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14   Krise der Wirtschaft  

 

 

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Drei Instanzen legen fest, wie das insgesamt verfügbare Geld innerhalb der Gesellschaft verteilt wird: der Zufall, der Markt und der Staat

Der Kapitalismus, in Verbindung mit der freien Marktwirtschaft, hat sich in der historischen Betrachtung als dem Kommunismus überlegen erwiesen. Die zentrale Planwirtschaft und die damit verbundene Ineffizienz waren schlicht nicht mehr finanzierbar. Dies — und nicht etwa ein ideologischer Schwenker — hat unter Michail Gorbatschow zu Glasnost und Perestroika und, in der Konsequenz, zum Zusammenbruch des sozialistischen Systems geführt.    Gorbi auf detopia 

"Na also, wir haben es ja immer gesagt", werfen sich die Wortführer der freien Marktwirtschaft in die Brust, "wo Staat ist, muß Markt werden." Wenn es nach ihnen ginge, könnte man den Staat glatt abschaffen. Die Dienst­leistungs­funktionen sollten privatisiert und in börsennotierte Aktien­gesellschaften umgewandelt werden. Und die hoheitlichen Funktionen kann man getrost ersatzlos abschaffen. Sie kosten nur Geld und stören den freien Markt. Die einen sprechen es offen aus, die andern denken es halblaut: "Man muß nur den freien Markt spielen lassen, und alle Probleme regeln sich von selbst." 

Schön wär's. Die Ironie des Schicksals will es, daß der westliche Kapitalismus, kaum daß er seinen histor­ischen Sieg errungen hat, auch schon die Welt und sich selbst in eine Sack­gasse führt.

  Darwin läßt grüßen 

In der Schweiz - einem der Länder mit besonders geringen sozialen Unterschieden - besitzen die reichsten 5% der Bevölkerung zusammen gleichviel Vermögen wie die restlichen 95%. Aber nur 5% sind wirklich arm, es gibt sehr wenige Obdachlose, verhungern muß keiner. Am anderen Ende der Skala liegen Länder wie Indien, China, Rußland oder Brasilien. Hier liegt bei einem Bruchteil eines Prozentes der Bevölkerung ein märchen­hafter Reichtum — und gewaltige Massen von Menschen sind mausarm.

Die sozialen Unwuchten schlagen sich auch auf der Weltkarte nieder. 20 % der Länder - die sogenannten hochentwickelten Industrienationen - haben einen Anteil von 85 % am Weltbrutto­sozialprodukt, besitzen 85 % aller Sparguthaben und verbrauchen 80 % der gesamten Energie sowie aller weltweit verfügbaren natürlichen Ressourcen.

Die 447 reichsten Einzelpersonen der Erde besitzen zusammen gleichviel Geld wie die ärmere Hälfte der gesamten Welt­bevölkerung, 2,9 Milliarden Menschen. Wenn die 447 Multimilliardäre sich bei den Händen halten und in einer Reihe aufstellen, reicht die Menschenkette knapp für eineinhalb Runden auf der Aschen­bahn des nächsten Sportplatzes. Wenn die 2,9 Milliarden Armen das gleiche tun, läuft die Menschen­kette dem Äquator entlang 85-mal um den ganzen Erdball.

Dies ist also die Ausgangslage: Die Karten sind nicht gerade gleichmäßig verteilt. Und nun hat auch noch eine Umverteilung des Wohlstandes von unten nach oben eingesetzt.

Bei einer kleinen Minderheit akkumulieren sich immer größere Vermögen. Auf der anderen Seite bricht der Mittel­stand weg. Immer breitere Schichten der Weltbevölkerung driften ab in die Armut. In der Bundes­republik Deutschland hat sich die Zahl der Vermögens­millionäre von 1980 (67.000) bis 1993 (131.000) praktisch verdoppelt. Die Zahl der Sozialhilfe­empfänger hat sich zwischen 1980 (922.000) und 1995 (2.269.000) verzwei­einhalbfacht. Und seither hat sich dieser Trend noch massiv verschärft. So sieht die ominöse "Schere" in nackten Zahlen aus.

Doch dies ist kein nationales Phänomen, sondern ein durch die Globalisierung der Märkte eingeleiteter, allgemeiner Trend mit drei wesentlichen Komponenten: Erstens, enorme Produktivitäts­steigerungen lassen die Kapitalien einer dünnen Schicht von Großinvestoren und -aktionären aufgehen wie Brötchen im Ofen;

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zweitens, die durch die weltweite Vernetzung gegebenen, vielfältigen Möglichkeiten legaler Steuerflucht und illegaler Steuerhinter­ziehung sind die Hefe im Teig des Kapitalismus. Sie lassen die Kapitalgewinne erst recht florieren — und die Staatskassen auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene schrittweise leerlaufen. Drittens, Rationalisierung und Automatisierung führen zu einer allgemeinen Verknappung der Arbeit. Arbeits­losigkeit und Armut in bisher nicht gekannten Dimensionen sind so gut wir vorprogrammiert.      wikipedia  Steuerhinterziehung Deutschland

   Ein Basar, genannt Weltmarkt 

Unsere einst große Welt ist als Folge der modernen Technik zusammengeschrumpft. Der Kommuni­kations­forscher Marshall McLuhan hat bereits in den 60er Jahren den Begriff vom "globalen Dorf" geprägt. Jeder kann mit jedem innerhalb von Minuten rund um den Globus telefonieren — vom Klo eines Restaurants aus, wenn es sein muß. Manager senden und empfangen im fahrenden Wagen mit Chauffeur per Fax Infor­ma­tionen, Pläne und Dokumente. Man fliegt in Stunden Tausende von Kilometern weit zu einer Verhandlung — oder verhandelt per Video-Konferenz oder Internet gleichzeitig mit Partnern in fünf verschiedenen Ländern.

Klein Hänschen und klein Gretchen verbringen ihren Urlaub bei den Antipoden. Das Fernsehen bringt das Welt­geschehen nicht nur in die gute Stube von Otto Normalverbraucher, sondern auch in den entlegensten Winkel des indischen Subkontinents. Ein lückenloses Netz geostationärer Satelliten macht es möglich. Hunderte von Millionen, ja Milliarden von Menschen schauen zu, wenn ein Königshaupt gekrönt oder die Olympia­flamme entzündet wird. Cindy Crawford und Claudia Schiffer blinzeln rund um die Erde gleich tiefsinnig von allen Plakatwänden und Titelseiten. Die Oberweite des Busenmädchens aus der amerikanischen TV-Serie hat einen höheren Bekanntheitsgrad als der Beruf von Mutter Teresa. Und von der Schokolade über das Markenbier bis zur Luxuszigarre, vom Turnschuh über den Designerpullover bis zum Notebook-Computer ist weltweit jedes Produkt in jedem Land in praktisch gleicher Form zu haben.

Wo entwickelt der Software-Gigant Microsoft seine Programme? Rund um die Erde. Das Unternehmen hat in allen Zeitzonen Entwicklungsteams sitzen. Wenn am einen Ort Feierabend ist, werden die gesamten Daten über geschützte Verbindungen ans nächste Team fernübertragen, welches die Arbeit nahtlos fortführt.

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Der Entwicklungsprozeß läuft rund um die Uhr — und rund um den Globus. Ähnliches gilt für die Aktien- und für die Devisenmärkte. New York, London oder Tokyo — eine der großen Börsen ist immer geöffnet. Die großen Banken und Brokerfirmen haben überall Niederlassungen. Händler, Sekretärinnen und Manager absolvieren normale Arbeitstage — der Markt funktioniert permanent.

Wer auf dem globalen Markt mitmischen will, hat es mit hochpotenten und hochprofessionellen Konkurrenten zu tun. Da sind hohe Innovationskraft, hohe Produktqualität, niedrige Preise sowie ausgeklügelte Formen der Marktbearbeitung und der Logistik gefragt. Da muß manchmal von heute auf morgen entschieden werden, von welchem Land in welches andere die Entwicklung oder die Herstellung eines Produktes oder einer Dienstleistung verlagert werden soll. Dies setzt eine Investitionskraft voraus, die nur noch große Konzerne aufzubringen vermögen.

"Global player" heißt das Zauberwort. Aber Größe allein ist keine Erfolgsgarantie. Auch im Klub der Giganten können nur die Allerbesten vorne mitmischen.

   Die Geldmaschine  

Massenproduktion, weltweite Absatzmöglichkeiten sowie früher nicht für möglich gehaltene Produktivitäts­steigerungen haben in den letzten Jahren zu gewaltigen Kapitalgewinnen geführt. Das wichtigste und gleichzeitig einfachste Fieberthermometer der Welt­wirtschaft, der amerikanische Dow-Jones-Aktienindex, zeigt auf einen Blick, was sich da abgespielt hat. Wer vor zehn Jahren behauptet hätte, der Dow Jones würde jemals die magische Grenze von 3000 Punkten überschreiten, wäre von allen Sach­verständigen milde belächelt worden.

Nun, Ende 1991 war es soweit. Anfang 1995 wurde gar die 4000-Marke überschritten — und anschließend erfolgte in drei Jahren der steilste Anstieg in der Geschichte des Index auf weit über 9000 Punkte. In dieser Zeit sind an den Aktienmärkten unvorstellbare Vermögen verdient worden. Natürlich hat nicht jeder Gewinne gemacht. Man kann auch den falschen Berater haben und auf die falschen Pferde setzen. Aber insgesamt haben die Kapitalmärkte goldene Zeiten hinter sich — die Zeiten, in denen viele Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz verloren haben. Und wenn man dem grand old man der Börsenspekulation, André Kostolany, glauben kann, haben die Aktienmärkte weitere goldene Jahre vor sich.

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An den internationalen Finanzmärkten wurden in den letzten Jahren mit schöner Regelmäßigkeit Kapital­zu­wächse von 10 bis 20 % verzeichnet. 10 bis 12 % Rendite auf das eingesetzte Kapital gilt heute bei großen Konzernen als untere Grenze des Erstrebens­werten. Und manche Unternehmen — vorab Banken und Versich­er­ungen, aber auch einzelne Industriekonzerne — haben Abschlüsse mit 20 oder gar 30 % Gewinn vorgelegt. Nicht wenige sind gezwungen, immense stille Reserven aufzubauen, um nicht obszöne Gewinne ausweisen und versteuern zu müssen.

Wes Brot ich eß, des Lied ich sing

In der obersten Etage großer Konzerne werden pro Kopf und Jahr eine bis mehrere Millionen verdient. Studien zeigen, daß die Einkommen im höheren Management in den letzten Jahren im Durchschnitt um ca. 15 % gestiegen sind — dies genau in der Zeit, in der in großem Umfang Personal abgebaut wurde. Aber Management ist ein Beruf wie jeder andere. Auch Managergehälter unterliegen den Gesetzen des Marktes. Es herrscht zwar heute ein Überfluß an Managern — aber ein akuter Mangel an wirklich fähigen Köpfen. Wer sie haben und behalten will, muß sie gut bezahlen. Daß viele unfähig sind und trotzdem fürstlich bezahlt werden, gehört zu den Streuverlusten der freien Marktwirtschaft.

Größere Firmen können heute nur noch erfolgreich geführt werden, wenn sie Zugang haben zu den inter­nation­alen Kapital­märkten. Diesen Zugang haben sie nur dann, wenn die Finanzanalysten großer Banken, Investmentfonds und Privat­investoren rund um den Globus das Unternehmen als lohnendes Investitionsobjekt beurteilen. Das wesentliche Beurteilungs­kriterium ist hierbei die voraus­sichtliche Rendite auf das eingesetzte Kapital — die Rentabilität für den Aktionär, in Heller und Pfennig, unter dem Strich. Nicht der Standort des Unternehmens, nicht die Beschaffung oder Erhaltung von Arbeits­plätzen, nicht die Zufriedenheit oder Unzu­friedenheit der Mitarbeiter. Und auch nicht eine mögliche Rentabilität irgend­wann in der Zukunft, sondern die zu erwartende Rendite in der allernächsten Zeit. Denn Aktien können gekauft und verkauft werden. Und wer sein Kapital vermehren möchte, kauft nur Aktien, die in der nächsten überschaubaren Zeitperiode eine ansehnliche Verzinsung des eingesetzten Kapitals versprechen. Da geht es nicht um langfristige Entwicklung, sondern um kurzfristige Gewinnmaximierung.

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Das Management handelt also im Rahmen seiner Aufgabe durchaus vernünftig, wenn es — auf welchem Wege auch immer — versucht, die Attraktivität des Unternehmens für Anleger zu steigern. Die Rendite errechnet sich aus der jährlich ausgeschütteten Dividende einerseits und der Bewertung der Aktie an der Börse andererseits. Diese beiden einfachen Kennzahlen definieren den "Shareholder value", den finanziellen Wert des Unternehmens. Dieser, und nur dieser ist es, der den Anleger interessiert — und nur das Interesse des Anlegers sichert dem Unternehmen letztlich den lebensnotwendigen Kapitalzufluß. Ob es einem gefällt oder nicht — dies sind die Spielregeln des globalen Marktes, denen sich kein größeres Unternehmen entziehen kann.

Topmanager rechtfertigen den von ihnen organisierten personellen Kahlschlag gerne mit markigen Sprüchen: "Wir sind ein Wirt­schafts­unternehmen und keine Wohltätigkeitsveranstaltung" oder "Wer nicht rationalisiert, ist im Markt abgemeldet." So zynisch dies in manchen Ohren klingen mag — beides stimmt. Sogar die doppelbödige These "Wir müssen Stellen abbauen, um Arbeits­plätze zu sichern" ist nicht ganz falsch. Denn wer als "Global player" im Weltmarkt mitspielen will, hat letztlich nur zwei Alter­nativen: Entweder, man ist wettbewerbsfähig — oder man muß von der Bühne abtreten.

60% der amerikanischen Aktien befinden sich im Besitz von Altersvorsorgeinstitutionen. Ein Teil des Erwirt­schafteten fließt also in Form von Renten wieder zurück an Arbeitnehmer. Wenn aber 40% des Kuchens an eine verhältnismäßig kleine Minderheit verteilt wird, während viele Menschen arbeitslos werden oder drastische Einkommenseinbußen zu verzeichnen haben, öffnet sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter. Nichts illustriert dies eindrücklicher als Fusionen großer Unternehmen. Wo immer zwei Konzerne ihren Zusammenschluß bekanntgeben, steigt der Wert der Aktien schlagartig um 30, 60 oder auch mal 100%.

Eine begrenzte Anzahl von Großaktionären verdient über Nacht ein Vermögen — und gleichzeitig wird das Schicksal von Tausenden, wenn nicht Zigtausenden von Arbeitsplätzen besiegelt. Mit der Übernahme von Boehringer Mannheim durch den Pharma-Konzern Roche verbanden sich beispielsweise folgende Erwartungen: Abbau von 4500 Stellen — und ein zusätzlicher Jahresgewinn von rund einer Milliarde Schweizerfranken. Bei der "Elefantenhochzeit" zwischen der Schweizerischen Bank­gesellschaft und dem Schweizerischen Bankverein wurde mit dem Abbau von 15.000 Arbeitsplätzen und einem zusätzlichen jährlichen Gewinnpotential von rund drei Milliarden Franken gerechnet.

So bitter es klingen mag: Der Wert der Aktie steigt in Erwartung zukünftiger Rationalisierung. Es ist heute soweit, daß die Leitung eines bedeutenden Unternehmens nur die Absicht bekanntgeben muß, in ernst­haftem Umfange Personal abbauen zu wollen — und die Aktie macht an der Börse eine Freudensprung nach oben. Des einen Leid, des andern Freud.

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   E = mc²  

Globalisierung führt unter anderem zu einer Konzentration von Kräften — und diese hat auch die Finanzmärkte erfaßt. Man kann hier im Wesentlichen zwei Stufen der Verdichtung unterscheiden.

Zum einen lassen immer mehr private und institutionelle Anleger — nicht zuletzt die mit gewaltigen Kapitalien aus­gestatteten Altersvorsorge­stiftungen — ihre Gelder durch spezialisierte Vermögens­verwaltungs­gesellschaften verwalten oder plazieren sie bei sogenannten Investmentfonds. Dadurch konzentrieren sich in den Händen einer weltweit überschaubaren Gruppe professioneller Händler und Fondsmanager unvorstellbar große Summ­en, die je nach aktueller Marktlage bewegt und umgeschichtet werden. Allein amerikanische Fonds­manager verwalten insgesamt 8 Billionen Dollar an Sparguthaben und Rentenrückstellungen: $ 8.000.000.000. 000 — oder 8 Millionen Millionen. Und dies sind nur die Investmentfonds — und nur die amerikanischen.

Zum anderen sind die Finanzmärkte heute weltweit elektronisch vernetzt. Devisenhändler verbringen ihren Arbeitstag in einem Cockpit vollgestopft mit Bildschirmen, Telefonhörern, Mikrophonen und Lautsprechern. Sie sind durch sogenannte Stand­leitungen permanent mit den anderen Marktteilnehmern rund um den Globus verbunden. In Sekunden werden Millionen und nicht selten Milliarden hin und her geschoben — im Durch­schnitt pro Sekunde 17,3 Millionen Dollar. Das weltweite Handels­volumen aller Währungen beträgt pro Tag rund 1,5 Billionen Dollar. Mit anderen Worten: Da wechseln jeden Tag 1500 Milliarden Dollar die Hand. Und dies ist nur der Devisenmarkt. Ebenso astronomisch sind die Umsätze bei Staatsanleihen oder bei den sogenannten Derivaten, speziellen Formen von Wertpapier-Termingeschäften.

Zweierlei kommt da zusammen: Gewaltige Kapitalvolumina — und, bedingt durch die elektronische Daten­über­mittlung, eine blitzartige Abwicklung eingehender Aufträge. Dies ist eine brisante Mischung. Jeder Fonds­manager macht sich zwar seine eigenen Gedanken zur jeweiligen Marktsituation, aber alle haben letztlich die gleichen Informationen — und die erhalten sie praktisch in der gleichen Sekunde. Wenn aber in einem Markt, an dem eine begrenzte Anzahl von Leuten mit gewaltigen Volumina beteiligt ist, alle zur gleichen Zeit das Gleiche tun wollen, ist Gefahr im Verzug. Da kann es leicht passieren, daß der Ausstieg eines einzelnen den Kurs ins Wanken bringt — und alle anderen entscheiden sich ebenfalls für den Ausstieg. Wenn aber plötzlich alle gleichzeitig das gleiche verkaufen wollen, ist keiner da, der es haben will. Resultat: Der Preis fällt ins Bodenlose.

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Es kommt innerhalb von Stunden, Minuten oder Sekunden zu extremen Kursschwankungen. Da werden schlag­artig Milliarden gewonnen oder verloren, und wer zu hohe Risiken eingegangen ist, macht Pleite und reißt möglicherweise Heerscharen von Anlegern, die ihm ihr Geld anvertraut haben, mit ins Verderben.

Die Dynamik der modernen Finanzmärkte unterliegt Einsteins einfacher Formel: E = mc2 — Energie gleich Masse mal Licht­geschwindigkeit im Quadrat. Begrenzte Crash-Situationen sind heute praktisch an der Tagesordnung. Es vergeht kein Jahr, ohne daß irgendwo irgendein Devisenhändler oder Fondsmanager ein paar hundert Millionen Dollar verspekuliert. Nick Leason hat vor wenigen Jahren einen vorläufigen Rekord aufgestellt. Er setzte im Alleingang fast zwei Milliarden Dollar in den Sand und brach damit seinem Arbeitgeber, der Baring Bank, das Genick. Hilmar Kopper, Chef der Deutschen Bank, kommentierte diesen Vorfall mit der süffisanten Bemerkung, so etwas könnte in seinem Institut nie passieren. Wochen später verspekulierte ein Mitarbeiter der Morgan Grenfell, der prominenten Tochter der Deutschen Bank, ein paar hundert Millionen Mark. "Peanuts", ließ Kopper hinterher verlauten.

Doch die Konzentration geht weiter. Allein die Vermögen, die weltweit als Rentenrückstellungen in Vorsorge­ein­richtungen herumliegen, werden nach Expertenmeinung zwischen 1996 und 2000 von 8176 Milliarden auf 12.600 Milliarden Dollar anwachsen — und der überwiegende Teil wird von Investmentfonds treuhänderisch verwaltet. Je mehr Geld aber in wenigen Händen zusammenkommt, desto gefährlicher wird die Situation für alle. Die Wahrscheinlichkeit einer Kettenreaktion, die nicht mehr begrenzt werden kann, nimmt zu. Das Risiko, vor dem immer mehr Experten warnen, ist ein weltweiter Finanzcrash.

   Der Staat guckt in die Röhre  

Die Globalisierung hat viele Gebiete unseres Lebens erfaßt. Der Spitzensport ist globalisiert. Die Werbung und die Massen­medien sind globalisiert. Der Tourismus, die Industrie, die Finanzmärkte sind globalisiert. Das organisierte Verbrechen ist globalisiert. Aber das Denken der Bürger in den einzelnen Ländern ist nicht globalisiert. Die Gewerkschaften sind nicht globalisiert. Die Rechtsprechung ist nicht globalisiert. Die Politik ist nicht globalisiert. Im Gegenteil: Es gibt einen globalen Trend hin zu dezentraler Autonomie. Seit 1914 hat sich die Zahl der souveränen Länder auf der Erde verdreifacht. Die Welt wird atomisiert. Und dies hat bittere Konsequenzen.

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Hunderte von Milliarden an dreckigem Geld werden jährlich blütenweiß gewaschen und irgendwo als sauberes Kapital investiert oder angelegt. Jeder Diktator einer Bananenrepublik, die gesamten korrupten Eliten von Entwicklungsländern, die Funktionäre des Staatssicherheits­dienstes der früheren DDR, die Paten und Führungs­kader von Dutzenden von Mafia-Organisationen — sie alle verfügen über unermeßliche Summen, die nirgendwo versteuert werden. Aber auch Investmentfonds, Finanzinstitute und Industriekonzerne haben heute die Möglichkeit, dem Fiskus auf ganz legalem Wege die Einkünfte zu entziehen. Und niemand kann das verhindern. Die Politik findet lokal, regional und national statt.

Große, komplex verschachtelte und weltweit tätige Konzerne sind durch die Steuerbehörde eines einzelnen Landes praktisch nicht kontrollierbar. Sie handeln mit dem Staat aus, was sie an Steuern zu zahlen bereit sind. Wenn man sich nicht findet, wird der Steuersitz ganz einfach in ein Land verlegt, das einen niedrigeren Steuersatz aufweist — oder mit dem man sich zuvor bezüglich der Steuersumme geeinigt hat. Es ist gängige Praxis, daß ein Konzern im Lande seines Hauptsitzes so viele Kosten verbucht, daß ein Verlust entsteht — und an einem sogenannten "Off-shore"-Finanzplatz, einer Steueroase, wo praktisch keine Steuern bezahlt werden müssen, einen konsolidierten Konzerngewinn von Hunderten von Millionen Dollar ausweist. Dies ist nicht etwa ein krimineller Akt, sondern eine Möglichkeit, von der Gebrauch machen muß, wer im Konkurrenz­kampf der globalisierten Wirtschaft bestehen will.

Und dies ist das beunruhigende Ergebnis: Trotz gewaltig steigender Gewinne haben Firmen und vermög­ende Privatleute 1996 fast ein Fünftel weniger veranlagte Einkommenssteuern und direkte Unternehmens­steuern bezahlt als fünf Jahre zuvor. Das Wirtschafts- und Sozialwissen­schaftliche Institut in Düsseldorf hat ausgerechnet, daß die Abgaben in der Periode 1982 bis 1993 bei den Selbständigen von 30 % auf 23 % gesunken, bei den Angestellten dagegen von 27 % auf 30 % gestiegen sind. Die Lohnempfänger tragen längst den Löwenanteil der Staatslasten. Ihre Zahl nimmt ab, ihre Realeinkommen gehen zurück — doch auf ihre Schultern wird weiterhin fröhlich draufgepackt. 

In der Schweiz sind im Jahr 1997 allein an den einheimischen Börsen Buchgewinne von 280 Milliarden Schweizer­franken angefallen — 30 Milliarden mehr als die Summe aller Arbeitseinkommen der gesamten Bevölkerung. Aber es gibt keine Kapitalgewinnsteuer. Die ganze, gigantische Zunahme von Reichtum rauscht deshalb fröhlich winkend am Fiskus vorbei. Die Umverteilung nimmt ihren Fortgang.

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   Die dunkle Seite der Medaille   

Die hohen Produktivitätsgewinne haben eine Kehrseite: Immer mehr Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz. In 15 bis 20 Jahren werden nach Schätzungen von Experten nur noch 20 bis 30% der arbeitsfähigen Bevölk­erung Arbeit finden. Diese Aussicht wird selbstverständlich von den meisten Wirtschaftskapitänen und Politikern glatt in Abrede gestellt. Die offiziellen Statistiken weisen heute in den meisten westlichen Ländern Arbeitslosenquoten um die 10% aus. Jedermann hält diese Quoten für "außerordentlich hoch" — und alle warten von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr auf den Konjunkturaufschwung, der wieder zur Vollbe­schäft­igung zurückführt. Wie kommt da jemand dazu, zu behaupten, in absehbarer Zeit würden drei Viertel keinen Arbeitsplatz finden? Leider gibt es für diese Prognose triftige Gründe.

Als erstes ist zu berücksichtigen, daß alle offiziellen Arbeitslosenstatistiken von vornherein ein Trugbild abgeben. Sie sagen nämlich nichts darüber aus, wie viele Menschen tatsächlich arbeitslos sind, sondern lediglich darüber, wie viele zu einem gegebenen Zeitpunkt Arbeitslosengeld beziehen. Doch in den meisten Ländern wird nur ein oder maximal zwei Jahre Arbeits­losen­geld ausbezahlt. Wer länger arbeitslos bleibt, wird Sozialhilfeempfänger — und figuriert ab sofort nicht mehr in der Arbeitslosen­statistik. So einfach ist das.

 

   Magie der Statistik   

Wer soeben arbeitslos geworden ist, figuriert zunächst auch noch nicht in der Statistik, denn die Bezugs­be­recht­igung beginnt erst nach einer gewissen Übergangszeit. Ganze Berufskategorien — in vielen Ländern etwa sämtliche Selbständige — werden vom Staat von vornherein gar nicht versichert. Wenn sie arbeitslos werden, kümmert dies die Statistik keinen Deut. Das gleiche gilt für Arbeitnehmer­innen und Arbeitnehmer, die eigent­lich bezugsberechtigt wären, sich aber aus verschiedensten Gründen nicht ausdrücklich als arbeitslos gemeldet haben — Männer etwa, die Arbeitslosigkeit als "Schande" betrachten, oder Frauen, die als Zweitver­diener­innen ihre Stelle verloren haben und einfach wieder zu Hause bleiben. Alles in allem muß man die offiziellen Zahlen mindestens verdoppeln, wenn man abschätzen will, wie viele arbeitsfähige Menschen tatsächlich keinen Arbeitsplatz haben.

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Von Arbeitgebervertretern und Investoren wird immer wieder darauf hingewiesen, daß viele Menschen nur deshalb arbeitslos sind, weil sie nicht arbeiten wollen. Dies entspricht leider der bitteren Realität. Es gibt sehr viele Drückeberger, die Mittel und Wege gefunden haben, den Staat auszutricksen. Studien zeigen, daß je nach Land bis zu rund einem Viertel der Empfänger finanzieller Hilfe den Staat in der einen oder anderen Weise ausbeuten. Sie kosten den Steuerzahler jedes Jahr Milliarden.

Aber die Profiteure finden sich nicht nur auf den unteren Stufen der sozialen Pyramide. Andere Studien untersuchen, wieviel Geld dem Staat durch Steuerflucht und Steuerhinter­ziehung von Unternehmen, Aktionären und Investoren verlorengeht. Raten Sie mal, was dabei herauskommt. Der Betrag liegt um ein Vielfaches — laut einzelnen Quellen um einen Faktor zehn — höher. Wer nur die eine Seite beleuchtet, muß sich den Vorwurf der gezielten Volksverdummung gefallen lassen.

Von einem anderen Phänomen wird bezeichnenderweise nicht so gerne gesprochen: Es gibt immer mehr Arbeitnehmer, die, um nicht zu verhungern, jeden Job übernehmen, den sie kriegen können. Dies sind oft Gelegenheitsjobs, es sind schlecht bezahlte Jobs, und in manchen Ländern sind es Jobs ohne jegliche soziale Absicherung. Wo es keine Mindestlöhne und kein Sozialnetz gibt — wie etwa in den meisten asiatischen Schwellenländern oder weitgehend auch in den USA — gibt es Massen von Menschen, die schwer arbeiten und dabei immer tiefer in Armut geraten. Dies ist besonders häufig das Schicksal von Frauen, insbesondere von alleinerziehenden Müttern.

Die USA, deren Regierung immer gerne mit den "Millionen neugeschaffener Arbeitsplätze" politische Reklame macht, haben dafür einen eigenen Begriff gefunden: the working poor — die arbeitenden Armen. Wer entlassen und anschließend zum halben Lohn wieder eingestellt wird, oder wer während zwei Stunden in der Woche einen Gelegenheitsjob versieht, für den interessiert sich keine Arbeitslosenstatistik. Das amerikanische Job-Wunder beruht — von der auf Kosten der Umwelt künstlich verbilligten fossilen Energie einmal abgesehen — auf den längsten Arbeitszeiten, der schlechtesten sozialen Absicherung und seit 17 Jahren real sinkenden Löhnen. "Die Wirtschaft blüht", freuen sich die einen. "Die Armut hat massiv zugenommen", so lautet die traurige Bilanz der anderen. Jeder spricht von dem, was ihm persönlich mitteilenswert erscheint.

Doch nun zu dem, was die Zukunft bringen wird. Es sind heute vier verschiedene, langfristige Entwicklungs­trends im Gange, die alle mit einem dramatischen Abbau von Arbeitsplätzen verbunden sind.

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   Das Drama der Arbeitslosigkeit   

Trend Nr. 1: Die technologische Rationalisierung oder Automatisierung. Immer mehr Tätigkeiten können von Maschinen schneller, präziser, fehlerfreier und kostengünstiger ausgeführt werden als von Menschen — und wer in der harten Konkurrenz auf den Weltmärkten bestehen will, ist praktisch gezwungen, von diesen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. In vielen Produktions- und Dienstleistungs­prozessen legt schon heute kein Mensch aus Fleisch und Blut mehr Hand an — außer einigen Spezialisten, welche die technischen Anlagen überwachen. Die Produktion ist bereits in verschiedenen Branchen weitgehend automatisiert. Doch das Potential ist noch bei weitem nicht ausgeschöpft — allein schon mit den heute verfügbaren technischen Mitteln. Und die Technik entwickelt sich in rasantem Tempo weiter.

Trend Nr. 2: Die organisatorische Rationalisierung. Jedes Unternehmen, gleich welcher Branche, ist heute gezwungen, Kosten zu senken. Zwei Drittel bis drei Viertel der Kosten aber sind Personalkosten. Kosten senken bedeutet deshalb nichts anderes, als gleiche Leistungen mit weniger Menschen zu erbringen. Dies sind die wesentlichen Konsequenzen: Neugestaltung der Geschäfts­prozesse; Vereinfachung der Arbeitsabläufe; Zusammenlegung gleicher Fachfunktionen an einer Stelle; Zusammen­schlüsse, Fusionen und Kooperationen mit anderen Unternehmen — praktisch immer mit dem Ziel und mit dem Effekt eines massiven Stellenabbaus. Wenn zwei große Unternehmen fusionieren, geht es immer gleich um Tausende von Stellen.

Trend Nr. 3: Die Auslagerung von Arbeitsplätzen in Niedriglohnländer oder der sogenannte Arbeitsexport. Dieser Trend betrifft vor allem die hoch­entwickelten Industrieländer und hier wiederum am stärksten sogenannte "Hochlohnländer" wie etwa Deutschland oder die Schweiz. Wenn eine Arbeitsstunde anderswo nur ein Zehntel kostet, sind immer mehr Unternehmen gezwungen. Produktions- und Dienstleistungszentren dorthin zu verlagern. In den Industrienationen gehen hierbei Millionen von gutbezahlten Arbeitsplätzen verloren. Ein Teil davon wird, schlecht bezahlt und meist ohne jegliche Sozialbeiträge, anderswo wieder aufgebaut — in Indien, China, Taiwan oder Korea. Dieser Ausverkauf der Arbeitsplätze wird solange weitergehen, wie anderswo die Arbeitskraft wesentlich billiger zu haben ist.

Trend Nr. 4 hat einen kurzen Namen: Die Pleite. In jedem Land gehen jedes Jahr Tausende von Firmen — kleinere, mittlere und auch mal größere — in Konkurs. Und jedes Mal, wenn ein Unternehmen seine Bilanz deponiert, verlieren viele Menschen ihren Arbeitsplatz. Natürlich werden auch neue Firmen gegründet. Aber das Verhältnis liegt etwa bei eins zu vier — und Neugründungen sind in der Regel kleine Unternehmen mit einer höchst begrenzten Anzahl von Arbeitsplätzen.

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In den meisten Zweigen der Wirtschaft tummeln sich heute immer noch viel zu viele Marktteilnehmer — darunter viele, die von vornherein nicht leistungsfähig genug sind, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Ein weiteres kommt hinzu: Viele Märkte haben begonnen, insgesamt zu schrumpfen. Da ist ganz einfach nicht mehr genug Volumen vorhanden — und mit zunehmender Arbeitslosigkeit und schwindenden Einkommen werden die Märkte immer enger. Da geht alles zurück: Der private Konsum, die Investitionen in der Wirtschaft und die Investitionen des Staates. Jede weitere Pleite aber entzieht dem wirtschaftlichen Kreislauf letztlich ein weiteres Quentchen Energie — genannt Kaufkraft. Es ist wie bei einer Kettenreaktion: Der Trend nährt sich selbst.

 

   Visionen der Zukunft   

In den vergangenen Jahrzehnten ist ein großer Teil der menschlichen Arbeitskraft, die in der Industrie frei­gesetzt wurde, vom Dienstleistungs­bereich aufgenommen worden. Doch jetzt steht genau hier das große Reine­machen bevor — und es gibt keinen Bereich mehr, der dies ausgleichen könnte.

Der Cyberspace wird uns das Grausen lehren. Vor zehn Jahren war das Internet noch so gut wie unbekannt, und bis vor fünf Jahren wurde die digitale Weltbegegnungsstätte fast nur von Wissenschaftlern frequentiert. Mittlerweile gibt es nach offiziellen Schätzungen weltweit über 20 Millionen Anschlüsse, 100 Millionen Menschen bewegen sich gelegentlich oder regelmäßig im Cyberspace — und die Teilnehmerzahl verdoppelt sich zur Zeit jährlich. Der Punkt, an dem es für jedes Unternehmen praktisch unumgänglich wird, im Internet als Anbieter aufzutreten, wird demnächst erreicht sein. 

Und dies ist die Konsequenz: Ein erheblicher Teil des weltweiten Marktgeschehens verlagert sich auf diese eine, gigantische elektronische Drehscheibe. Wenn aber einmal ein größerer Teil des Banken- und Versicherungs-, des Einzelhandels- oder des Reisebürogeschäftes über Internet abgewickelt wird, dann sterben reihenweise Berufe im Verkauf, in der Beratung, in der Komm­un­ikation und in der Verwaltung ganz einfach aus — und in einer global vernetzten Welt geht so etwas schneller, als man zugucken kann.

Parallel zur Verschmelzung der Weltmärkte zu einem einzigen, elektronisch gesteuerten Großbasar vollziehen sich weitere Entwicklungen. Auf allen Fachgebieten werden sogenannte Expertensysteme entwickelt: 

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mit umfang­reichen Fachinformationen angereicherte Computerprogramme, die es einem Laien erlauben, im direkten Austausch mit seinem Personalcomputer höchst anspruchsvolle Probleme zu lösen — beispielsweise die Aktien der großen Erdölgesellschaften zu analys­ieren, medizinische Diagnosen zu stellen, das für eine bestimmte Familienkonstellation günstigste Versich­erungsprogramm zu eruieren oder für ein in einer bestimmten Gegend gelegenes Stück Agrarland das ökonomisch und ökologisch sinnvollste Bewirtschaftungskonzept zu erarbeiten.

Noch müssen Menschen, um solche Expertensysteme zu nutzen, lernen, einen Personalcomputer zu bedienen. Doch gerade hier steht ebenfalls ein gewaltiger Innovationssprung unmittelbar bevor: Die alltagstaugliche Schrift- und Spracherkennung. Der freie Dialog zwischen Mensch und Maschine wird die Einsatz­möglich­keiten für den Computer vervielfachen — und Massen von Menschen aus dem Arbeitsprozeß katapultieren.

Es bleibt dann nur noch eine einzige, letzte große Barriere auf dem Weg zur "schönen neuen Welt": Die von Informatikern kurz "KI" genannte künstliche Intelligenz, an der weltweit intensiv geforscht wird. Computer sind heute lediglich schnelle, aber stupide Rechenmaschinen. Wenn sie eines Tages denken können, werden sie die menschliche Intelligenz sehr bald bei weitem übertreffen und einen technologischen Quantensprung auslösen. Aber ich will in diesem Buch nicht darüber spekulieren, wie sich dies auf die Lage der Menschheit auswirken wird. Es reicht, wenn wir uns mit den heute bereits absehbaren Verwerfungen auf diesem Planeten auseinandersetzen.

 

Armut in Eldorado

Soweit wir dies heute beurteilen können, wird es auch auf längere Sicht Tätigkeiten geben, die nicht einfach automatisiert oder wegrationalisiert werden können. Wissenschaftler in der Forschung, Ärzte, Juristen, Ingenieure, Psychologen, Designer, Lehrer, Journalisten, Programmierer oder Manager wird man auch in 15 oder 20 Jahren noch brauchen. Aber erstens in einer erheblich geringeren Anzahl als heute, und zweitens mit gegenüber heute wesentlich veränderten Aufgaben. Wenn man all die genannten Entwicklungen zugrundelegt, ergibt sich auf Sicht von ein bis zwei Jahrzehnten nur noch für eine begrenzte Gruppe hoch quali­fizierter Fachleute und Führungskräfte die Chance, einen einigermaßen gutbezahlten Arbeitsplatz zu finden.

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Die Dramatik dessen, was uns bevorsteht, wird immer noch maßlos unterschätzt. Einer der Gründe liegt darin, daß der Stellen­abbau in der Wirtschaft bis heute noch weitgehend mit sogenannten "weichen" Maßnahmen bewerkstelligt werden konnte: Nichtersetzen der natürlichen Abgänge; vorgezogene Ruhestandsregelungen; sorgfältig ausgehandelte Sozial­pläne; beratende Begleitung ausscheidender Mitarbeiter beim Suchen eines neuen Arbeitsplatzes; Ausgliederung einzelner Betriebsteile als selbständige Unternehmen. Wer den Arbeitsplatz verliert, finanziell aber einigermaßen abgesichert oder sogar komfortabel ausgestattet ist, belastet keine Arbeitslosenstatistik — und leidet letztlich auch keine Not. Doch die Möglichkeiten des Personalabbaus durch weiche Maßnahmen sind mittlerweile praktisch ausgereizt. Viele Unternehmen haben kein Geld mehr, um ausscheidende Mitarbeiter großzügig abzufinden; das Sozialnetz wird dünner und dünner; und der Staat lebt bei der Finanzierung der Sozial­kosten zunehmend von der Hand in den Mund.

 

   Spiel mit dem Feuer   

Mit jedem einzelnen neuen Arbeitslosen aber sind im wirtschaftlichen Kreislauf drei Vorgänge verbunden. Erstens, beim Staat fallen gewaltige Kosten an. Zweitens, der Staat verliert einen Steuerzahler und damit ein Stück seiner Einkommensbasis. Drittens — und dies wird immer gerne übersehen — der Markt verliert einen kaufkräftigen Konsumenten. Ohne Konsum aber keine Konjunktur.

Im übrigen ist Arbeitslosigkeit nicht nur ein wirtschaftliches Problem. Arbeitslosigkeit führt zu schweren psychischen Belastungen und steht in engem Zusammenhang mit der Verwahrlosung und Kriminalisierung der Gesellschaft, mit Alkohol- und Drogen­mißbrauch sowie mit dem Zerfall der Familie. Arbeit bedeutet nicht nur Einkommen, sondern auch persönliche Identität und sozialen Halt. Der bekannte US-Politologe Michael Walzer: "Die Arbeitslosigkeit ist wahrscheinlich die gefährlichste Form der Dissoziation."

Dies ist also das Szenario: Eine Minderheit der Bevölkerung wird in der Zukunft Anteil haben am wirtschaftlichen Produkt, sei es durch hoch qualifizierte Arbeit oder aber durch Kapitalrenditen. Der Rest wird schrittweise verarmen. Dies vermag jedoch weder die Wirtschaft noch die Politik zu schrecken. Man geht von zwei Annahmen aus. Erstens: Die Kaufkraft eines Viertels der Bevölkerung reicht aus, um eine funktion­ierende Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Zweitens: Die Mehrheit der Bevölkerung wird es sang- und klanglos hinnehmen, ausgegrenzt zu werden.

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Dies sind Thesen aus dem Märchenland. Wenn immer mehr Menschen arbeitslos werden, gibt es sehr bald nicht mehr genügend Kaufkraft, um eine gesunde Wirtschaft am Laufen zu halten — und nicht mehr genügend Steuergeld, um einen funktionierenden Staat vorzuhalten. Und wenn immer mehr Menschen bewußt wird, wie dieses Spiel gespielt wird, werden einige es sich nicht gefallen lassen wollen. In Klartext: Der heiße Sozial­konflikt ist vorprogrammiert. Die Dramaturgie kann im Märchen vom Hans im Glück nachgelesen werden: "Tischlein deck dich, Goldesel streck dich, Knüppel aus dem Sack."

 

  Gesucht: Soziale Verantwortung  

Der Begriff "soziale Verantwortung" geistert zwar allenthalben durch die Leitbilder der Firmen und die Sonntags­reden von Topmanagern. Doch, zugegeben oder nicht: Die meisten verstehen darunter allenfalls den pfleglichen Umgang mit den jeweils vorhandenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern — eine Tugend also, die man in der normalen Umgangssprache als Anstand bezeichnet, und die für jedes erfolgreiche Unternehmen allein schon aus Eigeninteresse zur Selbst­verständlichkeit geworden ist. Die soziale Verantwortung für diejenigen dagegen, die man nicht mehr gebrauchen kann, fällt ganz einfach in die Zuständigkeit des Staates.

Es wäre jedoch falsch, hier zu moralisieren. Dies alles ist letztlich nicht die Schuld der einzelnen Unter­nehmens­leitung. So funktioniert nun mal unser Wirtschaftssystem. Solange es allen gut ging, hat niemand etwas dagegen eingewendet — noch nicht einmal die Gewerkschaften. Das System kann nicht von irgend­einem einzelnen Unternehmen oder auch nur von einem einzelnen Land geändert werden. Wer sich heute nicht an die Spielregeln des freien, globalisierten Marktes hält, verliert seine Konkurrenz­fähigkeit — und wer seine Konkurrenz­fähigkeit verloren hat, ist im Handumdrehen weg vom Fenster.

Dies ist das zentrale, letztlich nicht auflösbare Dilemma.

Es ist schon fast rührend, mit welcher Hingabe auf den politischen Parketts der einzelnen Länder um einen Lohnverzicht hier, eine Steuersatzanpassung da oder eine Finanzspritze dort gestritten wird. Dies alles gehört in den Bereich der Symptomtherapien

Das einzige, was das Problem zumindest etwas entschärfen könnte, wäre eine gerechtere Verteilung der Arbeit. In der Wirtschaft müssen heute in vielen Bereichen in einem geradezu monströsen Ausmaß Überstunden produziert werden. Der Personalbestand ist nämlich vielerorts soweit reduziert worden, daß das normale Arbeitsvolumen mit einem normalen Arbeitseinsatz gar nicht mehr bewältigt werden kann.

Wenn andererseits alle beim Staat Besoldeten dem Gesetz nach leben und dem Arbeitgeber ihre volle Arbeitskraft zur Verfügung stellen würden, hätten viele Arbeit, die heute stempeln gehen müssen. Zwischen 15 und 40 Prozent der Beamten — je nach Land und Bereich — gehen so ganz nebenbei noch irgendwelchen anderen, einträglichen Erwerbstätigkeiten nach. Laut einer Schätzung des Bundes der Steuerzahler entspricht das Gesamtvolumen der Schwarzarbeit der Beamten in der Bundesrepublik Deutschland etwa einer halben Million Arbeitsplätze. 

Aber die Beamten haben, wie bereits erwähnt, eine besonders mächtige Lobby im Parlament. Da guckt niemand gerne allzu genau hin, ob alles so ist, wie es sein sollte.

Der Aktionismus, der allenthalben an den Tag gelegt wird, wenn es um die Staatsfinanzen geht, verbirgt nur die fundamentale Ratlosigkeit sowohl der Politiker als auch der Wirtschaftsführer angesichts eines Problems, welches erstens nicht auf nationaler Ebene und zweitens nicht ohne Veränderungen im bisher geltenden Wirtschaftssystem gelöst werden kann. 

Niemand mag es aussprechen, aber so ist es nun mal: Der freie Markt löst eben nicht alle Probleme. Völlig freier Markt bedeutet in letzter Konsequenz Darwinismus in Reinkultur: das Überleben des jeweils Stärkeren — auf Kosten der Schwächeren. Dies ist letztlich nichts anderes als die Verherrlichung des Faustrechts mit wirtschaftstheoretischen Mitteln. 

Wenn der Markt einmal zur globalen Veranstaltung geworden ist, bedarf er auch eines globalen Regulativs. Weltweit geltende und eingehaltene Spielregeln und Steuerungs­mechanismen wären gefragt. Doch dazu wäre so etwas wie eine globale Solidarität unter den Völkern dieser Erde erforderlich. 

Und diese wird es nicht geben.

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Christoph Lauterburg   Fünf nach Zwölf   Der globale Crash und die Zukunft des Lebens