1 Versuch und Irrtum Löbsack-1974
Das Großhirn — Der Zwang zur Anpassung — Vermehrungsdruck — 100 Millionen Tonnen menschlicher Biomasse — Der Herrgott segnet die Suppentöpfe — Das Katastrophenorgan — Lustgewinn durch Erkenntnisgewinn — Unstillbare Neugier, aber keine Antwort auf »Letzte Fragen« — Der Mensch als »Gedanke Gottes« — »Immer mehr« und »immer größer« — Scheitern an der selbstgeschaffenen Umwelt — Der Räumungsbefehl für den Menschen.
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Dieses Buch stellt eine neue These über den Menschen auf. Es versucht nachzuweisen, daß die Tage des höchstentwickelten Lebewesens auf der Erde gezählt sind. Es wird dafür nicht vordergründig äußere Umstände anklagen wie Umweltverschmutzung und Bevölkerungswachstum, sondern eine innere Ursache, ein Körperorgan: das menschliche Gehirn.
Wir werden eine Hypothese wagen:
In der Vergangenheit der Erde sind zahlreiche Tier- und Pflanzenarten ausgestorben. Was die Tiere unter ihnen angeht, so war der Grund manchmal ein übermäßig gewachsener Körperteil: die riesigen Zähne des Säbelzahntigers, die langen und spitzen, zahnlosen Kiefer der Flugechsen, der ungeheure Körper der Dinosaurier. Eine solche Extrembildung ist auch das Großhirn des Menschen.
Verglichen mit dem Gehirn eines Tieres ist es ein Organ von Riesenwuchs und verweist damit auf eine gefährliche Überspezialisierung. Wenn dies so ist, dann entsteht zwangsläufig die Frage, ob der Mensch nicht ebenfalls an dieser Extrembildung scheitern wird und schon nach den wenigen Jahrmillionen seiner stammesgeschichtlichen Existenz zum Aussterben verurteilt ist.
Die Indizien für diese Vermutung sind unübersehbar. Wir wollen nicht vorgreifen, aber es ist doch merkwürdig:
Während alle Tier- und Pflanzenarten bestehende Umweltverhältnisse ausnutzen, ohne sie wesentlich zu verändern, während Tiere und Pflanzen in ihre »ökologischen Nischen« hineinwuchsen, um schließlich dank bestimmter Eigenschaften in sie zu passen wie der Schlüssel ins Schloß, mußte sich der Mensch damit abfinden, daß es für ihn eine solche Nische zunächst nicht gab. Waren wir auf der Erde unerwünscht? Wie auch immer: Der Mensch mußte sich seine Umwelt selbst gestalten. Erst waren es Höhlen und Feuerstellen, heute sind es Großstädte, Industrieanlagen und komplizierte soziale Systeme, die ihm Geborgenheit bieten sollen.
Aber je weiter der Mensch seine ökologische Nische ausbaute, um so mehr wurde ihm die Kehrseite dessen bewußt, was er mit Hilfe seines Gehirns erzeugt. Immer spürbarer zeigt sich, wie nervenaufreibend seine Lebensverhältnisse geworden sind. Immer deutlicher wird auch, daß er weder das Wachstum seiner Wirtschaft und Industrie noch das seiner eigenen Individuenzahl bremsen kann.
Viele Pflanzen und Tiere haben mit ihrem Verhalten auf der Erde »Erfolg« gehabt. Immer dann aber, wenn es ihnen nicht mehr gelang, sich mit ihrer Umwelt zu arrangieren, starben sie aus. Für den Menschen entsteht durch dieses Überlebensprinzip der Natur ein unlösbares Dilemma: Einerseits war er gezwungen, seine Umwelt selbst zu gestalten, andererseits hat sich diese seine Umwelt zu einem Monstrum entwickelt, das ihn zu ersticken droht. Und je emsiger er sich gebärdet, um so deutlicher wird: das menschliche Gehirn ist von der Aufgabe überfordert, für die eigene Art eine dauerhafte, überlebensfreundliche ökologische Nische zu schaffen.
Doch es ist nicht nur das. Der Mensch hat mit seinem Gehirn auch jene Naturgesetze durchschaut, die das vielfältige Leben auf der Erde hervorgebracht und erhalten haben, und er hat sie für seine Person entschärft, ja teilweise gänzlich außer Kraft gesetzt. Seine Nächstenliebe, sein humanes Handeln in der Medizin, seine Sozialhygiene — lauter Denkergebnisse seines Gehirns, haben ungewollte, antihumane Folgen gehabt.
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Neben einer fortschreitenden Schwächung seiner Erbanlagen und einem gefährlichen Nachlassen der Abwehrkräfte gegen Krankheiten haben Denkakte des Gehirns zu jenem dramatischen Bevölkerungswachstum geführt, das heute wie ein Damoklesschwert über den Menschen hängt. Der Tatbestand ist bekannt: Täglich bevölkern rund 200.000 mehr Menschen die Erde. 200.000 zusätzliche Esser jeden Morgen, das ist die Einwohnerschaft einer Stadt wie Braunschweig. Montag: Braunschweig, Dienstag: Saarbrücken, Mittwoch: Freiburg ...
Wie kam es dazu?
Sehen wir uns um: Tiere und Pflanzen konnten und können als Arten nur bestehen, weil sie sich den gegebenen Lebensverhältnissen angepaßt, weil sie sich nicht übermäßig vermehrt haben, sondern im Gleichgewicht mit ihrer Umwelt geblieben sind. Da nahezu alle Tiere und Pflanzen viel mehr Nachkommen hervorbringen, als notwendig wären, um die Art zu erhalten, üben sie einen Vermehrungsdruck auf die Lebensgemeinschaft ihrer Umgebung aus. Der Vermehrungsdruck trifft aber auf Gegenkräfte. Klima und Feinde, begrenztes Nahrungsangebot und andere Faktoren sorgen dafür, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, daß ein Vernichtungsdruck entsteht, der die Vermehrung beschränkt. Der Vernichtungsdruck wirkt dem Vermehrungsdruck entgegen; die Individuenzahlen sind das Ergebnis dieses Kräftespiels.
Diesem zwar brutalen, doch bewährten System konnte sich der Mensch weitgehend entziehen. Sein Gehirn fand Mittel und Wege, dem Vernichtungsdruck immer erfolgreicher zu widerstehen. Mit überlegenen Waffen — vom Steinbeil über die Schrotflinte bis zum DDT — hielt er sich seine Feinde nicht nur vom Leib, sondern dezimierte sie und rottete sie teilweise sogar aus. Hinzu kam seine Medizin. Die siegreiche Bekämpfung der Infektionskrankheiten, die Beherrschung des Kindbettfiebers, die zahlreichen Kunstgriffe, das Leben des einzelnen Menschen zu verlängern und die Lebenserwartung von einst 25 oder 30 auf mehr als 70 Jahre zu steigern — all das »befreite« ihn, wie er selbstgefällig meinte, von den Fesseln der Natur. Wiederum sind es Denkergebnisse des Großhirns gewesen, die auch von dieser Seite her die massenhafte Zunahme unserer Art ermöglicht, ja: heraufbeschworen haben.
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Sagen wir es offen und hart: Das Großhirn hat es bewirkt und zugelassen, daß gegenwärtig rund 100 Millionen Tonnen rasch sich vermehrender menschlicher Biomasse den Planeten Erde bevölkert, ihn auspowert und seine Rohstoffreserven unbekümmert um den Bedarf künftiger Generationen plündert und damit immer rascher die Lebensgrundlage zerstört, zu der es keine Alternative gibt.
Allein das Bevölkerungsproblem zwingt zu einem beklemmenden Vergleich: Die Menschheit ähnelt einem Bakterienrasen auf begrenztem Nährboden, einem Myriadenheer wimmelnder Lebewesen, die sich wuchernd ausbreiten und nur noch ausgestattet sind mit dem Trost Papst Johannes-23, der den Müttern zurief: »Habt keine Angst davor, viele Kinder zu bekommen! Diese Welt ist von Gott nicht geschaffen worden, um ein Friedhof zu sein. Der Herrgott segnet die großen Suppentöpfe!«
detopia:
wikipedia Johannes 23 *1881 P:1958-1963, Italiener. siehe auch im 1983-Register
wikipedia Paul VI. *1897 P:1963-1978, Italiener. „Pillen-Paul“ wegen <Enzyklika Humanae Vitae 1968>, Verurteilung der Pille. 2018: Heiligsprechung
Einst ein Organ mit der Funktion, die Überlebensaussichten seiner Träger im Daseinskampf zu erhöhen, ist das Großhirn mittlerweile zum Katastrophenorgan geworden, dem es nicht mehr gelingen will, seine eigenen Werke unter Kontrolle zu halten, um sie mit den Lebensgrundlagen auf der Erde in Einklang zu bringen. Diese ins Übermaß gewucherte, von ihrer knöchernen Schale nur mühsam an weiterer Ausdehnung gehinderte Masse ist in der Tat den ins Riesenhafte gewachsenen Leibern der Dinosaurier vergangener Zeiten vergleichbar geworden — Tiere, die vor sich selber kapitulieren mußten.
Gigantismus zahlt sich auf der Erde offenbar nicht aus, weder der des Körpers noch der des Geistes. Das gewaltig entwickelte Großhirn mit seinem allzu raschen Erkenntnisgewinn, das seinen Trägern bei neuen Erkenntnissen auch noch Lustgewinn bescherte, dieses Großhirn, das nach Sicherheit und Bequemlichkeit strebt — es hat lauter Aktionen provoziert, die für den Menschen auf lange Sicht nur tödlich verlaufen können.
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Das Danaergeschenk der Natur, dieses lautlos im Kopf arbeitende Instrument von der Konsistenz frischen Ziegenkäses ist dabei, sich nicht mehr nützlich und überlebensgerecht zu verhalten. Wohin wir sehen auf der Erde — wir richten mit ihm mehr Unheil an als Heil.
Das Schlimmste, das Unbegreiflichste aber ist unser Stolz auf dieses Organ. Wir preisen wahlweise den Schöpfer oder die Natur, die uns mit ihm ausgestattet hat. Das Großhirn als Sitz des Geistes und der Seele, jene Kombination zweier gefurchter Halbkugeln aus grauer und weißer Substanz, die mehr als Dreiviertel des gesamten Gehirns ausmachen — es kommt in der belebten Welt kein zweites Mal vor. Mit dem Großhirn, dem »Menschenhirn«, haben wir unsere Sprache entwickelt, unseren Verstand geschärft und unsere Kultur geschaffen. Seinen Milliarden Nervenzellen verdanken wir unseren Rang unter den Organismen der Erde.
Der Mensch, so lernt schon das Kind, ist das höchstentwickelte Lebewesen. Warum? Weil nur er dank seines Gehirns fähig ist, bewußt zu leben und vernünftig zu handeln. Weil nur er Erfahrungen sammeln und sie mit Hilfe seiner Sprache und seiner Kommunikationsmittel weitergeben kann. Weil nur er über Leben und Tod nachdenkt und sich Ziele setzt. Die Tiere können das nicht. Ihr Hirn, soweit sie eines haben, reicht dazu nicht aus. Sie sind nicht fähig zu geistigen Höhenflügen.
Das alles hat uns stolz gemacht, aber auch überheblich. Denn allzuviel Grund zum Stolz haben wir nicht mehr, seit uns das gleiche Organ, dessen Leistungen wir bewundern, das Leben auf der Erde zunehmend schwerer macht, ja dieses Leben ernstlich bedroht. Hätte das Großhirn vor der Stammesgeschichte des Lebendigen bestehen wollen, so wäre es seine erste, seine vordringlichste Aufgabe gewesen, dem Menschen auf der Erde das Überleben zu sichern. Statt dessen ärgern wir uns darüber, daß es uns nicht gelingt, die sogenannten Letzten Fragen zu beantworten.
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Wir übersehen dabei ganz, zu welchem ursprünglichen Zweck das Gehirn einst entstanden war; daß es sich wie jedes andere Organ als Ergebnis von Auslesevorgängen gebildet hat. Dabei wurden neue, erfolgreiche Erbeigenschaften im Zentralen Nervensystem damit belohnt, daß sie künftigen Generationen erhalten blieben, zum Beispiel die bessere Aufnahme und Auswertung von Sinneseindrücken. Die Beschäftigung mit Fragen wie der nach der Herkunft der Materie oder des Lebens hätte keinerlei Nützlichkeitswert für den Urmenschen gehabt. Wenn er einen Steppenbrand bekämpfen oder vor ihm fliehen mußte, oder wenn er für seine hungernde Horde auf möglichst schnelle und erfolgreiche Weise Jagdbeute zu machen hatte, wäre ihm das Wissen um die Ursachen einer Spiralnebel-Bildung wenig hilfreich gewesen.
Dann aber — im Lauf der Jahrtausende — erwarb das Gehirn eine unstillbare Neugier. Es suchte und forschte und dachte nach, um die Fallgesetze und die Vererbungsregeln zu entdecken, um die Stromlinienform herauszufinden und den Trick, mit dessen Hilfe man Atomkerne spalten kann. Es ruhte nicht eher, bis es die Sonne als einen unter Milliarden anderen Sternen in der Milchstraße erkannt und den Menschen als »Gedanken Gottes« begreifen zu müssen glaubte. Es verwandte Zeit und Mühe auf die Beantwortung der Frage, woher die Energie und die Materie komme und was nach dem Tode geschehe.
Statt sich der Welträtsel anzunehmen, für deren Lösung es nicht programmiert ist, statt sich in abstrakten Denkspielen zu ergehen und nach dem Sinn des Lebens zu fragen, hätte es besser konkrete existenzielle Probleme lösen sollen.
Bei all seiner geistigen Regsamkeit hätte es sich für ein ökologisches Verhalten des Menschen einsetzen und die Risiken einer ungezügelten Massenvermehrung rechtzeitig zu vermeiden lernen müssen. Statt seines urzweck-entfremdeten Treibens hätte es für ein integriertes Verhalten des Menschen in der Natur als dessen eigentlicher Heimstatt sorgen sollen.
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Alles spricht dafür, daß es dazu jetzt zu spät ist.
Der Versuch der Natur, mit dem Großhirnwesen Mensch einen auf lange Sicht erfolgreichen Erdbewohner zu schaffen, scheint gescheitert zu sein. Es war ein Irrtum. Der Mensch, der seinem Gehirn auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, wird von der Erde wieder verschwinden und mit ihm das Organ, dem er seinen Aufstieg, aber auch seinen Untergang verdankt.
Dieses Buch will Argumente zu dieser These liefern.
Es will zeigen, daß der Homo sapiens in einer nicht mehr fernen Zukunft an seiner gefährlichsten stammesgeschichtlichen Errungenschaft scheitern wird. Es wird den Versuch unternehmen, die unheilvolle Rolle aufzudecken, die das Menschenhirn in der neueren Stammesgeschichte des Menschen gespielt hat. Es wird in diesem Zusammenhang über grundlegende Naturgesetzlichkeiten berichten, an die sich viele Tiere und Pflanzen erfolgreich hielten. Es wird aufzeigen, wie das Menschenhirn diese Gesetze im Lauf der Zeit systematisch zu umgehen lernte.
Es wird auch die Frage untersuchen, wie weit menschliche Ethik und Moral als spezifische Leistungen des Gehirns mitgewirkt haben, den unheilvollen Prozeß voranzutreiben. Dies wird ein besonders bitteres Kapitel sein.
Denn auf unsere Ethik und Moral halten wir uns viel zugute. Sie sind vor allem durch das Wirken der Kirchen zu einer Art heiliger Kuh erhoben und ihre Prinzipien zu absoluten Werten stilisiert worden. Sie angesichts der menschlichen Massenvermehrung anzutasten oder auch nur kritisch über ihren Sinn und Inhalt nachzudenken, wird für manchen eine schockierende Herausforderung sein. Und doch sollte uns gerade auf diesem Felde vieles nachdenklich stimmen.
Der amerikanische Soziologe Robert Cook hat im Hinblick auf die Bevölkerungsexplosion einmal gesagt, wenn die Geburtenkontrolle nicht moralisch wäre, dann müßte man sie moralisch machen, weil sie sozial notwendig sei.
Dabei ist das menschliche Vermehrungsproblem nur ein Faktor von mehreren, die auf das Ende der Menschenzeit hindeuten. Der Erbverfall ist ein anderer. Und die Vernichtung der Natur durch die rasch fortschreitende Industrialisierung der Erde ist ein dritter.
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Ein vierter wiegt besonders schwer — nämlich die allmähliche psychische Verwandlung des Menschen unter den Einflüssen seiner zunehmend unmenschlicher werdenden Zivilisation und Technik. Dieser Vorgang scheint für unser Problem zunächst nur am Rande zu liegen. Wir wissen aber, daß psychische Störungen wie Depressionen, Neurosen und Psychosen Folgen für den Körper haben können, darunter solche auf die innersekretorischen Systeme und die Fähigkeit, Nachkommen hervorzubringen. Schon heute sehen wir, wie das Gefühlsleben unter den Bewohnern der Ballungsräume mehr und mehr verarmt, wie die Menschen unter dem Streß einer fortwährend nach Leistung lechzenden Gesellschaft erkranken.
Wie sich der psychische Verfall im einzelnen weiter auswirkt, kann nur vermutet werden. Sein schädigender Einfluß auf die körperliche Gesundheit ist jedoch unbestritten, denn die Empfindlichkeit zahlreicher Regelsysteme des Körpers auf solche Störungen ist bekannt. Mit der zunehmenden Maschinenhaftigkeit unseres Lebens, mit dem Abbau der Mitmenschlichkeit beschleunigen wir den Verfall dessen, was uns »Menschen« sein läßt.
Auch dies hat, wie die übrigen genannten Faktoren, etwas Unumkehrbares.
Es sieht so aus, als gebe es kein Zurück mehr auf dem eingeschlagenen Weg. Denn wir können ja nicht anders, wir müssen uns weiter so verhalten, wie unsere Gehirne es uns diktieren. Und dieses Verhalten wird nicht Grundsätzen folgen, wie sie uns jetzt allmählich einzuleuchten beginnen. Es wird nicht jener späten Einsicht entsprechen, wonach die Erde begrenzt ist und mit der wachsenden Menschenzahl ebensowenig mitwachsen kann wie mit deren materiellen Ansprüchen, sondern es wird anderen, seit Jahrhunderttausenden eingefahrenen Prinzipien folgen, gegen die auch eine »späte Einsicht« desselben Organs nichts ausrichten kann. Das heißt, es wird ein Verhalten sein, das auf einer noch weitgehend menschenleeren Erde bei einer kurzen Lebenserwartung sinnvoll gewesen ist, nicht aber auf einem überfüllten Planeten mit schnell schrumpfenden Rohstoffreserven nützlich sein kann.
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Damals, als die Erde noch groß und leer war, damals mag es gut und richtig gewesen sein, viele Nachkommen zu haben, möglichst viel Wald zu roden, immer mehr Land zu erobern, Waffen, Fahrzeuge und Geräte aller Art herzustellen und sie auch anzuwenden. Zu einer Zeit, da »immer größer« und »immer mehr« noch gleichbedeutend war mit »besser«, wurde ein solches Verhalten mit einer Erhöhung der Lebensqualität belohnt, mit dem Wohnlicherwerden der ökologischen Nische des Menschen.
Heute sitzen wir in einem vergleichsweise bergab fahrenden Karren, der nicht mehr zu bremsen ist, weil er gar keine Bremsen hat. Der Karren ist nur für die Bergfahrt geeignet, für das »immer höher«, das »immer mehr«, das »immer größer«. Dieser Karren ist unser Gehirn. Von ihm zu verlangen, daß es Eigenschaften entwickle, die einer gänzlich neuen, einer zwar von ihm selbst verursachten, jedoch überfallartig schnell eingetretenen Situation gerecht würden, hieße von den Katzen erwarten, daß sie das Mausen einstellten.
Darum wird auch das Ende des Menschen kommen — rascher vielleicht, als uns lieb ist, und aller unserer Eitelkeit zum Hohn.
Mit einem wachsenden psychischen Leidensdruck, mit zunehmender Aggression in den Ballungsgebieten wird es beginnen. Mit dem Erbverfall, der Schwächung der Immunsysteme, mit der Erschöpfung der Rohstoff- und Nahrungsreserven, mit Hungerkatastrophen wird es weitergehen. Das Massensterben in der afrikanischen Sahelzone ist ein erstes Signal. Es steht in vieler Hinsicht modellhaft für das, was die Zukunft der Menschheit insgesamt bringen wird.
Unser Kampf gegen die einst so erfolgreich zurückgedrängten Feinde des Menschen, die Krankheitserreger und Insekten vor allem, wird an Schärfe wieder zunehmen. Er wird noch dramatisch werden, denn die Kleinlebewesen sind es, die die beginnende Schwäche ihrer großen Widersacher in der Natur augenblicklich nutzen werden. Unser Mitleid mit den Sterbenden wird erlahmen, weil die Toten Platz für die Überlebenden schaffen.
»Gehet hin und mehret Euch und machet Euch die Erde untertan«, heißt es in der Bibel. Gläubige Christen halten diesen Auftrag für gottgegeben. Stammte er vom Teufel, so würde er dem Bösen alle Ehre machen. Stammt er von Gott, so bleibt nur die Erkenntnis einer fatalen Fehleinschätzung der Folgen, die dem Allwissenden unterlaufen sein muß.
Unser Großhirn, auf das wir so stolz sind und mit dem wir unsere Welt nach unserem Gutdünken gebaut haben, es wird uns auf seine Art auslöschen. Es wird sich als das erweisen, was es seit der Zeit des Neandertalers immer gewesen ist: als Irrtum der Natur, als ein stammesgeschichtliches Monstrum, als Versuch, dem nur allzu kurze Zeit Erfolg beschieden war.
Es wird sich zeigen, daß wir unter den Lebewesen der Erde keineswegs besonders tüchtig waren. Der Planet, der uns hervorgebracht hat, wird uns nicht mehr lange dulden, denn wir haben gegen seine Hausordnung verstoßen. Vor uns liegt der Räumungsbefehl. Die Erde wird nicht zögern, uns wieder abzuschütteln. Wir werden anderen Lebewesen das Feld überlassen müssen wie randalierende Mieter, die dem Hauseigentümer die Wohnung beschädigt haben.
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Theo Löbsack 1974