Vorwort 1972
von Prof. Hans Liebmann
9-11
Ein Planet wird unbewohnbar, wenn wir die aufgezeichneten Auswege aus der auf uns zukommenden Umweltkatastrophe nicht rechtzeitig erkennen und danach handeln.
Im Laufe meiner Arbeit in den letzten 36 Jahren wurde mir immer klarer, daß zwar das Wort Umweltschutz erst heute zu unserem Sprachschatz gehört, daß aber seine sachliche Notwendigkeit bei allen menschlichen Kulturen schon seit Jahrtausenden bestanden hätte.
Das von der Natur aus vorhandene biologische Gleichgewicht beruht auf einem sinnvollen ökologischen System des Neben- und Miteinanderlebens vieler Pflanzen- und Tierarten. Störungen dieses ökologischen Systems haben eine Verschiebung des biologischen Gleichgewichtes zur Folge. Diese Verschiebung kann dazu führen, daß eine Organismenart, bisher im Kampf ums Dasein in ihrer Populationsstärke unterdrückt, plötzlich so günstige Lebensbedingungen erhält, daß sie andere Arten überwuchert.
Das führt wiederum dazu, daß diese Monokultur anfällig wird gegenüber äußeren Einflüssen, die im ursprünglichen biologischen Gleichgewichtszustand zwischen den Organismen nicht vorhanden sind. Es kommt zum Auftreten von Krankheitserregern, bis die sich außergewöhnlich stark vermehrte Art wieder so weit reduziert ist, daß der ursprüngliche Zustand des biologischen Gleichgewichtes wiederhergestellt wird.
Eine Ausnahme von dieser Regel macht nur der Mensch. Er hat die Möglichkeit, Pflanzen und Tiere so zu beherrschen, daß er das ökologische natürliche System auf Dauer verschieben kann. Der Mensch darf eine solche Veränderung aber nur so weit durchführen, daß zumindest ein gewisser Prozentsatz des ursprünglichen ökologischen Gefüges in der Landschaft erhalten bleibt.
Um die Umweltschäden von heute zu erkennen, muß man die Umweltschäden von »gestern und vorgestern« studiert haben. Deshalb habe ich 22 Jahre lang zusammen mit meiner Frau die antiken Hochkulturen des gesamten Mittelmeerraums besucht und die wasserwirtschaftlichen Gegebenheiten studiert.
Es lassen sich aus den Kulturperioden der Antike und des Mittelalters Erkenntnisse gewinnen, die wichtige Beiträge für unsere heutigen Überlegungen sind. Umweltschäden ging der antike Mensch aus dem Wege, indem er die bisher besiedelten Gebiete verließ und Neuland erschloß. Das war bei der geringen Bevölkerungsdichte auf der Erde bis zur Völkerwanderungszeit möglich.
Dem heutigen Menschen ist dieser Ausweg auf dem inzwischen eng gewordenen Planeten versagt. Die »Völkerwanderung« muß deshalb ersetzt werden durch eine »Geisteswandelung«. Diese muß uns konstruktive Auswege aus der auf uns zukommenden Umweltkatastrophe finden lassen.
Die Menschheit hat bisher alle Gefahren, die ihre Erhaltung bedrohten, gemeistert. Sie ist durch das Verbot der Atombombe hoffentlich sogar mit diesem zweifelhaften Produkt menschlichen Wissens fertig geworden. Allerdings war es leichter, eine Ächtung der Atombombe zu erreichen, als eine Ächtung der Umweltverschmutzung zu Lande, zu Wasser und in der Luft durchzusetzen. Die der Welt schlagartig bewußt gewordenen Zerstörungen durch den Abwurf der ersten Atombombe erschreckten den Menschen mehr als die schleichenden Schäden, die er durch fehlenden Umweltschutz erleidet.
Es muß aber zu denken geben, wenn immer mehr Biologen auf eine kommende Umweltkatastrophe hinweisen, die in ihrer Auswirkung unvergleichlich schlimmer als die aller bisher abgeworfenen Atombomben sein wird.
Ich erhoffe mir von diesem Buch, daß es dazu beiträgt, nicht pessimistisch, aber objektiv und realistisch die Umweltsituation der Menschheit in vergangener und kommender Zeit zu sehen und die zwingende Notwendigkeit zu erkennen, jetzt zu handeln.
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München im Oktober 1972, Hans Liebmann
Hans Liebmann (Prof. Dr. Dr. h. c.) Ein Planet wird unbewohnbar