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4. Vorhersagen für das 21. Jahrhundert

Lovelock-2006

 

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Michael Crichton argumentiert, langfristige Wettervorhersagen seien unmöglich, weil die Mathematik des Wettersystems chaotisch sei. Die meisten profess­ionellen Meteorologen würden ihm beipflichten. Aber er liegt ziemlich falsch, wenn er behauptet, dass dasselbe auch für Klima­vorhersagen gelte. Das Klima der Zukunft ist weit besser vorhersagbar als das zukünftige Wetter. Wir wissen, dass man unmöglich vorhersagen kann, ob es am 2. November 2010 in Berlin regnen wird oder nicht. Aber mit einiger Sicherheit können wir sagen, dass es in dieser Stadt im Januar kälter sein wird als im voran­gegangenen Juli.

Das Klimageschehen lässt sich berechnen, und daher sind sich viele Wissenschaftler ziemlich sicher, dass ein Anstieg des Kohlen­dioxids auf 500 ppm, wie er mittlerweile unvermeidlich scheint, von einem grundlegenden Klimawandel begleitet sein wird. Ihre Gewissheit gründet sich darauf, dass sie die Geschichte der vielen glazialen und interglazialen Ereignisse in den letzten zwei Millionen Jahren kennen. Die Analyse der antarktischen Eisbohrkerne ergab zweifelsfrei einen deutlichen Zusammenhang zwischen globalen Temperaturen, Kohlendioxid- und Methan­mengen.

Wenn wir wissen wollen, welche sozialen Verhältnisse im 19. Jahrhundert herrschten, greifen wir zu den großen Schriftstellern jener Zeit. Mehr noch, wir sprechen über ihre Romane, als wären sie wahre historische Berichte. Aus diesem Grund nehme ich Michael Crichtons Meinung ernst, nicht weil sie zuträfe, sondern weil er so großartige Geschichten erfinden kann; wenn es um abenteuerliche Erzählungen geht, zählt er sogar zu meinen Lieblingsautoren (die Mischung von mittelalterlicher Geschichte und Quantentheorie in seinem Buch <Timeline> beispielsweise ergibt beste Science-Fiction). 

Die Öffentlichkeit lässt sich von Autoren wie Michael Crichton viel leichter beeinflussen als von Wissenschaftlern.

Romanautoren und Film­produzenten sollten sich fragen, ob sie sicher sind, dass das, was sie erzählen, auch stimmt, ehe sie sich dem gebieterischen Imperativ der Handlung unterwerfen; dies ist wichtiger als je zuvor, da wir heute mit todbringenden Veränderungen konfrontiert sind.

 wikipedia  Welt in Angst         wikipedia  Michael_Crichton   *1942 in Chikago

Als Autorität für Informationen über das Klima und seine Vorhersage für das kommende Jahrhundert kann das Intergovernmental-Panel-on-Climate-Change (IPCC) gelten. 

Im Jahr 2001 veröffentlichte das IPCC seine dritte Einschätzung, die nächste ist für 2007 geplant. Sir John Houghton, ehemals Direktor des UK-Meteorological-Office, zählte zu den Vorsitzenden des IPCC, und sein Buch <Globale Erwärmung>, dessen deutsche Ausgabe 1997 herauskam, stellt die aktuellste und lesbarste Zusammenfassung dieses sich rasch ändernden Wissensgebiets dar. 

Interessant ist es, sich noch einmal die Ende der achtziger Jahre gemachten Klimavorhersagen anzusehen. Die folgende Grafik aus Stephen Schneiders 1989 erschienenem Buch <Global Warming> macht deutlich, was Klimatologen bei einer Konferenz im Jahr 1987 dachten (Abbildung 2). 

Ausgehend von dem damals verfügbaren begrenzten Wissen versuchten sie, so gut wie möglich das zukünftige Klima vorher­zusagen, und stellten ihre Annahmen als gepunktete Linien in der Grafik dar. Die obere dieser Linien entspricht einem Szenario, das sie in diesem Extrem fast für Science-Fiction hielten.

Das Kreuz, das ich der Grafik zugefügt habe, zeigt, wo wir jetzt stehen: Wir sind schon fast bei dem extremen Temperatur­wandel angelangt, der damals die Pioniere so erschrak. 

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Vorhersagen des künftigen Klimas basieren größtenteils auf mathematischen Modellen der Erde, die zunächst entwickelt wurden, um das Wetter für morgen oder übermorgen abzuschätzen. Diese Wettermodelle teilen die gesamte Atmosphäre in kleine Pakete auf und berechnen separat sowie in Kombination die Veränderungen, zu denen es wahrscheinlich in jedem Paket kommen wird. Um dies schnell und gut hinzubekommen, braucht man ziemlich leistungsfähige Computer; doch heute sind PCs so hoch entwickelt, dass Ihrer für ein bescheidenes Modell dieser Art vielleicht leistungs­fähig genug ist.

Wenn es um die Klimavorhersage geht, reicht es nicht aus, nur die Physik der Atmosphäre in Betracht zu ziehen. Wir müssen auch berücksichtigen, wie das Meer Wärme und Kohlendioxid speichert und diese dynamisch mit der Atmosphäre austauscht; wir müssen auch die Beschaffenheit der Landoberfläche kennen — ob sie mit Schnee bedeckt ist oder nicht, macht beispielsweise einen enormen Unterschied. 

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Wie wir heute wissen, sind Wälder nicht einfach passive Regionen mit fixen klimatischen Eigenschaften, sondern lebendige Akteure des Klima­systems; dasselbe gilt für die Oberflächen der Meere und die Organismen, die in ihnen leben. Wolken und in der Luft schwebende Staubpartikel wirken sich ebenfalls enorm auf das Klima aus. Um diese ungeheure Anzahl von Variablen berücksichtigen zu können, brauchen wir einen großen Computer. Am Hadley Centre im englischen Exeter und in der japanischen Wissenschaftsstadt Tsukuba gibt es die größten Klimamodelle der Welt, und die Wissenschaftler der beiden Institutionen arbeiten zusammen. 

Aber trotz des Expertenwissens und der Hochleistungscomputer sind unsere Vorhersagen nur provisorisch und schließen nicht alle möglichen Überrasch­ungen ein. Davon gibt es unserer Ansicht nach einige, etwa den Schwellenwert, an dem die Veränderungen irreversibel werden, und wir fragen uns, ob die Zirkulation warmer und kalter Strömungen im Nordatlantik nicht kurz vor einem plötzlichen Umkippen steht. Aber mit dem Unerwarteten können wir nicht viel besser umgehen als Kolumbus und seine Seeleute, als sie Segel setzten, um westwärts nach Ostindien zu fahren. Ihr Modell der Erde als Kugel war richtig, aber der reale Planet hielt eine gigantische, unvorhersehbare Überraschung parat: die Existenz des amerikanischen Kontinents. 

Wir wären gut beraten, statt mit Jahr um Jahr gleichförmig steigenden Temperaturen und Meeresspiegeln, wie sie das IPCC vorhersagt, mit plötzlichen und völlig unvorhergesehenen Umbrüchen zu rechnen.1

1) Wenn Sie selbst ein paar praktische Erfahrungen mit Klimamodellen sammeln wollen, gibt es dafür keine bessere Möglichkeit als das Buch <A Climate Modelling Primer> von Kendall McGuffie und Ann Henderson (2005). Auf der beigefügten CD sind Modellprogramme, die auf den meisten PCs laufen.

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Es gibt mehrere Gründe für die Annahme, dass unsere Reise in die Zukunft keine ruhige Fahrt wird und ein oder mehrere Schwellenwerte oder Umkipp­punkte unterwegs lauern. Jonathon Gregory und seine Kollegen von der Reading University berichteten 2004, wenn die globalen Temperaturen um mehr als 2,7°C stiegen, blieben die Gletscher Grönlands nicht länger stabil; sie würden abschmelzen, bis das meiste Eis verschwunden wäre, selbst wenn dann die Temperaturen wieder unter den Schwellenwert fielen. Weil Temperaturen und Kohlendioxidmenge offensichtlich eng zusammenhängen, kann der Schwellenwert in Form dieser Größen ausgedrückt werden. 

Richard Betts und Peter Cox vom Hadley-Centre sind zu dem Schluss gekommen, dass ein globaler Temperaturanstieg um 4°C ausreicht, um die tropischen Regenwälder zu destabilisieren und sie wie das Grönlandeis verschwinden zu lassen, woraufhin Buschland oder Wüste an ihre Stelle tritt. Wenn das passiert, verliert die Erde einen weiteren Kühlmechanismus, und das Tempo des Temperaturanstiegs beschleunigt sich abermals. 

Im ersten Kapitel habe ich ein einfaches Modell beschrieben, bei dem der sensible Teil des irdischen Systems das Meer ist. Wenn es sich erwärmt, wird der Bereich der Meere, in dem Algen wachsen können, kleiner und immer weiter zu den Polen verschoben, bis das Algenwachstum aufhört. 

Zu dieser Diskontinuität kommt es, weil die Algen im Ozean sowohl Kohlendioxid abpumpen als auch Wolken produzieren. (Die in den Meeren treibenden Algen entziehen der Atmosphäre aktiv Kohlendioxid für ihr Wachstum. Wir sprechen daher von »Abpumpen«, um diesen Prozess von der passiven und umkehrbaren Absorption des Kohlendioxids zu unterscheiden, wenn dieses sich in Regen- oder Meerwasser löst.) Der Schwellenwert für den Algenausfall liegt bei rund 500 ppm Kohlendioxid, ungefähr genauso hoch ist der für das nicht mehr aufzuhaltende Abschmelzen des Grönlandeises. Beim gegenwärtigen Tempo unseres Wirtschaftswachstums werden wir 500 ppm in rund 50 Jahren erreicht haben.

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Mittlerweile werden all diese wichtigen Teile des irdischen Systems überwacht — Grönland, die Antarktis, die Wälder Amazoniens sowie Atlantik und Pazifik —, und daraus zeichnet sich ein Trend zu unseren zeitlichen Maßstäben nach unumkehrbaren, todbringenden Veränderungen ab. Steve Connor, Wissenschafts­redakteur der Zeitschrift <Independent>, berichtete am 25.09.2005 von mehreren Klimatologen, denen zufolge das arktische Eis so rasch schmilzt, dass wir möglicherweise bereits einen Umkipppunkt passiert haben.

So tödlich der Moment letztlich sein mag — wenn wir den Schwellenwert des Klimawandels passieren, nehmen wir vielleicht gar nichts wahr, was diesen entscheidenden Schritt markieren würde, keinen Warnhinweis, dass wir an einem Punkt ohne Wiederkehr sind. 

Irgendwie erinnert das an die Beschreibungen einiger Physiker, wie sie sich die Erlebnisse eines Astronauten vorstellen, der unglücklicherweise in ein massives schwarzes Loch gerät. Bei einem schwarzen Loch nennt man den Punkt ohne Wiederkehr Ereignishorizont; ab dieser Entfernung von der Mitte des schwarzen Lochs wird die Schwerkraft so stark, dass noch nicht einmal Licht entkommen kann. Bemerkenswert daran ist, dass der den Ereignishorizont passierende Astronaut sich dessen gar nicht bewusst wäre. Für das Überschreiten von Schwellenwerten oder Ereignishorizonten gibt es keine Übergangsriten.

 

Seit einigen Jahren hängt über meinem Schreibtisch eine interessante Grafik: Sie zeigt die Temperaturen auf der Nordhalbkugel vom Jahr 1000 bis zum Jahr 2000. Angefertigt wurde sie von dem amerikanischen Wissenschaftler Michael Mann anhand einer Menge Daten aus Baumringen, Eisbohrkernen und Korallen. 

Ein Ausschnitt der Version im IPCC-Report von 2001 ist in Abbildung 3 abgedruckt. In Amerika wird die Grafik, größtenteils von Skeptikern, als »Hockeyschläger« bezeichnet, weil der Graph an einen liegenden, mit dem kurzen Ende nach oben weisenden Hockeyschläger erinnert. Ich habe ihn immer im Blick, um meine Argumentation gegenüber Skeptikern der globalen Erwärmung zu untermauern und auch um mich daran zu erinnern, wie schwerwiegend sie sein wird. 

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Der Graph zeigt die natürlichen Temperaturschwankungen. In den ersten 800 Jahren des vergangenen Jahrtausends gibt es einen leichten, aber erkenn­baren Abwärtstrend, der, wenn man ihn in die Zukunft projiziert, auf eine Eiszeit in rund 10.000 Jahren hinweist. 

Mit dem Einsetzen des Industrie­zeitalters um 1850 beginnt die Kurve langsam zu steigen, und dann klettert sie immer schneller in die Höhe bis zu Temperaturen, die 1°C über dem langfristigen Mittel liegen. Ein Temperaturanstieg um bloß 1°C mag banal erscheinen, aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir hier den Durchschnittswert für die halbe Welt sehen, die gesamte nördliche Hemisphäre. Der Unterschied zwischen dem langfristigen Durchschnitt der Grafik und der Eiszeit vor 12.000 Jahren beträgt nur etwas mehr als 3°C. Dem IPCC-Report von 2001 zufolge könnte die Kurve noch im Lauf dieses Jahrhunderts um weitere 5°C steigen. Das ist rund doppelt so viel wie die Temperaturveränderung von der letzten Eiszeit bis zum Beginn des Industriezeitalters.

 

  

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Etwa alle 25.000 Jahre verändern sich die Position und der Neigungswinkel der Erde zur Sonne so, dass die Wärme, die die Erde insgesamt bekommt, leicht zunimmt. Bei jedem dritten dieser aufeinanderfolgenden zusätzlichen Wärmeschübe erreicht Gaia ihre niedrigste Temperatur und ihren niedrigsten Kohlendioxidanteil; das ist ein heikler Zustand, bei dem die zusätzliche Hitze mehr ist, als bewältigt werden kann, und die Regulierung versagt. Dann tritt Gaia in eine instabile Phase namens Zwischeneiszeit ein, ähnlich einem Fieberschub bei einem Menschen.  

In dieser Verfassung ist die Erde jetzt.

Wir vergessen leicht, wie anders das Klima in der letzten Eiszeit war. Der größte Teil Nordwesteuropas einschließlich Skandinaviens und der Britischen Inseln lag unter 3000 Metern Eis begraben, der Gletscher war so dick wie heute der von Grönland. Nordamerika war gleichfalls bis hinunter zum 35. Breiten­grad, etwa auf der Höhe von St. Louis, vergletschert. 

Trotz all dieses Eises war es wahrscheinlich eine gesündere Welt als heute, und sowohl auf dem Land als auch in den Meeren gab es mehr Vegetation. Wir glauben dies, weil der Kohlendioxidanteil in der Atmosphäre damals unter 200 ppm lag. Es braucht eine Menge Leben, um den Wert so herunterzupumpen.

Der Meeresspiegel lag 120 Meter tiefer als heute, und eine Landfläche, die der Größe Afrikas entspricht und heute unter Wasser liegt, befand sich damals darüber. Ein Großteil dieses zusätzlichen Landes war in Südostasien, was erklären kann, warum Menschen während der Eiszeit nach Australien gelangten: Der Weg übers Meer war kurz genug, um ihn mit Flößen oder einfachen Booten zu schaffen. Stellen wir uns vor, vor 12.000 Jahren hätte es eine Kultur mit Städten an der Küste des damals nach Süden erweiterten Asiens gegeben. Wer hätte in jener Gesellschaft einem frühen Klimaforscher geglaubt, der behauptete, diese Städte würden bald 120 Meter tief im Ozean liegen?

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Die Veränderungen der künftigen Welt werden, wenn auch auf andere Weise, genauso groß oder noch größer sein. 

Richtig ist, dass der Meeresspiegel nicht um mehr als weitere 80 Meter steigen kann — das entspricht der Wassermenge, die freigesetzt würde, wenn das Eis Grönlands und der Antarktis schmölze. Aber die weltweite Gluthitze würde die Produktivität des verbleibenden Landes und auch der Meere reduzieren. Der Verlust von Vegetation würde das Tempo der Kohlendioxidabsorption reduzieren und so die Heißzeit für weitere 100.000 Jahre oder mehr begünstigen. 

Am deutlichsten sind Veränderungen momentan in der Arktis zu beobachten, wie im ersten IPCC-Report von 1990 vorhergesagt. Unten sind Satellitenansichten der Arktis von 1983 und 2003 sowie eine hochgerechnete Ansicht für irgendwann zwischen 2030 und 2050 abgebildet.

 

 

 

Das Treibeis der Arktis bedeckt eine Fläche von der Größe der Vereinigten Staaten und ist Heimat von Eisbären und anderen Tieren. Man trifft dort auch mutige Abenteurer, die zu Fuß zum Nordpol wollen. Doch vor allem dient das Eis uns als weißer Reflektor der einfallenden Sommersonne und hilft, die Welt kühl zu halten. Wenn dieses Eis schmilzt, wie es vielleicht bald der Fall sein wird, kann man mit einem Segelboot zum Nordpol gelangen, aber die Kühlkapazität des arktischen Eises werden wir verloren haben. Das dunkle Meer, das es ersetzen wird, absorbiert die Wärme der Sonne, heizt sich auf und beschleunigt das Schmelzen des Grönlandeises.

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Gaia wird unter dem Auftauen der Arktis und Grönlands leiden, aber hier werden vielleicht die zukünftigen Zentren einer entsprechend verkleinerten Zivilisation liegen, und Schifffahrtsunternehmen beginnen bereits, neue Polarrouten zu erkunden. Bald wird sich die Nordwestpassage öffnen, die so lange von Eis versperrt war. Die Tundren Sibiriens und des nördlichen Kanada, die oberhalb des Meeresspiegels bleiben, werden eine reiche Vegetation aufweisen, und das vergrößerte, mit Algen gefüllte arktische Polarmeer wird vielleicht zu zukünftigen Fischgründen.

 

Eine weitere von Klimatologen viel diskutierte Veränderung betrifft den Verlauf des großen ozeanischen Förderbands, das das Wasser der Weltmeere umwälzt. Der herausragende amerikanische Geowissenschaftler Wally Broecker warnte als Erster, der nordatlantische Teil dieses Förderbands hänge davon ab, dass nahe Grönland arktische Verhältnisse herrschen. An der Oberfläche des Atlantiks strömt warmes Wasser nach Norden, das durch Verdunstung salzhaltiger wird. Je mehr Salz im Wasser gelöst ist, desto schwerer ist es, und es würde in die Tiefe sinken, wenn das kalte Wasser darunter nicht noch dichter wäre.

Wenn sich dieses warme, dichte Salzwasser durch den Kontakt mit arktischem Eis abkühlt, sinkt es auf den Grund des Ozeans. Dieses Absinken liefert die Kraft, die das Förderband am Laufen hält und immer wieder wärmeres Salzwasser über den Atlantik nach Nordosten transportiert: Wir nennen das den Golfstrom. Broecker warnte, wenn das Absinken des abgekühlten salzigen Wassers aufhörte, würde Nordeuropa nicht länger vom warmen Golfstrom profitieren. In Sensationsfilmen und -büchern wird das oft so dargestellt, dass in Nordeuropa und an der Ostküste Nordamerikas wieder arktische Bedingungen herrschen. 

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Aber bis das passiert, wird natürlich das Eis der Arktis schon am Verschwinden sein. Ich frage mich, ob das Klima in Nordwesteuropa — wo es jetzt 8°C wärmer ist als in denselben Breiten anderer Weltgegenden — bei der globalen Erwärmung nicht annähernd gleich bleibt, weil der Verlust von 8°C durch ein Versiegen des Golfstroms ungefähr dem vorhergesagten Temperaturanstieg durch die globale Erwärmung entspricht. Vielleicht ist das nicht mehr als Wunschdenken, und mit Sicherheit müssen wir den Preis dafür in Form verlorenen Landes bezahlen, das der anschwellende Ozean sich zurückholt.

Wenn wir vom Klimawandel sprechen, denken wir oft nur an den Temperaturanstieg und weniger an die Veränderungen sonstiger Qualitäten der physischen Umwelt. Kangsheng Wu hat seine Forschungen auf die Süßwasserbilanz der Welt konzentriert und berichtet, dass stetig mehr Süßwasser in die Ozeane abfließt, vor allem im Nordpolargebiet. Auch der abnehmende Salzgehalt des Wassers im Nordmeer könnte den Verlauf des Golfstroms ändern. In ähnlicher Weise könnte zunehmende Wärme die Hadley-Zellen (siehe S. 119-120) ausweiten und so zu einer Verlagerung der Passat- und Westwinde in Richtung der Pole führen. Zu Veränderungen solch anderer Klimamerkmale wird es sicherlich kommen, wenn sich die Erde aufheizt. Experten, die große Pläne für erneuerbare Energien in Form von Wind- und Wasserkraft entwickeln, müssen daran denken, dass sie Gefahr laufen, teure Fehler zu machen.

Wir können nicht zurück zur schmerzlich schönen Welt des Jahres 1800, als es nur eine Milliarde Menschen gab, aber wir können vielleicht die Folgen der globalen Erwärmung abmildern. Wenn es einen Schwellenwert gibt und wir ihn überschreiten, könnten die Staaten der Welt den Schaden begrenzen, indem sie die Emissionen von Kohlendioxid und Methan stoppen. 

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Dann verliefe der Temperaturanstieg langsamer, ebenso der Anstieg des Meeresspiegels, und es würde länger dauern, bis wir den heißen, stabilen Endzustand erreichen, als wenn wir weitermachen wie gewohnt. Doch selbst dann würden noch immer enorme Schäden angerichtet. In einem späteren Kapitel werde ich von Vorschlägen berichten, entweder auf der Erde oder im Weltall Sonnenschirme einzusetzen, um uns wieder auf vorindustrielle Temperaturen abzukühlen. Doch selbst wenn wir damit Erfolg hätten, würden wir uns dann die enorme Verantwortung aufbürden, das Erdklima zu managen, was vorher völlig kostenlos Gaia getan hatte, und wir müssten noch immer Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen, um die Vergiftung des gegen­wärtigen Meereslebens zu verhindern. 

Kürzlich berichtete die BBC in ihrer Wissenschaftsserie <Horizon> über das »globale Dimmen«; in dieser Sendung äußerten Klimawissenschaftler, unter ihnen V. Ramanathan und Peter Cox, ihre Sorge, dass wir bei der globalen Erwärmung in gewisser Hinsicht bereits den Punkt ohne Wiederkehr passiert hätten. Der wissenschaftliche Hintergrund war 2005 in einem Artikel in <Nature> nachzulesen; zu den Autoren zählte unter anderem der herausragende deutsche Wissenschaftler M.O. Andreae.

Die Industriegesellschaft hat neben den Treibhausgasen eine riesige Menge von Aerosolpartikeln in die Atmosphäre geblasen, und diese winzigen Schwebeteilchen reflektieren das auftreffende Sonnenlicht ins Weltall und bewirken damit eine globale Abkühlung. In weiten Teilen der Welt werfen Aerosolnebel genügend Sonnenenergie in den Raum zurück, um die globale Erwärmung zu verzögern. Sie allein haben eine globale Abkühlung von 2 bis 3°C bewirkt. Damals in den sechziger Jahren, als wir viel weniger über die Erde und ihre Atmosphäre wussten, spekulierten ein paar Wissenschaftler sogar, dass ein fortgesetztes Wirtschaftswachstum die Dichte der Aerosole so steigern würde, dass die globale Abkühlung in eine baldige nächste Eiszeit münden könnte.

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Das gegenwärtige Ausmaß der Abkühlung durch Aerosole bietet Anlass zur Sorge. Sie hat vielleicht dazu geführt, dass wir weitermachten wie bisher, ohne dabei zu merken, wie sehr wir die Erde bereits verändert haben, und dass wir den Zeitaufschub irgendwann zurückzahlen müssen. Aerosolpartikel bleiben nur kurze Zeit in der Atmosphäre: Binnen Wochen sinken sie zu Boden. Das heißt, dass jeder große Wirtschaftsabschwung oder jede absichtliche Reduktion der Verwendung fossiler Brennstoffe oder eine unkluge Gesetzgebung zum Stoppen von Schwefelemissionen, wie sie die Europäer jetzt auf den Weg bringen, um dem sauren Regen Einhalt zu gebieten, zur Folge hat, dass der Treibhauseffekt unmittelbar zum Tragen kommt.

Man vermutet, dass die Hitzewelle des Sommers 2003 in Europa zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass die Europäische Union versuchte, die Aerosole einzudämmen, die Ursache des sauren Regens sind. Peter Cox wies daraufhin, dass die Klimamodell-Bauer, eben weil die Aerosole nicht in vollem Umfang berücksichtigt wurden, möglicherweise die Empfindlichkeit ihrer Modelle gegenüber Treibhausgasen unterschätzten und somit nicht bemerkten, dass wir vielleicht schon jenseits des Punktes ohne Wiederkehr sind.

Vorhersagen des Klimawandels stützen sich nicht allein auf theoretische Modelle in Form von Computersimulationen der Erde. Weltweit gibt es heute ein breites Spektrum von Überwachungsaktivitäten. Luft- und Meerestemperaturen werden ständig gemessen, genauso die Gaszusammensetzung der Atmosphäre, die Wolkendecke, das Treibeis und die Gletscher sowie die Gesundheit der Ökosysteme in den Meeren und an Land. Ob die Modelle richtig sind, wird daher kontinuierlich anhand von Beobachtungen in der realen Welt überprüft. Aus ihrer Umlaufbahn überwachen Satelliten die sich ständig wandelnde Szenerie der Erde. An Bord haben sie empfindliche Instrumente, mit denen sie die Temperaturen unterschiedlicher Luftschichten und viele verschiedene Atmosphärengase überwachen können; sie kontrollieren auch die Gesundheit von Ökosystemen.

Oft denke ich darüber nach, dass das große, noch nicht besungene Wunder des Raumfahrtprogramms darin besteht, dass es uns so viel über die Erde gelehrt hat.

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Eine weitere wichtige Informationsquelle für die Ursachen des Klimawandels sind die langfristigen geologischen Daten. Immens viel haben wir über die Klimageschichte und die Zusammensetzung der Erdatmosphäre aus der Analyse des Eises gelernt, das aus den Tiefen der grönländischen und antarktischen Gletscher geholt worden ist. Wenn Schnee auf Gletscher fallt, wird zwischen den Kristallen Luft eingelagert. Jeder neue Schneefall begräbt seinen Vorgänger, und dadurch wird die Luft in kleinen geschlossenen Eisblasen gefangen, sodass es kontinuierliche Daten gibt, die zurück bis zu Schneefällen vor einer Million Jahren reichen. Die Blasen, die in den aus den Gletschern geholten Eisbohrkernen eingeschlossen sind, liefern Proben vergangener Atmosphären, und aus deren Analyse ergibt sich die Zusammensetzung der damaligen Luft. 

In dieser gigantischen Datenbank sind nicht nur die wichtigsten Gase — Sauerstoff und Stickstoff — verzeichnet, sondern auch die Spurengase, Kohlen­dioxid und Methan. Indirekt können wir daraus auch die Temperatur der Erde zum Zeitpunkt des Lufteinschlusses anhand der Isotopen­zusammen­setzung von Sauerstoff und Wasserstoff errechnen. Es gibt auch gute Möglichkeiten, die analysierte Luft zu datieren. In diesem großen Informationsspeicher finden wir Beweise, die unsere Behauptung bestätigen, dass Temperatur und Kohlendioxidanteil eng miteinander zu tun haben. Wir wissen, dass auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit das Kohlendioxid auf 180 ppm fiel, nach deren Ende auf 280 ppm stieg und heute infolge unserer Umwelt­verschmutzung bei 380 ppm liegt. Wir haben bereits jetzt eine Veränderung der Atmosphäre bewirkt, die genauso groß ist wie die zwischen Eiszeit und Zwischeneiszeit. Wenn der Anteil bei 380 ppm bleibt, dürfen wir einen vergleichbaren Temperaturanstieg erwarten, wahrscheinlicher aber ist, dass wir die Luft weiter verschmutzen und er auf 500 ppm oder mehr steigen wird.

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Gehen wir länger in der Erdgeschichte zurück, so hat es Hitzeperioden gegeben, die derjenigen ähneln, auf die wir jetzt unserer Ansicht nach zutreiben. Zur bislang letzten kam es vor 55 Millionen Jahren zu Beginn der geologischen Epoche namens Eozän. Sie ist Thema mehrerer Aufsätze von Professor Harry Elderfield von der Cambridge University. In gewisser Hinsicht ähnelten die damaligen Verhältnisse unserer heutigen Luftverschmutzung, und Ursache war die Freisetzung von 0,3 bis 3,0 Teratonnen fossilen Kohlenstoffs (eine Teratonne entspricht einer Billion oder 10hoch12 Tonnen). Man diskutiert noch, woher diese ungeheuren Mengen von Kohlenstoffgasen stammen könnten: vielleicht aus Ablagerungen natürlichen Methans in kristalliner Form, sogenannter Clathrate, auf dem Meeresboden, vielleicht von riesigen kohlenstoffhaltigen Ablagerungen im Nordatlantik, als diese von einem unterirdischen Vulkan aufgeheizt wurden.2)

Zum Vergleich: Durch die Verbrennung fossiler Energieträger und die Landwirtschaft haben wir bereits eine halbe Teratonne Kohlenstoff freigesetzt, und diese Menge liegt in dem Bereich, den man für die Hitzeperiode des Eozäns verantwortlich hält. Allerdings gibt es zwischen der Eozän-Katastrophe und unseren heutigen Verschmutzungen Unterschiede. Beispielsweise gelangte im Eozän hauptsächlich Methan in die Atmosphäre, nicht Kohlendioxid wie heute. 

2) Eine Darstellung dieses hypothetischen Ereignisses findet sich in einem Aufsatz des norwegischen Wissenschaftlers Henrik Svensen und seiner Kollegen (Nature, 5. Juni 2004).

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Anhand der geologischen Daten vermutet Professor Elderfield, dass vor 55 Millionen Jahren in den gemäßigten Breiten die Temperaturen um rund 8°C stiegen und um 5°C in den Tropen — und zwar ausgehend von einer Welt, die etwas wärmer war als die heutige und nur wenig polares Eis aufwies. Die Störung hielt 200.000 Jahre an. Die plötzliche Freisetzung von Methan zu Beginn der Hitzeperiode wärmte die Erde rapide auf, da das Gas Infrarotstrahlung stark absorbiert, aber dann wurde es in der Atmosphäre durch Oxidation in Kohlendioxid und Wasserdampf zerlegt, und es war das Kohlendioxid, das die Temperaturen so lange Zeit so hoch hielt. Wenn Kohlendioxid aus der Luft chemisch mit Kalziumsilikat in Felsen reagiert, sprechen Geologen von »chemischer Verwitterung«; dieser Prozess verläuft langsam, es dauert rund 100.000 Jahre, bis 63 Prozent des Gases aus der Atmosphäre entfernt sind. 

Wir wissen heute anhand der Gaia-Theorie, dass das Leben auf der Erdoberfläche und im Boden die Felsenverwitterung aktiv beschleunigt. Aber während der Heißzeit des Eozäns waren Land- und Ozeanoberflächen weitgehend verödet, und das mag der Grund sein, warum sich das Kohlendioxid so lange in der Atmosphäre hielt. Darüber hinaus blieb die Erde warm, weil andere biologische Kühlmechanismen, die bei einer gesunden Erde funktionieren, während der Heißzeit des Eozäns nicht greifen konnten. Wenn die heutigen Verhältnisse den Eozän-Emissionen gleichen, sollten wir uns auf eine Hitzeperiode vorbereiten, die so lang oder noch länger dauert wie eine Eiszeit. Aber auch wenn die Ausgangsbedingungen des Eozän-Ereignisses denen der heutigen Erde ähnelten, gibt es zwei wichtige Unterschiede: Zum einen ist die Sonne mittlerweile rund 0,5 Prozent heißer als vor 55 Millionen Jahren, was rund 0,5°C bei der globalen Temperatur entspricht; zum anderen haben wir rund die Hälfte der irdischen Wälder in Nutzland, Gestrüpp und Wüste umgewandelt und folglich die Kapazität der Erde zur Selbstregulierung reduziert. 

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Neben Kohlendioxid und Methan gibt es heute noch verschiedene andere Treibhausgase, deren Anteile in der Atmosphäre zur globalen Erwärmung beitragen; dazu zählen CFKs, Stickoxide und andere Produkte aus Industrie und Landwirtschaft.

Die Erde hat sich nach solchen Fieberschüben immer erholt, und es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass unser gegenwärtiges Verhalten Gaia zerstören wird, aber wenn wir weitermachen wie bisher, wird sich unsere Spezies vielleicht nie wieder der saftig grünen Welt erfreuen, die wir vor bloß 100 Jahren noch hatten. Am meisten gefährdet ist die Zivilisation selbst; Menschen sind zäh genug, dass Paare überleben, die sich vermehren, und Gaia ist die Zäheste von allen. Was wir tun, schwächt sie, wird sie aber wahrscheinlich nicht vernichten. In ihren drei Milliarden Jahren oder mehr hat sie zahllose Katastrophen überlebt.

Trotz der Hitze wird es auf der Erde noch Orte geben, die unseren Maßstäben nach hinreichend angenehm sind; das Überleben von Pflanzen und Tieren im Eozän bestätigt das. Vielleicht werden die nordwesteuropäischen Inseln dank ihrer Lage weit nördlich im Meer zu solchen Rückzugsgebieten zählen, auch wenn sie bloß noch ein Archipel von Inselchen sein werden. Doch wenn es zu solch gigantischen Veränderungen kommt, werden höchstwahrscheinlich nur wenige von den heutigen Milliarden Menschen überleben.

Ich halte es für notwendig zu wiederholen, dass die gleichförmig ansteigenden Temperaturen des dritten IPCC-Reports einen geschätzten durchschnittlichen Wandel des globalen Klimas widerspiegeln, aber eben nicht die unvorhersehbaren Extreme einschließlich Überschwemmungen und schwerer Stürme. 

Wir müssen mit klimatischen Veränderungen rechnen, an die bislang niemand dachte, an einmalige Ereignisse, die nur bestimmte Regionen in Mitleidenschaft ziehen. Einen ersten Vorgeschmack bietet die beispiellose europäische Hitzewelle des Jahres 2003, als über 30.000 an Hyperthermie starben. Schweizer Meteorologen berechneten die Wahrscheinlichkeit, dass dies nicht mehr als ein ungewöhnlich heißer Sommer war, mit 300.000 zu 1.

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Langsamere, sich über Jahrzehnte erstreckende Klimaschwankungen machen unsere Vorhersagen ebenfalls problematisch. In einem <Science>-Beitrag vom Juli 2005 beschäftigten sich Rowan Suttan und Daniel Hodson von der Reading University mit Jahrzehnte währenden Erwärmungs- und Abkühlungstrends im Lauf des 20. Jahrhunderts im Nordatlantik; sie stellten fest, dass die außergewöhnliche Hitze in Europa im Jahr 2003 in eine dieser Erwärmungsperioden fiel, genau wie eine vergleichbare Hitzeperiode in den sechziger und siebziger Jahren. Der momentanen Warmperiode ging eine kühlere in den achtziger Jahren voraus. Schwankungen dieser Art überlagern die nach oben weisende Kurve der globalen Erwärmung, und wir müssen darauf achten, dass wir unerwartete Wärme oder Kälte nicht als Beweise für oder gegen die globale Erwärmung überinterpretieren.

Zwischen jenen, die eine globale Erwärmung in Zweifel ziehen, und denen, die wie ich die Möglichkeit eines drastischen Klimawandels fürchten, stehen die konservativen Klimatologen, die zwar die globale Erwärmung bestätigen, es aber für unwahrscheinlich halten, dass sie schwerwiegende Folgen haben wird. Zu ihnen zählen Tom Wigley sowie G.Meehl und Kollegen, die jeweils im März 2005 Beiträge in <Science> veröffentlichten. Es sind gute und durchdachte Aufsätze, die eine Welt vorhersagen, die sich bis zum Jahr 2100 allmählich um 2°C erwärmen wird, wobei der Meeresspiegel zwischen 10 und 30 Zentimetern steigen wird — vorausgesetzt, dass die Emissionen drastisch reduziert werden. 

Ich hoffe von Herzen, dass sie recht haben, bleibe aber bei meiner düstereren Sicht der Zukunft. Und zwar, weil wohl mehrere wichtige Eigenschaften des irdischen Systems in ihren Berechnungen nicht berücksichtigt wurden. 

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Diese sind:

1. Die Möglichkeit, dass auf der Nordhalbkugel die momentanen, menschengemachten Aerosole verschwinden. Wegen ihrer kurzen Verweil­dauer könnte eine Wirtschaftskrise oder irgendeine Katastrophenserie dazu führen, dass sie binnen Wochen zurückgehen, wobei das Treibhaus aber in Funktion bleibt.

2. Vielleicht wurde vernachlässigt, in welchem Ausmaß sich das irdische System in positiver Rückkopplung befindet. Dies würde die Sensibilität ihrer Modelle gegenüber zunehmenden Treibhausgasen geringer machen, als die Autoren annehmen.

3. Möglicherweise haben sie nicht die Rückkopplungen der natürlichen Wälder und der ozeanischen Algen-Ökosysteme berücksichtigt. Diese können den Wald zu einer Quelle atmosphärischen Kohlendioxids statt einem Speicher machen, wenn immer mehr Hitze die Vegetation absterben lässt. Zum selben Effekt kommt es bei den Meeresalgen, wenn das Wasser sich erwärmt und das Abpumpen von Kohlendioxid dadurch verlangsamt wird.

4. Allzu oft wird davon ausgegangen, dass die ungeheuren Veränderungen der Landoberfläche durch Land- und Forstwirtschaft geringen oder keinen Einfluss auf die Sensibilität und Elastizität des irdischen Systems haben. Ich halte es für wahrscheinlich, dass die Ersetzung natürlicher Ökosysteme durch landwirtschaftliche Nutzflächen die Dynamik der klimatischen Rückkopplung verändert hat.

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Im Lauf ihrer Geschichte hat die Erde schon viele verschiedene Klimaverhältnisse erlebt. Kurz nachdem das Leben entstanden war, entwickelte sich Gaia als Regulierungs­system; wir glauben, dies führte zu einem grundsätzlichen Wandel in der Zusammensetzung der Atmosphäre, die nun nicht mehr von Kohlen­dioxid, sondern von Methan dominiert war. So blieb es rund eine Milliarde Jahre, bis Sauerstoff das chemisch dominante Gas wurde. Zunächst war dessen Anteil gering, aber schließlich stieg er so weit an, dass sich die Luft entwickelte, wie wir sie heute atmen.

Weil die Temperatur für lebende Organismen so wichtig ist, beeinflusst sie stark deren Verteilung auf der Erde. Satellitenaufnahmen, die nur die Verteilung des Chlorophylls zeigen — des grünen Pigments, mit dem pflanzliche Lebensformen Sonnenlicht in organische Stoffe umwandeln —, bieten einen guten Anhaltspunkt, wie sich die Temperatur auf die geografische Verteilung des Lebens auswirkt. 

Chlorophyll ist ein wesentlicher Bestandteil aller primären Produzenten, die mithilfe der Sonnenenergie aus den Grundchemikalien des Ozeans und der Atmosphäre die Nahrung für andere machen; an der Verteilung des Chlorophylls lässt sich die der Pflanzen und Algen ablesen. Sie zeigt auch, wo sich andere Lebensformen befinden, die sich von diesen Pflanzen und Algen ernähren. 

Abbildung 5 zeigt drei Weltkarten, anhand derer man die Verteilung von Pflanzen und ozeanischen Algen ablesen kann, wenn es auf der Welt 5°C kühler beziehungsweise 5°C heißer als heute ist. Die Karte in der Mitte — der gegenwärtige Zustand — illustriert, dass die Antarktis und ein Großteil der Nordpolarregion fast kein Leben aufweisen; der größere Teil der Weltmeere ist auch ziemlich arm an Leben, eine Ausnahme bilden die Gebiete um die Kontinente herum sowie Arktis und Antarktis. Die heißen und trockenen Wüsten Afrikas, Asiens, Nordamerikas und Australiens sind ebenfalls nur spärlich belebt. Reichlich gedeiht das Leben nur dort, wo es an Land warm und feucht und im Ozean ziemlich kühl — unter 12°C — ist.

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Man vergleiche die mittlere mit den beiden imaginären Karten: Die untere zeigt eine Erde, die 5°C heißer ist als jetzt, ungefähr der Wert, den das IPCC für das Ende dieses Jahrhunderts vorhersagt, und die obere eine Welt, die 5°C kühler ist als heute, nahe der Temperatur der letzten Eiszeit. Wie man am Überfluss des dort vorhandenen Lebens erkennen kann, mag es Gaia anscheinend kühl, was vielleicht der Grund dafür ist, dass sich die Erde für den größten Teil der letzten zwei Millionen Jahre — und vielleicht noch länger — in einem Eiszeitalter befand. 

Meiner Ansicht nach ist es sehr wichtig zu erkennen, dass eine heiße Erde eine geschwächte Erde ist. Auf dem heißen Planeten ist das Meeresleben auf die Ränder der Kontinente begrenzt, und an Land sind die Wüstenregionen viel ausgedehnter.

Bemerkenswert ist, dass das Leben auf der Erde nun seit fast vier Milliarden Jahren Bestand hat. Diese kosmische Lebensspanne entspricht fast einem Drittel des Alters des Universums insgesamt. Wenn das Leben bei der Temperatur so wählerisch ist, dann bedeutet das, dass sich die Erdtemperatur während der ganzen Zeit seiner Existenz nicht wesentlich verändert haben kann. Wir sind einigermaßen sicher, dass die Sonne wie alle vergleichbaren Sterne mit dem Altern heißer wird und heute um 25% stärker strahlt als zu der Zeit, da das Leben seinen Anfang nahm. 

Das entspricht einer Erwärmung der Erdoberfläche um 20°C; wenn die Erde am Anfang des Lebens sich mit 12°C gerade in einer Eiszeit befand, müsste ihre Temperatur heute also 32°C betragen; war es damals warm, beispielsweise um 25°C, müsste die Temperatur gegenwärtig bei 45°C liegen. Beide Werte sind weit höher als die 12°C der letzten Eiszeit und unser gegenwärtiger Durchschnitt von 16°C und auch noch deutlich höher als die 20°C, die aufgrund der globalen Erwärmung erwartet werden.

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Dieses Kapitel hat sich größtenteils um den Klimawandel gedreht, aber wir dürfen nicht vergessen, dass es auch große und katastrophale Veränderungen beim Süßwasserangebot geben kann, was Überschwemmungen und Dürreperioden zur Folge hat. Noch ist alles andere als klar, ob der beobachtete Anstieg des Meeresspiegels in den vergangenen 50 Jahren hauptsächlich auf die Expansion des Meerwassers aufgrund seiner Erwärmung oder hauptsächlich auf das Abschmelzen von Gletschern zurückzuführen ist. 

Der IPCC-Report von 2001 kam zu dem Ergebnis, dass die Expansion der Hauptgrund für den steigenden Pegel war, aber ein 2004 in <Nature> veröffentlichter Artikel von Wissenschaftlern der <National Oceanic and Atmospheric Administration> in Washington und ein Aufsatz von Jim Hansen in <Climate Change> im Jahr 2005 gelangen beide zu dem Schluss, dass das Ozeanvolumen größtenteils wegen des Abschmelzens von Eis an Land zunimmt. 

Wenn Jim Hansen recht hat, dann wird der rasch steigende Meeresspiegel — nicht unerträgliches Wetter — die größere Gefahr darstellen. 

Die Verheerungen, die in jüngster Zeit Hurrikane im Süden der Vereinigten Staaten anrichteten, vor allem in New Orleans, erinnern uns daran, was für Schäden zeitweilige Über­schwemm­ungen verursachen können; starke Regenfälle und Sturmfluten können genauso viel Unheil anrichten wie ein langsamer, permanenter Anstieg des Meeresspiegels. All diese Veränderungen gestalten wiederum die Verteilung von Wäldern und Wüsten und die Verfügbarkeit von Land für die Nahrungs­mittel­produktion um. 

Wir müssen zwar noch viel in Erfahrung bringen, aber es erscheint möglich, dass wir in ein paar Jahren, wenn der Kohlendioxidanteil 500 ppm überschreitet, in eine Phase eintreten, in der die Temperaturen bis zu einem neuen stabilen Zustand steigen, der vielleicht 6 bis 8°C heißer sein wird als der heutige. 

Wir wissen nicht, ob diese neuen Verhältnisse auch auf lange Sicht stabil sein werden, und wenn wir dumm genug sind, die verbleibenden bewohnbaren Gegenden der Erde weiterhin landwirtschaftlich zu nutzen und die Luft weiter zu verschmutzen, kann es zu einem endgültigen Kollaps kommen. 

In der Wissen­schaft ist nichts sicher, aber die Gaia-Theorie wird mittlerweile überall auf der Erde durch handfeste Beweise bestätigt, und ihr zufolge haben wir nur noch wenig Zeit, wenn wir die von ihr vorhergesagten unangenehmen Folgen vermeiden wollen.

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Lovelock 2006