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 Teil 1 -  Frühe persönliche Erfahrungen determinieren politisches Verhalten  

"Trotz aller dieser Erschwerungen darf man erwarten, dass jemand eines Tages das Wagnis
einer solchen <Pathologie der kulturellen Gemeinschaften> unter­nehmen wird."   (Siegmund Freud)

 

1  Attentate auf Führer 

11-18

Als Ronald Reagan 1981 Präsident wurde, herrschte in Amerika eine eigenartige Stimmung. Das Land hatte eine Periode des Friedens und Wohlstands erlebt. Die amerikanischen Geiseln im Iran waren sicher und ohne militärische Maßnahmen nach Hause zurückgekehrt. Unser Bruttosozialprodukt war das höchste, das eine Nation jemals in der Geschichte vorweisen konnte. 

Obwohl sich Amerika stark und glücklich hätte fühlen sollen, fühlte es sich schwach und verarmt. Die stärkste Nation der Welt, mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen seiner Geschichte und mehr Freiheiten für Mensch­en als irgendwo sonst in einem Land, dieses Amerika war während der Wahl Reagans voll von Visionen eines bevor­stehenden moralischen und ökonom­ischen Zusammenbruchs.1)

Unser neuer Präsident brachte unsere Ängste zum Ausdruck: Wir seien überhaupt nicht stark, sagte er, sondern »schwach und zerfallend«, in einem »Schiff, das über die Fälle zu stürzen droht« und »in größerer Gefahr, als wir am Tag nach Pearl Harbor waren«. Wir waren so ohnmächtig geworden, dass wir eigentlich unmittelbar der Gefahr ausgesetzt waren, überwältigt zu werden von »einer bösen Macht, die das Licht, für welches wir 6.000 Jahre lang gesorgt haben, auslöschen könnte«.2)

Während der ersten Monate von Reagans Amtszeit hielt ich einen Kurs über Psychohistorie an der <City University von New York>. Um der Klasse zu zeigen, wie man kollektive Stimmungen von Nationen erkennt, bat ich sie, gegenwärtige politische Cartoons, Titelseiten von Magazinen, Präsident­schaftsreden und Zeitungs­kolumnen mitzubringen, damit wir sehen konnten, welche Bilder und emotionalen Wörter im politischen Gemeinwesen gerade in Umlauf waren. 

Als Reagan in seiner Amtseinführungsrede sagte, wir würden uns »schrecklich« (wegen der Inflation) fühlen, wir wären »gescheitert«, »verängstigt« und »zerfallen« (als Nation) und würden voll »aufgestauter Wut« (gegenüber der Regierung) sein, bat ich die Klasse zu überlegen, was die psychologischen Ursachen für eine derart apokalyptische Sprache zu diesem speziellen Zeitpunkt der amerikanischen Geschichte sein könnten. 


12

Die Klasse hatte bereits früheres historisches Material über nationale Stimmungslagen untersucht, um zu lernen, wie man Fantasien dekodiert, welche die politischen Entscheidungen einer Nation beeinflussen könnten. Die Studenten lernten, dass von Führern oft erwartet wird, die irrationalen Wünsche und Ängste ihrer Nation zu erspüren und etwas zur Ablenkung oder Erleichterung dieser Befürchtungen zu tun. Beim Studium meines Buches <Jimmy Carter and American Fantasy>3) konnten sie sehen, wie Nationen emotionale Zyklen durchlaufen, die einer Gesetzmäßigkeit folgen und politische und ökonomische Entscheidungen beeinflussen. 

Sie entdeckten zum Beispiel, wie amerikanische Präsidenten regelmäßig am Anfang des ersten Jahres ihrer Amtszeit als stark angesehen wurden, mit hohen Beliebtheitsraten in den Umfragen, dann als nachlassend und schließlich als scheiternd, so wie auch ihre Umfragewerte sanken, was regelmäßig geschah, egal, wie erfolgreich sie tatsächlich waren. Da man von Regierenden glaubt, sie wären die Einzigen, die das emotionale Leben der Nation kontrollieren könnten, scheint das emotionale Leben der Nation »außer Kontrolle« zu geraten, wenn ihr Führer als immer schwächer werdend betrachtet wird. Die Klasse untersuchte, wie in den letzten Jahrzehnten wichtige Entscheidungen von Präsidenten durch vier spekulative Phasen der Führerschaft beeinflusst wurden: stark, einbrechend, als Zusammenbruch und als Umbruch. Kriege, zum Beispiel, sind nie im ersten Jahr der Amtszeit eines Präsidenten, wenn er als stark und kontrollierend betrachtet wurde, angefangen worden.4)

Darüber hinaus sahen die Studenten, dass sich bei einem Volk jedes Mal Enttäuschung breit macht, wenn Führer sich weigern, Nationen, die emotional dazu bereit wären, in den Krieg zu führen, wenn also der Führer zu »kollabieren« droht und ohnmächtig erscheint. Die von der Klasse untersuchte Fallstudie zur Demonstration einer solchen Enttäuschung durch einen Führer, der »unfähig war, in den Krieg zu ziehen«, war die Kubakrise.

 

Fig. 1-1  

Als Reagan Präsident wurde, 
fühlte sich Amerika, 
als ob es versinken und 
von den Mächten des Bösen 
belagert würde.

 

   


13

Als Präsident John F. Kennedy 1962 erklärte, die russischen Raketen müssten aus Kuba entfernt werden, war das Land emotional auf den Krieg vorbereitet. Kennedy versammelte eine viertel Million Männer und 180 Schiffe an der Spitze Floridas, hatte 156 ICBM Raketen bereit zum Abschuss und entsandte Bomber mit einer Ladung von 1.300 nuklearen Waffen, die sowjetische Städte ins Visier nahmen.5) Die Nation war bereit loszuschlagen. Nur 4 Prozent der Amerikaner waren gegen Kennedys Handlungen, obwohl 60 Prozent dachten, sie würden zu einem nuklearen Dritten Weltkrieg führen.6)

Als Chruschtschow nachgab und die Raketen entfernte, sodass die Krise plötzlich ohne jeden Krieg endete, fühlten sich die Amerikaner gewaltig im Stich gelassen.7) Die Medien berichteten über »Die eigenartige Stimmung in Amerika heute — verblüfft und verunsichert, was man glauben soll«.8) Sie begannen Fragen zu stellen, die als Angst einflößend galten: »Wird das jetzt eine Welt ohne echten Krieg sein? Plötzlich erscheint die Welt so still ... Warum die Stille? Was bedeutet sie?«9) Die Aussicht auf friedvolle Stille fühlte sich furchtbar beängstigend an.

Amerikaner aller Parteien waren unter verschiedenen Vorwänden wütend auf Kennedy. Viele riefen bald nach einer neuen Invasion Kubas und unterstützten Senator Barry Goldwaters Forderung, Kennedy müsse »alles tun, was zu tun ist, um diesen Krebs loszuwerden. Wenn das Krieg bedeutet, dann lass es Krieg bedeuten.«10) Man beschuldigte Kennedy, dem Kommunismus gegenüber zu weich zu sein, weil er zu seiner Zusage an die Sowjets stand, nicht einzumarschieren, und als er vorschlug, einen Vertrag zur Begrenzung nuklearer Tests zu unterzeichnen, sank seine Popularität in den Umfragen noch weiter.11) 

Die nationalen Kolumnisten machten ihrer Wut auf den Präsidenten Luft, und politische Cartoonisten bildeten Kennedy bei seiner Guillotinierung ab (Fig. 1-2). Richard Nixon warnte: »Es wird ... Blut vergossen werden, noch bevor [die Wahl] zu Ende geht«,12) und ein Cartoon in The Washington Post zeigte Nixon ein Grab schaufelnd. Viele Herausgeber waren noch schonungsloser. The Delaware State News brachte: »Ja, Virginia, es gibt einen Santa Claus. Zufällig heißt er jetzt gerade Kennedy — erschießen wir ihn, sprichwörtlich, noch vor Weihnachten.«13)  

Potentielle Attentäter im ganzen Land — Psychopathen, die es immer gibt und nur eine Entschuldigung dafür brauchen, zu töten — betrachteten diese medialen Todeswünsche als Signal, als Auftrag, die notwendige Tat auszuführen und nahmen diese Fantasien als Erlaubnis, Kennedy umzubringen.14) Die Gruppenfantasie entwickelte sich dahingehend, dass Kennedy umgebracht werden könne, wenn er den Krieg, den Amerika wollte, nicht herbeiführen konnte, und Präsident Lyndon Johnson würde dann den Krieg beginnen.

Kennedys Berater warnten ihn vor den zunehmenden Morddrohungen. Seine Reise nach Dallas, bekannt als die »Hass-Hauptstadt des Dixie«, erachtete man als besonders gefährlich. Seine Berater flehten ihn an, die Reise abzusagen.


 14

Senator William Fulbright warnte ihn: »Dallas ist ein sehr gefährlicher Ort. ... Ich würde da nicht hingehen. Gehen Sie da nicht hin.«15) Vizepräsident Johnson plante seine Rede, die er in Austin, nach dem Dallas-Besuch, halten wollte, mit den Worten zu eröffnen: »Mister Präsident, ich danke Gott, dass Sie lebend aus Dallas herausgekommen sind!«16) Die Richter von Dallas und die lokalen Spitzen warnten den Präsidenten davor, in die Stadt zu kommen, da die Gefahr eines Anschlags zu groß sei. Am Tag vor der Ermordung, als in Dallas Flugzettel mit Kennedys Bild unter der Schlagzeile »Wegen Verrats gesucht« verteilt wurden, strömten militante Mitglieder der rechtslastigen John-Birch-Gesellschaft und andere gewaltbereite Gruppen nach Dallas, und Hunderte von Reportern flogen von überall aus dem Land ein, alarmiert davon, dass dem Präsidenten irgendetwas passieren könnte.17)

Kennedy selbst war sich der Gefahr, erschossen zu werden, bewusst. Zwei Monate vor der Ermordung drehte er einen Familienfilm, »nur so zum Spaß«, in dem er ermordet wird.18) Am Morgen des Tages seiner Ermordung, erinnerte sich ein Berater später, ging Kennedy zu seinem Hotelfenster, 

»sah hinunter zur Rednertribüne ... und schüttelte den Kopf. <Jetzt sieh dir mal diese Bühne an>, sagte er. <Mit all diesen Gebäuden rundherum kann der Geheimdienst niemanden daran hindern, dich zu kriegen, wenn er es darauf anlegt.>«19) 

 

Als die First Lady Jacqueline Kennedy ihm sagte, sie hätte bei dieser Reise Angst vor einem Mordanschlag, stimmte Kennedy zu und sagte: »Heute gehen wir ins Land der Spinner. ... Weißt du, gestern Abend wäre eine Spitzennacht dafür gewesen, einen Präsidenten zu ermorden. Ich meine das wirklich so ... stell dir vor, ein Mann hätte eine Pistole in seiner Aktentasche gehabt.« Er richtete seinen Zeigefinger gegen die Wand und bog seinen Daumen. »Dann hätte er die Waffe und die Aktentasche fallen gelassen und wäre in der Menge untergetaucht.«20)

Man betrachtete die Reise nach Dallas als »bereit« für einen Mordanschlag; Mrs. Kennedy meinte zu einem Mitglied des Geheimdienstes: »Wir sind nichts als Zielscheiben in einer Schießbude.«21) Und Kennedy selbst erzählte seiner Frau am Morgen der Erschießung: »Jackie, wenn mich jemand von einem Fenster aus mit einem Gewehr erschießen will, kann niemand ihn aufhalten.«22)

 

  

Fig. 1-2  

Amerika wünschte 
Kennedy den Tod dafür, 
den Krieg gegen Kuba 
nicht begonnen zu haben.

 


 15

Trotz der Warnungen hat Kennedy jedenfalls unbewusst die Märtyrerrolle angenommen. Er war schließlich sein ganzes Leben lang daran gewöhnt, das zu tun, was andere von ihm wollten,23) und seine Eltern hatten ihm die Rolle zugewiesen, Risiko auf sich zu nehmen. So hatte er auch dem Geheimdienst, der ihn davor warnte, wie gefährlich es in der Stadt sein würde, und empfahl, seine Limousine mit einem kugelsicheren Plastikdach zu versehen, ausdrücklich befohlen, das nicht zu tun.24)  

Tatsächlich war dem Geheimdienst auch angeordnet worden, sich nicht vorher in Dallas einzufinden und die offenen Fenster, wie die des Bücherarchivs, entlang der Route zu kontrollieren, was sie normalerweise machten, wenn der Präsident in der Öffentlichkeit reiste.25) Nur wenn sich die Nation, der Attentäter, der Geheimdienst und der Präsident zusammen in unbewusster Kollusion befanden, konnte das Attentat erfolgreich ausgeführt werden.

An diesem Punkt der Untersuchungen fing die Klasse an zu begreifen, wie Attentate aus rein inneren und emotionalen Gründen von einer Nation an Individuen delegierbar sein konnten. Wir fanden heraus, dass sechs von sieben Anschlagversuchen auf amerikanische Präsidenten immer entweder nach ungewöhnlich langen friedvollen Perioden auftraten, wie die Ermordung von James Garfield am 2. Juli 1881, oder nach einem Friedensabkommen am Ende eines Krieges,26) wie der Mordanschlag auf Abraham Lincoln sechs Tage nach dem Ende des Bürgerkriegs.27) Es schien, als ob eine Nation Frieden, manchmal als Verrat erlebte, sodass sie ihre Wut auf ihren Führer zum Ausdruck brachte, weil er für Frieden sorgte, und dass Attentäter unterschwellig die Todeswünsche aufnahmen und versuchten, den Führer in einem Akt des nationalen Königsmordes zu ermorden.

*

Bei der Erforschung dieser nationalen Wut, die auf Kennedys abgebrochenen Krieg mit Kuba folgte, konnten es die Studenten nicht lassen, die emotionale Stimmung von 1963 mit den damals gegenwärtigen Gefühlen von 1980, nach dem kurz zuvor abgebrochenen Krieg mit dem Iran und unmittelbar vor Reagans Wahl zum Präsidenten, zu vergleichen. Auf den Iran wegen der langen Geiselkrise wütend, wurde Amerika von den Medien, in ähnlich heller Aufregung wie früher bei der Kubakrise, in den Krieg getrieben. »Die Kids sagen Jimmy, er solle zu schießen beginnen«, übertitelte die <New York Post>, während ein Kommentator die kriegslustige Stimmung mit den Worten beschrieb: »Selten ist mehr über den Krieg geredet worden — dass er sicher kommen werde, über seine Notwendigkeit, und wie sehr er auch gewünscht würde.«28) 

Umfragen zeigten, dass die meisten Amerikaner 1980 die Invasion des Irans befürworteten, auch wenn es bedeutete, dass alle Geiseln umkommen würden, da es Krieg war, was das Land wirklich wollte, und nicht die Rettung von Leben.29) 

Als der Rettungsversuch nach dem Absturz eines Hubschraubers ins Stocken geriet und Präsident Jimmy Carter sich weigerte, den versammelten Truppen, Flugzeugen und Schiffen den Angriffsbefehl zu erteilen, wandte die Nation ihre Wut gegen ihn, genauso wie bereits gegen Kennedy, nachdem auf die Kubakrise kein Krieg gefolgt war. Carter wurde in einer erdrutschartigen Wahlniederlage begraben, statt in einem Sarg wie Kennedy, und Ronald Reagan wurde zum neuen Präsidenten gewählt.


 16

Die Studenten (wie auch ihr Lehrer) fragten sich, ob sich die Wut der Nation wirklich gelegt hatte oder ob sie sich weiter gegen den neuen Präsidenten richten würde. Auch wenn dies keinen logischen Sinn machen würde — die Geiseln waren immerhin sicher nach Hause zurückgebracht worden —, machte es aus emotionaler Sicht Sinn.

Dass Reagan nach der abgebrochenen Invasion des Irans eine Zielscheibe für unsere Todeswünsche sein könnte, wurde schon durch weit verbreitete Spekulationen während seines Wahlkampfs angedeutet, die sich auf ein »tödliches Unglück« bezogen, das ihn möglicherweise treffen könnte. Jemand hatte ausgerechnet, dass kein amerikanischer Präsident seit 1840 seine Amtszeit überlebt hatte, der in einem Jahr, das mit Null endete, gewählt worden war. Es tauchten Autoaufkleber auf mit Sprüchen wie: »Für die Wiederwahl von Bush [Reagans Kandidat für die Vizepräsidentschaft] 1984.« 

Zeitungen fingen an, politische Cartoons und Kolumnen mit unterschwelligen Botschaften zu veröffentlichen, ähnlich jenen, die vor dem Attentat auf Kennedy erschienen waren, wie der Cartoon einer Guillotine, die auf Reagans Inaugurationsbühne errichtet wurde, oder eine Kolumne von Anthony Lewis in The New York Times, übertitelt mit: »Der König muss sterben.«

Der Höhepunkt der Kollektivfantasie »Der König muss sterben« kam in der letzten Märzwoche 1981. In dieser Woche brachten meine Studenten zahlreiche Titelseiten von Journalen, politische Cartoons und Zeitungsartikel mit, welche deutlich diese Todeswünsche zeigten. 

 

        

Fig. 1-3   Eine Woche vor dem Attentat waren Gewalt und Waffen in unseren Köpfen. 


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Time und Newsweek veröffentlichten erschreckende Geschichten über eine »wild außer Kontrolle geratene« Kriminalitätswelle, die angeblich vorherrschte obwohl sie der Kriminalität in den Monaten davor wenig Aufmerksamkeit schenkten und die Kriminalitätsrate während dieser Monate eigentlich gesunken war30) , und illustrierten die Todeswünsche der Nation mit Titelseiten, die bedrohende, auf den Leser gerichtete Pistolen abbildeten.

 

Das Cover von New Republic zeigte Gräber in Washington. Ein Cartoonist zeichnete Amerikaner, die für Reagan eine Guillotine bauten (die gleiche Guillotine, die man dargestellt hatte, als Kennedy vor seiner Ermordung enthauptet wurde). Ein anderer Cartoonist zeigt Reagan inmitten von Zielscheiben und Pistolen im Weißen Haus mit der seltsamen Andeutung, seine Frau könnte ihn vielleicht mit den Pistolen unter ihrem Bett erschießen wollen.

Um zu sehen, ob diese aufregenden Entdeckungen nicht einfach unserem Selektionsvorgang, der einer persönlichen Befangenheit unterliegt, zuzuschreiben waren, konsultierten wir ein anderes Psychohistorie-Seminar, das ebenso die Technik der Fantasieanalyse zur Beobachtung der Medien anwandte. Die Teilnehmer berichteten, dass sie, unabhängig von unseren Ergebnissen, in der letzten Zeit eine Vorherrschaft dieser Todeswünsche in Cartoons und Covers festgestellt hatten.31)

Am nächsten Tag bestätigte jemand aus dem Beraterstab des Präsidenten gegenüber der Öffentlichkeit, dass ein Attentat »in der Luft« läge. Staatssekretär Alexander Haig, ein leicht erregbarer Mann, begann unerwartet in den Medien eine Diskussion darüber, »wer im Falle eines Notstandes zuständig sein würde«, sollte der Präsident erschossen werden. Auch in der Presse und in Fernseh-Talk-Shows entstand eine große Aufregung darüber, wer »zuständig« sein würde, sollte der Präsident arbeitsunfähig werden.

 

Fig. 1-4    Todeswünsche gegen Reagan

Die Medien ignorierten völlig, dass dieses Thema scheinbar aus dem Blauen heraus zu kommen schien. Offenbar war Reagans Tod zu diesem Zeitpunkt gerade ein interessantes politisches Thema.

Die Klasse fragte sich, ob nicht vielleicht auch potentielle Attentäter diese unterschwelligen Botschaften spüren würden, da es immer eine große Anzahl von psychopathischen Persönlichkeiten im Land gäbe, die nur darauf warteten, bis man ihnen sagte, wann sie wen erschießen sollten, willens, der Beauftragte der Todeswünsche einer Nation zu sein. Einige Studenten warfen auch die Frage auf, ob wir nicht den Geheimdienst anrufen und ihn ob unserer Befürchtungen warnen sollten, kamen aber zu dem Schluss, dass von diesen in einem Haufen Cartoons und Magazincovers kein ausreichender Grund zur Sorge gesehen werden würde.

Die Studenten lagen nicht falsch hinsichtlich eines potentiellen Attentäters, der diese Todeswünsche aufgriff und sich freiwillig als »Beauftragter« zur Verfügung stellte. John Hinckley hatte sich während der letzten sechs Monate an Präsident Carter, den neu gewählten Präsidenten Reagan und andere politische Ziele herangepirscht, konnte sich aber einfach nicht »in die richtige Gemütsverfassung bringen, die Tat auch tatsächlich auszuführen«, wie er später darlegte. Als schließlich all die Todeswünsche der Medien gegen Reagan erschienen, bekam Hinckley am 30. März endlich, was er »ein Zeichen von einer Tageszeitung« nannte, und sagte sich: »Das ist es, das ist für mich.« Und er, so sagte er, hätte in diesem Moment entschieden, den Präsidenten zu erschießen.32

Ich saß in unserem Seminarraum, wartete auf das Eintreffen der Studenten und überblickte das Material des Todeswunschs gegen Reagan, das wir gesammelt hatten. Ich war während der letzten paar Stunden beschäftigt gewesen und hatte vor dem Seminar kein Radio gehört. Plötzlich hörte ich eine Gruppe von Studenten den Gang hinunter laufen. Sie stürmten in den Raum. »Professor deMause!«, schrien sie, fürchterlich aufgeregt. »Sie haben es getan! Sie haben ihn erschossen! Genauso, wie wir es befürchtet hatten!«

17-18

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