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10   Die Erde nach dem Menschen

Von Theo Löbsack 1983

Löbsack 1974 Ende     Gruhl  1992  Danach

Wann der Untergang beginnt — Sauerstoffmangel und Kohlendioxid-Überschuß auf der menschenleeren Erde —  Verödung, Verkarstung, Versteppung —

Nur robuste Arten überleben  —  Die verarmte Tier- und Pflanzenwelt  —  Radioaktiver Müll  —  Erbschäden  —  Ein neues intelligentes Wesen? 

 

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Wenn wir noch darüber sprechen wollen, wie die Erde aussehen wird, wenn es keine Menschen mehr auf ihr gibt, so können wir nur spekulieren; einiger­maßen sicher dürfte sein: 

Die Lage »danach« wird davon abhängen, in welcher Zukunft das Aussterben beginnt und wie der Planet in der letzten Phase des Homosapiens beschaffen sein wird. Mit anderen Worten, es wird darauf ankommen, was der Mensch bis zu seinem Artentod noch anrichtet, was er auf der Erde noch verändert, wie und wie nachhaltig er die Umweltverhältnisse noch weiter stören wird.

Nehmen wir an, das große Sterben verliefe wellenförmig. Auf einen ersten Schub, vielleicht ausgelöst durch Hungersnot oder nicht mehr beherrschbare Epidemien, folgte zunächst noch einmal eine Erholungsphase. In ihr würde die entstandene Lücke zwar nicht wieder geschlossen, doch stagnierte die verringerte Bevölkerungszahl. Irgendwann käme es dann zur nächsten Welle und so fort, bis die letzten Vertreter des Homo sapiens ausgestorben wären.

Der Untergang selbst könnte lange dauern. Sein Beginn würde vielleicht nicht einmal als solcher begriffen, ja, die ersten Symptome würden die ewigen Optimisten womöglich sogar frohlocken lassen. Sie würden verkünden, ein allgemeines Gesund­schrumpfen habe eingesetzt und reduziere jetzt die Welt­bevölkerung auf ein erträgliches Maß.

Wie auch immer — zwei theoretische Modelle bieten sich an: 

Einmal könnten wir von einem relativ frühen Untergangsbeginn zu einem Zeitpunkt ausgehen, zu dem noch Reste von Naturlandschaft und — in entlegenen Gebieten — sogar kleine, relativ ungestörte pflanzlich-tierische Lebensgemeinschaften erhalten geblieben sind. Das könnte nach etwa sechs bis acht Generationen der Fall sein, also etwa zwischen 2170 und 2250 nach der Zeitwende, sofern nicht schon vorher ein alles vernichtender Atomkrieg alle Spekulationen zunichte macht und ein eigengesetzlicher Ablauf begonnen hat.

Es wäre aber auch ein verhältnismäßig spätes Auslaufen der Sterbewellen nach schätzungsweise zwanzig Generationen um 2600 nach der Zeitwende denkbar. Voraussichtlich wäre die Erde dann bis auf den letzten Quadratmeter intensiv genutzt, die natürlichen Reserven wären nahezu restlos aufgebraucht und die Regenerations­kräfte erschöpft.

Nicht zuletzt wegen der gegenwärtig rasch wachsenden Verfügbarkeit der Kernenergie würde schon im ersteren Fall die Industrialisierung und Technisierung massiv zugenommen haben. Die natürliche Pflanzenbedeckung, namentlich die großen Urwälder, werden stark dezimiert sein. Die Luft-, Boden- und Wasser­verschmutzung hätte beträchtlich zugenommen, und an dieser Verschmutzung wäre auch der radioaktive Müll in erheblichem Maß beteiligt.

Wegen des Raubbaus an den Wäldern wird der Sauerstoffgehalt der Atemluft zurückgegangen und das Kohlendioxid erhöht sein — letzteres hauptsächlich wegen der CO2-liefernden industriellen Verbrennungsprozesse. Für die Zeit nach dem Menschen werden es also wahrscheinlich jene Lebewesen schwerer haben, die viel Sauerstoff benötigen, sofern sie überleben. Zu ihnen gehörten viele Bewohner der heute noch sauerstoffreichen Gebirgsflüsse, aber auch zahlreiche Lurche. Denn so rasch, wie der Sauerstoff in der Luft abnehmen wird, können sich zumindest höher entwickelte Lebewesen mit langsamem Generations­wechsel genetisch nicht umstellen.

Da die Bodenerosion nach dem Abholzen der tropischen Wälder kaum aufzuhalten sein wird, dürfte es auf einer zukünftigen Erde ausgedehnte öde, verkarstete oder wüstenähnliche Landflächen geben.

Erst allmählich, rascher im ersten Modell, sehr viel langsamer im zweiten, wird es über Mikro­organismen, Algen und genügsame andere Pflanzen wieder zu einem gewissen Neubewuchs kommen. 

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Wenn es die klimatischen Verhältnisse zulassen, wird sich dann wieder eine erste Humusschicht bilden können und die Lebensgrundlage für höher entwickelte Tier- und Pflanzenarten schaffen. Dieser Prozeß würde jedoch sehr lange dauern. Er müßte auch ungestört von solchen Tieren oder Mikroben verlaufen können, die das aufkeimende Leben sogleich wieder abfressen, abweiden oder zersetzen. Möglicherweise werden zunächst Insekten die beherrschenden Tiere sein, doch auch dies ist nur eine Spekulation.

Die Schwierigkeit, sich von einer menschenleeren Erde ein Bild zu machen, liegt darin, daß wir heute noch nicht wissen, welche Pflanzen und Tiere uns tatsächlich überleben werden, wie die biologische Konkurrenzsituation zwischen ihnen sein wird und welche konkreten Umweltverhältnisse der Mensch hinterläßt. 

Es wird von Bedeutung sein, ob es noch wesentliche klimatische Veränderungen gegeben hat, wie etwa eine durch den Kohlendioxidanstieg bewirkte Erwärmung der Luft. In diesem Fall würde es bedeutsam sein, ob der Temperaturanstieg das Polareis teilweise abschmelzen ließ, der Meeresspiegel daraufhin angestiegen ist und wie rasch das Abschmelzen vor sich gegangen ist.

Wie wir wissen, sterben gegenwärtig immer mehr Tier- und Pflanzenarten in rascher Folge aus. Betroffen sind vor allem solche Arten, die für ihre Fortpflanzung ungestörte Biotope oder spezielle Existenzbedingungen brauchen, die ihnen der Mensch vorenthält. Die schon zur Endzeit des Menschen ausgestorbenen Großtierarten, darunter wahrscheinlich Krokodile und Flußpferde, Nashörner, Elefanten, Giraffen und andere Huftiere, auch viele Großvögel wie Strauße und Greifvögel werden nicht wiederkehren, denn einmal ausgerottete Arten sind unwiederbringlich dahin.

Wahrscheinlich werden ausschließlich robuste Formen überleben, die hart sind im Hinnehmen karger Lebensumstände, oder die sich dank erblicher Anpassungen an die gestörte Umwelt gewöhnen konnten. Überleben werden viele Mikroben, zahlreiche Insekten, darunter einige Ameisenarten und die weltweit verbreitete Ratte. Ausgestorben dagegen werden jene sein, die als Parasiten auf solche Wirte angewiesen sind, die ihrerseits bereits nicht mehr existieren.

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Flora und Fauna in einer Welt ohne Menschen werden also auf jeden Fall ärmer an Arten sein.

Wo aber Vielfalt dort fehlt, wo sie aufgrund der Umwelt­gegeben­heiten möglich wäre und auch geherrscht hat, bevor der Mensch kam, da werden solche Arten leichtes Spiel haben, die als Parasiten, Schmarotzer, Schädlinge oder Nutznießer von den noch existierenden Pflanzen leben. Das demonstrieren heute schon die Probleme der Schädlings­bekämpfung in den großen Monokulturen. 

In den verarmten Regionen wird es zumindest anfangs immer wieder zu Kalamitäten und Zusammenbrüchen rasch aufgeblühter Populationen kommen, es wird ein abnormes Wechselspiel von Gedeihen und Verderb geben, von dem niemand weiß, zugunsten welcher Arten es schließlich ausgehen wird. Man könnte auch sagen: Anstelle eines natürlich gewachsenen Gleichgewichts werden beschädigte Artengemeinschaften ohne stabilen inneren Halt vorherrschen.

 

Die Übriggebliebenen werden in jedem Fall auch mit der kulturellen Hinterlassenschaft des Menschen fertigwerden müssen. Sie werden mit dem unverrotteten Zivilisations­plunder, den Kunststoffen, mit Radioaktivität und Rückständen chemischer Produkte zu leben haben. Zahlreiche Chemikalien aus industriellen Fertigungs­vorgängen werden noch existieren, die der Mensch in seinem hoffnungslosen Kampf ums eigene Überleben erzeugt hat und deren Wirkung auf Umwelt und Lebewesen auf längere Sicht nicht mehr abschätzbar gewesen ist.

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Ein weiteres Erbe wird möglicherweise eine stärkere Sonneneinstrahlung sein. Bekannt ist, daß bestimmte Treibgase, wie sie etwa in Sprayflaschen verwendet werden, aber auch die zunehmende Verkehrsdichte in der Stratosphäre die schützende Ozonschicht über der Erde beeinträchtigen können und damit dem gefährlichen ultravioletten Sonnenlicht leichteren Zugang zur Erde ermöglichen. Als Folge davon sollen unter anderem die Hautkrebs-Erkrankungen zunehmen. 

Hinzu käme die noch viele Jahrhunderte andauernde Strahlung des radioaktiven Mülls, falls das Problem seiner sicheren Ablagerung nicht in der allernächsten Zukunft noch gelöst wird, was unwahrscheinlich ist. Die erhöhte Radioaktivität und die noch existierenden erbschädigenden Chemikalien werden noch lange nach dem Menschen für eine erhöhte Mutationsrate sorgen. Das heißt, es werden bei den zukünftigen Lebewesen mehr Erbschäden auftreten. Mehr mißgebildete, mit erblich bedingten Stoffwechselstörungen und anderen Erbleiden belastete Tiere werden geboren werden. Auch erbgeschädigte Pflanzen wird es häufiger geben. Zwar werden die Betroffenen von der Auslese rasch wieder ausgemerzt, doch dürften noch für lange Zeit immer wieder neue auftreten. 

Alles in allem wird es viele Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende dauern, bis die Natur die vom Menschen angerichteten Schäden überwunden und zu einem vergleichsweise natürlichen Gleichgewicht zurückgefunden hat. Jahrtausende werden auch vergehen, bis sich neue Pflanzen- und Tierarten entwickelt haben werden, die an die veränderten Umweltbedingungen angepaßt sind. 

Vielleicht werden sich dann auch - über sehr lange Zeit gesehen - noch einmal Wesen mit einer der menschlichen vergleichbaren Intelligenz entwickeln, möglicher­weise aus Meeressäugern wie den Delphinen. 

Vielleicht benehmen sich solche zukünftigen intelligenten Wesen dann erneut kurzsichtig, vielleicht aber bedachtsamer auf der Erde, so daß sie das Attribut »sapiens« tatsächlich verdienen, falls sie es beanspruchen sollten.

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 Ende

 

 

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 10. Die Erde nach dem Menschen