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Weißer Berg

 

 

 

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Willy Ackermann kam aus der Großstadt, doch eines Tages wollte er dorthin zurück, woher seine Vorfahren gekommen waren, und wieder Ackermann werden. Sein Weg war nicht geradlinig. Ackermann kam aus dem Proletariat und erhielt selbst eine Ausbildung als Glasmaler und Ätzer. Doch er geriet nach dem Ersten Weltkrieg in die Freie proletarische Jugendbewegung Hamburgs und fand hier erste Alternativen zur autoritären Welt von Elternhaus, Schule und Lehre. 

Um 1921 kam es dann zu seiner entscheidenden Begegnung mit dem Inflationsheiligen Louis Haeusser, der Ackermanns jugendbewegte Rebellion aus der bloßen Verneinung ins Schöpferische wendete und ihm mit großem Mut wahrhafte Unabhängigkeit des Tuns vorlebte. Das Vorbild der Jugendbewegung und Haeussers führten Ackermann auf die Landstraße, die ihm zur eigentlichen Lebensschule und Ort der asketischen Selbstüberwindung (»Wach- und Tippeltests«) wurde. Doch statt der Pose der Inflationsheiligen wollte er die »Tat« sehen.

 wikipedia  Ludwig_Christian_Haeusser 1881 in Würtemberg bis 1927 in Berlin 

So hörte Ackermann nach dem Ende der Inflationsjahre und nachdem er eine junge Lehrerin als Lebens­gefährtin gefunden hatte, mit seinem Wanderleben auf und zog nach Hamburg, um dort mit Freunden zu beweisen, daß ein Aufbau mit eigenen Händen möglich sei: Buchstäblich auf Abfall (Sperrmüll und Altmetall) baute er dort eine Existenz als Schildermaler auf. Gleichgesinnte sammelten sich um ihn.

Obwohl sie von den Abfällen und Aufträgen der Großstadt existierten, drängte es sie aufs Land. Zunächst bauten sie am Rande Hamburgs Gemüse und Brotgetreide an und verkündeten in einer Welt, die vom Wohlfahrtsstaat träumte, den Wert der Selbsthilfe.

Als sich mit der Weltwirtschaftskrise die Schlangen vor den Arbeitsämtern und Stempelstellen Hamburgs vergrößerten, verwies Ackermanns »Wendepunkt-Gemeinschaft« die Arbeitslosen nicht auf fremde Staatshilfe, sondern auf den Boden, den sie bebauen und von dem sie sich ernähren könnten. »Die Stadt, die zehrt; das Land, das mehrt!« wurde die Devise. Doch sie stießen damit nur auf Spott und Hohn, und bezogen manchmal auch noch Prügel.

So brach Ackermann schließlich mit seiner Frau, den beiden Kindern und ein paar Freunden im Frühjahr 1930 von Hamburg auf zur Landsuche, zur »Revolution mit Webstuhl und Spaten«. Den Zurückbleibenden aber riefen sie innerlich zu: »Wir wollen nicht versumpfen mit euch Gesindel!« 

Mit sich führten sie in einem selbstgebastelten und -gezogenen Planwagen ihr Hab und Gut; am Straßenrand druckten sie ihre Flugschrift <Menschen auf der Landstraße>.

 

 

Den Anfang ihrer »Gandhi-Tat« machten die Siedlungswilligen in Tiddische in der Nähe der heutigen, damals noch nicht bestehenden Autostadt Wolfsburg. Auf dem erworbenen Kiefernland sollte Landwirtschaft, Tierhaltung und Gärtnerei betrieben und eine Webschule eingerichtet werden. Um Geld für ihr Unternehmen zusammenzutrommeln, zogen sie als Straßenmusikanten auf den Landstraßen umher, und als die Spendefreudigkeit in Deutschland nachließ, kamen sie dabei bis nach Holland. 

Doch als um die Jahreswende 1932/33 die Wirtschaftskrise in Deutschland ihren Höhepunkt erreichte und die Machtergreifung der Nationalsozialisten näher rückte, zerfiel auch die kleine Schar der Siedler, die einst Deutschland mit einem Netz von Dorfkommunen hatten überziehen wollen. Nur Willy Ackermann und seine Frau hielten durch; sie wurden so wider Willen zu Einzelsiedlern.

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Sie rodeten den Boden, kultivierten ihn bodendynamisch und bauten ihn ohne Maschinen an. Haus und Brunnen wurde selbst errichtet, eine Schafzucht und Imkerei begonnen. Die wenigen Dinge, die man »von draußen« brauchte, erwarb man sich durch Verkauf der eigenen Produkte und gesammelter Pilze. Als Ackermann nach und nach 150 Schafe und 73 Bienenvölker herangezüchtet hatte, gewann er auch den Respekt der einheimischen Landwirte.

Er überlebte — wenn auch nicht ungeschoren — die Nazizeit und das deutsche Wirtschaftswunder, während dessen er ohne Erfolg wieder nach Gleich­gesinnten Ausschau hielt. Als die Alternativbewegung in den Siebzigern entstand, entdeckte sie in den Ackermanns ihre immer noch aus eigener Kraft überlebenden Ahnen — die lebendig gewordenen Antikapitalisten, die die alternative Landwirtschaft durch ihre Lebenstat von der Utopie in die Wirklichkeit gezwungen hatten — vergleichbar nur den beiden amerikanischen Alternativen Helen und Scott Nearing, die seit ebenfalls fünfzig Jahren auf dem Lande ihr »gutes Leben leben«.

Schwer fällt es freilich der »hedonistischen Jugend«, den Preis von Mühsal und Plage für diese ökonomische Autarkie und persönliche Selbstbestimmung zu zahlen. So schrieb ein Besucher an Ackermann: 

»Nun bleibe ich erst einmal wieder in Berlin. Nach Zwangsarbeit ist mir nicht zumute. Ja, ich will was vom Leben haben, beschaulich in der Sonne liegen. Hart arbeiten? Wozu? Ich dachte, der jungen Generation soll es besser gehen. Ich will mich auf dem Land erholen und Frieden finden. Das Leben soll für mich lustbetontes, schöpferisches Spiel sein.«

Ackermanns Kommentare dazu: »Schlaraffen-Brüder« und »Speckjäger«.

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  158. Revolution mit Webstuhl und Spaten   

 

WIR SIND KEINE WELTWANDERER !

Wir wollen nicht um die Welt herum, sondern immer tiefer in die Welt hinein! Und das kann der denkende Mensch auch ohne daß er um den ganzen Erdball läuft, indem er vielmehr an jedem Erlebnis in höherem Grade aufwacht. Das soll nicht so verstanden werden, als ob wir nur für uns Erfahrungen sammeln und die Wohltaten der Natur genießen möchten; das wäre unverantwortlich.

Uns liegt daran, den Menschen, die wir an unseren Wegen treffen, Genüge zu tun, wenn sie mit uns reden wollen. Denn viele spüren, daß wir ihnen etwas zu sagen und zu geben haben, was sie sonst nirgendwo erhalten können, nämlich NEUEN GLAUBEN AN DIE GRÖSSE DES MENSCHENTUMS, NEUEN MUT ZUR FREIHEIT, KRAFT ZUR WAHRHEIT, und den Weg zur Menschen-Gemeinschaft, zum wirklich wahren Volk! Volk ist nichts, was so ohne weiteres vorhanden wäre, es muß erst entstehen. Nichts hat es zu tun mit Pöbel, Massen und Organisation, es blüht nur zwischen freien, bewußten Menschen, deren es heute noch blutwenige gibt.

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WÄHREND DIE SOGENANNTEN WELTWANDERER VON DER DUMMHEIT DER MENSCHEN LEBEN, die ihnen lediglich aus Sensationsgier eine Postkarte abkaufen, während jene Mode-Weltwanderer den Schwachsinn ausnutzen, die Schwäche der Menschen fördern, wenden wir uns durch unsere ganze Art gerade an das Starke im Menschen, an sein Denkvermögen, an seinen Sinn für Freiheit!

Wir stoßen sogar bewußt solche Menschen ab, die zu faul sind, uns gegenüber ihre langweiligen Denkgewohnheiten und Vorurteile abzulegen. Denn wir wollen nicht Geld und Brot, WIR SIND KEINE FECHTBRÜDER UND SPECKBRÜDER, sondern wir wollen Menschen um uns sehen! Wir wollen euch helfen, zu einer kindlichen, offenen Menschlichkeit zu erwachen, und darin zu erstarken. Erst wenn der Funke hinüber und herüber gezündet hat, wenn es uns und euch warmgeworden ist ums Herz, erst wo wir dies gegeben haben, dürfen unsere Hände auch nehmen, was ihr uns etwa zu unserer Lebenserhaltung oder zum Weiterwirken bieten mögt! WIR SIND KEINE »NATURMENSCHEN!« 

Darunter versteht ihr anscheinend Leute, die in überspannter Weise Wert darauf legen, daß ihr Körper frei bleibe von schädlichen Erzeugnissen der Zivilisation. In gewissen Sinne ist ein solches Bestreben richtig. Aber 1. sind heute fast alle Nahrungsmittel und Gebrauchsgegenstände so vergiftet, entwertet und befleckt von der Quelle an (Kunstdünger, Fabrikware, unsoziale Herstellungsweise), daß man höchstens zu unerschwinglichen Preisen halbwegs naturreine Dinge bekommen könnte. Und 2. gilt es zunächst Wichtigeres zu schaffen, als sich um die beste Behandlung des Körpers zu streiten.

DER HEBEL IST IM GEISTIGEN ANZUSETZEN, Mut, Menschenwürde, Freiheitsdrang müssen geweckt und gefördert werden. Fortschreitend mit vielen anderen Taten der Selbsthilfe, kann nach und nach ein Leben gestaltet werden, das sich immer inniger in die Natur wieder eingliedert. Die meisten allerdings wollen sich nur vor dem Aufstehen drücken, indem sie uns als Naturapostel zu Ausnahmemenschen stempeln, die man anstaunen oder auslachen kann, die man aber nicht als Vorbild ernst zu nehmen braucht [....]

NICHT »ZURÜCK ZUR NATUR«, SONDERN »VORWÄRTS ZUR KULTUR« steht auf unserer Fahne! Das heißt aber zugleich: Heraus aus der maschinellen, schablonenhaften, entmenschenden Zivilisation. Zur Kultur gehört es auch, daß die Menschen ein enges, persönliches, feines Empfinden zu den Dingen haben, von denen sie umgeben sind.

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Das ist nur möglich, wenn diese Dinge statt massenweise und durch Maschinen fabriziert zu sein, einzeln, individuell in künstlerischer Handarbeit geschaffen werden. Dabei muß man die Hypnose loswerden, daß alles in der raffiniertesten und technisch höchsten Vollendung hergestellt sein müßte, wie es freilich nur durch lebenslange Spezialisten geleistet werden kann.

EIN FRISCHFRÖHLICHER DILETTANTISMUS IST NÖTIG! Wieviel schöner ist etwa ein Volk von Dilettanten, die alle singen oder ein Instrument spielen, als ein untätig zuhörendes und Geld bezahlendes Publikum von Radiohörern. Der Dilettant kann sich durch Anregung und Fleiß ständig entwickeln, wer aber nichts wagt, bleibt ewig unfähig und unselbständig! Natürlich nicht bloß auf dem Gebiete der Kunst, sondern das gilt für die Herstellung der meisten nötigen Gegenstände, Haus, Möbel, Geräte, Kleidung und z.B. auch für die Benutzung der vielen Natur-Geschenke, die heute von den meisten versäumt wird, Heilkräuter, Pilze, Beeren, Teepflanzen, Fallobstverwertung. Durch die Not der letzten 15 Jahre ist in manchen Gegenden dies und jenes bereits wieder in Übung gekommen was wir nicht erst aus materieller Not, sondern aus grundsätzlichen Gedanken pflegen und empfehlen.

VIELSEITIGKEIT UND SELBSTÄNDIGKEIT müssen entstehen. Sonst behält der Geldsack euch ewig am Bändel, weil ihr mit allem, was ihr braucht, auf Gnade oder Ungnade von ihm abhängig seid als nichts könnende Sklavenarmee. Mit einem Volk jedoch von lauter selbständigen Kleinstbauern, die, jeder nur für sich, intensive Landwirtschaft treiben und sich alle Bedarfsgegenstände selber herstellen, in gegenseitiger Hilfe, mit einer solchen brüderlichen Volksgemeinschaft kann keine Ausbeuterklaue etwas anfangen.

AUCH DER BLÖDSINN DER MASCHINEN [hat] in einem so gesunden Volk, das wieder Zeit hat: 24 Stunden am Tag, und wieder Freude an seiner Arbeit empfindet und diese auch gar nicht durch Maschinen abgenommen haben will, keinen Platz mehr! [.....]

Wenn ihr die Gefahr nicht bald erkennt, die über euch hängt, und wenn ihr nicht gleich uns den Rettungsweg der Selbsthilfe beschreitet mit energischer Absage an den Fortschrittsfimmel, mit dem man euch zu Sklaven gemacht hat, dann tragt ihr die Schuld an allem, was dann kommt. Keine Hoffnung, daß irgend eine Partei oder Regierung euch retten werde, wird sich erfüllen.

 

JEDER MUSS SELBST DEN DORNENWEG GEHEN! Denn vielen wird der Verzicht auf manche faule Bequemlichkeit als Dornenweg erscheinen, wenn statt des Autos das Gehen wieder zu Ehren kommt, statt Zeitung lesen das Selberdenken, statt Kommandieren das Arbeiten, statt Scheinen das Sein! Wo wir jetzt alles fertig vorgesetzt und umgehängt kriegen, werden wieder die gelehrigen Finger und Muskeln in Anwendung kommen.

WEBSTUHL UND SPATEN werden statt Fabrikschlot und Stempelamt die Wahrzeichen der Zukunft sein!

Einen Dornenweg haben die Vorkämpfer dieser Zeit auch insofern zu beschreiten, als eben alles Neue zunächst dem Spott der trägen Mitmenschen preisgegeben ist und der Bekämpfung und Verleumdung durch alle, die sich in ihrem Raubbesitz gefährdet wissen. Menschenwege sind eben immer beschwerlich. Alle bequemen Wege führen hinunter ins Tierische.

Arm, verspottet, ausgestoßen, mit bitter wenigen Freunden und den allergeringsten Mitteln gehen wir seit Jahren unsern Weg. Aus alten Säcken, Ästen, zusammengesetzten Kisten, Abfallresten der anspruchsvolleren Mitmenschen, so haben wir, Tag für Tag mit der Not kämpfend, unsere Holzhütte, unseren Webstuhl, unsere Möbel, unseren Wagen gebaut, unsere Stoffe gewebt. So werden noch viele Gruppen allerorts beginnen müssen.

EIGENER GRUND UND BODEN, EIGENE SIEDLUNGEN, KERNZELLEN DER KOMMENDEN DORF-KULTUR, das ist unser vorläufiges Ziel. Auf dem Wege dorthin sind wir auf der Landstraße. Das wird dann unsere Heimat werden. In diesem Sinne können wir denen, die uns die unwesentliche Frage stellen, woher wir kommen, wo unsere Heimat ist, nur beantworten, UNSERE HEIMAT IST DIE ZUKUNFT und zwar die Zukunft des freien Volkes, das es zu schaffen gilt!

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Ende

 

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