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Kommunistische Siedlungen

 

    Barkenhoff    

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Kommunitäre Siedlungen übten auf die Erzväter des Kommunismus, obwohl nach deren Einschätzung utopisch oder sozial-reformerisch, eine gewisse Faszination aus — von Friedrich Engels' <Beschreibung der in neuerer Zeit entstandenen und noch bestehenden kommunistischen Ansiedlungen> (1845) bis zu einer in der von Karl Kautsky edierten Reihe <Vorläufer des neueren Sozialismus> veröffentlichten Studie <Der utopische Sozialismus und die kommunistischen Versuche in den Vereinigten Staaten Nordamerikas> von Morris Hillquit (1920). 

Aktuell blieb das Thema freilich nur für solche Sozialisten, welche die Entwicklung ihrer Lehre von der Utopie zur »Wissenschaft« nicht mitmachten, sondern, von einem anarchistischen Voluntarismus ausgehend, den Schritt aus dem Reich der Notwendigkeit in das der Freiheit im Hier und Jetzt für möglich hielten: so Peter Kropotkin in seinem Werk Landwirtschaft, Industrie und Handwerk oder die Vereinigung von Industrie und Landwirtschaft, von geistiger und körperlicher Arbeit< (deutsch 1921) und, mit einer gewissen romantisch-völkischen Ausrichtung, Gustav Landauer in seinem <Aufruf zum Sozialismus> (1911), dem Vorläufer von Martin Bubers <Pfade in Utopia> (1950). 

Kropotkin und Landauer waren die theoretischen Lehrmeister, von denen die linksbürgerlich-jugendbewegte Intelligenz, radikalisiert durch Weltkrieg und Revolution, das Rezept einer Verwirklichung des klassen­übergreifenden Kommunismus auf dem Wege von Landsiedlungen übernahm. Und Heinrich Vogelers Barkenhoff wurde der Musterfall einer solchen Vorwegnahme der Zukunft.

Der Maler, Illustrator und Innenarchitekt Vogeler befand sich seit 1894 in der Künstlerkolonie Worpswede, wo er eine ortsansässige Kunstgewerbelehrerin heiratete und den Barkenhoff als Künstlersitz erwarb — von ihm so genannt, weil er um ihn Birken gepflanzt hatte (den Segensspruch über der Tür verfaßte Rilke: »Licht sei sein Los ...«). Der Weltkrieg brachte für Vogeler die große Erschütterung bisheriger träumerischer Gewißheiten.


Seine Ehe zerbrach, und der Kriegsfreiwillige richtete 1918 an den Kaiser und die Oberste Heeresleitung die Aufforderung, den Krieg unverzüglich zu beenden — und wurde darauf in eine Nervenheilanstalt zwangs­ein­gewiesen. Schon vor Kriegsende kehrte er nach Worpswede zurück und betrieb dort unter den ausländischen Kriegsgefangenen pazifistische Propaganda. Durch seine Kontakte mit den Bremer Linksradikalen7 (besonders Johannes Knief) war er mit den revolutionären Ereignissen in Bremen verbunden, beteiligte sich an der Rätebewegung und wurde in den örtlichen Arbeiter- und Soldatenrat gewählt.

Seinen Hof stellte er nicht nur für politische Versammlungen zur Verfügung, sondern nahm auch Arbeitslose, ausländische Kriegsgefangene usw. dort auf. Der Zusammenbruch der Bremer Räterepublik zwang ihn selbst kurzzeitig zur Flucht aus Worpswede. Sein Barkenhoff wurde im Frühjahr 1919 auch zur Zufluchtsstätte linker politischer Flüchtlinge, als Zentrum des von einigen radikalisierten Künstlern getragenen »Worpsweder Kommunismus« auch zum bevorzugten Objekt von Reichswehraktionen und Verhaftungen.

Politisch linkskommunistischen Anschauungen verpflichtet, rief Vogeler 1919 die Arbeitskommune Barkenhoff ins Leben, indem er seinen Hof für ein Siedlungsprojekt zur Verfügung stellte. Arbeitslose, politische Flüchtlinge, Jugendbewegte und suchende Intellektuelle wurden davon angezogen. Die Siedlung fußte auf Gärtnerei, Landwirtschaft und Handwerksstätten, die sich neben der Herstellung von einfachem landwirtschaftlichem Gerät und Gebrauchsgegenständen besonders auf kunstgewerbliche, gehämmerte Metallarbeiten spezialisierten. Wie die Siedlung Blankenburg hoffte auch Vogeler auf dem Barkenhoff durch die gemeinsame Tätigkeit von Proletariat und Intelligenz die Klassentrennung und die Spaltung in Kopf- und Handarbeit überwinden und die klassenlose Gesellschaft antizipieren zu können. Die Siedlung selbst sollte die materielle Basis für Vogelers Lieblingsidee, die »Arbeitsschule«, sein, durch die der neue produktive »kommunistische« Mensch erzogen werden sollte (Kontakte zu den Reformpädagogen um den Hamburger »Wendekreis«). 

7)  Vgl. Peter Kuckuk, Bremer Linksradikale bzw. Kommunisten von der Militärrevolte im November 1918 bis zum Kapp-Putsch im März 1920. Diss. Hamburg 1970.

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In der Schule sollten die Kinder — Vogeler gab auch Waisenkindern ein Obdach — ganz in den wirtschaftlichen Prozeß der Siedlung, in den realen Betrieb von Landwirtschaft und Werkstätten, eingereiht werden und sich so spielerisch die lebensnotwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten aneignen. Die Organisation von Siedlung und Schule war zunächst rätekommunistisch, mußte sich dann aber der politisch gewandelten Wirklichkeit anpassen.

 

 

8)  Nicht alle Barkenhoff-Kommtmarden teilten seine Ansicht — so sprach sich Friedrich Harjes gegen die Maschine aus. Friedrich Harjes, Radikale Siedlung. In: Das neue Werk. Ein Dienst am Werdenden, 3. Jg. (1921), 5. 189-192; Eberhard Arnold widersprach Harjes gerade in diesem Punkt: »[Gott] kennt Wege der Liebe mitten in den Industrialismus hinein.«

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Obwohl Vogeler, im Gegensatz zu den vielfach romantischen Jugendbewegungssiedlungen, die Technisierung und Mechanisierung der Kommune zu fördern trachtete8), konnte sie sich wirtschaftlich nicht selbständig machen, sondern lebte vom Verkauf der Bilder Vogelers an Mäzene (wie den Kaffeegroßhändler Ludwig Roselius). Aber auch in der Gemeinschaft zeigte sich das Scheitern von Vogelers Ideal der Nächstenliebe und gegenseitigen Hilfe; persönliche Enttäuschungen mit seiner Geliebten (der »Roten Marie«) wie den Mitarbeitern blieben nicht aus. 

So scheint es, daß Vogeler überraschend früh, nämlich schon 1920, die mit seiner »Arbeitsgemeinschaft Barkenhoff« verknüpften Hoffnungen schwinden sah. Als Reaktion darauf begann er ab Sommer 1920 mit der Entwicklung einer expressionistischen Liebes-Kosmologie in Wort und Bild und mit einer Hinneigung zur kommunistischen Parteiorganisation, wobei ihm der Widerspruch zwischen dem »Expressionismus der Liebe« und der doktrinären Parteilinie offenbar nicht bewußt wurde, da er seine religiösen Erlösungsvorstellungen genauso in die Kommunistische Partei hineinprojizierte wie später in die Sowjetunion.

Eine Rettung der Kommuneidee schien ihm dadurch möglich, daß sie sich organisatorisch von der Person Vogelers trennte: Im September 1921 wurde die »Arbeitsschule Barkenhoff« als Verein eingetragen (»gemeinnütziger Verein ohne politische Tendenz«!). Nominell blieb Vogeler jedoch der Eigentümer des Barkenhoffs, und die Arbeitsgemeinschaft veranlaßte ihn nicht, eine Übereignung des Hofs an den Schulverein vorzunehmen. Die Ausstrahlungskraft des Hofes zeigte sich darin, daß sich in seiner Nachbarschaft zwei Siedlerschulen (bodenreformerische Landwirtschaftsschulen) niederließen, der »Moorhof« und Leberecht Migges »Sonnenhof«, und im Januar 1921 eine Siedlerkonferenz auf dem Barkenhoff stattfand (»Siedlung für alle« war die Losung). Dazu kam die tätige Verbindung mit Fritz Jordi, der dann 1928 nach Vogelers Vorbild in der Nähe von Ascona das Dorf Fontana Martina kaufte und es neu beleben wollte. Auch mit anderen jugendbewegten Siedlungen (Vogelhof, Habertshof, Loheland) ist eine rege Korrespondenz bezeugt.

Obwohl von 1920 bis 1922 die Ernteerträge verdoppelt und vor allem ein Sägewerk in Betrieb genommen werden konnte, blieb der Hof weiterhin ein Zuschußbetrieb. Vogeler, seit Herbst 1922 aufgrund einer neuen Satzung für zwei Jahre gewählter Vorstand des Vereins, sah schließlich eine befriedigende Sicherung des Fortbestandes von Siedlung und Schule darin, daß die kommunistische Gefangenenhilfsorganisation »Rote Hilfe« (Vorsitzender Wilhelm Pieck) ab 1923 unter Anerkennung der Satzung der Arbeitsschule erholungsbedürftige Proletarierkinder gegen Unterhaltszahlung auf den Barkenhoff schickte.

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Doch indem die »Rote Hilfe« gegen den Widerspruch der Arbeitsschule die Entlohnung der die Kinder pflegenden Betreuerinnen selbst übernahm, sprengte sie den Zusammenhalt der Siedler von außen (Vogeler war zu dieser Zeit mit seiner neuen Frau in Rußland). Eine Einheit zwischen Arbeitsschule und »Roter Hilfe« war nicht herstellbar; so trennten sich die die Siedlung tragenden Landwirte und Handwerker vom Hof. Als Vogeler 1924 aus Rußland zurückkam, hatte die ehemalige Siedlung ihren Charakter verloren — sie war nun ein kommunistisches Kinderheim. Vogeler zog daraus die letzte Konsequenz und übertrug den Barkenhoff an die »Rote Hilfe«. Die alten Verbindungen zu anderen Gemeinschaftssiedlungen, der Plan des Auf- und Ausbaus einer Siedlungs- und Schulbewegung interessierten ihn nicht mehr, nachdem die Sowjetunion ihm eine größere Vision menschlicher Befreiung geboten hatte.

*

31. »Schöpferische Tat«

Aus dem Chaos der Unwahrhaftigkeit, der Widersprüche wollten wir heraus und suchten Klarheit. Heinrich Vogelers Gedanken sind auf die brüderliche Nächstenliebe gerichtet, wie sie in der christlichen Urgemeinde geübt wurde durch praktische Lebenshilfe in Verantwortung für andere. Sein Kommunismus sei, wie er sagt, die Liebe, die Gesellschaftsschichten überwindet und Ordnungen bildet, die jedem Frieden und Freiheit geben: »Wir sind Friedensmenschen, die noch schöpferisch sind, die nicht ihre Befriedigung in Resolutionen und Protesten finden, sondern in der schöpferischen Tat. Wir bauen an einer Zelle, die sich im Gegensatz zur vergehenden Gesellschaft befindet, die sich im Prinzip aus dem Kampf aller gegen alle gebildet hat. Hier liegt die Sicherheit unseres Handelns.«

32. »Christusmensch«

Du wirst in V[ogeler] einen wahren Christusmenschen finden, wie unsre suchende Zeit ihn gebiert und verstößt.

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33. »Expressionismus der Liebe« — aus der Polizeiperspektive

Den genannten Personen hatten sich etliche andere zugesellt, die auf dem Barkenhofe die Gemeinwirtschaft betrieben, indem sie alle ihre Kräfte in den Dienst der Sache stellten und das also Produzierte unter einander zur Verteilung brachten. Aber der Kohl wurde anscheinend durch die Anwendung der kommunistischen Zauberformeln auf dem Barkenhof auch nicht fetter als anderswo, und der Weizen blühte wie bei den einfachen Worpsweder Bauern auch nur einmal und nicht dreimal im Jahre, zumal die Zeit von den Männlein und Weiblein in sinniger Weise durch Schäferstündchen und gemeinsames Baden im Barkenhoferteich verkürzt wurde. Heinrich Vogeler, der in den Vorkriegszeiten in alter Biedermeiertracht aufgetreten war, legte Gewicht darauf, seine innere Wandlung auch äußerlich zu kennzeichnen. Der Schnitt seines Anzuges erhielt eine leichte, aber unverkennbare Anlehnung an russische Moden und Trachten. Wenn er also wie Tolstoi höchst eigenhändig auf seinem etwa 12 Morgen großen Anwesen das Unkraut von den Feldern hackte, mögen ihm die Ideen gekommen sein, über die er dann am Abend mit seinem Zirkel ausführlich diskutierte. Dann pflegte man auf der Diele des Barkenhofes auf Strohmatten sitzend zu politisieren, oder man hörte die »Rote Marie« dichten. Die Klampfen ertönten zu den Weisen proletarischer Kampfeslieder. Man schwelgte im Kommunismus, liebte und koste — Expressionismus der Liebe [....]

 

34. Kommunismus — oder Egoismus? Aus einem Brief des Freundes Ludwig Roselius an Vogeler (1918)

[...] Ihnen genügt es, Ihr eigenes Leben zu intensivster Kraftentfaltung, zum reinen Aktivismus zu bringen. Wie es wirkt, ist Ihnen gleichgültig. Das ist Egoismus, der an Fanatismus grenzt. Sie sind um nichts besser als der Protz, der mit seinem Auto, nur um die Lust an der Geschwindigkeit zu haben, Hühner, Hunde und Kinder niederfährt, ohne sich umzusehen.

Wenn Sie [...] behaupten, daß Kommunismus der Weg zur stärksten Ausbildung der individuellen Lebensformen ist, so belügen Sie sich selbst, denn Sie sind in Ihrer intensiven Kraftenfaltung und Ihrem reinen Aktivismus die stärkste Verneinung des Kommunismus [...]

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35. Der Worpsweder Kommunismus aus dem Blickwinkel von Vogelers Töchtern

»Ich sah das alles schon einmal«, sagte Marieluise [Vogeler], »1919, als sie auf unserem Hof diskutierten und wir drei Bürgerstöchter arbeiteten. Als sie die Welt verbesserten und sich nicht wuschen. Sie verwandelten den Park, wo Petri seine Konzerte gegeben, wo Carl Hauptmann seine Stücke aufführte, wo Rilke seine frühen Gedichte ersann, in einen Gemüsegarten. Nichts gegen einen praktischen Gemüsegarten für ein Haus voller Menschen — aber der Mensch lebt nicht von Karotten allein. Die Buchsbaumhecken wurden nicht mehr geschnitten, die Karotten verkamen im Regen, der Salat schoß in die Saat. Wir Töchter arbeiteten! Dann bat ich zu meinem Geburtstag, daß sie den großen Nußbaum stehen lassen möchten, den sie fällen wollten. Aber am Morgen weckte mich das Sägen der vereinigten Genossen! Sie sind nicht gut. Vater hat es vergessen!«

 

36. »Siegreicher Vorstoß in den Argonnen«: Die Kritik der Gesinnungsgenossen

»Bei einer Unternehmung der Regierungsschutztruppe Bremen gegen die Worpsweder Kommunisten wurden der Kunstmaler Heinrich Vogeler und drei andere Kommunisten verhaftet und nach Bremen gebracht.« Kriegsbericht der Presse.

[. . .] Der Unteroffizier Vogeler, Kriegsteilnehmer von 1914 bis 1918, hat also von der Strategie doch recht wenig abgelauscht. Hätte er, anstatt nach Kant sein Leben so zu führen, daß es sittliches Vorbild für jeden Menschenbruder sein könnte, seinen Barkenhoff mit Schützengräben umzogen anstelle von Rosenhecken, hätte er Maschinengewehre in Stellung gebracht an Stelle von Staffeleien — die Bremer Offensive wäre siegreich abgeschlagen worden.

Aber er hatte zu früh abgerüstet, und gegen republikanische Militärkolben konnte die Radiernadel nicht bestehen.

Nun mag er hinter schwedischen Gardinen vom »Expressionismus der Liebe« träumen und von einem neuen Blatt für seine Mappe An den Frühling. Ihr aber, Künstler der deutschen Republik, erkennt aus diesem Falle: Mars regiert die Stunde [...]

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37. »Kiek, kiek, da Kommunisten

Sie [die Mitglieder der ersten Arbeitsgemeinschaft auf dem Barkenhoff] ließen aber das Land verkommen, so daß die Bauern, wenn sie vorbeifuhren, mit dem Peitschenstil auf die Flut des gelben Hederichs wiesen: »Kiek, kiek, da Kommunisten. De hebbt ower ne Freud an de Blomens.« Vom Korn war kaum was zu sehen.

38. »Geburtszelle des Kommenden« - Kommunarden-Glaube

Es ist Sonntag. Gestern abend nach 8-10stündiger Feld- und Gartenarbeit, nackt in Luft und Sonne und dem feinsten weißen Sand, ging ich bis um Mitternacht mit Heinrich Vogeler noch über die Heide, am Moor entlang - eine unfaßbare Weltentrücktheit nach dem schweren Werktag - dann schläft man den Schlaf des Gerechten, bis um 6.00 die große Hausglocke läutet, aus dem Bett heraus, wie von Gott geschaffen und in ein paar Sprüngen ist man im See. Das ist ein Tagesanfang! Man ist gleich mitten darin. Im Sand turnt und rollt man sich trocken; und heut ist Sonntag und man weiß hier, was das ist nach den Arbeitstagen. Vor allem ist Jugend hier und bei allem Aufeinanderprallen guter Wille, Freude am neuen Sinn des Lebens und der Glaube, daß hier eine Geburtszelle des Kommenden geschaffen wird. Die Arbeit ist schwer, sehr schwer; aber man sieht doch schon hindurch, wie die Ansätze die ersten Früchte bringen!

 

39. »Das Siedlungswesen«: Aus einem Aufruf Heinrich Vogelers

Der wirtschaftliche und kulturelle Zusammenbruch Europas, der Weltkrieg, die letzte brutale Verzweiflungstat einer zerrütteten Gesellschaftsordnung, deren Gebäude heute nur noch auf intellektuellem Schwindel beruht, - treibt viele Erkennende, viele revolutionäre Köpfe zurück zur Natur, zur Mutter Erde. — Die gesunden Urinstinkte der Menschheit sind es, die sich von dem Gift der Verneinung des Krieges befreien wollen; sie sind es, die die neue klassenlose Wirtschaftsordnung der Menschen und der Völker untereinander aufbauen können und die uns befreien von der Knechtung und Ausbeutung.

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[.....] Hier wird nun die Siedlerbewegung die tragende Stütze für den Neubau sein müssen. Der Siedler muß heute mit allen Sinnen Revolutionär sein; denn ohne völlige Umstellung der Gesellschaftsordnung, ohne eine Enteignung des unproduktiven Grund und Bodens (ohne Entschädigung), ohne Erfassung aller Produktivmittel, Maschinen, Baumaterial, Werkzeug durch die Arbeitenden wird es keine technischen Möglichkeiten geben, die Massen zu ihrem Ziele zu führen.

 

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Der Raubbau der kapitalistischen Ordnung, der völlige Abbau aller wirtschaftlichen und kulturellen Güter macht jede Siedlung auf kapitalistischer Grundlage unmöglich. Heute in den von Regierungen und Bodenreformern propagierten Formen des kleinbürgerlichen Besitzes Siedlungen aufbauen zu 'wollen, entbehrt jeder technischen Grundlage: Kapital, technisches Material, Baumaterial, Freiland.

Es kann hier lediglich die Aufgabe sein, das Siedlungswesen als Zelle zum Aufbau der sozialistischen Gesellschaft zu betrachten [. . .] Erst wenn wir Großsiedlungen auf gemeinschaftlicher Basis, auf gegenseitige Hilfe aufgebaut errichtet haben, kann die Zusammenarbeit der Gesunden und [Kriegs-]Beschä-digten, der Jungen und der Alten beiderlei Geschlechts, in gemeinsamer Arbeit unser neues gegenseitiges Verhältnis gestalten.

[..••] Ohne Sozialisierung der Kohle, der Kraftzentralen, der Kaliwerke, der Maschinen, der ganzen technischen Hilfsmittel ist jede derartige Siedlung dem Untergange oder neuer kapitalistischer Versklavung ausgeliefert! So muß jede Regierung zur Erkenntnis, jeder Siedler zum Kampf um die Übernahme der Produktionsmittel in Gemeinbesitz getrieben werden. Das aus der wirtschaftlichen Not geborene Siedlerproblem mit seinen weitgehenden Konsequenzen ist das stärkste Kampfmittel zur Revolutionierung der Massen. Ein jeder Siedler muß innerlich völlig Sozialist sein; d. h. Träger, Aufbauer für den Neubau der klassenlosen Gesellschaft! Aller Besitz, alle Arbeitskraft ist den Gemeinschaftsinteressen zuzuführen [. . .] Die kommende Zeit wird uns zu der Erkenntnis zwingen, daß vor allem die intensive Arbeit auf den Siedlungen, die Industrialisierung der Landwirtschaft, uns über die schwersten Hungerperioden hinwegbringen kann [. . .]

 

40. Polizei- und Staatsaktionen (1919)

a. »Gefunden: 1 Eimer mit Urin«

Bericht über die Durchsuchung in Worpswede in der Nacht vom 22. 5. zum 23. 5. 1919. An der Durchsuchung nahmen teil:

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1. Von der Staatsanwaltschaft Staatsanwalt Dr. Wrede.
2. Von der Kriminal-Polizei Kriminalkommissar Herbig und drei Kriminalbeamte.
3. Von der R. S. T. Lt. Steuding, das Personal der Abt. Ic und
4. 50 Mann des I. Batls. unter Führung eines Offiziers.

Das Unternehmen gegen Worpswede wurde wie folgt durchgeführt: Abmarsch vom Domshof in zwei Personen- und zwei Lastkraftwagen um 1 Uhr 15 morgens nach dem Sammelpunkt Westerwede. Von hier aus Fußmarsch nach Worpswede um 2 Uhr 45; Ankunft dort 3 Uhr 30.

Das Gelände, auf welchem sich die Häuser Vogeler, [Lotte] Kornfeld und [Curt] Stornier befinden, wurde mit Einschluß des hinter den Häusern liegenden Wäldchens von der Truppe umstellt. Gleichzeitig wurden unter Führung der Kriminalbeamten und der beiden Gendarmen aus Worpswede Haussuchungskommandos gebildet und nach den drei genannten Häusern sowie den 'weiter im Orte liegenden Häusern des Schieferdeckers Vester und des Schneidermeisters Heuermann gebildet und entsandt.

Um 4 Uhr morgens begann die Durchsuchung der Häuser und das Absuchen des Gehölzes. Der gesuchte Eugen Lieby [ein politischer Flüchtling] wurde nicht gefunden; es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß er Worpswede endgültig verlassen hat.

Die Durchsuchung war bis auf das Haus Vogeler negativ.

Die Nachrichten über die im Hause Vogeler befindlichen Verstecke haben sich bewahrheitet. Diese sind so angelegt, daß sie nur nach mühseliger Absuchung und Untersuchung entdeckt werden konnten.

Ein Versteck befindet sich zwischen dem alten Haus und dem Anbau. Der Zugang zu diesem befindet sich im Fußboden des Vorplatzes zu dem Schlafzimmer im Neubau an der Verbindungstreppe zwischen dem alten und neuen Haus. Der unter dem Fußboden befindliche Raum ist etwa 1 1/2 m hoch und erstreckt sich unter einem Teil des Schlafzimmers und des daran stoßenden Badezimmers. Hier wurde gefunden 1 Eimer mit Urin, welcher nach seiner Beschaffenheit mehrere Tage alt war

Verhaftungen wurden nicht vorgenommen. 
Der Rückmarsch erfolgte gegen neun Uhr vormittags. 

Steuding.
Leutnant d. R.

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b. ».... daß die lebende oder tote Rosa Luxemburg nicht bei mir gefunden worden ist« 

Heinrich Vogeler schreibt uns:

Bisher sind fünf Hausdurchsuchungen von bewaffneter Macht auf dem Barkenhoff vorgenommen worden. Meist kamen die Weißgardisten mit einem großen Aufgebot an Mannschaften, bis an die Zähne bewaffnet, auf schweren Widerstand vorbereitet, in den Nachtstunden zwischen 3 und 5 Uhr; alle Nachsuchungen verliefen ergebnislos. Um den unsinnigen Gerüchten entgegenzutreten, die den Zweck haben, mich und meine Familie den verhetzten Bürgern auszuliefern, stelle ich fest,

1. daß ich jederzeit den bürgerlichen Gerichten zur Verfügung stehe,

2. daß die lebende oder tote Rosa Luxemburg nicht bei mir gefunden worden ist,

3. daß weder Maschinengewehre noch Handgranaten oder sonstige Waffen bei mir gefunden [worden] sind,

4. daß kein Widerstand geleistet [worden] ist, sondern die Truppen und Spitzel auf dem Barkenhoff als Gäste behandelt worden sind,

5. daß man keine Verbrecher bei mir gefunden hat.

6. Als »lichtscheues Gesindel« wurde nur ich verhaftet. Von den Arbeitslosen, die mit mir auf gemeinwirtschaftlicher Basis arbeiten, wurde niemand festgenommen. Alle jene Zeitungen, die nicht gewillt sind, sich selber schuldig zu machen an einer Pogromtreiberei, wie sie gegen Eisner von den klerikalen Blättern getrieben worden ist, bitte ich diese Zeilen abzudrucken. Die Quellen der unwahren Treibereien sind in Worpswede zu finden, nicht unter Bauern, sondern in sogenannten Künstler8a)- und in Spekulantenkreisen und in der Worpsweder Zeitung.

 

41. Zwei Geschichten

a. »Eine Brücke in eine neue Zeit«

In der Stille des Heide- und Moorgürtels von Worpswede wächst seit zwei Jahren eine Siedlungszelle, der Barkenhoff. Heinrich Vogeler hat sein Land und seinen Besitz einer Gemeinschaft von Erwerbslosen und kriegsbeschädigten Handwerkern und Gartenbauern zur intensiven Bewirtschaftung übergeben. 

 

8a)  Quellenmäßig sind besonders die Denunziationen des Malers Fritz Mackensen zu fassen.

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Zwar sind viele Rosenbüsche und Parkgänge verschwunden, auf dem früheren Tennisplatz wachsen Himbeeren; aber unsere zehn Kinder der Arbeitsschule finden die roten Träubchen der Johannisbeersträucher und die Kirschen und das Zwergobst nicht weniger geschmackvoll. Die Erwachsenen, welche die Siedlung tragen, sind die Kristallisation vieler Menschen und Nöte, die in den letzten beiden Jahren über den Barkenhoff hinweggegangen. Wieviel begeisterte Jugend ist immer wieder zur Mitarbeit angetreten, Freideutsche, Akademiker, proletarische Jugend. Sie fielen nach kurzer Zeit von selbst heraus. Sie sahen nur die Gemeinschaftsfreude, nicht die harte Gemeinschaftsnot, sie sahen das beglückende: Hinein in die Erde; sie brachten Feuer, Schwung und besten Willen mit; aber es gehört eine besondere Zähigkeit und Gesundheit dazu, die Entbehrungen, Arbeiten, Schicksale und die Unsicherheit einer Aufbausiedlung, wie es der Barkenhoff ist, zu bestehen. 

So verblieben denn als Stamm außer Heinrich Vogeler ein Tischler und Zimmermann, ein Schlosser und Schmied, zwei Landwirte und Gärtner, ein Gärtnerschüler, eine Lehrerin, vier Frauen für Küche und Haushalt und die zehn Kinder, die zum Teil Waisen und Halbwaisen sind. Von den erwachsenen Männern sind drei allein durch Verwundung Kriegsbeschädigte und vier solche, die als Arbeitslose zu Heinrich Vogeler kamen; sie haben bereits zwei Jahre die »produktive Erwerbslosenfürsorge« und Siedlungsfrage auf ihre Weise zu lösen versucht. Sie haben sich bis heute weder durch das Mißtrauen der bürgerlichen Umwelt noch durch Spott und Verdächtigungen aus dem proletarischen Lager an ihrem Werk irremachen lassen. 

Es ist ihnen in zwei Jahren gelungen, zehn Morgen Wiese und Zierland aufs intensivste gärtnerisch zu bewirtschaften, sie haben drei bis vier Morgen Ödland gerodet und kultiviert, sie haben Werkstätten eingerichtet, ein kleines Wohnhaus und einen großen Schuppen mit eigenen Kräften gebaut; sie haben vier Waisenkinder ohne eine Vergütung durch Kommune oder Angehörige in ihre Pflege genommen. Sie haben den Kleinbauern ihre zwei Pferde ohne Entgelt geliehen und vereinzelte Nachbarn schon zur Gemeinwirtschaft und gegenseitigen Hilfe erzogen; sie sind als Tischler und Schlosser gekommen, wann man sie rief. Sie haben mit einem Wort begonnen: ernst zu machen. Sie sind von der Phrase zur Tat übergegangen [...] 

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Von einem großen Teich strecken sich nach dem Südhang einer Mulde zahlreiche Saat- und Verstopfbeete. Darüber steigen in dreifachen Terrassen Tomaten- und Maispflanzungen an; und dort arbeitet ein Mensch. Mit entblößtem Oberkörper (es bestätigt sich). Dieses Wesen aber weist den heranschnürenden Gast mit mehr oder weniger freundlichen Gebärden zu den hochgelegenen, langgestreckten Reihenfeldern, auf denen Sommergemüse, Kohl, Wurzeln und Salate in dichtem Wachstum stehen. 

 

 

 

An vereinzelt abgeernteten Stellen sind schon die neuen Winterpflanzen gesetzt. Schachbrettartig sind alte Beeren- und Buschobstrabatten für Bohnen und Erbsen kultiviert. In einer Niederung wächst Mais, Hanf und Flachs. Jedes Fleckchen Erde ist aufs äußerste ausgenützt. Ich sah eine solche gärtnerische Intensivierung des Landes bisher nur in Flandern. Über dem Gartenland an der Waldgrenze liegt ein prächtiger Kartoffelacker, der erst im letzten Jahr aus gerodetem Ödland geschaffen. Ein anderer Teil der Brache ist zur Obstwiese und Koppel für das Vieh vorgesehen. Gerade steht oben ein Bohrturm, an dem drei junge Kerle arbeiten: ein Eisendreher aus Dresden, ein Maschinenschlosser aus dem Rheinland und ein Student aus Leipzig. 

Sie verpflegen sich selbst, da der Barkenhoff auch nicht die kleinste materielle Belastung zu tragen vermag; aber sie sind guter Dinge, schlafen auf einer Planke neben dem Geräteschuppen und wollen helfen, solange ihre Vorräte reichen. 

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Die Quelle soll die oberen Wiesen und Felder berieseln und das Neuland intensivieren helfen. Hinter den Ländereien zieht ein schmaler Kiefernwaldstreifen hin. An seinem östlichen Seehang liegt ein kleines Lehmhaus, das ganz mit eigenen Kräften und mit eigenem Material der Siedlung erbaut ist. Heinrich Vogeler bewohnt es. Daneben steht der Bienenstand mit seinen sechs bis acht Körben. Ein steiler Waldweg führt zu den eigentlichen Gebäuden. Das Haupthaus stellt den geräumigen Umbau eines alten Bauernhauses dar. Rings um den großen Innenhof liegen die Wirtschaftsgebäude und Stallungen. Daran schließt sich eine Schlosserei und Schmiede, eine Schreinerei und Tischlerei und eine im Bau begriffene Töpferei. 

Schmied und Schreiner haben ständig die Hände voll Arbeit; vorerst für den eigenen Hof. Der große Wagen ist bis auf den letzten Zapfen und den letzten Beschlag selbst gebaut, der neue Schuppen steht im Rohbau. Öfen, Pumpen, Garten- und Handwerksgerät, Zäune und Staudämme müssen erneuert und ausgebessert werden. Jetzt in der Trockenzeit sind alle Mann notwendig, im Moor den Torf umzuschichten, einzufahren und neu zu stechen; für die Kinder ein Fest! 

Inzwischen liegen auch von außerhalb für die Handwerker ständig Anfragen und Aufträge vor. Mit einer Zahl Nachbarn wird in Form des Naturalaustausches und der Gemeinwirtschaft verfahren: etwa eine Deichsel gegen ein halbes Fuder Torf oder eine Schlosserreparatur gegen einen Bienenkorb oder Ausleihung der Pferde gegen Bestellen der Weide. Viele aber haben versagt und abgelehnt; der Barkenhoff hat die Hoffnung nicht aufgegeben. Aber da er selbst viele Dinge noch mit Geld bezahlen muß, so ist er genötigt, von denen, die seine Bereitwilligkeit verneinen, aber seine Pferde brauchen, auch Geld entgegenzunehmen. Es ist schon eine Tat, daß zwanzig Menschen unter sich besitzlose Gemeinwirtschaft und gegenseitige Hilfe so restlos und konsequent verwirklichen konnten. Ihr Verhältnis zur Umwelt der Privatwirtschaft und des Profits ist für sie nur ein Übergang, eine Brücke aus dieser Zeit in eine neue Zeit.

 

b. »Und solche Typen wollten die Welt verbessern?« 

Bobik fuhr hin. Die schwere Landschaft der Moore und Birken, der niederen Föhren und der Häuser, die wie gewachsen aussahen, sagte ihm sehr zu. Das große Haus sah traurig und etwas verwahrlost aus. Kinder spielten laut auf dem Hof. 

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Er fand Käthe in ihrem Zimmer; es waren kaum Möbel da, alles war äußerst primitiv. Sie fiel ihm um den Hals und weinte. Schließlich führte sie ihn durch das Haus und zeigte es ihm. Es wirkte wie ein Aussiedlerlager. Irgendwo standen Betten, die nicht immer gemacht waren, ab und zu eine Kommode. Kleider lagen herum auf Stühlen oder Kisten. Überall sah man offene Konservendosen, die als Aschenbecher dienten und mit Zigarettenkippen übersät waren. Bobik ekelte sich vor solcher Art zu leben. In einem Raum saß eine behäbige Dame und erzählte etwas den Kindern, die auf Stühlen oder auf dem Boden sich herumräkelten. Man spürte die Langeweile, die sich wie ein dicker Sirup über den Raum ausbreitete. Abends war Käthe an der Reihe, für die Kommune zu kochen. 

Bobik leistete ihr in der Küche Gesellschaft. Er wußte, daß Kochen für sie eine Last bedeutete. Der Ofen mußte angefacht werden. Ein riesiger Kessel wurde auf den Herd gestellt und mit Wasser gefüllt. Es dauerte endlos lange, bis das Wasser kochte. Dann schüttete Käthe eine Grütze und Salz hinein und goß Milch dazu. Als die Grütze dicker wurde, mußte man sie mit einem großen hölzernen Löffel rühren, das war eine anstrengende Arbeit. Bobik half Käthe. Als Käthe noch rührte, kam eine Frau herein, die ein unfreundliches Gesicht und verarbeitete Hände hatte. Sie trug einen selbstgewebten abstehenden Dirndlrock. Sie sah Käthe eine Weile bei der Arbeit zu. Bobik spürte sofort, wie die Atmosphäre im Raum gespannt wurde. — »Sie machen das ganz falsch, meine Liebe.« - Sie riß Käthe den Löffel aus der Hand und begann, den Brei mit ausladenden Bewegungen zu rühren. Es war komisch zu sehen, wie ihre hervorstehenden Brüste, ihr Hinterteil, ihr sperriger Rock in wogende Bewegungen gerieten. - »Sehen Sie, das macht man mit dem ganzen Körper und nicht einfach aus dem Ellbogen!« - Käthe war dem Weinen nahe. Sie ließ sie gewähren. Aber da sie durchaus nicht helfen, sondern nur auftrumpfen und belehren wollte, hörte sie bald mit dem Rühren auf und reichte Käthe den Löffel. »Machen Sie es mir nach!« Und sie verließ den Raum. Bobik hatte große Lust zu lachen, aber Käthe war wütend. »Ich könnte diese eklige Person in der Luft zerreißen, und nicht nur sie allein! Hier ist jeder gegen jeden. Durch das allzunahe Zusammenleben sind sie alle gereizt und können einander gegenseitig nicht mehr ausstehen; es entstehen Cliquen von Freundschaften und Feindschaften, heimliche Intrigen und Sticheleien, Verleumdungen. Die Frauen schnappen sich die anderen Männer, und die Ehen gehen kaputt. 

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Die Kinder verkommen, weil sich faktisch niemand um sie kümmert, sie zanken miteinander und fühlen sich unbeschützt. Die eigenen Kinder, die jeden Tag von einer anderen Frau betreut werden, werden einem ganz fremd; ich ertappe mich dabei, daß ich Kinder nicht liebe, und fast bekomme ich es mit der Angst, daß ich auch meine Kinder nicht mehr richtig betreue. Alles ist Theorie und nichts ist menschlich. Du hast es soeben gesehen, sogar über das Rühren des Breis wird theoretisiert. Und dann gibt es alle paar Tage Zusammenkünfte, wo die Leute Parteimakulatur reden. Ich halte es einfach nicht mehr aus! Angelernte, lebensferne Parolen! Sie wollen eine künstliche neue Gesellschaft schaffen, und sie entfernen sich immer mehr vom Leben. Sie sind nur noch Homunculi! Ich kann es Fritz nicht verzeihen, daß er uns, ohne sich die Sache vorher anzusehen, hierher verpflanzt hat. Nun ist er davon und hat uns in diesem Inferno zurückgelassen!«

Dann wurde der Gong geschlagen, und wie im Roman >Les Miserables< von Victor Hugo kamen aus allen Türen Menschen herangeschlichen. Niemand von ihnen hatte ein fröhliches Gesicht, alle waren düster und verkrampft. Der lange Tisch hatte kein Tischtuch; es standen Emailleschüsseln da, und daneben lagen Aluminiumlöffel und Gabeln. Das Essen wurde von einer Frau, die bediente, auf den Teller geklatscht. Die Grütze schmeckte wie das Mensaessen, uninteressant, es war etwas, um den Magen zu füllen.

Abends war eine Versammlung. Sie saßen lässig beieinander, man spürte, daß keine Freundschaft sie verband, sie redeten aneinander vorbei. Sie waren undiszipliniert, jeder wollte seine Gedanken zuerst loswerden, der Sprechende wurde unterbrochen oder gar abgekanzelt. Sie waren voll von Aggressionen gegeneinander, und Bobik hatte den Eindruck, daß jeder nur sich selbst zu hören gewillt war.

Ihre Gesichter waren böse, sie schüttelten oft den Kopf und zuckten mit den Schultern. Niemand lachte, niemand war entspannt. Dabei sahen alle aus, als ob von ihren Worten und Entscheidungen das Wohl oder Wehe der Welt abhinge. Obwohl sie alle nur an eine einzige Wahrheit blind glaubten, an die Weltanschauung von Karl Marx — Bobik war zwar fest davon überzeugt, daß niemand von ihnen Marx wirklich studiert hatte, sie bezogen ihre Weisheit aus den üblichen Slogans, von denen ihre Zeitungen und Zeitschriften voll waren —, war jeder von ihnen sein eigener Karl Marx mit höchst persönlichen Auslegungen. 

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Eine Aussicht, seine eigene Meinung bis zum Ende äußern zu können, bestand sowieso nicht. Irgendeiner sprang auf und unterbrach ihn mit den stereotypen Sätzen: »Aber, Genosse, so hat Marx das doch nicht gemeint, das sind willkürliche Interpretationen. Sie sind ein typischer bourgeoiser Abweichler!« — Die anderen freuten sich über diese Aggression, aber bald wurden auch sie selbst das Ziel einer solchen. Nur wenige, wie Käthe Wolf, blieben still. Die Frau mit dem steifleinenen Rock redete am meisten, sie begeisterte sich an den zahlreichen Fremdwörtern, die sie oft falsch aussprach oder benutzte. Die Sitzung dauerte endlos. Die Konservenaschenbecher quollen über von Kippen. Keiner der Hausfrauen fiel es ein, sie zu entleeren. Die Luft war zum Ersticken. Bobik stand auf und öffnete das Fenster. Sie schrien ihn an: »Machen Sie es sofort wieder zu, man könnte uns belauschen!« Er ließ es offen und sagte: »Und wenn schon, aus diesem Geschrei wird doch keiner klug!«

Dann verließ er ostentativ den Raum. Er hatte genug, und er hatte nur den einen Wunsch, solchen Leuten nie wieder zu begegnen. Szenen aus Dostojewskis >Dämonen< standen leibhaftig vor seinen Augen; es war die gleiche freudlose, penetrante Atmosphäre von Menschenverachtung, Machthunger und Haß. Und solche Typen wollten die Welt verbessern?! Er hatte vergessen zu fragen, wo er schlafen solle; bei der allgemeinen Desorganisation und Gleichgültigkeit gegen Bequemlichkeiten war es ihm klar, daß niemand, auch Käthe nicht, daran gedacht hatte, ihn irgendwo unterzubringen. Also schlenderte er durch das Haus und fand einen greulich unordentlichen Abstellraum, in dem eine gebrechliche Chaiselongue stand, die dick mit Staub bedeckt war. Es hatte keinen Zweck, den Staub abzuwischen, er würde nur durch die Luft wirbeln. So nahm Bobik seinen Regenmantel und legte sich darauf.

Am nächsten Morgen suchte er Käthe auf und verabschiedete sich von ihr. Sie klammerte sich an ihm fest. »Verlaß mich nicht, ich bitte dich!« - »Nein, ich werde keine Sekunde länger in diesem Pandämonium bleiben. Schließlich habe ich erlebt, was eine Kommune ist: in jedem Zimmer eine Familie, aber das war erzwungen. Frei-willig in solchem Pandämonium zu leben, mit diesen Menschen, nein!« - Er blieb hart, er empfahl Käthe, so schnell wie möglich diesen Ort zu verlassen und fuhr weg. Er war tief deprimiert. In einer abendländischen, verfeinerten Kultur dieses Zurück — zu was: zur Steinzeit, oder eher noch zum Pithecanthropus — mit Verzicht auf alle Kultur, auf gepflegte zwischenmenschliche Verhaltensregeln, das war entsetzlich!

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42. Geldlose Wirtschaft?

 

a. Auszug aus der »Satzung der Arbeitsschule Barkenhoff« (1921)

6. Bei der Aufnahme als aktives Mitglied verfällt der Besitz des Eintretenden an die Arbeitsschule Barkenhoff E. V. und verbleibt auch beim Austritt des Mitgliedes in der Schule [...]

7. Von den Arbeitenden und Lehrern der Arbeitsschule Barkenhoff E.V. darf kein Gehalt beansprucht werden; das Geld-verhältnis innerhalb der Arbeitsgemeinschaft ist völlig ausgeschaltet und wird nach außen durch den Betriebsrat geordnet.

8. Es darf kein Schulgeld von den Eltern genommen werden.

 

b. Geldlose Wirtschaft? Erläuterung zu § 7 und § 8 der Satzung 

Der § 7 bedeutete nicht, daß die einzelnen Mitglieder ohne Geld in der Tasche herumlaufen müßten. Außerhalb des Hofes Wohnende erhielten die notwendigen Mittel, um zurechtzukommen. Raucher erhielten Geld nach ihrem Bedarf. Für den einzelnen ergaben sich zudem Ausgaben in sehr unterschiedlicher Höhe durch Kleidung, Krankheiten, Reisen usw. Was wir an Erfahrungen innerhalb der Gemeinschaft gesammelt hatten, war in diesen Paragraphen gefaßt. Er bedeutete im wesentlichen, daß keine Wertung der einzelnen Leistung durch Geld erfolgen sollte. Zum andern sollte der Betriebsrat Einnahmen zum größtmöglichen Nutzen für den Aufbau der Schule einsetzen können. Wer schließlich sollte Gehalt zahlen? Der Betriebsrat oder Vorstand war ja nicht Arbeitgeber. Dieses Verhalten zur Geldfrage bewährte sich, und an ihm konnte der Grad des Zusammenhaltes erkannt werden.

Zur Besitzlosigkeit ist zu sagen, daß es unmöglich war, zu dem — wenn auch labilen — Gemeinschafts­besitz noch unterschiedlichen Privatbesitz in der hergebrachten Form gelten zu lassen. Das Individuelle lebte sich durch Arbeit und Leistung des einzelnen innerhalb der Arbeitsgemeinschaft auf diese Weise reiner und uneigennütziger aus. Kleider, Bücher, überhaupt alles, was einem jeden zur Entfaltung seiner Persönlichkeit diente, fiel selbstverständlich nicht unter die Forderung zur Entäußerung. Der persönliche Bereich wurde geachtet und blieb unangetastet.

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Auf ein Schulgeld wurde verzichtet, weil die Mitverantwortung der Eltern und Gemeinden angesprochen werden sollte, deren Aufgabe es ist, eine Schule in ihrem eigenen Lebenskreis zu verankern.

Auch die Geldentwertung spielte bei diesen Beschlüssen eine Rolle, weil Arbeit kaum noch vergütbar war.

 

c.  Heinrich Vogeler und der »50-Pf.-Stundenlohn« 

Im >Volksblatt< wurde Heinrich Vogeler angegriffen, weil er für 50-Pf.-Stundenlohn arbeiten ließe. Es war von vornherein klar, daß es sich nur um einen Irrtum oder eine Verleumdung handeln konnte, mit der dem Kommunisten Vogeler eins ausgewischt werden sollte. Vogeler pariert nun den Angriff wie folgt:

»Auf dem Barkenhof fanden sich im Frühling arbeits- und obdachlose Kommunisten zusammen, die den Willen hatten, auf dem Grundsatze <allen Besitz und alle Arbeitskraft für die Gemeinschaft>, ein Zusammenleben zwischen den Gleichgesinnten neu aufzubauen. Tagelohn wurde für die Kommunisten nicht bezahlt, hingegen alle Einkünfte in dem Betrieb fruchtbar gemacht. Bei einem Kommunisten, dessen Luxusbedürfnisse die Anforderungen der anderen überstiegen (gleiche Wohnung und Verpflegung) sind für diese Bedürfnisse Tagesgelder ausgezahlt (der sogenannte 50-Pfg.-Lohn). In Zeiten der Not, der vollen Nutzung der Arbeitskraft, verließ der betreffende Landarbeiter den Hof, um, wie er selbst sagte, rein kapitalistisch zu arbeiten, die freie Wohnung blieb ihm, wenn sie auch für eine andere arbeitslose Familie dringend notwendig ist.

Logischerweise landete der Landarbeiter bei den M. S. und bei der Regierungstruppe, wo alle jene landen müssen, denen die Revolution nur ein klingendes Geschäft ist und keine innere Angelegenheit. Heinrich Vogeler, Worpswede.«

 

43. »Unsere Taterziehung auf dem Barkenhof«

Der Leitgedanke der Arbeitsschule Barkenhof ist der, das Kind durch aktive Arbeit an dem ganzen Wirtschafts- und Handwerksbetrieb der Schule so teilnehmen zu lassen, daß das Kind immer von dem Gefühl getragen ist, ein Mitglied der Gemeinschaft zu sein, auf dessen gestaltende Kraft es ankommt, das

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durch sein ganzes Lernen und Gestalten dazu beiträgt, die Lebensverhältnisse aller zu entlasten und zu verbessern. Alle Pädagogik geht von einem Kollektivgefühl aus für das Ganze. 

In dieser sozialen Pädagogik haben wir als Ausgangspunkt die natürliche psychologische Einstellung des Kindes nötig. Für das Kind ist das Spiel mit dem Material der Natur ein fortwährendes schöpferisches Gestalten. Wir beobachten, wenn Kinder im Sande mit Steinen, Blumen, Holz, Wasser und dem einfachen Werkzeug der Schaufeln, Scherben, Blechdosen ihr fantastisches Kleinleben aufrichten, wie sie diese Arbeit ohne Reibung dem einzelnen Kinde zuteilen, und wie sie dem schöpferischsten Kinde die Kräfte und das Material entgegenbringen. Diesen natürlichen Schöpferprozeß im Leben des Kindes nie zu unterbinden, sondern immer wieder zur Befreiung der Psyche von allen Spekulationen, intellektuellen Hemmungen zu führen, ist nun wohl bei uns die eigentliche Grundlage der Schulung des Menschen am vorhandenen Material und an den geistigen Bedürfnissen geworden.

[.....] Das Schulleben der Kinder geht [....] seinen ungehinderten Gang neben dem Betrieb [der Siedlung »Arbeitsgemeinschaft Barkenhoff«], da das Schulleben die inneren Wirtschaftssorgen mitträgt. Da ist die Ordnung der Zimmer, die Pflege des Körpers, die Pflege der kleinen Kinder durch die größeren. Da ist die Berechnung für die Ernährung und die Gartenarbeit, Stallarbeit, Werkstättenarbeit. Überall schließt sich die Lehrtätigkeit an diese Funktionen der Arbeitsgemeinschaft an und überall zeigen die Lehrenden die inneren Verbindungen zu den Gemeinschaftsbedürfnissen der Menschen und die Bindungen mit den kosmischen Gesetzen, die zu einer Glückserfüllung des Menschen durch das schöpferische Gestalten am Ganzen treibt.

 

44. Praxis der Arbeitsschule

a. Im Garten ist Gerda mit den Kindern eingezogen. Manchmal sind sie schon im Morgengrauen in den Beeten, hacken und jäten. Dann sei es am schönsten, heißt es, aber ich glaube, am meisten treibt unsere Freude sie an, die wir Gärtner zeigen, wenn wir fertige Arbeit vorfinden. Gerda ist immer mitten unter den Kindern. Die Arbeit macht ihnen nur Spaß, wenn sie mit Erwachsenen gemeinsam verrichtet wird. Arbeit um des Nutzens oder Profits willen liegt ihnen noch fern. 

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Kinder-Arbeit wirkt sich sozial verheerend aus, weil mit ihr Keime gelegt werden zur Verhärtung des Gemüts und des Körpers; die rechten Maßstäbe gehen verloren in Bitterkeit und Einengung des Denkens, Fühlens und Wollens. Die Arbeitsschule will aus dem Tätigkeitsdrang der Kinder das seelische und geistige Gleichgewicht in ihnen schaffen. Die Ehrfurcht soll gefördert werden vor dem, was Wesensinhalt eines Berufes ist. Wie sich Berufe gegenseitig ergänzen, das soll erfahrbar gemacht werden.

 

 

 

Als ein Feld mit Sommerfrucht gedrillt werden mußte, sollten die Kinder unter Gerdas Aufsicht helfen. Karl Lang zeigt ihnen, wie es gemacht wird. Nachdem das Wichtigtun vorüber ist, geht es recht gut. Alle größeren Kinder kommen an die Maschine, die kleineren laufen mit. Es ist drollig anzusehen. Alle sind gespannt auf das Wachsen.

Wenn das Jäten, Häufeln, Hacken und Ernten nach den Menschen ruft, ist selbst Mining [Heinrich Vogeler] viele Stunden lang im Garten. Er bindet Tomaten, Himbeeren und Brombeeren, pflückt mit den Kindern die reifen Früchte und erzählt ihnen dabei Schnurren, damit sie bei der Arbeit fröhlich bleiben. Am Hang hat Mining eine Quelle entdeckt, die er fangen will. Das ist etwas für die Kinder. Zuerst schneidet er mit ihnen Reisig von den Weiden, dann spitzt er »Stöcker«, wie der Alte August immer sagt, Pfähle, um die er die Weidenzweige schlingen will. Später will er die Quelle mit Steinen fassen, wenn sie wirklich trägt. Von ferne sieht es aus, als geschähe etwas ganz Wichtiges. Der Eifer der Kinder kennt keine Grenzen.

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b. Gäste wie Julia Goldstein und Margarete Schmidts - früher Lehrerin der Vogeler-Kinder, jetzt bei Rudolf von Laban -bringen in den Wochen ihres Hierseins eine Fülle von Anregungen für den Umgang mit den Kindern, wie wir es uns für die Schule wünschen. Die Art, in der Margarete mit den Kindern singt, wie Gymnastik getrieben wird, erschließt viel für die Zukunft, sind wir doch sämtlich ungeschult in bezug auf die erzieherischen Erfordernisse. Ich lese eifrig Pestalozzis Schriften, und unsere Gespräche kreisen um das Wie in der Erziehung.

 

 

 

Am Alten August sehen wir, wie die Kinder durch das Erlebnis lernen. Er sagt ihnen auch, wie ein Werkzeug benutzt werden muß, daß zu große Kraftanwendung dem Gerät schadet. Eine uralte Axt hat er mitgebracht. Mit einer wahren Andacht erzählt er, wie sorgsam man mit der Arbeitskraft zurückhalten muß, um das Werkzeug im höchsten Leistungszustand zu halten. Er lehrt die Kinder Höhen schätzen und zeigt, mit welch einfachen Mitteln sich das genau machen läßt. 

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Er weist auf die verschiedenen Holzarten hin und erklärt, wie sie zu verwenden sind. Oder er geht mit den Kindern in den Wald und sucht »Stöcker«, wie er sich ausdrückt, für die Lagerstätten in der Herberge. Dabei 'wählt er natürliche Formungen aus, so daß die Lagerstätten etwas Urwüchsiges erhalten. Sie sollen nicht aus einer schematischen Arbeit entstehen. Arbeiten die Kinder im Garten, dann wird jeder Arbeitsvorgang erklärt: warum man Pflanzen verzieht, wie bei schlechter Arbeitsweise beim Säen Saatgut vergeudet 'wird, wie die Wurzeln in die Erde gebracht werden müssen, warum sie gekürzt werden, wieviel Abstand die Pflanzen jeweils haben müssen u.s.w.. Das alles lassen wir erleben, damit die Kinder lernen, einen Arbeitsvorgang zu durchschauen. Auch das eigene Beet ist da. In den Werkstätten haben sie eine Bastelecke.

Aber immer noch fehlt der Pädagoge, vor allem für die schulpflichtigen Kinder.

 

c. Otto Schoppmann, der an seiner schweren Kriegsverletzung leidet, befindet sich als Lehrer in einer Krise. Das Lehren über den Weg der praktischen Betätigung auf dem Hof fällt ihm schwer. Er selbst fühlt sich hier als Lernender und bewundert den Alten August. Anerkennend erlebt er, wie Erfahrung und Weisheit des mehr als siebzigjährigen Mannes sich in einer frappierenden Sicherheit des Lehrens äußern. August lehrt, wie ein Beil oder Messer zu schleifen ist, wie das Sägen vor sich zu gehen hat, wie die Auswahl des Holzes für die einzelnen Zwecke der Holzbearbeitung zu treffen ist, warum ein Eschenstiel für eine Axt besser ist als einer aus Buchenholz. »Buchenholz«, sagt er, »zieht das Blut aus den Händen.« 

Wenn er mit den Buben die Takelage für Schiffchen baut, erzählt er vom Schwerpunkt und den Höhenverhältnissen der Masten und daneben allerlei, was es zu erzählen gibt vom Meer und vom Leben auf den Schiffen. Er kann aus altem, verdorbenem Quark mit Zusatz von Löschkalk Leim machen, der sich im Wasser nicht auflöst, und alles bei diesen Verrichtungen geht mit Maß und Sorgfalt vor sich. 

Merkt er, daß den Kindern die Zeit lang wird, bis der Leim brauchbar ist — man muß die Mischung lange reiben, bis sie Fäden zieht —, dann erzählt er Geschichten aus seinem Handwerksburschenleben, von den durchwanderten Städten — und den Kindern geht eine Welt auf. Dabei charakterisiert er Menschen, die er in seinen Wanderjahren getroffen hat. Er baut mit den Kindern auch Taubenschläge und Vogelkästen, sie streichen alles mit Farbe an, recht bunt natürlich. Und so geht das immerfort.

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