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Persönliche Erkenntnis und Entscheidung  (Vorbemerkungen)

 

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In diesem Buch begründe ich meine Auffassung, daß jede Psychotherapie falsch ist. Obwohl ich viele einzelne Therapeuten und Therapien kritisiere, kommt es mir vor allem auf den Nachweis an, daß schon die Vorstellung, mit einer Psychotherapie etwas erreichen zu können, ein Irrtum ist.  

Allein aus der Struktur der Psychotherapie ergibt sich, daß der Therapeut, auch wenn er mit den besten Absichten an seine Aufgabe herangeht, gezwungen ist, die Würde, die Autonomie und die Freiheit der Person zu beeinträchtigen, die hilfesuchend zu ihm kommt.

Ich habe meine Ausbildung als Psychoanalytiker 1970 am psychoanalytischen Institut in Toronto begonnen. Acht Jahre später, 1978, wurde ich als Psychoanalytiker in die International Psycho-Analytic Association aufgenommen. Während der Ausbildung an einem klassischen und orthodoxen psychoanalytischen Institut, die sich zum großen Teil mit der Theorie und Technik der sogenannten »dynamisch orientierten Psychotherapie« beschäftigte, kamen mir bereits Zweifel, die ich für typisch halte: War das alles wirklich vernünftig? War mein eigener Zustand wirklich dem meiner sogenannten Patienten überlegen?

Zu meiner Ausbildung gehörte es, daß ich mich selbst fünf Jahre lang jede Woche an fünf Tagen analysieren ließ. Auch meine »Patienten« werden fünf Jahre jede Woche an fünf Tagen analysiert. Hätten wir nicht ohne weiteres die Plätze tauschen können? Verstand ich die »emotionalen Probleme, vor die uns das Leben stellt«, wirklich besser als andere, einschließlich der Menschen, die keine entsprechende Ausbildung genossen hatten? Lernte ich hier irgend etwas, das tatsächlich einen praktischen Wert hatte? Gab es irgendwelche »Fähigkeiten«, die ich mir hier aneignen konnte? 

Konnte ich lernen zuzuhören, mich in andere hineinzuversetzen oder Sympathie für sie zu empfinden und auf Vorurteile zu verzichten usw.? Und wenn das überhaupt möglich war, wurden mir diese Fähigkeiten hier vermittelt? Auch meine Kollegen hatten während der ersten Phase der psychoanalytischen Ausbildung ähnliche Zweifel. Aber bei mir bestanden diese Zweifel auch noch nach einer achtjährigen Ausbildung.

Aus alledem ergaben sich für mich drei Möglichkeiten: Mit mir selbst war irgend etwas nicht in Ordnung; die Ausbildung, die ich genoß, ging in die falsche Richtung; Theorie und Praxis der Psychotherapie genügten den Anforderungen nicht. Ich glaubte an die zweite, am wenigsten bedrohliche Erklärung und sagte mir, nach meinem Abschlußexamen in Toronto könnte ich in den Vereinigten Staaten und in Europa weitere praktische Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychoanalyse sammeln, und damit würden sich meine Zweifel am Wert der Psychotherapie zerstreuen lassen.

Ich ging nach Kalifornien, um eine Praxis als Psychoanalytiker zu eröffnen. Aber meine Zweifel blieben nicht nur, sondern verstärkten sich sogar. Ich kam zu dem Entschluß, daß ich nicht weiter praktizieren könne, bevor ich diese Fragen nicht geklärt hatte. Deshalb wandte ich mich der historischen Forschung zu. Das Problem, das mich am stärksten interessierte, war die Verwerfung der sogenannten Verführungstheorie durch Freud. 

Während meiner psychoanalytischen Ausbildung hatte ich gelernt, Freud habe ursprünglich geglaubt, die Frauen, die als Patientinnen zu ihm kamen, sagten die Wahrheit, wenn sie behaupteten, sie seien in ihrer Kindheit sexuell mißbraucht worden, und zwar oft von ihren eigenen Verwandten. Dann machte er, wie er glaubte, eine entscheidende »Entdeckung«: Was diese Frauen ihm erzählten, waren keine echten Erfahrungen. Freud behauptete nun, es seien in Wirklichkeit erfundene Geschichten und Phantasien. Oder aber es waren Erinnerungen an Phantasien. Freud hielt diese Phantasien zwar für bedeutsam, aber er sah in ihnen keine realen Vorgänge. Nach seiner Auffassung handelte es sich um Ereignisse, die in der Phantasie dieser Patientinnen stattgefunden hatten, nicht aber in der äußeren Wirklichkeit. 

Die Auswirkungen dieser »Entdeckung« — Freud ist nie auf den Gedanken gekommen, daß es sich nur um seine persönliche Meinung gehandelt hat —, waren gewaltig. Sie hat seither die psychoanalytische und therapeutische Praxis entscheidend beeinflußt und hat für die Patientinnen, die tatsächlich sexuell mißbraucht worden sind, unendliches Leiden gebracht.

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Denn andere Therapeuten haben sich der Überzeugung von Freud angeschlossen, was wirklich geschehen sei, ließe sich nicht unbedingt von der Person beurteilen, die es erlebt hatte. Bei der Therapie dürfe der Bericht einer Person über ein traumatisches Ereignis nicht wörtlich genommen und als Darstellung eines realen Vorgangs in der wirklichen Welt angesehen werden. Es könne nicht mehr als ein Symbol sein, ein Hinweis auf im Inneren verborgene unbestimmte Wünsche und Phantasien, auf nicht bewußt wahrgenommene Bedürfnisse, Impulse, Antriebe und Instinkte, die sich in einem jeden Menschen finden ließen.

Um feststellen zu können, was wirklich geschehen sei, brauche man nach dieser Auffassung eine äußere, objektive Quelle, eine Person, die in einem »aufdeckenden Verfahren« ausgebildet sei, und diese Person sei der Therapeut. Diese Auffassungen von Freud bildeten die Grundlage für die Ausbildung der nächsten Generation von Therapeuten. Der Therapeut glaubte, er wisse, wann seine Patienten in ihrem Inneren entstandene Phantasien mit der äußeren Wirklichkeit verwechselten, weil ihm die vom Begründer der Psychoanalyse vorgenommenen Analysen der Erfahrungen seiner Patienten als Wegweiser zur Verfügung stünden.

Viele Menschen glaubten, hier sei ein entscheidender Durchbruch bei der Bekämpfung menschlichen Leidens gelungen: Wenn die Menschen die innere mit der äußeren Realität so weit verwechseln könnten, daß sie einen verborgenen (und ihnen niemals bewußt gewordenen) Wunsch mit einer furchterregenden und lebendigen Erinnerung an eine sexuelle Vergewaltigung gleichsetzten, dann bestünde auch die Gefahr, daß sich ihnen viele andere Erfahrungen in ihrem Leben so verzerrt darstellen. Wie sollte man unter dieser Voraussetzung darauf vertrauen können, daß sie die komplexen Beziehungen zu ihren Müttern, ihren Vätern, ihren Kindern und sogar ihren Ehepartnern durchschauten? Die Vorstellung, daß nur der Psychoanalytiker beurteilen könne, ob irgend etwas real sei oder nur in der Phantasie des Patienten existiere, wurde zur Standarddoktrin und Grundlage der psychoanalytisch orientierten Psychotherapie.

In meiner psychotherapeutischen Ausbildung wurde mir von meinen Lehrern gesagt, daß Berichte über zwischenmenschliche Beziehungen stets nur als Darstellungen von Wünschen, Phantasien, Bedürfnissen und Erwartungen angesehen werden dürften.

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Sie könnten ebensowenig für bare Münze genommen werden wie die Berichte über sexuelle Vergewaltigungen in der Kindheit. Als ich daher die plötzliche Kehrtwendung Freuds näher zu untersuchen begann, untersuchte ich nicht irgendeinen obskuren Winkel in der Geschichte der Psychoanalyse, der nur noch ein paar Historiker interessiert, die sich mit einer längst überholten Theorie beschäftigen, sondern ich beschäftigte mich mit einem der Grundpfeiler der psychoanalytischen Therapie.

Die Ergebnisse meiner Untersuchungen wurden von meinen Berufskollegen zunächst nicht sehr freundlich und objektiv aufgenommen. Das hätte mich nicht überraschen sollen, denn als mein Buch Was hat man dir, du armes Kind, getan?1 Anfang 1984 erschien, beschäftigten sich die Rezensenten in erster Linie mit dem Charakter des Verfassers und weniger mit den darin behandelten Problemen.

Ich hatte angenommen, daß die Bedeutung der von mir aufgefundenen neuen Dokumente für die psycho­analytische Therapie — das waren zum Beispiel bisher nicht veröffentlichte Briefe von Freud, neues Material aus dem Pariser Leichenschauhaus über Kindsmißhandlungen und bisher unbekannte Seiten aus dem persönlichen Tagebuch von Ferenczi — von Kollegen geprüft werden würde, die mehr klinische Erfahrungen hatten als ich. Doch das war ein großer Irrtum. Wo immer ich meine Vorträge hielt, sogar in Frankreich, Italien, Spanien und Holland, beschäftigte man sich vielmehr vor allem mit meiner äußeren Erscheinung, meinem Anzug, meinen Motiven für die Untersuchung von Fällen der Kindsmißhandlung, meinen Beziehungen zu meinem Vater, meiner Mutter, meinem Psychoanalytiker, zu Anna Freud und anderen.

Ich hatte den Eindruck, daß weder meine Feststellungen noch ihre Bedeutung unvoreingenommen beurteilt würden. Und ich machte die Erfahrung, daß Menschen, die die geltenden Dogmen kritisieren, nicht ernst genommen werden. Schließlich tröstete ich mich mit der Erkenntnis, daß ich die für mich so schmerzlichen persönlichen Angriffe meiner Naivität zu verdanken hatte.

Aber wenn auch Psychoanalytiker, Akademiker und andere Befürworter der Psychoanalyse nicht bereit waren, auf diese Probleme einzugehen, dann tat dies ein sehr wichtiger und lautstark für seine Rechte kämpfender Teil der Bevölkerung, die Feministinnen. Viele Frauen interessierten sich für die von mir zusammengetragenen historischen Materialien und Dokumentationen.

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Feministische Schriftstellerinnen, unter ihnen Florence Rush, Judith Herman, Diana Russell und Louise Armstrong, äußerten sich sehr positiv über meine Forschungsarbeit. Mein Buch gehörte zu einer ganzen Reihe kürzlich erschienener Veröffentlichungen über nachgewiesene Fälle sexuellen Mißbrauchs von Mädchen und Frauen. Das zuletzt erschienene Buch war The Secret Trauma: Incest in the Lives of Girls and Women von Diana Russell.

Nachdem ich im März 1984 in der Zeitschrift Atlantic und im Dezember 1984 in der Zeitschrift Mother Jones jeweils einen Artikel über Fälle von sexuellem Mißbrauch veröffentlicht hatte, bekam ich zahlreiche Leserzuschriften. Diese Briefe, die fast alle von Frauen geschrieben waren, die in ihrer Kindheit sexuell mißbraucht worden waren, zeigten mir, daß vieles, was ich bei meiner Forschungsarbeit in den Archiven entdeckt hatte, den Tatsachen entsprach und auch noch heute relevant ist.

Die rein intellektuelle Befriedigung, die ich 1985 mit der Veröffentlichung der Briefe Sigmund Freuds an Wilhelm Fliess2 und angesichts der im allgemeinen freundlichen Besprechungen erfuhr, hat dazu beigetragen, meinen Glauben an den Wert der reinen Forschung zum Teil wiederherzustellen. Ich glaube jedoch, daß die günstige Aufnahme nur der Tatsache zu verdanken ist, daß die meisten Rezensenten die Bedeutung dieser Briefe im Hinblick auf die Probleme, die ich in meinen früheren Buchern behandelt hatte, nicht begriffen haben, denn in den Briefen zeigt sich, wie häufig Freud seine Ansichten über den sexuellen Mißbrauch von Kindern geändert hat. In keiner Besprechung wurde der Inhalt dieser Briefe mit dem sexuellen Mißbrauch in Verbindung gebracht. Ich glaube, die Briefe zeigen deutlich, daß Freud in dem Material über seine eigenen Patienten überzeugende klinische Beweise dafür besaß, daß die Falle sexuellen Mißbrauchs, die er später als reine Phantasien bezeichnet hat, sich wirklich so ereignet haben, wie die Patienten sie darstellten.

Und doch mußte ich mir über einen wichtigen Punkt klarwerden: Weshalb konnte ich erwarten, daß sich Freud oder Fliess gegenüber ihrer Patientin Emma Eckstein anders verhielten, als sie es sonst getan haben? Freud hatte sie an Fliess überwiesen, der bei ihr eine »nasale Reflexneurose« diagnostizierte und eine Nasenoperation durchführte. An den Folgen dieser Operation wäre sie fast gestorben, weil Fliess in der Wunde ein Stück Verbandstoff stecken ließ, das eine lebensgefährliche Blutung verursachte.

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Freud sagte Fliess später, es sei eine »hysterische«, psychologisch bedingte Blutung gewesen und nicht die Folge eines ärztlichen Kunstfehlers von Fliess.

Feministinnen, mit denen ich über diesen Fall gesprochen habe, erzählten mir, etwas anderes habe man auch nicht erwarten können, weil es in der Medizin üblich gewesen sei, bei an Frauen durchgeführten chirurgischen Eingriffen rücksichtslos vorzugehen. War das richtig? In den offiziellen Darstellungen über die Geschichte der Psychiatrie wird das 19. Jahrhundert als die Periode dargestellt, in der die Psychotherapie, wie wir sie heute kennen, entwickelt wurde. Viele Verfasser haben behauptet, daß an diesen offiziellen historischen Darstellungen die in der Psychiatrie des 19. Jahrhunderts übliche Gewaltanwendung nicht erwähnt wird. Aber im allgemeinen beschränkten sie ihre Untersuchungen auf das in englischer Sprache verfügbare Material. 

Was ich über die Primärliteratur wußte, beschränkte sich auf das, was ich bei der Vorbereitung für die Herausgabe des Briefwechsels zwischen Freud und Fliess gelesen hatte. Um die Kontroverse zum Thema des sexuellen Mißbrauchs in einen weiteren historischen Zusammenhang zu stellen, war es notwendig, daß ich mich in den folgenden Jahren eingehender mit der psychiatrischen, pädiatrischen und gynäkologischen Literatur dieser Zeit beschäftigte. Das Ergebnis dieser Studien war das Buch A Dark Science: Women, Sexuality and Psychiatry in the Nineteenth Century. Es wurde eine Darstellung der Grausamkeiten, die an Frauen verübt wurden, um ihnen angeblich zur »geistigen Gesundung« zu verhelfen.

Da ich glaube, daß ich meinen historischen Verpflichtungen gerecht geworden bin, bleibt mir nur noch die Aufgabe, die vielen Jahre meiner psychoanalytischen Ausbildung in angemessener Weise darzustellen. Der größte Teil dieser Ausbildung war nicht theoretisch, sondern praktisch. Es war, wie die Psychiater das nennen, eine klinische Ausbildung. Während dieser Zeit bin ich viel zu eng mit der Psychotherapie verbunden gewesen, entweder, weil ich selbst analysiert wurde oder andere behandeln mußte, um die Methoden kritisch zu untersuchen. Doch jetzt bestand für mich nicht mehr die Notwendigkeit, meinen Berufsstand oder meine Rolle darin zu schützen. 

Vielleicht war die Reaktion meiner Kollegen auf meine Feststellungen über den Mißbrauch von Kindern zur Zeit von Freud und die sich daraus ergebenden Folgen für die Gegenwart so engstirnig, gehässig und selbstsüchtig, daß sich in mir generelle Vorurteile gegen alle Therapeuten entwickelt haben. 

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Das ist sicher zum Teil richtig. Aber heute ist die persönliche Bitterkeit verflogen, die ich zunächst empfunden habe. Ich habe nur noch das starke Bedürfnis zu untersuchen, was ich über die praktische Behandlung von »Patienten«3 erfahren habe, und die theoretischen Voraussetzungen für die Psycho­therapie im allgemeinen kritischer zu prüfen, als das nach meiner Auffassung bisher geschehen ist.

 

So erfüllt dieses Buch die Verpflichtungen, die ich mit meinem Studium, meiner Ausbildung und meiner beruflichen Tätigkeit während der vergangenen sechzehn Jahre meines Lebens übernommen habe. Heute erscheinen mir diese Jahre als intellektueller Umweg. Zunächst faszinierte mich, was mir damals die intellektuelle Schönheit der psychoanalytischen Theorie zu sein schien. Im Grunde ist die Lektion, die mir dabei erteilt wurde, vielleicht die Erkenntnis, daß die intensive Beschäftigung mit der Psychoanalyse in Wirklichkeit doch kein Umweg gewesen ist. Hätte ich Medizin, Jura oder Philosophie studiert, hätte ich die von mir gemachten Entdeckungen auf jenen Gebieten bestätigt gefunden.

Schließlich habe ich etwas über die Erwartungen gelernt, die wir mit der Erweiterung unseres Wissens verbinden. Ich habe gelernt, wie wenig wir einem anderen Menschen helfen können, der sich in einer emotionalen Notlage befindet, und vor allem habe ich erfahren, wie sehr diese Fähigkeit zu helfen oft überschätzt wird. Ich habe etwas gelernt über Macht und Hierarchien, über die Methoden, mit denen wir versuchen, andere zu beherrschen und über die Art, wie ein solcher Machtmißbrauch gerechtfertigt wird. Dabei habe ich gesehen, daß viele nicht begreifen können oder wollen, welches Leid sie anderen zufügen.

Vielleicht war es also wirklich kein Umweg. Als ich meine psychoanalytische Ausbildung begann, war ich wie ein Sanskrit­gelehrter, der nicht mehr daran glaubte, daß man in diesem Leben einen Guru finden könnte, eine Persönlichkeit mit einzigartigen Einsichten in das Leben eines anderen Menschen. Ich glaubte, diese Vorstellung gäbe es nur in der indischen Kultur, und sie hätte dort sehr viele Menschen unglücklich gemacht, wenngleich viele zweifellos behaupten würden, daß sie auf diesem Wege großes Glück und sogar Freude und Glückseligkeit erfahren hätten (so wie es auch Menschen gibt, die nach einer Behandlung mit Elektroschocks sagen, sie hätte ihnen sehr genützt). 1980 habe ich ein von vielen abgelehntes Buch zu diesem Thema geschrieben.4) 

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Und doch war ich acht Jahre später im Hinblick auf die Psycho­therapie zu dem gleichen negativen Schluß gekommen: Es gibt keine Gurus. Vielleicht war ich damit auf ein für den Menschen charakteristisches Problem gestoßen: auf das Bedürfnis, jemanden zu finden, der offensichtlich stärker, weiser, besser und glücklicher ist, und dessen Führung man sich anvertrauen kann.

Einige von denen, die sich meine Ideen angehört haben, sind bereit gewesen zuzugeben, daß ich recht haben könnte, aber dann haben sie mich gefragt, was ich, wenn ich die Psychotherapie für einen Irrweg hielte, Besseres an ihre Stelle zu setzen hätte.

Nun, wenn etwas schlecht, fehlerhaft oder gefährlich ist, dann muß das Schlechte als solches entlarvt werden. Es ist fast so, als wenn wir sagten, da irgend etwas existiert, müsse es auch einen Grund für seine Existenz geben — was zweifellos richtig ist —, um dann die falsche Behauptung anzuschließen, es existiere aus gutem Grund, und das ist zweifellos nicht richtig. Oder es ist so, als glaubten wir, wenn wir uns endlich entschlossen hätten, eine Abscheulichkeit abzuschaffen (wie die Apartheid), müßten wir etwas Ähnliches an seine Stelle setzen. Aber in Wirklichkeit wissen wir gar nicht, wie wohltuend es wäre, wenn wir uns endgültig von etwas so Hassenswertem trennten.

Jeder, der einmal ein anderes menschliches Wesen unterdrückt hat, wird fragen, was geschehen soll, wenn die Unterdrückung aufgehoben worden ist. Was wird aus den Kindern werden, wenn wir die Prügelstrafe in unseren Schulen abschaffen? Was wird aus den Sklaven werden, wenn wir sie von der Zwangsarbeit auf den Plantagen befreien? Was wird aus den Tieren werden, wenn wir sie nicht mehr schlachten, um uns von ihrem Fleisch zu ernähren? Was wird aus den Frauen werden, wenn wir aufhören, sie zu unterdrücken? Was wird aus den Nonkonformisten werden, wenn wir sie nicht mehr in die Irrenhäuser einsperren? Was wird aus der Frau werden, wenn ihr Ehemann sie nicht mehr schlägt? 

Im Grunde sind das alles gar keine richtigen Fragen. Hier müssen wir die Dinge aus einer neuen Perspektive sehen und uns mit denen beschäftigen, die das alles tun, mit den Aggressoren und nicht mit ihren Opfern. Warum gehen die Menschen auf die Jagd? Warum foltern die Psychiater die hilfesuchenden Menschen und nennen es Elektroschocktherapie? Warum gibt es Männer, die Frauen vergewaltigen? 

Und ebenso wichtig ist vielleicht die Frage, warum die Gesellschaft dazu neigt, die Schuld für alle diese Gewalttaten den Opfern aufzubürden. Warum suchen die Psychologen die Schuld bei dem Opfer, das die Aufmerksamkeit des Aggressors auf sich gelenkt hat?

Ich habe ganz bestimmte Vorstellungen davon, wie wir auch ohne Psychotherapie, oder Psychiatrie leben können. Ich denke zum Beispiel an Selbsthilfe­gruppen, in denen es keine Führer und keine autoritären Strukturen gibt, die keine Kosten verursachen und nicht religiös gebunden sind (eine Schwierigkeit, die sich bei den Anonymen Alkoholikern und ähnlichen Gruppen ergeben hat, weil nicht alle Mitglieder die gleichen spirituellen oder religiösen Interessen haben). Bei diesen Gruppen sollten alle Teilnehmer mit den Schwierigkeiten zu kämpfen haben, die bei den Zusammenkünften zur Sprache kommen. Ich weiß, daß es einigen Frauen, die sexuell mißbraucht worden sind, geholfen hat, mit anderen Frauen zu sprechen, die das gleiche erlebt haben, um dabei die gemeinsamen Erfahrungen, Überlebens­strategien und politische Auffassungen auszutauschen und ihrer Empörung Luft zu machen. Was solche Menschen brauchen, sind verständnisvolle Freunde und keine Experten. 

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