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    5   Die instinktlosen Handlungen    Löbsack-1974  

 

Mehr Erkenntnisse, weniger Weisheit — Das Beschleunigungsphänomen — Die Stunde der Wahrheit — Die Sünden —  Die Erde als Ausbeutungsobjekt — Mit 130 PS zum Einkaufs­bummel — Jux-Fahrzeuge  —  Das einfache Leben — Rohstofflager — Der gänzlich unangebrachte Respekt vor den Werken der TechnikVogelmordsport — 100 ausgerottete Wirbeltier-Arten in einem Jahrhundert — Pflanzen auf der Abschußliste — Verkehrssicherheit: Straßenbäume — Natur­verbundenheit als peinliche Schwarmgeisterei — Das gestörte Gleichgewicht  — Die Bombe als Denkprodukt des Gehirns — Die tötbare Erdbevölkerung — Warum Otto Hahn keine Schuld hat — Kernkraftwerke treiben die Industrialisierung voran — Plutonium — Kompliziertheit der Welt -  Unfähigkeit des Gehirns

 

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Man mag darüber streiten, warum das Organ, das den Menschen erst zum Menschen machte - das Großhirn - warum dieses Organ seit den Tagen des Neander­talers bei seiner damaligen Größe und funktionellen Entwicklung stehengeblieben ist.

Eine seither gleichgebliebene Umwelt ohne Entwicklungsreize kann der Grund nicht gewesen sein, denn Klima, Nahrungsangebot und Feinde haben sich im Lauf der letzten hunderttausend Jahre öfter gewandelt. Auch fehlende Erbänderungen können nicht in Frage kommen, denn Mutationen hat es immer gegeben. Auch haben andere Körperteile des Menschen inzwischen ja durchaus Wandlungen durchgemacht. 

Was also war die Ursache für die stockende Evolution des Menschenhirns? Wir stehen vor einem Rätsel. 

Um so eindrucksvoller ist, welche Fähigkeiten das Gehirn auch ohne wesentliche organische Veränderungen seit damals entfaltet hat. Was unser Verstand zuwege brachte, füllt nicht nur turmhohe Bibliotheks­gebäude, wir sehen es auch auf und über der Erde auf Schritt und Tritt um uns.

Doch die geistige Beherrschung dieses Fortschritts ist dabei zu kurz gekommen.  

Ein Teufelskreis hält uns gefangen: Je mehr Erkenntnisse wir gewinnen, je mehr Technik wir hervorbringen, um so mehr Leute lassen sich von ihnen faszinieren und um so technisierter, nüchterner, rationaler wird unsere Welt. 

Wir haben die Atomkraft entdeckt, haben Computer, Laser, hochkarätige elektronische und optische Instrumente, tausenderlei Maschinen und Verfahren erfunden, wir überqueren die Ozeane und tauchen unter Wasser, wir fliegen durch die Luft, dringen in den Weltraum vor und stellen Kunststoffe her, die kaum noch Wünsche offenlassen. Doch fehlt es uns weithin an der Weisheit, mit unseren Errungenschaften sinnvoll umzugehen.

Mit anderen Worten: 

Wir sind offenbar außerstande, unsere Technik so zu gebrauchen, daß sie die Dienerin des Menschen bleibt, ohne ihn zu beherrschen. Wir genießen den Komfort, den sie bietet, aber das Zahlmittel dafür ist, daß wir immer mehr Naturlandschaft hinopfern, immer mehr Rohstoffe vergeuden und immer mehr Mitmenschlichkeit aufgeben.

Immer tiefer verstricken wir uns in die Abhängigkeit von unserer Maschinenwelt, so daß Futurologen den Menschen der Zukunft schon als bloßen Handlanger für eben jene Apparate sehen, die in nicht allzu ferner Zeit das Kommando über alles Lebende und Tote auf der Erde übernommen haben werden.

Wir benehmen uns wie Kinder: 

Wir fassen alles an und probieren alles aus, ganz gleich, ob es uns zum Nutzen gereicht oder nicht. Unser Gehirn, vollge­stopft mit Faktenwissen, verlockt uns zu immer risikoreicheren Experimenten mit den Naturkräften der Erde und des Kosmos, und wir scheren uns den Teufel darum, was dabei aus den nichtmateriellen Werten unseres Lebens wird.

Besonders intensiv betreiben wir diese »Umweltveränderung« seit der industriellen Revolution. Das war jene Zeit der neueren Geschichte, als die Maschine die Muskelkraft zunehmend verdrängte und ersetzte, und die Wirksamkeit, das Ausmaß menschlicher Einflußnahme auf die Natur sprunghaft anstieg. Der potenzierte Einfluß durch zahlreiche Aktivitäten, voran die Industrie und die Landwirtschaft, der Bergbau und das Bauwesen, wurde noch verstärkt von den Gruppeninteressen jener, die besonders tüchtig in der Beschaffung von Produktionsmitteln waren, Menschen oder Institutionen, die aus dem umwelt­verändernden Treiben Profit schlugen und auf diese Weise wirtschaftliche oder politische Macht erwerben konnten.

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Was hier interessiert, ist nicht so sehr die gesellschaftspolitische Bedeutung, sondern es sind die biologischen Konsequenzen dieses Sachverhalts. Denn die Bevölkerungs­explosion hat zusammen mit der Industrialisierung zu einer Umweltverschmutzung geführt, die den biologischen Lebensraum zunehmend einengt und vergiftet. Mehr oder weniger trägt jeder einzelne unter uns zu dieser gefährlichen Entwicklung bei. So halten wir es für unzumutbar, unseren Energieverbrauch einzuschränken, obwohl hier eine der schwerwiegendsten Ursachen für zahlreiche Probleme der Umweltverschmutzung liegt. 

Im Herbst 1973 warnte ausgerechnet Abderrahman Khene, der Generalsekretär der ölfördernden Länder, vor einem uferlosen Energiekonsum. In einem Vortrag in Bad Godesberg vor prominenten Vertretern der deutschen Energiewirtschaft kurz vor der sogenannten Ölkrise forderte er die westliche Welt zur Mäßigung im Ölverbrauch auf. Staatssekretär Karsten Rohwedder vom Bundeswirtschaftsministerium wußte darauf nur zu erwidern, man sei durch die Worte Khenes »nachdenklich« geworden. Die Forderung der ölfördernden Länder an die westliche Welt, sparsamer mit dem Öl umzugehen, sei aber nur sehr schwer zu erfüllen, fuhr Rohwedder fort. Inzwischen sind wir schon ein Stückchen von unserem hohen Roß herunter­gestiegen, freilich nur ein Stückchen.

Tatsächlich geht es gar nicht mehr darum, ob wir eines Tages nicht mehr genug Strom haben werden, um unsere Kühlschränke kalt zu halten und unsere Fernseher flimmern zu lassen, oder nicht genug Benzin, um mit unseren Autos einkaufen zu fahren. Um was es geht, ist die Endzeit-Dämmerung einer Welt, in der es sich vor lauter Lärm, menschlichem Gedränge, vor Hunger und Giftstoffen in Luft und Wasser nicht mehr menschenwürdig leben läßt und die demonstriert, daß der Mensch außerstande war, sich zum eigenen Wohle zu verhalten.

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Wie beschaulich, wenn auch weniger komfortabel, verlief das Leben noch vor zwei Generationen. Aber dann wurde alles anders. 

Aus der Zeit der Ölfunzeln und Pferdedroschken sind wir in eine Umwelt hineinkatapultiert worden mit schnellen Autos, Atomraketen, Mondlandungen, Neurosen, Rauschgiftsucht und Rüstungswettlauf unter den Großmächten, die längst ein Vielfaches jenes Waffenarsenals gelagert haben, das ausreichen würde, um die Menschheit in wenigen Stunden auszulöschen. 

Eine derart hochtechnisierte Welt mit ihrem Lärm, mit Wasser- und Luftverpestung und der psychischen Belastung einer räumlichen Pferchung wäre nur dann hinzunehmen, wenn wir in der Lage wären, den zunehmenden Streß und die wachsende gesundheitliche Bedrohung all dieser Einflüsse auf die Dauer schadlos zu überstehen — kurz: wenn wir uns allen diesen Einzelbelastungen fortlaufend anpassen könnten. Gerade dies aber können wir langfristig nicht.

Zum erstenmal nach dreieinhalb Milliarden Jahren ist damit ein Lebewesen auf der Erde erschienen, das seine Umwelt zum eigenen Schaden verändert. Der Mensch veränderte schließlich nur noch aus Lust am Verändern und verlor zugleich immer mehr den Sinn dafür, Bewährtes zu bewahren. Jetzt steht er vor den Folgen seines manischen Tätigkeitsdranges. Er hat die Anpassungsfähigkeit an seine selbstgeschaffene Umwelt verloren und damit eine Eigenschaft, deren Verlust in der Geschichte des Lebendigen noch immer einem Todesurteil gleichgekommen ist.

Verursacht wird dieses unvernünftige Verhalten durch ein entwicklungsgeschichtliches Handikap. Angesichts der zunehmenden Komplexität unseres Daseins auf der Erde kann das ursprünglich für ganz andere Aufgaben entstandene Gehirn keine Lösungen für einen wirklich harmonischen und ausgewogenen Fortschritt mehr finden, der das Bewährte bewahrt und das Neue erst auf seinen langfristigen Nutzen hin untersucht, bevor es ihm vertraut.

Vor allem: es kann die Wechselwirkungen, Abhängigkeiten und Verflechtungen zwischen den vielfältigen Lebensbereichen in unserer übervölkerten Welt nicht mehr durchschauen. Unser Dasein auf der Erde beginnt, von einer komplizierten Eigengesetzlichkeit bewegt zu werden, und unsere Eingriffs­möglich­keiten in seine Mechanik werden immer geringer.

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Zu der Zeit, da unsere Vorfahren »von den Bäumen stiegen« und das Gehirn sich zu vergrößern begann, gab es Probleme, wie wir sie heute haben, nicht. Darum erübrigt sich auch ein Körperteil mit der Fähigkeit zu ihrer Lösung. Bis vor 100.000 Jahren, so könnte man sagen, entsprach die Umweltsituation noch der Gehirnpotenz des Menschen. Auch später, bis in die nachchristliche Zeit hinein, blieb das Gehirn einigermaßen Herr der Lage. Dann aber, mit der von ihm selbst bewirkten und stürmischen Entwicklung von Technik, Wissenschaft und Industrie, mit der Bevölkerungs­explosion und den ebenso stürmisch wachsenden Umweltgefahren, kam auch für das Gehirn die Stunde der Wahrheit. Statt allmählich, ging die nun einsetzende Entwicklung viel zu schnell für ein Organ, das sich seit den Tagen des Neandertalers nicht mehr verändert hat, das Zeit braucht, um sich anzupassen, das sich vielleicht gar nicht mehr verändern kann und das nun die Verwicklungen nicht mehr übersieht, die ihm aus den Errungenschaften seines »Geistes« erwachsen sind.

Deshalb sehen wir uns heute vor so uferlosen Schwierigkeiten, darum machen wir so vieles falsch.

Mit unserem Gehirn können wir uns — trotz all seiner erworbenen Leistungskapazität — nicht anders verhalten als der Steuermann in unbekannten Gewässern, der seinen Zielpunkt am fernen Ufer zwar ansteuert, aber nicht weiß, wie viele und wie starke Kräfte ihn unterwegs von seinem Kurs noch abbringen werden, welchen Wind er bekommen wird und welche Wasserströmungen auf ihn lauern. Weil dieser Mann das alles nicht weiß — sonst würde er möglicherweise einen anderen Kurs steuern — darum tut er das Naheliegendste, das Primitivste, freilich auch das Falsche: er sucht die einfache, die rasche Lösung mit dem direkten Kurs.

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Bei uns Menschen fing die Kurzsichtigkeit mit spielerischen Einfällen an, mit der Umleitung von Bächen, dem mutwillig gelegten Steppenbrand, dem Auslösen von Steinlawinen, mit der Jagd auf Tiere aus Lust am Jagen und Töten. Später folgten die großen Sünden. 

Das antike Griechenland war noch zu Dreiviertel seiner Landfläche bewaldet, die Wälder waren heilig, Bäche und Quellen sprudelten, eine reiche Fauna lebte. Heute, als Folge der Waldzerstörung, gibt es in Griechenland nur noch fünf Prozent des einstigen Waldbestandes. Der Regen hat die Erde von den abgeholzten Hängen in die Täler geschwemmt. Wenn er besonders ergiebig fällt, verwandeln sich die trockenen Flußbetten in Schlammströme. Der Humusboden ist auf zwei Prozent seiner ursprünglichen Menge geschrumpft, nur ein Fünftel der Landfläche eignet sich noch zum Anbau. Zahlreiche Dörfer finden in ihrem Bereich kein Trinkwasser mehr, und mit der Landwirtschaft ist es so schlecht bestellt, daß man drei Viertel des benötigten Brotgetreides einführen muß.

Mit bedrückender Monotonie wiederholt sich diese Situation in anderen Ländern südlich der Alpen. Auch in Spanien, Italien und Jugoslawien hatten Regen und Wind leichtes Spiel, den Humusboden der kahlgeschlagenen Hänge fortzutragen: Verkarstung und Versteppung waren die Folgen. Im einst bewaldeten Nordafrika benahmen sich die Bewohner nicht umsichtiger. In aller Welt, von Ausnahmen abgesehen, hat kurzsichtiges, auf raschen Profit bedachtes Handeln Schäden an der Natur verursacht, die heute nicht mehr gutzumachen sind. Überall stoßen wir auf die Folgen menschlicher Unfähigkeit, auf Taten, die zwar schnell realisierbaren Gewinn bedeuten und dem Wirtschaftswachstum dienten, auf lange Sicht aber die Lebensgrundlagen des Menschen — und nicht nur seine — gefährdeten.

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Offenbar haben wir es so augenfälligen Lehren der Vergangenheit zum Trotz nicht vermocht, haushälterisch mit den Naturschätzen umzugehen. Wir betrachten unseren Planeten nicht als pflegebedürftige Heimstatt, sondern als Ausbeutungsobjekt, und bemerken nicht, daß wir den Ast absägen, auf dem wir sitzen. Wir sehen die Erde als wohlfeilen Großmarkt, aus dessen Regalen wir uns nach Belieben befriedigen können, ganz gleich, ob der Nachschub funktioniert und ob die nach uns Kommenden noch genug für ihren Bedarf vorfinden — einen Bedarf, der mit zunehmender Erdbevölkerung fortwährend wächst.

Was in vergangenen Jahrhunderten in Südeuropa angerichtet worden ist, hat seine makabre Parallele in unserer Zeit. Im Februar 1974, während sich in den Karneval-Hochburgen die Menschen weinselig um die Hälse fielen, trafen in Rom Vertreter von 15 Mittelmeer-Anrainerstaaten zusammen, um über den drohenden »Erstickungstod« des einstigen »Mare nostrum« zu diskutieren. Der Anlaß war bedrückend genug, denn mehr als drei Millionen Tonnen Ölschlamm, Industriegifte und Schmutzstoffe aller Art werden derzeit jährlich ins Mittelmeer geleitet. Dieser Vorgang ist deshalb so alarmierend, weil im Gebiet des Mittelmeers mehr Wasser verdunstet, als durch Niederschläge ersetzt wird. Die einzige nennenswerte Frischwasserzufuhr erfolgt durch die Meerenge von Gibraltar, aber es dauert rund achtzig Jahre, bis der gesamte Wasservorrat erneuert ist. Die Zufuhr von phosphathaltigen Abwässern führt auf weiten Strecken zu einer Überdüngung des Wassers. 

Die Folge ist: Pflanzliches Plankton breitet sich wuchernd aus und verbraucht, während es verwest, viel wertvollen Sauerstoff. Mehr als Dreiviertel der gesamten Mittelmeerküsten sind bereits ölverschmutzt, und noch immer dürfen die Schiffe in zwei sogenannten Freizonen ihre Ölrückstände ins offene Wasser ablassen. Auf der Konferenz wurden erschütternde Zahlen über die Mengen eingeleiteter Schadstoffe, den Rückgang der Fischfänge und die Überdüngung des Mittelmeerwassers namentlich an den spanischen, französischen und italienischen Küsten bekannt. Das Ergebnis beschränkte sich auf den Beschluß der Teilnehmer, weiter über die Probleme nachdenken zu wollen, um vielleicht später einmal feste Vereinbarungen zu treffen.

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Wir schütteln zwar die Köpfe über die einstigen Griechen, Römer und Spanier, die ihre Wälder einstmals kahlgeschlagen und dafür kargen Boden geerntet haben. Noch fassungsloser aber werden unsere Nachkommen darüber sein, auf welche Weise die heute lebenden Menschen mit den Naturvorräten umgegangen sind. Daß wir uns — beispielsweise — einen Individualverkehr geleistet haben mit Kraftfahrzeugen von 150 PS und mehr, die bis zu 30 Liter Benzin auf 100 Kilometer verbrauchten: 15 Kubikmeter und mehr blechumbauten Raumes je Automobil für oft nur einen einzigen Insassen — ja, daß wir es fertiggebracht haben, zum bloßen Vergnügen mit solchen Fortbewegungsmitteln umherzufahren und Benzin zu vergeuden, die Luft zu verpesten und mit dem erzeugten Lärm anderen auf die Nerven zu fallen.

So offensichtlich das Instinktlose solchen Fahrverhaltens heute ist, so beklemmend ist der Gedanke daran, daß es sich just aus dem uralten Instinkt der Jagdleidenschaft unserer Urahnen herleitet. Kein Kraut scheint gegen die Unvernunft am Steuer gewachsen zu sein, nicht Strafandrohung und nicht das teurer werdende Benzin. Es gibt Lehrfilme mit gräßlichen Szenen, die die Polizei notorischen Verkehrssündern gern zwangsweise vorführt. Da sieht man Nahaufnahmen menschlicher Augen in Farbe, die vom scharfgratigen Rand splitternder, schrägstehender Frontscheiben zerfetzt sind; Details, die einem Horrorfilm Ehre machen würden, abgetrennte Köpfe, Arme, Beine und Rümpfe längs der Bremsspuren, die aus verschiedenen Blickwinkeln zu besichtigen sind. Aber was nützen solche Demonstrationen?

Die Zahl der Verkehrstoten gibt die Antwort. Alle zweieinhalb Minuten mindestens stirbt irgendwo auf der Erde ein Mensch an einem Verkehrsunfall, darunter zunehmend Kinder unter 14 Jahren. Ein Beispiel für viele: Von 202 in die Innsbrucker Klinik eingelieferten Kindern mit stumpfen Bauchverletzungen waren 44 Prozent die Opfer des Straßenverkehrs. 20 Prozent dieser Kinder — jedes fünfte — mußten operiert werden, neun der Operierten starben. 

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Allein in den USA werden alljährlich 200.000 Menschen durch Windschutzscheiben geschleudert und dabei auf Lebenszeit entstellt oder verkrüppelt. Geht man davon aus, daß bei über 88 Prozent aller tödlichen Autounfälle Schädel-Hirnverletzungen zugrunde liegen, so müßten neben Tempobegrenzung, Sicherheitsgurt, Knautschzonen, Kopfstützen und anderen Sicherheitsmaßnahmen auch Sturzhelme für die Wageninsassen obligatorisch werden. Der Satz, daß das Auto ein Multiplikator für Charakter und Temperament des Fahrers sei, trifft leider zu, und er gilt vor allem für die labilen Gemüter. Für viele unter ihnen ist das Auto viel weniger Fortbewegungsmittel als Statussymbol. Es erfüllt seinen Zweck um so besser, je schneller es ist, je rasanter es aussieht und je mehr raub-katzenhafte Kraft seinen Tank erfüllt.

Vorläufiger Höhepunkt der motorsportlichen Besessenheit ist der aus den USA bekanntgewordene Freizeit-Vandalismus mit Geländefahrzeugen: All-Terrain-Wagen, Schneemobile, Dünenkäfer und andere, meist rudelweise benutzte und lautstarke Sonderfahrzeuge richten in bisher entlegenen und auch schutzwürdigen Landschaften »Manöverschäden« an. Die Fahrer reißen aus purem Übermut die Ackererde auf, walzen Pflanzenkulturen platt, vernichten die dünnen Vegetationsdecken von Mooren, zerstören Vogelbrut und vertreiben seltene Tiere von ihren angestammten, vom Straßenlärm bislang noch verschonten Plätzen.

Was die Beispiele lehren: 

Unser Verhältnis zur Natur und zu einem vergleichsweise »einfachen Leben« hat sich im selben Maß gewandelt, wie unsere Technik wuchs und wir uns von dieser Technik in blinder Anbetung beherrschen lassen. Vom bloßen Aneignen, von der sammelnden Lebensweise früherer Zeiten ist der Mensch zum Untertanmachen der Natur übergegangen. Sein einst noch vorhandener Instinkt für den maßvollen Gebrauch der irdischen Güter scheint endgültig erloschen zu sein. Und sein Gehirn hat all dies zugelassen, ja gefördert. Es konnte gar nicht anders, als sich so zu verhalten.

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Schenkt man der von amerikanischen Fachleuten erstellten Studie <Die Grenzen des Wachstums> mit einigem Vorbehalt Glauben, so dürften die Rohstoff­reserven der Erde schon in wenigen Jahrzehnten so weit geschrumpft sein, daß die Industrie ihre Produktion aus Preisgründen wird einschneidend drosseln müssen. Damit würden — unter anderem — weniger landwirtschaftliche Maschinen, weniger Düngemittel produziert werden können: die apparative und chemische Grundlage einer intensiven Nahrungserzeugung wird dann nicht mehr gegeben sein. Hungersnöte und Krankheiten werden die inzwischen weiter gewachsene Menschheit dezimieren und die Bevölkerungszahl gewaltsam an die verbliebenen Lebensgrundlagen anpassen — wenn eine Anpassung dann noch möglich ist.

Da der Rohstoffverbrauch eine Schlüsselrolle für das Schicksal des Menschen spielt, sei auf eine Untersuchung des Stanford-Mineralogen Professor Charles Park verwiesen, der dazu — pars pro toto — Frankreich und Brasilien als Vertreter je eines durchschnittlich industrialisierten und eines durch­schnittlich unterentwickelten Landes unter die Lupe genommen hat. Beide Länder müssen Kupfer, Blei und Zink importieren und haben in den letzten beiden Jahrzehnten wechselnde Mengen verarbeitet, je nachdem, wie ihre Wirtschaft gerade florierte. 

Park hat nun den zu erwartenden Verbrauch des Jahres 2000 unter Bezug auf das erwartete Bevölkerungswachstum und den gegenwärtigen Verbrauch in beiden Ländern gegenübergestellt. Danach wird, was das Kupfer betrifft, Frankreich seinen heutigen Bedarf von rund 280.000 Tonnen jährlich bis zum Jahre 2000 auf 360.000 Tonnen steigern, Brasilien wird von derzeit rund 50.000 auf 136.000 Tonnen kommen. Blei brauchen die Franzosen jetzt etwa 170.000 Tonnen jährlich, im Jahre 2000 wird der Bedarf auf 210.000 Tonnen angewachsen sein. Brasiliens Bleiverbrauch liegt zur Zeit bei rund 35.000 Tonnen gegenüber schätzungsweise 95.000 Tonnen im Jahre 2000.

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Bei anderen Rohstoffen ist es ähnlich. Überall steigt der Bedarf rasch an, und wenn nicht alles täuscht, läßt sich heute schon eine Zeit voraussehen, da wir unsere Müllhalden nach einst achtlos fortgeworfenen Gegenständen aus wertvollen Rohstoffen durchsuchen werden, um uns die selten gewordenen Substanzen wieder nutzbar zu machen.

Dabei steht unser Raubbau an den Naturschätzen im sonderbaren Widerspruch zu dem Anspruch des Menschen, unter den Lebewesen dieses Planeten eine Führungsrolle zu spielen. Wir beweihräuchern uns zwar mit Sprachwendungen wie der von der Krone der Schöpfung, doch benehmen wir uns in vieler Hinsicht einfältiger als die Kreatur. Wir bringen es nicht über uns, einzusehen, daß wir nicht die Beherrscher, sondern schlicht ein Teil der Natur sind. Noch immer bedeuten uns technologische Kraftakte, irrationale Besitzvermehrung und Befriedigung künstlich geweckter Bedürfnisse mehr als ein naturintegriertes Verhalten, das auch späteren Generationen noch ihren Teil am ohnehin kleiner werdenden Kuchen sichern würde.

Als gehorsame Verbraucher haben wir unsere Häuser in Warenlager der Konsumgüter-Industrie verwandelt und folgen damit nicht nur den Lockrufen der Werbeindustrie, sondern befriedigen auch ein angeborenes Bedürfnis, das uns aus der Zeit des einstigen Jäger- und Sammlerdaseins in Fleisch und Blut sitzt. Damals wurden diejenigen unserer Vorfahren offensichtlich mit einem Selektionsvorteil und entsprechendem Kindersegen belohnt, die es am besten verstanden; Nahrungspflanzen, Früchte und Beeren zu finden und Vorräte anzulegen. So mag der lustbetonte, in unserer eng gewordenen Welt aber fragwürdige Besitztrieb verständlich sein. Er ist tiefer verwurzelt, als wir meinen, tiefer, als daß er sich allein durch Erziehung unterdrücken oder gewaltsam von heute auf morgen abschaffen ließe.

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Vieles in unserem Verhalten, das in einer Natur sinnvoll war, die vom Menschen noch nicht bedroht wurde, hat diesen Sinn inzwischen verloren. Nur sind unsere einst sinnvollen Instinkte schon zu lange Zeit fest eingefahren, als daß wir sie, wie es unsere verfahrene Lage heute erforderte, rasch genug abschütteln oder zumindest »entschärfen« könnten. Wir schleppen sie mit uns herum wie mittelalterliche Ritter ihre gepanzerte Rüstung. Wir sind in der Lage jener schwer an diesem Panzer tragenden Männer, die unversehens ins Wasser gefallen sind, ohne daß ihnen Zeit geblieben wäre, ihre Rüstung rechtzeitig abzuwerfen.

Daß wir verlernt haben, eine Lerche von einem Sperling zu unterscheiden, mag noch hingehen. Schlimmer sind andere Dinge.

Ein süddeutscher Naturschutz-Beauftragter klagte dem Verfasser unlängst sein Leid, daß er sich heftig mit einem begüterten Feriengast aus dem Ruhrgebiet habe ausein­andersetzen müssen. Der Mann sei mit seinem schweren Wagen ans Ufer des Illmensees gekommen, habe aus dem Kofferraum eine Motorsäge geholt und alsbald damit begonnen, eine meterbreite, zwanzig Meter lange Schneise in den dichten Schilfgürtel zu schneiden, um sich für die nächste halbe Stunde einen bequemen Angelplatz am Wasser zu verschaffen.

Nicht allein das Ausmaß unserer Naturentfremdung aber muß erschrecken. Hinzu kommt unsere Ohnmacht, diesen Vorgang überhaupt zu begreifen.

Hierher gehört die Allmählichkeit, mit der sich unsere Beziehungen zur Natur gewandelt haben und weiter wandeln. Ich will zu erklären versuchen, was ich meine.

So rasch auch die Technisierung, die Industrialisierung mit all ihren Folgen im Lauf von 150 oder 200 Jahren über den Menschen als lebendes Wesen, als Evolutionsprodukt, gekommen ist: Für jeden einzelnen von uns, für das Individuum, geht die Veränderung noch immer langsam vor sich. Zwei zu unterscheidende Vorgänge laufen hier nebeneinander her: der in entwicklungsgeschichtlicher Sicht gesehen rasche, ja explosionsartige Vorgang der Technisierung und der Bevölkerungsvermehrung, und die allmähliche, dem individuellen Älterwerden vergleichbare, fast unmerkliche Gewöhnung des Einzelnen an veränderte Lebensverhältnisse.

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Wenn sich für den einzelnen Menschen ein Zustand langsam wandelt, so wird ihm der Wandel weniger bewußt. Nur wenige spüren daher auch die Umstimmung, die uns zunehmend zu einem Denken und Handeln in technisch-ökonomischen Kategorien verführt. Louis Pasteur soll als erster nachgewiesen haben, daß Menschen in geschlossenen Räumen nahezu außerstande sind, die allmähliche Verschlechterung der Atemluft wahrzunehmen, von der Erwärmung abgesehen. Es sieht so aus, als ginge es uns mit anderen Lebensbedürfnissen ähnlich.

Es müßte einmal untersucht werden, welche Maßstäbe es eigentlich sind, welche psychischen Vorgänge dafür verantwortlich gemacht werden müssen, daß so viele Menschen in ehrfürchtigem Respekt vor den sogenannten Werken der Technik verharren und sie bewundern, während der Organismus einer simplen Amöbe doch weit erstaunlichere Eigenschaften aufweist als der Motor des rasantesten Sportwagens. Das sei nicht als Aversion gegen die Technik schlechthin verstanden, sondern nur als Versuch einer Bestandsaufnahme. Es scheint uns da etwas abhanden zu kommen, dessen Wert frühere Generationen noch zu schätzen wußten. Wie der Süchtige die Droge, so brauchen wir heute den Stimulus unserer Maschinenwelt für unser Selbstbewußtsein. 

Wer noch Sinn für eine unberührte Natur hat, wird nicht selten als komischer Außenseiter betrachtet. Sein mehr ökologisches Denken steht im Gegensatz zum Konformismus des Konsumbeflissenen, der sich dem »Fortschritt« verschrieben hat.

Auch erfolgreiche Tier- und Pflanzenarten praktizieren jedoch Formen verhaltener Aktivität und besitzen dafür komplizierte Regelmechanismen. Ein Beispiel: In einem sich selbst überlassenen Goldfischteich wird es nie ein Übervölkerungsproblem geben.

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»Von den in Gruppen lebenden Gorillas wissen wir, daß sie Sammler sind«, schreibt der deutsche Anthropologe Rudolf Bilz und fährt fort: 

»Es ist für sie, die von Pflanzenkost leben, charakteristisch, daß sie den Platz, der ihnen Nahrung bringt, nicht radikal abweiden. Sie ziehen weiter und suchen, von einem Bewegungsdrang getrieben, neue Futterplätze auf. Zwischendurch rasten sie hin und wieder. Stoppuhren gibt es bei ihrer Nahrungs­beschaffung so wenig wie die ununterbrochene Leistung am Ort. Die Pausen in ihrem Nahrungs­erwerb muß man, wie es scheint, für hochbedeutsam ansehen.«

 

Und wir Menschen? Statt uns durch Beispiele aus dem Tierreich für zweckmäßiges Verhalten anregen zu lassen, tun wir im Gegenteil alles, um auch die Tiere in die von uns heraufbeschworene Katastrophe mit einzubeziehen.

Sehen wir uns um: Die Luft in unseren Industriegebieten ist von Abgasen so verpestet, daß sie nicht nur für den Menschen zu einer Zumutung geworden ist, sondern immer mehr Tiere vor dieser Umweltverschmutzung fliehen. Der französische Meeresforscher Cousteau hat vorausgesagt, daß es vermutlich schon im Jahre 1990 kaum noch nennenswertes Leben in den Weltmeeren geben werde, wenn die Verschmutzung so weiterginge wie bisher. Auch Seen und Flüsse sind mit Schadstoffen getränkt — fast täglich melden die Zeitungen irgendwo ein massenweises Fischsterben. Die chemische Begiftung der Natur in der Land- und Forstwirtschaft hat solche Ausmaße erreicht, daß zahlreiche Tiere und Pflanzen vom Aussterben bedroht sind.

Wie die »Liga gegen die Vernichtung der Vögel« bekanntgibt, besaßen im Jahre 1970 in Italien nicht weniger als 1.613.043 Personen einen Jagdschein, was bedeutet, daß etwa jeder achte Italiener, die Frauen, Greise und Kinder nicht mitgerechnet, Jäger ist. Pro Kopf werden im Jahr nach diesem Bericht 840 Schüsse abgefeuert, 1,3 Milliarden Patronen platzen. Das Komitee gegen den Vogelmord in der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tierschutz wandte sich im Frühjahr 1974 zum wiederholten Male an die italienische Regierung mit der Bitte, das »Massengemetzel insektenfressender Singvögel« in Italien endlich zu beenden. 

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Auch in Belgien, Frankreich und Spanien werden indessen Praktiken geduldet, die jedes kultivierten Landes unwürdig sein sollten: Die Augen gefangener Finken werden versengt, ihre Füße gebrochen, die Schwungfedern ausgerissen. Die so zugerichteten, aber noch lebenden Vögel werden an Leinen gebunden, ihre Schreie locken vorüberfliegende Artgenossen an, die in bereitstehenden Fallen gefangen, getötet und auf den Speisekarten den Touristen als Delikatesse angeboten werden.

Aus Zählungen ergab sich, daß die alljährlich von Norden nach Süden und umgekehrt ziehenden Singvögel als Folge dieser erbarmungslosen und grausamen Jagdmethoden stark abgenommen haben. Beispiele sind der Neuntöter (Abnahme um 91 Prozent), das Rotschwänzchen (68 Prozent), der Rohrsänger (64 Prozent) und die Singdrossel (34 Prozent). Das Bedrückende darüber hinaus ist der politische Aspekt. Je gespannter die innenpolitischen Verhältnisse in einem Lande sind, je mehr Rücksicht auf die Wählergunst genommen werden muß, um so weniger sind die jeweils Regierenden geneigt, Gesetze zur Abschaffung des »Vogelfang-Vergnügens« zu erlassen. Um so stürmischer freilich werden sich die Insekten als die natürliche Beute der Singvögel vermehren und um so massiver werden Äcker, Gärten, Obstanlagen, Weinberge und Wälder mit chemischen Bekämpfungsmitteln begiftet werden müssen.

Der Vogelmord ist es aber nicht allein, der die Verantwortlichen alarmieren müßte. Wie der Vorsitzende der Tier- und Naturschutz-Organisation »World Wildlife Fund«, der britische Naturwissenschaftler Sir Peter Scott, berichtet, hat der Mensch allein in diesem Jahrhundert schon 100 Arten von Wirbeltieren ausgerottet. »Die Menschheit«, klagte Scott, »vernichtet die irdische Umwelt durch Unwissenheit, Habgier und die Unfähigkeit, weiter zu denken.« Der Prozentsatz der Ausrottung ganzer Gattungen habe sich in diesem Jahrhundert vervierfacht, allein 20.000 Pflanzenarten seien von der Vernichtung bedroht.

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Gegenwärtig stehen weitere 130 Säugetierarten auf der Aussterbeliste, unter ihnen der Tiger, mehrere gefleckte Raubkatzen, die unseren Damen die schönen, anscheinend unverzichtbaren Pelze liefern, ferner Menschenaffen wie der Berggorilla und verschiedene Arten von Walfischen. In Europa sind nach dem Bericht einer Europaratskommission zur Zeit rund 20 Säugetierarten zahlenmäßig so weit reduziert, daß mit ihrem Aussterben gerechnet werden müsse. Dazu gehören die Wildkatze, Eis- und Braunbär, Fisch- und Sumpfotter, Wolf und Luchs, das Mufflon, die Bezoarziege und der Alpensteinbock, der Biber und die Fledermaus. 

Auf einer im Jahre 1970 in Morges (Schweiz) abgehaltenen Tagung wiesen russische Biologen daraufhin, daß es wahrscheinlich nur noch 5000 bis 10.000 Eisbären auf der Erde gebe. Die Eisbär-Bestände gingen laufend zurück, weil die Tiere nicht nur ihrer Felle wegen rücksichtslos gejagt würden, sondern ihr Lebensraum auch durch schmelzendes Eis und ölverschmutztes Wasser zusehends eingeengt werde. Hinzu komme, daß ihnen die rasch sich vermehrenden Eskimos intensiv nachstellen. Während wir zerstörte Städte oder Bauwerke wieder aufbauen können, werden uns diese Tiere ein für allemal verloren sein, und nicht nur uns, sondern auch unseren Kindern und allen noch kommenden Generationen.

Was für die Tiere gilt, trifft auch für zahlreiche Pflanzen zu.  

Der Rückgang der Individuenzahlen und die Artenverarmung machen auch hier rasche Fortschritte. Das wissen alle diejenigen, die mit offenen Augen im Frühling und Sommer durchs Land wandern und noch einen Rest von Naturverbundenheit besitzen. Wer sich noch an die Jahre kurz nach dem Zweiten Weltkrieg oder an noch frühere Zeiten erinnert, dem wird der Unterschied besonders auffallen. Kornblumen und Rittersporn sind selten geworden. Akelei, Erdrauch, Herbstzeitlose, Wiesenknopf, Knabenkräuter und Bachnelkenwurz findet man kaum noch. Glockenblumen, Skabiosen, Bergnelken, selbst Schlüsselblumen und Vergißmeinnicht, früher vielerorts eine Zierde, sind heute durch großangelegte »Landnahme« von Baugesellschaften, vom Straßenbau, durch das Abbrennen von Hecken und Knicks und die »chemische Sense«, die Unkrautvernichtungsmittel, bedroht und in Reservate verdrängt, die zusehends schrumpfen. Wird der befürchtete »Stumme Frühling« auch ein »Grauer Frühling« sein?

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Ein wesentlicher Störfaktor im Leben der Tiere und Pflanzen ist die Veränderung und die Einengung der Lebensräume. Ein Beispiel dafür liefert die Bundesrepublik Deutschland: Hier fallen täglich rund 120 Hektar Wald-, Wiesen- und Ackerland der Bebauung zum Opfer — das entspricht einer Fläche von rund 160 Fußballplätzen. Hinzu kommt die Umweltverschmutzung im weitesten Sinn: Unsere Badestrände sind besudelt von den Ölrückständen der Schiffe; wilde Müllkippen verschandeln die Landschaft und gefährden das Grundwasser, der Straßenlärm läßt viele unter uns nicht schlafen.

Im Rausch unserer Technik haben wir offenbar das Gefühl dafür verloren, was auch unser eigenes Leben auf der Erde ermöglicht hat und erhält und was es eigentlich erst lebenswert macht. Zahlreiche Beispiele zeigen, wie tiefgreifend sich unser Verhältnis zur Natur gewandelt hat. In einem Bericht über den Bau der Autobahn Freiburg-Basel bedauerte es seinerzeit der Reporter, beim »Abbaggern von Kies unter Wasser durch große, auf Pontons befestigte Schwimmgreifer« nicht dabeigewesen zu sein. Dann fuhr er fort: »Dieses Schauspiel habe ich verpaßt; desgleichen den Anblick der verwegenen Riesenroboter, die die Bäume des Waldes glatt umgelegt und samt Stumpf und Stiel ausgerottet haben, so daß sich jetzt eine Schneise von 60 Metern Breite durch die Wälder zieht.«

Nicht um die Frage, wie viele Straßen wir brauchen und wie sie gebaut werden müßten, geht es hier, sondern warum wir uns am Niederreißen von Natur­gewachsenem berauschen, als würden wir damit »Siege« erringen; warum uns das Einbetonieren von Bächen und großangelegte Kahlschläge mit Hilfe von »Riesenrobotern« imponiert, als wehrten wir uns mit all dem erfolgreich gegen etwas, das uns an den Kragen will. 

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Ein anderes Beispiel: Anfang der siebziger Jahre wurden in der Bundesrepublik Deutschland vielerorts Straßenbäume gerodet — »zur Erhöhung der Verkehrs­sicherheit«, wie es hieß. Auch hier die gleiche Mentalität: Es sah so aus, als müsse gegen die hinterhältigen Bäume vorgegangen werden, weil sie und nicht die Autofahrer schuld an den Unfällen seien, und als müßten wir den Bäumen endlich das Handwerk legen, weil sie den Autofahrern so schrecklich zusetzen.

In diesen Zusammenhang gehört es, wie wenig naturverbunden unsere Kinder heute aufwachsen müssen, weil immer weniger Natur verfügbar ist. Statt dessen sehen sich schon die Kleinsten einem Übermaß an Zivilisationsreizen ausgesetzt, die bis in die entlegensten Dörfer dringen. 

Was früher einmal Lustgewinn bedeutet hat: eine Waldwanderung oder die Beschäftigung mit Tieren in der Freizeit — dem haftet heute Plüschgeruch an, das wird für immer mehr Menschen zum Ausdruck einer — beinahe möchte man sagen —: peinlichen Schwarmgeisterei. Einem Bach zuzuhören, einem Vogel zu lauschen oder einfach einmal eine noch unberührte Landschaft zu betrachten, derlei »Naivitäten« sind ersetzt durch Surrogate des Glücks, sind verdrängt worden durch Zurschaustellen von Statussymbolen und Lebensgewohnheiten, die gewöhnlich erst nach dem Einsatz einer mit allen Mitteln der Psychologie arbeitenden Werbung zu Bedürfnissen geworden sind.

Wohin wir blicken, bietet sich das gleiche Bild. Die Probleme unserer Welt sind den Fähigkeiten unseres Gehirns davongeeilt. Das große verschlungene Knäuel spezialisierter Nervenzellen in unserem Kopf hat sie zwar hervorgebracht, es kann sie aber nicht mehr beherrschen. Es treibt uns zu einer intellektuellen Parforcejagd auf Kosten instinkthafter Bedächtigkeit — und zu einem Verhalten ohne wirkliche Weitsicht. Es arbeitet nicht mehr überlebens­gerecht.

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Wie wir uns vernünftigerweise zu verhalten hätten, ist kein Geheimnis, aber ein solches Verhalten ist uns offenbar nicht mehr möglich.  

Wir hätten uns als integrierte Bestandteile der Natur aufzuführen und vor allem mehr Selbstbeherrschung zu üben. Das schlösse Bescheidung im weitesten Sinn ein, vor allem Konsumbeschränkung. In öffentlichen Diskussionen fällt oft das Wort vom einfachen Leben, zu dem wir zurückkehren sollten, einerseits, um der »Seelenlosigkeit« unserer technisierten Welt zu begegnen, aber auch, um die schwindenden »Bordvorräte des Raumschiffs Erde« zu schonen. Solcher Rat entbehrt für viele seltsamerweise des Realismus, ebensowenig nützlich aber scheint eine Geisteshaltung, wie sie vor nicht langer Zeit ein angesehener Wissenschaftler in einem Vortrag geäußert hat. Er sagte, für die Rückkehr zum einfachen Leben gebe es drei Milliarden Menschen zuviel auf der Erde. Dann fuhr er fort, es sei unvorstellbar, an die Stelle einer biologischen Technologie wieder die Medizinmänner und die Regenmacher treten zu lassen und an die Stelle einer physikalischen Technologie Wieland den Schmied.

Das scheint mir eine Schwarz-Weiß-Methode des Argumentierens. 

Wenn heute vom einfachen oder besser: vom einfacheren Leben die Rede ist, dann wird nur gefragt, ob wir unsere Ansprüche an dieses Leben nicht ein bißchen zurückschrauben müßten. Man kann nicht das buchstäblich einzige Rezept für ein menschenwürdiges Überleben der nächsten Generationen — nämlich das der Bescheidung und Beschränkung — damit ad absurdum führen wollen, daß man das Gespenst des Höhlenzeitalters an die Wand malt. Zwischen unserer Ideologie der Chromleisten an den Autos und Wieland dem Schmied gibt es noch genügend Zwischenformen des Lebens, die vielen unter uns auch gesundheitlich gut bekämen. 

Auch dies freilich werden nur Worte bleiben, denen keine Nutzanwendung folgt. Zu tief verstrickt sind wir schon in unsere technische Welt, zu sehr sind wir von ihr abhängig wie der Süchtige von seinem »Stoff«. Wir haben den Instinkt dafür verloren, was unserem Überleben auf lange Sicht wirklich dient: die Einsicht, daß nicht der Manager recht hat, der die meisten Geschäftsabschlüsse in einer bestimmten Zeiteinheit zustande bringt, sondern der marokkanische Straßenhändler, der sich zum Schlaf in den Schatten legt, nachdem er verdient hat, was er für den Tag braucht.

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Wäre unser Verhältnis zur Natur nur gestört, hätten wir es hier nur mit einem gewissermaßen passiven Zug unseres Wesens zu tun, dann wäre alles halb so schlimm. Tatsächlich verhalten wir uns aber nicht so harmlos. Ein Beispiel für viele sind die Maßnahmen, die wir gegen die sogenannten Schädlinge unserer Nutzpflanzen ergreifen. Tiere, die sich von den Nahrungspflanzen des Menschen ernähren, bekämpfen wir mit allen Mitteln, einschließlich tieffliegender Spezialflugzeuge, und wir tun dies nur teilweise der Not gehorchend; zum anderen Teil tun wir es aus Gewinnsucht ohne Rücksicht auf den Flurschaden, den wir dabei anrichten.

Werfen wir einen Blick zurück. 

Es fing damit an, daß die Menschen dazu übergingen, sich ihre Nahrung auf andere Weise zu beschaffen als durch Sammeln und Jagen. Landbau wurde betrieben, und die Landbaumethoden wurden intensiviert. Das führte zum Reinanbau, zur Zucht gleichartiger Nutzpflanzen auf großen Ackerflächen. Weil aber die Natur zur Erhaltung lebensfähiger Arten den Konkurrenzkampf braucht, und weil dementsprechend auch jede Tier- und Pflanzenart ihre natürlichen Widersacher hat, so trat etwas ganz Normales ein: Mit den großen Monokulturen deckten die Menschen jenen kleinen und großen Tieren oder Pilzen den Tisch, die sich von ebenjenen Nutzpflanzen ernähren.

Um gute Ernten einzubringen, galt es also, nicht nur die Anbaumethoden zu verbessern, sondern auch die sogenannten Schädlinge in Schach zu halten. Das geschah früher auf weniger wirksame Art durch Mittel wie dem aus Chrysanthemenblüten gewonnenen Pyrethrum, dem ebenfalls pflanzlichen Produkt Rotenon, dem sogenannten Schweinfurter Grün und ähnlichem. 

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Später, mit wachsenden Profitchancen und wachsendem Profitdenken, gewannen wirksamere Verfahren an Boden. Auf dem Bauernhof zog die Chemie ein. Dank der Entdeckung hochaktiver Schädlingsgifte entstand der chemische Pflanzenschutz, der den Bauern und Gärtnern viel Arbeit und Ärger erspart, der sich aber auch als zweischneidige Waffe im Kampf um das tägliche Brot erwiesen hat.

Um was es hier geht, ist nichts anderes, als daß wir mit dem massiven Einsatz chemischer Insektengifte und Unkrautvertilgungsmittel ziemlich nachhaltig in das biologische Gleichgewicht eingreifen. Nun kann man freilich einwenden, dieses Gleichgewicht sei ja schon vorher durch das massenweise Auftreten der Schädlinge gestört gewesen. Nicht der die Giftspritze schwenkende Mensch sei also der Übeltäter, sondern angefangen hätten die bösen Schädlinge, indem sie sich massenhaft vermehrten, und der Mensch stelle das Gleichgewicht schließlich nur wieder her. Wer so argumentiert, vergißt, daß die »erste Störung« der vom Menschen — wenn auch aus triftigen Gründen durchgeführte — massenhafte Anbau gleichartiger Pflanzen war. Ja, man muß sogar noch weiter gehen und auf die starke Vermehrung des Menschen selbst verweisen. Wer also »angefangen« hat, das biologische Gleichgewicht zu stören, mag strittig sein, die sogenannten Schädlinge sind es sicher nicht gewesen.

Oder ist das »biologische Gleichgewicht« nur ein leerer Begriff? 

Ein Beispiel: 

Von den Hummeln ist bekannt, daß sie den Rotklee bestäuben, eine für die Ernährung der Rinder wichtige Pflanze. Damit der Rotklee im Jahr nach seiner Aussaat gut gedeiht, muß seine Bestäubung ausgiebig sein, nur dann kann der Klee reichlich Samen bilden. Für die Bestäubung des Rotklees mit seinen tiefen Blütenkelchen sind die langzüngigen Hummeln wie geschaffen. Nun nisten aber die Hummeln am Boden, wo ihre Honigtöpfe — wenn die Königinnen abwesend sind — eine leichte Beute der Feldmäuse werden. Viele Mäuse sind also der Hummeln Tod. Die Katzen wiederum, die den Mäusen nachstellen, sind die Freundinnen der Hummeln. So hängt es zusammen, daß dort, wo viele Katzen sind, auch Rotklee auf dem Felde gut gedeiht.

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Oder: 

Vor einigen Jahren starben auf der Insel Borneo nach einer massiven Malaria-Bekämpfungsaktion die Eidechsen und die Geckonen, weil ihre Nahrungstiere, die Fliegen und Mücken, von den DDT-Wolken vernichtet worden waren. Danach verendeten zahlreiche Katzen, die ihrerseits auf Eidechsen und Geckonen Jagd machen. Anschließend begann eine Rattenplage. Von den Eingeborenen alarmiert, mußte die Weltgesundheitsbehörde schließlich Katzen in größerer Zahl an Fallschirmen über dem betroffenen Gebiet absetzen, um das natürliche Gleichgewicht wiederherzustellen.

»Die Schädlingsbekämpfung durch Gifte«, fand der Verhaltensforscher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz

»kann unter Umständen für den Schädling von Nutzen sein, weil sie auf die Dauer nicht ihn, sondern seine Feinde vernichtet. Die Tiere, die den Menschen unmittelbar schädigen können, sind nahezu ausnahmslos solche, die zu einer besonders raschen Vermehrung befähigt sind, seien es nun die lästigen Stechmücken oder die Schädlinge des Ackerbaues. Viele unter ihnen, wie eben die Mücken und andere Insekten, haben außerdem die Fähigkeit, Lebensräume, in denen sie ganz oder teilweise ausgerottet wurden, erstaunlich rasch wieder zu besiedeln. 

Als man vor längerer Zelt den Versuch unternahm, der Mückenplage dadurch Herr zu werden, daß man die Tümpel mit Petroleum übergoß, in denen die Larven heranwuchsen, ereignete sich folgendes: Der rohe Eingriff tötete, wie zu erwarten, nicht nur die Mückenlarven, sondern auch alle anderen in jenen Gewässern vorkommenden Wassertiere, die ihrerseits von Mückenlarven leben, darunter Wasserwanzen, Wasserkäfer, Molche und Kleinfische. Im nächsten Jahr gab es eine Mückenplage wie nie zuvor. Man könnte sich tatsächlich keine wirksamere Methode zur Massenzucht von Stechmücken ausdenken.«

Soweit Konrad Lorenz.

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Und wie in seinem Beispiel die kürzere Generationenfolge der Insekten gegenüber der längeren ihrer natürlichen Feinde zum positiven Auslesefaktor wird, so gibt es ungezählte ähnliche Verflechtungen. Sie alle zeigen, daß Pflanzen und Tiere kein isoliertes Dasein führen, sondern Lebens­gemein­schaften bilden, in denen normalerweise ein Gleichgewicht herrscht oder besser: ein Kräftespiel um einen Gleichgewichtszustand herum. Jede Pflanze, jedes Tier in einer solchen Gemeinschaft ist wie der Knoten in einem Netz. Das Netz verliert seinen Zusammenhalt, wenn die Knoten beschädigt werden.

Natürlich tröstet das alles nicht den Gemüsebauern, der auf Bohnen und Spinat spezialisiert ist und dessen Felder kurz vor der Ernte von einem starken Rübenfliegenbefall heimgesucht werden. Für diesen Mann kann es zur Existenzfrage werden, wenn er nicht augenblicklich zur Insektizid- Spritze greift. Andererseits ist dies ein wirtschaftliches Problem, das unseren Anspruch auf die Krone der Schöpfung sowenig begründen kann wie die Tatsache, daß wir mittlerweile weit über tausend teils hochgiftige sogenannte Schädlingsbekämpfungsmittel haben. Und da nicht nur der erwähnte Gemüsebauer in seiner Not zur Spritze greift, sondern so ziemlich alle Landwirte dies tun, und es durchaus nicht nur tun, wenn es wirklich unvermeidbar ist, erhebt sich die Frage, ob wir unser Überleben auf der Erde mit einer dauernden Begiftung unseres Lebensraumes erkaufen müssen, und wie lange wir es auf diese Weise noch erkaufen können.

Alle chemischen Bekämpfungsmittel begünstigen obendrein die Resistenzentwicklung unter den Schädlingen. Ähnlich den Antibiotika wirken die Präparate wie Filter: Sie vernichten zwar zunächst die meisten Schädlinge, gegen die sie eingesetzt werden, lassen aber einige überleben, die wegen einer Erbeigenschaft zufällig gegen das Gift widerstandsfähig waren. Diese Überlebenden werden später zu den Stammeltern neuer giftharter Rassen, denen das Mittel nichts mehr anhaben kann.

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Der schwerste Vorwurf, der zumindest einen Teil der Pflanzenschutzmittel trifft, ist der, daß sie auch Krebs auslösen können. Als Ergebnis eines ersten Tests auf erbändernde Eigenschaften hat das deutsche Zentrallaboratorium für Mutagenitätsprüfung in Freiburg im Breisgau im Jahre 1973 eine Reihe solcher Mittel dingfest gemacht. Unter ihnen sind das Dichlorvos, das Bidrin, es gehören dazu die Unkrautvertilgungsmittel MCPB und MCPA, das Captan, das DDT und andere. Man muß sich darum nicht wundern, wenn weitsichtige Leute seit langem statt der chemischen Verfahren eine Verbesserung der biologischen Methoden des Pflanzenschutzes fordern. Dazu gehört die Zucht natürlicher Feinde der Schädlinge ebenso wie ein standortgerechter Anbau, eine vernünftige Bodenpflege, ein sinnvoller Fruchtwechsel und die Entwicklung schädlingsharter Pflanzensorten.

Indes, wir werden auch damit zu spät kommen.

Die menschliche Vermehrungsrate läßt nur eine vordergründig »erfolgreiche« intensive Landwirtschaft zu. Wer ein wenig Phantasie hat, der sollte gerade über dieses Problem einmal im Hinblick auf das Gleichgewicht in der Natur nachdenken. Was eigentlich berechtigt uns, die Erde als ausgerechnet für den Homo sapiens reserviert zu betrachten? Wie können wir uns wegen ein paar Gramm zusätzlicher Großhirnmasse als eine Art von Aufsichtspersonal der Schöpfung dünken, dem sich alles zu unterwerfen hat, was kreucht und fleucht? Sind wir besonders nützliche Nützlinge, denen es erlaubt ist, sich hemmungslos zu vermehren und die übrigen Lebewesen nach ihrem Nutzen oder Schaden für uns als »gut« oder »böse« einzustufen? Verhalten wir uns nicht, kurzsichtiger als viele Tiere, die ihre Individuenzahlen den vorhandenen Lebensmöglichkeiten anpassen?

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Wir überziehen die Erde mit unseren Leibern wie eine Riesen-Reinkultur von Kohlrüben den Acker. Wie lange noch werden wir diesen Reinanbau menschlicher Leiber treiben, welche Schädlinge des Menschen werden unseren Gegenmaßnahmen eines Tages trotzen? Was wird geschehen, wenn die Waffen, die uns die Medizin heute noch gegen die Infektionsgefahren liefert, stumpf werden oder wenn sie — etwa durch Rohstoffmangel — nicht mehr ausreichend und preiswert produziert werden können? Wir werden dann erleben, daß die Natur das Gleichgewicht unter den Lebewesen des Planeten Erde auf eine Weise wiederherstellt, die uns alles andere als lieb sein wird — ein Gleichgewicht, das wir so selbstverständlich aus der Balance gebracht haben.

Es muß hier — natürlich — auch von der Bombe gesprochen werden.  

Zwar wird niemand behaupten wollen, die Entdeckung der Kernspaltung als dem ersten Schritt auf dem Weg zur Atombombe wäre eine »instinktlose Handlung« gewesen. Denn es war ja nichts als Wissensdurst, als wissenschaftliche Neugier, die Otto Hahn im Dezember 1938 bewogen hatte, in einer vergleichsweise primitiven Versuchsanordnung Neutronen auf Urankerne zu schießen, die Urankerne zu spalten und dabei Kräfte freizusetzen, die alles damals Vorstellbare übertrafen. Den Wissenschaftler für etwas anzuklagen, das er herausfand, das sich in der Folge als potentiell verhängnis­voll für ihn und seine Mitmenschen erweist, ist müßig. Es nützt uns auch nichts mehr, darüber zu klagen, daß die Wißbegier in uns überhand genommen hat, seit wir damit angefangen haben, uns die Natur Untertan zu machen.

Andererseits ist der Gedanke an den gezielten Beschuß eines Urankerns mittels Neutronen die Idee eines Großhirns gewesen. Wie immer wir uns drehen und wenden, wir kommen nicht um den Sachverhalt herum: Es war ein menschliches Organ, dem die Entdeckung von Naturkräften gelang, deren Entfesselung zum erstenmal und überfallartig die Menschheit als Ganzes tötbar machte. Ein menschliches Organ als Lieferant des Rezeptes für eine Tötungsmaschinerie für eine irdische Spezies, die erst durch dasselbe Organ zu dieser Spezies geworden war ...

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Was ändert daran der Umstand, daß Otto Hahn und seine Freunde den Plan gehabt haben sollen, alles Uran ins Meer zu versenken? Das Uran wurde nicht versenkt und hätte auch gar nicht versenkt werden können. Und was macht es aus, daß Otto Hahn sich das Leben nehmen wollte? Wenn er es getan hätte, so hätte dies auch nichts geändert, nichts vor allem daran, daß sieben Jahre später die erste Atombombe auf Hiroshima fiel und 78.000 Menschen tötete.

Seit jenem Tag aber lebt nicht der eine oder andere von uns, nicht das eine oder andere Volk, sondern lebt die ganze Menschheit als Kollektiv unter der Drohung der Bombe. 

Otto Hahn ist nur der zufällige Vollstrecker gewesen, der quasi bedauernswerte Ausersehene, der den letzten Anstoß zu der Entdeckung gab. Diese Entdeckung ist im Jahre 1938 reif gewesen. Sie war vorbereitet durch die Arbeiten von Bohr, Frisch, Fermi, Curie und anderen. Wäre es nicht Otto Hahn gewesen, so hätte ein anderes Großhirn die Exekutive übernommen und dafür gesorgt, daß der unscheinbare Experimentiertisch für den Neutronen-Beschuß hergerichtet wurde. 

Das Großhirn, das »Meistergewebe des menschlichen Körpers«, ist bei der Entdeckung der Kernkraft das Substrat gewesen, in dessen Windungen die potentielle Menschheits­vernichtung heranreifte. Für uns und alle nach uns Kommenden hat diese Situation etwas beklemmend Auswegloses. Denn seit Hiroshima ist es nicht mehr die Welt unserer Väter, in der wir leben. 

Und daß die Bombe die Menschheit noch nicht ausgelöscht oder fühlbar dezimiert hat, ändert nichts daran, daß ihre Drohung fortan über uns hängen wird: nicht rückgängig zu machen und nicht zu verharmlosen.

 

Um nichts anderes geht es bei den biologischen und chemischen Waffen. 

Zwei Umstände machen das deutlich: Einmal die Tatsache, daß chemische und biologische Kampfstoffe ohne großen apparativen Aufwand praktisch in jedem »Waschküchenlabor« herzustellen sind und der Ausspruch des englischen Soziologen Professor Backen aus Aberdeen zutrifft: 

»Es ist heute jedem, der wirklich dazu entschlossen ist, möglich, die Menschheit zu vernichten ... Diese Waffen sind im allgemeinen Besitz, und beide Seiten können sie in einem künftigen Konflikt herstellen und verwenden.«

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Der zweite Umstand ist die Gefährlichkeit der B- und C-Waffen. Von der Form »A« des in sechs Varianten vorkommenden Botulinus-Toxins, einem Stoffwechsel-Produkt des Bakteriums Clostridium botulinum, würden 0,12 Mikrogramm ausreichen, um einen Menschen zu töten (ein Mikrogramm ist der millionste Teil eines Gramms). Zwei Fingerhüte voll würden genügen, die Bevölkerung halb Europas umzubringen, und weniger als ein Pfund, um die ganze Erdbevölkerung zu vergiften. 

Hinzu kommt, daß Schutzmaßnahmen gegen einen Angriff mit biologischen Waffen nur in begrenztem Umfang denkbar sind, weil der eingesetzte Erreger kaum im voraus bekannt sein würde und Massenimpfungen wegen der erforderlichen Wartezeit bis zum Eintritt des Impfschutzes nicht mehr helfen dürften. Selbst atomsichere Gebäude würden gegen Wolken von womöglich durch Züchtung noch virulenter, noch giftiger gemachter Erreger kaum schützen.

Fazit: 

Einem Angriff mit biologischen Waffen, wenn er unter meteorologisch günstigen Bedingungen für den Angreifer erfolgte, wären große Bevölkerungs­teile hilflos ausgeliefert. Ähnlich wie bei den Kernwaffen haben wir es mit einem Massenvernichtungsmittel zu tun, dessen Entwicklung, Lagerung und Anwendung nach der Genfer Konvention von 1972 zwar verboten worden sind, das aber jederzeit wieder aus der Schublade hervorgeholt werden kann und für das es auch an geeigneten Zubringersystemen in Form von Spezialraketen nicht fehlt: eine Ausgeburt menschlichen Geistes zu dem Zweck, Menschen gegebenenfalls massenweise zu töten.

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Wenn in diesem Kapitel von instinktlosen Handlungen die Rede ist, so gehören dazu auch alle jene Aktivitäten, mit denen der Mensch seinen eigenen Lebens­raum einschränkt und seine Lebensgrundlagen schmälert. Das reicht von der fortschreitenden Überbauung, der Versiegelung natürlich gewachsener Landschaften über die Umweltverschmutzung, die Produktion chemisch fragwürdiger Stoffe bis hin zu den Risiken der Kernkraftwerke, deren Betreiber gerade jetzt, da die klassischen Energieträger zur Neige gehen und das Erdöl zur politischen Waffe geworden ist, mit einer beschleunigten Abwicklung der Genehmigungsverfahren rechnen können.

 

Permanentes Problem der Kernkraftwerke ist neben dem Strahlenrisiko die Wärmeabgabe an die zu Kühlzwecken benutzten Flüsse. Sie liegt bei den Kernkraft­werken deutlich höher als bei herkömmlichen Kraftwerken mit vergleichbarer Leistung, und sie wird sich um so spürbarer auswirken, je mehr und je wärmeres Kühlwasser in die Flüsse zurückgeleitet wird, je niedriger der Fluß Wasserstand ist und je kürzer die Stromabschnitte zwischen den einzelnen Werken sind.

Flüsse lassen sich jedoch nur begrenzt thermisch belasten, wenn man nicht neue Probleme heraufbeschwören will. Ein Beispiel aus der Bundesrepublik Deutschland: 

Falls bis zum Jahre 2000, wie geplant, 70 bis 100 Kernkraftwerke mit Leistungen von jeweils 250 bis 600 Megawatt allein im Einzugsgebiet des Rheins gebaut werden sollten, würde damit die Kühlkapazität des Rheins weit überschritten. Nach einer Sachverständigenaussage würde der Rhein zwischen Konstanz und der niederländischen Grenze höchstens zur Kühlung von Kernkraftwerken mit insgesamt 20.000 Megawatt Leistung ausreichen, was etwa 20 Großkraftwerken entspräche. Für den geplanten Zuwachs an Kernkraftwerkskapazität in der Bundesrepublik würden demnach in den siebziger Jahren vergleichsweise zwei, bis gegen Ende der achtziger Jahre insgesamt sechs Rheinströme notwendig sein. Da diese Ströme nicht zur Verfügung stehen, wird man weitgehend auf Kühltürme ausweichen müssen, deren Betrieb wiederum einen erheblichen Kostenfaktor darstellt und die außerdem — beispielsweise durch Nebelbildung in der kalten Jahreszeit — ein klimatologisches Problem zu werden drohen.

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Über die Folgen der thermischen Pollution herrscht noch viel Unklarheit. Insbesondere dann, wenn ein solcher Fluß wenig Wasser führt, ist mit Nebelbildung im Winter zu rechnen. Ein beständig dampfendes Wasser würde gleichermaßen für die Ufergemeinden wie auch für den Straßenverkehr kaum tragbar sein. Nachteilig würde sich hocherwärmtes Wasser auch auf die Lebewesen in ihm auswirken. Nach der RGT-Regel, die besagt, daß die chemische Reaktions­geschwindigkeit sich mit steigender Temperatur erhöht, muß erwartet werden, daß bei einer Erhöhung um zehn Grad Celsius chemische und biologische Prozesse etwa doppelt so schnell ablaufen. In jedem Fall muß die Erwärmung im Zusammenhang mit der vorgegebenen Überdüngung — der Eutrophierung — vieler Flüsse und ihrer Belastung mit Schmutz- und Schadstoffen gesehen werden.

Eine erste, wenn auch noch unvollständige Untersuchung der biologischen Erwärmungsfolgen hat der deutsche Wasserfachmann Professor Karl Höll durchgeführt. Er weist darauf hin, daß die Wassertemperatur in den Kühlaggregaten der Kernkraftwerke auf 38 Grad Celsius beziffert wird, eine Temperatur, die das Optimum für die Entwicklung bestimmter krankheitserregender Bakterien darstellt, darunter Salmonellen, Typhusbakterien und Ruhrbazillen. Diese, warnt Höll, könnten sich massenhaft vermehren. Die Bakterienfresser dagegen, Einzeller wie Rotatorien und Wimperntierchen, gingen bei den hohen Temperaturen zugrunde. Außerdem würde der Sauerstoffgehalt in den angewärmten Flüssen erheblich zurückgehen, weil die Sauerstofflöslichkeit im warmen Wasser aus physikalischen Gründen geringer ist und weil eine größere Zahl von Mikroben auch mehr Sauerstoff verbraucht. Damit wäre zugleich die Selbst­reinigungskraft des Flusses weiter geschwächt.

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Der Einwand, daß auch tropische Flüsse schadlos hohe Temperaturen vertragen, überzeuge deshalb nicht, weil diese Flüsse im Gegensatz zu denen in dichtbesiedelten Gebieten viel weniger Nährstoffe führen, die das Bakterienwachstum fördern, betont Höll. Stromabwärts könnten gegen die Krankheitskeime zwar Entkeimungsanlagen gebaut werden, doch würden diese nicht gegen Viren schützen. Nicht aus dem Wasser entfernen ließen sich auch Bakteriengifte und die Ausscheidungen der stark vermehrungsfähigen Blaualgen. Diese Stoffe haben sich in Tierversuchen — bei Aufnahme von einem hundertstel Gramm je Kilogramm Körpergewicht — als tödlich erwiesen. 

Bei uns, erläutert Höll, verhindern normalerweise die winterlichen Temperaturen der Flüsse ein bedenkliches Aufkommen von Blaualgen. Bei einer Erwärmung des Wassers um 12 bis 13 Grad im Winter und bei sommerlichen Temperaturen von 28 bis 30 Grad Celsius würden sich die Blaualgen mit ihren giftigen Ausscheidungen dagegen unweigerlich in gefährlicher Weise vermehren.

Ungelöst neben den Problemen der Erwärmung sind diejenigen der radioaktiven Stoffe. Die Kernkraftwerke geben sie in die Atmosphäre und das Grund­wasser ab. Unaufhörlich heißt es zwar, die Menge dieser Stoffe sei viel geringer als die natürliche Umwelt-Radioaktivität. Solche Beteuerungen lassen aber unerwähnt, daß die natürliche Strahlenbelastung des Menschen, um die es hier geht, schon erheblich erhöht worden ist durch Röntgendiagnose und -therapie, und durch unseren Umgang mit radioaktiven Elementen (Isotopen) in Medizin und Technik. 

Auch existiert kein unterer Schwellenwert für die »gefährliche Dosis«. Jeder »Strahlentreffer« in den Erbsubstanzen kann vielmehr zu unerwünschten Erbänderungen mit allen ihren Folgen, wie der einer Erbkrankheit oder Mißbildung, führen. Was darüber hinaus bedacht werden muß: Die Risiko-Berechnungen der Kernkraftwerk-Betreiber gehen weithin davon aus, daß die abgegebenen Spaltprodukte sich gleichmäßig in der Umgebung der Werke verteilen. Wie Tierversuche gezeigt haben, tun sie dies aber nicht. Radioaktives Material wird vielmehr von Tieren und Pflanzen aufgenommen, es kann sich innerhalb der Nahrungsketten in der Natur anreichern und dann via Nahrung auch im Menschen Unkalkulierbares anrichten.

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Schließlich der Atom-Müll. 

Bevorzugte Ablagerungsorte sind derzeit Salzlager tief unter der Erde, die keinen Grundwasserkontakt haben. Doch wirft der Transport der gefährlichen Stoffe dorthin aus den verschiedenen Landesteilen noch Sicherheitsprobleme auf, die manche am liebsten totschweigen würden.

Wie das <Niedersächsische Ärzteblatt> mitteilt, sollen in den Kernkraftwerken der Bundesrepublik bis zum Jahre 2000 rund 250.000 Kubikzentimeter Radionuklide — also radioaktive Abfallstoffe — produziert werden, was einem Würfel von 63 Metern Kantenlänge entspräche. Die Stoffe sollen verfestigt, in Glaskörper eingeschmolzen und dann vor allem in dem stillgelegten Salzbergwerk Asse bei Wolfenbüttel in Bohrlöchern endgelagert werden. Aber die Frage ist noch offen, ob eine derartige Menge angesichts ihrer Hitzeentwicklung und der hohen Strahlungsintensität dort überhaupt lagerfähig ist.

Ein erhebliches Risiko stellt auch das Plutonium dar, das vor allem beim Betrieb der Schnellen Brüter und Helium-Brüter anfällt. Beim jetzigen Entwicklungs­stand dieses Kraftwerktyps, der als Übergang zum Fusionskraftwerk gilt, rechnet man mit Jahresproduktionen von 30 bis 100 Tonnen Plutonium ab 1980. Plutonium existierte in der menschlichen Umwelt bis vor wenigen Jahren noch nicht. Wegen seiner starken krebserregenden Wirkung stellt es eine beträchtliche Gefahr dar, die strengste Sicherheitsmaßnahmen erfordert, in jedem Fall aber neue Risiken mit sich bringen wird.

Wenn Fachleute mit einer Verdoppelung des Welt-Energiebedarfs etwa alle zehn Jahre rechnen, so ist dies zwar eine fiktive Annahme, doch läßt sie eine Vorstellung davon zu, wann die herkömmlichen Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas zur Neige gehen werden — nämlich in den nächsten 50 bis 80 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt soll dann Energie aus Kernspaltungs- und — später— aus Kernverschmelzungsprozessen reichlich zur Verfügung stehen — gerade noch rechtzeitig, wenn man so will, um nach einer möglichen Zeit der Einschränkung den Anschluß nicht zu verlieren und wieder aus dem Vollen schöpfen zu können.

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Was wird ein wieder wachsendes Energieangebot bedeuten? 

Es wird den Menschen zur weiteren Industrialisierung seines Lebensraums ermuntern — von der militärischen Aufrüstung zu schweigen —, und es wird dies im selben Maße tun, wie kostengünstige Energie zur Verfügung steht. Damit aber wird ein weiterer Druck auf die schon schwindenden Rohstoffvorräte einsetzen mit all den Konsequenzen, die die amerikanische Studie <Die Grenzen des Wachstums> aufgezeigt hat. 

Es wird uns nicht schwerfallen, dann auch die letzten Lagerstätten solcher Stoffe aufzufinden, denn unsere Gehirne haben auch dafür die Mittel geschaffen. Sie stehen uns in Form von Erdsatelliten mit speziellen geologischen und Umwelt-Erkundungsaufgaben zur Verfügung. Ein Beispiel ist der 1972 gestartete Prototyp ERTS-A. 

Mit Hilfe solcher Satelliten gelingt es, die Erdoberfläche auf noch unerschlossene Lagerstätten von Mineralien abzusuchen, Fischschwärme im Meer aufzuspüren und ähnliche Forschungsaufgaben durchzuführen. Bald nach den ersten zur Erde gefunkten Aufnahmen und Meßergebnissen des kreisenden Spähers soll im Jahre 1973 eine amerikanische Firma bereits die Schürfrechte in einem Gebiet nördlich des Tschad erworben haben, was nicht nur juristische Fragen aufwarf, sondern nachdenkliche Leute auf das schon erwähnte Problem aufmerksam machte: Je perfekter unsere Erkennungs- und Erkundungs­techniken werden, um so rascher können noch unentdeckte Rohstofflager der Erde ausfindig gemacht, um so mehr die Erfolgschancen der Fischfang-Flotten erhöht werden. Je weniger hier wie dort dem Zufall überlassen bleibt, um so rascher wächst die Gefahr, daß die Ressourcen unserer Erde restlos ausgeplündert werden, die Rohstofflager wie die Fischgründe.

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Fassen wir zusammen, worauf das, was man Wachstumsprobleme nennt, zurückgeht, sind ein paar einfache Tatbestände. 

In jener zurückliegenden Zeit, da sich unser Gehirn zu seiner heutigen Beschaffenheit entwickelte, bestand für derlei Systemanalysen kein Anlaß. Entsprechend gering wären die Auslesevorteile gewesen, die etwa aufgetretene Nervenstrukturen oder -verschaltungen mit solchen Fähigkeiten gehabt hätten. 

Wir dürfen uns nicht wundern, wenn wir nur verhältnismäßig einfache Zusammenhänge durchschauen können, während die komplizierteren heute zunehmend auf Lösungen warten. Dazu gehören die Wechselwirkungen zwischen Sozialgefügen und Wirtschaftstrends, die Zusammenhänge zwischen menschlichen Verhaltensweisen, ererbten Anlagen, der Beeinflussung durch Massenkommunikationsmittel und den jeweils favorisierten Gesellschafts­systemen. 

Zu ihrer Durchleuchtung, zum Auffinden optimaler Ansatzpunkte einer langfristigen Stabilisierung solcher Systeme reichen nicht einmal unsere Computer aus, weil wir außerstande sind, sie mit hinreichend verläßlichen, einschlägigen Daten zu füttern und entsprechend zu programmieren. 

Darum gebärden wir uns so naiv. Darum konnten wir Ende des Jahres 1973 in die »Ölkrise« geraten und müssen neue Energie- und Ernährungskrisen gewärtigen. Mit dem ganzen Einsatz unserer Technik und dem scheinbar so imponierenden Arsenal unseres Geistes sind wir nicht fähig, die Tertiär- und Quartärfolgen dessen abzuschätzen, was wir zu irgendeinem Zeitpunkt tun. Die Kompliziertheit unserer selbstgeschaffenen Umwelt ist uns über den Kopf gewachsen. Sie ist wie eine Schachaufgabe, die vom Spieler verlangt, über den siebenten Zug hinauszudenken.

Doch scheinen wir auch für diesen Sachverhalt noch blind zu sein. Wir wiegen uns in der törichten Hoffnung auf einen immer weiter zu steigernden Wohlstand, der auch das letzte Negerdorf mit Fernsehgeräten, Kühltruhen und Straßenkreuzern beglücken soll. 

Angesichts der begrenzten Rohstoffreserven und der fortwährenden Menschenvermehrung wäre aber ein »Immer-Besser« nicht einmal durch weitsichtiges Handeln möglich, geschweige denn durch unser tatsächliches Verhalten, das auf Augenblicksgenuß, raschen Profit und übermäßige Besitzvermehrung zielt; ein Verhalten, dessen Motive nur selten über das jeweils Naheliegende hinausreichen.

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Dr. rer. nat. Theo Löbsack   Versuch und Irrtum   Der Mensch: Fehlschlag der Natur