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6  Brutalität in der Psychotherapie  

   Anmerk 

 

 

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Einige Psychotherapeuten, mit denen ich über John Rosen gesprochen habe, waren bereit, zuzugeben, daß er tatsächlich ein sehr schlechter Mensch und — was ein noch weitergehendes Zugeständnis war — auch ein sehr schlechter Psycho­therapeut gewesen sei. 

Das habe aber keinerlei Auswirkungen auf ihren Berufs­stand. Selbst wenn sie zugaben, daß sein Ansehen und sein Einfluß auch heute noch weiterwirkt, und viele prominente Psychiater immer noch nicht einsehen, daß er eine erschreckende Erscheinung ist, verweisen sie darauf, daß er seine ärztliche Approbation bereits vor einigen Jahren verloren hat.

Auch wenn das schon viel früher hätte geschehen müssen, könne man sich wenigstens damit beruhigen, daß ein solcher Mann nicht mehr die Möglichkeit habe, als Psychotherapeut zu arbeiten. Das ist zwar richtig, aber nicht nur sein eigener Einfluß lebt weiter. Es gibt viele Jünger von John Rosen, die immer noch die Methoden anwenden, die er sie gelehrt hat.1)

Einer dieser Jünger ist Albert Honig (kein Psychiater, sondern ein Osteopath), medizinischer Direktor der Delaware Valley Mental Health Foundation, »eines einzigartigen therapeutischen Gemeinwesens« (wie in einer Werbeschrift zu lesen ist) in Doylestown, Pennsylvania. Es ist eine »gemeinnützige, an keine Glaubensgemeinschaft gebundene Einrichtung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, schwere emotionale Erkrankungen zu behandeln, zu erforschen und Therapeuten auszubilden«. 

Hier wird ein idyllisches Gemeinwesen geschildert, in dem die Patienten wie in einer großen Familie und in einer freundlichen Atmosphäre in kleinen Landhäusern auf weiträumigem Grundstück in der hügeligen Landschaft des Bocks County leben. Man gewinnt den Eindruck, viele Familien würden sich wünschen, in einer solchen Umgebung leben zu dürfen. 

In ihrer Ausgabe vom 5. April 1966 brachte die Zeitschrift Look einen ausführlichen Artikel mit der Überschrift: »Durchbruch in der Psychiatrie: Revolutionäre Behandlungs­methoden für Geisteskranke« (verfaßt von Chandler Brossard mit Fotos von Matt Herron) über die Foundation und Dr. Honig, der als »engagierter und brillanter junger Direktor« bezeichnet wurde. In dem Artikel wurde auch geschrieben, daß Honigs Methode den Grundsätzen der »direkten Psychoanalyse« folge. Die Aufnahmen zeigten Honig »im Umgang« mit den Patienten. Auf einem dieser Fotos legt ein verärgerter Honig seine Hand auf den Mund eines Patienten, und in der Bildunterschrift heißt es: »Unter Anwendung seiner Methode der direkten Therapie verschließt der zornige Dr. Honig den Mund eines Patienten mit seiner Hand, um ihn am Lügen zu hindern.« 

Der Artikel besteht zum größten Teil aus Dialogen zwischen Honig und seinen Patienten. Eine typische Äußerung Honigs: »Sie haben die Zwangsvorstellung, die Ängste loswerden zu müssen, die mit der Mutterbrust im Zusammenhang stehen. Unser Kampf gilt diesem Wahn.« 

Sinnloses Geschwätz ist eine Sache, aber einen Patienten in Angst und Schrecken zu versetzen, ist etwas ganz anderes. Offenbar war Honig ein Meister in beidem. So fragte er einen jungen Patienten: »Wissen Sie, was autistisch bedeutet?« Dann gab er ihm die folgende drohende Antwort: »Autistisch ist jemand, der sich absondert, Süßigkeiten ißt, in einer Traumwelt lebt und nichts mit anderen Menschen zu tun haben will.«

Patient: Ich weiß, was das bedeutet. Vielleicht gibt es irgend etwas ...
Honig: Geben wir ihm doch ein paar Bonbons. Legen wir sie ihm ins Zimmer.
Patient: Ich möchte, daß man mir hilft. 
Honig: Möchtest du Schokolade? 
Patient: Ja, das stimmt.
Honig: In Ordnung. Wir werden zehn Stück Schokolade in dein Zimmer legen, aber du darfst keines davon anrühren.
Patient: Ich habe verstanden. Ich werde es nicht tun. 
Honig: Wir legen sie auf die Kommode. Sollte eines davon verschwunden sein... Oho! Dann darfst du dich am nächsten Morgen nicht blicken lassen.


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Patient: In Ordnung... Eine Möglichkeit, mich krank zu machen.
Honig: Hüte dich davor, auch nur ein Stück zu berühren. 
Patient: Richtig. Ich werde sie nicht berühren. Ich werde es nicht tun.
Honig: Denn du wirst es vielleicht nicht überleben. 
Patient: Ich werde sie nicht anrühren. Nein, das werde ich nicht tun. Ich werde mich vorsehen.

Dann sagte Honig dem völlig verschüchterten Patienten, er solle »aufhören, so viel zu stottern. Immer wenn du nervös wirst, fängst du an zu stottern«. Er erklärte ihm, die Süßigkeiten kämen von seiner Mutter, und sie hätte »etwas von ihrem besonderen Stoff hineingetan«, nämlich Gift oder so etwas. »Dann werden wir dich beerdigen müssen.«

Man kann es kaum glauben, daß die Zeitschrift Look einen solchen emotionalen Einschüchterungsversuch abdruckte und als empfehlenswert bezeichnete. Es besteht aber kaum ein Zweifel daran, daß mit solchen Methoden gearbeitet wurde und auch heute noch gearbeitet wird. Im Februar 1987 bat ich die Foundation, mir einen Film mit dem Titel Other Voices von Dr. Honigs Arbeitsmethoden zu schicken. Dieser Film kam in die engere Auswahl für einen Academy Award, und in einer von der Foundation herausgegebenen Werbeschrift wurde Erich Fromm zitiert, der sich wie folgt darüber geäußert hat: »Ich kann diesen Film jedem, der sich für den Menschen interessiert, nur wärmstens empfehlen.«2)

Ich frage mich, ob Erich Fromm die »Unmenschlichkeit des Menschen gegenüber dem Menschen« gemeint hat. Der Film zeigt eine erschreckende Szene mit einem 17jährigen jungen Mann (der eine besondere Liebe zu Hunden hat, die von Dr. Honig ins Lächerliche gezogen wird). Es ist ein sehr schmächtiger junger Mann. Dr. Honig, der selbst etwa 1,85 m groß und sehr kräftig ist — wahrscheinlich wiegt er mehr als zwei Zentner, sitzt auf dem Jungen, während dieser flucht und ihn anfleht, sich von ihm zu erheben. Im Programmheft des Films ist der darauf folgende Dialog abgedruckt:


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Mark und Dr. Honig liefern sich auf der Couch einen wilden Ringkampf. Obwohl der Arzt viel größer ist, verleiht Mark seine Wut ungeheuere Kräfte. Während des heftigen Ringens findet der folgende Dialog statt:

Dr. Honig: Du bleibst jetzt auf der Couch sitzen, oder ich wurde mich auf dich setzen.
Mark: Ach Sie, warum fallen Sie nicht tot um, um Himmels willen? Erzählen Sie mir doch nicht, ich liebe dich - Scheiß Doktor, Sie Schwein Sie. Ich werde mir diesen Scheiß nicht länger von Ihnen anhören. Es ist mir gleich, daß Sie stärker sind als ich. 
Dr. Honig: Du wirst hier jetzt sitzen bleiben... 
Mark: (schreit ihn an) Nein, das werde ich nicht! 
Dr. Honig: Setz dich jetzt dort hin, DORT HIN, dort hin... und wir werden wie vernünftige Menschen miteinander sprechen. 

Mark wehrt sich mit Händen und Füßen. Er ist hysterisch vor Wut.

Dr. Honig: Wirst du dich jetzt hinsetzen und wie ein zivilisierter Mensch reden?
Mark: (Nach Atem ringend) Nein, das werde ich nicht. 
Dr. Honig: Wie bist du eigentlich aufgewachsen - wie ein Tier? 
Mark: Jaaa — du bist auf gewachsen wie eine fickende Hündin... Ohhh (er brüllt).

Dr. Honig hält ihn im Scherengriff fest.

Dr. Honig: Wer ist denn heute morgen als erster zu dir gekommen?
Mark: Sie sind als erster zu mir gekommen, um mich zu ärgern - weil Sie wissen, daß ich lange schlafe! 
Dr. Honig: Was sagst du?
Mark: Sie wissen, ich schlafe lange. Sie wissen, ich schlafe bis 10.30 Uhr. Sind Sie denn nicht hergekommen, um mich vorher zu wecken, weil ich früh aufstehen sollte, um 7.30 Uhr... Dr. Honig: Das gehört zu deinem Geisteszustand. Mark: Ich warne Sie - machen Sie mich nicht wütend! 
Dr. Honig: Ich soll dich nicht wütend machen? Was meinst du damit? Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen Burschen gesehen, der so böse ist wie du — schau dir das an! Kein Wunder, daß du dich den ganzen Tag nur mit Hunden beschäftigst! Du kannst nicht einmal deine eigene Wut beherrschen! Und jetzt wirst du dich hierher setzen... 
Mark: Lassen Sie mich in Frieden.

Unter dem Aufwand all seiner Kräfte versucht Mark, sich aus dem Griff des Arztes zu befreien. Nach einer Großaufnahme von Marks wutverzerrtem Gesicht schwenken wir zu Dr. Honig, der mit schweißbedecktem Gesicht ruhig auf der Couch sitzt. Neben ihm sitzt Mark, ebenso erschöpft, und starrt verstockt und böse in die Kamera. Beide sitzen lange Zeit schweigend nebeneinander.


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Es fällt einem schwer, diesen Film ohne Empörung über das, was dieser Mann seinem Patienten antut, anzusehen. Dr. Honig erklärt:

»Ich habe ihn angegriffen, weil ich versuchte, ihm die Erfahrung seines Zorns zu vermitteln. Ich wollte, daß er ein Gefühl für sich und für seinen Körper bekommt. Er war wütend, weil ich ihn aus seiner Lethargie geholt habe, in die er sich zurückgezogen hatte, um seine wahren Gefühle zu verbergen...« Ich habe keine Ahnung, warum Honig Mark das angetan hat, aber ich weiß, daß es grausam gewesen ist. Honig sagt:

Während dieser Film gedreht wurde, hat Mark eine größere Verwandlung durchgemacht als irgendein anderer Patient. Als er in die Klinik kam, war er dick, faul und kannte nur das Gefühl einer stumpfen Depression. Schließlich hat er 50 Pfund abgenommen, und die Betäubung ist von ihm gewichen; er wurde schlank, empfindsam und böse. Er wurde Gefühlen zugänglich, die er vorher noch nie gehabt hatte. Im Falle von Mark war das Zunehmen seiner guten Gefühle zuviel für ihn, und sie machten ihn unsicher und ängstlich.

Schließlich mußte Honig zugeben, daß Mark sich das Leben genommen hatte, während er sich in seiner Obhut befand. Honig hat folgendes darüber zu sagen:

Wir waren unglaublich schockiert über seinen Selbstmord. Es hatten sich dramatische Veränderungen in ihm vollzogen, aber wir waren überzeugt, daß seine gesunden Kräfte die Oberhand behalten würden. Doch bedauerlicherweise versagt die Behandlung manchmal am kritischsten Punkt — bei der Geburt der eigentlichen Identität der Person. Wenn so etwas geschieht, können wir nichts anderes tun als unsere Arbeit fortsetzen.

Nicht nur der Artikel in Look und die Nominierung für einen Academy Award beweisen, wie sehr die Arbeit von Honig anerkannt wurde.


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Ein Artikel von Ann Loring in der Zeitschrift New York vom 31. Oktober 1977 auf den Seiten 39 bis 43 mit der Überschrift »Auftauchen aus der Schizophrenie: Eine Krankengeschichte«, bringt einen begeisterten Bericht über Honig und seine Therapie. Aber dieser Bericht, der positiv gemeint ist und Honig im besten Licht zeigen soll, hat mich erschauern lassen. Auch dies ist ein Fall, in dem der Therapeut seinen Patienten herumkommandiert und demütigt. Das Ganze wird als Therapie bezeichnet. Die Konfrontation, wie Honig das nennt, ist das, was man im täglichen Leben als Beschimpfung bezeichnet. Ein Beispiel dafür ist ein Gespräch, in dem er von einem Patienten, den er Benjamin nennt, verlangt, er solle ihm erzählen, ob er der Verfasserin des Artikels gesagt habe, er glaube, daß er nach der Lösung der Probleme des Lebens suche. Ich zitiere aus dem Artikel. Die Kommentare stammen von Ann Loring.

Dr. Honig: Er »denkt«, um die Lösung der Probleme des Lebens zu »hören«. »Hast du das zu deiner Cousine gesagt, Benjamin?« Die Spannung nahm zu.

»Warum tun Sie...« fing Benjamin an und stockte mitten im Satz. »Nein«, er m achte eine Pause, »ich... ich habe nie darüber gesprochen.«

»Warum nicht? Das ist doch, was du glaubst.« »Es war... persönlich.« »Persönlich...? Komm, Benjamin.« Dr. Honig sprach mit ganz ruhiger Stimme weiter, aber seine Fragen wurden eindringlicher.

»Warum nicht? Hast du dich deswegen geschämt? Weißt Du etwa, daß es meschugge ist. Verrückt. Ein netter amerikanischer Junge aus einer anständigen Familie wie du versucht, jemand zu sein, der er nicht ist. Er steht bewegungslos da. Und dann deine Eßgewohnheiten. Die sind auch verrückt...« Sanft und dann wieder grob, brutal ehrlich, eindringlich, humorvoll und fürsorglich versuchte Dr. Honig, die Mauer von Benjamins »Verrücktheit« zu durchbrechen.

Eine Frau, die die Behandlung dieses Mannes miterlebt hatte, aber nicht genannt werden will, schrieb mir folgendes: »Dieses Beispiel zeigt noch nicht die ganze Brutalität der Behandlung Benjamins. Benjamin, selbst Doktor der Psychologie, war einer der am grausamsten behandelten Patienten.


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Ich frage mich, wie [der Verfasser des Berichts] reagieren würde, wenn er gesehen hätte, wie Benjamin mit Gewalt in eine Zwangsjacke gesteckt wurde und wie ihm Fesseln angelegt und die Augen verbunden wurden. Dann wurden ihm die Hosen heruntergezogen — bei einer Gruppensitzung in Gegenwart von vielen Zeugen —, und man versetzte ihm mit einem Stachelstock, wie er zum Antreiben von Rindern benutzt wird, mehrere Stiche, wogegen er laut schreiend protestierte. Das geschah oft, fast täglich, während der Monate seiner >Behandlung<. Auf diese Weise erzielte Honig seine große Besserung, indem er ihn unter Folterungen zwang, sich im Umgang mit anderen Menschen <normal> zu verhalten. In diesem Fall war der Patient noch fähig, das zu tun, was Honig von ihm verlangte. Viele andere Patienten konnten das leider nicht. Denn bei denen, die niemals <normal>, zu jung oder bereits ihr ganzes Leben zu schwer gestört gewesen waren, führten diese Qualen nur zu einem Fortschreiten des Verfalls.«

Mit anderen Worten, gleichgültig wie brutal oder sadistisch die Behandlung ist, wenn der Therapeut behauptet, es geschehe alles zum Besten des Patienten, dann ist es zulässig.

Ein Buch von Dr. Honig, The Awakening Nightmare: A Breakthrough in Treating the Mentally 111, beweist mit seinen eigenen Worten, daß in diesem Artikel nichts übertrieben wird.3)

In vielen Fällen waren die Dialoge identisch mit denen von Rosen, jedenfalls wurden sie im gleichen Ton geführt. So sagte Honig einem eingeschüchterten Patienten, der homosexueller Neigungen verdächtigt wurde: »Ich glaube, Sie denken jeden Augenblick nur daran, wie Sie an meinem Penis saugen könnten« (S. 181). Erstaunlicherweise gibt Honig zu, daß »der Patient sich daraufhin noch mehr zurückzog. Es war unmöglich, ihn dazu zu bewegen, freiwillig in das Behandlungszimmer zu kommen. Er mußte mit Gewalt dazu gezwungen werden. Anschließend wurde er gegen seinen Willen in eine Klinik eingeliefert.«

Auf meine Bitte schickte mir Dr. Honig einen von ihm verfaßten Aufsatz4, der die Erfahrungen von Überlebenden aus den Konzentrationslagern behandelt und damit im Zusammenhang stehende Fälle von Schizophrenie. In diesem Artikel gibt Honig zu, er habe einigen dieser Patienten die Köpfe kahlgeschoren. (Ist er sich der Tatsache bewußt, daß dies auch in den Konzentrationslagern geschah?)

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Er schreibt, er habe sich bei einem Patienten mit »katatoner Schizophrenie« auf dessen »Becken gesetzt, ihm den im katatonen Erregungszustand gesperrten Kiefer geöffnet und Speichel aus meinem Mund in seinen Mund fließen lassen«. Über einen »paranoiden« Patienten berichtet er:

Da er fest daran glaubte, er sei mit elektrischem Strom gefoltert worden, mußte er auch mit elektrischem Strom behandelt werden. So wurde ihm zunächst seine »Henkersmahlzeit vorgesetzt. Er durfte sich bestellen, was er essen wollte. Er verlangte Steak, Kartoffeln, Eiscreme und Äpfelkuchen. Am folgenden Morgen wurde ihm der Kopf rasiert, und die Pfleger führten ihn mit verbundenen Augen in das Zimmer nebenan und setzten ihn auf einen großen Stuhl.

Ein pulsierender Muskelstimulator [ein Gerät, das von Rehabilitationsspezialisten zur Behandlung von Muskelverletzungen verwendet wird] mit angefeuchteten Kontaktflächen wurde an beiden Fußgelenken und an den Unterarmen befestigt... Die Pfleger hielten ihn fest und zogen ihm eine Zwangsjacke an... Er nahm eine Babyflasche mit warmer Milch in die Hand, und an seiner Brust wurde ein Plakat befestigt mit der Aufschrift: »Ich hungere nach Liebe - bitte liebe mich.«

Was soll man von einem solchen Vorgehen halten? Augenscheinlich werden hier alle Grundforderungen der Psychotherapie bis ins absurde Extrem erfüllt. Doch wenn Honig selbst berichtet, daß die Patienten in seiner Klinik mit solchen Methoden behandelt werden, dann muß die Wirklichkeit noch viel schlimmer sein. Inzwischen konnte ich feststellen, daß ich mich nicht geirrt habe.

1969 trat Wilma Caffentzis, die an der Yishiva University in New York promoviert hatte, ihre Stelle als Programmdirektorin und Psychologin bei der Delaware Valley Mental Health Founda-tion an, die sie neun Jahre innehaben sollte. Da sie nur in der Abteilung für ambulante Patienten arbeitete, hatte sie mit den stationär behandelten Patienten nichts zu tun. Deshalb hat sie auch die Vorgänge in dieser Abteilung nicht miterlebt, sondern erst später davon erfahren. Vorher war sie Assistentin für Psychologie am City College der Universität von New York gewesen. Im Oktober 1978 bildeten sie und die Therapeutin Diane Mann einen Sonderausschuß mit dem Ziel, die Mißhandlung von Patienten zu verhindern, und überraschten das Büro des örtlichen Staatsanwalts mit Anzeigen über schwere Mißhandlungen in der Foundation.


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Sie legten dabei eidesstattliche Erklärungen, Krankengeschichten und Zeugenaussagen vor. Es erforderte erheblichen Mut, diese schriftlichen Unterlagen zusammenzustellen und den Behörden zur Kenntnis zu bringen.

Mich hat es nicht überrascht, in diesen Dokumenten den Nachweis für jene Mißhandlungen zu finden, von denen im vorigen Kapitel über John Rosen berichtet wurde. Die Patienten wurden in ganz ähnlicher Weise gedemütigt, erniedrigt und mißhandelt. Der Bericht des Ausschusses schildert, wie die Therapeuten als Teil der sexuellen Demütigung folgendes taten:5

Mit einem Stock wurden einem männlichen Patienten bei einem >Anatomieunterricht< von einem der behandelnden Ärzte die Genitalien einer Patientin gezeigt. Ein Patient und eine Patientin, die nicht damit einverstanden waren, wurden gezwungen, über längere Zeit im gleichen Bett zu schlafen, um sie zu sexueller Aktivität anzuregen. Die Genitalien einer Patientin wurden bloßgelegt, nachdem man ihre schmutzige Unterwäsche zerschnitten hatte, und von einem behandelnden Psychologen einer vor allem aus Männern bestehenden Gruppe von Mitarbeitern gezeigt. Ein 15jähriger Junge wurde aufgefordert, in ein Kondom zu masturbieren und dieses bei einer Gruppensitzung vorzuzeigen.

Der Bericht enthielt noch viele andere Fälle von Patientenmißhandlung. Der erstaunliche Brief einer Frau, die zunächst als Patientin in der Foundation behandelt worden war und dann als Therapeutin dort arbeitete, die mich jedoch gebeten hat, ihren Namen nicht zu nennen, gibt uns einen gewissen Eindruck davon, was dort geschah:

Es ist gerade die Vorstellung, die Klinik sei der beste Platz auf der Welt, die zu den schlimmsten Grausamkeiten gegenüber den Patienten zuführen scheint. Ich glaube, Dr. Honig und die meisten seiner Mitarbeiter sind fest davon überzeugt, daß sie Leben retten, Seelen heilen und bis dahin als hoffnungslos krank geltende Patienten gesund machen können — und wenn sie daher diese Patienten schlagen und mißhandeln, sie mit Stachelstöcken stechen, an >Entspannungsapparate< anschließen, die


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ihnen Elektroschocks versetzen, und sie anschreien und ständig erniedrigen, um sie >mit ihrer Verrücktheit zu konfrontieren, dann halten sie das für gerechtfertigt und glauben, es unterscheide sich von der Brutalität nicht erleuchteter Ärzte. Ich versichere Ihnen, daß es aus der Sicht des Patienten gleichgültig ist, ob der Fachmann, der ihn mit einem Stachelstock peinigt, glaubt, er rette damit sein Leben. Er empfindet es als Folter... Der Vorfall, der mir die Illusionen, die ich mir über die Klinik gemacht hatte, endgültig nahm, ereignete sich im Februar diesen Jahres. Aber es war nur ein Vorfall in einer langen, langen Reihe von Vorfällen. Mitte Februar zwang Dr. Sandy Mintz [ein Psychologe, der als Psychotherapeut in der Klinik arbeitete] N. G., den Inhalt mehrerer Aschenbecher zu essen. Als die Patientin erbrach, zwang er sie, ihr eigenes Erbrochenes zu essen. Er tat dies angeblich, um sie zu lehren, »Nein« zu ihm zu sagen - aber das hatte sie deutlich genug getan. Mehrere Mitarbeiter beobachteten diesen Vorgang, ohne dagegen zu protestieren (wie das üblich ist, denn an dieser Klinik wird das Verhalten der Ärzte nicht kritisiert). Paula Matter kam zu mir ins Nebenzimmer, um mir zu sagen, wir müßten einen Ausschuß zur Wahrung der Rechte unserer Patienten gründen, um solche Mißhandlungen zu verhindern. Die Erfahrungen, die ich über eine lange Zeit gesammelt hatte, sagten mir, daß ein Ausschuß zum Schutz der Rechte unserer Patienten nichts gegen Dr. Mintz werde ausrichten können, ich sagte deshalb Paula, sie solle sich an Dr. Strochek, den leitenden Direktor, wenden, was sie auch tat. Das Ergebnis war eine lange Diskussion, die dazu führte, daß Dr. Mintz für einen Tag beurlaubt wurde (was immer das bedeutet)! Ich war überzeugt, Dr. Honig werde, wenn er von seinem Urlaub zurückkehrte, etwas unternehmen, aber das Gegenteil geschah. Er verteidigte Dr. Mintz und sagte, wer etwas gegen die Methoden von Mintz einwende, habe Probleme mit seinen eigenen Aggressionen ...! Es ist schwierig, jemandem, der es nicht selbst erlebt hat, zu vermitteln, was ein Patient empfindet, der ein solches Leben in der Foundation führen muß. Nur wenige Mitarbeiter haben eine Vorstellung davon, welche Gefühle des Schreckens, der Erniedrigung und des Verlusts jeglichen Selbstgefühls durch ihre Taktiken ausgelöst werden. Der Grundgedanke dieser therapeutischen Technik, die von dem medizinischen Direktor angewendet und von den schlecht ausgebildeten Mitarbeitern nachgeahmt wird, ist die Konfrontation.


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Was die Konfrontation im täglichen Leben des Patienten bedeutet, ist die Tatsache, daß sein »Verhalten« von den Mitarbeitern ständig zum Anlaß genommen wird, ihn in grober Weise zu beschimpfen und zu demütigen, ob er sich nun zu lange auf der Toilette aufgehalten, zu viel oder zu wenig gegessen oder sich nicht so angezogen hat, wie es von ihm erwartet wurde. Und was den einen dieser Therapeuten stört, mag dem anderen gleichgültig sein, und deshalb wird die >Verrücktheit< des Patienten von jedem anders definiert. Dieser ganze verächtliche und feindselige Umgang mit den Patienten ist diesen Leuten so sehr zur Gewohnheit geworden, daß ich neulich beobachtet habe, wie ein ehemaliger Familientherapeut, der die Klinik vor fünf fahren verlassen hatte, seinen Patienten noch heute in der gleichen Weise lächerlich machte. Diese Form der verbalen Mißhandlung, die es dem Therapeuten erlaubt, seine eigenen Aggressionen loszuwerden, bezeichnet man hier als Therapie. Der Patient, der diese hemmungslosen Zornausbrüche ertragen muß, fühlt sich angesichts eines solchen Terrors den Therapeuten ohnmächtig ausgeliefert. Jeder Aspekt des Verhaltens eines Patienten kann »konfrontiert« werden. Ein Beispiel dafür ist das Verhalten von Dr. Honig mir gegenüber. Er behauptete, meine fünfzigprozentige Schwerhörigkeit sei möglicherweise psychisch bedingt, und verbot mir, mein Hörgerät zu benutzen, das nur eine Krücke sei. Jedesmal, wenn ich irgend etwas nicht verstehen konnte, wurde er wütend und erklärte, ich hätte es nicht hören wollen. Diese Vorwürfe für etwas, was ich nicht ändern konnte, empfand ich als furchterregend und als Angriff gegen meine Menschenwürde.

Am 29. Dezember 1978 nahm die Staatsanwaltschaft von Bucks County in Doyiestown, Pennsylvania, in einem zehn Seiten umfassenden Schriftsatz zu diesen Vorgängen Stellung. Hier hieß es, »während der vergangenen zwei Jahre wurden von den Therapeuten (d. h. den behandelnden Psychologen) bei den Patienten an der Delaware Valley Mental Health Foundation (DVMHF) Stachelstöcke, Entspannungsgeräte, Keulen und Fesseln verwendet...« Aber darüber hinaus stellte die Staatsanwaltschaft fest:


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Diese Hilfsmittel wurden von den Therapeuten im guten Glauben und in der aufrichtigen Überzeugung benutzt, daß sie die Behandlung förderten. Die Hilfsmittel wurden zeitweilig zur >Bestrafung< eingesetzt, aber nur insofern, als dies den Theorien der Verhaltensmodifizierung entspricht. Die Behandlungsmethodologie der Aversionstherapie und der Verhaltensmodifizierung, die an der DVMHV praktiziert wird, gehört zu den anerkannten und legitimen Behandlungstechniken.«

Hier wird einmal mehr bestätigt, was Thomas Szasz so oft und so überzeugend erklärt hat: Sobald jemand als »geisteskrank« angesehen wird, kann man alles mit ihm machen und darf ihn sogar foltern, solange man behauptet, es geschehe zu seinem Besten.

Die Staatsanwaltschaft nahm auch Stellung zu dem Vorfall mit der Patientin, die den Inhalt eines Aschenbechers essen mußte:

Nach sorgfältiger Untersuchung stellten wir fest, daß der <Aschenbechervorfall> eine unangemessene Behandlung darstellt, zu der sich der Therapeut jedoch in gutem Glauben entschlossen hat. Die Foundation hat diese Behandlungsmethode sofort verurteilt und interne Maßnahmen ergriffen, um diesem Mangel an Urteilsfähigkeit seitens des Therapeuten abzuhelfen. Nach unserer Auf fassung ist dieser Vorfall eine nahezu einmalige Abweichung von den zulässigen Behandlungsmethoden der Foundation gewesen.

Weiter heißt es in dem Schriftsatz: »An der Delaware Valley Mental Health Foundation werden als stationäre Patienten Personen mit schweren Psychosen behandelt, die zum Teil die Neigung haben, zu töten oder sich selbst das Leben zu nehmen. Die Foundation stellt oft die letzte Chance für Patienten dar, die schon lange Zeit in Nervenheilanstalten zugebracht haben.« Das ist die gleiche Argumentation, mit der die Foundation selbst ihre Methoden rechtfertigt (und das tun auch alle anderen Einrichtungen, deren Methoden von der Gesellschaft im allgemeinen nicht gebilligt werden). Woher konnte die Staatsanwaltschaft das wissen? Und woher wußte es die Foundation? Woher sollte es überhaupt jemand wissen? Die Staatsanwaltschaft bemüht hier die gleiche Rechtfertigung wie Honig (und Rosen), die behaupten, anderswo seien die Verhältnisse noch schlimmer:


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Obwohl einige Methoden der stationären Behandlung an der Foundation schockierend erscheinen mögen, ist dieses Institut für die meisten seiner Patienten die letzte Station in einer langen Reihe von Nervenheilanstalten, in denen oft Behandlungstechniken praktiziert werden wie Drogentherapie, Elektroschocks und sogar Lobotomien. In der Foundation werden diese Behandlungsmethoden nicht angewendet.

Aber die Tatsache, daß woanders noch grausamer verfahren wird, rechtfertigt natürlich keineswegs die Grausamkeit, Brutalität und die Foltern, die von den Patienten in der Foundation ertragen werden müssen. Nach diesem Prinzip könnten die Gefängniswärter in Argentinien auch sagen, die Situation in der Türkei sei unzweifelhaft noch schlimmer als in ihrem Land. Man kann aus diesem Teufelskreis nur ausbrechen, wenn man gänzlich auf solche Methoden verzichtet, anstatt zu sagen, »wenn die Patienten nicht hier wären, dann wären sie in einem Irrenhaus, wo sie mit Elektroschocks behandelt würden oder wo man eine Lobotomie an ihnen vornehmen würde« also sollte man sie überhaupt nicht stationär behandeln.

Die Staatsanwaltschaft kritisierte weiter: »Viele Aussagen in den eidesstattlichen Erklärungen enthielten unsachliche Verzerrungen.« Beispiele dafür werden nicht angeführt. Und schließlich enthält der Schriftsatz auch noch üble Einschüchterungen und Drohungen: »Einige Mitglieder des Sonderausschusses haben wahrscheinlich bei der Zusammenstellung ihrer Behauptungen selbst Verbrechen begangen. Wir halten es aber im Rahmen dieses Berichts nicht für nützlich, sie unter Anklage zu stellen.« Wahrscheinlich? Auch hier werden keine Beispiele angeführt. Es ist schon eigenartig, solche Behauptungen in einem amtlichen Schriftstück zu finden. Dieser Schriftsatz, der vom Bezirksstaatsanwalt Kenneth G. Biehn, seiner Stellvertreterin, Dana C. Jones und einer weiteren Staatsanwältin, Joanne D. Sommer unterzeichnet ist, schließt mit den Worten:

Es ist unsere feste Überzeugung, daß die Arbeit dieses Instituts und seiner Mitarbeiter unfair geschildert worden ist. Wir haben die dieser Behandlung zugrundeliegende Philosophie und die einzelnen Aussagen geprüft. Wir glauben, daß die Behandlung in allen Fällen in dem Bemühen erfolgt ist, den Patienten bei der Überwindung ihrer Psychosen zu helfen.


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Wir sind zu dem Schluß gekommen, daß nicht die Absicht bestand, irgend einem Patienten zu schaden, und daß die Behandlung in dem guten Glauben durchgeführt wurde, daß sie dem Patienten nützen werde. Wir haben den Erfolg des Behandlungsprogramms dokumentiert. Angesichts des oben Gesagten und nach sorgfältiger Überlegung haben wir unsere Untersuchung gegen die Delaware Valley Mental Health Foundation abgeschlossen und werden keinen Strafantrag stellen.

Woher wollten die Unterzeichner dieses Berichts wissen, daß keine Absicht bestand, den Patienten zu schaden? Warum glaubten sie, daß viele Patienten sich beschwert hatten und mehr als ein Dutzend Therapeuten bereit gewesen waren, öffentliche Bloßstellung und persönliche Nachteile zu riskieren, um auszusagen, was sie aus eigener Erfahrung über die tatsächlichen Vorgänge an der Foundation wußten? Welchen Nutzen hätten diese Menschen davon haben können? Das erinnert mich an Leute, die Kinder beschuldigen, falsche Aussagen über sexuellen Mißbrauch gemacht zu haben. Was könnten solche Lügen diesen Kindern nützen? Ist das Gegenteil, der Wunsch, solche Vorgänge zu vertuschen, nicht sehr viel wahrscheinlicher? Es ist ganz einfach unsinnig zu glauben, daß eine große Anzahl von Patienten und Mitarbeitern in einer privaten Nervenheilanstalt die Verantwortlichen völlig grundlos schwerer Verfehlungen bezichtigen sollten.

Im März 1979 schrieb Loretta Schwartz für das Philadelphia Magazine einen Artikel mit der Überschrift »The Punishment Cure«, wo sie auf den Seiten 38 bis 43 über ein Gespräch mit Dr. Honig berichtet, das nach Bekanntwerden der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft stattgefunden hatte. In diesem Gespräch erklärte Honig, die Staatsanwaltschaft habe ihm »ein klares Mandat erteilt, unsere Pionierarbeit mit den hoffnungslosesten Geisteskranken fortzusetzen«. Außerdem erklärte er, nach welchen Gesichtspunkten er seine Therapeuten auswählte:

Jede Lebensgemeinschaft wird von einem Ehepaar geleitet. Hier arbeiten Ehepaare, die entweder Patienten gewesen sind oder die früher drogenabhängig waren. Einige von ihnen haben im Gefängnis gesessen. Solche Leute brauchen wir hier. Ein junger Mann, der versucht hat, seinen Vater umzubringen, hat jetzt die Aufgaben eines Beraters übernommen...


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Wir rasieren den Patienten die Köpfe. Wir setzen ihnen Narrenkappen auf. Die Narrenkappen sagen, du bist dumm, du bist ein Idiot. Warum rasieren wir ihnen die Köpfe? Vielleicht um die bösen Geister herauszulassen. Das Böse muß exorziert werden. Dieser Reinigungsprozeß ist Teil der Behandlung. Ich tue das schon seit 20 Jahren. Ich weiß, wie ich sie erreichen kann... Manchmal bin ich eine Mutter, manchmal bin ich ein Vater und manchmal bin ich Gott. Es ist eine Kommune, und ich bin der moralische Führer... der primitive Gott, die Person, die stärker ist als die Krankheit. Meine Patienten werden für mich bis ans Ende der Welt gehen.«6)

Schwartz zitierte Paula Matter, eine ehemalige Patientin und spätere Mitarbeiterin:

Wir haben es hier mit den hoffnungslosen, verlorenen Fällen zu tun, mit Menschen, die ebensogut tot sein könnten. Mit Worten sind sie nicht mehr zu erreichen. Wenn man in einem solchen Fall einen Durchbruch erzielen will, muß man etwas tun. Man muß sich den Weg in ihr System erzwingen. Oft ist ihr System alles, was sie noch haben, und sie wollen es nicht zulassen, daß es von irgend jemandem gestört wird. Und hier kommt es dann zu Arroganz und offener Verachtung.

Als Beispiel die Aussage einer Patientin:

»Ich hatte die Fähigkeit verloren, die Äugen zu öffnen, zu gehen und zu sprechen. Honig sagte mir, er hasse meine Augen und könne es nicht ertragen, sie anzusehen. Er befahl mir, sie zu schließen und sie während der ganzen Sitzung geschlossen zu halten. Nachdem ich die Äugen geschlossen und meine Fähigkeit zu sprechen verloren hatte, wurde mir in einer anderen Sitzung befohlen, mich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden zu legen, was ich tat. Doch als Dr. Honig mir sagte, ich sollte aufstehen, und ich es nicht tat, sagte er: >Schau dir diesen Trotz an.< Dann riß er mich an den Haaren in die Höhe, die in einem einzigen Zopf an meinem Hinterkopf zusammengeflochten waren. Ich hatte solche Angst, als er mich an den Haaren in die Höhe zog, daß ich in die Hose machte. Dann warf er mich, immer noch


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an meinen Haaren zerrend, auf die Couch. Erforderte einen Pfleger auf, mir die Arme über dem Kopf festzuhalten, und andere hielten meine Beine fest, während er sich auf meinen Magen setzte. Dann legte mir Honig seine Hände um den Hals, fing an zu drücken und sagte: >Öffne die Augen; ich will, daß du mich ansiehst; öffne die Augen! Du weißt, daß ich dich töten kann.< Die Pfleger drohten mir und sagten, wenn ich die Augen nicht öffnete, würden sie da für sorgen, daß sie mir ausgeschnitten und einer Augenbank zur Verfügung gestellt würden... Dann brachte man mich in Begleitung von Adam Houtz und einem jungen Arzt in das hintere Behandlungszimmer. Der Arzt sagte Adam, er solle meine Beine anschließen. Adam tat es. Der Arzt forderte mich auf, die Augen zu öffnen, aber in meinem katatonen Sperrungszustand konnte ich es nicht. Nun ließ der Arzt Adam die Maschine einschalten. Der elektrische Strom floß mit immer stärker werdender Spannung in meinen Körper. Ich hatte das Gefühl, die Beine würden mir ausgerissen. Dabei schrie der Arzt die ganze Zeit: >Öffne die Augen! Öffne die Augen!« Schließlich drehte ich mich zu ihm um, und obwohl ich die Augen nicht öffnen konnte, war es mir noch möglich, meinen Körper zu bewegen. Ich wandte mich ihm mit ausgestreckten Armen zu und flehte ihn in meinem Inneren aus ganzer Seele an, die Maschine abzuschalten, denn sprechen konnte ich nicht. Die Schmerzen waren so stark, daß ich glaubte, sie würden mich umbringen.«

In diesem aufschlußreichen Artikel wird noch von einer anderen Patientin berichtet, die dem Reporter erzählte, Dr. Honig habe ihr angedroht, ihren Vater zu töten: y

Er hielt einen Augenblick inne und sagte dann: >Wollen Sie mit Ihrem Vater ins Bett gehen?<
>Nein<, antwortete sie. >Wollen Sie mit Ihren Töchtern ins Bett gehen? <
>Ja, ich habe daran gedacht<, sagte Honig. >Das ist krankhaft, sagte sie, >das ist wirklich krankhaft, was sind Sie nur für ein Arzt, der mit mir über Sex mit den Töchtern spricht und mir sagt, er werde meinen Vater umbringen?< 
In diesem Augenblick kam eine andere Patientin ins Behandlungszimmer. Honig legte den Arm um sie und zog sie auf seinen Schoß. Er hielt ihre Hand und lehnte seinen Kopf gegen ihr Haar.


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>Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mit Carol schlafe?< fragte er.
>Ihr Benehmen ist unerhört<, sagte Jenny. >Ich glaube, das ist eine psychiatrische Posse. Ich glaube, jeder normale Mensch, der dieses Gespräch anhörte, würde sagen, da sei etwas nicht in Ordnung. Ich werde hier gegen meinen Willen festgehalten, und ich glaube,
Sie sind geistesgestört.< 
>Aber Ihre Diagnose lautet auf hebephrene Schizophrenie<, sagte Honig. >Kann ich Ihnen heute sonst noch irgendwie helfen?<

Einige Mitarbeiter stellten sich mit ihren schriftlichen Aussagen hinter die Bemühungen des Sonderausschusses. Einer von ihnen schrieb zum Beispiel am 5. Oktober 1978 einen Brief, in dem er mit bewundernswerter Ehrlichkeit zugab:

Dieses Ausmaß von Schmähungen und Verletzungen der Menschenwürde straft die wiederholten Behauptungen von Dr. Honig und anderen Lügen, die Patienten würden nur >aus Liebe< so grob behandelt. Daß ich selbst gegen diese Brutalität nichts unternommen und damit gerechtfertigt habe, daß >diese Leute wissen, was sie tun<, weil ich moralisch völlig verwirrt und gelähmt war und mich außerdem fürchtete, ist, wie ich zu meinem Bedauern zugeben muß, typisch für die Reaktion vieler wohlmeinender Menschen auf diese Vorgänge in der Foundation.

Ein anderer Mitarbeiter hatte den Mut, in einem Brief vom 12. Oktober zu schreiben:

Ich muß der ganzen Foundation den Vorwurf machen, diese Methoden immer wieder geduldet und sogar belohnt zu haben. In vieler Hinsicht trifft mich die gleiche Schuld wie die anderen, weil ich mich nicht schon früher an die Öffentlichkeit gewendet und etwas dagegen unternommen habe. Heute weiß ich es besser. Ich hoffe nur, es ist noch nicht zu spät.

Andere Briefe schildern weitere Mißhandlungen:


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In der Klinik wurde die Demütigung der Patienten mit dem Begriff der Regression verwechselt. Der mit den Fußgelenken an eine Bank gefesselte D. wurde von dem Familientherapeuten Bück Strauch, dem Hilfstherapeuten Michael Stone und Dr. Mintz rasiert. D.'s Kopf, Brust und Augenbrauen wurden vollkommen kahlgeschoren. Ich erinnere mich, wie D. mit völlig apathischem Gesichtsausdruck stumm dasaß. Aber die Therapeuten nahmen die Sache nicht ernst, sondern lachten und machten dumme Witze.

Derselbe Mitarbeiter schreibt: »Ein Eintrag in meinem Tagebuch:

Am 11. November 1975 sitzt N. immer noch in einem Babyställchen in einer Zwangsjacke und mit Windeln, obwohl sie an diesem Tag Geburtstag hatte.«

Das einzige Ergebnis des Bekanntwerdens dieser Vorgänge (viele Zeitungen in Philadelphia berichteten darüber und glaubten offenbar auch an die Richtigkeit ihrer Darstellung) war, daß das Ministerium für öffentliche Wohlfahrt eingriff und eine sechsmonatige »Überwachung« der Foundation anordnete.

 

Am 2. November 1986 rief ich Dr. Honig an. Er sagte mir, sein Institut sei kürzlich vom Joint Committee for the Accreditation of Hospitals anerkannt worden. Er erklärte ausdrücklich, die meisten gegen ihn erhobenen Anschuldigungen seien falsch. Er gab zu, einen Stachelstock benutzt zu haben, weil diese Tatsache jedoch öffentliches Aufsehen erregt habe, verzichte er jetzt darauf. Er sagte, es sei zwar eine verrückte Methode, die jedoch günstig zu wirken schiene. 

Ich fragte ihn, ob er auch andere Methoden verwende, die er von John Rosen gelernt habe. Er bestätigte das und sagte, er wende auch körperliche Gewalt an. Unter anderem schüttele er die Patienten, setze sich auf sie und ringe mit ihnen. Er sagte, die Zeiten hätten sich geändert, und die Menschen hätten mit Recht etwas dagegen, daß die Patienten körperlich mißhandelt und ihre persönlichen Rechte mißachtet würden. Deshalb verwende er den Stachelstock heute nur noch versuchsweise. Aber eines seiner Hilfsmittel sei immer noch die Babyflasche mit warmer Milch, mit der eine Therapeutin psychotische Patienten füttere, die sie auf den Schoß nähme. Dr. Honig erzählte mir auch von sogenannten »Mutterpuppen«. Das sind lebensgroße Puppen, mit denen die Patienten zu Bett gehen können. Er sagte, er wisse nicht, was die Patienten mit ihnen täten, manchmal zerrissen sie sie jedoch. Dr. Honig sagte auch, er verzichte jetzt darauf, »Begräbnisse« zu veranstalten. Dabei hatte er Gräber ausheben lassen, um darin »Teile des Wahnsinns« zu begraben. 

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Dr. Honig beschäftigte jetzt etwa 120 Mitarbeiter, die ungefähr drei Dutzend Patienten betreuten. Die Foundation bildete auch weiterhin Therapeuten aus, steht für Beratungen zur Verfügung, hat monatlich Hunderte von ambulanten Patienten und steht der Gerichtsmedizin für Diagnosen und psychiatrische Behandlung von Straftätern zur Verfügung. Das bedeutet, daß die Mißhandlungen, von denen wir berichtet haben, nicht nur von der Gesellschaft geduldet, sondern sogar gefördert werden und ein immer größer werdender Personenkreis darunter zu leiden hat. Es läßt sich kaum abschätzen, wie viele Menschenleben durch die von John Rosen entwickelten Ideen zerstört oder schwer geschädigt worden sind.

 

Augenscheinlich gibt es keine Möglichkeit festzustellen, wie verbreitet solche Mißstände sind. Es ist allerdings Teil der in diesem Buch vertretenen These, daß Mißhandlungen in dieser oder jener Form ein integrierender Bestandteil der Psychotherapie sind —, daß die Macht korrumpiert, daß die psychiatrische Macht ebenso korrumpiert wie die politische, und daß mit der Zunahme der Machtbefugnisse (und der Psychiater verfügt in der Tat über eine sehr große Macht) auch die Neigung zum Mißbrauch dieser Macht zunimmt. 

Der Psychotherapeut genießt eine bevorzugte Stellung und ist durch eine traditionelle Geheimhaltung geschützt, die im allgemeinen als »Schweigepflicht« bezeichnet wird. 

Die meisten Psychotherapeuten verlangen von ihren Patienten, nicht darüber zu sprechen, was in den Sitzungen geschieht. Sie behaupten, wenn außerhalb der Sitzungen darüber (und somit auch über die Fehler des Therapeuten) gesprochen werde, schade das der Wirksamkeit der Therapie. Sie begründen diese Haltung mit der Behauptung, dies sei eine Verschwendung von Energie. 

Das ist für den Therapeuten sehr angenehm, isoliert jedoch den Patienten von der Gemeinschaft mit seiner Familie und seinen Freunden. In eine solche Therapie finanziell oder emotional zu investieren bedeutet, daß man gehalten ist, sie nach Möglichkeit vor jeder Kritik zu schützen. Diese Situation läßt sich mit dem gut gemeinten Versuch von Außenseitern vergleichen, einen Menschen auf die Schwächen seines Ehepartners aufmerksam zu machen. Solche Hinweise werden im allgemeinen auf entschiedene Ablehnung stoßen. 

Doch ein Therapeut kann seinen Patienten auf ebenso vielfältige Weise verletzen wie ein Partner in einer intimen menschlichen Beziehung. Man kann einen Menschen finanziell schädigen (ihn veranlassen, mehr zu bezahlen, als er sich leisten kann, oder wenn er wohlhabend ist, ihn auszubeuten). Aber der Schaden kann auch auf emotionaler und physischer Ebene (zum Beispiel durch das Erzeugen einer Drogenabhängigkeit) und auf sexueller Ebene angerichtet werden.

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