1. Der Zustand der Erde
Lovelock-2006
Blinde Führer seid ihr:
Ihr siebt Mücken aus
und verschluckt Kamele.Matthäus 23,24
9-28
Wie immer nehmen schlechte Nachrichten den breitesten Raum ein, und während ich dies in meinem gemütlichen Heim in Devon schreibe, ist auf allen Fernsehschirmen und Titelseiten die Katastrophe von New Orleans zu sehen.
Sie war schrecklich, lenkte uns aber von dem noch größeren Leid ab, das der Tsunami vom Dezember 2004 mit sich brachte, der die Küsten und Inseln des Indischen Ozeans verheerte. Jenes furchtbare Ereignis beleuchtete grell, wie sehr die Erde die Macht zum Töten hat. Der Planet, auf dem wir leben, muss nur mit der Schulter zucken, und Hunderttausende werden in den Tod gerissen.
Doch das ist nichts im Vergleich zu dem, was bald passieren könnte.
Wir missbrauchen die Erde mittlerweile so sehr, dass sie sich vielleicht aufbäumt und in jene heiße Phase zurückfällt, in der sie vor 55 Millionen Jahren war. Und wenn sie das tut, werden die meisten von uns und unseren Nachkommen sterben. Es ist, als hätten wir uns entschlossen, den Mythos in Wagners <Der Ring des Nibelungen> nachzuleben und unsere Walhalla in Gluthitze dahinschmelzen zu sehen.
Ich höre Sie schon sagen: »Was? Noch ein Buch über die globale Erwärmung? Ist das nicht langsam zu viel des Guten?« Würde dieses Buch nichts weiter leisten, als die Argumente und Gegenargumente zu wiederholen, hätten Sie recht: Es wäre ein Buch zuviel.
Der Unterschied liegt darin, dass ich als Planetenarzt spreche, dessen Patient, die lebendige Erde, an Fieber leidet; ich betrachte die angeschlagene Gesundheit der Erde als unsere wichtigste Angelegenheit, denn von ihrer Genesung hängt unmittelbar unser Leben ab. Unsere Sorge um sie muss an erster Stelle kommen, denn das Wohlergehen der immer weiter zunehmenden Menschenmassen verlangt einen gesunden Planeten.
Jetzt werden meine Freunde und Kollegen zusammenzucken und wünschen, dass ich endlich aufhören würde, von unserem Planeten als einer Lebensform zu sprechen.
Ich verstehe ihre Einwände, bleibe aber stur; hätte ich nicht als Erster so über die Erde nachgedacht, wären wir wohl alle »wissenschaftlich korrekt« geblieben, aber ihre wahre Natur wäre uns verborgen geblieben. Dank des Gaia-Konzepts erkennen wir heute, dass sich unser Planet komplett von seinen toten Geschwistern Mars und Venus unterscheidet. Wie jeder von uns steuert die Erde ihre Temperatur und Zusammensetzung so, dass es ihr jeweils gut geht, und sie hat das stets getan, seit vor mehr als drei Milliarden Jahren das Leben begann. Um es unverblümt zu sagen: Tote Planeten sind wie steinerne Statuen, die sich nicht verändern, wenn man sie in einen Ofen steckt und auf 80°C erhitzt. Auf diese Temperatur gebracht, würden Sie und ich sterben — und die Erde auch.
Nur wenn wir uns unser planetarisches Zuhause als lebendig denken, können wir erkennen — vielleicht zum ersten Mal —, warum die Landwirtschaft das lebende Gewebe seiner Haut abschürft und warum die Umweltverschmutzung für es genauso giftig ist wie für uns. Der steigende Kohlendioxid- und Methangehalt in der Atmosphäre hat hier ganz andere Folgen als auf einem toten Planeten wie dem Mars.
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Wie die lebendige Erde auf das reagiert, was wir tun, hängt nicht allein vom Ausmaß des Landverbrauchs und der Umweltverschmutzung ab, sondern auch von ihrem gegenwärtigen Gesundheitszustand. Als die Erde noch jung und stark war, machten ihr widrige Veränderungen und der Ausfall ihrer eigenen Temperaturregulierung kaum zu schaffen; heute ist sie älter und vielleicht weniger zäh.
Nachhaltige Entwicklung und die Nutzung erneuerbarer Energien* sind der zeitgemäße Ansatz, im Einklang mit der Erde zu leben, und prägen das Wahlkampfprogramm grün orientierter Politiker. Dem widersprechen vor allem in den Vereinigten Staaten die vielen, die die globale Erwärmung noch immer für eine Fiktion halten und dafür plädieren, weiterzumachen wie bisher.
Diese Geisteshaltung kommt am besten in einem kürzlich erschienenen Roman von Michael Crichton, <Welt in Angst>, zum Ausdruck, und auch die wie eine Heilige verehrte Mutter Theresa sagte 1988: »Warum sollen wir uns um die Erde sorgen, wo doch unsere Verpflichtung den Armen und Kranken unter uns gilt? Gott wird für die Erde sorgen.«
In Wahrheit werden weder der Glaube an Gott noch das Vertrauen ins Business as usual und noch nicht einmal das Eintreten für nachhaltige Entwicklung unserer wahren Abhängigkeit gerecht. Wenn wir uns nicht um die Erde kümmern, wird sie mit Gewissheit für sich selbst sorgen, indem sie uns nicht länger willkommen heißt. Die Gläubigen unter uns sollten sich ihr irdisches Heim noch einmal ansehen und es als heiligen Ort betrachten, als Teil von Gottes Schöpfung, den wir entweiht haben. Anne Primavesis Buch <Gaia's Gift> zeigt, wie man Glaube und Gaia miteinander versöhnen kann.
Wenn ich den Ausdruck »nachhaltige Entwicklung« höre, muss ich an die Definition von Gisbert Glaser denken, dem Chefberater des <International Council for Science>, der in einem Gastbeitrag für den Newsletter des <International Geosphere Biosphere Program> (IGBP) sagte:
»Nachhaltige Entwicklung ist ein bewegliches Ziel. Sie meint die ständige Anstrengung, die drei Säulen des sozialen Wohlergehens, des wirtschaftlichen Wohlstands und des Umweltschutzes zum Segen heutiger und zukünftiger Generationen auszubalancieren und zu integrieren.«
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Viele von uns betrachten diese noble Politik als dem gewohnten Laissez faire überlegen. Unglücklicherweise aber führen diese beiden völlig verschiedenen Ansätze — der des internationalen Wohlverhaltens und der der erbarmungslosen Marktkräfte — zum selben Ergebnis: einem wahrscheinlich verheerenden Klimawandel. Gemeinsam ist ihnen die irrige Überzeugung, dass eine Weiterentwicklung noch immer möglich ist und dass die Erde noch mindestens die erste Hälfte dieses Jahrhunderts lang — mehr oder weniger — so funktionieren wird wie bisher.
Vor 200 Jahren, als es noch keine Veränderungen gab oder sie nur langsam einsetzten, hätten wir vielleicht die Zeit gehabt, eine nachhaltige Entwicklung einzuleiten oder sogar eine Weile wie gewohnt weiterzumachen, aber jetzt ist es viel zu spät. Der Schaden ist bereits angerichtet. Nachhaltige Entwicklung oder Business as usual für Erfolg versprechende Politik zu halten, gleicht der Erwartung, dass ein an Lungenkrebs Erkrankter gesundet, wenn er mit dem Rauchen aufhört. Beide Ansätze leugnen, dass die Erde bereits krank ist, an einem Fieber leidet, das von einer Menschenepidemie hervorgerufen wird. Trotz ihrer Unterschiede rühren die beiden Ansätze aus religiösen und humanistischen Überzeugungen her, die die Erde für etwas halten, das man zum Wohle der Menschheit ausbeuten kann.
Um 1800 herum, als es nur eine Milliarde Menschen gab, war eine ignorante Politik wie diese vertretbar, weil sie nur geringe Schäden anrichtete. Jetzt verfolgen die beiden Ansätze unterschiedliche Wege, die sich bald zu einem Stolperpfad vereinen werden, der in ein Steinzeitdasein auf einem darbenden Planeten führen wird, das nur wenige von uns zwischen den Trümmern unserer einstigen irdischen Biodiversität überleben werden.
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Warum erkennen wir — vor allem in den Vereinigten Staaten — nur so langsam die großen Gefahren, mit denen wir und unsere Zivilisation konfrontiert sind? Was hindert uns an der Erkenntnis, dass das Fieber des globalen Aufheizens real und tödlich ist und vielleicht schon so weit gestiegen, dass wir oder die Erde es nicht mehr kontrollieren können?
Ich glaube, wir verschließen die Augen vor den Beweisen, dass unsere Welt sich verändert, weil wir immer noch in Stammesverbänden organisierte Fleischfresser sind, wie es der wunderbar kluge Biologe E.O. Wilson ausdrückte. Durch unsere Abstammung sind wir darauf programmiert, andere Lebewesen hauptsächlich als etwas zu betrachten, das man essen kann, und wir kümmern uns mehr um unseren Stamm beziehungsweise unsere Nation als um alles andere. Dafür geben wir sogar unser Leben hin, und wir sind durchaus bereit, andere Menschen auf grausamste Weise zu töten, wenn es dem Wohlergehen unseres Stammes dient. Noch immer befremdet uns die Vorstellung, dass wir und alles Lebendige sonst, von Bakterien bis zu Walen, Teile einer viel größeren und vielfältigeren Entität sind, der lebendigen Erde.
Die Wissenschaft soll objektiv sein, warum also hat sie uns nicht eher vor diesen Gefahren gewarnt? Die globale Erwärmung wurde Mitte des 20. Jahrhunderts von mehreren Autoren kurz diskutiert, doch selbst der große Klimatologe Hubert Lamb widmete in seinem 1972 erschienenen Buch <Climate: Present, Past and Future> nur eine von 600 Seiten dem Treibhauseffekt.* wikipe Hubert_Lamb 1913 in England bis 1997
Erst 1988 drang das Thema an die Öffentlichkeit; bis dahin waren die meisten Atmosphärenexperten so mit der spannenden Erforschung des stratosphärischen Ozonlochs beschäftigt, dass sie für andere Umweltprobleme kaum Zeit hatten. Zu den mutigen Pionieren, die sich dem umfassenderen Thema des globalen Wandels zuwandten, zählen die amerikanischen Wissenschaftler Stephen Schneider und Jim Hansen.
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Schneider traf ich erstmals Ende der siebziger Jahre bei einem Besuch des <National Center for Atmospheric Research>, einem sehr schönen Forschungszentrum an einem Berghang in Boulder (Colorado), und unsere wissenschaftlichen Wege haben sich seither immer wieder gekreuzt. In seinem gemeinsam mit Randi Londer verfassten Buch <The Coevolution of Climate and Life> (1984) warnt er vor den wahrscheinlichen Folgen der weiteren Verbrennung fossiler Energieträger und empfiehlt eine strategische Überwachung der Emissionen anstelle des Gewährenlassens der Marktkräfte wie gewohnt.
Jim Hansen vom <Goddard Institute of Space Studies> der NASA warnte genauso eindringlich, und am 23. Juni 1988 sagte er vor dem US-Senat, dass die Erde jetzt wärmer sei als je seit Beginn der Messungen mit Instrumenten. Die besten und umfassendsten Abhandlungen aus dieser Zeit sind:
John Gribbins Hothouse Earth (1990),
Schneiders Global Warming (1989) und
Treibhaus Erde von Fred Pearce (1989, dt. 1990).
Schneiders und Hansens Warnungen wurden von so unterschiedlichen Politikern wie Al Gore und Margaret Thatcher aufgegriffen, und ich hege den Verdacht, dass ihre Umsetzung in die Praxis dem Diplomaten und Klimatologen Sir Crispin Tickell zu verdanken ist. Diese Entwicklung führte 1989 zur Bildung des Intergovernmental Panel of Climate Change (IPCC) durch die World Meteorological Organization (WMO) und das United Nations Environment Programme (UNEP) unter Vorsitz von Professor Bert Bolin.
Bald begann der langwierige Prozess des Datensammelns und Modellbauens, der die Basis für Vorhersagen des zukünftigen Klimas abgab. Aber irgendwie verblasste in den neunziger Jahren das Gespür für die Dringlichkeit, etwas gegen die globale Erwärmung zu tun, und der Pioniergeist derjenigen, die Alarm geschlagen hatten, fand beim geistlosen mittleren Wissenschaftsmanagement wenig Widerhall.
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Doch das war nicht allein dessen Schuld, denn die Wissenschaft selbst war in den letzten zwei Jahrhunderten durch ihre Aufsplitterung in viele verschiedene Disziplinen gehandikapt: Jede kümmerte sich nur um eine winzige Facette des Planeten, ein Gesamtbild der Erde gab es nicht. Die Wissenschaftler erkannten die Erde bis zur Amsterdam Declaration von 2001 nicht als sich selbst regulierende Entität an, und viele von ihnen verhalten sich noch immer, als wäre unser Planet ein großes Gemeineigentum, das uns gehört und das wir unter uns aufteilen können. Sie klammern sich an das Bild der Erde aus dem 19. und dem 20. Jahrhundert, das an Schulen und Universitäten gelehrt wurde: das Bild eines Planeten von totem, inertem Fels mit jeder Menge Leben an Bord — Passagieren auf seiner Reise durch Raum und Zeit.
Die Wissenschaft ist ein gemütlicher, liebenswerter Klub von Spezialisten, die alle ihre zahllosen unterschiedlichen Interessen verfolgen; sie sind stolz und wunderbar produktiv, sich ihrer Sache aber niemals ganz sicher, und stets hemmt sie ein unvollständiges Weltbild. In Großbritannien haben wir das Glück, dass unsere Wissenschaft von so überragenden Gestalten wie Lord May und Sir David King angeführt wurde, die beide unermüdlich uns und die Regierung vor den aufziehenden ungeheuren Gefahren gewarnt haben.
Der Begriff »Gaia« — die Vorstellung, dass die Erde ein sich entwickelndes System ist, das auf gewisse Weise lebendig ist — kam erst um 1970 auf. Wie bei allen neuen Theorien dauerte es Jahrzehnte, bis die Gaia-Hypothese auch nur zum Teil akzeptiert war, denn es mussten Beweise abgewartet werden, die sie entweder bestätigen oder widerlegen würden. Wir wissen heute, dass die Erde sich wirklich selbst reguliert, aber weil es so lange dauerte, die Beweise zu sammeln, haben wir zu spät herausgefunden, dass die Regulierung versagt und das irdische System sich rasch einem kritischen Zustand nähert, der alles Leben darin in Gefahr bringt.
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Die Wissenschaft versucht, global zu denken und mehr als eine lockere Ansammlung von Einzeldisziplinen zu sein, aber selbst die, die einen systemwissenschaftlichen Ansatz verfolgen, würden als Erste einräumen, dass unser Verständnis des irdischen Systems nicht viel besser ist als das eines Arztes des 19. Jahrhunderts von seinem Patienten. Doch wir sind uns der Physiologie der Erde genügend bewusst, um zu merken, wie schwer sie erkrankt ist. Wir vermuten, dass es einen Schwellenwert gibt, der von der Temperatur oder dem Kohlendioxidgehalt der Luft vorgegeben ist; wenn dieser erst einmal überschritten ist, werden alle Staaten der Welt die Folgen nicht mehr abwenden können, und die Erde wird unwiderruflich in eine neue heiße Phase übergehen. Gegenwärtig nähern wir uns einem dieser Umkipppunkte, und unsere Zukunft gleicht der von Passagieren auf einem kleinen Vergnügungsdampfer, die unbesorgt oberhalb der Niagarafälle herumfahren und nicht wissen, dass die Maschinen bald versagen werden.
Das wenige, was wir über die Reaktion der Erde auf unsere Anwesenheit wissen, ist zutiefst beunruhigend. Selbst wenn wir sofort aufhörten, Gaia Land und Wasser zur Nahrungs- und Brennstoffproduktion zu entziehen und die Luft zu vergiften, würde die Erde über 1000 Jahre brauchen, um sich von den bereits angerichteten Schäden zu erholen, und es könnte bereits so spät sein, dass selbst dieser drastische Schritt uns nicht mehr retten könnte. Eine Gesundung, ja selbst nur eine Linderung der Folgen unseres vergangenen Fehlverhaltens wird ein außergewöhnliches Ausmaß an internationalen Anstrengungen und eine sorgfältige Planung zur Ersetzung fossiler Kohlenstoffquellen durch sicherere Energieträger erfordern.
Als Zivilisation gleichen wir zu sehr Süchtigen, deren Droge sie töten wird, wenn sie sie weiterhin nehmen, und die sie genauso töten wird, wenn man sie ihnen auf der Stelle entzieht. In unser gegenwärtiges Dilemma sind wir durch unsere Intelligenz und unseren Erfindungsreichtum geraten.
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Erstmals haben wir damit vielleicht schon vor 100.000 Jahren angefangen, als wir Wälder in Brand setzten, um uns die Jagd bequem zu machen. Damit hatten wir aufgehört, bloß ein weiteres Raubtier zu sein, und mit der Demolierung der Erde begonnen.
Als Spezies gleichen wir dem schizoiden Paar Dr. Jekyll und Mr. Hyde; wir haben die Fähigkeit zu katastrophalen Zerstörungen, aber auch das Potenzial, eine großartige Zivilisation zu begründen. Mister Hyde brachte uns dazu, unsere Technik zum Schlechten einzusetzen; wir haben Energie missbraucht und die Erde überbevölkert. Aber wir können unsere Zivilisation nicht aufrechterhalten, wenn wir die Technik aufgeben. Wir müssen sie stattdessen klug einsetzen, wie Dr. Jekyll das tun würde, und dabei die Gesundheit der Erde — nicht der Menschen — im Blick behalten. Aus diesem Grund ist es für eine nachhaltige Entwicklung viel zu spät; wir brauchen einen nachhaltigen Rückzug.
Wir sind von der Idee des Fortschritts und der Besserung der Menschheit so besessen, dass wir »Rückzug« als Schimpfwort betrachten, als etwas, für das man sich schämen muss. Der Philosoph und Geistesgeschichtler John Gray schrieb in seinem Buch <Straw Dogs>, dass wir nur selten über die Bedürfnisse der Menschheit hinausblicken, und er führte diese Blindheit auf unsere christliche und humanistische Binnenstruktur zurück. Sie kam vor 2000 Jahren auf und war damals bescheiden, sodass wir für Gaia keine wesentliche Bedrohung darstellten.
Heute besteht die Menschheit aus mehr als sechs Milliarden hungrigen und gierigen Individuen, die alle versuchen, im Stil der Ersten Welt zu leben, sodass sich unsere urbane Daseinsform immer mehr des Reiches der lebendigen Erde bemächtigt. Wir nehmen ihr so viel weg, dass sie nicht länger in der Lage ist, die vertraute und komfortable Umwelt aufrechtzuerhalten, die wir als gegeben hingenommen hatten. Jetzt verändert sie sich nach ihren eigenen, internen Regeln und geht in eine Phase über, in der wir nicht länger willkommen sind.
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Die Menschheit, die aufgrund ihrer humanistischen Traditionen darauf völlig unvorbereitet ist, steht vor ihrer größten Herausforderung. Die Beschleunigung des Klimawandels, der jetzt eingesetzt hat, wird die komfortable Umwelt, an die wir angepasst sind, hinwegfegen. Wandel ist ein normaler Teil der geologischen Geschichte; die jüngste Veränderung war der Übergang von einer langen Vergletscherungsperiode zur derzeitigen warmen Zwischeneiszeit. Neu an der kommenden Krise ist, dass wir der Grund dafür sind und so etwas Schwerwiegendes nicht mehr seit der langen heißen Periode zu Beginn des Eozäns vor 55 Millionen Jahren passiert ist; damals waren die Veränderungen größer als die zwischen Eiszeit und 19. Jahrhundert und hielten 200.000 Jahre lang an.
Das große irdische System, Gaia, gerät in einer Zwischeneiszeit wie der momentanen in einen Teufelskreis positiver Rückkopplung*, und das macht die globale Erwärmung zu einem so schwerwiegenden und dringlichen Problem. Zusätzliche Wärme aus jeder erdenklichen Quelle — seien es Treibhausgase, das Verschwinden des arktischen Eises, die Strukturveränderungen der Ozeane oder die Zerstörung der Tropenwälder — wird verstärkt, und der Gesamteffekt ist größer als die bloße Summe. Es ist fast, als hätten wir ein Feuer gemacht, um uns zu wärmen, und beim Nachlegen von Brennstoff nicht bemerkt, dass es bereits außer Kontrolle geraten ist und die Möbel in Brand gesetzt hat. Wenn so etwas passiert, bleibt kaum noch Zeit, die Flammen zu löschen, ehe sie das ganze Haus ergreifen. Die globale Erwärmung beschleunigt sich wie ein Feuer, und wir haben so gut wie keine Zeit mehr, um zu reagieren.
Die Philosophin Mary Midgley hat in ihren glänzenden Werken <Science and Poetry> und <The Essential Mary Midgley> gewarnt, dass die Dominanz atomistischen und reduktionistischen Denkens in der Wissenschaft während der letzten beiden Jahrhunderte zu einer beschränkten, engstirnigen Sicht der Erde geführt hat.
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In der Wissenschaft sagt man oft, dass die Bedeutung von Ideen daran gemessen wird, wie lange sie den Fortschritt verhindern. Es dauerte fast 200 Jahre, bis Newtons Sichtweise des Universums Einsteins umfassenderer Vision Platz machen musste. Nach diesem Maßstab war Descartes ein wahrhaft großer Denker. Seine Trennung von Geist und Körper, so notwendig sie auch zu seiner Zeit war, und die Zurückstufung alles Lebendigen auf eine mechanistische Interpretation beförderten das reduktionistische Denken.
Unter Reduktion versteht man das analytische Zerlegen einer Sache in ihre Grundelemente, dem dann die Neuerschaffung durch das Wiederzusammenbauen der Teile folgt; in den vergangenen zwei Jahrhunderten hat das Verfahren sicherlich zu großartigen Triumphen der Physik und der Biologie geführt, aber erst heute findet es seinen ihm angemessenen Platz als bloß ein Teil der Wissenschaft, nicht als die Wissenschaft selbst. Zumindest beginnen wir — auch wenn es vielleicht zu spät ist — zu erkennen, dass die holistische Perspektive, die eine Sache von außen betrachtet und ihre Fragen stellt, während diese Sache in Betrieb ist, genauso wichtig ist, wie die Sache in ihre Teile zu zerlegen und sie von Grund auf zu rekonstruieren. Das gilt im besonderen Maß für Lebewesen, komplexe Systeme und Computer.
Vor allem aber müssen wir die Liebe und die Empathie für die Natur erneuern, die wir verloren haben, als wir unseren Flirt mit dem Stadtleben begannen. Sokrates war wahrscheinlich nicht der Erste, der meinte, außerhalb der Stadtmauern würde nichts Interessantes passieren, aber er war immer noch mit der natürlichen Welt draußen vertraut. Selbst zu Shakespeares Zeiten waren die Städte klein genug, dass er an einem Ufer spazieren gehen konnte, an dem wilder Thymian blühte und Himmelsschlüssel und Veilchen wuchsen.
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Die frühen Umweltschützer, die die Natur kannten und sich ihrer wahrhaftig erfreuten — Wordsworth, Ruskin, Rousseau, Humboldt, Thoreau und so viele andere —, wohnten die meiste Zeit ihres Lebens in kleinen, kompakten Städten. Heute sind Städte so riesig, dass nur wenige Bewohner je das weit entfernte Landleben kennenlernen. Ich frage mich, wie viele meiner Leser schon einmal wilden Thymian blühen gesehen haben.
Blake sah die Bedrohlichkeit finsterer, satanischer Mühlen, aber ich zweifle, ob selbst seine schlimmsten Albträume der heutigen Realität gerecht würden — der großflächigen Industrialisierung jener Landschaft, die er kannte. Blake lebte in London, aber von seinem London aus konnte er eine perfekte Landschaft leicht zu Fuß erreichen. Auf Englands grünen Hügeln wird nicht länger Heu gemacht, eine mechanisierte Agrarindustrie hat sich ihrer bemächtigt. Und wenn wir es zulassen, wird die restliche Landschaft zu einem Industriegebiet voller massiger Windkrafträder, die vom vergeblichen Versuch künden, die Energiebedürfnisse des urbanen Lebens zu befriedigen. Reformen sind allzu oft organisierter Vandalismus im Namen einer Ideologie. Das ist die Kehrseite heutiger grüner Politik in Europa.
Natürlich gibt es Skeptiker, und zu ihnen zählen der dänische Statistiker Björn Lomborg und der amerikanische Wissenschaftler Richard Lindzen, die beide bezweifeln, dass der globale Wandel irgendwo auch nur annähernd ein so großes Problem ist, dass wir uns darum kümmern müssten. Doch solche konträren Ansichten haben den Konsens der vielen Wissenschaftler aus der ganzen Welt, die das IPCC bilden, nicht ins Wanken gebracht.
Kürzlich hörte ich im Radio eine leidenschaftliche und ergreifende Rede des amerikanischen Wissenschaftlers Patrick Michaels. Entrüstet wies er die Behauptung Sir David Kings, des britischen wissenschaftlichen Chefberaters, zurück, dass die globale Erwärmung ein ernsthafteres Problem darstelle als der momentane Krieg gegen den Terrorismus. Wie für viele andere waren für ihn die Ereignisse vom 11. September 2001, von Madrid 2004 und London 2005 weit bedeutender als irgendwelche schlechten Wettervorhersagen für das kommende Jahrhundert.
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Im Gegensatz zu den meisten Amerikanern war ich einen Großteil meines Lebens von Terror bedroht — hauptsächlich, aber nicht ausschließlich von dem des keltischen Nationalismus. Ich teile Michaels' Entrüstung und betrachte Terrorismus als nur graduell weniger schlimm als Genozid. Terrorismus und Völkermord gehen beide auf das uns angeborene Stammesverhalten zurück. Dieses ist sicherlich unserem genetischen Code eingeschrieben, denn warum sonst würden wir als Mob oder Masse so Böses tun können, das auf sich allein gestellt nur Psychopathen fertigbringen würden.
Genozid und Terrorismus sind nicht allein die schlechten Seiten unserer Feinde; wir alle sind auf das richtige Signal hin ihrer fähig, und die Zivilisation hat diese hässlichen Neigungen nur ein wenig entschärft und sie »Krieg« genannt. Stammesverhalten ist nicht insgesamt schlecht, es lässt sich dazu mobilisieren, dass wir ansonsten egoistischen Menschen uns wirklich tapfer verhalten und sogar unser Leben hingeben, meistens, weil unser Stamm in Gefahr ist, manchmal aber auch zum Wohlergehen der ganzen Menschheit. Selbstlos bringen wir bemerkenswert Gutes zustande. In Kriegszeiten akzeptieren wir die strenge Rationierung von Nahrungsmitteln und Verbrauchsgütern; bereitwillig arbeiten wir länger und setzen uns großen Gefahren aus, und einige blicken sogar erwartungsvoll dem Tod ins Auge.
Ich bin alt genug, um zwischen der Einstellung gegenüber den Kriegsgefahren vor über 60 Jahren und der heute gegenüber den Gefahren der globalen Erwärmung eine deutliche Ähnlichkeit zu erkennen. Die meisten von uns glauben, dass bald etwas Ungutes passieren könnte, aber wie im Jahr 1938 sind wir unsicher, in welcher Form es geschehen wird und was man dagegen tun könnte. Bislang reagieren wir darauf genau wie vor dem Zweiten Weltkrieg mit Beschwichtigungsversuchen.
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Das Abkommen von Kyoto hat eine unheimliche Ähnlichkeit mit dem von München; in beiden Fällen demonstrierten Politiker, dass sie reagieren, in Wirklichkeit aber spielten sie auf Zeit. Weil wir Stammestiere sind, reagiert der Stamm erst dann mit vereinten Kräften, wenn eine reale, unmittelbare Gefahr wahrgenommen wird. Bislang ist das noch nicht geschehen; folglich gehen wir als Individuen getrennter Wege, während Gaia ihre unbarmherzigen Kräfte gegen uns Aufstellung nehmen lässt. Bald werden sie sich in die Schlacht stürzen, und was wir dann erleben, wird tödlicher sein als irgendein Blitzkrieg. Indem wir die Umwelt veränderten, haben wir unbewusst Gaia den Krieg erklärt. Wir sind in die ökologischen Nischen anderer Spezies eingedrungen, wie im Falle von Nationalstaaten der eine das Land des anderen besetzt.
Die Aussichten sind düster, und selbst wenn es uns gelingt, die Folgen zu lindern, kommen wie in jedem Krieg harte Zeiten auf uns zu, die uns bis an die Grenzen belasten werden. Wir sind zäh, und es würde mehr als die vorhergesagte Klimakatastrophe brauchen, um alle vermehrungsfähigen Menschenpaare zu eliminieren; auf dem Spiel aber steht die Zivilisation als solche. Als individuelle Tiere sind wir nichts Besonderes, und in gewisser Weise ist die menschliche Spezies so etwas wie eine Krankheit des Planeten; doch mittels unserer Zivilisation können wir uns rehabilitieren und sind so zu einem wertvollen Aktivposten für die Erde geworden.
Es besteht eine kleine Chance, dass die Skeptiker recht behalten oder wir durch ein unvorhersehbares Ereignis wie eine Serie von Vulkanausbrüchen gerettet werden, die schwer genug sind, so viel Sonnenlicht abzuhalten, dass die Erde abkühlt. Aber nur Verlierertypen würden darauf ihr Leben verwetten. Wie fraglich die künftige Entwicklung des Klimas auch sein mag, außer Frage steht, dass sowohl die Treibhausgase zunehmen als auch die Temperaturen steigen.
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Ich finde es traurig, dass wir die Warnungen und Ratschläge unserer weltweit führenden Geo- und Klimawissenschaftler in den Wind geschlagen haben. Bislang haben wir lieber auf die gut gemeinten, aber unklugen Ratschläge jener gehört, die glauben, es gäbe eine Alternative zur Wissenschaft. Ich bin ein Grüner und werde den Grünen wohl auch zugerechnet, aber in erster Linie bin ich Wissenschaftler; deshalb bitte ich meine grünen Freunde inständig, ihren naiven Glauben an nachhaltige Entwicklung und erneuerbare Energie zu überdenken sowie ihre Überzeugung anzuzweifeln, dass dies plus Energiesparen alles sei, was man unternehmen müsse.
Vor allem müssen sie ihre Starrköpfigkeit gegenüber der Atomenergie aufgeben. Selbst wenn sie recht hätten, was deren Gefahren angeht - und in diesem Fall haben sie unrecht -, stellte die Nutzung von Kernkraft als sichere und verlässliche Energiequelle im Vergleich mit den realen Gefahren nicht auszuhaltender, tödlicher Hitzewellen und eines steigenden, alle Küstenstädte der Welt bedrohenden Meeresspiegels eine unbedeutende Gefährdung dar. Erneuerbare Energie hört sich gut an, aber bislang ist sie ineffizient und teuer. Sie hat eine Zukunft, aber wir haben jetzt keine Zeit, mit visionären Energiequellen zu experimentieren: Die Zivilisation ist in unmittelbarer Gefahr, und sie muss sich jetzt der Atomkraft bedienen oder die Leiden ertragen, mit denen unser aufgebrachter Planet uns bald strafen wird.
Wir müssen den sinnvollen grünen Rat befolgen, Energie zu sparen, und wir müssen das überall tun, wo das möglich ist, aber ich habe den Verdacht, dass dies wie das Abspecken leichter gesagt als getan ist. Signifikante Energieeinsparungen rühren von verbesserten Techniken her, und es braucht Jahrzehnte, bis diese die Mehrheit der Verbraucher erreichen.
Ich empfehle die Kernspaltung nicht als langfristiges Allheilmittel für unseren kranken Planeten oder als Antwort auf all unsere Probleme. Ich betrachte sie bloß als die einzige wirkungsvolle Medizin, die wir jetzt zur Verfügung haben.
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Wenn einer von uns infolge von Fettleibigkeit und zu wenig Sport Altersdiabetes bekommt, wissen wir, dass Medikamente allein nicht ausreichen; er muss seine gesamte Lebensweise umstellen. Die Atomkraft ist bloß die Arznei, die stetig und verlässlich den Strom fließen lässt, damit die Lichter der Zivilisation nicht ausgehen, bis die saubere und immerwährende Fusionsenergie, die auch die Sonne befeuert, und erneuerbare Energien zur Verfügung stehen. Wir müssen viel mehr tun, als uns nur auf Kernkraft zu verlassen, wenn wir einem neuen dunklen Zeitalter im Verlauf dieses Jahrhunderts entgehen wollen.
Wir müssen unsere Ängste besiegen und Atomkraft als die eine sichere, bewährte Energiequelle akzeptieren, die minimale globale Folgen hat. Sie ist heute so zuverlässig, wie menschliche Ingenieurskunst nur sein kann, und hat sich als die sicherste von allen großen Energiegewinnungsformen erwiesen. Frankreich hat gezeigt, dass sie zur Hauptenergiequelle eines ganzen Landes gemacht werden kann, aber immer noch haben Regierungen Angst, diese eine Rettungsleine zu ergreifen, die uns sofort zur Verfügung steht. Wir brauchen ein ganzes Portfolio von Energiequellen, in dem die Kernkraft, zumindest bis die Fusionsenergie zu einer praktikablen Option wird, eine wichtige Rolle spielt.
Wenn die chemische und die biochemische Industrie aus Kohlendioxid, Wasser und Stickstoff Nahrungsmittel synthetisieren kann, dann sollten wir das tun und der Erde eine Verschnaufpause gönnen. Wir müssen aufhören, uns wegen winziger statistischer Krebsrisiken durch Chemikalien oder Strahlung Sorgen zu machen. Fast ein Drittel von uns wird ohnehin an Krebs sterben — hauptsächlich weil wir Luft atmen, die das allgegenwärtige Karzinogen Sauerstoff enthält. Wenn wir uns nicht auf die reale Gefahr konzentrieren, nämlich die globale Erwärmung, sterben wir vielleicht noch früher, wie jene 30.000 Unglücklichen im überhitzten Europa des Sommers 2003.
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Wir müssen den globalen Wandel ernst nehmen, und zwar auf der Stelle, und dann unser Bestes geben, um den Druck der Menschen auf die Erde zu vermindern. Unser Ziel sollte sein, mit dem Verbrauch fossiler Energieträger so schnell wie möglich aufzuhören, und es darf nirgendwo mehr zur Zerstörung von natürlichen Habitaten kommen. Wenn ich »natürlich« sage, meine ich nicht nur Urwälder, sondern auch die Wälder, die nachgewachsen sind, als Nutzland aufgegeben wurde, wie es in Neuengland und anderen Teilen der USA der Fall war. Diese wiederhergestellten Wälder leisten Gaia wahrscheinlich genauso gute Dienste wie die ursprünglichen, aber die riesigen offenen Landstriche mit Monokultur-Nutzflächen sind kein Ersatz für natürliche Ökosysteme.*
Wir bebauen bereits mehr Land, als die Erde sich leisten kann, und wenn wir versuchen, die gesamte Erde zu nutzen, um unsere Menschen zu ernähren, dann gleichen wir, selbst wenn das mit organischen Methoden geschieht, Segelschiffern, die das Holz und die Takelung ihrer Boote verheizen, um es warm zu haben. Die natürlichen Ökosysteme der Erde sind nicht dazu da, uns als Anbaufläche zu dienen; sie sind da, um das Klima und die Chemie des Planeten zu erhalten.
Um die bereits angerichteten Schäden wiedergutzumachen, ist ein so riesiges Programm nötig, dass von den Kosten und vom Umfang her die Raumfahrt- und Militärprogramme im Vergleich dazu Zwerge wären. In unserer heutigen Zeit zählen Emotionen und Empfindungen mehr als Wahrheit, und der Wissenschaft gegenüber gibt es ungeheuer viel Ignoranz. Wir haben Romanautoren und grünen Interessenvertretern gestattet, sich die Ängste vor der Atomkraft und vor fast jeder neuen wissenschaftlichen Entwicklung genauso zunutze zu machen, wie die Kirchen das vor noch gar nicht so langer Zeit mit der Angst vor dem Höllenfeuer getan haben.
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Wir sind wie Passagiere eines großen Flugzeugs über dem Atlantik, denen plötzlich klar wird, wie viel Kohlendioxid ihre Maschine in die bereits überlastete Atmosphäre bläst: Es würde kaum etwas nützen, wenn sie den Piloten bäten, die Triebwerke abzuschalten und wie ein Segelflugzeug allein mit Windkraft weiterzufliegen. Wir können unsere energieintensive, mit fossilen Brennstoffen betriebene Zivilisation nicht abschalten, ohne dass es zum Absturz kommt; wir brauchen eine weiche Landung nach einem Sinkflug mit eingeschalteten Triebwerken.
Der Zeitpunkt, zu dem Veränderungen zum Schlechten nicht mehr rückgängig zu machen sind, könnte so nahe sein, dass es unklug wäre, sich darauf zu verlassen, internationale Vereinbarungen könnten die Zivilisation vor den Folgen der globalen Erwärmung retten. Der G8-Gipfel 2005 in Schottland hatte den Klimawandel auf der Tagesordnung, aber das wurde zur Nebensache, als es in London zu einem schwerwiegenden terroristischen Zwischenfall kam. Wir können es uns nicht leisten, auf Godot zu warten. Ohne das globale Ausmaß der Gefahr aus dem Blick zu verlieren, sollten die einzelnen Staaten über Möglichkeiten nachdenken, sich und auch die Welt zu retten.
Wir im Vereinigten Königreich stehen, wie im Jahr 1939 und vielleicht auch bald wieder, in erheblichem Umfang allein da; unsere künftige Versorgung mit Nahrungsmitteln und Energie kann nicht mehr als sicher gelten, wenn die Welt vom Klimawandel verheert wird. Wir müssen Entscheidungen treffen, die auf unseren nationalen Interessen basieren. Das ist weder chauvinistisch noch egoistisch: Es könnte die schnellste Möglichkeit sein sicherzustellen, dass immer mehr Staaten, getrieben von Eigeninteressen, lokal gegen den globalen Wandel vorgehen.
Die großen Schwellenländer Indien und China werden Mühe haben, ihren Verbrauch an fossiler Energie zu drosseln, genau wie die Vereinigten Staaten. Wir sollten nicht auf internationale Vereinbarungen oder Anordnungen warten.
In unserem kleinen Land müssen wir jetzt handeln, als stünde der Angriff eines mächtigen Feindes unmittelbar bevor.
Wir müssen sicherstellen, dass unsere Klimawandel-Abwehr steht, ehe es zum Angriff kommt. Am verwundbarsten sind jene Städte, die nicht weit über dem Meeresspiegel liegen, etwa London und Liverpool. Als Allererstes muss gewährleistet sein, dass sie in den Anfangsphasen des Klimakriegs adäquat verteidigt werden, und dann müssen wir uns darauf vorbereiten, uns aus ihnen in geordneter Weise zurückzuziehen, wenn die Fluten kommen.
Sobald die Erde rapide in ihren neuen, heißeren Zustand überzugehen beginnt, wird der Klimawandel mit Sicherheit den wirtschaftlichen und politischen Zusammenhalt der Welt zerschlagen. Der Import von Nahrung, Brennstoffen und Rohmaterialien wird immer weniger ausreichen, wenn die Lieferanten in anderen Weltgegenden unter Dürre und Überschwemmungen leiden.
Wir müssen die Synthese von Nahrungsmitteln aus nichts weiter als Luft, Wasser und ein paar Mineralien planen, und dazu ist eine sichere, reichlich sprudelnde Energiequelle nötig. Die äußerst fruchtbaren Ackerböden Ostenglands werden zu den Gebieten gehören, die mit als Erste überschwemmt werden. Die einzigen verlässlichen Energiequellen werden Kohle, das bisschen in der Nordsee noch übrige Öl und Gas, Kernkraft und ein paar erneuerbare Energien sein.
Der aufwendige und störende Bau von Windparks vor der Küste sollte auf der Stelle gestoppt werden, und die dadurch frei werdenden Mittel müssten in praktikable erneuerbare Energieformen gesteckt werden, wie beispielsweise ein Gezeitenkraftwerk an der Mündung des Severn; ein solches könnte stetig fünf bis zehn Prozent des landesweiten Energiebedarfs decken, wenn wir mit der gegenwärtigen Energieverschwendung aufhören.
Vor allem brauchen wir aber jenen Geisteswandel, der Stammesgesellschaften immer überkommt, wenn sie eine reale Gefahr verspüren. Nur dann werden wir die Entbehrungen einer Treibstoffrationierung und sonstige Zwangsmaßnahmen akzeptieren, die eine effiziente Verteidigung erfordert. Unser Ziel muss die Verteidigung unserer Zivilisation gegen das Chaos sein, das uns sonst überrollen kann.
Astronauten, die Gelegenheit hatten, die Erde aus dem All zu betrachten, sahen einen verblüffend schönen Planeten, und oft sprechen sie von der Erde als Heimat.
Ich bitte darum, dass wir unsere Ängste und unsere Fixierung auf individuelle und Stammesrechte beiseite schieben und Mut genug haben, zu erkennen, dass die wahre Bedrohung von dem Leid herrührt, das wir der lebendigen Erde antun, von der wir ein Teil sind und die in der Tat unsere Heimat ist.
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