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7  Erotik und Sex 

in der Psychotherapie 

 Anmerk 

 

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Der Berufsstand der Psychotherapeuten hat es im allgemeinen unterlassen, alle die Möglichkeiten, die Patienten schaden können, eingehender zu untersuchen. Eine Ausnahme bildet in jüngster Zeit der sexuelle Mißbrauch von Patienten durch den Therapeuten. Jahrelang hat man offiziell auch über dieses Problem fast niemals gesprochen. 

Ich erinnere mich an eines der ersten Seminare, an dem ich im Rahmen meiner psychoanalytischen Ausbildung teilnahm. Es wurde von einem älteren Psychoanalytiker aus Montreal geleitet, der uns schon zu Anfang sagte, daß viele Analytiker in ihrer klinischen Praxis sexuelle Beziehungen mit den Patienten unterhielten. Wir waren zehn Studenten, und er behauptete, auch viele von uns würden in ihrem Berufsleben sexuelle Beziehungen zu Patienten aufnehmen. Das war Anfang der 70er Jahre, und es gab damals praktisch noch keine Literatur über dieses Thema. Trotzdem hatten wir keinen Grund zu glauben, daß dieser angesehene Analytiker die Sache übertrieb. 

Im Laufe der folgenden zehn Jahre entstand dann eine umfangreiche Literatur. Ein Grund dafür war offensichtlich die Tatsache, daß es eine Anzahl aufsehenerregender Fälle gegeben hatte, in denen einzelne Personen, die ihre Therapeuten gerichtlich verklagt hatten, hohe Entschädigungssummen bekommen hatten. Es hat keinen Sinn, vor der Öffentlichkeit so zu tun, als sei so etwas niemals geschehen, wenn die Zeitungen darüber berichten. Aber sexuelle Beziehungen zwischen Therapeuten und Patienten wurden zwar privat geduldet, offiziell aber niemals als zulässig angesehen. Ich habe nie von einem Fall gehört, in dem ein Analytiker gezwungen worden wäre, seine Praxis wegen sexueller Verfehlungen aufzugeben, obwohl es mehrere Fälle gegeben hat, über die im Kreis der Kollegen heftig diskutiert wurde. 

Als ein Lehranalytiker in London offen zugab, er habe mit mehreren seiner Patientinnen geschlafen, verlor er vorübergehend einige seiner offiziellen Positionen innerhalb des Berufsstandes.

Ich glaube, der wirkliche Grund dafür, daß Psychiater und Psychotherapeuten im allgemeinen ganz offen von der gefährlichen Möglichkeit sexueller Beziehungen zu ihren Patienten sprechen, liegt darin, von anderen Mißständen abzulenken. Es ist sehr leicht, so etwas zuzugeben, man kann damit die viel gefährlicheren Mißhandlungen von Patienten verschleiern, zu denen es in der täglichen Praxis kommt, und die von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen werden.  

Der Wert der in jüngster Zeit erschienenen Veröffentlichungen zu diesem Thema liegt darin, daß sie einen der Mythen zerstreuen, gegen die ich mich in diesem Buch wende, daß solche Mißbräuche nämlich außerordentlich selten vorkämen. Ebenso hat der Berufsstand der Psychiater zwar zugegeben, daß es Fälle von Inzest und sexuellem Mißbrauch in der Kindheit gibt, aber die theoretische Bedeutung dieser Fälle herunter­gespielt und behauptet, nur eines von einer Million Kindern würde so etwas erleben (während es in Wirklichkeit wahrscheinlich jedes dritte Kind ist).1) Nun sind also auch die Psychiater bereit zuzugeben, daß einige Patienten sexuell mißbraucht werden, aber dies komme, wie gesagt, nur sehr selten vor und müsse daher nicht ernstgenommen werden. Es lohnt sich, in der Fachliteratur nachzuprüfen, ob diese Behauptung wirklich zutreffend ist.

Einer der aufschlußreichsten Fälle ereignete sich am Anfang der Geschichte der Psychotherapie, ist aber erst kürzlich bekannt geworden. Ich spreche hier von Sabina Spielrein und ihrer »Affäre« mit ihrem Analytiker Carl Gustav Jung.2)

 

Sabina Spielrein (1885 bis 1941) stammte aus einer reichen russisch-jüdischen Familie in Rostow am Don. Sie wuchs viersprachig auf und beherrschte das Russische, Deutsche, Englische und das Französische. Im Alter von 14 Jahren manifestierten sich bei ihr, wie Jung das später bezeichnete, die Symptome einer »psychotischen Hysterie«. 1904 schickten die Eltern das 19jährige Mädchen nach Zürich in die Burghölzli-Klinik, wo C. G. Jung ihr behandelnder Arzt war. Von 1905 bis 1909 wurde sie ambulant von Jung behandelt. 1909 endete ihre Analyse abrupt, 1911 schloß sie in Zürich ihr medizinisches Studium ab und wurde Ärztin. 

1912 heiratete sie den russisch-jüdischen Arzt Pawel Scheftel in Zürich, veröffentlichte ihre erste psychoanalytische Arbeit und wurde Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Gesellschaft. 

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1913 wurde ihre Tochter Renata geboren. Eine Zeitlang lebte sie in Genf und war dort die Analytikerin von Jean Piaget. 1923 kehrte sie mit Mann und Tochter nach Rußland zurück. 1925 wurde ihre zweite Tochter Eva geboren. 1926 ging sie mit ihrer Familie nach Rostow, wo sie eine psychoanalytische Praxis eröffnete und andere Analytiker ausbildete. 1938 starben ihr Vater und ihr Ehemann. Als die Deutschen 1941 in die Sowjetunion einmarschierten, wurde beobachtet, wie Sabina Spielrein mit ihren beiden Töchtern in Rostow am Don in eine Synagoge getrieben und dort von den Nazis erschossen wurde.3)

1980 erschien in Italien ein Buch von Aldo Carotenuto, das 1988 unter dem Titel: Tagebuch einer heimlichen Symmetrie: Sabina Spielrein zwischen Jung und Freud auch in Deutsch veröffentlicht wurde. Die amerikanische Taschenbuchausgabe erschien 1984 mit einem Kommentar von Bruno Bettelheim.

Dieses Buch ist ein Bericht über eine Reihe von Dokumenten, die im Palais Wilson in Genf aufgefunden wurden. Unter ihnen befanden sich ein Tagebuch von Sabina Spielrein aus den Jahren 1909 bis 1912, Briefe von Spielrein an Jung, Briefe von Spielrein an Freud, Briefe von Freud an Spielrein und Briefe von Jung an Spielrein. Zunächst wurde die Veröffentlichung der Briefe Jungs nicht erlaubt, aber heute sind sie in der 1986 herausgekommenen deutschen Ausgabe dieser Briefe enthalten.4)

1908, während Sabina Spielrein noch von Jung behandelt wurde, verliebten sie sich ineinander. Jung war damals verheiratet, hatte aber seiner Patientin die Vorzüge der Polygamie gepredigt. Jungs Briefe an Sabina Spielrein aus den Jahren 1908 bis 1919 sind nicht besonders aufschlußreich. Trotzdem besteht kein Zweifel daran, daß er ihr den Eindruck vermitteln wollte, er suche die Geliebte in ihr. In seinem zweiten Brief vom 30. Juli 1908 schrieb er: »Sie glauben nicht, wie viel mir die Hoffnung bedeutet, einen Menschen lieben zu dürfen... Wie groß wäre mein Glück, in Ihnen den Menschen zu finden...« (S. 190). 

Am 4. Dezember 1908 schrieb er ihr: »Ich suche den Menschen, der zu lieben versteht, ohne damit den anderen zu strafen, einzusperren und auszusaugen; ich suche diesen zukünftigen Menschen, der es verwirklicht, daß Liebe unabhängig von sozialen Vor- oder Nachtheilen sein kann, damit die Liebe immer Selbstzweck und nicht immer nur Mittel zum Zweck sei.« (S. 196)

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Sie lehnte das ab und hat ihn augenscheinlich aufgefordert, seine Frau zu verlassen, was er jedoch nicht tun wollte, und so nahm die Affäre ein ziemlich übles Ende. Sie scheint nicht zu einer sexuellen Beziehung, sondern nur zum Austausch von Küssen geführt zu haben. Sabina Spielrein erwähnt »poetische« Sitzungen, sagt aber nirgends deutlich, was in ihnen geschah. In einem Brief an Freud vom 10. Juni 1909 schreibt sie jedoch, Jung sei der erste Mann gewesen, der sie geküßt habe. 1907 schrieb Jung an Freud, er behandle eine Patientin, die »zugibt, (es) wäre eigentlich ihr größter Wunsch, von mir ein Kind zu haben«.5)

Er hatte mit Freud schon über Sabina Spielrein gesprochen, aber ohne anzudeuten, daß er irgendwelche romantischen Interessen für sie habe. Dann schrieb er am 7. März 1909 wieder an Freud, sagte aber diesmal, wer die Patientin war:

Zu guter Letzt oder vielmehr zu schlimmer Letzt nimmt mich gegenwärtig ein Komplex furchtbar bei den Ohren; nämlich eine Patientin, die ich vor Jahren mit größter Hingabe aus schwerster Neurose herausgerissen habe, hat mein Vertrauen und meine Freundschaft in denkbar verletzender Weise enttäuscht. Sie machte mir einen wüsten Skandal ausschließlich deshalb, weil ich auf das Vergnügen verzichtete, ihr ein Kind zu zeugen. Ich bin immer in den Grenzen des Gentleman ihr gegenüber geblieben, aber vor meinem etwas zu empfindsamen Gewissen fühle ich mich doch nicht sauber, und das schmerzt am meisten, denn meine Absichten waren immer rein gewesen. Aber Sie wissen ja, daß der Teufel auch das Beste zur Schmutzfabrikation verwenden kann. (S. 229)

Freud beantwortete diesen Brief schon nach zwei Tagen:

Von jener Patientin, die Sie die neurotische Dankbarkeit der Verschmähten kennengelehrt hat, ist eine Kunde auch zu mir gedrungen. Muthmann sprach bei seinem Besuch von einer Dame, die sich ihm als Ihre Geliebte vorgestellt und meinte, es würde ihm nur imponieren, wenn Sie sich soviel Freiheit bewahrt hätten. Wir waren aber auch in der Vermutung einig, daß die Sache anders liege und nicht ohne Zuhilfenahme der Neurose von seiten der Angeberin zu erklären sei. Verleumdet und von der Liebe, mit der wir operieren, versengt zu werden, das sind unsere Berufsgefahren, derentwegen wir den Beruf wirklich nicht aufgeben werden. (S. 233)

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In seinem scheinheiligen Antwortbrief leugnete Jung alles:

Die von Muthmann kolportierte (sic!) Geschichte ist mir ganz dunkel. Eine Geliebte habe ich wirklich nie gehabt, sondern bin überhaupt der denkbar harmloseste Ehemann. Daher meine große moralische Reaktion! Ich kann mir absolut nicht denken, wer das gewesen sein könnte. Ich glaube nicht, daß es die gleiche ist. Vor solchen Geschichten graust es mir. (S. 235)

Wenige Monate darauf, am 30. Mai 1909, schrieb Sabina Spielrein ihren ersten Brief an Freud: »Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir eine kleine Audienz erteilen könnten! Es handelt sich da um eine für mich äußerst wichtige Angelegenheit, welche zu vernehmen Sie wahrscheinlich interessieren wird.« (S. 89)

Freud antwortete Jung am 3. Juni und schickte ihm den Brief zurück: »Sonderbar! Was ist das? Wichtigtuerei, Tratschsucht oder Paranoia? (S. 250/51)

Am folgenden Tag schrieb Jung einen Brief, in dem er versuchte, vor Freud zu verbergen, was wirklich geschehen war:

Die Spielrein ist dieselbe Person, von der ich Ihnen geschrieben. Sie ist abgekürzt publiziert in meinem Amsterdamer Vortrag seligen Angedenkens. Es war mein psychoanalytischer Schulfall sozusagen, weshalb ich ihr eine besondere Dankbarkeit und Affektion bewahrte. Da ich aus Erfahrung wußte, daß sie sofort rückfällig wurde, wenn ich ihr meinen Beistand versagte, zog sich die Beziehung überfahre hin, und ich hielt mich schließlich quasi für moralisch verpflichtet, ihr meine Freundschaft weitgehend zu vertrauen, solange bis ich sah, daß dadurch ein unbeabsichtigtes Rad ins Rollen geriet, weshalb ich schließlich abbrach. Sie hatte es natürlich planmäßig auf meine Verführung abgesehen, was ich für inopportun hielt. Nun sorgt sie für Rache. Jüngst hat sie über mich das Gerücht ausgestreut, ich werde binnen kurzem mich von meiner Frau scheiden lassen und eine bestimmte Studentin heiraten, was einige meiner Kollegen in gewisse Aufregung versetzte. Was sie jetzt plant, ist mir dunkel. Ich vermute nichts Gutes; es müßte denn sein, daß Sie

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zu einem Vermittlungsversuch mißbraucht werden sollen. Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß ich die Sache endgültig abgeschnitten habe... Groß und Spielrein sind bittere Erfahrungen. Keinem von meinen Patienten habe ich dieses Maß an Freundschaft gegeben, und von keinem habe ich ähnlichen Schmerz geerntet. (S. 253)

Freud antwortete am 7. Juni:

Solche Erfahrungen, wenngleich schmerzlich, sind notwendig und schwer zu ersparen. Erst dann kennt man das Leben und die Sache, die man in der Hand hat. Ich selbst bin zwar nicht ganz so hereingefallen, aber ich war einige Male sehr nahe daran und hatte a narrow escape. Ich glaube, nur die grimmigen Notwendigkeiten, unter denen mein Arbeiten stand, und das Dezennium Verspätung gegen Sie, mit dem ich zur Psychoanalyse kam, haben mich vor den nämlichen Erlebnissen bewahrt. Es schadet aber nichts. Es wächst einem so die nötige harte Haut, man wird der >Gegenübertragung< Herr, in die man doch jedesmal versetzt wird... Das >großartigste< Naturschauspiel bietet die Fähigkeit dieser Frauen, alle erdenklichen psychischen Vollkommenheiten als Reize aufzubringen, bis sie ihren Zweck erreicht haben. (S. 254/55)

Am folgenden Tag, dem 8. Juni, schrieb Freud an Sabina Spielrein:

Dr. Jung ist mein Freund u. Mitarbeiter, ich glaube ihn auch sonst zu kennen und darf annehmen, daß er leichtfertiger oder unedler Handlungsweise unfähig ist... Ob es sich aus einer ärztlichen Hilfeleistung ergab, und ob das Bedürfniß, einer seelisch Bedrängten zu helfen die Sympathie angefacht hat? (S. 116)

Zwei Tage später schrieb Sabina Spielrein an Freud und deutete an, Jung sei der erste Mann gewesen, der sie geküßt habe, und er habe ihr geschrieben »ein Kuß ohne Consequenzen kostet 10 Franken«.91 Am nächsten Tag schrieb sie ihm einen Brief, in dem sie aus einem sehr bemerkenswerten Dokument zitierte, einem Brief, den Jung ihrer Mutter geschrieben hatte. Diese hatte einen anonymen Brief, vielleicht von Emma Jung, der Frau von C.G. Jung, bekommen, in dem behauptet wurde, Jung verderbe ihre Tochter:

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Ein Arzt und seine Patientin dagegen können unbeschränkt lange von jeglicher Intimität sprechen, die Pat kann und darf alle Liebe und Sorgfalt vom Arzte erwarten, deren sie bedarf. Der Arzt aberkennt seine Grenzen und wird sie nie überschreiten, denn er ist für seine Mühe bezahlt. Das legt ihm die nötige Beschränktheit auf. Ich schlage Ihnen darum vor, um meine Stellung als Arzt, von der Sie wünschen, daß ich sie beibehalten möge, zu umgrenzen, mir ein Honorar auszusetzen als angemessene Entschädigung für meine Bemühung. Damit sind Sie absolut sicher, daß ich meine Pflicht als Arzt unter allen Umständen respektieren werde... Mein Honorar beträgt fr. 10 pro Consultation. (S. 92-93).

Am 18. Juni 1909 folgte ein Brief von Freud an Jung: »Fräulein Spielrein hat mir in einem zweiten Brief bekannt, daß es sich um ihre Person handle, ohne sonst eine Absicht zu verraten.« (S. 259) Danach könnte man vermuten, daß Fräulein Spielrein ihm den oben zitierten Brief, wenn überhaupt, erst zu einem späteren Zeitpunkt geschickt hat.6)

Freud schreibt dann weiter: »Kleine Laboratoriumsexplosionen werden bei der Natur des Stoffes, mit dem wir arbeiten, nie zu vermeiden sein.«

Jung nahm das Problem jedoch ernster als Freud und erklärte ihm in einem Brief vom 21. Juni, er habe inzwischen erfahren, daß das Gerücht über ihn nicht von Fräulein Spielrein verbreitet worden sei und er selbst sei gegenüber Freud nicht ganz ehrlich gewesen:

So diskutierte ich ernstlich (nach meinem ursprünglichen Prinzip, alle Menschen bis zur Grenze des Möglichen ernst zu nehmen) mit ihr das Problem des Kindes, wobei ich mir einbildete, ich rede theoretisch, natürlich stak Eros dahinter. So schob ich auch alle anderen Wünsche und Hoffnungen ganz auf Seite meiner Patientin, ohne das gleiche an mir zu sehen. Als sich auf diese Weise die Situation so zugespitzt hatte, daß bei weiterem Perseverieren der Beziehung nur noch sexuelle Akte das Bild richtig abschließen konnten, da wehrte ich mich in einer Weise, die sich moralisch nicht verteidigen läßt. 

In meinem Wahne befangen, ich sei quasi das Opfer der sexuellen Nachstellungen meiner Patientin, schrieb ich an deren Mutter, daß ich nicht der Befriediger der Sexualität ihrer Tochter, sondern bloß der Arzt sei, weshalb sie mich von der Tochter befreien solle. 

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In Anbetracht des Umstandes, daß die Patientin noch kurz vorher meine Freundin war, die mein weitgehendes Vertrauen hatte, war meine Handlungsweise eine durch die Angst eingegebene Schufterei, die ich Ihnen als meinem Vater sehr ungern gestehe. Nun möchte ich Sie noch um eine große Gefälligkeit bitten, nämlich Frl. Spielrein kurz mitteilen zu wollen, daß Sie von der Sache durch mich nun vollends unterrichtet seien, auch speziell über den Brief an die Eltern, den ich am meisten beklage. (S. 260-261)

Nach Erhalt des Briefes schrieb Freud sofort (am 24. Juni 1909) einen Entschuldigungsbrief an Sabina Spielrein:

Sehr geehrtes Fräulein Collega Ich habe heute durch Dr. Jung selbst Einsicht in die Sache bekommen wegen welcher Sie mich besuchen wollten, und sehe nun, daß ich Einiges richtig erraten, anderes fälschlich zu Ihrem Nachteil construirt habe. Wegen dieses letzteren Anteils bitte ich Sie um Entschuldigung. Meinem Bedürfnis nach Achtung vor den Frauen entspricht es aber sehr, daß ich mich geirrt habe, und daß die Verfehlung dem Manne und nicht der Frau zur Last fällt, wie mein junger Freund selbst zugibt. Nehmen Sie den Ausdruck meiner vollen Sympathie für die würdige Art, wie Sie den Conflict gelöst haben. (S. 117)

Am 20. Januar 1913 schrieb Freud an Sabina Spielrein: »Mein persönliches Verhältnis zu Ihrem germanischen Heros ist definitiv in die Brüche gegangen. Sein Benehmen war zu schlecht. Es hat sich in meinem Urteil über ihn viel geändert seitdem ich jenen ersten Brief von Ihnen erhielt« (S. 122).7

Am 8. Mai desselben Jahres sagte Freud ihr ohne Umschweife:

»Ich stelle mir vor, Sie lieben Dr. J. noch so stark, weil Sie den ihm gebührenden Haß nicht ans Licht gebracht haben.« (S. 123/24) Als Sie Freud mitteilte, daß sie ein Kind erwarte, schrieb Freud am 28. August:

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Ich kann es gar nicht hören, wenn Sie noch von der alten Liebe und den verflossenen Idealen schwärmen und rechne auf einen Bundesgenossen in dem großen, kleinen. Unbekannten. Selbst bin ich wie Sie wissen, von jedem Rest von Vorliebe fürs Ariertum genesen und will annehmen, wenn es ein Junge wird, daß er sich zum strammen Zionisten entwickeln soll. (S. 124)

Carotenuro verteidigt das Verhalten von Jung auch weiterhin, wenn er schreibt: »Sabina muß also für Jung damals ein besonderes Bild der Anima verkörpert haben, anziehend und abstoßend, wunderbar und teuflisch, erhebend und deprimierend zugleich« (S. 287). Angesichts dessen, was geschehen war, ist es erstaunlich, daß er auch schreiben kann:

Es ist, als ob man sich der Kraft und des Mutes des Analytikers bemächtige, um der Wahrheit über sich selbst gegenüberzutreten und sie anzunehmen. Man wächst durch die Geduld des Analytikers, sein Verständnis, seinen Gerechtigkeitssinn, seine als grenzenlos erlebte Weisheit. (S. 291)

Auch Bruno Bettelheim entschuldigt schließlich das Verhalten von Jung in einer eigentlich empörenden Aussage mit der Tatsache, daß er damit die Patientin »geheilt« habe:

Wie man das Verhalten von Jung gegenüber Sabina Spielrein, die wahrscheinlich seine erste psychoanalytische Patientin war, auch beurteilen mag, man darf das wichtigste Ergebnis dieser Beziehung nicht übersehen: Er hat sie von der Störung geheilt, derentwegen sie ihm anvertraut worden war. Im Rückblick sollten wir uns fragen: Welchen überzeugenden Beweis .haben wir dafür, daß der gleiche Erfolg erzielt worden wäre, wenn Jung sich ihr gegenüber so verhalten hätte, wie wir es von einem gewissenhaften Therapeuten im Umgang mit seinem Patienten erwarten müssen? So fragwürdig Jungs Benehmen vom moralischen Standpunkt auch gewesen sein mag — so unorthodox und sogar unehrenhaft —, irgendwie hat er die wichtigste Verpflichtung des Therapeuten gegenüber seiner Patientin erfüllt; er hat sie geheilt. Wohl hat Sabina Spielrein einen sehr hohen Preis in der Form von Kummer, Verwirrung und Desillusionierung für die besondere Art bezahlen müssen, mit der sie geheilt wurde, aber das erleben schließlich viele psychiatrische Patienten, die so krank sind wie sie es war. (S. 38)

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Das ist die typische Aussage eines typischen Therapeuten. Selbst wenn er zugeben muß, daß das Verhalten in jeder Hinsicht falsch war, kann sich der Therapeut damit entschuldigen, daß der Patient »sehr krank« gewesen sei, auch wenn das nur eine Vermutung ist. Woher soll Bettelheim schließlich gewußt haben, wie »krank« Sabina Spielrein war; doch nur aus den Worten von Jung, der, wie sogar Bettelheim zugeben würde, jeden Grund hatte, die Schwere ihrer Erkrankung zu übertreiben, um seine Leistung als etwas besonderes erscheinen zu lassen? Rosen, Honig, Jung und Bettelheim gehen alle von den gleichen Voraus­setzungen aus, und diese Voraussetzungen gelten in der ganzen Psychotherapie.

Es gibt eine ganze Reihe von Büchern zum Thema des sexuellen Mißbrauchs von Patienten. Zu den wichtigsten gehören Betrayal von Lucy Frieman8), Therapist von Ellen Plaisl9) und A Killing Cure von Evelyn Walker und Perry Deane Joung.10)

Auch Psychiater und Psychoanalytiker beschäftigen sich schon seit einiger Zeit mit diesem Thema. Eine berühmte Stellungnahme ist in einer an Ferenczi gerichteten Warnung von Freud enthalten. Ferenczi hatte Freud mitgeteilt, er habe nichts dagegen einzuwenden, seine Patientinnen gelegentlich zu küssen. Freud schrieb ihm darauf einen oft zitierten Brief, in dem er in humorvollem Ton seinen Schüler zurechtwies. Zweifellos hat Freud selbst jeden körperlichen Kontakt zwischen dem Analytiker und seinen Patientinnen abgelehnt. In einem Aufsatz mit der Überschrift »The Erotic Transference«, erwähnt der Analytiker Leon J. Saul die Geschichte mit Freud und Ferenczi und warnt vor allen sexuellen Beziehungen mit Patienten.11)

Bezeichnenderweise interessiert sich Saul mehr für die Phantasien und das Ausagieren der Patienten oder Patientinnen als für die Wirklichkeit und das Verhalten des Analytikers: »Die Übertragung ist im wesentlichen infantil und inzestuös... Sexuelle Elemente sind bei der Übertragung ebenso bedrohlich wie in der Kindheit in den Beziehungen zu den Eltern.«12)

Aber Saul kann nicht nachweisen, daß Kinder gegenüber ihren Eltern solche Gefühle haben. Er ist sogar bereit, und das kommt bei Psychoanalytikern nur selten vor, zuzugeben, daß »Analytiker die emotionalen Einflüsse sexuell aktiver und zum Mißbrauch neigender Eltern auf ihre Kinder sehr wohl kennen.«

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Der angesehene Psychoanalytiker Charles Clay Dahlberg räumt in einem Artikel mit der Überschrift »Sexual Contact Between Patient and Therapist« ein, daß »ich jahrelang Schwierigkeiten hatte, für diesen Artikel die Anerkennung größerer Organisationen zu finden, bei denen ich... einen gewissen Einfluß hatte.13)

Der Grund für diese Schwierigkeiten war, daß Dahlberg so ehrlich gewesen war, darüber zu sprechen, was der Analytiker tat. In diesem Zusammenhang sollten wir daran denken, daß vor nur 25 Jahren eine Petition in Umlauf gebracht wurde, in der der Ausschluß von Harold Greenwald aus der New York State Psychological Association gefordert wurde, weil er auf einem Jahreskongreß vorgeschlagen hatte, das Problem der sexuellen Beziehungen zwischen Therapeuten und Patienten zu untersuchen.14)

Die Ablehnung dieses Themas ist zum Teil darauf zurückzuführen, daß zwei Psychiater öffentlich erklärt hatten, daß es unter Umständen richtig sei, mit einer Patientin zu schlafen (sie hatten sogar zugegeben, es selbst getan zu haben). So veröffentlichte Dr. J.L. McCartney einen Artikel, in dem er schrieb, in seiner 40jährigen Praxis hätten 30 Prozent seiner erwachsenen Patientinnen »einer gewissen Form offener Übertragung Ausdruck verliehen und sich zum Beispiel dem Analytiker auf den Schoß gesetzt, seine Hand gehalten, ihn umarmt oder geküßt. Etwa 10 Prozent halten es für notwendig, bei diesem Ausagieren ins Extrem zu gehen, wobei es dazu kommt, daß sich beide nackt ausziehen, ihre Genitalien manipulieren oder den Koitus vollziehen.«15)

Hier fällt auf, daß McCartney davon ausgeht, daß die Patientin der sexuell aggressive Teil ist. 1972 mußte der angesehene Psychiater Judd Marmor in einem Artikel mit der Überschrift »Sexuelles Ausagieren in der Psychotherapie« zugeben, daß Psychiater und Psychoanalytiker zwar schon viel über die Verführungsversuche von Patienten geschrieben hätten, aber kaum etwas über die Verführungsversuche der Therapeuten.16)

1973 übernahm die American Psychiatrie Association den in einer Erklärung der amerikanischen Ärztekammer enthaltenen Grundsatz, »Sexuelle Aktivitäten mit einem Patienten sind unmoralisch«.17) (Die American Psychological Association folgte im Jahr darauf.)

1973 wußte man allerdings noch nicht, wie viele Psychiater sexuelle Beziehungen zu ihren Patientinnen unterhielten. In diesem Jahr veröffentlichten Sheldon H. Kardener, Marielle Füller und Ivan N. Mensh einen Artikel mit der Überschrift »A survey of physicians' attitudes and practices regarding erotic and nonerotic contact with patients«, in dem sie das Ergebnis einer Befragung von 460 Ärzten (und Psychiatern) mitteilten und feststellten, daß 5 bis 13 Prozent von ihnen mit ihren Patienten erotische Kontakte aufnahmen.18)

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Im folgenden Jahr wandte sich Dr. Kardener in einem Artikel entschieden gegen solche Kontakte und zitierte am Schluß Eric Berne: »Wenn Sie wollen, daß der Patient die Rolle des Therapeuten übernimmt, dann sollten Sie sich vorher klar darüber sein, ob Sie ihm auch das bei Ihnen übliche Honorar zahlen können.«19)

Die amerikanische Psychologische Gesellschaft führte 1977 eine ähnliche Befragung durch und stellte fest, daß von 703 Befragten 10,9 Prozent erotische Beziehungen mit ihren Patienten unterhielten.20)

Der Psychiater und Rechtsanwalt Alan Stone schrieb 1976 einen Artikel, in dem er den Analytiker Willard Gaylin wie folgt zitiert: »Es gibt absolut keine Umstände, die es einem Psychiater erlauben, mit seinen Patientinnen sexuelle Beziehungen aufzunehmen.« Dennoch kommt Stone zu dem wenig überzeugenden düsteren Schluß: »Schließlich müssen sich die Patienten in dieser wie auch in den meisten anderen Fragen auf den moralischen Anstand derjenigen verlassen können, denen ihre Behandlung anvertraut worden ist.«21)

Angesichts der Tatsache, daß nach den Befragungen jeder zehnte Psychotherapeut sexuelle Beziehungen zu seinen Patientinnen unterhält, war das ein schwacher Trost.

Es gibt Psychiater, die sich ernste Sorgen darum machen, daß Angehörige ihres Berufsstandes ihre Patientinnen sexuell mißbrauchen. Sie haben sich mit aller Deutlichkeit gegen solche Praktiken gewandt, und man wird kaum einen angesehenen Psychiater finden, der behauptet, solche Beziehungen seien harmlos. Sogar der mehr als 2000 Jahre alte Eid des Hippokrates erklärt ausdrücklich, daß ein Arzt seinen Patienten nicht sexuell verführen darf:

Jedes Haus, in das ich komme, werde ich nur zum Besten meiner Patienten betreten und mich jeder bewußten Schädigung und jeder Verführung enthalten, besonders der Freude der Liebe mit Frauen oder mit Männern, seien sie Freie oder Sklaven.22)

Die gesetzgebenden Versammlungen der einzelnen amerikanischen Staaten haben diese Verfehlungen unter Strafe gestellt.

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Dennoch kann man beobachten, daß die Berufsverbände kein besonderes Interesse daran zeigen, Verstöße gegen die von ihnen aufgestellten Regeln zur Anzeige zu bringen. Das zeigt sich sehr deutlich in einem Artikel von Joseph R. Sanders und Patricia Keith-Spiegel vom Ausschuß über die wissenschaftliche und berufliche Ethik und das Verhalten der Mitglieder der Amerikanischen psychologischen Gesellschaft, in dem der Fall eines Psychologen behandelt wird, dem von acht Frauen vorgeworfen wurde, ihnen unsittliche Anträge gemacht zu haben. Er verlor seine staatliche Zulassung, wollte jedoch die Mitgliedschaft in der Amerikanischen psychologischen Gesellschaft nicht aufgeben. Die Gesellschaft wurde auf den Fall aufmerksam und forderte ihn schriftlich auf, eine Erklärung abzugeben:

Der Psychologe antwortete sofort und ausführlich. Ergab zu, erhebliche Schwierigkeiten gehabt zu haben, aber... er sei selbst fast ein fahr in psychiatrischer Behandlung gewesen und habe sich einer örtlichen Selbsthilfegruppe für Akademiker mit persönlichen Problemen angeschlossen, die negative Auswirkungen auf ihre Fähigkeit, ihren Beruf angemessen auszuüben, erfahren hätten... Sein aufrichtiger Wunsch und sein Bemühen, rehabilitiert zu werden, veranlaßten den Ausschuß, gegen seinen Ausschluß zu stimmen.23)

Feministinnen haben, wenn es um dieses Problem ging, empfindlicher reagiert als die Psychiater, zweifellos weil es Frauen sind, die am meisten unter einem solchen gegen die Moral verstoßenden Verhalten zu leiden haben. Schon 1972 behandelte Phyllis Chesler in ihrem Bestseller Frauen — das verrückte Geschlecht? in ihrer ausführlichen Analyse über die unausgewogenen Machtverhältnisse bei der Psychotherapie die Tatsache, daß Frauen oft sexuell mißbraucht werden.24)

Nachdem auch Frauen angefangen hatten, sich eingehender mit dem statistischem Material zu beschäftigen, erhöhte sich, wie nicht anders zu erwarten, die Zahl der sexuell mißbrauchten Patientinnen. Die letzte Befragung aus dem Jahr 1983 zeigt, daß etwa 15 Prozent der Therapeuten sexuelle Beziehungen zu einer Patientin aufgenommen haben. Dabei müssen wir berücksichtigen, daß es sich hier nur um diejenigen handelt, die bereit waren, zu diesem Thema etwas zu sagen.25)

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Das Problem bei all diesen Befragungen ist, daß die Befragten potentielle Straftäter sind. Man stelle sich vor, man wollte versuchen festzustellen, wie viele Männer Frauen vergewaltigt haben, und befragte dazu nichtvorbestrafte Sittlichkeitsverbrecher. Oder man stelle sich vor, man wollte die Zahl der Inzestopfer in einem bestimmten Gemeinwesen feststellen und befragte dazu alle Väter in diesem Gemeinwesen, ob sie einen Inzest begangen hätten. Soweit ich weiß, ist bisher noch nie eine Befragung vorgenommen worden, bei der eine repräsentative Auswahl von Patientinnen Auskunft über ihre sexuellen Erfahrungen mit den Therapeuten reiben sollten. Ich bin überzeugt, wenn man das täte, würden die Zahlen der Opfer sehr viel größer sein. 

Der Berufsstand der Psychiater hat offensichtlich nur wenig Interesse daran, diese Frage gründlicher zu erforschen oder etwas zu unternehmen, um die Öffentlichkeit auf die Gefahren einer psychiatrischen Behandlung aufmerksam zu machen. Kürzlich haben Versicherungsgesellschaften sich geweigert, Psychotherapeuten gegen den Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs zu versichern. Soweit sie jedoch dazu bereit waren, hat es sehr viel größere Schwierigkeiten gegeben, einen sexuellen Mißbrauch nachzuweisen und den Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen. Man darf nicht vergessen, daß zunächst die Frau den Mut haben muß, ihren Therapeuten anzuzeigen. Dann muß sie eine Behörde veranlassen, etwas zu unternehmen. Die Behörde wiederum muß eine Staatsanwaltschaft davon überzeugen, daß es notwendig sei, Anklage zu erheben und so weiter.26)

Mit anderen Worten, die Chance, daß ein solcher Mißbrauch aufgedeckt wird, ist äußerst gering. Aber noch schwerwiegender sind die Vorurteile, auf die eine Frau überall dort stoßen wird, wo sie solche Beschuldigungen erhebt. In den meisten Fällen wird ihr nicht geglaubt. Ein typisches Beispiel dafür findet sich in einem 1971 erschienenen Artikel:

Wahrscheinlich darf man sagen, daß die meisten Anzeigen von Frauen erstattet werden, die ein sehr unglückliches Leben führen, die sich eng mit ihrem Therapeuten verbunden fühlen, die glauben, abgewiesen oder verachtet zu werden, wenn sie feststellen, daß die Beziehungen auf rein formaler und professioneller Ebene gehalten werden, und die auf ein solches Verhalten des Therapeuten damit reagieren, daß sie ihm sexuelle Ungehörigkeiten vorwerfen.27)

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Woher weiß dieser Mann, daß eine Frau, die ihrem Therapeuten so etwas vorwirft, ein unglückliches oder verzweifeltes Leben führt? Woher weiß er, daß sich solche Frauen zurückgestoßen fühlen, wenn sie sexuell verschmäht werden, und nicht das Gefühl haben, ausgebeutet zu werden, weil man sie sexuell mißbraucht? Dieser Artikel will den Eindruck erwecken, daß die meisten Frauen lügen, die behaupten, sexuell mißbraucht worden zu sein. Doch die Erfahrung spricht dagegen: Auch bei allen anderen Sexualverbrechen — Vergewaltigung, Inzest und Mißbrauch von Kindern — wird nur ein sehr geringer Prozentsatz der Fälle bekannt, die sich tatsächlich ereignen.

Ebenso wie es noch keine Befragung von Patientinnen zur Feststellung der Häufigkeit des sexuellen Mißbrauchs gegeben hat, ist auch noch kein systematischer Versuch unternommen worden, zu ermitteln, wie weit Patienten das Gefühl haben, in anderer Weise mißhandelt worden zu sein — indem sie beschimpft, ausgebeutet, lächerlich gemacht, erniedrigt, ignoriert oder in anderer Weise verletzt worden sind. Es ist aber durchaus möglich, daß es Menschen gibt, die meinen, man müsse es riskieren. Wir sollten uns mindestens der Gefahr solcher Mißbräuche bewußt werden. Ich glaube, es ist notwendig zu erkennen, wie viele Möglichkeiten es in der Psychotherapie gibt, Dinge zu tun, die den vorgegebenen Zielen einer solchen Behandlung direkt widersprechen.

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Damit kommen wir zu einem Thema, das ich gehofft hatte, vermeiden zu können, zu den Ergebnissen der Psychotherapie. Eigentlich wollte ich nicht darüber sprechen, weil es zu schwierig ist, diese Ergebnisse objektiv zu beurteilen. Natürlich habe ich von vielen Menschen, die jahrelang analysiert worden sind, gehört, daß es ein Fehler gewesen sei, sich in eine solche Behandlung zu begeben. Für sie war es Zeitverschwendung, eine unnötige Geldausgabe, oder sie glaubten sogar, daß die Behandlung ihnen geschadet hatte. Aber ebenso oft hatte ich auch das Gegenteil gehört. Viele sagten, die Psychoanalyse (oder Psychotherapie) habe ihnen das Leben gerettet, ihnen über eine Scheidung oder einen Todesfall hinweggeholfen, sei eine große Bereicherung für sie gewesen und habe sie vor dieser oder jener Katastrophe bewahrt (vor der Wahl des falschen Partners oder des falschen Berufs). 

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Ich kenne aber auch Aussagen von Menschen, die sich zurückhaltender äußern und erklären, die Behandlung sei weder besonders angenehm oder unangenehm, sondern nur in Ordnung gewesen, oder sie habe ihnen geholfen, etwas über sich selbst zu erfahren. Was könnte uns die »Erforschung« dieses Gebiets lehren, wo die Beurteilung von so vielen subjektiven Faktoren abhängt? Als ich mich aber schließlich in die Literatur vertiefte, beeindruckte es mich, wie negativ die Psychotherapie darin beurteilt wird. Ich glaube, man sollte sich intensiver mit dieser Literatur beschäftigen. 

1952 fing man an, sich der Tatsache bewußt zu werden, wie wenig sich mit der Psychotherapie erreichen ließ. Den Anfang machte ein kurzer Artikel von H.J. Eysenck unter der Überschrift »Die Wirkungen der Psychotherapie; eine Bewertung«. Seine pessimistischen, fast zynischen Schlußfolgerungen erregten großes Unbehagen bei den Therapeuten:

Zwischen Heilung und Psychotherapie scheint es eine umgekehrte Wechselbeziehung zu geben; je intensiver die Psychotherapie, desto geringer die Heilungschancen... Etwa zwei Drittel einer Gruppe neurotischer Patienten wird innerhalb von zwei Jahren nach Beginn der Krankheit gesund, oder ihr Zustand bessert sich deutlich, gleichgültig ob sie therapeutisch behandelt werden oder nicht.28)

Die Veröffentlichung dieses Artikels löste heftige Kritik zahlreicher Psychotherapeuten aus, die nachzuweisen versuchten, daß Eysencks Behauptung falsch waren.29) Eysenck selbst beschäftigte sich 1960 noch einmal mit demselben Thema und kam zu dem Schluß: »Psychologen und Psychiater werden anerkennen müssen, daß die heutigen psychotherapeutischen Verfahren die Hoffnungen nicht erfüllt haben, die vor 50 Jahren in sie gesetzt wurden. Die Methoden der Psychotherapie können keine größere Rate von Heilungen bewirken als die im normalen täglichen Leben gemachten Erfahrungen.«30)  

Wir müssen allerdings bedenken, daß Eysenck eine ganz andere Behandlungsmethode praktizierte, nämlich die Verhaltensmodifizierung, die der von ihm kritisierten Therapie gewiß nicht überlegen war, gleichgültig, welche »Erfolge« er damit erzielte.

Dennoch sind die Schlußfolgerungen von Eysenck auch von vielen anderen bestätigt worden. Eine der interessantesten Untersuchungen wurde von einem Mann durchgeführt, der einer ganz anderen Richtung angehörte als Eysenck, und deshalb darf man ihre Ergebnisse als einigermaßen zuverlässig ansehen.

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Der angesehene Psychotherapieforscher, Hans Strupp, schrieb 1979 einen Artikel, in dem er behauptete, daß »Patienten, die von Collegeprofessoren (von fachfremden Fakultäten) psychotherapeutisch behandelt wurden, im Durchschnitt die gleichen Heilungserfolge zeigten wie Patienten, die von erfahrenen Berufs­psycho­therapeuten behandelt wurden.«31) Wenn das wirklich der Fall ist, weshalb soll man sich dann die Mühe machen, umfangreiche, teure und anspruchsvolle Ausbildungsinstitute einzurichten? 

Schon 1973 war Strupp zu der Überzeugung gekommen...

... daß ich im Gegensatz zu meinen früheren Auffassungen die Möglichkeit, Psychotherapie habe etwas »Besonderes« zu bieten, bedeutend skeptischer beurteile, und zwar in dem Sinne, daß ihre Techniken dem Patienten (oder sollten wir sagen, dem Schüler) angeblich größere Vorteile bieten als eine tiefgreifende menschliche Beziehung.32)

Einige Psychologen sind bereit gewesen, offen über die wirklichen Schwierigkeiten bei der Psychotherapie zu sprechen33), und viele verantwortungsbewußte Psychotherapeuten haben ebenfalls zugegeben, daß die Psychotherapie den Patienten unter Umständen schweren Schaden zufügen kann.34)

Wenn wir darüber nachdenken, können wir sehen, daß die Psychotherapie theoretisch in verschiedenster Weise schädlich sein kann. Wenn wir jedoch von der Theorie in die Praxis gehen, das heißt, wenn wir die ohne weiteres zugänglichen Unterlagen prüfen, wie ich das in diesem Kapitel getan habe, dann begegnen uns zahlreiche Fälle, in denen die Psychotherapie mißbraucht wurde und den behandelten Menschen ganz konkret geschadet und manchmal sogar zu ihrem Tod geführt hat.35)

Man kann diese Fälle natürlich immer als Ausnahmen sehen und sie als das Gegenteil jeder Psychotherapie bezeichnen.

Aber wann beginnen wir zu sehen, daß es an der Psychotherapie selbst etwas geben muß, das die Voraussetz­ungen dafür schafft, daß solche Mißbräuche möglich werden? Denn diese Mißbräuche kommen so häufig vor, daß es keine Ausnahmen sein können, oder unsere Vorstellungen vom Normalen stimmen nicht mehr. Trotzdem können viele Leser auf den Gedanken kommen, ich hätte mich ausschließlich auf die negativen Beispiele aus der therapeutischen Praxis konzentriert.

Aber wo sind die Therapeuten, die es gut mit ihren Patienten meinen? 
Wo sind die Therapeuten, die allgemein als freundlich, mitfühlend und hilfreich anerkannt werden? 

Auf der Suche nach einem Therapeuten, der solchen Erwartungen entspricht, bin ich häufig auf den Namen Carl Rogers gestoßen. Einige meiner Kritiker haben mir gesagt, ich sollte seine Arbeit prüfen, denn dort würde ich keine Exzesse wie bei Rosen oder Honig finden. 

Genau das werde ich im folgenden Kapitel tun.

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