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Die Sprache der Heiler 

 

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Im folgenden erwähne ich einige gebräuchliche Fachausdrücke, die dem Leser in fast jedem Buch über Psychotherapie begegnen und auch in meinem Buch verwendet werden. Die folgenden Definitionen entsprechen den allgemein anerkannten:

Ein Psychiater ist in jedem Fall ein Arzt, der eine Spezialausbildung in der Psychiatrie genossen hat. Die meisten privat praktizierenden Psychiater bieten eine Psychotherapie an und verordnen Medikamente. Wenn sich ihre Therapie auf die Psychoanalyse gründet, bezeichnen sie diese gewöhnlich als psychodynamische Psychotherapie.

In den Vereinigten Staaten ist ein Psychoanalytiker fast immer ein Facharzt für Psychiatrie, der sich einer Zusatzausbildung für Psychoanalyse unterzogen hat. Gewöhnlich verzichtet er auf die Anwendung von Medikamenten. Personen, die einen akademischen Grad in der Psychologie oder einem verwandten Fach erworben haben, können sich als Psychoanalytiker ausbilden lassen. Zur Ausbildung als Psychoanalytiker gehört eine eigene Analyse (die von einer Person vorgenommen wird, welche die Befähigung als Ausbilder nachweisen muß). Dazu kommen Lehrgänge in den Grundprinzipien der Psychoanalyse, dabei muß die Behandlung der eigenen Fälle von einem erfahrenen Analytiker überwacht werden. Bis zur Beendigung dieser Ausbildung wird der Auszubildende als »Kandidat« bezeichnet. Die Psychoanalyse wird im allgemeinen vorgenommen, während der Patient auf einer Couch liegt und der Analytiker hinter ihm sitzt.

Es ist eine intensive Behandlungsmethode, die vier- oder fünfmal in der Woche für jeweils fünfzig Minuten erfolgt. Eine Analyse dauert zwischen zwei und zehn Jahren. 

Der Ausdruck Psychotherapie wird für Sitzungen angewendet, bei denen der Patient ein Gespräch mit einem ausgebildeten Psycho­therapeuten führt. Während solcher Sitzungen wird gesprochen. Die Psychotherapie wird gegenwärtig von Psychiatern, Psychoanalytikern, klinischen Psychologen (Personen, die ein Diplom in der Psychologie erworben haben), psychiatrischen Sozialarbeitern und Familien- und Eheberatern (die eine zweijährige, an das Studium anschließende Ausbildung genossen haben) angeboten. Die Psychotherapie ist weniger intensiv als die Psychoanalyse. In den meisten Fällen genügt eine Sitzung in der Woche, die ganze Therapie dauert einige Monate bis zu einem oder zwei Jahren.

 

Unter den zahlreichen Fachausdrücken, die von den Therapeuten verwendet werden, sind die folgenden die häufigsten: Übertragung, Gegenübertragung, Projektion, das Unbewußte, Verdrängung (Abwehr), Deutung, Einsicht, Ausagieren, Widerstand, Empathie, Neurose, Psychose und Schizophrenie. 

 

Mit dem Wort Übertragung bezeichnet man die Gefühle, die ein Patient von einer früher wichtigen Person (in erster Linie aus der Kindheit, gewöhnlich handelt es sich um Vater oder Mutter) auf die Person des Therapeuten »überträgt«. Das Verhalten des Therapeuten hat nach der geltenden Auffassung mit dem Ursprung dieser Gefühle nichts zu tun. Sie beziehen sich auf die Person, der sie zu einem früheren Zeitpunkt gegolten haben. Deshalb betrachtet man sie als Projektionen. Als Gegenübertragung bezeichnet man das ebenso irrationale Gefühl, das der Therapeut seinem Patienten entgegenbringt, wenn es nicht von bestimmten Qualitäten des Patienten ausgelöst wird, sondern durch frühere Erfahrungen des Therapeuten bestimmt wird. Der Begriff Unbewußtes bezeichnet etwas der betreffenden Person Unbekanntes, das jedoch trotzdem spürbare Auswirkungen auf diese Person hat. Verdrängung ist die Aktivität, die dazu führt, daß etwas im Bereich des Unbewußten bleibt. Sie gehört zu den sogenannten Abwehrmechanismen. Andere Abwehrmechanismen sind Verleugnung, das Ungeschehenmachen und die Reaktionsbildung. Diese Reaktionen erfolgen ungewollt. 

Deutung ist das vom Therapeuten veranlaßte Bewußtwerden von etwas, das den Patienten bisher nicht bewußt gewesen ist, oder es ist das Aussprechen einer Wahrheit. Der Begriff Einsicht bezieht sich auf die intellektuelle und emotionale Anerkennung der Wahrheit einer Deutung, wodurch etwas, das bis dahin verdrängt war, bewußtgemacht wird. Im Idealfall folgt auf die Einsicht eine Veränderung des Verhaltens.

Ausagieren ist das Gegenteil der Einsicht. Es bezieht sich auf ein impulsives Handeln, dessen Ursprung oder Bedeutung nicht verstanden wird. Das Gegenteil davon ist ein Handeln aufgrund einer bewußt freigestellten Verbindung zu etwas, an das sich der Patient erinnert. Wenn ein Gefühl unbewußt ist, läßt sich fast jede Verhaltensweise als eine Form des Ausagierens verstehen. Im allgemeinen bezeichnen die Therapeuten mit diesem Begriff jedoch jede Handlung außerhalb der Therapie, die nach ihrer Auffassung die Therapie behindert oder Ausdruck der Abwehr gegen die aufkeimende Einsicht ist. Dazu gehören zum Beispiel impulsive Eheschließungen, Wechsel des Arbeitsplatzes oder der unvermittelte Beginn einer Liebesaffäre.

Widerstand ist die Ablehnung der Deutungen des Therapeuten oder jedes andere Verhalten, das nach Meinung des Therapeuten den psychotherapeutischen Prozeß behindert, verlängert oder blockiert — das heißt das Gewinnen der Einsicht. Jede Meinungs­verschiedenheit mit dem Therapeuten kann als Widerstand gedeutet werden. Einfühlungsvermögen (Empathie) ist die Qualität, die der Therapeut haben soll und die es ihm erlaubt, mitfühlendes Verständnis für die Lage des Patienten und seine mentalen Leiden zu empfinden. Es ist eine Form der Identifizierung mit den Gefühlen des Patienten. Als Neurosen bezeichnet man weniger ernste Formen emotionalen Leidens. Man betrachtet sie als die gegebenen Anlässe, einen Therapeuten aufzusuchen. Als Psychosen bezeichnet man ernstere Formen emotionalen Leidens wie etwa manisch-depressive Erkrankungen. Die Schizophrenie ist eine Unterkategorie der Psychose und wird sehr oft bei Personen diagnostiziert, bei denen man glaubt »Störungen des Denkvermögens« festgestellt zu haben.

Ich möchte gleich an dieser Stelle darauf hinweisen, daß ich selbst nicht sehr viel von diesen Fachaus­drücken halte. Sie sind alle benutzt worden, um Patienten zu beleidigen, zu demütigen und ihre menschliche Würde in anderer Weise zu verletzen. Ich bin wahrscheinlich nicht der erste, der dies feststellt. Man darf jedoch nicht vergessen, daß keiner dieser Ausdrücke reale, objektiv meßbare Größen bezeichnet. Sie gleichen eher Flaggen, die geschwenkt werden, um den intellektuellen Standort jener zu kennzeichnen, die sie gebrauchen. Wenn ich sie in diesem Buch verwende, dann denke ich sie mir in Anführungszeichen. Ich nehme keines dieser Worte für bare Münze.

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