Artamanengüter
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Die Artamanen waren eine Gruppe der rechten bündischen Jugendbewegung; vom Selbstverständnis her betrachteten sie sich als ein überbündisches Sammelbecken, da ihnen Mitglieder aller völkisch ausgerichteten Bünde willkommen waren (noch 1927, als 80 Prozent der Artamanen Nationalsozialisten waren, hielten sie an ihrer nominellen Überparteilichkeit fest).
Ins Leben gerufen wurde die Artamanenbewegung bereits 1923 durch einen Aufruf Willibald Hentschels (»Was soll denn aus uns werden?«), in dem er die Forderung der Binnenkolonisation in Ostelbien aufnahm, um die polnischen Landarbeiter zurückzudrängen, die bemerkenswerterweise auch nach dem Ersten Weltkrieg nicht durch deutsche jugendliche Arbeitslose ersetzt werden konnten, da man diese wegen der bekannten, mit der Landarbeit verbundenen Härten nicht aus den Städten fortzulocken vermochte.
Hentschel jedenfalls wollte »eine ritterliche Kampfgenossenschaft auf deutscher Erde«, ein »neues Heils-Heer« aufstellen, das im Osten den antislawischen Kampf (mit rassistischen Untertönen: »Blut und Boden«, »Volk und Rasse«) aufnehmen sollte.
Die »freiwillige Werkgemeinschaft«, die unter Leitung eines Führers »alle laufenden landwirtschaftlichen und technischen Arbeiten auf einem ostelbischen Rittergut pflichtmäßig übernehmen soll«, nannte er phantasievoll »Artam«.
Der völkische Bruno Tanzmann, Gründer der Deutschen Bauernhochschule, griff 1924 Hentschels Gedanken eines freiwilligen Arbeitsdienstes im Osten auf (»Nach Ostland wollen wir fahren!«) und setzte ihn mit anderen in die Tat um.
Die Artamanen verpflichteten sich im deutschen Osten auf den Großgütern zur sommerlichen Feldarbeit, insbesondere zum Rübenhacken, unter schweren körperlichen Bedingungen, die mit typisch jugendbewegtem Idealismus ertragen wurden. Die Bezahlung ihrer Arbeit erfolgte durch die Gutsherren lediglich zu ortsüblichen Tarifsätzen, die nicht höher waren als die der polnischen Wanderarbeiter (die stets unter denen der reichsdeutschen Landarbeiter lagen).
Während Tanzmann die teilweise über die Arbeitsbedingungen und schlechte Entlohnung klagenden städtischen Jugendlichen zur völkischen Disziplin anhielt, sprach der Deutschnationale Handlungsgehilfenverband schlicht vom »Mißbrauch des ehrlichsten Idealismus für egoistische Zwecke« und von einer »unverschämten Ausbeutung der deutschen Jugendkraft«.
Trotzdem fand der Artamanen-Gedanke in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre wachsenden Anklang — hatten 1924 etwa 100 Artamanen auf sechs Gütern gearbeitet, so waren es 1929 ca. 2300 auf 260 Gütern (der Anteil der Mädchen überstieg dabei nie 10 Prozent).
Die Artamanen kamen trotz ihres antiurbanen Ressentiments meist aus der Stadt. Besonders häufig waren Angehörige der Mittelschicht und des Kleinbürgertums vertreten. Seit 1927 warb man, wenn auch ohne großen Erfolg, verstärkt um Studenten (der freiwillige Arbeitsdienst als Alternative zum Werkstudententum).
Sicher zog der Bund sowohl Angehörige der obersten wie der untersten sozialen Gruppen an; dies wurde in der Ideologie überhöht zum Modell der klassenübergreifenden Volksgemeinschaft (»Vom Grafensohn bis zum Taglöhnerkind«). Problematisch war, daß die Artamanen seit 1929 die wachsende Arbeitslosigkeit für sich auszuschlachten suchten, aber durch den dadurch ausgelösten Zustrom von Arbeitslosen der idealistische Schwung ihrer Bewegung zu erlahmen drohte.
Die Artamanen erstrebten nicht nur die Milderung der Arbeitslosigkeit in den Städten durch einen zeitweiligen freiwilligen Arbeitsdienst, sondern eine dauerhafte Umschichtung von der Stadt aufs Land durch Ansiedlung. Lange Jahre versprach die Artamanenführung, daß einst alle ihre Mitglieder auf eigenem Grund und Boden siedeln könnten. Die beschränkten finanziellen Möglichkeiten erlaubten jedoch nicht die Verwirklichung solch weitgesteckter Absichten. Insgesamt kamen bis zur Auflösung der Bewegung durch den Nationalsozialismus nur zwischen 100 bis 150 Artamanen zur eigenen Scholle.9
9) »Siedlungsarbeit der Artamanen blieb aber nicht nur auf die damaligen deutschen Ostprovinzen begrenzt. Sie entwickelte sich überall dort, wo sich Möglichkeiten zum Siedeln anboten, d. h. wo Land zur Verfügung stand zu Bedingungen, die tragbar waren, für das sich die notwendigen Mittel aufbringen ließen, und wo [sich] die Schwierigkeiten der ersten Anfänge unter den bescheidensten Verhältnissen überwinden ließen. Mehr als ihr zäher Wille und ihre Arbeitskraft stand den Artamanen ja kaum zur Verfügung.
So entwickelten sich Siedlungen in einer Gruppe, deren Höfe nach der Fertigstellung einzeln bewirtschaftet wurden, die man nicht anders als neu entstehende Siedlungsdörfer bezeichnen kann, außer in Ostpreußen auch in Mecklenburg. Bemerkenswerte Ansätze gab es in Brandenburg, und Einzelsiedler hatten sich in Schlesien, Sachsen und Schleswig-Holstein mit unterschiedlichem Erfolg niedergelassen. In der Nachkriegszeit führten die Spuren dann auch zu Artamhöfen nach Bayern, Hessen und in die Rheinpfalz.« Walter Dietrich im Vorwort zu: Artam. Siedler — Siedlungen — Bauernhöfe. Witzenhausen 1982, S. 6f.
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Es ist dabei zu beachten, daß die von den Artamanen bevorzugte »Gruppensiedlung« keine Kollektivwirtschaft bedeutete, sondern lediglich bei Erschließung und Aufbau der Siedlung gemeinschaftlich vorgegangen wurde. Während einer mehrjährigen Übergangszeit wurde durch den Artamanen-Arbeitsdienst ein zuvor heruntergekommenes junkerliches Großgut ertragfähig gemacht, um aus den erwirtschafteten Überschüssen dann zur (gruppenweisen) Einzel-Siedlerstelle zu gelangen. (»Durch Arbeit zur Siedlung« wurde dieses Prinzip seit dem Ersten Weltkrieg und den ersten derartigen Versuchen des »Siedlungshauptmanns« Detlef Schmude mit Bergarbeitern genannt.)
Das Siedlungsverfahren lief also als ein zweiphasiger Vorgang ab, da eine »Fertigsiedlung« nicht finanzierbar war: der erste Gründungsvorgang fand auf bescheidener und damit erschwinglicher Basis statt (sogenannte »Primitivsiedlung«); dann folgte ein zweiter Entwicklungsabschnitt, bei dem aus eigener Kraft ein Ausbau des bestehenden Anwesens stattfand (»Aufbausiedlung«), der mit der Gründung von Vollbauernstellen abschloß.
Dieses Modell wurde ab 1930 staatlicherseits benützt, da man auf diese Weise zunächst als »nicht besiedlungsfähig« eingestufte Güter bewirtschaften und auch Landarbeiter auf Bauernhöfen ansiedeln konnte. Im speziellen Fall der Artamanen fand eben diese Zwischenbewirtschaftung eines heruntergewirtschafteten Großguts durch den Artamanen-Arbeitsdienst statt. Dann kam es zur Auflösung der Zwischenwirtschaft und der Verteilung von Grund und Boden, totem und lebendem Inventar und dem Bestand an Erntevorräten, und zur Errichtung der Siedlerstellen. Aus dem ehemaligen Großgut wurde so eine Artamanen-Dorfgemeinschaft, die aus lauter selbständigen, auf eigene Rechnung wirtschaftenden Familienbetrieben bestand, die freilich weiterhin Nachbarschaftshilfe ausübten.
Der Gedanke war hier wie bei anderen ähnlichen Unternehmungen des Staates, die Arbeitskraft und den Schaffensdrang der zu Eigentum und Unabhängigkeit drängenden Siedlungswilligen selbst als Produktivkraft einzusetzen, die Kosten dadurch niedrig zu halten und den Mangel an Kapital durch eigenen Einsatz auszugleichen.
Angeblich begannen die Artamanen Ende 1928 mit den ersten eigenen Artamsiedlungen in Thüringen und Ostpreußen, nachdem sie sich zuvor nur jahrelang als Landarbeiter hatten ausnützen lassen.
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1929 erwarb Kurt Bachmann, Artamgauführer für Ostpreußen, Boden im Samland (Siedlung »Birkengrund«), und baute dort eine Gärtnerei auf (offenbar eine Einzelsiedlung). Forciert wurde die Siedlungsbewegung nach der Spaltung des Artamanen-Bundes mit der Gründung von »Die Artamanen. Bündische Gemeinden für Landarbeit und Siedlung«. 1929, unter der »Kanzlerschaft«, dann Bundesführerschaft Alwiß Rosenbergs, erwarben sie das Lehngut Korkten bei Sternberg in der Neumark als Bundesgut und »Siedlerschulungsstätte«.
Vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden auch noch das Gut Szirguponen bei Gumbinnen (Ostpreußen) und das Vorwerk Heinrichssorge — sechs Artamanenfamilien wurden dort seßhaft — zur »Aufsiedlung« mit staatlichen Zuschüssen erworben. Doch die Behörden waren nicht bereit, so große staatliche Mittel zur Verfügung zu stellen, daß die Artamanen durch die öffentliche Hand Land zur freien Verfügung erhalten hätten. Dieser Zustand änderte sich auch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten nicht.
Weitgehend bis zur Erschöpfung der begrenzten eigenen Mittel siedelten die Artamanen 1933 auf dem Vorwerk Wolfsee bei Lötzen (acht Artamanenfamilien) und auf den Gütern Koppelow und Augustenberg in Mecklenburg. (Nach vierjähriger Zwischen- und Aufbauwirtschaft wurden in Koppelow 38 Familien, darunter auch Gutsarbeiter, angesiedelt, so daß dort ein neues Dorf entstand.)
1934 wurde von den Artamanen in Ostpreußen das Vorwerk Eilerbruch, Kreis Stuhm »aufgesiedelt« (zehn Artamanenfamiüen), 1935 lief das Gruppensiedlungsverfahren auch auf dem Vorwerk Weißenberg, Kreis Osterrode (14 Neubauernhöfe) und in Masehnen, Kreis Angerburg (acht Höfe) an. Das gleiche Jahr brachte dann auch schon das Ende der Artamanen, die vom Reichsarbeitsdienst und Reichsnährstand aufgesogen wurden.
Zunächst war beim Nationalsozialismus kein Platz für die völkische Utopie der »Ost-Siedlung«. Erst als die realen Machtverhältnisse nach Beginn des Zweiten Weltkriegs die Verwirklichung solcher Ziele näherrückten, trat der »Neue Adel« der SS (gekleidet in das »Bauernschwarz«) das Erbe der Artamanen an (bekannte persönliche Verbindungen laufen über Heinrich Himmler und Rudolf Höß, beides ehemalige Artamanen). »Siedlungshöfe« mit »Thingbauern« wurden zum Instrument einer jetzt über die alten Reichsgrenzen hinausgreifenden großgermanischen Siedlungspolitik im slawischen Raum.
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»Wehrbauerndörfer« (Symbiose von Bauerntum und Wehrhaftigkeit) sollten einen germanischen »Schutzwall« gegenüber den nach Asien zurückgedrängten Slawen bilden. Die schon von Max Weber in seiner Dissertation von 1892 geforderte »innere Kolonisation«, durch die einer Verdrängung der Deutschen aus dem Osten Einhalt geboten werden sollte, war jetzt in expansiven Imperialismus und die Liquidierung der slawischen »Untermenschen« im Zeichen der »Lebensraum«-Politik umgeschlagen.
Aber das weitverzweigte Geflecht von Wehrdörfern sollte nicht nur Möglichkeiten der kämpferischen und herrschaftlichen Bewährung für den »Neuen Adel« der SS schaffen; gleichzeitig sollten innerhalb der um 500 km nach Osten vorgeschobenen Volkstumsgrenze die städtischen Strukturen abgebaut und die urtümliche germanische Verbundenheit mit dem Boden wieder hergestellt werden. Angeblich hat Himmler es als den glücklichsten Tag seines Lebens bezeichnet, als Hitler ihm seine Konzeption der Wehrbauerndörfer genehmigte.
153. »Artam — Hüter der Scholle«
Artam — Hüter der Scholle, Kämpfer für Ehre, Art, Acker und Lebensraum. Artam bedeutet Erneuerung des Volkes, ist Richte zu neuem Lebenssinn und Lebenswerk. Heiligstes revolutionäres Wollen trieb die ersten Artamanen zur Tat. Urinstinkt der Jugend war es, noch unklar und unbewußt des Zieles, der Aufbruch und den Weg zur Mutter Erde vorzeichnete. Ohne Programm, ohne große Reden scharte sich vor zehn Jahren ein kleines Häuflein Tatbereiter um das blutrote Hakenkreuzbanner mit der Inschrift: »Naer Ostland willen wij rijden.«
Das war das Symbol des erwachten Rassebewußtseins und der Erkenntnis der Lebenswichtigkeit des ostdeutschen Raumes. Dort liegt die Lebenslinie unseres Volkes. Sie macht nicht Halt an den geographischen Grenzen, sondern geht soweit die deutsche Sprache und die deutschen Menschen leben.
Artam ist völlige Abkehr vom Westen und seiner Zivilisation. Deutschlands Zukunft, Deutschlands junge Kraft liegt im Osten. Unser Schicksal entscheidet sich nicht an Ruhr und Rhein, sondern an der Weichsel und der Memel.
Artam hat jahrelang gegen die Schande der polnischen Unterwanderung durch die Wanderarbeiter gekämpft. Artamanen haben als Erste den »Freiwilligen Arbeitsdienst« in die Tat umgesetzt. Artamanen haben bewiesen, daß städtische Deutsche wohl in der Lage sind, sich aufs Land umzuschalten.
Aber der Sinn des Artam liegt tiefer. Die Erkenntnis, daß jeder Neu- und Aufbau nur in Verbindung mit dem Boden, der Erde erfolgen kann, verpflichtet letzten Endes zu der Wiederverwurzelung, der Seßhaftmachung des deutschen Menschen.
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154. »Warum Siedlung?«
Das Schicksal der deutschen Nation liegt in einem gesunden und starken Bauernstand beschlossen. Er stellt die dauernde Kraftquelle, den Lebensstrom der Nation dar. Durch Siedlung muß der Bauernstand gestärkt werden. Siedlung ist zu fordern:
Aus wirtschaftlichen Gründen. Sie ist der Weg zur Sicherung unserer Ernährungsgrundlage auf eigener Scholle. Sie macht unabhängig vom Auslande, indem sie die denkbar beste Auswertung des uns zur Verfügung stehenden Raumes gewährleistet.
Aus bevölkerungspolitischen Gründen. Nur durch Neubildung deutschen Bauerntums kann der uns drohende Geburtenrückgang überwunden werden.
Aus rassepolitischen Gründen. Die germanische Rasse ist zutiefst eine Bauernrasse, ihr Blühen ist daher von ihrer Verwurzelung im Boden abhängig. In den Großstädten entartet und versickert sie. Ebenso klar liegen die rassehygienischen Gründe (Schäden der Großstadt, Geburtenunfähigkeit der Städte, erbgesundheitliche Schädigungen usw.).
Aus sozialen Gründen. Die Siedlung macht den deutschen Arbeiter seßhaft. Durch Verwurzelung mit der Scholle werden die selbständigen Existenzen vermehrt. Die Arbeitslosigkeit wird durch sie unmittelbar bekämpft. Der Zuzug in die Städte wird unterbunden und sogar ein Zurückfluten deutschen Blutes aufs Land erreicht. Der in der Scholle verwurzelte Siedler wird aber damit eine feste Stütze und ein bewußtes Glied der Nation.
Aus nationalen Gründen. Die kulturelle Seite der Siedlung, die sich in der Verstärkung des organischen, gesunden Denkens äußern wird, sei hier nur nebenbei erwähnt.
Die Siedlung stellt auch eine unbedingte Notwendigkeit dar, weil damit der deutsche Boden wirklich durchgreifend in den, Besitz der Nation genommen und die Möglichkeit einer Unterwanderung durch fremde Völker verhindert wird. So kann der deutsche Osten dauernd nur durch Siedlung gesichert und ausgebaut werden, wenn er nicht seinen deutschen Charakter verlieren will.
Das deutsche Volk war und ist ein Bauernvolk und muß es bleiben!
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155. »Erste Landnahme«
In dem Anfang jeder Arbeit liegt die Schwierigkeit allen Beginnens. Der Entschluß zur Übernahme einer neuen Aufgabe ist immer das Entscheidende und fällt nicht jedem Menschen leicht.
Als im Ostermond 1931 das Lehngut Korkten von den Artamanen übernommen wurde, war das schon eine Tat so unerhörten Ausmaßes und so ungewöhnlich in der Zeit des Liberalismus, daß sie Freund und Feind für Stunden den Atem verschlug.
Unerhört und kühn, aber es wird geschafft.
Lehngut Korkten, was stellte es dar — ein vollständig heruntergewirtschaftetes Gut. Große Teile der Felder überhaupt nicht mehr gepflügt, geschweige denn bestellt. Haus und Hof verfallen und verwahrlost. Halbabgebrochene Scheunen umgeben ein baufälliges Haus. Die Viehställe waren leer und öde. Drei Pferde mit zusammen einem Auge, eine Kuh, ein Kalb, einige unterernährte Schweine und drei Schafe waren der luxuriöse Viehbestand.
Alles zusammen stellte das Lehngut Koritten, Größe 600 Morgen, dar.
Durften wir es hier wagen, die Spargroschen der Artamanen anzulegen, war es überhaupt jemals möglich, einen derartigen Betrieb wieder auf die Beine zu bringen ohne erhebliche Geldreserven? Nun, es wurde gewagt. Mit dem Vertrauen auf die eigene Kraft und mit dem Willen, alle Entbehrungen auf sich zu nehmen, zogen die Artamanen in Koritten ein.
So wie in Hof und Stall sah es natürlich auch im Haus aus. Mit dem Vorsatz: erst kommt der Acker und das Vieh, dann der Mensch, wurde begonnen. In der Ecke einer Kammer wurde etwas Stroh aufgeschüttet, das war die Schlafstelle für ein halbes Dutzend Menschen. Im Schneidersitz auf den Fußboden gesetzt, den Suppenteller vor einen gestellt, fertig war der Mittagstisch. So könnte man noch einiges erzählen. Kurz — es wurde das Leben eines Kolonisten geführt.
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Vom ersten Hahnenschrei bis in die späte Nacht wurde gearbeitet. Was seit Jahren versäumt worden war, wurde jetzt nachgeholt. Die Felder wurden bearbeitet, Garten und Hof in Ordnung gebracht. Der Viehbestand wurde aufgebessert. U.a. wurde auf eine gute Schweinezucht Wert gelegt.
Im Laufe der drei Jahre wurden die Felder von Unkraut frei. Die Ernteerträge stiegen und heute kann man von normalen Ernten sprechen, wenn wir auch noch sehr unter dem Mangel an tierischen Dünger zu leiden haben [....]
Das Lehngut Koritten wurde übernommen, um zu zeigen, daß Artamanen wohl in der Lage sind, einen Betrieb selbständig zu führen und zu bearbeiten. Wir wollten hier eine Schulungsstätte zur Umschulung städtischer Jugend aus dem Westen zur Landarbeit schaffen. Hunderte von Neulingen, die dann draußen auf den Gütern in unseren Artamanengruppen eingesetzt wurden, sind durch unser Bundesgut gegangen.
Im Frühjahr 1934 wurde in Gemeinschaft mit dem Arbeitsgau 8 (Ostmark) in Koritten eine Siedlerschulung ausgeschiedener Arbeitsdienstler, die im Arbeitsdank e.V. organisiert sind, eingerichtet. Aus der Erkenntnis, daß den Menschen, die durch den Arbeitsdienst der Arbeit am Boden näher gebracht worden sind, auch Gelegenheit gegeben werden muß, sich in der Landwirtschaft auszubilden und einmal auf dem Lande seßhaft werden zu können [.....]
156. »Verbilligtes Siedlungsverfahren« (»Kolonisation«)
[...] Nicht mehr Siedlungsgesellschaften sollen Träger des Siedlungsverfahrens sein, sondern die in sich geschlossene, unter straffer Führung stehende Siedlergruppe selbst. Allein aus ihr wird dann auch die neue Dorfgemeinde erwachsen.
Wir sollten in Zukunft nicht mehr im bisherigen Sinne siedeln, wir müssen wieder kolonisieren, das heißt es darf uns nicht darauf ankommen, dem Siedler so schnell als möglich seine Siedlerstelle in die Hand zu drücken, sondern wir werden den künftigen Bauern so schnell als möglich wieder aufs Land führen und ihm dort die Möglichkeit bieten, innerhalb einer geschlossenen Siedlergruppe in mehrjähriger Arbeit sich seine Heimat mit aufzubauen und zu erarbeiten. Jeder, der Grund und Boden sein Eigen nennen will, muß den Beweis erbringen, daß er ihn bewirtschaften kann.
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Das bedeutet zugleich ein neues sittliches Fundament für den Erwerb eines Bauernhofes. Nicht das Geld ist ausschlaggebend, sondern allein der Charakter, die Leistung und der Einsatz in der Siedlergemeinde. Der junge Siedler hat dabei die Möglichkeit, in mehrjähriger Arbeit sich mit dem Klima, dem Boden und den Absatzverhältnissen seiner neuen Heimat vertraut zu machen. Manches sonst unvermeidliche Lehrgeld wird er sich auf diese Weise ersparen.
Das wirtschaftliche Rückgrat des Bauernhofes bildet dessen Viehstand. Wir sind daher bestrebt, dem Siedler einen ausreichenden Viehstapel bei der Übergabe seiner Siedlerstelle zu übereignen. Eigner schlagbarer Holzbestand verbilligt wesentlich die Siedlerstellen. Handwerker, in Gruppen zusammengefaßt, sind beim Aufbau der Siedlerstellen behilflich. Ihnen wird nach einer Reihe von Jahren die Übernahme einer Handwerkerstelle ermöglicht.
Die Durchführung eines solchen Siedlungsverfahrens, das wir Artamanen in Koppelow in Mecklenburg erproben, nimmt etwa 3-5 Jahre in Anspruch. In dieser Zeit, in der der Siedlungsbetrieb als Großbetrieb weitergeführt wird, haben die Siedler durch ihre Arbeitsleistung soviel Kapital zu erarbeiten bzw. einzusparen, wie sie zum Aufbau und zur Einrichtung ihrer Siedlerstellen benötigen. Diese Einsparungen sind möglich. Der Siedler soll sich seinen Hof durch Arbeit erwerben, d.h. er hat keinen Anspruch auf tarifmäßige Entlohnung, sondern muß sich mit einem bescheidenen Taschengeld begnügen. Als Miteigentümer ist der Siedler nicht sozialversicherungspflichtig. Für ärztliche Betreuung ist auf andere Weise zu sorgen. — Staatliche Maßnahmen, die jedem Siedler Vergünstigungen verschaffen, sind auch für dieses Siedlungsverfahren anzuwenden. In erster Linie handelt es sich dabei um Befreiung von Steuern und Zinslasten während der Jahre des Aufbaues [.....]
157. »Schwerer Dienst«
Wieder ging ein Semester zur Neige. Brütende Hitze lag über der Stadt, als ich den Entschluß faßte, mich zum Artamdienst zu melden. Genug hatte ich von der ewigen Theorie des Studiums — mein ganzes Sehnen ging hinaus aufs Land. Schon früher war es mir so ergangen, als ich noch zur Schule ging. Damals hieß bei mir aber Ferien noch dasselbe wie Fahrt. Wenn die Ferien kamen, wurde der »Äff« geschnürt und hinaus ging es mit wackeren Gefährten in's deutsche Land — Wandervögel.
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Dieses Jahr wußte ich, daß von mir mehr gefordert wird, als Fahrt. Da hieß es Arbeitsdienst — aber war mir das genug, gab es für mich nicht einen wichtigeren Posten? Ja, im Osten, da ringen sie täglich um die Freiheit der Scholle, kämpfen zur Stärkung des Deutschtums: Siedlungsdienst — Artamdienst.
Nicht lange brauchte ich mich zu fragen, bis mein Entschluß feststand, in Artamdienst zu gehen. Bei meiner Anmeldung war ich mir darüber klar, daß schwere Arbeit meiner harrte, aber ich bin gesund und kräftig und darum ist es meine Pflicht, den schwersten Dienst zu tun.
Mit großer Freude erhielt ich bald nach meiner Anmeldung meine Einberufung: »sobald als möglich kommen«. Wie ein Notruf klangen die vier Worte in mir nach. — Im letzten Augenblick schlössen sich mir noch zwei alte Fahrtengesellen, Studenten, an und so begann unsere Fahrt zur Ferienarbeit. Eine Woche fuhren wir auf unseren »Stahlrossen« nach Nordosten, als wir endlich unser Ziel erreichten — Artamgut Koritten in der Neumark.
Manch alter Kämpe begrüßte uns hier, müde und schmutzig; denn die Woche war gerade zur Neige gegangen, aber trotzdem mit leuchtenden Augen. Wir wußten gleich, als wir alle diese Menschen sahen, daß wir an der rechten Stelle sind. Noch ein Sonntag zog an uns vorüber, dann begann die Arbeit.
Hartes Klopfen — aufstehen! Ich bin gleich ganz wach. Die ersten Sonnenstrahlen grüßen schon zum Fenster herein, ein wunderbarer, frischer Morgen empfängt uns draußen. Herrlich strömt die Kraft durch den Körper und wie ein Mahnen glaubt man die innere Stimme zu hören: »Jetzt mußt du zeigen, daß du's ernst meinst mit deinem Einsatz, daß du in den langen Jahren der Jugendbewegung gelernt hast, deine Pflicht zu tun.«
So ging es an die Arbeit. Nach einer Stunde Arbeit auf dem Hof und dem ersten Frühstück gings um 6 Uhr hinaus aufs Feld. Voller Spannung hatte ich gewartet, welche Arbeit mir wohl zugewiesen würde. Da hieß es: »Remus aufstaken.« Das war für mich das schönste, was hätte kommen können. Draußen auf dem Feld die Wagen aufladen und sehen, wie sie dann vollbeladen der Scheune zuwanken. — Die Forke geschultert, zogen wir hinaus auf den großen Gerstenschlag. Mit uns kam schon der erste Wagen an — es konnte losgehen. Ruhig folgten die Pferde dem leisesten Zug an den Zügeln von Hocke zu
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Hocke. Ein Wagen nach dem anderen rollte heran, um schwerbeladen mit der kostbaren Frucht uns wieder zu verlassen. Rasch verging die Zeit. Der glühende Sonnenball zog hoch über uns hinweg, die Luft zitterte in der Ferne vor Hitze, der Schweiß rann von den halbnackten, arbeitenden Menschen und die Pferdeleiber dampften im Schweiß. — Bald ging es gegen Abend. Eine drückende Schwüle machte sich bald bemerkbar, die die Arbeit noch erschwerte. — Längst schon sollte es Feierabend sein, die Pferde folgten schon lange nicht mehr dem leisen Zug an den Zügeln, aber immer noch warteten viele Hocken eingefahren zu werden. Rund um uns wetterleuchtete es schon, was aber für uns gleichzeitig die Losung war, weiterzuarbeiten, einzufahren solange als möglich. Wir berechneten, ob es uns gelingen würde, alle Gerste in die schützende Scheune zu bringen, bevor das Gewitter uns erreichte. — Endlich, es war längst schon dunkel geworden, verschwand die letzte Hocke, und der letzte Wagen, gezogen von vier todmüden Pferden, erreichte glücklich die Scheune. Selbst todmüde, fielen wir schnell, nach kurzem, kräftigem Abendessen, in tiefen Schlaf.
Nach sechs Stunden Nachtruhe war ein neuer Morgen angebrochen und rief uns erneut zu unserem schweren Dienst. So folgten heiße Tage harter Arbeit beim Packen in der Scheune, beim Dreschen auf dem Felde und wieder beim Einfahren.
Festlich geschmückt hatte der letzte Getreidewagen die Scheune erreicht. Die schwerste, aber auch die schönste Arbeit des Jahres, war beendet. Noch warteten die Kartoffeln und Rüben geerntet zu werden, aber zunächst folgten leichtere Tage beim Unkrauthacken, beim Vorbereiten des Saatgutes und bei der zweiten Heuernte. In diesen Tagen atmeten wir wieder auf. Oft begleiteten Gespräche unsere Arbeit und es war jetzt erst so recht möglich, die Menschen, die mit einem arbeiteten, ganz kennenzulernen. Die einen waren Arbeiter und Handwerker, die anderen zweite und dritte Bauernsöhne, wieder andere Kaufleute und Akademiker. Aus allen Berufsgruppen kamen diese Menschen, die sich hier zusammengefunden haben zu einer festen Schicksalsgemeinschaft — Artamanen.
Vor zweieinhalb Jahren begann die Aufbautätigkeit an diesem Gute, das in verwahrlostem Zustand in Artambesitz übergegangen war. Manchmal sieht man heute schon ein leises Lächeln auf den Gesichtern der rauhen Siedler, wenn man mit ihnen spricht über den Ausfall der Ernte vom letzten Jahr im Vergleich zu der heurigen und man fühlt, daß es wieder ein gut Stück vorwärts gegangen ist. Ganz verwachsen sind diese Menschen mit dem Boden, den sie bestellen. Der Kampf mit dem Boden, seine Freiheit und seine höchste Fruchtbarkeit zu erringen und zu wahren, und so Deutschland zu dienen und dem Feind zu wehren — das ist ihr Schicksal! Artam — Schollehüter!
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158. Die Entwicklung des Gemeinschaftslebens auf Koppelow
a. »Kameradschaftliche Einheit« während des gemeinsamen Aufbauwerks
[...] Durch die tägliche gemeinsame Arbeit und durch die gemeinsamen Mahlzeiten in der Diele des Gutshauses wuchsen wir schnell zu einer kameradschaftlichen Einheit zusammen.
Trotz der schweren Tagesarbeit herrschte eine hervorragende, fast ausgelassene Stimmung. Nach alter bündischer Sitte ging jedem Essen ein Tischspruch voraus, der oft ein Spiegelbild des jeweiligen Tagesablaufs oder der persönlichen Verfassung des Einzelnen war.
Die Küchenverwaltung war, nicht immer zu aller Freude, reichlich reformerisch und vegetarisch eingerichtet und ließ gerne Würste und Speckseiten auf dem Räucherboden hängen, während zu aller Freude reichlich Milchsuppe die Mahlzeiten abrundete.
Den Feierabend gestaltete jeder nach seinem Wunsch. Erlebnisse und Erfahrungen wurden ausgetauscht, Putz- und Flickstunden waren notwendig, und Briefeschreiben, Lesen und Singen ergaben sich von selber. Alles in allem war es ein recht sorgloses Leben ohne große Problematik.
Frohe Tage, wie Erntefest oder Hochzeiten im Kameradenkreise, waren stets willkommene Abwechslung und förderten die Gemeinschaft. Nach und nach entstand unter Karl Lux' Leitung eine Instrumentalgruppe, während Gerhard Sandrock sich um das Laienspiel bemühte. Gesungen wurde außerdem immer. Besuche alter Artamanen waren nicht selten, und an solchen Abenden war des Erzählens und der Fröhlichkeit kein Ende. Viel Abwechslung brachte in die Abgeschiedenheit der Artam-Bundestag 1933. Bei dieser Gelegenheit galt das Augenmerk der Ledigen sehr den Artam-Mädchen, denn die Frage der zukünftigen Siedlerfrau war natürlich von großer Bedeutung.
Der umfangreiche landwirtschaftliche Betrieb mußte ohne Unterbrechung weiterlaufen [.....]
b. »Eine Gemeinde Einzelner« nach der Übernahme der Einzelsiedler-Stellen 1937
Mit Ausnahme des Erntefestes beschränkte sich unser geselliges Zusammensein auf einzelne Singabende, zu denen umschichtig eingeladen wurde. Bei den großen Entfernungen [der Einzelhöfe] sah man sich oftmals ein halbes Jahr oder länger nicht. Es gab auch nur im Dorfkern ein Telefon. So blieben wir eine Gemeinde Einzelner, die nur das gleiche Ziel und die gleiche Grundeinstellung zusammenhielt. Die Männer trafen sich zuweilen in den Versammlungen der Genossenschaft, für die Frauen war der regelmäßige Treffpunkt die Mütterberatung [.....]
Was außerhalb unseres Bewegungskreises geschah, davon erfuhren wir nur wenig, denn die Möglichkeit, Rundfunknachrichten zu hören, war nur gering, da wir ohne elektrischen Strom lebten. Das Fehlen einer guten Beleuchtung war besonders im Winter für die Frauen eine oft unerträgliche Belastung. Bei Kriegsbeginn wurden die jüngeren Jahrgänge der Siedler sofort, die älteren später eingezogen. 1940 gab es in Koppelow »Ostarbeiter«, Franzosen, Belgier, 1941 auch Ukrainerinnen — und immer weniger deutsche Männer im Dorf. 1944 waren alle einsatzfähigen Siedler im Kriege, und die Frauen hatten für die Wirtschaft fast ausnahmslos nur Kriegsgefangene zur Hilfe [.....]
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