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2. Sprache, Aussprache und Trauerarbeit

 

 

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Maaz) Ja, das ist und bleibt eine Kunst. Das Wichtigste aber ist die Selbstwahrnehmung: zu wissen, wie man sich wirklich fühlt, was man verstehen kann und zu geben imstande ist. Wir machen uns oft etwas vor dabei: Wir wollen gute Mutter oder guter Vater sein, phantasieren uns in diese Rolle und verhalten uns bemüht danach, sind dabei aber nicht mehr echt. 

Nach all unseren psychotherapeutischen Erfahrungen müssen wir davon ausgehen, dass viel mehr als das Gewollte und Aufgesetzte das wirklich Empfundene beim Kind wirkt. Es nützt nichts, dem Kind zu sagen, dass man es liebt, wenn es in der Tiefe nicht stimmt. Das Kind spürt den Widerspruch, das Unechte, ohne es noch verstehen zu können. 

Also, um authentisch sein zu können, muss man herausfinden, wie man wirklich empfindet und denkt, weg von Fremderwartungen und Selbstbetrug. Die Selbst­wahrnehmung muss geübt und im sozialen Austausch geprüft werden. Auf dieser Grundlage wird die Frage: "Wie sag ich es meinem Kind?" nebensächlich. Wir dürfen davon ausgehen, dass das Kind sowieso spürt, wie Mutter oder Vater empfinden und zum Kind eingestellt sind. Das Kind orientiert sich an der Mimik, an Gesten, an der Körperhaltung, am Körperkontakt, am Tonfall, am Blickkontakt. Der Säugling lebt von den emotional-nonverbalen Signalen, später kommt der spielerische Umgang und noch später erst die sprachlich-kognitive Verständigung dazu.

Wer als Eltern eigene Grenzen spürt, sollte sich Unterstützung bei der Betreuung von Kleinkindern organisieren, um sich nicht zu etwas nötigen zu wollen, was beim Kind eher negativ ankommt. Wichtig ist auch, dass man die Gefühle des Kindes bei unvermeidbaren Begrenzungen akzeptiert und bejaht, damit kann es Mangel­erfahrungen abreagieren. Es sollte also nicht falsch getröstet werden ("es ist ja gut!", "es wird schon wieder!"), sondern im Gefühlsausdruck bejaht werden ("ja, das ist jetzt traurig für dich!", "das tut weh", "ich verstehe deine Empörung"). 

Und wenn sprachliche Kommunikation möglich ist, sind es die Ich-Botschaften, mit denen der Erwachsene seine Befindlichkeit, seine Grenzen, seine Erschöpfung mitteilen kann, ohne das Kind für seine Wünsche und Ansprüche zu beschimpfen, zu belehren oder gar abzulehnen.

 

Eltern haben oft Schuldgefühle ihren Kindern gegenüber oder möchten keinen Stress mit ihnen erleben — sie sind dann mehr bei sich und ihren Problemen als einfühlsam bei den Bedürfnissen des Kindes. Wir können ganz klar sagen, dass Kinder für eine gesunde Entwicklung auch die Erfahrung von Begrenzung brauchen. Wünsche und Bedürfnisse werden durch die Realität immer begrenzt. Das muss jeder Mensch erfahren und akzeptieren lernen, wobei immer der Gefühlsausdruck wesentlich helfen kann, Unvermeidbares annehmen zu lernen. Wut reguliert die Spannung der Verbote, Schmerz mildert den Mangel und Trauer verarbeitet Verluste.

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Kinder müssen das Leben lernen, sie brauchen Regeln, Rituale und Strukturen. Ein klares Ja oder ein klares Nein gibt ihnen Orientierung. Damit wissen sie, woran sie sind und werden dies dankbar hinnehmen. Nur wenn die Gebote und Verbote zu eng, zu unnatürlich, zu falsch oder verlogen sind, wird die Struktur pathogen. Die berüchtigten Szenen im Supermarkt oder Restaurant weisen fast immer darauf hin, dass zwischen Eltern und Kind chronische Konflikte bestehen, die jetzt vom Kind hilfesuchend in die Öffentlichkeit getragen werden. 

Nur Kinder im Liebesmangel, bei Verlassenheit, bei Beziehungsnot und chronischer Kränkung suchen Mittel und Wege, ihre Eltern entsprechend zu terrorisieren oder etwas übermäßig haben zu wollen. Ihr schreiender Protest ist fast immer berechtigt, wird aber leider am falschen Ort oder in unver­ständlicher Weise ausgetragen. Diese Demonstration des Leids, die Verschiebung der berechtigten Affekte auf unpassende Situationen oder Personen ist auch ein zentrales Thema in der Psychotherapie Erwachsener.

 

Ja, Psychotherapie ist Erinnerungsarbeit mit dem Bemühen, das real Erlebte in den Ursachen, Zusammenhängen und Folgen zu verstehen. Wir arbeiten dazu vor allem in Gruppen. Durch die Berichte der einzelnen Teilnehmer wird jeder Einzelne angeregt und ermutigt, die eigene Lebensgeschichte zu erforschen. Die Gruppe wirkt wie ein Resonanzkörper und mit den Erinnerungen werden auch die schwelenden Gefühle aktiviert, denen wir zum Ausdruck verhelfen. Es ist immer wieder faszinierend, miterleben zu können, wenn Menschen ihren Gefühlsstau dadurch auflösen, dass sie berechtigten Zorn, erlittenen Schmerz und ungelebte Trauer endlich zum Ausdruck bringen können und sich darin akzeptiert erfahren. 

Ein echter Gefühlsausdruck dauert nie länger als etwa 20 Minuten, danach ist der Mensch erleichtert und nahezu heiter, auch wenn er gerade ganz furchtbare Erlebnisse fühlend erinnert hat. Er sieht auch ganz anders aus: rosig durchblutet, offener strahlender Blick, lebendig-aktiviert mit angenehmer Ausstrahlung. Dies ist eine ganz andere Erfahrung als neurotische Gefühle des Klagens, Jammerns und depressiven Leidens. 

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Es ist immer wieder erschreckend für mich, erkennen zu müssen, wie viel Unkenntnis und Fehleinschätzungen im Bereich der menschlichen Gefühle bestehen. 

Es gibt eine grobe Möglichkeit der Differenzierung: echte Gefühle stecken an — neurotische Gefühle stoßen ab, sind lästig und unangenehm. Aber diese ansteckende Wirkung authentischer Gefühle macht eben auch denjenigen Angst, die ihre Gefühle unterdrückt halten müssen. Dagegen werden unechte Gefühle gerne bestätigt und getröstet oder Mitleid geäußert, weil sie keine wirkliche Gefahr bedeuten, in Kontakt und Betroffenheit geraten zu können. Ich habe in vielen Workshops hysterisierte Gefühle kennen gelernt, die gerade eine ehrliche Öffnung vermeiden sollen.

 

Nein, natürlich nicht. Die erlittenen seelischen Verletzungen der Kindheit kann man nicht nachträglich ungeschehen machen. Erinnerungen an schmerzhafte Erfahrungen können immer wieder aktiviert werden. Aber es ist ein großer Unterschied, ob man die emotionale Reaktivierung unterdrückt halten muss oder ausdrücken darf. Die emotionale Zurückhaltung kostet viel Kraft und Energie, die man besser zur Lebensgestaltung verwenden könnte und der Gefühlsstau wird sich dennoch in Form von Symptomen oder Fehlverhalten ersatzweise entladen. 

Es ist wesentlich besser, sich wissend und gezielt emotional auszudrücken und dadurch vorübergehend deutliche Entlastung zu erfahren. Dann fühlt man sich einige Zeit entspannt und wohl, obwohl man eine Leidens­geschichte hat. Es kommt also darauf an, möglichst gut zu wissen, was einem angetan wurde, aber auch worin man gut gestärkt und unterstützt wurde, um aufkommende Gefühle im Zusammenhang mit dem ehemaligen Geschehen verbinden zu können: "Ich bin wütend auf..., ich trauere wegen..., es tut weh, weil..."

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Viele Frauen, die zu uns kommen, leiden an dem Gefühl, keine gute Mutter (gewesen) zu sein und gegenüber ihren Kindern versagt zu haben. Sie fühlen sich schuldig, reagieren mit Selbstvorwürfen und depressiven Verstimmungen. Das kann Ausdruck eines überhöhten oder abverlangten Idealbilds von sich sein, eines Anspruchs, perfekt sein zu wollen und so an der eigenen Realität ständig zu leiden. Dies entpuppt sich häufig als ein Symptom narzisstischer Selbstwert­problematik, die dann zu behandeln ist.

Viele Mütter tragen aber ihre Schuldgefühle gegenüber ihren Kindern wie Transparente vor sich her, um die Schuld der eigenen Mutter an ihnen nicht wahr­nehmen zu müssen. Die depressiven Selbstvorwürfe sind oft besser zu ertragen als die schmerzliche Erinnerung an den selbst erlittenen frühen Mutter­mangel. Man lernt die Mütterlichkeit in erster Linie natürlich von der eigenen Mutter und gibt — gewollt oder ungewollt — die entsprechenden Erfahrungen an die eigenen Kinder weiter. Aber bevor man zum Täter gegenüber seinen Kindern wird, war man Opfer der eigenen Mutter. Wenn ein solcher Zusammenhang durch die therapeutische Arbeit erkannt und emotional verarbeitet werden kann, haben diese Frauen keine übertriebenen Schuldgefühle mehr und können die wirkliche Schuld an ihren Kindern — nicht übertrieben — wahrnehmen und vor allem auch kommunizieren. Es gibt sehr anrührende Stunden, wenn ein echtes Schuldbekenntnis mit Bedauern und der Bitte um Vergebung von Eltern gegenüber ihren Kindern ausgesprochen wird.

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Ja, so ist es. Ich glaube nicht mehr an Heilung früher Verletzungen und Defizite. Deshalb ist ja die Prävention so wichtig mit dem Bemühen, die Kinder wirklich anzunehmen, verstehen und begleiten zu können. 

Für die Therapie steht nicht die Frage, wie kann man alles Schlimme wegtherapieren, sondern wie kann ein Mensch lernen, mit seiner Last und Not, aber auch mit seinen Fehlern und Begrenzungen zu leben. Denn ich bin davon überzeugt, dass ein Mensch normalerweise nicht an seinen Begrenzungen, Schwächen und seiner Fehlerhaftigkeit erkrankt, sondern an der Verleugnung der Mängel und ihrer Genese. Die Selbstlüge macht krank und vergiftet alle Beziehungen. 

Um mit seiner frühen Not und späteren Schuld halbwegs fertig werden zu können, ist intensive Gefühlsarbeit notwendig, und dies immer wieder, vor allem dann, wenn durch gegenwärtige Erfahrungen entsprechende belastende Erinnerungen aktiviert werden. 

Dies hört nie auf, kann aber wesentlich milder werden. 

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Das häufigste Symptom, das Frauen veranlasst, einen Psychotherapeuten zu konsultieren, ist Depressivität. Die Lebensenergie versiegt, sie sind unglücklich, unzufrieden mit sich und der Welt, sie kommen mit ihrem Leben überhaupt nicht mehr klar und sehen nur noch schwarz. Wenn man diese Spur verfolgt, weiter geht, hinter die Lebenskulissen blickt und Lebensschritte noch mal bedenkt und hinterfragt, dann kommen immer wieder bestimmte Themen zum Vorschein: Die Partnerschaft ist nicht mehr zufriedenstellend — es kann sich manchmal sogar um die dritte oder vierte Partnerschaft handeln, die nicht mehr "funktioniert" und in die Brüche geht. 

Dann kann es das anstrengende Doppelleben sein, der Spagat zwischen Beruf und Familie bzw. Kindern, der trotz ehrgeizigem Bemühen nicht mehr gelingt — man wird den Kindern nicht mehr gerecht und leidet darunter oder man kommt beruflich nicht weiter und fühlt sich minderwertig oder man war ein Leben lang Hausmütterchen, nun sind die Kinder aus dem Haus und man hat plötzlich keine Bedeutung mehr und fühlt sich völlig nichtig. Man merkt ganz plötzlich, dass man die eigene Entwicklung verpasst, dass man sich über die Kinder seelisch stabilisiert und kein Eigenleben geführt hat. Das sind einige der äußeren Anlässe, Situationen, die zu Erschöpfungszuständen, Depressionen, Herzbeschwerden führen. 

Unsere therapeutische Arbeit besteht darin, nachzuforschen, wie es denn dazu gekommen ist. Und da wird oft zu Tage gefördert, dass diese Frauen im Grunde genommen selbst Opfer einer lieblosen Kindheit waren. Die meisten Frauen, die Opfer einer falschen Mütterlichkeit waren, suchen in der Partnerschaft genau das, was sie nie erfahren haben — die wahre mütterliche Zuwendung: Sie suchen sich einen liebevollen, verständnisvollen, einfühlsamen Partner, der sie unterstützt und beschützt, was auf Dauer natürlich nie wirklich gelingen kann. Entweder will die Frau immer mehr davon und der Partner erschöpft sich oder die autonomen und dominanten Seiten der Partnerin wollen sich auch entfalten bzw. die abhängigen und bedürftigen Seiten des Partners verlangen auch ihr Recht. 

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Eine Partnerschaft, die von frühen Bedürfnissen getragen ist, wird immer in der Enttäuschung und häufig auch im Hass aufeinander enden. Manche Frauen suchen auch in ihren Kindern das fehlende Mütterliche, das heißt: Sie brauchen die Kinder mehr, als sie den Kindern etwas geben könnten. Und sie erwarten, dass ihre Kinder sie verstehen, für sie da sind und alles ausgleichen. Dann aber müssen sie erfahren, dass es der falsche Weg war — er hat sie direkt in die "Krankheit" geführt. Aber dass es sich so verhält, dass ihr Weg als Partnerin oder Mutter tatsächlich der falsche war, das wird erst nach einer längeren therapeutischen Arbeit eingesehen. 

Denn die meisten klammern sich erst mal an ihre Symptome, ohne Hintergründe für möglich zu halten und wollen von ihrer Depression, von der Angst oder den psychosomatischen Störungen einfach passiv geheilt werden, wie es ja häufig in der Medizin als möglich vorgegaukelt wird. Unsere Aufgabe besteht dann darin, die Symptomatik in innere Konflikthaftigkeit übersetzen zu helfen: Was für ein individueller und sozialer Lebenskonflikt kommt in dieser speziellen Symptomatik zum Ausdruck? Dazu gehören auch die Fragen nach der Fähigkeit und Bereitschaft, Mutter oder Vater sein zu können.

 

Ja, meist sind es Frauen, die so hohe Erwartungen an sich stellen, dass sie sie niemals erfüllen können. Aber sie wollen es trotzdem, meist aus der eigenen Unsicherheit und Minderwertigkeit heraus: "Ich muss das und das schaffen, dann erst bin ich etwas wert!" 

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So läuft das unbewusste Programm ab. Dann aber kommt der Augenblick, in dem sie feststellen: <Es ist nicht zu schaffen>! Auch deshalb, weil der Effekt greift, dass die Norm immer höher und höher gesetzt wird, das heißt: Selbst wenn man etwas erreicht hat, reicht das noch immer nicht aus, denn der Anspruch ist automatisch höher gerutscht. Und das führt zu einer Endlosschleife, die zu Erschöpfung und Depression führen muss.

 

Ja, nur ist das dann wiederum ein langer Prozess, der auch nie aufhört, weil es darum geht, die eigene Entwicklung immer wieder zu erinnern, sich alles anzuschauen, zu ordnen und immer wieder all das, was an Verletzendem, Kränkendem, Einengendem, Mangelhaftem erfahren wurde, auch gefühlsmäßig zu verarbeiten.

Die Depression wehrt ja noch die Erkenntnis der Wahrheit über das, was einem wirklich in der frühen Kindheit geschehen ist, ab. Aber es stimmt, die Erkrankung ist der erste Schritt zur Gesundung und eine "gesunde" Reaktion auf "kranke" Lebensbedingungen. Aber die Depression muss verwandelt werden in die Aggression und Trauer über das erlittene Unrecht und den Verlust an Lebendigkeit.

 

Die Therapie, die wir hier bei uns durchführen, könnte dadurch tatsächlich erweitert werden — es wäre eine gute Variante, um einen Fall systemisch zu behandeln. Das wollte ich immer wieder mal einführen und organisieren, es hat aber hier in unserer Klinik leider aus krankenversicherungs-rechtlichen Gründen nicht geklappt — die Versicherungen tun sich da schwer.

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Jeder einzelne Patient muss krankheitsbedingt behandlungsbedürftig sein, systemisches Denken und damit die Beteiligung vordergründig nicht kranker Personen, die aber einen wesentlichen Anteil an pathogenen Strukturen haben, die nicht Symptomträger sind, wird nicht honoriert. Nur bei der ambulanten Behandlung von Kindern können wichtige Bezugspersonen mit einbezogen werden. Denkbar wäre es zum Beispiel, Mütter mit ihren kleinen Kindern in die Klinik aufzunehmen, um die Kommunikations- und Beziehungsstörungen zwischen Mutter und Kind unmittelbar erfassen und therapeutisch durcharbeiten zu können. Dies wird in wenigen Einrichtungen bereits praktiziert, bei uns ist es wegen äußerer Schwierigkeiten (Räume, Betreuungsmöglichkeit für die Kinder u.a.) bisher nicht zustande gekommen.

Wir haben aber gute Erfahrungen, dass nach der Behandlung erwachsener Kinder ein Elternteil zur Therapie kommt oder nach der Behandlung einer Mutter, eines Vaters später ein erwachsenes Kind zu uns kommt. Das wäre auch bereits für Jugendliche von großem Wert, aber diese Möglichkeit haben wir nicht, da das Aufnahmealter mindestens 18 Jahre sein muss. Wenn Eltern und Kinder für sich eine Psychotherapie in Anspruch nehmen, gibt es oft ganz neue Chancen der Verständigung, der Klärung und Versöhnung. 

Häufiger ist allerdings, dass die soziale Umwelt (Partner, Freunde, Eltern, Kinder, Kollegen) auf die Behandlung eines Patienten mit Unsicherheit, Verwirrung und Ablehnung reagiert. Jeder Patient ist ein Teil in einem sozialen System, wenn ein "Teil" sich verändert, wirkt sich das natürlich auf das ganze System aus. Wenn dafür kein Verständnis entsteht oder sogar mit Angst und Bedrohung auf die Veränderung reagiert wird, hat der Patient oft keine guten Entwicklungs­chancen und wird dann auf das Verhalten vor der Behandlung zurückgedrängt. Der Kranke soll der "Kranke" im System bleiben, um nicht die Pathologie des Systems oder das gestörte Verhalten der anderen erkennen zu müssen.

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Leider passiert es mitunter auch — obwohl wir immer eindringlich davor warnen —, dass in der Therapie gewonnene Erkenntnisse über die Kindheit und das Verhalten der Eltern, diesen dann heftig vorgehalten werden in der Erwartung, dass die Eltern nun endlich ihre Fehler einsehen würden und sich praktisch dafür entschuldigen. 

Das bleibt fast immer eine Fehleinschätzung, viel häufiger führen solche "Abrechnungen" zu neuen Konflikten und unüberbrückbaren Distanzen. Deshalb ist es ganz wichtig zu verstehen, dass Psychotherapie in erster Linie ein innerseelischer Prozess ist, der zu Erkenntnissen, Gefühlen und Verhaltens­veränderungen führen kann, aber nicht gegen andere (Partner, Eltern) ausgetragen werden soll. 

Psychotherapie ist Selbsterkenntnis, Übernahme von Verantwortung und das Lernen, Konflikte angemessen aufzuklären und zu regulieren.

 

Vorwürfe führen in den "Krieg". Der Wunsch, andere verändern zu wollen oder auf Einsichten bei ihnen zu hoffen, bleibt fast immer unerfüllt, nährt nur Illusionen und endet in Enttäuschung und Verärgerung. Es gibt nur den einen Weg: Selbsterkenntnis und eigene Veränderung.

Die Welt ist nicht so, wie ich sie haben möchte, ich kann aber immer erfolgreich daran arbeiten, so zu sein, wie ich wirklich bin. Dabei muss ich Entfremdung überwinden, eigene Fehler und Schwächen und Grenzen eingestehen und kann mir Ablehnung von anderen einhandeln. Aber die Erfahrung, echt und stimmig zu sein, ist so befreiend und stabilisierend, dass man auch negative Reaktionen gut aushalten kann. Wenn jemand gut mit sich übereinstimmt und echt ist, hat er immer eine überzeugende Ausstrahlung und wird unweigerlich auch Sympathie und Anerkennung auslösen. Allerdings nicht bei allen, nicht bei denen, die aus eigener Störung Angst vor Echtheit und Lebendigkeit haben.

 

Ohne Ausdruck der aufgestauten Wut gibt es keine wirkliche Entwicklung und "weise" kann man schon gar nicht werden. Es ist nur die Frage, wo, wann, wie und bei wem man seinen Frust abreagiert. Und es ist ein großer Unterschied, ob man aus dem Gefühlsstau heraus reagiert oder situativ angemessen auf real Ärgerliches. Wer aufgestauten Frust hat, reagiert häufig überzogen heftig und andere bekommen dann ab, was man ehemals gegen die tatsächlichen Täter nicht zu äußern wagte. 

Man kann unter geschützten Bedingungen — und sollte dies auch regelmäßig tun — schlagen, treten, toben und schreien und seine Wut z.B. an einen Box-Sack abführen. Man kann auch seinem Herzen bei einem unbeteiligten Dritten durch Schimpfen und Fluchen Luft verschaffen, um nicht krank zu werden oder militant. Oft braucht man Therapie, um seinen Gefühlsstau allmählich abzureagieren und dann in die Lage zu kommen, seinen aktuellen Ärger in angemessener Dosis und gezielt zum Ausdruck zu bringen.

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