Glaube        Start    Weiter

21.  Kopf im Sand 

 

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Die Fähigkeit, zu glauben, ist etwas Großartiges. Sie ermöglicht es den Menschen, in Sphären vorzu­stoßen, die einer direkten Erkundung entzogen sind, und zu tiefen inneren Überzeugungen zu gelangen in Fragen, in denen der Verstand nicht weiterhelfen kann. Glauben kann eine gähnende innere Leere ausfüllen. Er kann Menschen Kraft, Mut und Sicherheit geben. 

Glauben kann aber auch zu einer verzerrten Wahrnehmung der Wirklichkeit führen. Wenn Glaube für Wissen gehalten wird, ist der Tatbestand eines Realitäts­verlustes erfüllt. Dieser kann völlig harmlos sein. Wenn jemand an die Wieder­geburt glaubt, richtet dies nirgendwo Schaden an. Wenn aber existentielle Vorgänge und deren absehbare Folgen ausgeblendet werden, ist Gefahr im Verzug.

  Kollektive Verdrängung 

Es ist erstaunlich, mit welchem Gleichmut die meisten Menschen die fatalen Entwicklungen auf dieser Erde hinnehmen. Die Probleme sind zwar bekannt, ihre Konsequenzen aber werden verharmlost, verleugnet, verdrängt. Dieses Syndrom wird im wesentlichen durch drei typisch menschliche Einstellungen geprägt:

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   Tabu der Gesellschaft  

Wenn aber offensichtlich alle überzeugt sind, daß die Lage eigentlich so dramatisch gar nicht ist, kommt ein besonders triftiger Grund hinzu, eventuelle Ängste zu verdrängen: Niemand will etwas von düsteren Zukunfts­aussichten hören. Im Gegenteil: Wenn alle der Meinung sind, daß gar kein Grund zu ernsthafter Besorgnis besteht, würde man sich öffentlich lächerlich machen, wenn man zugeben würde, daß man Angst hat vor der Zukunft. Nur neurotische Menschen leiden unter Zukunftsangst. Wer gar befürchtet, unsere ganze Zivilisation könnte zusammenbrechen, leidet unter Wahnvor­stellungen und gehört zum Psychiater. 

Was sagt denn unser wichtigstes Informationsmedium, das Fernsehen, dazu? Da gibt es auch nicht die Spur einer globalen Bedrohung. Es gibt Probleme, das ja, aber keine allgemeine Gefahr für unsere Zivilisation. Was man da sehen kann — ganz gleich von welchem Sender aus welchem Land — ist doch ganz normaler Reklame-, Nachrichten- und Unterhaltungsalltag. Jahrein, jahraus. Dies ist äußerst beruhigend. Denn wenn es eine ernst zu nehmende Zukunfts­gefahr gäbe — es würde bestimmt im Fernsehen darüber berichtet. 

Man sucht ja sogar den Weltraum nach Himmelskörpern ab, die eventuell mit der Erde kollidieren könnten. Einem Kometen auf Erdkurs würde man eine gewaltige Atombombe entgegenschicken und ihn sprengen, bevor er uns zu nahe kommt. Man würde die Gefahr rechtzeitig erkennen und etwas dagegen unternehmen. Und: Man würde darüber informiert werden. Über jedes Erdbeben, jeden Vulkanausbruch, jede größere Überschwemmung wird ausführlich berichtet. Es ist gar nicht möglich, daß sich eine globale Katastrophe anbahnt, und man erfährt nichts davon.

Die offene Auseinandersetzung mit den möglichen Konsequenzen der Weltlage ist deshalb heute weitgehend tabuisiert. Auch Politiker und Wirtschaftsführer, die im privaten Kreis offen über ihre Besorgnis und Ratlosigkeit sprechen, würden sich hüten, dies öffentlich kundzutun. Sie müßten befürchten, sofort als Schwarzseher und Panikmacher abqualifiziert zu werden.

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Grenzen der Macht

Der amerikanische Präsident gilt gemeinhin als der mächtigste Mann der Welt. Aber wenn man betrachtet, wie viele Wahl­versprechen als Leichen am Wegrand amerikanischer Präsidenten liegen bleiben, kann einen oft das Mitleid packen. Dabei handelt es sich meistens noch nicht einmal um globale, sondern um rein innenpolitische Themen. Auch die Macht der Mächtigen — so groß sie uns scheinen mag — hat verhältnismäßig enge Grenzen.

Wer sollte die Macht haben, das Weltproblem Nr. 1 zu lösen, nämlich das Bevölkerungswachstum zu stoppen, und zwar, wenn möglich, durch Geburten­kontrolle und nicht durch Massenvernichtung? 

Wer sollte in der Lage sein, die Konzentration der Menschen in Ballungszentren rückgängig zu machen; weitere Kriege zu verhindern; die Rüstungs­etats abzuschaffen und dafür eine weltweite Entwicklungshilfe, die diesen Namen verdient, zu finanzieren; Diktatoren und ihre Klans in vorzeitigen Ruhestand zu versetzen und in allen Ländern demokratische Verfassungen einzuführen; die Sicherheits­kräfte aller Länder so auszurüsten und zu vernetzen, daß die organisierte Kriminalität ausgemerzt werden kann; dafür zu sorgen, daß alle Kinder in einer intakten Familie aufwachsen und eine Schule besuchen können; oder die Strukturen der Weltwirtschaft so zu verändern, daß die Schere zwischen Arm und Reich wieder zu- und nicht weiter aufgeht?

Vielleicht sollte man doch besser davon auszugehen, daß dies alles gar nicht nötig ist.

 

Ausgrenzung der Skeptiker

All dem zum Trotz, haben sich immer wieder einzelne Skeptiker zu Wort gemeldet — wenige zwar, aber es hat sie gegeben. Einer von ihnen war beispiels­weise der bekannte Wissenschaftspublizist Hoimar von Ditfurth mit seinem 1985 erschienenen Buch <So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen. Es ist soweit>. Ein anderer heißt Gregory Fuller. Sein Buch ist 1993 erschienen und trägt den Titel <Das Ende. Von der heiteren Hoffnungslosigkeit im Angesicht der ökologischen Katastrophe>.

Man kann nicht behaupten, diese Autoren seien verunglimpft worden. Sie haben ihre Meinung gesagt, einige Leute haben ihre Bücher gelesen — und damit hat sich's gehabt. Die öffentliche Meinung ist davon kaum berührt worden. Für die meisten waren sie so etwas wie Exoten, die mit extremen und im übrigen nicht sonderlich realistischen Ideen Aufsehen erregen wollen. Man hat auch ein Etikett für diese Sonderlinge gefunden: Weltunter­gangs­propheten.

Zwei jüngere Autoren* haben sogar herausgefunden, daß alle, die unsere Zukunft besonders kritisch beurteilt haben, über 60 Jahre alt waren — vom Leben enttäuschte Männer, die eventuell an einer latenten Altersdepression leiden und ihre trüben Empfindungen auf die Zukunft der ganzen Welt übertragen. Damit Sie sich nicht beim Verlag nach meinem Alter erkundigen müssen: Ich bin ebenfalls gerade 60 geworden.

* detopia vermutet:  Maxeiner-Miersch 

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Die Stimmen der Skeptiker sind jedenfalls untergegangen in einem Meer von Veröffentlichungen, die entweder ein rosiges Zukunftsbild entwerfen oder aber Punkt für Punkt aufzeigen, was zu tun ist, damit allenfalls drohende Gefahren rechtzeitig abgewendet werden können.

Es grenzt manchmal schon fast an unfreiwilligen Humor, was für geistige Klimmzüge in einzelnen Büchern über die Zukunft unternommen werden. Da wird zum Teil eindringlich auf die Dramatik der Weltlage hingewiesen — bezüglich der absehbaren Konsequenzen aber werden, wenn überhaupt, einige wenige, dunkle Andeutungen geliefert. Man drückt sich mit allen Mitteln scham­haft darum herum, das mit Abstand wahrscheinlichste Szenarium konkret zu benennen und zu beschreib­en: den weltweiten Zusammenbruch der Zivilisation. 

Niemand mag die schlechte Nachricht über­bringen.

Es gibt eine alte Weisheit, die man beherzigen sollte, wenn Probleme erkennbar werden, deren Lösung mit einschneidenden Veränderungen verbunden wäre: "Gott gebe mir die Kraft, zu ändern, was ich ändern kann die Gelassenheit, hinzunehmen, was ich nicht ändern kann und die Weisheit, das eine vom andern zu unter­scheiden."  

Gerade auch Menschen in Schlüsselfunktionen haben ein feines Gespür dafür, was die Öffent­lichkeit aufzunehmen bereit ist, und was nicht. Ohne diesen politischen Instinkt wären sie nicht dort, wo sie sind. Ein Politiker will gewählt, eine Zeitung gelesen, ein Unternehmen mit seinen Produkten oder Dienst­leistungen von den Konsumenten positiv beurteilt werden. Da kann man nicht einfach daherreden, wie einem der Schnabel gewachsen ist. 

 

Beschützerinstinkte

Es gibt durchaus Wissenschaftler und Politiker, welche die fatalen Trends klar erkannt haben und selbst nicht mehr an einen glimpflichen Ausgang glauben. Aber sie halten mit ihrer Meinung zurück. Sie legitimieren dies vor sich selbst mit folgender Argumentation: Wenn die Menschen glauben, daß ein Zusammen­bruch nicht mehr verhindert werden kann, resignieren sie. Sie werden depressiv, legen die Hände in den Schoß und ergeben sich passiv ihrem Schicksal. Außerdem tragen sie, da es ohnehin keinen Sinn mehr machen würde, der Umwelt keine Sorge mehr. Der Crash wird dadurch noch beschleunigt.

So entdeckt manch ein Meinungsführer plötzlich seine pädagogische Ader: Man muß die Menschen motivieren, indem man ihnen Hoffnung gibt. Dann leben sie erstens glücklicher, und zweitens kann der Niedergang verzögert werden. Die soziale Verantwortung, die man trägt, verlangt, daß man seine persönliche Meinung für sich behält.

Wenn aber diejenigen, von denen Otto Normalverbraucher annimmt, daß sie besser informiert sind und einen größeren Überblick haben als er, völlig gelassen ihrem normalen Geschäft nachgehen und sich mit großem Engagement ihren täglichen Sorgen widmen, hat er keinen Grund, beunruhigt zu sein. - Und er ist dankbar dafür.

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Christoph Lauterburg   Fünf nach Zwölf   Der globale Crash und die Zukunft des Lebens  +  www.detopia.de