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Völkische Siedlungen

 

 

    Donnershag im hessischen Bergland    

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Ländliche Siedlungen gehörten in Deutschland zum Erbe der völkischen Utopien des 19. Jahr­hunderts. Ein romantischer Ansatz führte zur Vorstellung, daß die deutsche Wiedergeburt nicht in der industrialisierten Stadt, sondern nur auf dem Lande als dem Hort des Volkstums möglich sei. Hier sollte auf agrarischen Kommunen in organischer Gemeinschaft von Mensch und Natur die ersehnte Erneuerung von Volk und Rasse stattfinden. Zum wichtigsten theoretischen Vorreiter einer völkischen Agrarsiedlung wurde vor dem Ersten Weltkrieg Willibald Hentschel und seine rassische Zuchtkolonie »Mittgart«. 

Als Mittel zur Menschenzucht und damit als Methode des Überlebens der für ihn bedrohten arischen Rasse empfahl er Rassenhygiene und Polygamie (»Mittgart-Mehrehe«). Das Verhältnis von Männern zu Frauen sollte dabei wie zehn zu eins sein; nach Hentschels Vorstellung sollte ein Mann nach Schwängerung seiner bisherigen Frau sich sofort von ihr trennen und eine neue eheliche Verbindung eingehen. Hentschels Programm stand zunächst auf dem Papier (»Varuna«, »Vom aufsteigenden Leben«, »Mittgart«), seine Lehre fand aber Verbreitung durch den »Mittgart-Bund«.

Wurzeln schlug diese arische Phantasie dann nach dem Weltkrieg — so zeugte Friedrich Muck-Lamberty unter Waldesbäumen den Deutschland erlösenden Christus; freilich schreckte das Bildungsbürgertum, als Mucks Vielweiberei schließlich aufkam, vor dieser völkisch-jugendbewegten Erlösungslehre zurück. Während Hentschel mit dem Anstoß zur bündischen Artamanenbewegung seine wirksamste Tat vollbrachte (Aufruf <Was soll nun aus uns werden?>, 1923), fanden seine Vorstellungen doch ihre adäquateste Verwirklichung in Ernst Hunkels Siedlung »Donnershag« (eigentlich »Donarshag«). Diese muß freilich im Zusammenhang mit zahlreichen verwandten völkischen Bestrebungen gesehen werden, etwa dem »Deutschen Bunde für rassische Siedlungen« des Arztes Heinrich Tegtmeyer.

Hunkel leitete zunächst nicht nur die Presseabteilung des »Deutschen Ostmarken-Vereins« und war Generalsekretär der »Deutsch-Asiatischen Gesellschaft«, sondern hatte auch die Schriftleitung des in Eden herausgegebenen Blattes <Neues Leben> und des dortigen »Jungborn-Verlages« in der Hand. Er verwandelte diese Zeitung aus einer bloß lebensreformerischen und freiwirtschaftlichen (gemeint ist die Freiland-Freigeld-Lehre Silvio Gesells) in eine »deutsch-religiöse«, deren nordischrassische Mystik (Einflüsse Paul de Lagardes) besonders die »jungdeutschen« völkischen Jugendbewegten (um Otger Gräff) ansprach, und gab ihr den Untertitel <Monatsschrift für deutsche Wiederburt>.

Diese Wiedergeburt erhoffte er sich von einem »Deutschen Orden« (gegründet 1911 durch Otto Sigfrid Reuter, Verfasser von <Sigfried oder Christus?>) als einem »neuen Volkskern«. Als »Lebens- und Tatgemeinschaft« sollte der Orden durch rassenreine ländliche Siedlungen zur »Verjüngung unserer Volkskraft« und »Wiedergewinnung der Volksgemeinschaft« beitragen (»Deutsch-Ordens-Land«).

Einen ersten Schritt zur Verwirklichung machte Hunkel noch im Weltkrieg (1917), als er über seine Frau Margart Hunkel die »Deutsche Schwesternschaft« gründete, »die ihre Hauptaufgabe in der Aufzucht rassisch wertvoller Kinder im Geiste deutscher Volks- und Lebenserneuerung« erblickte — was natürlich nur im »Licht« (Zusammenhang der völkischen Bewegung mit dem Nudismus), »frei von allen Hemmungen des Großstadtlebens, der Kulturgifte, des kapitalistischen Drucks«, eben auf ländlichen Siedlungen möglich sei. 

Die von Frau Hunkel angepriesene »deutsche Gottesmutterschaft« ließ dabei bereits die Mittgart-Mehrehe anklingen. 1919 teilte eine Angehörige der Deutschen Schwesternschaft (deren öffentlich bekanntgegebenes Ziel eher an die Kinderdorf-Idee erinnerte) Hunkels Frau mit, an ihrem Arbeitsort Sontra im hessischen Bergland stünden einige Häuser leer, die für die Niederlassung der Schwesternschaft und ihre Waisen-Heimstätte (allerdings war diese nicht für »Rassenbastarde« gedacht) wie geschaffen erschien. 

Da glaubte nun auch Hunkel seinen alten Siedlungstraum verwirklichen zu können, und so schritt er denn 1919 zur »Landnahme« (!) in Sontra, indem er die »Freiland-Siedlung Donnershag, e.G.m.b.H.« gründete, die 1920 durch den Zuerwerb von Land aus den von der Genossenschaft »Deutsch-Ordens-Land, eingetragene Siedlungs-, Wirtschafts- und Verlagsgenossenschaft m.b.H.« aufgebrachten Geldmitteln noch vergrößert werden konnte.

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Das Land wurde zunächst — im Gegensatz zu den anderen Siedlungen in ihrer Gründerphase — an einen Landwirt verpachtet, da Hunkel realistischerweise seinen deutsch-religiösen und freiwirtschaftlichen Verlag »Jungborn«, den er nach Sontra verlegte, als finanzielles Rückgrat der Siedlung ansah. Bald wurden neue genossenschaftliche Betriebe, darunter eine Warenvertriebsstelle und eine »deutsche Herberge« angegliedert (auch die andere völkische Siedlung Vogelhof diente lange Zeit als Jugendherberge). Doch war es sein erklärtes Ziel, die Siedlungsgemeinde wirtschaftlich möglichst autark zu machen und junge Landwirte heranzuziehen, um eine viehlose Landwirtschaft (daneben Gartenbau und Kleintierzucht) zu betreiben. Denn »die Hauptquelle aller Nahrung ist der Grund und Boden, die neu geheiligte Mutter Erde.« Auch plante man, handwerkliche Erzeugnisse in eigenen Werkstätten herzustellen. Ende 1922 waren diese Ziele insoweit erreicht, als die Siedler selbst den größten Teil des Grundes landwirtschaftlich oder gärtnerisch bepflanzten. Dagegen war erst eine Werkstatt für kleinere Instandsetzungsarbeiten vorhanden und die Einrichtung eines kunstgewerblichen Betriebs beabsichtigt.

Wegen der von den 45 Siedlern und Siedlerinnen betriebenen Freikörper-Kultur gab es unerfreuliche Spannungen mit der ansässigen Bevölkerung. 1922 kam es dann auch zu ersten Auseinandersetzungen zwischen dem Deutschen Orden, dessen »Kanzler« Hunkel ab 1918 gewesen war, und der Donars-Gilde in Sontra, in deren Gefolge Hunkel im Dezember 1922 vorübergehend aus dem Deutschen Orden ausschied und mit seinen Freunden von der Donars-Gilde einen eigenen Deutschen Orden mit Sitz in Sontra gründete.

1923 spitzte sich der Konflikt zu: neben Streitigkeiten um die Wirtschaftsführung Hunkels ging es »um grundlegende Fragen deutschen Aufbaus«, nämlich um die Mittgart-Mehrehe. Es blieb dabei allerdings offen, ob Hunkel und seine Frau diese tatsächlich in Sontra praktiziert oder nur schriftstellerisch propagiert hatten (Hunkel stritt damals ab, daß gegen ihn ein Verfahren wegen Kuppelei anhängig sei). Jedenfalls war der Orden der Meinung, Hunkel wolle diesen »für seine Anschauungen sturmreif machen«, und reagierte mit einer deutlichen Absage an die Mehrehe. 

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Denn diese »rein züchterische Eheauffassung der Mittgartbewegung« und die »ungehemmte Gattennahme der Frau« (warum nicht des Mannes?) sei nicht mit der deutschen Sitte vereinbar und »unnordisch« (siehe Tacitus!). Diese »Zeitehe« verstoße außerdem gegen das Personenstandsgesetz. Hunkel, der die Jugend im Orden auf seiner Seite wußte (er war erst im Mai 1921 zum »Jungbornmeister« der »Jungscharen Deutschen Ordens« gewählt worden), griff seinerseits die Vertreter der Einehe als »Moralingreise« und »Muffiane« im Namen einer »höheren Ehe auf dem Grunde deutscher Treue« an. 

Diese jedoch werteten die Mehrehe und das »Mutterrecht« (schon Hentschel sah vor, daß die Kinder zwei Jahre bei der Mutter lebten, ehe diese wieder eine neue Verbindung und Empfängnis zum Ruhme der arischen Rasse eingehen durfte) nicht als Ausdruck höherer Sittlichkeit, sondern als »feige Waffenstreckung vor ungehemmtem Triebleben« und als das »Sexualrecht der niedersten Rassen«. Schließlich schloß der Aufsichtsrat der »Genossenschaft der Deutsch-Ordens-Land« seinen Vorstand und Gilde-Leiter Hunkel als »Schädling an der völkischen Sache« aus und änderte die Satzung der Genossenschaft. Die Donars-Gilde mußte die Siedlung nach einigen verlorenen Prozessen räumen; Hunkel und seine Freunde gingen fast ausnahmslos wieder in ihre alten Berufe zurück.

1924 kam dann auch schon das Ende der genossenschaftlichen Siedlungsform in Sontra. Hatte während der Inflationszeit die Genossenschaft etwa 350 Mitglieder umfaßt, so fanden sich nach der Währungsreform keine Siedlungswilligen mehr. So löste sich die Genossenschaft »Deutsch-Ordens-Land« im Oktober 1924 selbst auf. Die Gehöfte und das Land wurden verkauft bzw. reprivatisiert.

Doch damit war die Geschichte von Sontras alternativer Wirtschaft noch nicht ganz zuende. Denn Oswald Kiehne, der letzte Vorstand von »Deutsch-Ordens-Land«, der auch die Räumungsklage gegen Hunkel gewann, »der von sich selbst an sich selbst Donnershag auf dreißig Jahre verpachtet hatte«, und dann die Siedlung liquidieren mußte, blieb als einziger von den alten Donnershagern am Ort zurück — als Gartenbauer und Reformkaufmann. Von ihm gingen auch die entscheidenden Impulse zur Wiederbelebung der vegetarischen Bewegung in Deutschland nach 1945 aus: Ende Mai 1946 wurde in seinem Haus in Sontra die »Vegetarier-Union Deutschlands«, der jetzige »Bund für Lebenserneuerung« gegründet, und Kiehne zum Leiter der »Deutschen Vegetarier-Zentrale in Sontra« bestimmt. Als jahrzehntelanger Herausgeber der <Vegetarier-Rundschau> (1982 im 36. Jahrgang) und des <Sontraer Gesundheitsboten> (inzwischen im 34. Jahrgang) weist der 85jährige Kiehne immer noch »Wege zu neuem Leben«.

 

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84. Knabenträume  

Donnershag soll der Name unserer Siedlung sein. Warum dieser Name? Jeder hat in der Schule von der heiligen Eiche gehört, die nicht allzuweit von hier bei dem hessischen Dorfe Geismar stand und dem Donnergotte geweiht war. Da kam der Engländer Winfried, den die Römlinge Bonifatius, d. i. Gutglück, nannten und den wir lieber einen Unheilsboten und Heiligtumsschänder nennen sollten, und hieb sie um.

Mich hat die Geschichte schon als Schulbuben stark beschäftigt. Es schmerzte mich, daß die Hessen damals sozusagen mit den Händen in den Hosentaschen dabeistanden und untätig auf des beleidigten Gottes Racheblitz warteten, und es den wackeren Friesen überließen, dem Frechling später den Lohn zu geben. Und als kein Wunder geschah und der Frevler sein Schandwerk unverletzt beendet hatte, da krochen sie elend zu Kreuze. 

So machen wir Deutsche es oft auch heute noch, und durch diese Seelenverfassung sind wir in unser heutiges Elend gekommen. Jener Vorgang ist tief sinnbildlich. So ist er eine der Hauptquellen, aus denen schließlich das Meer von Schande zusammengeronnen ist, in dem wir fast ertrinken. Wir Dümmlinge und Schwächlinge, glauben wir wirklich, unsere Götter blieben uns treu, wenn wir sie feige im Stich lassen, sie hülfen uns, während wir die Arme in den Schoß legen? Umgekehrt ist die Sache: wir müssen für unsere heimischen Götter streiten bis zum Tode, dann streiten sie auch für uns, aus unserem Herzen heraus durch unseren Arm, und anders nicht. Dann aber ist immer und ewig der Sieg unser, auch wo wir äußerlich unterliegen, ja da erst recht. Das ist Wallhall, des Helden selige Heimat!

Als Knabe habe ich mir vorgenommen, die Sünde der alten Hessen zu sühnen und die gefällte Donnerseiche wieder aufzurichten. Äußerlich haben wir sie auch droben auf dem schiefen Berge in unserer alten Mal-Eiche — so wird sie noch heute vom Volke genannt —, unter der wir uns wie die Väter zu Rat, Gericht und Weihtum versammeln. Vor allem aber wollen wir den hehren Gottesbaum aufrichten in unseren Herzen, auf daß sie stark und tapfer, treu und alles Segens voll seien wie der rotbär-

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tige Bauerngott, dessen Auge Flammen sprüht und dessen Faust den zermalmenden Hammer führt; die durstende Erde erquickt er mit dem »Spender des Lebens« und ist der Vater der Fruchtbarkeit und alles Gedeihens. Ihm weihen wir unseren heiligen Hag, auf daß er zu Gottes Wohnung, zur »Drutwang« werde, d. i. zum Felde der Kraft!

 

85. Freiland-Siedlung Donnershag

Also wurde der Siedlung am 13. Heuerts 1919 Ziel gesteckt und Weg gewiesen:

1. Rasse. Aufgenommen können nur Männer und Frauen deutschen, d. i. germanischen, Stammes werden. Wer also der Genossenschaft durch Erwerbung von Geschäftsanteilen beitreten will, muß an Eides Statt versichern, daß er deutscher Abkunft und seines besten Wissens von jüdischem und farbigem Einschlag frei ist, auch seine Kinder aus gleichem, reinem Geblüte hat und, soweit es in seiner Macht steht, darin erhalten will.

Siedlungsbewerber müssen sich nebst ihren Hausangehörigen einer Untersuchung durch einen Vertrauensarzt der Genossenschaft unterziehen. Dem Arzt wird ein vom Vorstand der Genossenschaft ausgearbeiteter Fragebogen vorgelegt.

2. Deutscher Glaube. Angesiedelt kann nur werden, wer dem Deutschen Orden und der Deutsch-gläubigen Gemeinschaft angehört. Die Siedler bilden eine geweihte Gilde (die Donners-Gilde); in die Gemeinde soll kein fremder und falscher Ton mehr hereinklingen; und wer die Brücken, die ihn mit der seelenverpestenden und nervenzerrüttenden Zivilisationswelt verbanden, so weit abgebrochen hat, daß er sich in unseren Lebenskreis begibt, dem wird es auch nicht schwer werden, der Hüterin des fremden Glaubens den Abschied zu geben und sich mit den Seinen auch weihtümlich ganz und gar auf den Grund der Heimat zu stellen.

Aus der deutschgläubigen Grundgesinnung folgt als eine Selbstverständlichkeit die Tat der Lebenserneuerung auch in Wohnung, Kleidung, Nahrung und Genuß, frei von engem Ei-ferertum und äußerlichen Bindungen, aber fest verankert im Gemeinschaftsgewissen und in der Verantwortung für die völkische Kraft und Gesundheit, getragen von Sehnsucht nach Reinheit und Lebensadel. Angedeutet ist dieses Streben in der Bestimmung, daß Schlächtereien und Verkaufsläden für Rauschgetränke und Rauchgifte auf dem Siedlungsgelände grundsätzlich nicht eingerichtet werden dürfen.

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3. Deutsches Recht. Der gesamte Grund und Boden bleibt dauernd im Eigentum der Genossenschaft. Die Veräußerung von Grundbesitz an Ansiedler ist unzulässig. Die auf dem Grundeigentume der Genossenschaft ruhenden Pfandrechte sind planmäßig zu tilgen. Nach der Tilgung ist eine neue Belastung ausgeschlossen. Die Pachtzinsen sind so zu bemessen, daß eine allmähliche Tilgung der auf dem Grundeigentume der Genossenschaft ruhenden Pfandrechte möglich ist. 

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Ein besonderer Freilandstock dient der Entschuldung des genossenschaftlichen Grundeigentums und dem Ankaufe neuen Landes. In den Freilandstock fließen: a) der von der Genossenversammlung festgesetzte mindestens 10 v. H. betragende Anteil des Reingewinnes, b) besondere, ausdrücklich für diesen Zweck bestimmte Zuwendungen, insbesondere Zinsen und Gewinnanteile, auf die von den Berechtigten verzichtet wird. Auch die Ausgabe von Freilandbriefen ist vorgesehen.

Die Genossenschaft vergibt die Heimstätten in Erbpacht. Die Pachtverträge werden vom Vorstande und Aufsichtsrate gemeinsam festgesetzt. Der Vorstand hat das Recht des Einspruches gegen mißbräuchliche und gemeinschädliche Ausnutzung der Heimstätte. Bei einer etwaigen Auflösung der Genossenschaft darf kein Genosse mehr als sein Guthaben erhalten.

Damit ist jede Spekulation, jedes Anheimfallen der Grundrente an Einzelne ausgeschlossen und der Freiland­gedanke in unserer Gemeinschaft grundsätzlich verwirklicht, seiner völligen tatsächlichen Durchführung durch Entschuldung des Bodens, die ja nur allmählich erfolgen kann, der Weg gewiesen. Die zweite Großtat des Willens zu volkswirtschaftlicher Gerechtigkeit und Gesundung, die Einführung des Freigeldes und der unbedingten Währung, ist Sache des Staates. Ob die Beseitigung des arbeitslosen Zinseinkommens in einer privaten Genossenschaft überhaupt möglich ist, erscheint fraglich. Jedenfalls müßte die Genossenschaft so groß und vielgestaltig sein, daß sie die Befriedigung ihrer wirtschaftlichen Bedürfnisse 'wesentlich in sich selber finden könnte. Ist es erst einmal so weit, dann wird zu prüfen sein, ob wir's schaffen können, falls sich bis dahin der Staat noch nicht auf seine Pflicht besonnen haben sollte.

Die angeführten grundsätzlichen Bestimmungen sind dadurch gesichert, daß sie nur durch einstimmigen Beschluß geändert werden können. Dasselbe gilt für die Bestimmung, die diese Einstimmigkeit verlangt.

 

86. Deutsche Feste

[....] Um so ungehemmter und reicher kann und soll sich das Gemeinschaftsleben auf geistigem Gebiete entfalten. Stehen doch alle Glieder des Gemeinwesens, Männer, Frauen und Kinder, im Dienste einer unendlich hohen, heiligen Aufgabe, sinnbildlich: im Dienste des hammerbewehrten göttlichen Trägers aller Lebenskraft, dem sie sich zugeschworen.

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Und so werden sie sich regelmäßig vereinigen zur Pflege alles Starken, Schönen und Tiefen, das aus deutschem Wesen quillt. Da mögen Vorlesungen und Vorträge gehalten, die freie Wechselrede gepflegt werden; es mögen Sagen, Märchen und Geschichten erzählt werden wie in vergangenen Zeiten, und die Herzen der Lauscher -werden klopfen, wenn sie in Taten und Worten trotziger Helden und stolzer Frauen ihr innerstes Wesen freudeglühend erkennen. Alle Kunst wird man pflegen, in der sich lichte deutsche Art darstellen mag; durch das Leben soll in Arbeit und Feier wieder ein Schwingen und ein Klingen gehen; die Volkslieder werden wieder mehrstimmig gesungen werden, wie sich's gebührt; im Reigen und Volkstanze wird man sich um die Linde wiegen, auch uralte Weihetänze aus reingermanischer Zeit wie das faröische Sigfridslied werden zu neuem Leben erstehen. Neben Fiedel und Laute wird man wieder die hehre Harfe spielen lernen, und ihre Klänge werden den Sänger begleiten, wenn er, ein wiedererstandener altdeutscher Schöpp, aus alten Mären Wunders viel zu singen und zu sagen weiß; von der Entstehung der Welt und dem Göttergeschick, von Sigfrids Drachenkampf und Tod und Dietrichs Feueratem. So mancher alte Gesang der Götter- und Heldensage, der jetzt nur ein papiernes Dasein fristet, wird neu aufblühen in quellenden Tönen. Und alles, was zugefroren und versteinert war im deutschen Herzen, wird sich wieder lösen.

Und Feste werden wir zu feiern wissen! Wenn uns ein Kindlein zugeboren wird aus Gottesschoße, wenn ein Jüngling und ein Mädchen sich einen, um zu zweien das dritte zu schaffen, das über sie hinausweist, wenn einer zurückkehrt in die ewige Heimat; wenn das Licht neu geboren wird in der heiligen Mutternacht, wenn die Erde Auferstehung feiert, die Feldarbeit beginnt und das Vieh ausgetrieben wird, wenn zu den Hohen Maien Himmel und Erde Hochzeit halten, wenn zur Sonnenwende in Sommersglut die Himmelsleuchte sich zum Sterben kehrt und wenn wir im Herbste die Früchte unseres Fleißes als gute Gaben der Götter pflücken - o, das sollen Feste des Herzens werden, wie sie schon lange nicht mehr gefeiert wurden im deutschen Land! Das wird ein Leben und Weben werden in Wald und Au, auf dem Anger und der Tenne und den Dielen der Häuser zu Donnershag! Frommer Brauch der Väter wird Leben erhalten, als obs nie anders gewesen wäre, und auch zu schmücken werden wir uns wissen, und schon beim Anblick unserer schlichten schönen Festgewänder soll einem freudig und feierlich zumute werden.

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87.  »Gemeindelinde«  

Das Leben der Gilde ist nach manchen am Anfang unausbleiblichen Erschütterungen in ruhige feste Bahnen gekommen. Jeden Donnerstag ist Laube [Gilde-Treffen], abwechselnd vertraute, geschlossene und offene. Zwischendurch an Sonntag-Vormittagen Morgensprache, möglichst unter freiem Himmel, unter der Maleiche.

Die Jahresfeste werden gemeinsam begangen. Geburt und Tod sind schon in der ersten Zeit zwischen uns getreten und haben die Teilnahme der Gemeinschaft gefordert.

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An einem Frühlings-Sonntage weihten wir unsere Gemeindelinde auf dem grünen Anger, der uns zu Spiel und Volkstanz, zu Gerwerfen und Bogenschießen dienen soll. Der Gildemeister sprach dabei mit erhobenem Hammer den Weihespruch:

Wachse und blühe, Baum des Heiles,
Mächtig wurzelnd in der Mutter Schöße,
Der dir und uns Urborn des Lebens,
Lenzstark grüne auf lichter Au,
Stolz reckte den Stamm zur Höhe,
Des Weltbaums Abbild in einiger Kraft.

Ring um Ring umrunde dich jährlich,
Dein Holz härte sich zum Heldenmale,
Tauglich einstens tatfrohen Enkeln
Als Schildholz im Streit, wenn Speere fliegen.

Doch der Laubkrone leuchtende Äste,
Breiten sich sehnend zur seligen Bläue
Der Himmelsfeste, zum Vater des Lichts,
Herzen der Menschen zur Heimat weisend.

Also krönen sie kraftvolles Leben,
Wirken und Schaffen unserer Welt,
Der Männer Wettkampf, der Mädchen Spiele
Der Frauen Lieben, das Lachen der Knaben,
Ein Bild der Treue und trotzigen Stärke,
Ein Bild der Freude und friedlichen Wachstums,
Wahrzeichen von Deutschlands Wiedergeburt.

Blühe, gedeihe, Donnershags Heiltum,
Im Schutze der Hohen, die im Herzen uns walten
Und um uns das All mit Atem durchweben,
Mit Licht und Lachen und Lebensfülle -
Grüne und blühe, heiliger Baum!

 

88. »Hausweihe«  

Liebe Freunde! Ich habe Euch hierhergebeten, damit Ihr mit mir und den Meinen den Einzug in unser neues Haus begehen möget. Solche Hausweihe mag ja jedem von uns etwas bedeuten, der auf dieses Fleckchen Erde seinen Fuß gesetzt hat, um hier eine Heimat zu finden. Wohl jeder von uns hat, wie es das heutige Leben mit sich bringt, ein Nomadenleben hinter sich. Seit ich mein Elternhaus verlassen, ist dies die 14. Wohnung, die ich beziehe, seit ich eine Ehe geschlossen habe, die sechste! 

Es ist eine alte Ordnung, daß einmal die Wanderjahre ein Ende haben müssen und die seßhaften Meisterjahre beginnen. Wir umherziehenden Neuzeitmenschen haben aber, ungleich den alten Meistern, mit Weib und Kind umherziehen müssen. Nun wollen wir endlich, müde des Zigeunertums, das den deutschen Menschen verdirbt und zerreibt, ansässige, ehrsame Bürger und Meister unseres Berufes und unseres Lebens werden. Möchten wir alle nun endlich eine bleibende Stätte in diesem ruhelosen Leben gefunden haben, da wir einst unser Haupt auch zur ewigen Ruhe niederlegen können. Nun haben unsere Kinder ein wirkliches Vaterhaus. Den Kindern der großen Städte ist es ein unbekannter Begriff geworden. Sie werden von einer Mietwohnung in die andere geworfen, höchstens an ein paar Möbelstücke knüpfen sich ihre Kindheitserinnerungen. 

Welche Freude, welche Traulichkeit und Heimlichkeit strömt dagegen ein wirkliches Elternhaus aus, den Menschen mit seinem Segen begleitend sein ganzes Leben lang, auch in der Ferne und Fremde. Was hat da jede Wand, jede Ecke und jeder Winkel zu erzählen, Liebes und Leides! Und was für ein schönes Heim haben wir gefunden, Wiese und Berg und Wald vor der Tür, und im Innern können wir alles behaglich einrichten, wie es unseren Bedürfnissen und Wünschen entspricht. 

Mit am meisten freut mich der mächtige steingemauerte Herd, der rechte Mittelpunkt einer deutschen Herdstätte, wie in Urväter-Zeiten, -während den armen Berlinern, von denen ich herkomme, der Herd ganz verloren gegangen ist und sie nur noch ihre seelenlose eiserne »Maschine« kennen! Da mag uns denn aus diesem eigenen Herde, der ja Goldes und mehr als Goldes wert ist, und aus dem Tau der Wiesen und aus der fruchtbaren Scholle des Gartens das Heil der Heimat aufsteigen, die wir ergreifen und uns zu eigen machen wollen mit unseren ganzen Herzen [....]

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