die mechanischen Apparate seines Betriebes umändern müssen. In der Fabrik gibt es noch einen ändern Mechanismus, der nicht aus Eisen und Stahl besteht: die Arbeitsordnung. Einige neue Anordnungen, ein paar neue Aufseher- und Werkmeisterposten beschleunigen oft den Gang eines Betriebes wirksamer als neue Maschinen.
Nur daß freilich dieser Mechanismus selten von langer Dauer ist; es ist immer ein stillschweigendes Ringen zwischen der Lässigkeit, d.h. der natürlichen Langsamkeit der Arbeiter und der Energie der Antreiber; und auf die Dauer siegt, wo es sich um Menschen gegen Menschen handelt, immer eine Art Gesetz der Trägheit.
Dieser Kampf um langsame Arbeit ist schon immer dagewesen; lange ehe er eine bewußte Waffe im Klassenkampf geworden und ein Teil des sogenannten Sabots geworden ist. Dieser Sabot, der die Arbeiter auffordert, zu einem bestimmten Zweck langsame, liederliche, schlechte oder gar verderbliche Arbeit zu liefern, kann im Einzelfall, wie z.B. Streik von Post-, Eisenbahn- oder Hafenarbeitern treffliche Dienste tun; er hat aber auch seine bedenkliche Seite, wie man denn oft, bei extremen Kampfmitteln der Arbeiter in ihrer Rolle als Produzenten für den kapitalistischen Markt, nicht unterscheiden kann, wo der klassenbewußte Kämpfer aufhört und wo der vom Kapitalismus seelisch angefressene, verderbte und heruntergebrachte Verantwortungslose, dem jede nützliche Arbeit zuwider ist, beginnt.
Die verschärfte Arbeitsordnung ist von vorübergehender Wirkung; die Maschine aber ist unerbittlich. Sie hat ihre bestimmte Tourenzahl, ihre gegebene Leistung, und der Arbeiter hängt nicht mehr von einem mehr oder weniger menschlichen Menschen ab, sondern von dem metallenen Teufel, der vom Menschen zur Ausnutzung der Menschenkräfte angeschafft wurde. Die psychologische Erwägung der Arbeitsfreudigkeit des Menschen spielt dabei eine untergeordnete Rolle; jeder Arbeiter weiß es und empfindet es mit besonderer Bitterkeit, daß Maschinen, Werkzeuge und Tiere mit mehr Schonung behandelt werden als die arbeitenden Menschen. Das ist so wenig wie irgend etwas, was hier gesagt wird, eine agitatorische, demagogische Übertreibung; es ist völlige, nüchtern zu erfassende Wahrheit.
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Man hat oft die modernen Proletarier Sklaven genannt und hat in dieses Wort den Ton der äußersten Empörung gelegt. Man soll aber wissen, was man sagt, und soll auch so ein Wort wie das Wort "Sklave" in seinem nüchternen, wirklichen Sinn gebrauchen. Ein Sklave war ein Schutzbefohlener, den man gut pflegen, dessen Arbeit man psychologisch lenken mußte, denn sein Tod kostete Geld: es mußte ein neuer gekauft werden.
Das Furchtbare am Verhältnis des modernen Arbeiters zu seinem Herrn ist gerade, daß er kein solcher Sklave ist, daß es dem Unternehmer vielmehr in den meisten Fällen ganz gleichgültig sein kann, ob der Arbeiter lebt oder stirbt. Er lebt dem Kapitalisten; er stirbt sich selbst. Die Ersatzmänner sind da. Maschinen und Pferde müssen gekauft werden; sie machen erstens Anschaffungskosten; zweitens Betriebskosten; und so war es auch beim Sklaven: er mußte zuvörderst gekauft oder schon als Kind aufgezogen und dann unterhalten werden. Den modernen Arbeiter bekommt der moderne Unternehmer umsonst; ob er den Unterhalt, den Lohn dem Müller oder dem Schulze bezahlt, ist ihm gleichgültig.
Auch hier wieder, in dieser Entpersönlichung, Entmenschlichung des Verhältnisses zwischen Unternehmer und Arbeiter wirken kapitalistisches System, moderne Technik und Staatszentralismus Hand in Hand. Das kapitalistische System schon macht den Arbeiter zu einer Nummer; die mit dem Kapitalismus verbündete Technik macht ihn zum Anhängsel am Räderwerk der Maschine; und der Staat sorgt dafür, daß der kapitalistische Unternehmer nicht nur den Tod des Arbeiters nicht zu beklagen, sondern sich auch in den Fällen der Krankheit oder des Unfalls in keiner Weise persönlich seiner anzunehmen hat. Die Versicherungseinrichtungen des Staates können gewiß von verschiedenen Seiten betrachtet werden; aber diese sollte nicht übersehen werden: auch sie setzen den blind funktionierenden Mechanismus an die Stelle der lebendigen Menschlichkeit.
Die Grenzen der Technik, wie sie sich heute in den Kapitalismus eingeordnet hat, sind über die Grenzen der Menschheit hinausgegangen. Es kommt nicht einmal auf Leben und Gesundheit der Arbeiter viel an (hier darf nicht nur an Maschinen gedacht werden; man erinnere sich der gefährlichen Metallabfälle in der Luft der Werkstätten, der Giftbetriebe, der Vergiftung der Luft über ganzen Städten); es kommt ganz gewiß nicht auf die Lebensfreude und das Behagen der Arbeitenden während der Arbeit an.
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Die Marxisten und die Arbeitermassen, die unter ihrem Einfluß stehen, lassen ganz außer acht, wie gründlich sich in dieser Hinsicht die Technik der Sozialisten von der kapitalistischen Technik unterscheiden wird. Die Technik wird sich in einem Kulturvolk ganz nach der Psychologie der Freien, die sich ihrer bedienen wollen, richten müssen. Wenn die arbeitenden Menschen selbst bestimmen, unter welchen Bedingungen sie arbeiten wollen, werden sie ein Kompromiß schließen zwischen der Zeitmenge, in der sie außerhalb der Produktion stehen wollen, und der Arbeitsintensität, die sie innerhalb der Produktion zu leisten gewillt sind.
Da mögen die Menschen recht verschieden sein: die einen werden sehr schnell und sehr hitzig arbeiten, um sich nachher recht lange zu vergnügen oder zu erholen; die andern werden keine Stunde des Tages bloß zum Mittel erniedrigen wollen, werden auch in der Arbeit Behagliche, Lusterfüllte sein wollen, werden ›Eile mit Weile‹ zu ihrer Devise machen und ihre Technik dieser ihrer Natur anpassen.
Heute ist von dem allem keine Rede. Die Technik steht ganz im Banne des Kapitalismus; die Maschine, das Werkzeug, der tote Diener des Menschen, ist zum Herrn über den Menschen gemacht worden. Auch der Kapitalist ist bis zu hohem Grade abhängig von dem Mechanismus, den er eingeführt hat, und hier ist der Moment, wo wir die zweite Seite der Verkürzung der Arbeitszeit ins Auge fassen können. Die erste war die, daß sie dazu dient, den Arbeiter bei Kräften zu lassen; inwiefern dieser Tendenz durch die gesteigerte Intensität der Arbeit wieder begegnet wird, haben wir eben gesehen. Die Verkürzung der Arbeitszeit hat aber ferner auch die erfreuliche Wirkung für die lebendigen Angehörigen der Arbeiterklasse, daß sie die Zahl der Arbeitslosen vermindert.
Der Industrielle muß nämlich seine Maschinerie ausnutzen; seine Maschinen müssen, um rentabel zu sein, eine bestimmte Zeit laufen. Er muß sich, wenn sein Betrieb rentabel sein soll, nach der Konkurrenz im In- und Ausland richten, und in vielen Branchen ist er genötigt, damit seine Kraftzentrale sich rentiert, die Maschinen Tag und Nacht laufen zu lassen. Er wird also, wenn die Arbeitszeit verkürzt wird, mehr Arbeiter einstellen; er wird oft gerade die Gelegenheit eines Kampfes mit den Arbeitern benutzen, um die vierundzwanzigstündige Arbeitszeit, d.h. den Schichtwechsel einzuführen.
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Die Rentabilitätsnotwendigkeit, die Anforderungen des Mechanismus, die Forderungen der Arbeiter: all das in vereinigter Aktion bewirkt oft die Mehreinstellung von Arbeitern und damit die Verringerung der sogenannten industriellen Reservearmee. Die Grenze wird immer von der Rentabilität des Betriebs bestimmt werden, wobei aber zwischen den Anforderungen des Mechanismus und der Aufnahmefähigkeit des Marktes eine Art Kompromiß geschlossen werden muß.
Oft wird der Unternehmer von seinen maschinellen Einrichtungen und der Zahl der Arbeiter, die er an die Maschinen gestellt hat, gezwungen, den Betrieb in einem gewissen Umfang fortzuführen, und ist der Markt nicht mehr aufnahmefähig, so muß er mit den Preisen heruntergehen: denn der kapitalistische Markt ist ja für alle Artikel immer aufnahmefähig, wenn sie nur billig genug sind. So hängt es zusammen, daß ein Unternehmer oft Tausende von Arbeitern Tag und Nacht arbeiten läßt und dabei Stunde für Stunde Geld verliert. Er nimmt das auf sich, in der Hoffnung auf bessere Zeiten, wo die Preise wieder anziehen. Ist es nichts mit dieser Aussicht, so wird er einen Teil seines Betriebs, oder seinen ganzen Betrieb an bestimmten Tagen stillegen müssen.
Unsere Behauptung, daß die Technik heutigentags im Banne des Kapitalismus steht, müssen wir also durch den Zusatz ergänzen, daß aber auch andrerseits der Kapitalismus der Sklave der selbstgeschaffenen Technik ist. Da geht es wie mit dem Zauberlehrling: "Die ich rief, die Geister, werd' ich nicht mehr los!" Wer in den Zeiten der Prosperität, des guten Absatzes seinen Betrieb auf einer bestimmten Stufe eingerichtet hat, der hat es nicht mehr in der Wahl, wieviel er produzieren will. Auch er ist aufs Rad seiner Maschinen geflochten; und er mitsamt seinen Arbeitern wird oft von ihnen zermalmt.
Wir haben hier einen der Punkte berührt, an denen die kapitalistische Produktion aufs engste mit der Spekulation verknüpft ist. Der ist nur ein ganz Kleiner auf der Stufenleiter des Kapitalismus, der nicht von den Bedingungen seines Betriebs und seines Absatzes in die Spekulation hineingetrieben wird.
Ein Spekulant ist jeder, dessen Betrieb von diesen zwei ganz unzusammenhängenden Faktoren: den Anforderungen seines Maschinen- und Menschenapparates einerseits und den Preisschwankungen des Weltmarktes andrerseits abhängig ist. Den Menschen in dieser Lage, die Monate und oft Jahre hindurch hunderten oder tausenden von Arbeitern Woche für Woche ihren festgesetzten Lohn auszahlen, während sie Woche für Woche Verluste erleiden, mag oft genug der Seufzer entfahren: "Meine Arbeiter haben's besser als ich!"
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Oft kann sich ein solcher von maßlosen Sorgen gehetzter armer Reicher nur dadurch retten, daß er mit einem Teil seines Vermögens glückliche Börsenspekulationen macht und so sein Unglück auf dem Gebiet der Handelsspekulation wieder ausgleicht; wie umgekehrt einer, dessen Geschäft floriert, sich durch Spekulationen auf ganz anderm Gebiet zugrunde richten mag. Wer vom kapitalistischen Markt abhängt, muß spekulieren und muß sich ans Spekulieren gewöhnen und muß auf den mannigfachsten Gebieten spekulieren.
Viel zuwenig weiß der Arbeiter, der unter dem Kapitalismus leidet, diese entscheidende Tatsache: daß alle Menschen, alle ohne Ausnahme Leid bis zur Maßlosigkeit, und wenig Freude, gar keine rechte Freude haben unter diesen kapitalistischen Zuständen. Viel zuwenig auch weiß der Arbeiter, was für furchtbare, was für unwürdige und erdrückende Sorgen der Kapitalist hat; was für ein völlig unnötiges, ganz und gar unproduktives Quälen und Abrackern ihm aufgeladen ist, und viel zuwenig beachten die Arbeiter diese Ähnlichkeit zwischen sich selbst und den Kapitalisten: daß nicht nur die Kapitalisten, sondern auch viele Hunderttausende in der Arbeiterschaft selbst ihren Profit oder ihren Lohn für völlig unnütze, unproduktive, überflüssige Arbeit beziehen; daß gerade heute eine furchtbare Tendenz in der Produktion dahin geht: mehr und mehr Luxusprodukte, dabei auch den Schundluxus für das Proletariat, herzustellen und viel zuwenig die notwendigen, die soliden Produkte fürs wirkliche Bedürfnis. Die notwendigen Produkte werden immer teurer, der Luxus wird immer mehr Schund und wird immer billiger — dahin geht die Tendenz.
Kehren wir jetzt von der Abschweifung, die wir den Betätigungen der Gewerkschaften gewidmet haben, zurück und fassen wir schließlich zusammen.
Wir haben gesehen, wie die am Kapitalismus interessierten Unternehmer, die Fabrikanten-Händler und ebenso die an ihrer Lebenshaltung interessierten Arbeiter und schließlich auch der Staat dafür Sorge getragen haben und weiter darum bemüht sind, daß das System der kapitalistischen Wirtschaft erhalten bleibt. Wir haben weiter beachtet, wie alle Menschen in die gegenseitige Ausbeutung verstrickt sind, wie alle einmütig ihre Sonderinteressen wahren und die Gesamtheit schädigen müssen, wie alle, gleichviel, auf welcher Stufe des Kapitalismus sie stehen, immer von Unsicherheit bedroht sind.
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Damit, daß wir das gesehen haben, haben wir den Zusammenbruch des Marxismus gesehen, der zu wissen meinte, der Sozialismus bereite sich in den Einrichtungen und dem Katastrophenprozeß der bürgerlichen Gesellschaft selbst vor und der Kampf der immer anwachsenden, immer entschlossener auftretenden, immer revolutionärer handelnden Proletariermassen sei ein notwendiger, in der Geschichte vorgesehener Akt zur Herbeiführung des Sozialismus. In Wahrheit aber ist dieser Kampf der Arbeiter in ihrer Rolle als Produzenten für den kapitalistischen Markt nichts als ein Drehen im Kreise des Kapitalismus. Man kann nicht einmal sagen, daß dieser Kampf eine allgemeine Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse herbeiführe; nur das ist zu sehen, daß er und seine Wirkungen die Arbeiterklasse an ihre Lage und an die allgemeinen Zustände der Gesellschaft gewöhnen.
Der Marxismus ist einer der Faktoren und kein unwesentlicher, die den kapitalistischen Zustand erhalten, festigen und in seinen Wirkungen auf den Geist der Völker immer trostloser machen. Die Völker, das Bürgertum und ganz ebenso die Arbeiterklasse, sind immer mehr mit den Zuständen der sinnlosen, spekulativen und kulturlosen Gelderwerbsproduktion verwachsen; immer mehr nimmt in den Klassen, die besonders schlimm unter den Zuständen leiden, die oft in Not und Entbehrung, immer in Armut leben, die Klarheit, die Rebellion und die Erneuerungsfreude ab.
Der Kapitalismus ist nicht eine Periode des Fortschritts, sondern des Verfalls.
Der Sozialismus kommt nicht auf dem Wege der Weiterentwicklung des Kapitalismus und kommt nicht durch den Produzentenkampf der Arbeiter innerhalb des Kapitalismus.
Das sind die Resultate, zu denen wir gekommen sind.
Die Jahrhunderte, zu denen unsere Gegenwart gehört, sind Zeiten der Negation. Die Bünde und Korporationen, das ganze gemeinsame Leben der früheren Kulturzeit, der wir entstammen, all das irdisch-schöne Treiben und Getriebensein war wie umwunden und eingewickelt in Himmelswahn. Untrennbar verbunden war da dreierlei: erstens der Geist des verbindenden Lebens, zweitens die Bildersprache für die unnennbare Einheit, Unsinnlichkeit und Bedeutsamkeit des in der Seele des Einzelmenschen wahrhaft erfaßten Weltenalls und drittens der Aberglaube.
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In diesen unsren Zeiten ist nun der Aberglaube der wörtlich genommenen christlich-dogmatischen Vorstellungen mehr und mehr bis ins Volk hinein angegriffen und entwurzelt worden. Das Sternenweltall wurde erst recht entdeckt, die Erde und der Mensch auf ihr wurde zugleich kleiner und größer. Die irdische Regsamkeit dehnte sich; die Angst vor Teufeln, Himmelsmächten, Kobolden und Dämonen begann zu schwinden; man fühlte sich im unendlichen Raum der Welten auf dem kreisenden Sternlein sicherer als vorher auf der fratzenhaften Gotteswelt.
Man lernte unverkennbare Naturkräfte in ihrer sicher zu berechnenden Wirksamkeit kennen, man lernte sich ihrer bedienen und konnte ihnen furchtlos vertrauen. Neue Methoden der Arbeit, der Veränderung der Naturprodukte wurden gefunden; die Erde wurde auf ihrem ganzen Rund ausgeforscht und neu besiedelt; der Verkehr und die Mitteilung geht mit einer Schnelligkeit, die auch uns noch nicht gewohnt, die auch uns noch märchenhaft ist, rund um den Erdball; und im Zusammenhang mit alledem hat die Menge der gleichzeitig lebenden Menschen ungemein zugenommen. Die Bedürfnisse, aber auch die Mittel, sie zu befriedigen, haben sich riesenhaft gesteigert.
Keineswegs ist in dieser Zeit der Negation der Aberglaube bloß erschüttert worden; es ist auch Positives an seine Stelle getreten: Wissen von der sachlichen Beschaffenheit der Natur hat den Glauben an die dämonischen Feinde und Freunde in der Natur abgelöst; Macht über Natur ist der Angst vor den Plötzlichkeiten und Tücken der Geisterwelt gefolgt, und dieser Tod der unzähligen Geisterchen hat seinen sehr realen Ausdruck in der außerordentlichen Zunahme der Geburtenziffer der Menschenkinder gefunden.
Mit dem Geisterhimmel, den wir ausgefegt und mit Welten und Welten besetzt haben, war nun aber alles tiefere Empfinden, aller Überschwang und jegliche Einheit und jeder Bund der Menschen tief verwachsen. Die Sternenwelten, die wir entdeckten, die Naturkräfte, mit deren Wirkungen wir vertraut wurden, sind nur draußen, sind dienlich und dienen dem äußeren Leben.
Ihre Einheit mit unserer Innerlichkeit sprechen wir zwar in allerlei, manchmal tiefen, manchmal platten Philosophien, Naturtheorien und dichterischen Anläufen aus; aber sie ist nicht ein Stück von uns, ist nicht lebendig geworden.
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Vielmehr ist das, was vorher lebendig gewesen ist, das Bild oder der Glaube oder das unsagbare Wissen davon, daß die Welt in ihrer Wahrheit, wie wir sie in uns selbst tragen, ganz anderes ist, als die nützlichen Sinne uns sagen, und die damit verbundene echte Genossenschaft der Menschen in kleinen Verbänden der Freiwilligkeit zugleich mit dem Aberglauben heruntergekommen, ohne daß die Fortschritte des Naturwissens und der Technik dafür den geringsten Ersatz hätten bringen können.
Darum also nennen wir diese Zeiten eine Periode des Verfalls, weil das Wesentliche der Kultur, der menschenverbindende Geist heruntergekommen ist.
Die Versuche, zu altem Aberglauben oder zu sinnlos gewordener Bildersprache zurückzukehren, diese immer wieder erneuerten, mit der Schwäche und der Haltbedürftigkeit süchtiger Menschen, in denen die Empfindung stärker ist als der Verstand, in Verbindung stehenden Anläufe der Reaktion sind gefährliche Hemmnisse und am letzten Ende wieder nur Symptome des Niedergangs. Sie werden noch widerwärtiger, wenn sie sich, wie es leicht geschieht, mit dem Zwangsregiment des Staates, der organisierten Geistlosigkeit, verbünden.
Wenn wir also von Verfall reden, hat das nichts gemein mit der Pfaffenklage über die Sündhaftigkeit unserer Welt und mit den Rufen zur Umkehr. Dieser Niedergang ist eine vorübergehende Epoche, die in sich die Ansätze zu neuem Beginn, frischem Aufschwung, geeinter Kultur trägt.
So dringend es ist, daß wir den Sozialismus, den Kampf für neue Zustände zwischen den Menschen als geistige Bewegung erfassen, das heißt, daß wir verstehen, wie es nur zu neuen Verhältnissen zwischen den Menschen kommt, wenn die vom Geiste bewegten Menschen sie sich schaffen, genau so wichtig ist es, daß wir Starke seien, die nicht nach Vergangenem und Unwiederbringlichem schielen und sehnen, kurz: daß wir nicht lügen.
Himmelswahn, Wahrheit, Philosophie, Religion, Weltanschauung oder wie immer man die Versuche nennen will, das Weltgefühl zu Worten und Formen zu ballen, gibt es bei uns nur für die Individuen. Jeder Versuch, auf Grund solcher geistigen Übereinstimmungen Gemeinden, Sekten, Kirchen, Vereinigungen irgend welcher Art zu gründen, führt, wenn nicht zu Unwahrheit und Reaktion, so doch zu purem Schwatz und Tand. Wir sind in allem, was über die Sinnen- und Naturwelt hinausgeht, zutiefst Einsame, der schweigenden Vereinzelung Zugekehrte geworden.
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Das heißt nichts anderes, als daß all unsre Weltanschauung keinerlei überwältigende Notwendigkeit, keinerlei ethischen Zwang, keinerlei Verbindung für die Wirtschaft und Gesellschaft in sich trägt. Das müssen wir hinnehmen, da es so ist, und können es, da wir in der Zeit des Individualismus leben, in mannigfacher Form hinnehmen: froh oder resigniert, verzweifelt oder sehnsüchtig, gleichmütig oder gar frech.
Besinnen wir uns aber, daß jeder Wahn, jedes Dogma, jede Philosophie oder Religion ihre Wurzeln nicht in der äußeren Welt, sondern in unserem inneren Leben hat. All diese Sinnbilder, in denen die Menschen Natur und Ich in Einklang miteinander bringen, sind nur darum geeignet, Schönheit und Gerechtigkeit in das Mitleben der Völker zu bringen, weil sie Widerspiegelungen der Gesellschaftstriebe unsres Innern, weil sie unser Gestalt gewordener Geist selber sind. Geist ist Gemeingeist, und es gibt kein Individuum, in dem nicht, wach oder schlummernd, der Trieb zum Ganzen, zum Bunde, zur Gemeinde, zur Gerechtigkeit ruht. Der natürliche Zwang zur freiwilligen Vereinigung der Menschen untereinander, zu den Zwecken ihrer Gemeinschaft, ist unausrottbar da; aber er ist von einem schweren Schlage getroffen und wie betäubt worden, weil er lange Zeiten in Verbindung war mit dem aus ihm selbst entsprungenen Weltenwahn, der nun dahingegangen oder im Verfaulen begriffen ist.
Wir sind also nicht darauf angewiesen, erst dem Volk eine Weltanschauung zu schaffen, die ein durchaus künstliches, vergängliches, schwächliches oder gar romantisch-heuchlerisches Gebilde und heute geradezu der Mode unterworfen wäre. Wir haben die Wirklichkeit lebendig-individuellen Gemeingeistes vielmehr in uns und müssen sie nur herauf, ans Schaffen lassen.
Die Lust zum Schaffen der kleinen Gruppen und Gemeinden der Gerechtigkeit, nicht himmlischer Wahn oder symbolische Gestalt, sondern irdische Gesellschaftsfreude und Volksbereitschaft der Individuen wird den Sozialismus, wird den Beginn wirklicher Gesellschaft herbeiführen. Der Geist wird sich direkt betätigen und wird aus lebendigem Fleisch und Blut seine sichtbaren Formen schaffen: die Sinnbilder des Ewigen werden Gemeinden, die Verkörperungen des Geistes werden Körperschaften irdischer Gerechtigkeit, die Heiligenbilder unserer Kirche werden Einrichtungen der vernünftigen Wirtschaft sein.
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Der vernünftigen Wirtschaft; mit voller Absicht ist dieses Wort Vernunft gebraucht; denn noch ist eines hinzuzufügen.
Wir haben diese unsere Zeit eine Periode des Verfalls genannt, weil das Wesentliche geschwächt und verderbt wurde: der Gemeingeist, die Freiwilligkeit, die Schönheit des Volkslebens und seiner Gestalten. Aber es ist ja nicht zu verkennen, daß in dieser Zeit mancherlei Fortschritt enthalten ist. Der Fortschritt in der Wissenschaft, der Technik, der unbefangenen Eroberung und Bezwingung der sachlich gewordenen Natur heißt mit einem ändern Wort Aufklärung.
Der Verstand ist beweglicher und heller geworden; und so wie wir der Natur die Physik — im weitesten Sinne des Ausdrucks — abgerungen haben, die sich in der praktischen Anwendung bewährt; so wie wir in der Ausnutzung der Naturkräfte gelernt haben, uns der Rechnung zu bedienen, so werden wir nun auch lernen, in der Technik der menschlichen Beziehungen auf einem außerordentlich verbreiterten Felde, rings um den Erdball, das Richtige und Vernünftige unter vielfacher Anwendung der Rechnung, der Arbeitsteilung und wissenschaftlicher Methoden zu tun.
Bisher war die Technik der Industrie und die Ökonomie der Beziehungen, die beide schon weit ausgebildet sind, eingeordnet in das System der Ungerechtigkeit, Sinnlosigkeit und Gewalt. Die physikalisch-industrielle wie die ökonomisch-soziale Technik werden nun der neuen Kultur, dem kommenden Volke helfen, wie sie bisher den Privilegierten und Gewalthabern und Börsenspekulanten gedient haben.
Statt also von einer Periode des Verfalls, in der wir stünden, zu reden, kann man auch, wenn man will, von einem Fortschritt sprechen, in dem zuerst mit dem Aberglauben aufgeräumt wurde, in dem dann Naturbetrachtung und Naturbeherrschung, Technik und rationelle Nationalökonomie sich mehr und mehr durchsetzten, bis schließlich der Gemeingeist, die Freiwilligkeit, die Gesellschaftstriebe, die ein paar Jahrhunderte lang überwuchert waren, wieder aufsteigen, die Menschen packen und zusammenbringen und sich der neuen Gaben bemächtigen.
Hat die gleiche Richtung des Geistes in den Individuen diese erst mit ihrem natürlichen Zwange gepackt und zu Bünden geballt, ist also die Idee, das zusammenfassende Schauen, das die Individualerscheinungen und Getrenntheiten zu Zusammengehörigkeiten und Einheiten wandelt, wieder einmal aus dem Geiste der Einzelmenschen herausgetreten und zum Menschenbunde, zur Körperschaft, zur verbindenden Gestalt geworden, ist diese irdisch-leibhafte Form des Geistes erst da, dann ist es leicht möglich, daß einmal auch wieder Jahrhunderte der geistigen Überwältigung, der bindenden Weltanschauung oder des Wahnes zu den Menschen kommen.
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Wir suchen solche Überwältigung nicht, wir wehren uns dagegen und sind durchaus nicht nach der Befangenheit lüstern. Auch wissen wir viel zuwenig von den Kreisbahnen der Menschengeschichte, als daß wir nach irgendeiner Wahrscheinlichkeit sagen könnten, dieser Ring müsse wiederum geschlossen werden; und wiederum müsse sich mit Idee und Bund und kosmisch-religiöser Kunstgestalt der Aberglaube verbinden, und wiederum dann müsse mit dem Aberglauben zugleich der Gemeingeist gesprengt und der Individualismus und die Isoliertheit hergestellt werden und so immer weiter.
Wir haben kein Recht zu solchen Konstruktionen; es kann sein, daß das Notwendigkeit ist; es kann auch ganz anders kommen. Wir sind noch lange nicht soweit. Was jetzt unsere Aufgabe ist, steht klar vor uns: nicht die Lüge, sondern die Wahrheit. Nicht die Künstlichkeit einer Religionsimitation, sondern die Wirklichkeit der sozialen Schöpfung unbeschadet der vollen geistigen Unabhängigkeit und Mannigfaltigkeit der Individuen.
Die neue Gesellschaft, die wir bereiten wollen, deren Grundstein zu legen wir uns anschicken, wird nicht eine Rückkehr zu irgendwelchen alten Gebilden, wird das Alte in neuer Gestalt, wird eine Kultur mit den Mitteln der in diesen Jahrhunderten neu erwachsenen Zivilisation sein.
Dieses neue Volk aber kommt nicht von selbst: es "muß" gar nicht kommen, so wie die falsche Wissenschaft der Marxisten dieses "muß" nimmt; es soll kommen, weil wir Sozialisten es wollen, weil wir solches Volk als geistige Vorform schon in uns tragen.
Wie also beginnen wir? Wie kommt der Sozialismus? Was ist zu tun? Zunächst zu tun? Gleich jetzt zu tun?
Darauf zu antworten, ist zum Schluß unsre Aufgabe.
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