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Vorwort des Autors (1998)

 

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Viele Menschen spüren heute, daß die Situation auf diesem Planeten sich gefährlich verändert. Zwei Vorgänge bedrohen länger­fristig unsere Existenz: die Zerstörung unserer biologischen Lebens­grundlagen und der Zerfall unserer gesellschaftlichen Strukturen. Die globalen Entwicklungen, die dahin führen, entziehen sich einer wirk­samen Steuerung und Kontrolle.

Die Weltbevölkerung ist längst viel zu groß, um ohne Plünderung und Zerstörung der natürlichen Ressourcen lebensfähig zu sein. Die Weltmeere sind weitgehend leergefischt, die letzten Regenwälder verschwinden, die Böden erodieren, Trinkwasser wird knapp, der massive Einsatz fossiler Brennstoffe vergiftet die Atmosphäre, die Zersetzung des Ozonschildes wird zur Gefahr für Pflanzen, Tiere und Menschen.

Es gibt Prognosen, wonach sich die Weltbevölkerung innerhalb der nächsten zwei bis drei Generationen noch­mals verdoppeln soll. Grenzenlose Armut, Verelendung, Umweltzerstörung und Massensterben werden es aber möglicher­weise gar nicht so weit kommen lassen. 

Gleichzeitig vollzieht sich eine dramatische Veränd­er­ung der Lebensbedingungen. In 25 Jahren werden zwei Drittel der Menschen in Millionen­städten leben — und hier wieder­um die große Mehrheit in Slums, einer Welt, die geprägt ist von mangelnder Hygiene, Alkohol, Drogen, Gewalt und organisiertem Verbrechen. 

Aber auch in den bürgerlichen Schichten zerfallen die natür­lich­en Familien­strukturen. Immer weniger Kinder können sich zu liebes-, arbeits- und gesell­schafts­fähigen Menschen entwickeln. In den sogenannten reichen Industrieländern sind die Zeiten des Wohlstands vorbei.

Automation und Auslager­ung von Arbeits­plätzen führen zu einer zunehm­enden Arbeitslosigkeit. In fünfzehn bis zwanzig Jahren wird wahrscheinlich nur noch rund ein Viertel der arbeitsfähigen Bevölkerung Arbeit finden.

detopia-2023: 
Diese Voraussage stimmte m.E. nicht und war wohl auch unnötig. Diese "zwanzig Jahre" sind 2018 abgelaufen. Außerdem ist es gut für den Jetztlebenden, wenn alles später eintrifft. Offensichtlich braucht die Automatisierung länger, um den Menschen zu ersetzen; ich sehe das immer in den Betrieben (als Leiharbeiter kenne ich viele von innen). Industrieroboter können zwar vieles, aber sie sind auch teuer und gehen eben auch kaputt bzw. bleiben wegen einer Störung stehen; und dann steht die ganze Produktion (wenn es eine durchgehende Fertigung ist). Oder: Die Roboter stehen rum und stille, wenn eine Kleinserie durch ist. - Anderseits kann es sein, dass der Mensch sich ständig neue Produkte ausdenkt, die er braucht; womit ich ausdrücken will: Vielleicht wird in den Industrieländern die Arbeit solange nicht ausgehen, solange noch Grundstoffe da sind, die in irgendwas umgewandelt werden können, was man verkaufen kann. 

Jedoch: Von einem Zukunftsbuch erwarte ich persönlich zeitliche Aussagen. Das ist hilfreich, um zu erfassen, worauf der Autor hinaus will. Und das "Spätere" kann auch Ergebnis der Gegensteuerung sein - vielleicht eben gerade durch dieses Aufklärungsbuch. 

Der Staat wird mit horrenden Kosten belastet und verliert gleichzeitig seine Einkommens­basis. In allen Staats­haus­halten klaffen aber bereits heute erschreckende Lücken. 

Die Akkumulation eines nachgerade obszönen Reichtums bei einer kleinen Minderheit, die Verarmung breiter Bevölk­erungs­schichten und der Zustrom von Menschen­massen aus fremden Kulturen führen zu einem gewaltigen sozialen und politischen Sprengpotential. Die staatlichen Institutionen, vorab die Sicherheits­organe, die Recht­sprechung und der Strafvollzug, sind bereits heute überlastet. Parallel dazu hat sich die organisierte Kriminalität zu einer schwerwiegenden gesellschaftlichen Bedrohung entwickelt. Der Punkt, an dem der Staat nicht mehr in der Lage sein wird, Recht und Ordnung aufrecht­zuerhalten, ist absehbar.

Ich spreche nicht vom Weltuntergang.

Es wäre vermessen, zu glauben, der Mensch sei in der Lage, die Welt untergehen zu lassen. Im Gegenteil: Der Mensch wird es nicht einmal schaffen, die Erde untergehen zu lassen. Womit wir zu rechnen haben, ist eine Zeit des Hungers und der Epidemien, der Kämpfe um Ressourcen, des Terrors, der Bürgerkriege und des Faustrechts.

Dies alles hat übrigens längst begonnen. Neu daran ist lediglich, daß auch wir, die Menschen in den reichen Industrie­nationen, direkt betroffen sein werden. Dieses Buch will Erklärungen anbieten für das, was passiert ist, und wie es voraussichtlich weitergehen wird:

Teil I (Das Erbe des Neandertalers) schildert, wie wir Menschen geworden sind — und für welche Art Leben die Natur uns ausgestattet hat. Unsere heutige Lebens­weise ist in diesem Programm nicht vorgesehen. Die Entwicklung ist aus dem Ruder gelaufen — und zwar nicht erst in den letzten hundert Jahren. Das Drama hat vor rund zehntausend Jahren seinen Anfang genommen.

Teil II (Zeitbombe Umwelt) zeigt anhand vielfältiger, sich beschleunigender und gegenseitig verstärkender Entwicklungen, daß unsere Lebens­grundlagen weltweit auf dem Wege sind, zerstört zu werden. Der Mensch nimmt auf der Liste der bedrohten Arten einen prominenten Platz ein.

Teil III (Zeitbombe Gesellschaft) beschreibt das Zusammenwirken mehrerer fataler Entwicklungen, die unsere gesellschaftlichen Strukturen von innen heraus zersetzen: Verarmung der Bevölkerung, Konzentration in Ballungszentren, Verwahrlosung der Jugend, politischer Terror, Überhand­nehmen des organisierten Verbrechens, Bankrott des demokratischen Rechtsstaates.

Teil IV (Fata Morgana oder die Fähigkeit zu glauben) befaßt sich mit einer ganz besonderen Fähigkeit des Menschen: sich sein Bild von der Welt und von der Wirklichkeit zurecht­zulegen. Diese Fähigkeit hat dem Menschen seinerzeit — in einer Situation permanenter Lebensgefahr — geholfen, zu überleben. Heute bewirkt sie das Gegenteil.

Teil V (Chaos oder die Unfähigkeit zu steuern) zeigt, daß und warum es keine Steuerungs­mechanismen gibt, die rechtzeitig und wirksam auf das globale Geschehen Einfluß zu nehmen vermögen. Wir steuern nicht, sondern werden gesteuert — von chaotisch ablaufenden Prozessen. Wir befinden uns im Zentrum eines von uns selbst verursachten, gigantischen Strudels.

Teil VI (Szenarium Crash) handelt von den Konsequenzen — und davon, wie wir uns darauf einstellen können. Es gibt Nischen, in denen vielleicht auch längerfristig ein Überleben möglich sein wird. Alte menschliche Werte werden wieder wichtig werden. Vor allem aber: Die Erde wird sich sehr rasch erholen. Das Leben hat eine Zukunft.

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Es ist Mode, Bücher über die Situation auf diesem Planeten mit Rezepten zu beschließen, wie die Menschheit gerettet werden könnte. Diese Rezepte, die manchmal anmuten wie etwas lang geratene Wunschlisten an den Weihnachtsmann, sind nie falsch. Sie haben nur einen Makel: Sie werden nie und nimmer umgesetzt. 

Im Jahre 1972 erschien der erste Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit: <Die Grenzen des Wachstums>. Er enthielt alle wichtigen Hinweise darauf, was kommen würde — und was zu tun sei, um das Schlimmste zu verhindern. Inzwischen sind 25 Jahre vergangen. Unzählige weitere Hiobs­botschaften sind dazugekommen, und das Fazit lautete mit schöner Regelmäßigkeit: <Es ist fünf vor zwölf.> — 25 Jahre lang. Nun, heute ist es fünf nach zwölf.

Die Menschheit ist ein viel zu großes und komplexes Gebilde, um sich organisieren zu können. Die Besatzung des Raumschiffes Erde als eine sich selbst ordnende und steuernde Schicksals­gemeinschaft ist eine Utopie. 

In einer derart hochvernetzten Welt wäre Solidarität eine Überlebens­notwendigkeit. Aber es gibt ein uraltes Gesetz, welches die Dinge auf diesem Planeten auf andere Art und Weise regelt — im täglichen Leben genauso wie in der hohen Politik. Erstens: Diejenigen, denen es gut geht, unterlassen alles, was zu einer grundlegenden Veränderung führen könnte. Zweitens: Diejenigen, denen es nicht gut geht, haben keine Macht. Drittens: Wenn es allen schlecht geht, weil alles aus den Fugen gerät, ist es für eine friedliche Lösung zu spät. 

Wir gehören im Moment zu denjenigen, denen es gut geht.

Trotzdem gibt es Grund zur Hoffnung — nicht für alle Menschen zwar, aber die hat es ohnehin noch nie gegeben. Wenn es überhaupt Nischen geben wird, in denen Menschen längerfristig überleben können, dann werden dort nicht allzu viele Platz haben. Aber es gibt Hoffnung für das Leben insgesamt, für die Natur und für diesen wunderschönen Planeten. Wenn die Menschheit von der Bildfläche verschwindet, braucht die Natur einige wenige hundert Jahre — erdgeschichtlich betrachtet einen kurzen Augenblick — um sich zu erholen. Die Evolution wird weitergehen, wie schon mehrmals nach größeren Katastrophen.

Eine gewisse Bescheidenheit ist hier am Platz. Der Mensch ist eine von Hunderten von Millionen Arten, welche die Evolution im Laufe von fast fünf Milliarden Jahren hervorgebracht hat. Der Planet Erde andererseits ist ein Himmels­körper von ganz außer­ordentlichem Seltenheitswert — eine winzige Oase des Lebens in einem unvorstellbar großen, kalten und leeren Raum. Wir können zwar vermuten, daß es irgendwo in den Tiefen des Alls noch andere derartige Inseln des Lebens gibt. Aber bis heute ist noch keine einzige gefunden worden. Die Erde hat noch weitere vier Milliarden Jahre vor sich. Dann werden alle Planeten in der Hitzestrahlung der als Supernova explodierenden Sonne verglühen. Vor diesem Hintergrund betrachtet, ist das Gastspiel des Homo sapiens überhaupt nicht von Belang.

Man muß sich um das Thema Crash nicht schamhaft herumdrücken, nur weil es von der Gesellschaft tabuisiert wird. Wer der Realität ins Auge blickt, kann letztlich besser mit ihr umgehen. Nicht das, was uns bevorsteht, sondern unsere Einstellung dazu entscheidet darüber, wie wir uns verhalten. Am schönsten hat es immer noch Martin Luther ausgedrückt: "Und wenn ich wüßte, daß morgen die Welt unterginge, so würde ich doch heute mein Apfelbäumchen pflanzen."

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 Lauterburg -1998- Vorwort